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Fünftes Capitel

Der erste Dienst und der kleine Johanneslein.

Zwei Jahre waren es schon, daß Annemareili bei der jungen Handwerksfrau in Dienst stand, obwohl ihm seine Bekannten am Brunnen und auf dem Markte mehr als ein Mal zugeredet, doch einen bessern Platz zu suchen, das heißt einen wo es mehr Lohn bekomme oder größere Freiheit habe, sich nicht so schinden müsse Tag und Nacht und dabei doch nichts verdiene. Es war zwar nicht, daß das Mädchen keinen Sinn dafür gehabt, größern Lohn zu erhalten oder sein Loos zu verbessern. Bei der Sparsamkeit, mit der es jeden Kreuzer zur Seite legte in sein Lädlein und sich das Nothwendige kaum gönnte, mußte ihm ein einziger Neuthaler mehr eine gewaltige Lockung sein. Und wenn es bis in alle Nacht hinein zu handtieren hatte, und mit saurer Arbeit dazu, ja, wenn es sich endlich müde zu Bette gelegt und dann erst noch dem Kinde, das es bei sich hatte, ein Paar Mal aufstehn sollte, da war es keine kleine Versuchung für Annemareili, von andern Mägden zu hören, wie sie von Abends neun Uhr an in einem Zuge schlafen könnten bis Morgens um halb Sieben und dabei doch ihren großen Lohn kriegten; oder wenn es sah, wie diese Glücklichen Stunden lang sich da und dort verplauderten und erst noch jeden zweiten Sonntag wenigstens frei hatten, abgesehn von dem halben Tag in der Woche zum Arbeiten für sich, während ihm jeder freie Augenblick so knapp und spärlich zugemessen war. Mehr als ein Mal, wenn das arme Annemareili am schönen Sonntagnachmittag oben in dem niedern Dachstüblein alleine zu Hause saß, das kleine Kind, den Johanneslein, den es zu hüten hatte, auf dem Arm, und es schaute durch's Fensterlein hinunter auf die Straßen, wo andre Mägde im grösten Staate, wie Damen, mit fliegenden Bändern, Schwal und gestickten Hauben, wenn nicht gar Hüten, vorbeizogen nach diesem, jenem Vergnügungsorte, oder es hörte sie lachen und scherzen unter einander oder mit Handwerksgesellen und Bedienten, Bekannten und Landsleuten; – mehr als ein Mal war sich da Annemareili gar verlassen von aller Welt und fast unglücklich vorgekommen in seinen dürftigen Kleidern, in dem ärmlichen Stüblein, fern von aller Erholung und allem Vergnügen. Selbst Neid und Unzufriedenheit waren schon nahe an sein Herz herangekrochen, darum, daß nur es bei dem schönen Wetter und dem Feiertage müsse zu Hause sitzen und des Kindes warten, Alles unten so vorbeiziehe und keine Seele an die arme Magd da oben denke. Es hatte ja auch Sinn für die Lust und Heiterkeit des Lebens, welche ihm versagt waren, hatte redlich sechs Tage gearbeitet und die Ruhe des siebenten Tages so wohl wie nur ein andrer Christenmensch verdient.

Am Sinne dafür fehlte es also Annemareili nicht, daß es jenen Reden seiner Bekannten nicht mehr Gehör gab und den ärmlichen Dienst bei dem Handwerker vertauschte gegen einen einträglichem oder nur bequemern, jetzt da es doch nicht mehr das ungeschlachte, rohe und unwissende Mädchen war, dem das geringste Haushaltungsgeschäft, der einfachste Küchendienst, ja nur Geschirr waschen und Treppen fegen als etwas Neues und Unerhörtes vorkam, oder das Mund und Nase aufsperrte, wenn es vernahm, man wichse die Schuhe wirklich jeden Tag und sogar bis daß sie glänzten. Zwar gab es sich noch nicht für eine sogenannte Hauptköchin aus, weil es ja nun eine Suppe kochen könne, ohne sie zu versalzen, oder einen Eierkuchen backen, der nicht halb verkohlt oder wie ein Stück nasses Leder so zähe war. Nein, dafür gab sich Annemareili nicht aus und verlangte darum auch nicht gleich zwölf Neuthaler, Meß- und Neujahrgeld nicht gerechnet, ein Paar Schuh zu sohlen extra und Trinkgelder. Aber gar wohl wußte es, daß es auf einen größern Lohn, als es jetzt empfieng, könne Anspruch machen, ohne nachher, wenn's an's Leisten komme, wie ein Stockfisch dastehn zu müssen. Dieß wäre nicht zu fürchten gewesen und deßhalb hätte es Annemareili auch schon wagen können. Aber neben all Dem hatte es eben noch einen andern Sinn, der immer wieder über jene Gelüste und Verlockungen die Oberhand gewann. Die Bequemlichkeit machte bei ihm nicht Alles aus und auch das Geld nicht Alles. Es erinnerte sich zum Beispiel noch, wie viel es dieser seiner ersten Herrschaft verdanke, wie die brave Handwerksfrau es aus einem unwissenden verwahrlosten Wildfang herangezogen zu einer ordentlichen Magd, die nun in Küche und Haushaltung Bescheid wußte. Es war dankbar genug um einzusehen, wie diese seine Ungeschicklichkeit mit Geduld getragen, seine Unwissenheit freundlich belehrt, seine Verkehrtheit zum Rechten gewendet und sich keine Mühe verdrießen lassen, ihm Jedes zu zeigen und es zu lehren was in Allem der Brauch, auch in seinem Reden und Benehmen, wie grob und ungeschlacht die von Haus aus waren. Die Frau hieß es bei dieser Zucht deßhalb nicht gleich Esel und Kuh und Trampelthier oder noch ärger, wenn es etwa Das und Jenes nicht wußte oder in etwas verstieß, lachte es auch nicht aus, noch weniger lud sie ihm mehr auf als zu thun möglich war. Und überdieß hatte es ja die Frau selber in Allem nicht besser, noch machte sie sich's leichter, obwohl sie doch keine von den Stärksten war, sondern manchmal kränkelte. Sie nahm im Gegentheil Annemareili öfter ein schwer Stück Arbeit ab, wenn sie merkte, dieses komme nicht wohl zu Schlag damit, oder gönnte auch ihm eine Erholung, ein Vergnügen, indeß sie als Frau ohne Murren und Poltern that, was eigentlich Sache der Magd war. Ja, als sich das Mädchen im Winter einmal stark erkältet, da hieß sie's, wie unbequem es ihr natürlich war, doch gleichwohl in's. Bette liegen, besorgte seine Geschäfte und machte nicht nur kein saures Gesicht, noch trieb sie der Kranken mit beständigem Fragen, ob's denn noch nicht bald besser gehe? den schweren Angstschweiß aus, sondern brühte ihr vielmehr Thee an, gab ihr von den eignen wärmern Bettstücken und schonte sie selbst noch einige Zeit als es schon wieder ordentlich gieng. Gerade wie eine leibliche Schwester wurde Annemareili gehalten und das empfand es gar wohl und nahm's darum auch seinerseits dann nicht so genau, wog nicht mit der Goldwaage ab, ob es etwa zuviel arbeite für den geringen Lohn, oder ob es sich bei einer vornehmern Herrschaft nicht besser befinden würde als bei der gemeinen? Gewiß, in diesen zwei Jahren hatte es eine mühsame Zeit durchgemacht, aber doch keine böse, und wenn täglich das Wort an ihm sich erfüllte: im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen! und das Brot war trocknes, so wurde es ihm doch unverkümmert und von Herzen gegönnt und ebensowenig auch versauert, wo dann der erste Bissen schon im Halse würgt und nicht hinunter will. Das mußte Annemareili allerwegen fühlen: seine Herrschaft habe ein Herz für seine Leiden wie Freuden und stehe nicht zu weit von ihm entfernt um zu begreifen, das was ihr wehe thue, das thue auch einer armen Magd nicht wohl. Darum ja fühlte sich Annemareili in der Familie nicht als eine fremde Person, sondern wie daheim, nahm Theil an Jedem und that sein Möglichstes zum gedeihlichen Fortgang, den es wie sein Eignes im Auge hatte. So gieng es ihm denn auch sehr nahe als das einzige Kind, der kleine Johanneslein, zu kränkeln begann und um so näher, da es den Kleinen bisher zum großen Theil allein gepflegt und um sich gehabt. Das Büblein war Annemareili auch sehr zugethan: wenn schon die eigne Mutter ihn auf dem Schooße hatte, mit ihm spielte, ihn herzte und das Mädchen kam gerade zur Thüre herein, so zappelte und schrie der Kleine gewiß so lange, bis es ihn auf den Arm genommen, zum großen Leidwesen der eignen Mutter. Annemareili dagegen bildete sich freilich hierauf nicht wenig ein, wenn es auch gegen Niemanden etwas davon verlauten ließ als gegen den Johanneslein selber durch vermehrte Liebkosungen. Dieses Kind nun erkrankte immer schwerer und nahm zusehends ab, wie wenig bedenklich das Uebel am Anfang auch geschienen. Lange wollte Niemand an die Gefahr glauben, Annemareili am längsten nicht, doch immer hagrer wurden die Wangen, die Glieder fielen immer mehr und mehr ab, auch ungeduldig, empfindlich und launisch wurde der sonst so gut geartete und zufriedne Knabe. Seine liebsten Spiele sah er nicht mehr an, sogar Annemareilis Zärtlichkeit und Scherze gewannen ihm kein Lächeln mehr ab, weinte er im Gegentheil doch ein Mal ärgerlich, als es die Arme aus purer guter Meinung zu erzwingen suchte. Jetzt, wenn ihn seine Wärterin auf dem Schooße hielt, begehrte er im Bettchen zu liegen und befand er sich im Bettlein, so sollte ihn Annemareili aufnehmen und herumtragen; kurz, unausstehlich war der Kleine in seinem Kranksein, das er ja nicht verstand, sondern nur immer meinte: dann werde ihm wohler sein, wann man's ihm anders mache als er's gerade habe. Aber wäre seine Launenhaftigkeit noch viel größer gewesen, die Mutter wie. Annemareili wären doch gerne nicht ungeduldig geworden, wenn sie nur die Hoffnung auf Besserung hätten hegen können.

Genügte ja schon ein halbzufriedner Blick, ein bittendes Wort, das der Kleine an die Eine oder Andre wandte um für lange wieder alle Mühe zu verfüßen und die ermüdende Geduld zu erfrischen. An diesem Krankenlager legte Annemareili die Probe ab von der Stärke seiner Anhänglichkeit, die keine erzwungne war, noch eine aus bloßem Pflichtgefühl, sondern welche als natürliche Dankbarkeit rein aus der Tiefe eines unverdorbnen Herzens kam. Denn jetzt mangelte ihm nie die Freiheit: lange mochten andre Mägde spazieren gehn, es fiel Annemareili nicht von ferne ein, von dem Bettlein seines Pfleglings weg zu begehren. Aengstlich horchte es jeden Augenblick des Nachts nach dem Odem des Kindes, stand unzählige Male freiwillig auf und schlich an das Krankenlager heran, nur um zu lauschen, oder dem Johanneslein eine Erquickung anzubieten, wenn er zu wachen schien, seine Kissen sanft zu recht zu legen und dachte mit keinem Gedanken an alle die Bekannten, die bis an den hellen Morgen ununterbrochen fortschlafen konnten. Wie gerne würde es selbst nichts gegessen haben, wenn nur das Büblein wieder Etwas hätte wollen zu sich nehmen! Ja, aus seinem Lädlein, mit den mühsam zusammengesparten Batzen, langte es sogar ein Paar Kreuzer heraus und kaufte bei einem unten auf der Straße stehenden Gipsfigurenhändler eins der Häslein, die so lustig mit dem Kopfe wackelten, einzig um dem Johanneslein doch eine Freude zu machen und ihm wieder einmal ein Lächeln abzugewinnen. Aber mit aller Sorgfalt besserte es gleichwohl nicht, im Gegentheil: Jedem mußte es bald klar werden, daß es mit dem Liebling der Familie zu Ende gieng. Gar traurig sah's da in der kleinen Haushaltung aus. Hier zu Häupten des Bettleins lehnte sich die Mutter über ihr krankes Kind und weinte heimliche heiße Thränen, dort trat Annemareili leise auf den Zehen mit dem Süpplein für den jungen Patienten in die Stube und nicht vom Rauche allein waren die Augen so geröthet, die gleich, wenn auch etwas verstohlen, nach dem Knäblein ängstlich sich hinkehrten. Den Vater sah man am seltensten, er konnte nicht sein einziges Kind sterben sehen, aber wie nahe es ihm gieng, das zeigte sich am deutlichsten beim Essen, wo Annemareili nachher fast ebensoviel in der Schüssel wieder abtrug, als es vorher auf den Tisch gestellt. Wenige Tage noch, die in dieser Beklemmung zugebracht wurden und die bange Erwartung, die quälende Angst löste sich, erst in heftige und laute, bald jedoch in stille aber anhaltende Trauer: der Knabe war gestorben.

Etliche Wochen nach diesem betrübten Ereignisse waren Annemareili und die Handwerksfrau allein in der Stube, die ihnen nun öde und wie ausgestorben vorkam. Die Frau las die Kleider ihres Johanneslein selig aus dem Kasten zusammen um sie, eingepackt in eine Kiste, droben auf dem Estrich aufzuheben, da sie hieunten doch nur Platz wegnahmen und die frische Wunde täglich blutig aufrissen. Bei diesem Anlasse hieß die Frau das Annemareili mit Gelegenheit jetzt auch nach einem andern Dienste sich umsehen, – da sie ja nunmehr Alles allein besorgen könne! setzte sie mit einem schweren Seufzer hinzu. Annemareili erschrak beinahe, als es diesen Bescheid vernahm, so begreiflich und natürlich es ihn auch finden mußte und so nahe ihm früher oft der Gedanke gekommen war, diesen Dienst mit einem bessern zu vertauschen. Die Frau bemerkte das und darum stellte sie ihm vor, wie leicht es einen viel einträglichem Dienst, als es einen hier bei ihr gehabt, werde finden, und daß es ihr selber schon lange Leid gethan, ihm, von wegen der theuern Zeit und dem geringen Erwerbe, am Lohne nicht haben zusetzen zu können. Gut gehn werde es ihm gewiß, es habe das an ihnen verdient, und möge kommen wer da wolle und nachfragen, so werde sie ihm stets das beste Zeugniß ertheilen und das mit einem guten Gewissen, so viel sage sie ihm offen zum Voraus. Als Annemareili klagte. es sei nicht bekannt, wisse nicht wie es anstellen, noch an wen sich wenden? da versprach ihm die Handwerkerfrau sich dafür umsehen zu wollen. Der Frau Säuberling ihre Lisebeth zum Beispiel reise nach Hause zu ihrer Mutter, die auszehre; dort wäre ein Dienst wie man ihn nur wünschen könne, wenn da anzukommen wäre: reiche Leute, wenig zu thun, niemand als Mutter und Tochter; zehn Neuthaler zum mindesten gebe es dort und auf die leichteste Art von der Welt!

Schön und rosenfarben malte die gute Frau Alles aus und doch war ihr das eigne Herz so trübe und schwer, denn nun sollte auch noch Annemareili von ihr, die einzige Seele, außer dem auf der Arbeit meist abwesenden Manne, mit welcher die kinderlose Mutter von ihrem Johanneslein selig sprechen konnte, welche den Kleinen auch so recht lieb gehabt und ihr darum befreundet und als ein Trost erschien. Annemareili aber ließ sich das Fürwort bei Frau Säuberling gerne gefallen und wie's beim Anstellen und Anbringen von Dienstboten geht, bald fand sich Gelegenheit, ein Wort gab das andre und die angehende neue Magd sollte sich zeigen. Sie gieng auch richtig hin. In dem Säuberlingischen Hause war es allerdings vornehmer und schöner als bei der wenig vermöglichen Handwerkerfamilie, wo weder weiße gestickte Vorhänge noch Teppiche zu finden gewesen und man dem Boden eben gar wohl ansah, wie nicht nur mit gestickten Pantöffelein darauf herum gelaufen wurde, sondern mit Schuhen, Stiefeln, und zwar tüchtig genagelten. In solch ein Haus war Annemareili bisher noch nie gekommen, und nun sollte es vielleicht gar drin dienen und wohnen: darüber erschrak es schier, zu gleicher Zeit aber lief ihm doch auch das Wasser im Munde zusammen. Als es sich zum ersten Male vorstellte, war die Frau Säuberling gerade aus der Kirche gekommen, hielt das Liederbüchlein noch in Händen und Hut und Schwal waren noch nicht abgelegt, vor lauter Eifer und Verwunderung, worein sie des verwittweten Doktors Curio Verlobung mit der Erzieherin seines kleinen Kindes, einer Landpfarrers-Tochter, unerwartet versetzt hatte. So eben hatte sie diese Neuigkeit von einer Freundin erfahren und zeigte sich nun ganz außer sich darüber, daß der Doktor sich so wegwerfe an eine Magd, hätte er doch noch ganz andre Parthien machen können! Ihre Tochter, die Jungfer, oder wie man sagen mußte, Fräulein Emeline, rümpfte das Näslein und gestand, daß sie sich nie viel aus dem Curio habe machen können, sondern ihn immer für eine gemeine Natur gehalten; es wäre deßhalb Schade gewesen, wenn er ein anständiges Frauenzimmer geheirathet hätte! Dieß Alles wurde vor Annemareili verhandelt, das sich durch den verächtlichen Ton fast noch mehr als durch die Worte selbst in seinem Innern unangenehm berührt fand, ohne indeß klar zu begreifen, warum eigentlich?

Noch peinlicher aber war das Verhör, das es nun selber zu bestehn hatte: aus welchem Orte es her sei? Was Alles es verstehe und nicht verstehe? ob es einen Liebsten habe? wo es bisher gedient und warum es fortgekommen? Als es da Niemanden als nur die Handwerksfamilie nennen konnte, wäre der ganze Handel beinahe zu Wasser geworden und bloß weil Frau Säuberling selber so in Noth war wegen der plötzlichen Abreise ihrer Lisebeth und man doch selten »was Rechtes« in der Zwischenzeit des Diensthalbjahres finde! entschloß sie sich, eine Magd anzunehmen die bisher nur in »Burgershäusern« gedient und es also mit dem Mädchen zu wagen.

Annemareili konnte demnach sogleich eintreten, als ihm vorher noch ein Vorwurf über seine zu große Jugend gemacht und mit Himmel und Hölle gedroht worden, wenn sich je ein Mannsbild seinethalben auf hundert Schritte dem Hause nähern sollte. Mit schwerem Herzen verließ es seine erste Herrschaft: wie sauer ihm bei der manchmal auch der Dienst geworden, beim Scheiden konnte es doch die Thränen nicht zurückhalten. Es wußte zwar selber nicht warum? aber es waren nicht einzig die Beklommenheit und das Herzklopfen, womit es den neuen Dienst antrat, welche ihm seinen Weg erschwerten. Dieß Gefühl hielt freilich auch nicht zu lange an, Annemareili hätte nicht ein neunzehnjähriges unerfahrnes Mädchen sein müssen, das sich nun schon als eine gemachte Magd ansah, die ihren schönen Lohn habe und bei der reichen Herrschaft auf dem besten Wege sei noch mehr, ja eine Hauptmagd oder eine Kammerjungfer sogar zu werden. Es war nicht mehr das arme hergelaufne Mädchen, das sich mußte herumstoßen und zu Allem gebrauchen lassen, auf das Niemand achtete, das nichts verstand, als Gnade und Barmherzigkeit betrachten mußte jedes freundliche Wort, jedes Bißlein Speise oder jeden Batzen Lohn. Dieses Gefühl, es sei nun etwas geworden und die Ueberzeugung, Jedermann müsse es ihm auch ansehn, was es zu bedeuten habe, gewannen in Annemareili bald die Oberhand über alle andern Empfindungen und behaupteten sie eine geraume Zeit, so daß es lange seinen neuen Dienst durch keine andre Brille betrachtete, als durch diese seiner Eitelkeit und seines Selbstgefühles. Und so blieb es noch eine Weile von dem falschen Lichte geblendet, als schon hin und wieder lange dunkle Schatten auf seine Dienstbahn fielen und unter den Rosen die spitzen unbarmherzigen Dornen hervorstachen. Denn nicht wenig hart hielt es und bedurfte manches empfindlichen Beweises, bis sich Annemareili eingestand: ach, mit dem bessern, das heißt vornehmern Dienste sei doch nicht Alles gethan! und hie und da in unbewachten Augenblicken sich zu sehnen begann nach seinem frühem Leben in dem engen und beschränkten Haushalte der Handwerkerfamilie. Was änderte es, daß es dieser Sehnsucht einzig das Aushängeschild alter Anhänglichkeit vorheftete! stak hinter diesem doch gleichwohl die aufleimende Unzufriedenheit mit seinem jetzigen Schicksale.


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