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Erstes Capitel

Das Gaißmädchen und die Stiefmutter.

Annemareili wäre eigentlich kein so übles Kind gewesen, wenn's auf seinem Kopfe nicht so gar wie in einer Brombeerstaude ausgesehen und man die natürliche Farbe seiner Backen erblickt hätte. Denn wußte es wirklich etwas vom Kämmen und Waschen, so war's höchstens vom Hörensagen; jedenfalls hatte es sich nie erkältet dabei, noch weniger aber erhitzt. Das Mädchen gehörte einem armen Weber, war indeß bei noch ärmeren Leuten verkostgeldet, weil ihm die Mutter gestorben, noch ehe es zwanzig Wochen alt gewesen und der Vater seitdem keine Haushaltung mehr führte, sondern im Verding arbeitete. So sah denn keine Seele zu Annemareili, zeigte ihm nichts, hieß es nichts, als auf der Waide die Gaißen hüten und etwa im Felde ein wenig Unkraut jäten. Es wuchs wild auf, glücklich und zufrieden mitten im Unrath, und wenn ihm die Leute auch auswichen, das war ihm gleich, seine Gaißen leckten ihm doch die Hände und hatten es nur um so lieber. Es fiel ihm nicht im Schlafe bei, daß es, das Annemareili, ebenso gut hätte sauber sein können als die andern Kinder im Dorfe. Diese andern Kinder waren ja auch nicht wie es bei allem Hudelwetter draußen im Freien, saßen in der Stube auf der Ofenbank oder spielten in Scheunen am Schermen, wenn ihm der Morast über den nackten Füßen zusammenlief, schliefen in Betten, wenn es neben dem Säustall auf einem Laubsacke lag und sich nothdürftig mit verdorbenen Lumpen deckte. Aber es wußte nichts Bessres und war zufrieden, jodelte hell auf, wenn andre Leute schnatterten vor Kälte oder fast zergiengen vor Hitze und ein kalter Erdäpfel, den es erhielt, oder ein halbreifer Aepfel, den es fand, waren ihm Leckerbissen, daran es wohl lebte, mit seinen elfenbeinweißen Zähnen drein fuhr, daß Jedem, der es sah oder hörte, das Wasser im Munde zusammenlief. Nie eine kranke Stunde hatte es gehabt das Mädchen, und rüstig war's, daß es keinen Buben fürchtete, nicht einmal ältere als es war. Es hatte kein Camerädchen, denn den Mädchen war's zu ungeschlacht, mit den Buben aber bekam es gleich Händel, wenn die es so behandeln wollten, wie sie mit den andern Mädchen umgiengen. Zu des Krämers Heinrich allein verrieth es einige Hinneigung. Der Heinrich war ein schwächlicher Knabe, und es schmeichelte dem Stolze des kräftigen Mädchens, ihn gegen seine stärkeren Genossen in Schutz zu nehmen bei den Streitigkeiten, die sie unter sich hatten. So fielen deßwegen mit des Schmidt Rudi, einem stämmigen Burschen, mehr als einmal hitzige Raufereien vor, und trug Annemareili in der Vertheidigung seines Schützlings Beulen wie Taubeneier davon, so lief dafür der Gegner mehrere Tage mit den blutigen Mälern von Annemareili's Nägeln im Gesichte herum. Für solchen Schutz war der Heinrich natürlich wieder erkenntlich, vergalt ihn mit Aepfeln, Brot, Nüssen, wodurch sich dann eben ein gewisses Verhältniß von Freundschaft bildete, das einzige, welches das Mädchen noch mit Jemand Anderm als mit seinen Gaißen unterhielt.

So lebte bis ins zehnte Jahr Annemareili glücklich und sorgenlos wie Wenige, aber auch verwildert wie kein andres Kind im Dorfe. Da änderte sich sein Schicksal, doch nicht gerade zum Besten. Der Vater heirathete zum zweiten Mal und trieb sein Gewerbe wieder auf eigne Faust. Natürlich zog nun das Mädchen zu ihm und es schien am Anfang für Annemareili wohl auszuschlagen, kam es doch wieder in eine Haushaltung und unter Menschen, die ein wenig zu ihm sahen und es nicht nur mit dem lieben Vieh laufen ließen. Es kostete zwar genug Schläge bis Annemareili begriff, es müsse jetzt wieder zu Hause bleiben und im Hause arbeiten, könne nicht mehr von Morgen früh bis in alle Nacht hinein im Freien herumziehn. Nun hatte es Spuhlen zu machen für den Vater und Tschuder zu spinnen, mußte Wasser tragen, fegen, hie und da der neuen Mutter an die Hand gehen. Den Winter über wurde es sogar in die Schule geschickt, lernte aber nicht viel mehr, trotz dem, daß es nicht dumm war, als was eben beim Durchfahren von einem Ohre zum andern unterwegs hängen blieb: ein wenig Lesen, Rechnen soweit die zehn Finger langten und Schreiben fast gar nichts.

Von all diesen Plagen sah Annemareili immer nur die Stiefmutter als Ursache an, um so mehr, da es von dieser auch am meisten gescholten und bestraft wurde. Es war daher nicht nur besonders übel auf sie zu sprechen, sondern zeigte ihr in seinem Trotze noch seine Gesinnung durch die geringe Achtung, dadurch, daß es Alles schlecht ausführte, was die es hieß, und ihr nicht leicht etwas zu Liebe that. Die zweite Frau von Annemareili's Vater kehrte darum natürlich auch immer deutlicher und rauher die Stiefmutter heraus gegen das ungezogene Kind, um so rauher als sie ohnehin nicht die sanfteste war, hatte sie doch bald sogar den eignen Mann der Art unter den Daumen gekriegt, daß er kaum mehr seine Tochter in Schutz zu nehmen wagte. Gab sich deßwegen Annemareili seinerseits bei Allem wenig Mühe und hielt sich in nichts gegen die Stiefmutter für verpflichtet, so wurden dafür bei der wieder die guten Worte selten, es sauste ein Klapf um Annemareili's Ohren, da wo andre Mütter zu ihren Kindern gesagt hätten: »Hör einmal, Annemareili!« und Ohrfeigen am Morgen, Schläge zum Mittag und Prügel für den Abend wurden die gewöhnliche Kost.

So lernte das Mädchen eigentlich nicht viel Andres als die Stiefmutter ärgern, wie harmlos es früher auch gewesen. Es hatte deßwegen noch nicht gerade ein böses Herz, mehr ein unvernünftiges, denn mit dem, daß es ja nur gegen die Stiefmutter so sei, glaubte es sich zum Voraus schon vollkommen gerechtfertigt. Auch die Reinlichkeit machte keine auffallenden Fortschritte. Wohl gab ihm die Stiefmutter deßwegen alle Schandnamen, dafür aber selber kein gutes Beispiel in dem Punkte; Schandnamen indeß kämmen nicht, noch waschen sie, wenn's auch tropft davon, und Annemareili dachte halt gleich wieder: es sagt's nur die Stiefmutter! und nahm's drum um so weniger an.

Das Leben, das Beide zusammen führten, war demnach kein gar erfreuliches, der Vater, der zwischen ihnen inne stand, hatte es aber vielleicht noch am allerschlechtesten, denn er bekam Vorwürfe von beiden Seiten zu hören. Anfangs versuchte er zu besänftigen: das war Oel in's Feuer, dann schwieg er und nur wenn sein Weib dem Annemareili einen Schemel nachwarf, oder den Besenstiel auf dem Rücken zerbrach, nahm er sich zusammen und schalt: das komme ihm doch bald zu arg! Am Ende verließ er seine Arbeit bei derlei Anläßen und schüttete im Wirthshaus ein Glas Wein auf seinen heimlichen Verdruß. Hierdurch aber ward nicht nur nichts gebessert, sondern noch verschlechtert, nämlich der Erwerb und um so mehr, da mit der Weberei ohnehin keine Seide zu spinnen war.

Zu Allem kam dann noch, daß Annemareili ein neues Brüderlein bekam und das Jahr darauf sogar ein zweites. Das erste Kind das kam, wurde wenigstens von der Mutter mit freundlichen Augen angesehen, vom Vater nur so halb und halb. Das zweite dagegen, das kaum ein Jahr warten gekonnt, kam Niemandem willkommen, war's doch bis jetzt schon knapp genug zugegangen in der Haushaltung! Der Vater seufzte mehr und gieng öfter in's Wirthshaus, darin er freilich jetzt für einen Halbbatzen Brenz trank, statt des Schoppen Weins von früher. Die Mutter sah nur um so saurer und unwirscher drein, je freundlicher das unwillkommene Knäblein sie anlächelte, denn sie erblickte eine neue und überflüssige Sorge in ihm und hätte jedenfalls lieber ein Mädchen gehabt anstatt eines Bübleins, was sie beim Bestellen wahrscheinlich übersehen. Annemareili endlich, – ja Annemareili war das Einzige im ganzen Hause, welches dem armen Würmlein noch ein gutes Wort gab, ihm ein freundlich Gesicht zeigte, es schweigte, wenn es schrie. Wie das kam? War's aus Schadenfreude vielleicht, wie die Mutter meinte, daß es einen Verbündeten bekommen, der ihm die Stiefmutter ärgern helfe? Nein, dafür war Annemareili zu gerade und sein Herz zu unverdorben, wie trotzig es daneben auch sein mochte; vieleher erbarmte es das arme hilflose Ding, das ja auch Niemand hatte der's liebte, oder ihm hold war, gerade wie Annemareili nicht. Kurz, das Mädchen fühlte sich hingezogen zu diesem Stiefbrüderlein, und es nährte es, trug es, gab ihm den ersten Kuß, den es je einem Menschen gegeben, ja, was das allerauffallendste war, es wusch es sogar und sorgte ihm für reine Kleidung, freilich nicht rein, ganz genau was eine Vorgängerin in der Stadt so nennt, sondern ein wenig was ein Annemareili rein heißen konnte. Darüber indeß empfand das Annemareili doch eine kleine Schadenfreude, daß der Kleine gegen Niemand so lächelte wie gegen das Mädchen und mochten Vater und Mutter anwesend sein und die Mutter ihm den saftigsten Lutscher vorhalten, es streckte gleich die Arme gegen Annemareili, sobald dieses nur in die Stube trat und spornte und schrie, bis es bei ihm war. Dieses jedoch hatte sich mit all dieser Liebe, der eigenen wie des Bübleins seiner, doch nicht satt gegessen; das will heißen: als der Verdienst geringer, der Mäuler mehr und die Bissen darum schmäler geworden, als die Stiefmutter das wenige Brot, das im Hause war, für ihre eignen Kinder zuerst verwandte, da bekam das Mädchen mehr denn ein Mal empfindlichen Hunger zu spüren. Es war ohnehin stark gewachsen und im Alter dazu, hätte den ganzen Tag essen mögen, nicht aber des Nachts ohne ein Tünklein in's Bette gehen. Schon öfter war es drum heimlich über den Brotlaib gegangen, oft aber auch von der Stiefmutter hart gescholten und bedroht wurden deßhalb. Hatte es sonst schon wenig auf die Stiefmutter gehört, so übertäubte jetzt der Hunger noch vollends ihre Stimme, und eines Morgens, da Annemareili die Stiefmutter auf der Holzbühne glaubte, stand es auch wieder vor der offenen Tischschublade, in der einen Hand das Messer, in der andern den ziemlich zusammengeschmolzenen Brotlaib. Unglücklicherweise trat da von der Küche her die Mutter unversehens in die Stube und unter einem Schwalle von Scheltwörtern war sie über dem erschrockenen Mädchen her, riß ihm Brot und Messer aus den Händen und schlug ihm mit diesem hart über den nackten Arm. Ein Schrei Annemareili's war Alles: das Blut schoß über den Arm herunter, dunkelroth und heiß aus einer tiefen Wunde hervor. Die Stiefmutter erschrak Anfangs wohl ein wenig, aber gleich darauf schalt sie: es geschehe der Diebin Recht, sie komme doch noch an den Galgen und es sei nur Schade, daß es nicht tiefer gegangen! Annemareili aber sagte jetzt kein Wort mehr, es wickelte nur seine Schürze um den stark blutenden Arm und gieng dann zur Thüre hinaus. Denselben Tag zeigte es sich nicht mehr und Niemand fragte weiter nach ihm.

Von da an ward es stille, sprach fast nichts mehr, gab auch weniger Anlaß zu Streit, den Arm trug es noch einige Tage lang verbunden und als die Lumpen zum ersten Mal weg waren, zeigte sich ein halbfingerslanger breiter rother Streifen an der verwundeten Stelle.

Eines Morgens kam das Mädchen nicht in die Stube herunter, es ließ sich den ganzen Vormittag nicht blicken, die Stiefmutter war an dem Verschlage, drin es schlief, vorbeigegangen und hatte die Thüre nur angelehnt, das Bette leer gefunden, nirgend war ein Annemareili zu sehen. Um die Mittagszeit fand es sich gleichfalls nicht ein, vergeblich hatte das kleine Stiefbrüderlein mehrmals nach ihm geschrieen und endlich, gegen Abend, auch der Vater gefragt. Sie wisse es nicht und laufe dem Trotzkopf nicht nach, antwortete die Stiefmutter, war aber gleichwohl ein wenig unruhig, als es auch Nachts noch nicht zurückkehrte, hatte es sich doch in den letzten Paar Tagen auffallend stille und in sich gekehrt gezeigt. Und als da der Vater, der im Wirthshause sich Muth geholt, sagte: das sei ihm doch überlegen, wenn man ihm sein Kind so zum Hause hinaussprenge, wie es scheine! da erstickte die Frau ihre eignen Gewissensbisse mit einer Fluth von Vorwürfen und Schimpfreden über die Entwichene, und daß der Schade nicht groß sei, wenn sie auch gestohlen worden, das aber sei leider nicht zu fürchten! Noch zwei, drei Tage zeigte der kleine Knabe Ungewöhne, der Vater tröstete sich damit, Annemareili könne es leicht besser bekommen an einem andern Orte (das gieng ihm aus dem Herzen,) und was die Ungewißheit über des Mädchens Schicksal betraf, so half ihm über diesen Punkt sein gewöhnliches Mittel, das er im Wirthshause fand. Daß bei der Stiefmutter die Lücke noch geringer war, versteht sich von selbst.


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