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Vorbereitungen. – Der »Perseus«.
Heinrich,« sagte Willy Arnold, als wir an jenem Tage, der uns so Überraschendes gebracht hatte, zu Bett gingen, »was sagst du zu Kapitän Dicksons Idee? Gehst du mit?«
Der angeredete junge Mann schwieg. Meine Wenigkeit nämlich. War doch noch so vielerlei zu erwägen. Erstens meine Eltern und meine Schwester; zweitens meine noch immer nicht ganz taktfeste Gesundheit; dann, woher die Mittel zur Ausrüstung nehmen? Denn mein Vater, ein Geistlicher, war eigentlich nur arm; und schließlich die Gefährlichkeit der Sache.
»Die Gefährlichkeit!« rief Willy verächtlich. »Hast du deine Eisenbahnaffaire vergessen? Ist's nicht zu Lande allenthalben gefährlicher, als auf dem Wasser? Denk doch an die Dachsteine, die dir auf den Kopf fallen, und an die Hunde, die dich beißen können! Und das Geld? Das schieße ich dir vor, und langt meine Sparkasse nicht, dann rede ich ein Wort mit meinem Vater. Deine Eltern aber und deine Schwester, die werden froh sein, wenn sie dich los sind. Da – deine Einwendungen sind erledigt. Ich habe gesprochen.«
Das hatte er, und da er dabei ganz außer Atem gekommen war, schwang er sich auf das hohe Fußende meines Bettes und schaukelte mit den Beinen, während er mich ansah wie einer, der eine wichtige Sache triumphierend zu Ende geführt hat.
»Ja, Willy, willst du denn mit fort?«
»Das fragst du noch?« erwiderte der resolute Jüngling. »Ich bin schon mit allen Gedanken an Bord, ich ... oha! Ich bin schon fort!«
Diese letzten Worte rief er mit halb erstickter Stimme, denn er hatte in seinem Eifer das Gleichgewicht verloren und war rücklings in das tiefe Federbett hinabgefallen und meinen Augen entschwunden.
»Aber dein Vater und deine Mutter,« begann ich von neuem, als er seinen Sitz wieder erklommen hatte. »Bist du ihrer Einwilligung so sicher?«
»Ich denke doch. Vater wollte schon immer, daß ich etwas von der Welt sehen sollte, und er wird froh sein, mich unter Kapitän Dicksons Obhut zu wissen, bei dem ich noch gratis mein Englisch vervollkommnen kann. Yes, my dear fellow. That will be all right. Du aber schreibst morgen an den deinen und kommst um Urlaub ein. Verstanden?«
»Gut. Es geschehe also. Nun aber hüpfe da herunter, Willy mein, und laß mich in die Koje gehen. Du hast dein Lager für dich, da kannst du deine gymnastischen Übungen weiter betreiben.«
Willy gehorchte, setzte aber von seinem Bette aus die Unterhaltung mit ungeschwächtem Eifer fort und beschrieb mir eingehend, was er mit Alvarado und Rufino anzustellen gedachte, wenn er sie erst in den Fingern haben würde.
»Denk' an die Nürnberger, William,« sagte ich, »die henken die Leute bekanntlich auch immer erst, wenn sie sie haben.«
»Du bist ein schwieriger Casus, Heinz,« entgegnete mein Genosse. »Wenn diese Betten nicht meiner Mutter Augäpfel wären, so' würde ich dich jetzt zu einem Zweikampf auf Kopfkissen fordern.«
»Renommiere nicht, Willy, mein Knabe; du weißt, daß ich dich beim alten Niebuhr gerade in dieser Waffenübung mehr als einmal glänzend besiegte. Jetzt laß uns aber schlafen, du kühner Piratenfänger.« –
Am folgenden Tage fanden allerlei Verhandlungen statt, deren Resultat meinen Freund Willy höchlichst befriedigte.
Kapitän Dickson mietete den Dampfer, um mit demselben in den südamerikanischen Gewässern Kauffahrtei zu treiben, zugleich aber auch, um die »Medusa« und seinen Feind Alvarado aufzuspüren. Das Fahrzeug sollte den Namen »Perseus« führen, »weil«, so bemerkte der Schiffer mit grimmem Lächeln, »weil ich der ›Medusa‹ den Kopf abhauen will, wie jener griechische Mann auch gethan hat, der doch bloß eine Landratte gewesen ist.«
»Und ich will Ihnen dabei helfen, Kapitän,« sagte Willy. »Reden Sie nur dem Vater zu, daß er mich mit Ihnen gehen läßt.«
»Das haben wir bereits besprochen, mein Sohn,« sagte der Schiffsbaumeister. »Du magst eine Zeit lang zur See fahren, wie ich auch gethan habe, ehe ich die Werft übernahm. Das Reisen erweitert den Blick. Ich gebe dich in die Hände eines guten und braven Mannes und sehe dich mit ruhigem Herzen ziehen.«
»Dank Ihnen, Mr. Arnold,« erwiderte der Schiffer. »Ich gedenke an Ihrem Sohn meine Pflicht zu thun. – Und Sie, junger Gentleman,« wendete er sich zu mir, »was sagen Sie zu der beabsichtigten Kreuzfahrt?«
»Ich komme von Herzen gern mit, wenn meine Eltern mir die Erlaubnis geben, und ich würde versuchen, mich an Bord nach Kräften nützlich zu machen.«
»Bravo. Schreiben Sie nach Hause und geben Sie mir dann Bescheid.«
Ich schrieb und wartete dann mehrere Tage auf Antwort. Inzwischen wurde der Dampfer, der gar nicht so klein war, wie ich gemeint hatte, noch einmal gründlich von innen und von außen untersucht. Kapitän Dickson ließ hier und da noch Veränderungen vornehmen und dann vier Geschütze, darunter ein langes Pivotgeschütz, an Deck aufstellen. – Der Schlot des »Perseus« wurde zum Niederlegen eingerichtet, so daß das Fahrzeug dadurch zeitweilig aus der Entfernung für einen einfachen Schooner gehalten werden konnte, dessen Masten allerdings etwas weiter von einander standen, als man bei solchen Fahrzeugen zu sehen gewöhnt ist. Segel wurden zugeschnitten und genäht, die Kajüte erhielt eine neue Einrichtung, kurz, das ganze Schiff wurde, seiner neuen Bestimmung entsprechend, in den bestmöglichen Stand gesetzt.
Darüber verging einige Zeit. Lange vor Beendigung dieser Vorbereitungen traf mein Brief ein. Er lautete:
»Mein lieber Sohn!
Dein Vater und ich haben über Dein Schreiben reiflich nachgedacht und sind zu der Überzeugung gekommen, daß es das beste ist, wenn Du, so schnell als die Höflichkeit gegen Deine Gastfreunde dies gestattet, nach Hause zurückkehrst. Sage der lieben Familie Arnold unsere herzlichsten Grüße und sei versichert der zärtlichsten Liebe
Deiner treuen Mutter
Henriette Lubau.«
Das war kurz und bündig. Mein erster Eindruck war, daß die Mutter mich hier in der Gesellschaft von Irrenhäuslern wähnte und daß sie mir außerhalb des Bereichs ihrer Aufsicht nicht mehr traute. Willy aber, dem ich das Schreiben vorlas, war anderer Meinung.
»Du sollst mit uns, Heinz,« sagte er, »das geht ganz deutlich daraus hervor. Deine Eltern wollen die Sache mit dir besprechen. Mach also, daß du nach Hause kommst, wir sehen uns bald wieder.«
Herr Arnold war ganz derselben Ansicht. Wir verabredeten, daß ich mich nach Ablauf von drei Wochen wieder einstellen sollte, und dann begleiteten Willy und seine Schwester mich über die Elbe und bis zum Bahnhof.
Ich übergehe hier die Verhandlungen, die in meinem elterlichen Hause stattfanden. Der alte Hausarzt wurde mit zu Rate gezogen, und er war der erste, der sich einverstanden erklärte. Ein Jahr frischer Seeluft, körperlicher Übung und geistiger Anregung würde mir bessere Dienste leisten, als alle häusliche Pflege. Demzufolge gab auch meine Mutter, wenn auch unter vielen Thränen, ihre Einwilligung, und auch mein Vater stand mit der seinen nicht zurück, und wider Erwartung erklärte der Gute sich auch bereit, die Kosten, die ihm ein schweres Opfer waren, zu bestreiten.
Alles dieses teilte ich Willy Arnold in einem von Freude überströmenden Briefe mit.
Herr Arnold hatte inzwischen über den Verbleib der »Medusa« Erkundigungen eingezogen und vermöge seiner weit verbreiteten Verbindungen das Folgende erfahren.
Von Bremerhaven aus war das gestohlene Schiff nach Marseille in See gegangen. Dann hatte man in Gibraltar eine weitere Spur gefunden. Ein Dampfer mit weißem Schornstein, allem Anschein nach die »Medusa«, war durch die Meerenge ins Mittelländische Meer gesteuert. Von der Flaggenstation aus hatte man ihn aufgefordert, sich zu erkennen zu geben, er aber war vorbei gedampft, ohne darauf zu achten. Darauf war ein Guarda-Costa-Boot aus Malaga ihm nachgesetzt, hatte ihn aber während einer stürmischen Bö aus dem Gesicht verloren und dann die Verfolgung aufgegeben. Man nahm an, daß die Identität des Dampfers von Malta aus festgestellt werden würde, wenn er sich dort zeigen sollte. Mehr war vorläufig nicht zu erfahren gewesen.
Nach Ablauf von drei Wochen fand ich mich in Steinwärder wieder ein, diesmal in Begleitung meiner Eltern und meiner Schwester, und zwar an dem Tage, an welchem Kapitän Dickson seinen neuen Dampfer feierlich übernahm. Zu der Festlichkeit waren einige Freunde des Arnoldschen Hauses und auch Kapitän Dicksons Steuermann, ein Holländer Namens Lambertus Schomerus, geladen.
Schomerus war eine auffallende, fast komische Persönlichkeit. Er mochte ein Mann von etwa sechzig Jahren sein, hager, sehnig, mit rotem Gesicht, weißgelbem, zottigem Haar und nur einem einzigen Auge. Das aber war ein ganz außerordentliches Sehorgan! Er konnte damit mehr und schärfer wahrnehmen, als gewöhnliche Menschen mit zwei gesunden Augen, und er hatte auch, wie er selber sagte, mit diesem Auge in seinem Leben schon so wunderbare, unglaubliche und schreckliche Dinge gesehen, daß er seinem Herrgott auf den Knieen dafür dankte, daß derselbe ihn in seiner Weisheit nur mit einem einzigen Guckloch bedacht; denn nur mit Schaudern könne er daran denken, was ihm wohl alles zu Gesicht gekommen wäre, wenn auch er seinen normalen Anteil bei der Verteilung der Sehwerkzeuge bekommen hätte.
Ich werde jenen Tag und seine freudige Aufregung nie vergessen und nie das stolze Gefühl, mit welchem ich, als angehender Piratenjäger, auf dem Achterdeck des Dampfers auf und ab schritt, umgeben von dem fröhlichen Gewimmel der Festgesellschaft. Kapitän Dickson erklärte meinen Eltern in seinem drolligen gebrochenen Deutsch das Schiff und seine Einrichtungen, sogar die Maschine nicht ausgeschlossen, ich aber hörte mit einem Lächeln thörichter Überlegenheit zu, fest überzeugt, daß mein guter Vater davon nicht das mindeste verstehen oder gar behalten würde. Und dann kam die Taufe des Dampfers. Meine Schwester zerbrach auf allgemeinen Wunsch die Champagnerflasche am Buge, indem sie dieselbe vermittelst eines Kabelgarns über das Gallion hinabließ und gegen den Steven schwang, und gab dabei dem Fahrzeug den Namen »Perseus«. Das Gallionsbild stellte das Brustbild des Helden in vergoldetem Holze dar. Darauf donnerten die Geschütze einen Salut von achtzehn Schüssen, der so kriegerisch über den friedlichen Hafen erschallte, daß mir das »Männerherz« noch einmal so mutig gegen die Rippen pochte.
»Der ›Perseus‹ kann ein tüchtig Wort mitreden,« sagte Willy mit blitzenden Augen.
»Ja, und ein deutliches,« erwiderte ich. »Ich wenigstens habe ihn sehr gut verstanden.«
»Nun, der Schurke Alvarado wird ihn eines Tages auch verstehen,« bemerkte Kapitän Dickson, in die Kajüte hinunter steigend.