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Willy Arnolds Eltern. – Die gefälschte Handschrift.
Als ich wieder zu mir kam, war ich zu Hause. Mein erster Blick fiel auf meine Mutter, die an meinem Bette saß. Auch unser alter Hausarzt war da. Auf dem Tische brannte eine Lampe. Es war der dritte Abend nach dem Eisenbahnunfall. So lange hatte ich ohne Besinnung gelegen. Mein Arm war verletzt, mein Kopf verbunden, und ich fühlte Schmerzen im ganzen Körper.
Es währte lange Monate, ehe ich wieder hergestellt war. Der Tag, an dem ich verunglückte, war der letzte Tag im Juni gewesen. Am 1. September erhielt ich einen Brief von Arnold, meinem alten Schulgenossen. Derselbe hatte inzwischen ebenfalls die Anstalt des Doktor Niebuhr verlassen und war als Lehrling in die Buchhalterei seines Vaters eingetreten. Das Schreiben enthielt eine freundliche Einladung, ihn zu besuchen, wenn mein Gesundheitszustand dies gestattete. Demselben war auch ein Briefchen der Frau Arnold an meine Mutter beigefügt; die Dame versicherte, daß sie mir die mütterlichste Sorgfalt angedeihen lassen würde, und vereinigte ihre Bitten mit denen ihres Sohnes. Einer so liebenswürdigen Einladung mochten meine Eltern nicht widerstehen, und so erhielt ich die Erlaubnis zur Reise nach Hamburg. Die Eisenbahnkatastrophe war, so zu sagen, vergessen; aber so ist das Leben.
Am nächsten Tage machte ich mich auf den Weg. Arnold empfing mich am Eingang seiner väterlichen Werft.
»Endlich!« rief er mir entgegen. »Ich fürchtete schon, daß du den Zug wieder in Grund und Boden fahren würdest! Na, Gott sei Dank, daß ich dich lebendig wiedersehe! Aber nun schnell; Vater und Mutter warten auf dich und auch meine Schwester Gertrud wird sich freuen, dich kennen zu lernen.«
Herr und Frau Arnold ebenso wie Gertrud empfingen mich mit Herzlichkeit. Später, beim Abendbrot, redeten wir von den alten Zeiten, von den Tagen des Schullebens in Bergedorf, und da fügte es sich von selbst, daß das Gespräch auch auf Rufino Garillas, den spitzbübischen Mohren, und auf seinen Verwandten, den Kapitän Alvarado, kam. Dabei vernahm ich, daß Rufino unmittelbar nach seiner Abreise von Bergedorf auch hier auf Herrn Arnolds Werft gewesen war.
»Und Sie haben ihn nicht arretieren lassen?« rief ich.
»Arretieren? Warum denn?« lachte Herr Arnold. »Ich kann doch einen jungen Menschen nicht arretieren lassen, weil er eine dunklere Haut hat, als man an eingeborenen Hamburgern zu sehen gewohnt ist?«
»Nicht doch; aber weil er mich bestohlen hat,« sagte ich.
»Davon wußte ich ja gar nichts,« wendete sich der Schiffsbauer an seinen Sohn.
»O, ich habe die ganze Geschichte ja damals Gertrud geschrieben,« entgegnete Willy, »alles haarklein, von dem Geld und von den Papieren und auch von dem Kapitän Alvarado.«
»Aber, mein Sohn, du vergißt, daß Gertrud so lange zum Besuch bei der Tante in Kuxhaven war und daß sie ihre Briefe uneröffnet nachgesendet erhielt.«
»Und ich habe an die Geschichte, die mich nicht sehr interessierte, gar nicht mehr gedacht,« warf Gertrud ein.
»Du kannst lange warten, Trudchen, ehe du wieder einen Brief von mir bekommst,« drohte Willy. »Die Sache ist aber wohl nicht mehr von Belang, lieber Vater.«
»Ich muß gestehen, daß ich mir jetzt allerlei Gedanken mache,« sagte Herr Arnold, dessen Gesicht sich verdüstert hatte. »Dieser Alvarado hatte mir von Anfang an nicht gefallen, da er aber sehr gute Referenzen aufwies und auch bei der Bank einen namhaften Kredit hatte, so ließ ich meinen Verdacht nicht erst aufkommen.«
»Ende gut, alles gut,« lächelte Frau Arnold. »Kapitän Alvarado hat dir sichere Wechsel gegeben, und so kannst du gar nicht mehr zu Schaden kommen, auch wenn er nicht der ehrliche Mann sein sollte, für den wir ihn hielten.«
»Der Vater hat ihm nämlich einen Dampfer verkauft, ein wunderschönes Fahrzeug, einen richtigen Klipper, scharf wie ein Messer und schnell wie ein Windhund,« erklärte mir Willy. »Er führt den Namen ›Medusa‹. Wer weiß, ob in diesem Augenblick sich nicht auch der Mohr kreuzfidel daselbst an Bord befindet.«
»Der miserable Wicht!« stieß ich zornig hervor. »Hätte er mir wenigstens den Brief von meinem Onkel und die anderen Papiere gelassen! Ich wollte, daß er mir noch einmal unter die Finger käme!«
»Wie gerechtfertigt war doch eigentlich unser aller Abneigung gegen ihn!« sagte Willy. »Und genau so widerwärtig erschien mir auch der Kapitän Alvarado.«
»Warum aber sagtest du mir kein Wort davon?« fragte der Vater.
»Weil Heinrich mich damals auslachte und meinte, daß du sicher wüßtest, was du zu thun und zu lassen hättest. Und dann habe ich auch nicht mehr daran gedacht. Übrigens müssen Alvarados Wechsel in diesen Tagen fällig werden. Gut sind sie ja, da sie auch die Unterschrift eines bei der Bank in hohem Ansehen stehenden Mannes tragen, eines Kapitän Deinhard. Wer mag das sein?«
»Kapitän Deinhard kommandiert eine Korvette der brasilianischen Marine. Ich habe Erkundigungen über ihn eingezogen, die mich vollständig befriedigten. Sein Schiff heißt – ja, wie doch gleich?«
»Santissima Trinidad,« sagte ich.
»Ganz recht,« bestätigte Herr Arnold. »Mein Gedächtnis wird schwach; ich werde demnächst noch meinen eigenen Namen vergessen.«
»Kapitän Konstantin Deinhard ist mein Onkel, der Bruder meiner Mutter,« fuhr ich fort. »Es ist höchst unwahrscheinlich, daß er mit einem Menschen, wie Alvarado, in solcher Verbindung stehen sollte.«
Der Schiffsbaumeister blickte mich unruhig an. Dann sagte er, zu seinem Sohn gewendet:
»Springe einmal ins Kontor hinüber und hole mir die Tasche mit den Wechseln. – Wir wollen die Sache hier gleich aufzuklären suchen,« fuhr er fort, als Willy das Zimmer verlassen hatte. »Wenn ich betrogen sein sollte – ich fürchte, ich fürchte –«
»Du hast nichts zu fürchten,« sagte Frau Arnold, die Hand auf die Schulter ihres Mannes legend. »Solltest du Verluste erleiden, so werden wir sie zu überwinden wissen.«
»Gewiß, liebe Frau, aber – da ist Willy. Nun?«
»Hier ist die Tasche.«
»Gieb. Laß sehen. Da haben wir die Papiere – ausgestellt auf drei Monate und in diesen Tagen fällig. Sehen Sie her, Lubau, ist das Ihres Onkels Unterschrift?«
Ich blickte auf das Papier; da stand der Name »Konstantin Deinhard« in unverkennbarer Ähnlichkeit mit der starken, kühnen Handschrift meines seefahrenden Oheims. Ein Zeichen aber fehlte an der sonst vorzüglich ausgeführten Nachahmung. Onkel Konstantin pflegte seinen Namenszug mit einem kräftigen Schwung abzuschließen, der sich in drei Spiralwindungen unter den beiden Worten ausbreitete. In der Mitte der Spiralen brachte er stets einige Strichelchen an, die dem Uneingeweihten wie starke Kommazeichen erschienen, die aber in Wahrheit die Buchstaben B. M. – Brasilianische Marine – darstellten. Er hatte diese Gewohnheit angenommen, da es einmal vorgekommen war, daß der Wechsel eines anderen Konstantin Deinhard auf der Bank seinem Conto zur Last geschrieben wurde. Ich beeilte mich, Herrn Arnold auf diesen Mangel aufmerksam zu machen und sagte ihm, daß dieses eigentümliche Merkzeichen an des Onkels Unterschrift bei mir zu Hause schon oft besprochen worden war, da es selbst in seinen Briefen nicht fehlte.
»Das ist nicht meines Onkels Unterschrift,« sagte ich. »Hier ist weder ein B noch ein M. Der Fälscher hat einfach drei Kommazeichen an die Stelle der Buchstaben gesetzt.«
»So bin ich also betrogen!« rief der Schiffsbaumeister aus. »Zum ersten Mal in meinem Leben, und noch dazu von einem verwünschten Nigger!«