Johannes Richard zur Megede
Félicie
Johannes Richard zur Megede

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Dreizehntes Kapitel.

Noch einmal der holde Schleier!

Heute empfahl sich der Besuch sämtlich. Sie wollen mit dem Herzog zu den Regatten nach Nizza. Wir waren alle auf der Bahn. Als das Break unter dem goldenen Herzogshute durchbog, sah der Graf mit den Sammetaugen vielsagend empor zu der blinkenden Wappenzier. »Das Gold verwäscht sich, Charles. Der altehrwürdige Glanzhut bekommt schwarze Flecke. Und er ist doch nicht mal so uralt.«

Der Herzog runzelte die Stirn. »Du hast recht, Edmond, aber ich sehe es erst jetzt. Und ich habe doch so scharfe Augen!«

»Scharfe Augen? – Ach was!«

Félicie und ich sahen bei dem ironischen »Ach was!« aneinander vorüber ins Weite. Der Graf weiß alles – aber er ist keine Kammerdienernatur. Einen Moment glaubt' ich sogar den tückischen Blitz des Mißtrauens in gewissen matten Augen aufflammen zu sehen. Ich irrte mich. Vielleicht hat's der Duc auch gar nicht nötig.

Nun ist alles glücklich vorüber: der falsche Händedruck – der konventionelle Kuß – das letzte Wölkchen der Lokomotive in dem Olivenhang dort . . . Félicie und ich sind allein zurückgeblieben. Es gilt eine letzte Galgenfrist von acht Tagen, die uns das Schicksal in unbegreiflicher Großmut gewährt. Wir stehen noch auf dem Perron, obgleich der Rauch längst verflogen. Wir finden keine Worte. Wir sehen uns nur an. – Sie war doch ein furchtbarer Zwang, diese Besuchsära, wohlthätig auch, weil sich der Gesellschaftsmensch wohl oder übel finden mußte. Jetzt erst spüre ich die Abspannung, die Mattigkeit. Ich hätte eine rasende Lust, Félicie zu bitten, sich einen Augenblick auf die alte Holzbank da zu setzen. Ich möchte vor ihr knieen, mein Kopf sollte auf ihrem Schoß ruhen, und sie müßte die kühlen, weißen Hände um meine Schläfen legen. – Ich bin nämlich sehr 'runter im Gemüt, Gert!

Félicie ist trotz aller Schwäche doch viel stärker als ich. »Kommen Sie, Mein Freund! Denken Sie, es wäre alles wie früher. Wir wollen den alten Weg auch noch einmal gehen . . . Der Himmel meint's doch gut mit uns. Ich habe bis zum letzten Augenblick eine bebende Angst gehabt, er könne zurückbleiben oder uns die Tante als garde d'honneur lassen . . . Sie wissen, mein Freund, daß wir spätestens in vierzehn Tagen reisen? – So haben wir uns wenigstens noch einmal . . . Nein, wir wollen nicht an den Abschied denken! Man denkt ja auch nicht immer an den Tod, der auch unabänderlich ist. Kommen Sie, seien Sie froh! Ich habe Sie ja noch immer so lieb, mein Freund!«

»Sag: ich habe dich noch immer so lieb.«

Sie kraust die schmale Braue. Dann flüstert sie doch: »Ich habe dich ja so lieb, Rolf!«

Sie errötet dabei und schämt sich wie ein junges Mädchen. Sie enteilt mir sogar. An der Ausgangspforte steht der Stationsvorsteher. Sie spricht italienisch mit ihm und lächelt ihm zu wie einem alten Bekannten. Sie ist wieder so jung, so anmutig! . . .

Dann gehen wir unsre Küstenstraße. Wir kennen all die lieben Punkte noch sehr gut und suchen sie auf. Wo alte Fischerboote auf den Strand gezogen liegen, bleibt Félicie stehen und sieht mich an. Es sind so schrecklich alte, morsche Boote, und der Seesand ist hier so grob und tief und der Seegeruch so faulig – aber hier war es gerade, wo sie mir ein erstes Mal die Hand zum Kusse ließ, weil ich sie darum bat. Zwischen Handschuh und Armband küßte ich die. Ich sehe noch die Stelle auf dem weichen Gelenk, ich fühle die duftende Haut – und wie mir diese geliebte Hand in plötzlicher Scham entrissen wurde. Ach, wir erinnern uns an alles so gern! . . . Wir plaudern, wir lachen, wir halten uns schadlos für die grauen Wochen der Trennung. Zuweilen schauen wir uns um wie zwei Verbrecher. Aber der schwielige Esel, der vor seinem Karren auf der weißen Küstenstraße trottet, verrät so wenig etwas, wie der singende Fuhrmann . . . Auch auf der Klippe waren wir. Wir saßen auf dem Geröll und sahen die Brandung spielen und das lichtblaue Meer im Sonnenglanz funkeln. Der Klippe hat der große Sturm wenig gethan. Heut reicht mir Félicie freiwillig die Hand. Ich darf den Handschuh zurückstreifen und die kühle Handfläche küssen. Es ist wunderhübsch, so in der heißen Rivierasonne zu ruhen, die eine frische Brise angenehm kühlt . . . Alle Wege an Félicies Seite sind mir immer kurz und sonnig. Fast zwei Meilen – ein Spazierweg, der selbst dem rüstigen Fußgänger lang wird. Félicie ist wohl etwas abgespannt, ich aber könnte so bis zum Abend wandern, und auch der Todmüde würde immer ganz erfrischt sein durch einen Kuß auf diese weiße Hand.

Im Schloß war's still. Vom Pferdestall klirrten leise die Halfterketten. Félicie ging rasch die Burgtreppe voran. Es war überall so dumpf kühl, so einladend zur Rast, namentlich die gotische Halle. Aber die geliebte Frau blieb nicht, wie ich hoffte. Sie schritt weiter durch die Ahnengalerie, achtlos an den matten Lièges vorüber; und ich war gehorsam. Erst vor dem Toilettenzimmer hält sie, horcht gespannt. Dann winkt sie mir. Die Thür öffnet sich geräuschlos – die Thür schließt sich. Ich sauge begierig den weichen Duft dieses heiligen Raumes ein. »Aber bitte, nicht weiter, mein Freund!« Dabei wirft sie den Hut mit einer raschen Bewegung auf den Tisch. Und plötzlich umarmt sie mich so fest und so süß – ein langer, weicher Kuß von ängstlich zitternden Lippen . . . »Jetzt gehen Sie wieder! – Ich bin verloren, wenn uns jemand auch nur ahnt.«

Beim Frühstück sind wir allein – der Diener ist beurlaubt. Félicie trägt wieder das seegrüne Kleid und den seegrünen Strohhut.

Es ist wieder der Traum – die Zauberinsel – die Fee. Den Nachmittag auf dem Balkon dehnen wir bis zur Abendkühle aus. Es ist gefährlich für das Herz, thöricht gegenüber den Dienstboten. Aber Félicie will nun einmal nach so vielen Entbehrungen mich wieder ganz glücklich sehen, in meinen leuchtenden Augen lesen, daß sie noch immer die Königin. Tip ist auch dabei – er knurrt nicht mehr, er hat sich ergeben, er sieht uns nur melancholisch einen nach dem andern an, als wollte er sagen: ›Wie soll das nun eigentlich enden zwischen euch beiden? Ihr thut, als wenn es der Sonnenaufgang des Glückes wäre. Und es ist doch der Sonnenuntergang!‹ »Félicie streichelt ihn: »Bist du endlich bekehrt, mein Tier? Begreifst du jetzt, daß ich deinen Herrn nicht, unglücklich, sondern glücklich machen will? – Du wirst mich einmal verteidigen, wenn er undankbar die Abwesende beleidigen, verachten sollte – nicht wahr?«

Sie glaubt's wohl selbst, daß solch warmer Sonnenuntergang mich glücklich machen muß . . . Dann gingen wir noch mit dem sinkenden Tage in den Park, wo der Lorbeer geheimnisvoll raunte und die roten Tulpen heller leuchteten im scheidenden Licht . . . »Ich fühle mich heute gar nicht sündig, mein Freund! Ich gebe Ihnen, was der andre gar nicht entbehrt, und erkaufe ganz bewußt einen kurzen Sonnenblick mit einer langen Nacht. Ich weiß es ja nur zu gut, daß es in vierzehn Tagen vorüber ist! . . . Thut Ihnen die Sonne aber auch gut, mein Freund? . . . Ich habe ganz die Empfindung, daß ich mich von traurigen Gedanken nicht übermannen lassen darf, daß unser Abschied die hellste und weheste Erinnerung unsers Lebens sein muß.«

Wir sitzen auf der Felsbank und sehen die Sonne verglühen. Das scharfe italienische Licht vorn, und hinten die tiefen Schatten. Wie rosiger Dunst wallt's über den Wassern. Die Natur ist ein keusches Wunder. Der Himmel könnte sich aufthun im Augenblick und auch mir das Wunderbare bescheren. – Er beschert's nicht. – Ich will weich werden und schwermütig, wie so alles mählich in den Dunst versinkt und mein Liebestraum mit.

Aber Félicie läßt es nicht. »Und nicht wahr. Sie werden auch etwas für Ihre Kunst aus diesem Park, aus diesem Schloß mitnehmen?«

»Wenn mir einmal wieder die Flügel wachsen.«

»Aber sie werden Ihnen wachsen! Ich habe gar keine Angst . . . In einem Jahr bin ich vergessen.«

»Félicie!« –

Die geliebte Frau weiß so gut wie ich, daß dies niemals geschehen kann, daß ich höchstens einmal verzweifelt von einem ganz großen zu einem ganz kleinen Gefühle flüchten könnte, wie es so manche thun, deren Ekel wir nicht kennen, deren Resignation wir nicht ahnen. Manche mögen dann glauben, das sei das echte Glück – man selbst glaubt's vielleicht auch . . . Vielleicht zeigt mir der Spiegel auch mal nach Jahren so einen Glücklichen, wie er vor der Trauung die weiße Binde über dem Frackhemd pedantisch knüpft. Ich denke gerade in diesem Augenblicke an diese Möglichkeit und sehe genau die schlaffe Falte um meine herabgezogenen Mundwinkel zittern. – Nein! Es soll ein hochmütiger Mund sein, mit einem scharfen Zucken, der das Leben endlich nimmt, wie es ist – eine beißende Satire auf jedes große Gefühl.

Und Félicie sieht die Wolken und verscheucht sie. »Sie dürfen nicht traurig sein, mein Freund!« – Sie lächelt, sie schmeichelt. Ihr thut der arme Falter so leid, der ins Licht geflogen. »Mais nous sommes mariés, mariés, mon ami!«

Und bei dem Lächeln und bei dem weichen Laut dieser geliebten Stimme schwindet die Traurigkeit, schwinden die Gedanken. Ich träume, weil mir nichts andres übrig bleibt, sie träumt, weil sie will. – Die Gute, Kluge ist sie – der unklare Thor ich . . . Ich hoffe noch immer auf das Wunder, weil ein großes Gefühl doch ein Recht auf das Wunder haben muß. Mir ist, als wollte ich nach einem fernen, schönen Lande segeln. Sie aber steuert. Sie läßt mich in meinem Traum und segelt doch dem Hafen zu, dem Hafen, den sie noch sehr wohl sieht. Es ist der Hafen der Tradition, aus dem wir ausgefahren. Aber sie möchte mir wiederum für kein Gut die schöne, ruhige Fahrt dahin auf klaren Wogen verkümmern . . . Seit der Sturmnacht haben sich die Zeiten geändert. Bis dahin steuerte mein großes Gefühl und riß die Widerwillige mit . . . Und jetzt? – Félicie wird mir auf dieser Fahrt alles geben, was ich nur wünschen kann, ja sie wird vielleicht großherzig viel mehr thun, als ihr Gewissen nötig hat. Sie weiß, daß der Hafen nah, und daß wir uns bald trennen. Und während ich noch wähne, ein großes Gefühl reißt sie doch in eine große, ungewisse Zukunft, führt uns schon ein milder West unaufhaltsam in die kleine Bucht zurück.

*

So sind die Gedanken des Tages – da bannt der Zauber. Jetzt kommen die Gedanken der Nacht, nachdem der letzte Gruß hinter der Portiere verklungen. Da werde ich mutlos, verzweifelt, weil mich die Tradition wieder mit den dicken, grauen Mauern des Sarazenenschlosses in meinem Atelier umstarrt. Oder der Groll kommt, die Empörung über das blödsinnige Schicksal, das mir eine Paradiesesfrucht nur schenkt, um sie mir zu nehmen. Dann werde ich ungerecht auch gegen meine Heilige, nenne sie schwach, eitel, unfähig, ein großes Gefühl zu begreifen. Und vielleicht ringt sie auch, stärker, stummer – und zeigt mir das lächelnde Gesicht nur, um mich nicht durch das verzweifelte zu betrüben. Das ist das Auf- und Niederwogen der Gefühle, ohne das eine heiße Liebe nun einmal nicht denkbar. – Ich weiß doch, daß Félicie gut ist, daß sie mich versteht wie keine, daß sie mit mir leidet. Dennoch bleibt mir nach einem lächerlich kurzen Fieberschlaf am Morgen nur der bittere Nachgeschmack genossener Freuden. Ich verstehe mich selbst nicht. – Ich stehe spät auf, ich meide die Halle, ich sitze bis zum Frühstück in meinem Atelier, den Kopf in die Hand gestützt, stier dieselben bösen Gedanken denkend. Ich weiß, daß eine geliebte Frau unruhig auf mich wartet, daß meine Laune ihr Herz kränkt, ihr reines Gefühl beschmutzt. Ich weiß, daß mit jeder Sekunde des Grams zugleich eine Sekunde des Glücks enteilt. Aber ich bleibe starrsinnig – ich will die Gute quälen . . . Quäle ich sie wirklich nur aus Eigensinn und um nichts? – Ich quäle mich doch viel mehr mit meiner unverständlichen Laune. Es klopft hinter der Portiere. – Ich antworte nicht. Es klopft an der Thür – ich rühre mich nicht. Es klopft erst leise, dann nervös, dann zornig, dann verzweifelt. Ich liege auf der Ottomane und beiße die Lippen zusammen, weil mir der unedle Kampf mit der Güte einer Frau zu viel Weh macht. Und ich denke wohl: ›wenn sie mich liebt, hat sie auch Mut, und wenn sie Mut hat, kommt sie auch herein.‹ – Aber sie kommt nicht herein, der müde, weiche Fuß schleicht wieder weg. Die letzte Schranke des Anstandes – nie! . . . Und sie kommt doch wieder, klopft wieder. Ich höre es diesem Klopfen an, daß es aus großherziger Angst auch diese letzte Schranke zu überspringen fähig ist . . . Und da springe ich endlich selbst auf. Nein, nein, nicht das! Sie soll sich nicht erniedrigen, um mich dafür zu hassen und sich zu verachten. Sie soll das reine, edle Geschöpf bleiben, das sie, was auch kommen mag, innerlich doch immer ist.

Wie ich heraustrete, sagt sie hastig und leise: »Warum kamen Sie nicht?«

»Ich mag nicht, Félicie!«

»Sind Sie krank?«

»Nein.«

»Sind Sie unglücklich?«

»Ja.«

»Das bin ich auch . . . Kommen Sie! Quälen Sie mich doch nicht länger!«

»Ich kann nicht, Félicie!«

»Gut, dann haben Sie mich eben nie geliebt! Ich gehe.«

Sie macht zwei Schritte. Dann kommt sie zurück. »Kommen Sie doch! Ich habe Sie ja so lieb! . . . Ich habe dich ja so lieb! . . . Sie wissen doch, wie schwer mir das Bitten wird, und wie der Weg vom Herzen zu den Lippen bei mir so weit ist! . . .«

»Und wenn ich komme, Félicie, was hat's für einen Sinn? Es ist ja viel besser, wenn es so aufhört!«

Das empört sie. »Also kommen Sie nicht! Aber ich könnte auch einmal etwas thun, was Sie nicht verantworten könnten.«

Da muß ich die Entfliehende mit Gewalt zurückhalten. »Félicie, um Gottes willen keine Thorheiten! Sie wissen, wie ich leide, Sie wissen aber auch, daß das Glück eines so geliebten Geschöpfes unendlich wertvoller ist als das eigne.«

Sie weiß das selbst so gut, aber sie lächelt jetzt nur mühsam. Von solchem Ringen bleibt doch der Stachel zurück: er will mich nur quälen.

Ich komme natürlich . . . Aber erkläre Du mir, Gert, den psychologischen Zusammenhang! Ich, der ich mich nach dieser Frau sehne wie der Verdürstende nach der Quelle, vervollständige doch nur langsam meine Toilette, promeniere im Zimmer auf und ab, kämpfe bis zum letzten Augenblick mit dem Bleiben. Ich will bei Gott die Gute nicht quälen, ich will ihr kein Zugeständnis entreißen, was sie mir nicht freiwillig macht – ich empfinde aber unklar, daß ich jede Sonnenstunde mehr mit vielen Tagen der Finsternis dereinst büßen muß. – Sie hat mich auf eine Bank im Park bestellt. Ich sehe von meinem Fenster aus die anmutigen Bewegungen der Gehenden. Und zwischen dunkeln Laubgängen schimmert der helle Sonnenschirm, schwebt reizend der seegrüne Strohhut. Und mit der Liebe zur angebeteten Frau steigt mir die heimliche Wut gegen das Schicksal würgend in die Kehle. Und jetzt eile ich mich auch. Das Sarazenenschloß scheint ausgestorben, das heißt die Domestikenaugen spähen an allen Fenstern und horchen an allen Thüren. Félicie fürchtet das feige Klatschen des Souterrains mit Recht mehr, als die Eifersucht des eignen Mannes. Ich schlendere zuerst dahin, wie ein unentschlossener Nichtsthuer – eine kindliche Komödie, die niemand mehr täuscht, die ich aber doch noch fortführen muß. Endlich bin ich in einem Laubgang verschwunden. Der Sand knirscht unter dem eilenden Fuß. Jetzt die verschwiegene Bank. Das Nixengewand aus der Ferne leuchtend. Félicie erhebt sich, weil sie meine Nähe fühlt, und kommt auf mich zu. Sie ist nervös, ärgerlich. Das große Opalauge schimmert grün. »Endlich! – Warum müssen Sie immer so sein? Warum verbittern Sie mir alle Freuden? Ich verbittere Ihnen keine einzige . . . Mein Herz verträgt's nicht, ich bin krank . . . Eine andre, weniger Gütige hätte Sie hier nicht mehr erwartet! . . . Wollen Sie mir nun wenigstens den wahren Grund sagen? Was that ich Ihnen? Was nahmen Sie wieder übel?«

»Ihnen nichts, Félicie!«

»Wem sonst?«

»Ich rechte mit Gott, mit den Menschen, mit der Riviera, ich rechte vor allem mit mir selbst! Es war doch der perfideste Schurkenstreich des Schicksals, der mich hierher brachte.«

»Und das ist die Antwort auf alles, was ich Ihnen gegeben, geopfert, mein Herr? Ich schlafe jämmerlich. Ich darf keinem Menschen mehr ohne Scham ins Gesicht sehen.«

Jetzt lächelt sie nicht, weil sie sich gekränkt fühlt.

Und ich komme mir so eigensinnig und so albern vor. Ich müßte es doch sagen – und dann erscheint es mir wieder wie Roheit, sie endlich einmal vor die Alternative zu stellen: ›Gehörst du mir oder gehörst du ihm?‹ Das ist eben das Lähmende unklarer Verhältnisse, die Tyrannei der Gesellschaft, die über der Form den Inhalt vergißt . . . Darum wiederhole ich nur: »Ich rechte ja nicht mit Ihnen, Félicie! Sie sind immer gut – Sie sind vielleicht zu gut!«

»Ja, das scheint mir manchmal selbst,« antwortet sie gekränkt.

Da sag' ich zum ersten Male: »Ja, warum bleibe ich? – Warum bin ich nicht schon längst gegangen? . . .« Wir wandeln dabei langsam über den knirschenden Kies. Félicie schweigt lange. Mir ist, als wenn der weiche Zug sich härtete.

»Nun gut – ich sehe auch ein, daß Sie recht haben. Es war ein Wahnsinn . . . Ich taxierte allerdings immer die Männer falsch, ich glaubte auch von Ihnen, daß Sie einmal ruhig verzichten können, weil verzichtet werden muß . . . Gehen Sie!«

»Gehen jetzt – wo es viel zu spät ist?«

»Dann geh' ich! Ich telegraphiere noch heute an meinen Mann . . . Wenn ich, die ich Ihnen nur das Glück bringen wollte, nur das Unglück bringe! . . . Da ist ja jede Sekunde Todsünde, die wir uns gegenseitig noch geben.«

»Das hätten Sie lange wissen können, Félicie!«

»Vielleicht hab' ich's gewußt oder wenigstens gefürchtet, mein Freund, und immer nur gezögert, weil ich Ihnen keine einzige Sekunde Sonnenschein rauben wollte. Ich habe damit etwas Thörichtes gethan. – Also gut, ich gehe . . .« Und da sehe ich neben einer kleinen, eigensinnig entschlossenen Falte einen merkwürdig müden Zug um ihre Lippen schleichen. Sie kann auch nicht mehr; sie ist auch am Ende. Ich sollte sie aus Barmherzigkeit gehen lassen oder selbst gehen, aber ich kann nicht! Ich kann nicht im offenen Groll von dieser Frau scheiden, wenn es auch weit gesünder wäre für mein Gefühl, als die eigne, große Empfindung viel später da drüben matt verrinnen zu sehen. Ist das erst Thatsache – dann werde ich wohl den Mut finden zum Groll, wo es keinen Sinn mehr hat.

Und ich sage nur feige: »Genießen wir den Tag – er ist ja bald zu Ende! . . . Es ist eben die Henkersmahlzeit, die ich genieße, und ohne die ich nicht sterben kann . . . Ich habe dich so geliebt, Félicie, wie du noch nie geliebt worden bist und nie geliebt werden wirst. Das ist mein Verhängnis.«

»Ja, ja, mein Freund . . .« und sie findet keine andre Antwort, sie will keine finden. Sie fürchtet gerade jetzt den Strom des Gefühls, der für ihr Empfinden immer etwas Häßliches, Abstoßendes hat, weil er zu heiß ist, zu ungebändigt. Er könnte sie am Ende doch noch aus ihrer Bucht herausreißen, hinausspülen ins uferlose Meer. Es ist ihre Natur so. Im Grunde versteht sie den wahnwitzigen Segler doch nicht, der immer wieder hinaus will, obgleich der Wind entgegen und der Hafen so sicher. Sie ist eben bei aller Güte, aller großherzigen Verschwendung weit klarer und zielbewußter als ich. Das liegt vielleicht in der Frau, in der andern Rasse, in der Tradition selbst. Ich freilich liebe die Schlachten nicht, wo man nach keckem Vorstoß in die Verteidigungsstellung zurückgeht, weil sie sicher. Der kleine Rückzug nach einem großen Kampf, das will mir nicht! Meine Sorte von Gefühl hält auf der Walstatt aus, solange sie noch einen einzigen Atemzug hat. – Ich werde einmal einen feigen Rückzug antreten, nachdem der Atem nutzlos verbraucht ist. Mir wird immer klarer, daß die Tradition viele Gefühle, und diese alle nur bis zu einem gewissen Grade verständig züchtet. Zu hoch oder zu einseitig zu züchten, so daß ein größeres Gefühl die großen überwuchert, das hieße Empörung eben gegen diese Tradition. An dem einen Gefühl hat die Tradition nie ein Interesse. Im eignen Hause den Empörer – nein, mein Freund! Der Herdeninstinkt leidet das nicht. Die sich gegen ihn auflehnen, gehen ja auch regelmäßig zu Grunde.

Félicie ist sich über diese Gedankenkreise gewiß nicht klar. Sie hat dafür den Instinkt des Kommenden feiner als alle Frauen, die ich kenne. Und großherzig, wie sie doch ist, giebt sie gerade darum in diesem Abschied mir das Beste, was sie hat. Sie, die tastende, zagende Natur, giebt's ohne Besinnen . . . Und der Thor hofft noch immer. Er hofft auf das Wunder.

Die Bucht ist heute still, blau, tief – die Brandung kleine, silbrige Schaumperlen. Der Himmel lacht. Wir lassen uns von einem alten Fischer hinüberrudern, in einem alten Boot. Wir sehen uns an, und wir lächeln. Die Laune ist vorüber, die Qual auch. Wir genießen wieder einmal das Glück, dessen Schatten wir heut nicht sehen wollen. Félicie schlug gerade diese poetische Bootfahrt vor, weil sie mich glücklich machen will, weil sie glückliche Gesichter liebt. Es muß doch ein wundersames Gefühl sein bei Frauen, wenn sie so ihre Zauberkraft sehen! . . . Ob Frauen wie Félicie überhaupt wissen, daß sie zaubern können? . . . Ich habe ihr beim Hinabsteigen zum Strand klar gemacht, daß ich nie mehr kleinlich sein will, nie mehr launenhaft, daß ich sie nie mehr betrüben werde, weil man Menschen, die man liebt, nicht betrüben soll. Sie freut sich des Versprechens . . . Das Traumland taucht uns wieder auf, und das Traumbild, sanft vergoldet von dem wehmütigen Schimmer, der Menschen und Dingen eigen vor dem grauen Adieu auf Nimmerwiedersehen. Wir wandeln durch das alte Grenznest, saugen den dumpfen Modergeruch der engen Straßen ein, wie eine liebe Erinnerung. Wir verschwenden Soldis, füttern verhungerte Hunde. Ich habe meine Cerini vergessen und das Portemonnaie auch. Die Herzogin selbst kauft mir in dem kleinen Tabaksladen ein Kästchen von den dünnen Zündfäden. Auf der Schachtel ist ein Hampelmann abgebildet. Das ist ein komischer Zufall, über den wir lächeln müssen, weil sie Hampelmänner doch gar nicht liebt. Wir lachen heute das lautlose Lachen, weil uns das laute vielleicht wehe thun würde. Wir geizen verständig mit der köstlichen Zeit – und sie entflieht doch! Alles weich, liebevoll, hellschimmernd, wie dieser Sonnentag mit seinem leisen Säuseln. Wir sind vielleicht so glücklich wie nie, weil wir gewiß sind, es bald nicht mehr zu sein. Das ist die wohlige Ruhe nach dem Sturm, die sanfte Urkraft, wo man sich nur Liebes thun möchte, weil man's als Erinnerung aufbewahren will für ein ganzes Leben. Ich glaube wohl selbst an diese schöne, weiche Erinnerung, wie ich auch wohl glaube, daß alles Geschehene einmal sanft und freundlich verblassen, versinken wird in einem schönen Vergessen. Es ist eben ein warmer, freundlicher Zauber, der uns umschlingt. – Wir stehen am Strand im Sand und sehen uns lächelnd an. Die Erinnerung so vieler schöner Tage geht über uns hin wie ein Traum, wir haben das Gefühl, als wenn wir selbst schon eine liebe Erinnerung wären.

»Soll ich dir wieder das Nette sagen, Rolf? – Ich hab' dich lieb!«

»Angebetete Félicie!«

Sie errötet bei dem eignen Wort leicht und reizend wie immer. Es ist ein glückliches Erröten, weil mir das kleine Wort immer noch so wohlthut. Und meine Lippen zittern wie immer beim Flüstern des geliebten Namens . . . Wir thun gut an dem allen. Die Sonne des Abschieds soll ja nicht stechen, sondern wärmen.

In einem uralten, italienischen Mietswagen fahren wir zurück auf das Schloß. Es ist noch lange Zeit bis zum Diner. Wir gehen ins Musikzimmer. Félicie spielt mir ungebeten meinen Lieblings-Chopin, sie spielt so weich, so rein – es ist, als wenn die Töne fein und metallisch durch den Raum zitterten. Ich will ihr zum Dank die Hand küssen. Sie beut mir den Mund. Sie küßt mich – ich küsse sie. Wir sündigen anders wie sonst. Es ist alles so viel reiner, weicher in unserm Empfinden. Es ist wirklich etwas Schönes und auch etwas Sündloses, solch kluges Abschiednehmen vor der Zeit . . . Ich küsse das tiefschwarze Haar, dessen Duft ich so liebe. Ich küsse den feinen Nacken, ich küsse die geschlossenen Augen, ich küsse die Wangen.

Sie duldet's schalkhaft lächelnd. Sie sagt noch schelmisch: »Den Augenkuß hab' ich erfunden . . . Erinnerst du dich noch an Alassio und die Eisenbahnfahrt?«

»Ob ich mich erinnere, Félicie! Es war doch das Schönste.«

»Ja, es war wohl das Schönste. – Aber wir hätten's noch klüger genießen sollen, mein Freund. Jetzt thut's mir fast leid, daß ich Ihnen so wenig gab, und das Wenige so zögernd. Ach, es war eine schöne Thorheit damals! . . . War es eigentlich Sünde? – Heute ist mir so, als hätten wir beiden nie gesündigt, als hätte das so sein müssen.«

Ich möchte niederknieen, den geliebten Fuß zu küssen. Aber ich darf nicht knieen. Die Thür nach der Ahnengalerie steht ja aus Vorsicht offen, und wir müssen scharf passen auf den schleichenden Schritt des herzoglichen Kammerdieners . . .

Die kleine Moral! – Zu guter Letzt entscheidet sie ja doch.

Das sind die unwiederbringlich letzten Tage des Glücks. Der Tag eine einzige, warme Sonne – die Nacht das stumpfe Brüten . . . Ich hoffe noch immer auf das Wunder. Ich will mir nun einmal nicht klar machen, daß eigentlich nichts hoffnungsloser, als solch liebes Abschiednehmen. Uebermorgen ist auch das vorüber. Der Duc kommt. Er gönnt uns diesmal keine Gnadenfrist mehr.



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