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Die Frau mag schon viele Männer unglücklich gemacht haben!‹ Das war mein Gedanke beim Erwachen aus einem elenden Fieberschlaf. Ich fühlte mich zerschlagen, matt. Dennoch stand ich auf – ich mußte zum Frühstück in der Halle sein.
Da sitze ich nun wieder und schlürfe den starken Kaffee. Die aufgehende Sonne hat gelogen. Es ist scheußliches Wetter, regnerisch, kalt. Im Kamin verglüht das Feuer. Die Schloßhalle ist grau, mürrisch. Sie interessiert mich nicht mehr. Ich bin schon bei der Zigarette. Noch kein leiser Schritt, kein Seidenrauschen. Ich erwarte es nicht einmal – wenigstens bilde ich mir das ein. Dennoch horche ich gespannt. Wenn ein verbrannter Ast im Kamin zusammenrutscht, fahre ich in die Höhe . . . Wenn ich nie mehr das Rauschen hörte? . . . Man darf nicht denken, Gert, man darf nicht denken! Wer sein ganzes Leben durch das Denken zu Hause läßt, ist der wahre Weise. Gedanken thun immer weh, Phantasien enttäuschen immer.
Aber sie kommt doch! Im Augenblick, wo ich aufsehe, ein heimliches Huschen, ein rasches Knistern in der Ahnengalerie. Félicie! – Sie kommt auf mich zugeeilt, streckt mir hastig die Hand entgegen. »Guten Morgen! Ich konnte nicht eher . . . Wie haben Sie geschlafen?«
»Ich danke, Herzogin. Wie – Sie?« Ein flüchtiger, kühler Kuß auf eine kühle Hand.
Sie sieht mich an. »Was haben Sie?«
»Nichts, Herzogin.«
»Lügen Sie nicht! Sie haben etwas. Mißfiel Ihnen schon gestern etwas oder erst heut? – Mein Mann bleibt zu Hause. Wir finden vielleicht keine ungestörte Minute mehr. Wir müssen überhaupt sehr vorsichtig sein . . . Also schnell!«
»Nichts, Herzogin, nichts.«
Sie schüttelt den Kopf. »Soll die Kühle von heute die Fortsetzung von gestern sein? . . . Ach, jetzt hab' ich's! Sie sollten sich schämen, Sie Argwöhnischer, nie Zufriedener! . . . Weil ich gestern in meinem Toilettezimmer gelacht habe, nicht wahr? – Es war ja so eine durchsichtige Lüge – er erzählte mir etwas sehr Lächerliches – ich mußte dazu lachen, mußte durchaus lachen. Ich hätte in mich hineinlachen können. Sie hätten keinen Ton zu hören brauchen von uns. Und ich habe laut gelacht, hell, daß Sie es hören mußten. Ich dachte, das soll ihm ein Trost sein: ›Ich bin bei ihm, denke an ihn.‹ . . . War das hübsch oder häßlich, sagen Sie?«
Und ich, wieder bezaubert von dieser Feinfühligkeit, diesem unnennbaren Reiz, der auch ihre Thorheiten umfließt, bedecke wortlos ihre Hand mit Küssen. Endlich: »Félicie – angebetete Félicie . . . Darf ich so sagen? Herzogin klingt so albern für mein Gefühl.«
»Aber ja!« Dabei entzieht sie mir rasch die weiße Hand. »Ich nehme Ihnen ja nichts übel! – Nur nicht so stürmisch, nicht so laut! . . . Ich gehe jetzt. Man soll uns nicht zusammen sehen . . . Werden Sie auch nicht vergessen, daß es eine hübsche Erinnerung sein soll? Ich werde alles thun, Sie bei guter Laune zu erhalten – dafür müssen Sie mich auch nicht quälen, wie Sie schon vorhin beabsichtigten.«
Wieder die Erinnerung – die verwünschte Erinnerung! Trotzdem hat Félicie recht. Wenn sie schon jetzt alles giebt, was bleibt dann für später? Haushalten mit den Gefühlen, das ist die Weisheit. Man kann doch immer von Frauen lernen. – Nachher kam der Duc. Ich bin gar nicht verlegen, ich plaudere liebenswürdig. Auch die Herzogin wurde gestreift – leicht, höflich. Ich sprach von ihr in derselben banalen Weise wie von der Jacht – er hat beide wohl gleich gern. Das Sündergefühl hat doch seinen Reiz . . . Leiden kann ich den Kerl aber nicht! Er ist ein gefährliches Gemisch von Bescheidenheit und Anmaßung, das hinter einem nichtssagenden Lächeln die ungemessenste Hoffart birgt. Wir wandeln in der Ahnengalerie auf und ab. Tödlich langweilig! Bei jedem Fenster Halt: »Scheußliches Wetter, Baron.« – »Scheußliches Wetter, Herzog.« – Das ist nun freilich richtig. Die Riviera, die noch gestern so aufgeschminkt, ist heute ein mißfarbenes Chaos von Fels und Wolken und trauernden Oliven. Und das Meer – eine so schwere, graugrüne, ölige Flut, die ihre Wogen breit und mißmutig wälzt, ohne Schaumkämme, mit einem dumpf knurrenden Laut. Dazu schüttelt der Park sich unter einem kalten, dünnen Regen, der die Farbe nimmt und alle Umrisse starr und nüchtern macht. Wir haben bereits die üblichen Gespräche durchgehaspelt. ›Ob die Riviera nicht von Jahr zu Jahr kälter würde. Ob der Fels von Monte Carlo, den man bei klarem Wetter allerdings nur durchs Glas sehen kann, ein Segen für das Land sei oder ein Fluch. Und ob das erlauchte Haus Grimaldi von Monaco in seinen jetzigen Sprossen regierende Gentlemen gezeitigt habe oder das Gegenteil.‹ – Die letzte Frage schnitt ich an. Der Duc kniff die matten Augen zusammen und schwieg anfangs. Er hält hohes Hasard für eine Sünde und die Spielbankkonzession für eine Gemeinheit – auch die geborene Heine auf einem Fürstenthron paßt ihm nicht. Damit versöhnte ihn aber wieder der Fürst, der aus dem Blutgelde kostbare Gotteshäuser baut, und der Mentone an das geliebte Frankreich verkauft hat. Diese Ansichten habe ich ihm sehr mühsam herausgepreßt. Denn über Kunst will und kann ich mich nicht mit ihm unterhalten – er hat die Wissenschaft eines Archäologen, und ich habe die Ansichten eines Malers . . . Die drei Stunden bis zum Mittag totzuschlagen mit ihm – mir graute schon. Ich schlug darum ein hohes Ecarté vor, das Leutnantsspiel, das mir nie gefährlich, weil zu dumm. Er redete von Whist und L'hombre und andern Unmöglichkeiten.
Endlich ein Lichtblick! »Wenn wir mit dem Tesching schössen?« – Ich kenne wohl schönere Vergnügungen – aber man tau! . . . Mit Flobert in einer Ahnengalerie schießen – dazu bin ich ungefähr zehn Jahre zu alt. Aber was die Langeweile in Rivieraschlössern nicht zeitigt! – Die Herzogin lockte der helle kurze Knall auch herbei. Sie fand das Spiel erst befremdlich, dann komisch. Sie schoß sogar mit. Anfangs zitternd, mit nervöser Hand – um ein Haar hätte sie einen edeln Ahn durchlöchert. Das gab sich aber bald. Die Kugel schlug dann so glatt ins Herzaß, daß der Herzog und ich uns zusammennehmen mußten, um nicht geschlagen zurückzufallen. Das war ein Eifer, eine Lustigkeit, ein Lachen, von dem ich beinahe angesteckt wurde! Die Ahnen schauten dem alten Adel etwas kühl, hochmütig zu bei seinem Vergnügen. Sie verachteten uns wohl ein wenig. Mit Unrecht nicht! Wenn sich der ritterliche Geist bis zum Teschingschießen verflüchtigt . . .
Du wirst darüber dein weises Haupt schütteln, Gert. Ich schüttelte das meine auch im Geiste. Ich schaute mit gelindem Mißtrauen den graziösen Bewegungen der matten Félicie zu, Bewegungen, die immer zielbewußter wurden, je länger das Spiel währte. Soll ich das als Omen nehmen? Ich habe kein Recht dazu. Mir war ja auch bei dem Billardspiel neulich die Hand so wunderbar leicht und sicher. – Und wäre Félicie so seicht und oberflächlich wie dieser Langweilsport, sie hätte mich währenddem vergessen. Und doch traf mich immer wieder der warm schillernde Blick, das schalkhafte Kinderlächeln, das da sagt: ›Unsinn, alles Unsinn, lieber Freund! Ich denke an Sie, ich fühle mit Ihnen in jeder Sekunde . . .‹ Ach, wenn sie doch eine kalte Kokette wäre, deren Seele man nicht zu kennen braucht, weil sie keine hat! . . . Aber Félicie liegt jede Berechnung fern. Sie kennt ihre Reize, ihre Macht, sie läßt beides wirken – aber so naiv reizend, so unberechnend, fast unbewußt, daß ich wiederum doch nicht verstehe, was mir am ersten Tage schon klar, daß nämlich die Duchesse die Zügel der Schloßregierung in den schmalen Händen hält und nicht der Duc in seinen kräftigen, sonnenverbrannten.
Es ist so wunderhübsch und so sehr gefährlich, eine geliebte Frau verstohlen zu beobachten, an jeder Bewegung sich zu freuen, an jedem Lächeln sich zu sonnen. Man wird dabei blinder, wo man sehender werden wollte. Das ist vielleicht das höchste Glück der Liebe, diese Blindheit – der vergoldende Hauch, der mit der Frau kommt, aber nicht mit ihr schwindet. Sage mir, wes Geistes Kind ist diese weh- und süßlächelnde Zauberin Félicie! – Sage mir, sie sei ein echtes Weib, stark und doch schwach, klug und doch thöricht! . . . Ach, diese Schwäche und diese Thorheit lieben wir ja am meisten – Doch sage nicht: sie sei vernünftig! . . . Dann schwände mir der holde Traum, ich müßte sie beinahe hassen, die ich doch so heiß liebe – O, sage lieber gar nichts, Gert! . . . Mit dieser Frau kommt die Illusion, geht die Vernunft. So muß es sein, so wird es sein immer. Und wenn ich dazwischen meine weisen Briefbetrachtungen streue, das Gift des Argwohns geflissentlich säe, so ist das nur das verzweifelte Zucken des ratlosen Skeptikers, der mich griesgrämig von einem Zauber befreien möchte, dem ich so gern unterliege.
Es regnet diese ganze Woche. Der Duc bewacht uns wie ein Pascha seine Lieblingsodalisken. Mag er! Wir schlagen ihm doch ein Schnippchen. Wir thun so heilig und sind so unheilig . . . Wenn ich denke, wie es mich durchrieselt, sobald sie mir beim Kaffee die Zuckerschale herüberreicht und ich dabei heimlich die kühlen, schlanken Finger berühre! Sie durchrieselt's auch – ich fühl' es. Und ich werde nicht etwa verwöhnt, ich darf die Finger eigentlich nie berühren, wenn ich es am leidenschaftlichsten möchte. Es ist das kein Quälen von ihr – dazu ist sie viel zu gut! – Es ist das pochende Herz, das schlagende Gewissen, das sie zaghaft zurückhält, wo sie am liebsten sündigen möchte . . . Gert, sind wir denn eigentlich so furchtbare Sünder? Es ist ja nur ein Blick oder ein leises Berühren der Hände! – Diese kleinen Sünden hinterlassen uns nur ein wehes Gefühl des Bedauerns, daß wir so feige sind, daß wir nicht öfter sündigen. Ich zum Beispiel habe gar kein Reuegefühl, das Gewissen peinigt mich gar nicht. Sie liebt den Mann ja nicht – eben darum darf sie sich doch von mir lieben lassen. Die Sünde ist so schön, wenn man fühlt, daß man eigentlich ein gutes Recht zu ihr hat . . .
Und wenn ich zuweilen stutzig werde, ernst – ich verstehe es doch nicht ganz, daß sie so gleichmäßig gegen ihn sein kann, so unentwegt gütig! Das ist eben die schlechte Scheidemünze der Gesellschaft, die man beileibe nicht höher werten darf, als sie wert ist. Und mir giebt ja Félicie das Gold ihres echten Gefühls. Würde es doch immer von Frauen so weise verschwendet! . . . Und wenn ich doch stutzig werde, mich frage: ›Versteht dich die Frau auch ganz, ahnt sie, daß sie mit jedem Lächeln einem Glücklichen das Herzblut aussaugt, einem Glücklichen, der so unsagbar unglücklich würde, sobald es verschwendetes Herzblut wäre?‹ – so brauche ich nur das süße Gesicht anzusehen. Ihr Herz kann wohl schwach sein, aber es kann nimmermehr lügen. Es weiß ganz genau, daß ein so großes Gefühl nicht mit einem sentimentalen Adieu abgelehnt werden darf. Thäte das Félicie dennoch – so wäre sie eine große Sünderin, und feige wäre sie auch . . . Und wenn sie doch wäre – nicht etwa eine kalte Kokette, an deren Reizen man sich vielleicht berauscht, aber todsicher wieder an dem Katzenjammer dieses Rausches gesundet – wenn sie eine von den naiven Sünderinnen wäre, die alles nehmen, alles geben, nur sich nicht selbst, die mit einem kleinen, elenden Gewissenszucken ein großes Gefühl abthun, weil sie es nicht verstehen, nicht verstehen können . . . Die Sorte ist freilich die gefährlichste. Sie mordet freundlich lächelnd, wo andre nur leicht verwunden . . . Die Vorsehung soll uns ja wunderbar verschlungene Pfade führen. Sie wird einem so großen Gefühl nicht ein so kleines, schwächliches bescheren, das für schweres Gold nur dünne Scheidemünze zu geben vermag, weil es nichts andres besitzt. – Die Sorte, die sich auf die Kniee wirft und nichts thut, sich aber getröstet erhebt und sagt: ›Herr, ich fühle mich rein – denn ich versprach nichts!‹ . . . Als wenn Frauenaugen und Frauenlippen nicht immer weit mehr versprächen, als sie halten können! Es ist doch auch nicht das Wort, das allein bindet. Jedoch es giebt auch solche Frauen – und möge mir Gott beizeiten die Erleuchtung geben! – die nur halten, was sie in Worten versprachen. Die kämpfen vielleicht lange – aber sie werden unfehlbar mit einem liebenswürdigen ›Vergiß!‹ abthun, was sie nie hätten wecken sollen.
Gert, man soll den Leuten ihren Himmel nicht nehmen – nehme mir der Himmel auch nicht den Glauben an diese Frau!
Und doch wünschte ich von Herzen, dieser graue Himmel und diese graue Woche wären vorüber! Man versumpft unter dem Grau im Verstande wie im Gefühl. Und die Sünde wird auch etwas Alltägliches, Graues. Man tritt die Moral nicht mehr mit Füßen aus Verachtung, sondern gedankenlos. Man soll mit dem empörten Herzen sündigen, nicht mit den aufs Vergnügen dressierten Sinnen. – Dieses Schloß und dieser Duc – mich töten sie beinahe. Wer lange unter dem Bann der beiden aushält, verdient's nicht besser. Er wird am Ende doch nicht sterben, aber er mumifiziert sich unfehlbar.
Essen – Schlafen – Teschingschießen – Billardspielen . . .
Das Schlafen spielt hier nämlich eine große Rolle – und ich schlafe so schlecht!
Das Frühstück in der Halle – das leise Rauschen des Kleides: Wie lange dauert's noch, daß sie mir etwas Alltägliches werden – ein hübsches Vergnügen? . . . Dann, aber erst dann, Gert, nenne mich einen Schurken, einen gewöhnlichen Sünder!
Sonne – Wärme – die angebetete Frau allein: wenn ich das Dreigestirn doch wieder hätte! . . . Schon diese Mahlzeiten und diese Gespräche! . . . Gutes Essen – guter Wein – guter Appetit – gute Laune . . . Ja, den Deuwel auch, was verlange ich von den Menschen noch mehr? – Ich verlange freilich viel mehr. Ich kann mich in dieses lautlos treibende Räderwerk nicht fügen, welches dieses Schloß in dieser Woche nun einmal für mich repräsentiert. Es ist freilich eine Macht, eine große Macht, die die Menschen abschleift, bis sie glatt, bis sie nichts. Und vor dieser drohenden Glätte, diesem drohenden Nichts möchte ich uns beide behüten – sie und mich.
Es ist ein wunderbar kleiner Horizont, den solche Gesellschaft besitzt – eine Gesellschaft, die eigentlich nichts liebt als sich selbst. Dieser Horizont ist so klein und so reich – sie bringen wer weiß was in ihm unter: Gott und Königtum, Staat und Gesellschaft. Und die Leute sind dabei nicht dumm, sie sind gewissermaßen frei in ihrem Urteil. Aber ihr Glauben hat keine Freudigkeit, er hat etwas Dumpfes, Schweres, einen Gruftgeruch, von dessen Kälte mir schaudert. Ihr Königtum ist das Königtum der letzten Bourbonen, ein Absolutismus ohne Härte, aber auch ohne Kraft, ein laisser aller von Gottes Gnaden, das wahllos Kluges und Dummes, Gutes und Schlechtes thun darf, und gegen das die Massen sich nur deshalb nicht empören dürfen, weil es die von Gott eingesetzte Obrigkeit ist. Nimm da mal unser wirklich modernes Königtum dagegen, das sich klug nur auf seine Armeen stützt und trotzdem vom blaublütigsten Junkertum zum rotesten Sozialismus hin und her schwankt, weil es schlechterdings nicht anders kann, weil es in dem Moment umgestürzt würde, wo es sich thatenlos auf sein Gottesgnadenpiedestal zurückzöge. Der Staat hat den Leuten hier nur darum ein Recht, weil er zufällig noch zu Recht besteht – und die Gesellschaft auch nur, weil sie dieses »zu Recht« wenigstens behauptet. – Das ist der Horizont – er ist so scharf begrenzt, so geheiligt – und wer hinter diese mit Brettern vernagelte Welt zu schauen suchte, wäre ein Lästerer oder ein Narr. Das ist die graue Tradition, die verständige Trägheit dieser Leute, die, wenn sie zu Gott beten, bitten, daß er die Welt rückwärts gehen lassen möge. Und das ist nicht etwa Eigennutz oder Heuchelei – es wäre das Glück eben dieser Gesellschaft und damit doch auch das Glück der Welt . . . Mache diesem Duc klar, daß die Erde nur ein winziger, durch die Sphären unaufhaltsam rollender Ball ist – mache ihm klar, daß der Kampf zwischen Trägheit und Bewegung das Lebenschaffende und Rettende ist – mache ihm klar, daß der Kampf in Wahrheit der Vater aller Dinge ist, und daß jede Tradition nur so lange ein Recht hat, als sie kämpft, blutet, und daß sie in dem Augenblick von einer jüngeren, lebenskräftigeren überholt ist, wo sie sich kühl auf sich selbst zurückzieht wie hier! . . . Er wird nicht unwillig werden, er wird nur lächeln und dir ganz klar entwickeln, daß alles Bestehende gut sei, weil es bestehe; und daß man zurückblicken müsse wie die Geschichte, nicht vorwärts wie die Sozialwissenschaft. Und in diesem Kreis leben und weben diese Menschen, sind glücklich, in ihrer Weise gut und ahnen gar nicht, daß sie unbewußt an sich selbst das Verhängnis der Degeneration vollziehen helfen, das die erschlafften Enkel zu Alltäglingen macht und die Epigonen zu Idioten.
Gert, seitdem ich die Arbeit kenne, kenne ich auch den Kampf. Alles andre ist vielleicht Unsinn. Es giebt nicht Tugenden und Laster, es giebt nicht Gute und Schlechte, es giebt vor einer unbarmherzigen Naturmoral vielleicht nur Starke und Schwache – Geschlechter, die sich den Boden kämpfend erwerben, wo jeder vergossene Blutstropfen segnend befruchtet, und Geschlechter, die ruhmlos dahinsinken müssen, weil der klaffende Hieb nicht mehr den roten Strahl zischen läßt, sondern nur das welke, blutarme Fleisch aufreißt.
Das ist nicht etwa »sie«, die ich damit treffen will! Das ist »er«, das ist seine Gesellschaft, die er so klassisch repräsentiert. – Die Gerechtigkeit war nie meine Stärke. Dazu bin ich zu impulsiv. Ich kann den Mann, der mir nichts gethan hat, dessen Gastfreundschaft ich genieße, nun einmal nicht ausstehen – Und der Moment, wo ihn der neidische Unglückliche noch haßt, ist sicher nicht fern. – Gleichgültig! – Was kommt's auf dieser Erde auf einen Antiquitäten sammelnden Duc mehr oder weniger an? – Und wenn ich ihn selbst hinüber beförderte einmal? – Auch gleichgültig! – Wer nicht ehrlich hassen kann, der kann auch nicht ehrlich lieben. Und wir Rabens kranken so wie so leicht an der kleinen Moral, die uns die große verdirbt . . . Was heißt überhaupt Moral? – Wir schössen noch alle mit dem Flitzbogen und führen in Eibenbaumkanoes, wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die bewußt die Gesetze mit Füßen traten, die Moral verachteten und kühn ihre eigne freie Persönlichkeit dahin stellten, wo sonst eine Vogelscheuche den Gelüsten kleiner Geister leicht gewehrt hatte.
Es ist dies eine Philosophie, die ich sonst nüchtern nicht unterschreiben würde und vielleicht schon morgen nicht mehr unterschreibe, weil sie wohl nur der leidenschaftliche Protest eines großen, heißen Herzens gegen die kleine Moral dieser Gesellschaft ist, die hier welk und siech in jeder wertlosen Antiquität die große Moral narrt. – Ich will mich selbst nicht verlieren in dieser kleinen Moral, die so schnell angenommen, weil sie so bequem ist. Ich will mir auch in der Sünde die Größe des Gefühls bewahren!
Darum strahle du wieder, ungetreue, heiße Rivierasonne, gleite du wieder zierlich über die blauen Wogen, Jacht Félicie, sicher geführt von deinem herzoglichen Piloten! – Ich muß mit der Frau allein sein, bald allein sein! – Und ist sie so wertlos wie ihre Gesellschaft, dann sind die kleinen Sünden zwischen uns nur der selbstverständliche Tribut, den ein kleines Gefühl einem großen zollt – und die Vorsehung wird über sie wie ich mit einem kühlen Lächeln hinweggehen. Ist aber die Frau pur sang, so wird sie eines Tages dieser Gesellschaft unbekümmert den Fehdehandschuh hinwerfen – und ihre Sünde wird eine That sein, die der Menschheit frommt.
Denn sieh, Gert, ich habe die Hoffnung, daß ich diese reizende Seele viel mehr lieben werde als diesen reizenden Körper, und daß diese Seele mir dankbar sein wird, weil ich sie vor dem Schicksal einer verstaubenden Antiquität oder vor noch etwas Schlimmerem bewahrte . . . Das, was Félicie jetzt von ihrer Seele giebt, das ist wie der schüchterne Hauch eines Gefangenen, der zu lange gefangen war, als daß er das Licht der Freiheit plötzlich begreifen könnte. Und darum glaube ich sie so gut zu verstehen. Sie ist eine geheime Feindin ihres Gemahls – keine offene. Der kleine Nadelstich, der durch ihre unendliche Liebenswürdigkeit doch zuweilen durchzuckt, ätzt vielleicht auch . . . Denn wenn wir bei Tisch oder nach dem Billard von Politik sprechen, von Litteratur, nimmt sie immer die Partei der Unzufriedenen, Verfemten, weil sie selbst eine ist. Sie thut's nie verletzend, sie haßt das häßliche Wort – das ist die Konsequenz der Erziehung, die natürliche Vorliebe der vornehmen Frau für die vornehme Form – aber sie sagt's doch ganz ehrlich:
»Du bist im Irrtum, Charles – du denkst, daß die Erde sich nicht dreht – und sie dreht sich doch! – Ich glaube auch gar nicht, daß unser Glaube dem Herrgott so viel wohlgefälliger ist als der halbe Fetischglaube der armen Küstenfischer – nur weil uns das leichte Wohlthun so viel leichter und das schwere Sündigen so viel schwer gemacht ist . . .« Wenn sie dann weiter sprechen will, ereifert sie sich, wird rot, und nur die jetzt dunkel leuchtenden Opalaugen vollenden den ketzerischen Schlußsatz, den die höfliche Zunge verschluckte.
Der Duc läßt sie stets gewähren, lächelt liebenswürdig mokant mit mattem Auge – zuweilen streift auch mich sein Blick, als wenn er sagen wollte: ›Ja, lieber Freund, das thut sie doch nur für Sie, um einer etwaigen Unglaublichkeit zu begegnen, die ich selbst weder bemerken noch viel weniger bekämpfen würde, weil ich vom Volksredner genau so weit entfernt bin wie vom Dandy . . . Das schönste und sicherste Stück meiner Sammlung bleibt nämlich doch die Félicie.‹
Ehrlich gesagt, manchmal habe ich auch den Soupçon, als wenn die Herzogin nur glätten, beruhigen möchte – und sich dabei doch arglos selbst belügt. – Ich täusche mich . . . Wenn ich mich doch nicht täuschte – wenn sie zu den Frauen gehörte, die die Form zu sehr lieben, als daß sie die je dem Inhalt opfern könnten? . . .
Das ist die graue Woche, das sind die Einflüsterungen dieses Schlosses, dessen Tradition so fest gefügt ist wie seine Mauern. Und während ich ihnen willig lausche – ein kluger Mann, der den Kern der Dinge zu durchdringen sucht – bin ich vielleicht erst recht ein Thor, ein unglücklicher Fisch, der in seinem Netz verzweifelt zappelt und dann weiter nichts erreicht, als daß die Kiemen sich im Maschengewirr rettungslos verfangen . . . Schickt einem solche Intervalle der Teufel, oder schickt sie Gott? Ich weiß nicht, ich weiß nur, daß alles Grübeln nichts hilft, daß es bloß unklar macht, die schöne naive Sicherheit nimmt, mit der allein man den Menschen und Dingen siegreich gegenübertritt . . . Ich hatte sie einst – ich habe sie nicht mehr. Ich will die Seele dieser Frau kennen, ich sehne mich nach ihr, wie der Zweifler nach der Offenbarung. Und ich will doch nur die eine Offenbarung: die große Seele! Und finde ich die nicht, so sage ich nicht mit kluger Resignation: ›Suche nicht länger, wo nichts zu finden‹ –, sondern ich suche und suche weiter und werde finden, weil ich finden will. Dies Findenwollen ist eine fixe Idee. Da setzt der kranke Idealismus eines großen Gefühls ein, daher weht der vergoldende Hauch, der verflogen mich töten muß – Er wird verfliegen, Gert! Der Skeptiker wenigstens bleibt mir getreu . . . Aber was nachher kommt? . . . Wer sein Ideal so langsam, qualvoll sich formt, der wird es zwar stiernackig zu verteidigen wissen, aber doch auf der letzten Schanze die Flinte ruhmlos ins Korn werfen und sagen: ›Warum kämpfe ich eigentlich für ein Phantom – und warum kämpfe ich gegen mich selbst?‹ – Aber bis man dahin kommt, Gert – bis man dahin kommt!
Mit der Arbeit habe ich's auch wieder versucht. Unmöglich! – Das Toilettenzimmer nebenan läßt mich nicht. – Wie eine riesige Gefängniszelle nimmt sich das Atelier jetzt aus bei dem grauen Licht. Das ist mir schon recht, Wir sind ja alle Gefangene und wissen's nur nicht. – Aber wenn ich einmal den Stift in die Hand nehme, den Pinsel ansetze, schweift mein Blick sofort wie gezogen nach der dicken Portiere, die mich von dem geheiligten Raum trennt. Es ist mir dann, als ob diese unbewegliche Portiere wallte. Ich muß aufstehen – ich muß! – Hinter der Portiere ist niemand. Trotzdem bleibe ich, lausche, bis der Fuß mich schmerzt, der angehaltene Atem mich betäubt. Nichts – kein Laut in dem leeren Gemache, das ich nicht kenne, und das mir meine Phantasie doch so deutlich malt: weich, luxuriös, mit leisen Wohlgerüchen, die aus lang herabwallenden, kohlschwarzen Haaren strömen und um eine reizende Gestalt wogen. Ich sehe die Herzogin im seidenen Morgenrock, wie sie sich träumerisch im Spiegel belächelt – ich sehe, wie sie den Maroquinschuh über den schmalen Fuß streift – ich sehe jede Falte des Kleides – ich sehe das schneeige Weiß des zarten Armes schimmern. Ich sehe sie sich von Zeit zu Zeit umdrehen, horchen, weil sie den Lauscher, den Späher ahnt – und dann wieder lächeln: ›Warum soll er nicht? Er hat ja sonst nichts vom Leben, der arme Kerl!‹ – Meine Vorstellung ist da so mächtig, meine Sinne sind so erregt, daß ich mich nicht zu rühren wage und ohne Unterlaß nach diesem trostlos leeren Raum hinüberhorche, den sie erst spät in der Nacht aufsucht.
Und wenn sie wirklich kommt – ich höre den weichen Schritt so deutlich auf dem weichen Teppich und fühle, wie sie sachte, mit verhaltenem Atem näher kommt an meine Thür . . . Gert, uns trennt weiter nichts als diese lächerliche Thür, zu der wir den Schlüssel nicht besitzen, und die wir doch nicht öffnen würden trotz des Schlüssels – Was braucht's des Schlüssels? Es braucht nur den Willen! Ein Druck meiner Schultern – und die Schranke fällt krachend. Aengstige dich nicht! Sie fällt nicht, sie fällt nie . . . Dafür schleicht die Herzogin wieder vorsichtig zurück. Der weiche Sessel federt leise, wie sie sich zur Nachttoilette niederläßt. Meine Nerven sind zum Tollwerden gespannt. Jeder Laut – wie der Schildpattkamm durch das schwarze Haar gleitet, das elektrische Knistern der Strähne unter dem Bürstenstrich, wie eine Haarnadel zu Boden fällt, das geräuschlose Flechten des Zopfes mit anmutig vorgebogenem Halse – ich sehe mit den Ohren, die Phantasie übersetzt meinen Augen alles.
Zuweilen kommt auch der Duc. Ein höflich knarrender Männerschritt – der Hauch einer Zigarette, den ich sofort spüre . . . Sie unterhalten sich flüsternd aus Rücksicht auf mich. O, wie ich an solchen Abenden dies glatte Französisch hasse, das ich nur am Tonfall erkenne! Als wenn zwei Verschwörer raunten, zwei Verschwörer gegen mein Glück. Die Unterhaltung dauert nie lange. Es ist Gewohnheit oder Konventionalität. Gleichviel! Mir kocht das Blut. Ich hasse den Duc, wie man nur seinen Todfeind zu hassen vermag. Es ist ein Gleichgültiger, eine Null im Gefühl, die Frau liebt ihn sicher nicht! Und das ist vielleicht das Quälendste, daß dieser Mensch ungewünscht und ungenossen das besitzen darf, wofür ich meine Seligkeit verkaufte . . . Wenn ein großes Gefühl auch dieses trockene Herz durchzitterte – ich trüge es leichter! . . . Jedoch dieses Ringen mit dem Leblosen, gewissermaßen mit der stumpfen Materie, mit der Tradition ohne Recht und Macht – Nein, nein! . . . Ich weiß nicht, wann ich mehr fiebere – sobald sie kommen, oder sobald sie gehen . . . Das leise Zuklinken der Thür – der verhallende Schritt . . . und dann die Leere, die schreckliche Leere! . . . Ich wünsche dem Mann nur den Tod – ich kann nicht anders! . . .
Gert, jeden Abend wird mir klar, daß der Kampf mit mir eine Thorheit ist, daß ich die Seele dieser Frau gar nicht kennen lernen will, und daß es nur die wilde Sehnsucht nach ihrem eignen Besitz ist, die sie verkleinert, verleumdet, weil ich eben nicht begreifen kann, daß andre in der Bahn des Gewohnten ruhig fortgleiten können, aus der ich so weit geschleudert bin . . . Die ganze Psychologie ist grüner Tisch. Welche Seele ich auch bei dieser Frau finden werde – das Rauschen des Kleides, der Blick, der Druck der Hand sind schon jetzt so starke Mächte, daß ich mich nicht nach noch stärkeren zu sehnen brauche . . . Daß das mal endigen muß, weiß ich. Aber ich bin schon so feige geworden, daß ich nur um Aufschub flehe.