Johannes Richard zur Megede
Félicie
Johannes Richard zur Megede

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Sechstes Kapitel.

Auf weichem Seekies knirschen die Räder durchs Portal. Es ist wiederum Nacht – diesmal kein großer Empfang. Die Wendeltreppe düster – das Fallgatter quietscht. In der Halle ein einziger Lichtarm, der sich machtlos in die Dämmerung reckt. Der Diener nimmt uns die Sachen ab – genau so wie zu Hause bei uns früher . . .

Der berühmte Kollege tritt an den schwarzen Kamin und reibt sich ungeniert die Hände: »War doch verflucht kalt die letzte Meile!« – Ich zucke gedankenlos die Achseln. Ich möchte fort – und ich kann doch wiederum nicht.

Wir essen im großen Speisesaal, der, rein gotisch und künstlich alt, auch durch Lichtmeere nicht erhellt werden könnte. Die Herzogin empfängt uns bereits an der Tafel sitzend. Sie sieht etwas welk aus, leidend – der Arzt hat ihr bis morgen jede unnötige Bewegung verboten. Dem Gatten streckt sie matt die weiße Hand entgegen, die er küßt – sie zuckt dabei leicht zusammen, die Opalaugen sind tot. »Wie geht's, Félicie?« Gewohnheitsphrase. Er will oder kann die Krankheit seiner Frau nicht verstehen. – Mit dem Kollegen wechselt sie einige freundliche Worte; er war vor Jahren schon einmal hier länger Gast. – Als wir uns die Hand drücken, errötet sie leicht, und mir ist, als wenn die Finger nervös zitterten. Die Unterhaltung schleicht. Zum Nachtisch werden Importen gereicht, was sonst verpönt. Die Herzogin, die sich dieser Schwäche des berühmten Kollegen noch von früher liebenswürdig erinnert, hat's so befohlen. Der grüne Chartreuse gluckst in spitze, alte Gläser, der starke Kaffee dampft.

Der Kollege, der zuerst etwas genickt hatte, wird wieder aufgelegt. »Na, noch mal prost, Herr Baron! . . . Ein vernünftiges Wort habe ich heute aus Ihnen noch nicht herausbekommen . . .«

Endlich muß auch »Die Liebe« dran glauben. Der sie kritisiert, ist ein bedeutender Mensch, nicht wegen seiner schmutzigen Fingernägel, sondern trotz . . . »Ich mag das Bild nicht!« sagt er kurz. »Trotzdem bewundere ich es. Farbe – Zeichnung: kein Tadel. Der das malte, wußte, was er wollte, und ging auch in dem sonnenhellen Hintergrunde seinen eignen Weg . . . Dennoch . . . das Bild empört mich! Wenn ich mir den vorne liegenden Kerl ansehe – der Torso eines Theseus, eine muskelstrotzende Brust und ein Kopf, so rein und klar in der Linie, so bedeutend bei aller Häßlichkeit, daß er imponieren muß . . . Und wenn ich mir dagegen das Weib ansehe, das auf ihn tritt – ein so feiner, schmaler, durchsichtiger Fuß, wie er gerade nur diese schlanke, zarte Gestalt zu tragen vermag. Sie ist ohne Muskel, blutlos, gewollte Glätte – ein wunderschönes großes Kind in Wahrheit, das nur das Lächeln gelernt hat. Krank ist sie auch. Sehen Sie nur diese zarten, grauen Linien am Hals, den leicht gebogenen Nacken, als wenn sie die lächerliche Last dieses unendlich zarten Kopfes schon drücke. In diesem fast schemenhaft aufgefaßten Weibe herrscht für mich nur die kranke Linie, das körperliche und seelische Weh . . . Nein, zum Kuckuck noch eins! – Ueber diesen ganzen Mann, der sterbend daliegt mit zusammengebissenen Zähnen, aber einer geöffneten Faust, mit dem glasigen, gebrochenen Blick der Verzweiflung – über den darf diese Liebe nicht schreiten, er darf nicht zu Grunde gehen an dem wunderbar wehen Kinderlächeln, um das ich Sie beneide! Sollte er denn am Ende auch krank sein von Geburt auf wie sie? . . . Nein, über den muß eine andre Liebe schreiten. Die Gestalt, die auf ihn tritt, muß es mit einem heißen Siegerlächeln thun, eine Frau, so schön und so kraftvoll, so egoistisch und so selbstlos wie jedes große Gefühl überhaupt. Unter der Liebe mag er zusammenbrechen, weil sie stärker ist als er und gesünder . . . Verteidigen Sie sich nicht unnötig, Herr Baron! . . . Das ist ja nicht Manier bei Ihnen, das ist ureigne Auffassung, das ist der wunderbare, kranke Idealismus, der grausig über dem Ganzen liegt. Ein großer Künstler sind Sie deswegen doch – vielleicht gerade darum. Aber Sie werden ein Einsamer bleiben wie ich – kein glücklicher Einsamer wie ich . . . Aber nur keine Lügen in der Kunst! Ich mag sie nicht . . . Sehen Sie mal: wenn Sie so ein ganzer Idealist wären, ein Mensch, der alles durch die goldene Brille sieht, dem ist wohl, dem vergolden sich von selbst die Ideale, eben weil sie golden sind für ihn . . . Aber Sie sind sonst ein harter Realist, ein Mann mit einem Auge, das alles sieht – und darum legt sich bei Ihnen der kranke Idealismus, von dem Sie nicht loskönnen, grau und grausig wie ein erstarrender Hauch über das Bild . . . Die Leute, die es sehen, haben sicherlich das Gefühl: ›Hier ist ein Maler, der sich selbst rückhaltslos giebt, vielleicht sein eigen Schicksal.‹ Darum treten Sie den Menschen so nah! . . . Und wenn das Ihr eigen Schicksal sein sollte, das Sie erlitten, noch ehe Sie's erlitten – so denken Sie an mich: Die Frau, die über Sie hinschreitet, verdient's nicht. Der stumpf verzweifelte Zug im Gesicht des Mannes ist wohl echt – aber die Frau ist's nicht. Sie ist ein gutes, holdes, krankes Kind, das nichts gelernt hat als Lächeln, und an dem Lächeln sicherlich nicht stirbt . . . Der Mann thut mir leid, und ich beneide ihn auch wieder, weil er ein so großes Gefühl in ein Weib zu legen vermag – sein eigen Gefühl . . . Wer daran stirbt, der stirbt doch nicht umsonst . . .«

Der berühmte Kollege hatte sich bei dem Vortrage so aufgeregt, daß er feuchte Augen bekam und gegen die Rührung einen ganzen Chartreuse hinter die Binde gießen mußte. – Dem Herzog, der gegen eigne Gedanken einen soupçon zu haben scheint, war es unklar, ob der berühmte Mann nicht leicht angeheitert sei. Das matte Auge beobachtete argwöhnisch die das Schnapsglas haltende Malerhand – sie war aber so ruhig wie der Trinkende nach dem Ausbruch selbst. – Nun wurde ich der Mittelpunkt des Gespräches, das Ziel der Blicke. Die Herrschaften wollten durchaus wissen, was mich zu diesem Bilde begeistert, wie lange es noch ausgestellt sei.

Zu meiner Schande muß ich gestehen: den einst gewandten Causeur verläßt dies Talent seit geraumer Zeit. Ich bin zuweilen zu lebhaft, zuweilen zu stumm. Ich weiche deshalb nur mit ein paar lächelnden Phrasen aus. Aber der Herzog fühlt sich auf einmal als Freund, als Protektor meiner höchst persönlichen Kunst. Er wird vertraulicher, fragt, ob ich hier an der französisch-italienischen Riviera öfter Stoff sammle, und ob die nicht zu abgegrast sei. – Ich wollte meine Armut nicht gestehen, meine zeitweilige Unfähigkeit, etwas andres zu thun, als schlechte Skizzen schmieren und lange Briefe schreiben. Zuletzt schob ich es auf den Mangel eines Ateliers, auf das Hotel selbst, das mit seinen ewig wechselnden Engländern kein Platz zu ruhiger Arbeit sei. Der Kollege wollte auch eine Randbemerkung machen, verkniff sich aber den angefangenen Satz und zwinkerte nur dem Duc vertraulich zu. Er ist und bleibt ein Rauhbein bei aller Berühmtheit! – Die Herzogin sprach wenig, doch ruhte ihr großes Opalauge mit einem eigentümlich leuchtenden Blick unablässig auf mir.

Nach dem Essen verkrümelten wir uns in den Zimmern. Ich hielt mich allein, grundlos niedergedrückt. Aber noch lange hörte ich die laute Stimme des Kollegen hallen, der Antiquitäten herbe tadelte und einen herzoglichen Ahn mit haarsträubenden Beiwörtern belegte. Im Billardzimmer fand ich endlich Ruhe. Es ist gleichzeitig die Bücherei – und mit den grünverhangenen Riesenschränken an den Wänden, dem großen englischen Kugelbrett in der Mitte der einzige Raum, wo Antiquitäten nicht anzubringen, weil sie unfehlbar umgeworfen würden. Der Herzog spielt hier, sofern er nicht in Nizza oder in Sportangelegenheiten abwesend, allabendlich eine Solopartie. Sie sieht zu. Ob die beiden wohl ein herzliches Wort da miteinander sprechen mögen, oder ob das monotone Klacks der zusammenstoßenden Bälle und das harte Kicks des abgleitenden Fehlstoßes die einzigen Laute sind, die dieses hohe Gemach wiedergiebt? . . .

 . . . Warum kam ich überhaupt heute abend hierher? – Warum ging ich überhaupt in diesem Jahr in diese Nizzanähe und vergrub mich nicht lieber in das einsame Sestri Levante, das die alte Jungfer mir verleidete? . . .

Gert, ich beginne jetzt an ein Schicksal zu glauben – an ein blindes oder böses, das mit eurem Vorsehungsglauben nichts gemein . . . Ich möchte wenigstens in diesem Zimmer hier allein bleiben, vergessen werden von den andern, dann unbemerkt mich trollen. Ich will die Herzogin nie mehr sehen! . . .

Herrgott, warum schickst du mir sie jetzt gerade – lächelnd, liebenswürdig und doch mit dem wehen Zuge des Leidens in dem weichen Gesicht, der mich selbst so krank und elend macht, viel kränker und elender als sie? – Warum muß sie lustig sein, plaudern? . . . Ich selbst interessiere mich für mein Bild gar nicht mehr. Was thun's andre für mich? – Wenn wir allein sind, nennt sie mich nicht mehr Baron, sondern immer Herr von den Raben, weil sie so feinfühlig ist und selbst diese lächerliche Abneigung ehrt . . . »Kann man ›die Liebe‹ denn gar nicht sehen? Wenn ich nach Berlin komme, ist sie sicher verkauft oder nicht mehr da . . . Und ich möchte Sie doch so brennend gern gerade aus diesem Bilde erkennen, Ihre Eigenart verstehn! Ich bin oft eine kleine Ketzerin, traue meinem eignen Urteil nicht recht zuerst. Wäre ich nicht so zaghaft, ich hätte Ihnen schon längst gesagt: ›Sie sind ein bedeutender Maler – ich fühle das, weiß das, obgleich ich nur eine einzige Skizze von Ihnen kenne . . .‹ Und nun muß mir dieser Fremde zuvorkommen! Das ärgert mich. Morgen bildet sich mein Mann wohl schon ein, er habe Sie eigentlich entdeckt. – Und ich habe Sie doch viel, viel eher entdeckt! Nicht wahr? . . .«

Ich gebe das lächelnd zu. Ich weiß auch keinen Ausweg.

Die Herzogin zögert – sieht mich forschend an . . . »Wenn wir das Bild hierher holten? . . . Aber nein! – Das wäre viel zu viel verlangt.«

»Es wäre auch die Transportkosten nicht wert, Herzogin.«

»Aber wäre es wenigstens möglich? – Ach, sagen Sie doch, daß es möglich ist! . . . Oder ist es vielleicht doch schon verkauft?«

»Nein, ich zaudere noch, gewissermaßen aus gemeinen Geschäftsrücksichten, um den Preis zu treiben.«

»Dann kaufen wir es, Herr von den Raben!«

»Wir? – Sie und der Herzog? . . .«

»Nein, ich – ich allein!«

»Ich würde Ihnen nie ein Bild verkaufen, Herzogin!«

»O, das ist häßlich, Herr von den Raben! Sie denken immer noch an den kleinen Streit wegen der Skizze. Ich konnte doch nichts dafür! Ich leide ja am meisten darunter, weil ich sie so rasend gern gehabt hätte!«

»Und doch haben mich wenig Dinge im Leben so gewurmt!«

Sie schmollt und lächelt dann wieder. »Wenn ich Sie nun aber de- und wehmütig um Verzeihung bitte? . . . Entscheiden Sie sich schnell – ich habe den Ehrgeiz, sobald die Herren ins Zimmer hier treten, meinem Mann zu sagen: ›Nächstens wird man in diesem Schloß »die Liebe« ausstellen. Morgen ist die reizende Person schon unterwegs.‹«

Ich zögere, weil ich schwach bin – und zögere doch nur zum Schein. Es ist eine unerhörte Idee, die mir ein kleines Vermögen kosten wird, diese Ausstellung. Was versteht die Herzogin von geschäftlichen Dingen? – Sie will – ich gehorche. Nenne mich den Einfaltspinsel, der ich bin! . . . Vielleicht, wenn Du sie selber kennen würdest . . .

Sie war entzückt wie ein Kind über den Sieg und jubilierte, bis sie plötzlich, bleich geworden, sich niedersetzen mußte.

»Was ist, um Gottes willen, Herzogin?«

»Nichts, nichts . . . Das Herz will mal wieder nicht. . . . Jetzt ist's auch schon vorüber . . .« Sie atmet tief auf.

Dann kamen die beiden Herren gemächlich von der Ahnengalerie hergebummelt . . .

»Wir suchen Sie,« sagt der Herzog.

»Zum Billardspiel – jawohl!« unterbricht Félicie.

»Das auch, liebes Kind. Vorher aber noch etwas Wichtigeres.«

»O nein, Charles, zuerst meine Neuigkeit! – Wir brauchen gar nicht nach dem häßlichen Berlin. ›Die Liebe‹ wird uns selbst ihre Aufwartung machen.«

»Du scherzest, Félicie.«

»Thu' ich das dir gegenüber so häufig, Charles?«

»Leider nein.« Dann wendet er sich zu mir. »Wenn ich recht verstehe, Baron, wollen Sie einen thörichten Wunsch meiner Frau erfüllen?«

»Warum nicht! – Ich bin der Liebenswürdigkeit dieses Schlosses so sehr verpflichtet, daß ein kleiner Gegendienst wohl kaum in Frage kommt . . .« Ich sage das so gleichgültig höflich – und das matte Auge des Herzogs sucht vergebens in mein Inneres zu dringen, was ja niemals leicht war.

Er scheint befriedigt. Trotzdem überlegt er noch. Nach einer Verlegenheitspause endlich: »Die Liebenswürdigkeit, die Sie meiner Frau erweisen wollen, ist eine große, beinah unerhörte, wie ich wohl weiß. Vielleicht kann ich mich schwächlich revanchieren. Mr. X. hier brachte mich eben auf die Idee, ob Sie nicht einen Atelierraum bei uns acceptieren wollten . . .«

»Um zu porträtieren? Da müßte ich unendlich bedauern. Porträt war nie meine Stärke . . .« Hält dieser Duc mich für einen x-beliebigen Maler auf Bestellung, so soll er sich schwer irren.

Uebrigens thue ich ihm unrecht. Er wiegelt sofort ab. »Um Gottes willen, Baron, kein Gedanke lag mir ferner! . . . Bloß weil wir einen sehr passenden, unbenutzten Raum derart zur Verfügung haben, wo Ihr Kollege auch schon gemalt hat. Sie würden ganz ungeniert sein, Wagen und Boot stets zur Disposition haben, und Sie brauchten Ihre Hotelwohnung nicht aufzugeben.«

Ich antworte nicht sofort und frage mich nur verwundert: ›Muß man die Leute denn immer erst schlecht und hochmütig behandeln, ehe sie liebenswürdig werden? Oder ist der Künstler als Mann in dem Augenblick ungefährlich geworden, wo er für diesen Narren auf ein Ruhmespiedestal stieg?‹ – Auch geht mir diese nie geahnte Möglichkeit wie ein heißer Stich durchs Herz, während ich doch aufjubeln sollte, der reizenden Frau wohl auf lange so nahe zu sein. – Mein Schweigen mißfällt niemand. Es ist ja nur das höfliche Besinnen, die Komödiantenpause, die der gesellschaftliche Takt auferlegt. Wer jetzt zunächst sprechen muß, ist die Herzogin. Auch sie schweigt. Ich verstehe es.

Erst ein: »Félicie, schließt du dich meiner Bitte nicht an?« – das der Herzog etwas verlegen sagt, muß sie an ihre Pflichten erinnern. – Meine Nerven zittern. Mein Herz kann ja nicht mehr thun, was der Verstand hier heischt. O, wenn sie es doch für mich thäte! – Wenn sie ganz schwiege! – Oder wenn sie hell auflachte, entzückt über das Tete-a-tete mit ihrem Künstler! Der eine Ton schon würde dem Duc die Besinnung wiedergeben, den Argwohn wecken. Morgen schon hätte ich den Brief, daß er unendlich bedaure, weil unaufschiebbare Pflichten sie beide nach Flandern oder sonst wohin riefen. – Félicie sieht ihren Mann scheu an und sagt gepreßt, unsicher: »Wollten wir nicht nächsten Monat nach Paris? Es ist nicht allein wegen der Toiletten, wir hatten doch Edmond fest versprochen . . .« Sie gehört eben zu den passiven Naturen, die immer erst zu spät merken, was sie vielleicht angerichtet, und die niemals weder das bedingungslose Ja des großen Herzens noch das kühle Nein des Verstandes zur rechten Zeit finden.

Der Herzog versteht jedoch nicht, was ich so gut verstehe. »Félicie, das läßt sich doch aufschieben! Edmond ist ja noch in Nizza und erwartet sogar noch seine Schwester . . .« Schweig jetzt wenigstens, Weib!

Die Herzogin ist aber keiner Unliebenswürdigkeit fähig. »Ich meinte auch nur so, Charles, weil dann der Baron eine eventuelle Abwesenheit von uns entschuldigen müßte . . . Möchten Sie sich wirklich ein Atelier bei uns einrichten, Herr von den Raben?« – Sie ist dabei blaß, lächelt mühsam.

Mir würgt das befreiende Nein die Kehle – und ich wage doch nur leise zu sagen: »Unendlich gütig, Herzogin. Dazu gehört Bedenkzeit . . . Ich gedachte, noch viel weiter südlich zu gehen, nach Sizilien, Nordafrika . . . Aber wie gesagt . . .« Ach, wenn ich nicht ein so feiger Sklave dieser kranken weißen Frauenhände wäre! Sie sind so viel stärker als ich. Und führen mich doch nicht mitleidig in meine Wüste zurück. Zum Glück führen sie mich ja auch nicht – sie wollen das vielleicht nicht einmal.

Endlich erbarmt sich der Kollege meiner. »Machen Sie doch keine Geschichten, Herr Baron! So was wird Ihnen nicht immer geboten. Wenn's der Herzog mir heute proponiert hätte – mit beiden Händen, sage ich Ihnen, hätte ich zugegriffen. Aber der neue aufgehende Stern sind eben Sie.«

Wir lachen alle über das geniale Rauhbein – sehr laut und sehr unehrlich.

Später zum Dämpfen der Gefühle eine Karambolepartie.

Ich sage Dir, Gert, es ist ein Tag voller Nichtigkeiten – und jede dieser Nichtigkeiten ein schweres Glied mehr in der Schicksalskette, die schon den Gefangenen umklirrt. – Ich sehe den Raum vor mir kahl und kalt und nüchtern. Die Herzogin auf einem Stuhl weitab. Es ist ein großes, grünes, abgespieltes Tuch, wo die Elfenbeinbälle rollen. Ich bin ein nervöser Spieler, der die Bälle nicht zu halten weiß, aber sicher im Stoß und um einen Ausweg nie verlegen. Ich müßte naturgemäß jämmerlich spielen heut, weil meine Gedanken ganz wo anders sind – und ich spiele gut, sehr gut. Der Stoß ist so weich, das Effet so präzis, als wenn das Schicksal mir selbst die Hand lenkte, bei jedem gelungenen Ball freundlich murmelnd: ›Sieh doch nicht hin! Ich handle ja für dich. – Keine Angst auch in der Zukunft!‹ – Es ist eigentlich ein blödes Vergnügen, solch ein Spiel! – Kaum ein Wort, höchstens ein leicht auf den Boden gestoßenes Queue. Dann der surrende Ton der gleitenden Kugeln – das weiche Zusammenschlagen – das matte Gleißen des Elfenbeins. Dazwischen das monotone Zählen der Spieler: »Eins . . . zwei . . . drei . . .« – als wenn es nicht Menschen thäten, sondern Automaten.

Ich will die Herzogin nicht sehen – und ich sehe sie doch immer. Unsre Augen treffen sich nie. Sie sitzt bewegungslos, stumm, die weichen Züge geschärft, das Opalgrau von stechendem, feindlichem Glanz. Sie sieht dem Herzog nach – wenn er sich über das Billard beugt, wenn er kreidet, wenn er kickst – unablässig, starr. So mag sie jeden Abend hier sitzen und zuschauen. Dieselben Gedanken mögen durch das feine Hirn ziehen – derselbe Haß. Denn sie haßt ihn – tief, unerbittlich. An diesem Abend weiß ich, daß es nie Gleichgültigkeit war. Zwischen den beiden Menschen liegt eine Welt. Wär' einer tot, jedem wär' wohler. Sie hoffen's, ersehnen's vielleicht, die beiden – und bleiben doch bei einander. Ich kenne den Grund des Hasses nicht, ich ahne ihn nicht einmal. Ist's nur noch das eherne Band der ehelichen Lüge, das sie zusammenhält? Die Furcht vor dem Skandal, die besser kittet als Liebe? – Was es auch sei, ich verstehe sie nicht. Zwei Menschen Bett an Bett, Kopf an Kopf, und das durch Tage, Jahre – zwei Menschen, die sich hassen! – Ob das matte Auge auch zu hassen vermag? Vielleicht thue ich ihm unrecht, wenn ich's glaube. Die Frau haßt sicher. – Häßliche Bilder fliegen mir vorüber. Wenn sie so aus nervösem Schlummer erwachen mag am grauen nüchternen Frühmorgen – da gilt der erste Blick dem schlafenden Mann neben ihr, der erste Gedanke fragt: ›Ist's vielleicht der ewige Schlaf?‹ – Und dann möchte sie aufjauchzen. Das ist das Gefühl, mit dem sie ihm gute Nacht sagt, die Herzensantwort auf den Gewohnheitskuß des Morgens, der ihre weichen Lippen zur Verachtung kraust oder zum Ekel erschlafft. Dasselbe Gefühl täglich, stündlich, durch Jahre. Das mordet Nerven – und doch hält sie's aus.

Soll ich bewundern – soll ich beklagen? Ich bin ganz unsicher in meinem Gefühl. Und während ich darüber grüble, schleicht etwas andres mit, etwas Häßliches, die Unterströmung, die den Schlamm aufwühlt, ohne daß ich es will: ›Hier ist ein Galan nötig – sei du's! . . .‹ Aber ich – erkenne daraus, Gert, wie schwer meine Krankheit ist! – schüttle mit Ekel den Gedanken ab wie ein scheußliches Reptil, das an mir emporkriechen möchte . . . Nun nehme ich mir meine ganze kühle Vernunft zusammen und denke nüchtern: ›Gewohnheit und Schwäche, die so oft das häßliche Band solcher Ehe knüpfen, bewähren sich auch hier. Ein bißchen Kühle dazu gerechnet und ein bißchen Hochmut – Bleib also ruhig, Rolf, weil du es erkannt hast, studiere den Fall, der vielleicht in seinen Einzelheiten interessant ist, und lächle darum auch fürder das kühle Lächeln, mit dem du immer die Gesellschaft und ihr ureigenstes Produkt, die Frau, abgethan hast!‹ – Ich möchte es so gern – ich kann nicht! Das andre ist ja viel mächtiger, das Gute in mir, das Niegeahnte. Es ist auch nicht das höchste, menschliche Mitleid allein, es ist weit mehr, es ist das große einzige Gefühl, das mir das Lächeln dieser Frau so traurig vergoldet – ein Gefühl, das sie weich umfassen möchte wie ein unendlich geliebtes Kind, dessen kranke Schwäche seine höchste Kraft, dessen tiefes Unglück seine höchste Schönheit ist . . . Sie ist rein, sie ist gut. Darf ich sie ungeschirmt dahinsiechen lassen in einer gesellschaftlichen Lüge, die ihr das Herz verzehrt, das Gemüt verdorrt? Sie ist jung, sie ist reizend. Und ich soll gehen, um eines Tages doch zu erfahren, daß ein ganz kleines, wertloses Gefühl eines Laffen mühelos das nahm, was nur ein großes Gefühl nehmen darf – weil eben dieser Laffe der Erste und Kecke war, sich zu offenbaren? Frauen wie Félicie, die müssen ja fallen, und wenn man sie in einem ehernen Turm behütete – wohl körperlich nicht, aber geistig, was viel schlimmer. Ich bin kein Heuchler, der da lügt: ›Ich will sie nur halten, schützen, den Weg ebnen einer nie gebrochenen Pflicht.‹ – Nein! Ich habe ein großes Gefühl, selbstisch wie alle großen Gefühle – und möchte auch ihr dies große Gefühl einhauchen, das noch zu besitzen für den einzelnen vielleicht ein Verhängnis ist, für die Menschheit sicher ein Glück . . . Werde ich finden, was ich suche? Wird sie verstehen, wenn ich einst sagen sollte: ›Jede Pflicht ist hinfällig, sobald sie rein äußerlich geworben ist. Retten Sie sich aus dieser Pflicht, die Sie doch täglich in Gedanken brechen, und die kein Recht mehr hat, weil sie nur noch inhaltlose Form?! Treten Sie die vielen kleinen Gefühle zu Boden, wenn's auch weh thut, solange Sie noch können, auf daß ein großes Gefühl blühe und Sie frei mache und gesund!?‹ . . . Ist's noch Zeit bei ihr?

Ach, Gert, ich mache mir gar keine Illusionen. Es ist nur das ganze Vollblut, das jedes Hindernis nimmt, und nur die ganze Frau, die bewußt in eine andre Welt tritt. Die Gesellschaft ist so feige und so grausam, so verlogen und so hart – sie wird sich schon von Jugend auf in Gestalt von Tanten und Freundinnen und Brüdern an diese weiche Natur festgesogen haben, um ihr die Persönlichkeit zu nehmen, den eignen Entschluß. Denn das Elendeste von allen, die Tradition, ist immer noch das Stärkste, und alle schauen ängstlich zurück, wo sie mutig vorwärts schauen sollten. Die Väter und Mütter aller Zeiten werden mit beschwörend gerungenen Händen dieser Frau zuraunen: ›Beuge dich unter das Schicksal!‹ – und die freien und hellen Geister aller Zeiten werden schmetternd rufen: ›Brich's!‹ . . . Akademische Plauderei – die mir aber tiefer geht, als Du ahnst, weil von ihr mein Schicksal abhängig ist. Lächle nicht! Diese kleinen, kranken, weißen Frauenhände halten mein Schicksal – und flehe Du zu Gott, daß sie mich stark und gütig führen. Es ist die uralte Krankheit der Menschheit, die mich überkommen hat, stark wie der Tod und licht wie der Tag. – Ich werde mein Wanderzelt in diesem Schlosse aufschlagen, ich muß es, Gert! Denn thät' ich's nicht, dann würde ich immer meiner Schwachheit grollen, mich einen Feigling schelten, der einem großen Gefühl entfloh, weil's seinem kleinen Herzen zu mächtig. Verkomme ich, werde ich enttäuscht, betrogen, sollte ich auf leichten Sand bauen, wo ich auf Fels zu bauen gedachte, – auch gut! Das Verkommen wird zwar schrecklich sein – ein langsamer Tod, den ich einem Todfeind gönne. Aber wenn es eine Vorsehung giebt – und es giebt eine – so gab sie mir dies große Gefühl als letztes, bestes Pfund, mit dem ich wuchern soll zu meinem und der Menschheit Glück. Mein Schicksal ist entschieden – und ich freue mich, daß ich trotz aller Kleinheit, allem Zweifel es selbst entschied.

Mag jemand in dem Billardzimmer die Gedanken ahnen, die hinter dieser blassen Stirn fluten, während die unheimlich sichere Hand die Kugel rollen läßt, wohin sie befiehlt? Niemand ahnt's – auch die Herzogin nicht.

»Hundert!« – Der Herzog machte den letzten Ball. Die Partie ist aus. Ich bin der Sieger.

Die Bierreste werden ausgetrunken – eine Pause – die Herzogin erhebt sich. Es ist Zeit zum Gehen. Wir schlendern nach der Halle – die Frau und ich die letzten. Wir schweigen beklommen. In der Ahnengalerie steht sie plötzlich still: »Werden Sie kommen, Herr von den Raben?« . . .

»Soll ich, Herzogin?« . . .

»Ich weiß nicht . . .«

»Warum?«

»Ich weiß nicht, ob es Ihnen gut thun wird.« . . .

»Und Ihnen?«

»Ich weiß auch nicht . . .«

»Dann lassen wir es also beim alten.«

Da zuckt sie zusammen. »Nein!« Und indem sie starr dem Herzog nachsieht, der eben in die Halle verschwindet – ihm nachsieht mit einem fatalistischen Zug um den Mund, als wenn sie sagen wollte: ›Wenn du keine Augen hast, Mann, verdienst du's nicht besser!‹ – faltet sie die dunkle, schmale Braue, sagt kurz: »Sie werden bei uns wohnen, Baron – ich will es!«

Der Herzog weiß sein Glück noch nicht.

Als wir abfuhren, sah ich vom Coupé zurück – der Wagen rollte gerade unter dem goldenen Herzogshute durch. Die Frau stand oben am Fenster – ein zarter Schatten, der sich nicht zum Abschiedsgruß neigte. Träumte sie in dem Moment, so war es auch ein ernster Traum. Die lange Rückfahrt grau, schleierhaft. Ich saß zusammengesunken in der Ecke. Mich fror; die Schläfen waren kalt.

Der Kollege zeigte sich desto besser aufgelegt. Wie ja immer einer schwatzen muß, wenn der andre schweigen möchte. Mir ist nur noch weniges gegenwärtig. »Ja, wir Maler erleben doch noch was! . . . Der reizendste Punkt von der ganzen Ponente – und da ungestört schaffen können . . . Sie haben doch Glück, Herr Baron! . . . Und die Frau . . . erst daheim lernt man sie schätzen . . . Etwas verliebt sich jeder in sie – aber das ist so ein unschuldiger Rausch! Man genießt, geht – hat die Erinnerung . . .«

Dann kramt der Maler noch ungefragt Weibergeschichten aus, wie sie zu seinem wüsten Bart und seinen Fingernägeln passen – immer nur die niedere Sorte gefährlich . . . Merkwürdiges Volk, die Menschen! Jeder hält im Grunde seines Herzens den Nächsten für einen Pinsel. Ich hätte Lust, dem guten Mann lächelnd auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: ›Rolf von den Raben betrog weit mehr Frauen, bessere, hübschere – er kennt das Handwerk wie einer. Lassen Sie also das Geschwätz!‹

Kenne ich dies Handwerk wirklich besser? Kennt's überhaupt einer? – Keiner kennt's, so wenig er sich selbst kennt! Es war eine große Thorheit, Gert, von verzettelten Gefühlen früher zu reden. Was sind verzettelte Gefühle? Sie sind wie der dichte summende Mückenschwarm, der uns umtanzt, der uns vielleicht reizt, peinigt – verschwindet. Er ist etwas so Aeußerliches, Ungefährliches. Wer sogenannte Gefühle verzettelt, verzettelt au fond nur fremde Gefühle. Das eigne große weckt der Mückenstich nie! Das ist ein ganz andrer scharfer Stich – schwer und tief bis ins wirkliche Herz. Wenige fühlen ihn. Und diese wenigen sind fast immer verloren.

Am Hotel setzte mich der berühmte Kollege ab. Ich vergaß wohl, ihm gute Nacht zu wünschen.

In dieser Nacht noch schrieb ich den Brief an den Duc.

Das Gasthofszimmer ist kalt, kahl, unfreundlich. Und doch habe ich die Empfindung eines Kindes, das die Heimat verläßt, verlassen muß, unsicher, ob die Zukunft grau oder rosig.

Ich komme zum Schluß. Warum soll ich das Wort nicht aussprechen, das schon, seit ich sie sah, mir auf den Lippen lag: »Ich liebe sie!?« –Ich schreibe es sicher das erste Mal im Leben – ich sprach es noch nie. Was ich all den kleinen Mädchen vorgeredet: »Ich hab' dich gern – du süßes Ding – Hast du mich auch lieb?« – das war durchsichtige Lüge, die wohl jede von meinem kühl lächelnden Gesicht ablas. Mein Herz wußte nie etwas davon. Jetzt rächen sich vielleicht all die hübschen Dinger. Mögen sie! – Innerlich fühlte ich mich in allem Sumpf doch rein. Ich fühle mich auch heute rein. Mit der Liebe hat mein Gefühl nie Mißbrauch getrieben – sie war mir heilig – ich habe sie nie entweiht. Heute ist mir das klar. Was auch kommen möge, Gert, glaube es mir!

Und ich komme vielleicht nie zu dem Punkte, auf dem mein Brief schon steht. Die Herzogin wird zurückweichen schon beim ersten Wort. Thut sie's nicht, dann wird mich wohl geraume Zeit ein Nebel umgeben, bald grau, bald goldig – und so sehr ich auch meine Vernunft anspanne, ich werde ihn nicht durchdringen. Ist er vorbei – dann ist's auch mit mir vorbei.

Schreibe mir, bitte, nicht! Dir zu schreiben, wird mir auch weiter ein Bedürfnis sein. Ich brauche einen Vertrauten – keinen Warner. Etwaige Geschäftsbriefe dirigiere nach Nizza an mein altes Hotel. Auf die kritzele meinetwegen den brüderlichen Gruß . . . Verbrenne meine Briefe nicht! Vielleicht verlange ich sie noch einmal nach Jahren zurück, diese Beichte eines Thoren zu lesen. Lächle ich dabei matt und sage: »Thörichter Traum!« – Dann lächle Du nicht mit! Ich habe in diesem thörichten Traum mein Bestes gegeben . . . Leb wohl! . . .



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