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21. Kapitel

Als die beiden jungen Offiziere, welche die Schreiber des Bureaus mit ängstlicher Höflichkeit bis vor die Tür geleiteten, durch das in nächtlicher Stille daliegende Dorf nach ihren Quartieren zurückkehrten, erging sich Wladimir in heftigen Worten über das Treiben der Verpflegungsbeamten, in welches sie soeben durch Zufall einen Blick getan. Sein ganzer Zorn loderte auf bei dem Gedanken an das üppige Souper, dessen sie soeben Zeuge gewesen, und an den asiatischen Luxus, den der unscheinbare Schuppenbau des Proviantamtes in sich barg, während man von allen Seiten aus den Lagern der Truppen her häufige Klagen über unregelmäßige Verpflegung, schlechte Beschaffenheit der Nahrungsmittel und verspätetes Eintreffen der Proviantzüge vernahm.

»Diese Mehlwürmer«, rief er grimmig, »mästen sich in sicherer Ruhe, sie leben besser als der Kaiser, während die armen Soldaten draußen darben und, wenn die schlimme Jahreszeit kommt, noch viel mehr werden zu leiden haben. Und wie viel müssen sie stehlen, um solche Orgien feiern zu können. – Aber wehe ihnen, ihr guter Stern war es nicht, der mich heute zu ihnen führte, morgen schon soll der Kaiser alles erfahren; wenn es so hier im Hauptquartier zugeht, was mögen diese Elenden erst draußen in den Feldlagern treiben, wo sie vor Entdeckung noch sicherer sind! Deine Neugier nach deinen Briefen, Feodor Michaelowitsch, war doch zu etwas gut und hat uns diese Schufte in die Hände geliefert. Apropos, was wollte denn deine Frau mit dem kleinen Billett, das sie in meinen Brief gelegt?«

Blagonow war gesenkten Hauptes neben ihm hergeschritten, ohne auf seine heftigen Zornesausbrüche irgend etwas zu erwidern.

»Es war ein Gruß,« erwiderte er mit etwas unsicherer Stimme, »den mir Marpha Nikolajewna nachschickte; sie war bei deiner Frau, als diese ihre Briefe dem Kurier gab, und konnte es nicht unterlassen, mir noch ein freundliches Liebeswort nachzusenden.«

Wladimir blieb einen Augenblick stehen und blickte bei dem matten Licht der Sterne kopfschüttelnd in Blagonows Gesicht.

»Höre, Feodor Michaelowitsch,« sagte er, »ich glaube doch in unserer heutigen materiellen Welt mit meiner Marica ein gutes Stück Romantik abgespielt zu haben, und ich glaube auch, daß ich heute noch ebenso verliebt in sie bin wie damals, als ich sie mir in den schwarzen Bergen eroberte, aber das muß ich sagen, du und Marpha übertrefft uns weit, ihr seid ja wie die girrenden Turteltauben. Nun, es ist um so besser, daß das Schicksal sich zwischen mich und Marpha gestellt hat, denn so viel Hirtenzärtlichkeit, wie ihr beide zustande bringt, hätte sie bei mir nicht gefunden.«

Lachend ging er weiter, ohne den leisen Seufzer zu hören, der aus Blagonows Brust heraufstieg, und wäre das Sternenlicht heller gewesen, so hätte er sehen können, daß seines Freundes Gesicht bei seinen Worten sich zu schmerzlicher Bitterkeit verzog. Bald erreichten sie ihre Wohnung, zwei nebeneinander liegende Zimmer in einem Bauernhause zu Bjela; ihre Diener erwarteten sie schon mit einer gewissen Unruhe, und als sie dieselben entlassen hatten, warf sich Wladimir schnell, immer noch heftig scheltend über die heillosen Intendanturbeamten, auf sein Lager, um dann bald, immer leiser sprechend, in einen tiefen, gesunden Schlaf zu versinken.

Blagonow war sinnend mit leisen Schritten im Nebenzimmer auf und nieder gegangen; als Wladimir verstummte, trat er lauschend auf die Schwelle, und als die tiefen Atemzüge des Grafen bewiesen, daß derselbe fest eingeschlafen war, schloß er leise die Tür, was er sonst nicht zu tun pflegte, und schob vorsichtig den Riegel vor. Als er sich so vor jedem beobachtenden Blick geschützt, setzte er sich an den Tisch und zog das Billett, das ihm Wladimir gegeben, hervor. Beim Schein der Kerze las er noch einmal den Inhalt, leise jedes Wort vor sich hin sprechend, als ob er sich dessen Sinn und Bedeutung ganz besonders einprägen wollte; mit flüchtiger Schrift stand auf dem kleinen Blatt von Marphas Hand geschrieben:

»In flüchtiger Eile sende ich Dir diese Zeilen bei Marica Markowna, welche sie unmittelbar in die Hände des abgehenden Kuriers legt. Wenn Du ein finsteres, verhängnisvolles Geheimnis in Deiner Brust trägst – fast ahne ich, daß dem so ist und was es ist – o mein Geliebter, so schließe es doppelt vorsichtig ein, hüte Deine Blicke und Deine Worte, denn das Verderben wacht, um in die schwarzen Abgründe der Vergangenheit das Glück der Gegenwart hinabzuziehen. Ich habe Dich in meinem Brief um häufige und ausführliche Nachricht gebeten über alles, was im Hauptquartier vorgeht; schreibe mir oft, aber ich beschwöre Dich, schreibe mir nie die Wahrheit, schreibe mir nichts von dem, was wirklich dort geschieht, nichts von dem, was ihr hofft und fürchtet – nur das eine, daß Du lebst und meiner gedenkst. Vor allem forsche nicht, frage mich nicht, tue, was ich gebeten, vertraue auf mich, später wird alles, so Gott will, licht werden; jetzt würde jede Frage, jede Nachforschung die Gefahr, die über unserem Haupte schwebt, ohne Rettung auf uns herabziehen.«

Mit düsteren Blicken starrte er lange das Blatt an, er preßte die Hände gegen seine Stirn und marterte sich vergeblich, den rätselhaften Inhalt der Zeilen zu begreifen. So viel stand fest, daß Marpha sich unter dem Druck irgendeiner geheimnisvollen Gewalt befand, vor der sie sich schaudernd machtlos fühlte, es war ihm zweifellos, daß der kalte, glatte und undurchdringliche Sacharin, der ihm stets einen unwillkürlichen Schrecken eingeflößt hatte, mit diesem Geheimnis in Verbindung stehe. Marpha hatte ihm ja ihren Verdacht mitgeteilt, daß der Intendant des Fürsten ihre Briefe öffne, er hatte ihr ein Mittel angegeben, sich über ihren Verdacht Gewißheit zu verschaffen – nun aber teilte sie ihm nichts davon mit, statt dessen bat sie ihn in dem einen Briefe um ausführliche Nachrichten und beschwor ihn in dem anderen, durch Marica gesandten Billett, niemals die Wahrheit über die Vorgänge im Hauptquartier zu schreiben; es war kein Zweifel, sie befand sich unter dem Druck eines unwiderstehlichen Zwanges, und Sacharin mußte es sein, der diesen Zwang auf sie ausübte. Aber wie war das möglich, was gab dem Diener des Fürsten eine solche Macht über die einzige Tochter seines Herrn, deren mutiger, stolzer Sinn sich so leicht vor keiner Drohung beugte?

Er fand keinen Schlüssel zu diesem Geheimnis, so sehr er sich auch abmühte, aber ein Gefühl drängte alles andere in ihm zurück, die Empörung über die geheimnisvolle, tückische, unwürdige Gewalt, deren Opfer die Geliebte war, und wild bäumte sich seine Seele bei dem Gedanken auf, daß auch er sich in willenloser Ergebung dieser Gewalt beugen sollte, immer lebhafter empfand er es als seine heilige und unabweisliche Pflicht, Marpha zu schützen und von der Pein dieses Zwanges zu befreien, immer lauter und gebieterischer vernahm er die Stimme seines Herzens, welche ihm zurief, daß sein Platz in diesem Augenblick an der Seite seiner Frau sei, daß es keine Rücksicht auf Erden geben könne, welche ihn abhalten dürfe, sie zu schützen und freizumachen von einer finsteren Macht, welche das kaum gewonnene Glück seines Lebens bedrohte. Immer mehr befestigte sich sein Entschluß, um jeden Preis nach Petersburg zu eilen und mit eigener Hand die dunklen Fäden zu zerreißen, deren Netz er aus der Ferne nicht erkennen konnte; welche Gefahr ihn und sein Glück auch bedrohen mochte, er wollte ihr lieber Auge in Auge gegenüberstehen, als sich in peinvoller Angst aufreiben.

Erleichtert atmete er auf, als er diesen Entschluß gefaßt, da aber stieg plötzlich wie ein neues Schrecknis das Bild des Jewjeni Mossejew vor ihm auf, den er so unerwartet hier als Bureauchef der Intendantur des Hauptquartiers gefunden hatte; er hatte trotz der Veränderung, welche in seiner äußeren Erscheinung vorgegangen war, den Studenten wiedererkannt, der einst in Wolotschina an seinen Wagen herangetreten war und ihm das Losungswort des geheimen Bundes zugerufen hatte, um mit ihm zu entfliehen, und der später bei dem Bauernfest im Dorfe ihm abermals, wie höhnend und drohend, das verhängnisvolle Wort zugeflüstert hatte, zum Beweise, daß er ihn und das Geheimnis seiner Vergangenheit kenne. Er selbst hatte diese Vergangenheit zu vergessen gesucht und sie wie einen finster mahnenden Schatten zurückgedrängt, wenn sie aus den Tiefen seiner Erinnerung emportauchte; nun stand sie plötzlich drohend wieder vor ihm in der Gestalt dieses Menschen, der schon zweimal seinen Lebensweg gekreuzt hatte – und wie kam es, daß er diesen armen, verfolgten Studenten, den er einst in nächtlicher Flucht aus dem Gefängnis fortgeführt, jetzt hier in einer solchen Vertrauensstellung im Hauptquartier in der unmittelbaren Nähe des Kaisers wiederfand? Auch hier mußte wieder eine geheimnisvolle, dunkel wirkende Macht tätig sein, und diese Macht bedrohte nicht ihn allein, er kannte die Grundsätze, die erbarmungslose Konsequenz des Bundes, dem er sich einst in der Erbitterung gegen die Gesellschaft angeschlossen hatte, und er konnte nicht zweifeln, daß der Student von Wolotschina nur hier war, um den geheimen Absichten der furchtbaren Bundesmacht zu dienen; durfte er, der so wunderbar gerettet war, der dem Kaiser die glückliche Wiedergeburt seines Lebens dankte und durch seinen Eid als Offizier ihm verpflichtet war, die furchtbare Gefahr unbeachtet lassen, welche jedenfalls mit Jewjeni Mossejews Anwesenheit im Hauptquartier zusammenhing? – Aber wenn er diese Gefahr enthüllte, wenn er vor ihr warnte, so mußte er ja zugleich den Schleier von seiner eigenen Vergangenheit ziehen, seine neue Existenz zerstören, sein Glück vernichten und Marphas junges Leben mit erbarmungslosem Todesstoß treffen. Schaudernd fühlte er, daß ihm dazu der Mut fehle, auch mußte er sich sagen, daß seine vorzeitige Anzeige ein zweckloses Opfer sein würde, denn der Bund konnte tausend andere Werkzeuge finden, um an Jewjenis Stelle seine Absichten zu erfüllen; besser war es, den Studenten zu beobachten, sorgfältig und unablässig zu bewachen, um dann, wenn etwas wirklich Faßbares in seine Hand kam, dazwischenzufahren und das Verderben abzuwenden. Doch wenn er hierblieb, wenn er dies schwere Wächteramt übernahm, so mußte er Marpha allein und ohne Schutz lassen, hier und dort standen ihm gleich drohende Gefahren, gleich entsetzliche Geheimnisse gegenüber. Angstvoll rang er die Hände, ratlos blickte er aus seinem Fenster zum Himmel auf, an welchem allmählich die Sterne vor dem heraufdämmernden Tageslicht zu verblassen begannen.

Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen, er verließ sein Zimmer und stieg auf den Bodenraum des Hauses, wo die Dienerschaft ihre Lagerstätten hatte; auf wollenen Decken, ein Strohkissen unter dem Kopf und mit seinem Mantel bedeckt, lag Stephan Sacharjew in tiefem Schlafe, ein glückliches Lächeln schwebte auf seinen Lippen, der Traum mochte ihm das heimische Haus zeigen und Eva Michaelowna, seine Frau, mit dem kleinen Wladimir Stephanjew auf dem Arm. Er war wohl glücklicher als all die vornehmen Herren im Hauptquartier, keine Sorge lastete auf seiner Seele, die Trennung wurde aufgewogen durch das stolze Gefühl, seinem Herrn zu dienen, der so hoch in der Gnade des Kaisers stand, in ihm kam kein Zweifel auf an dem glänzenden Siege der russischen Waffen über die Heiden, und leuchtend strahlte ihm der Tag der Zukunft entgegen, an dem er, aus dem ruhmvollen Feldzuge heimkehrend, geehrt und beneidet von dem ganzen Dorfe, sein Weib und sein Kind wieder in seine Arme schließen würde.

Blagonow berührte die Schulter des Schlafenden, aber es war nicht leicht, ihn zu erwecken, und nachdem er ihn kräftig geschüttelt hatte, fuhr Stephan empor. Unwillkürlich griff er nach dem neben seinem Bett liegenden Säbel, und erst nach einigen Augenblicken erkannte er im trüben Dämmerlicht den jungen Offizier, der ihm schweigend winkte zu folgen. Mit dem mechanischen Gehorsam des Soldaten und des in den patriarchalischen Verhältnissen seines Dorfes aufgewachsenen Bauern sprang er auf, warf seinen Mantel über und stieg hinter Blagonow die Treppen herab, ohne daß einer der übrigen neben ihm schlafenden Diener erwacht wäre. In dem einfachen, kleinen Garten des Hauses setzte sich Blagonow auf eine Bank; Stephan Sacharjew war durch die frische Morgenluft völlig ernüchtert und stand mit weit geöffneten Augen vor ihm.

»Du erinnerst dich,« sagte Blagonow umherspähend, ob niemand in den Gebüschen verborgen sei, »des Studenten Jewjeni Mossejew aus Wolotschina, dessen Vater dir früher deine Frau nehmen wollte.«

»Ja, gnädiger Herr,« erwiderte Stephan Sacharjew, indem sein Gesicht sich finster zusammenzog, »ich habe mich zwar mit ihm und seinem Vater versöhnt, weil der Starost und der Vater Christophor es so wollten, aber es ist ein böser Bube, und der Alte hat auch nichts Gutes in seinem Herzen, und so aufrichtig kann ich ihnen doch nicht vergessen, was sie Böses getan.«

»Nun,« sagte Blagonow, »du erinnerst dich auch, daß jener Jewjeni schlimme und aufrührerische Reden geführt hat gegen deine Herrschaft, gegen den großen Zaren und gegen die heilige Kirche selbst.«

»Jawohl,« rief Stephan Sacharjew, indem er drohend die geballte Hand erhob, »ich erinnere mich ganz gut, und an mir hat es nicht gelegen, daß er damals nicht den Gerichten überliefert worden, als der Teufel, dem seine Seele verfallen ist, ihn aus der schwarzen Isba entführte.«

»Du hast recht,« sagte Blagonow mit dumpfem Ton, »der Teufel, der im Dunkeln herrscht und die Seelen der Menschen fängt, hat sich ihn erwählt zum Werkzeug seiner finsteren Tat. So höre, Stephan Sacharjew, jener Jewjeni Mossejew ist hier in der Nähe – in der unmittelbaren Nähe des großen Zaren, den er einst gelästert, gegen den er den Aufruhr gepredigt.«

»Hier?« rief Stephan erschrocken; »das ist ja unmöglich – wie käme er hierher von der hohen Schule in Petersburg? – Oder hat der Himmel seine Seele gerettet, will er sein Unrecht und seine bösen Gedanken sühnen, hat er die Waffen ergriffen im Kampf für den Zaren und das heilige Rußland?«

»Nein, Stephan,« sagte Blagonow, »er ist nicht Soldat, er ist dort in den Bureaus der Intendantur, wo sie Brot für die Soldaten verteilen –«

»Und wo sie oft die braven Soldaten hungern lassen,« rief Stephan knirschend, mit zornfunkelnden Blicken, »oh, da gehört er hin, alle diese Mehlwürmer gehören dem Teufel und mästen sich von dem Brot, das unser guter Vater, der Zar, für seine tapferen Soldaten bestimmt.«

»Das ist nicht alles, Stephan,« sagte Blagonow, »du weißt, welch böse Gedanken jener Jewjeni in sich trug, und ich glaube, daß sie ihn heute noch erfüllen, wenn er sie auch listig und tückisch verbirgt.«

»Das glaube ich auch«, rief Stephan; »denn wen der Teufel einmal gefaßt hat, den läßt er so leicht nicht wieder los.«

»Nun,« sagte Blagonow, so wirst du begreifen, daß es gefährlich ist, wenn ein Mensch wie Jewjeni hier im Hauptquartier so nahe der geheiligten Person des Zaren sein Wesen treibt.«

»Jawohl, jawohl,« rief Stephan, »das ist gefährlich, das darf nicht sein, man muß ihn niederschlagen, man muß ihn dem Kriegsgericht übergeben!«

»Nicht so,« sagte Blagonow, »er hat nichts getan, was ihn strafbar macht, und wenn du ihn niederschlügest ohne Grund, so würdest du selbst schwerer Strafe verfallen, niemand kann ihn richten wegen der bösen Gedanken, die er in sich trägt, die du kennst, wie ich sie kenne, die er aber leugnen wird und die man ihm nicht beweisen kann. Man muß ihn überführen, man muß entdecken, was er treibt und was er beabsichtigt, dazu gehört List und Wachsamkeit –«

»List und Wachsamkeit«, wiederholte Stephan Sacharjew leicht; er schien noch nicht zu begreifen, seiner offenen, ehrlich derben Natur lag der Gedanke fern, daß man einen Feind nicht ohne Umstände niederschlagen, einen Aufrührer nicht ohne weiteres den Gerichten überliefern solle.

»Wenn man entdeckte,« fuhr Blagonow fort, »was er treibt, wenn man Beweise gegen ihn hätte, so würde man nicht nur ihn selbst sicher fassen, sondern auch vielleicht die Genossen seines Treibens finden und großes Unheil von dem Haupte des Zaren und dem heiligen Rußland abwenden. Ich muß vielleicht das Hauptquartier für einige Zeit verlassen, aber ich möchte die Gewißheit mit mir nehmen, daß ein treues Auge über den Werken der Finsternis wacht, mit denen jener Jewjeni zusammenhängt. Du bist der Mann dazu, Stephan Sacharsew, dir möchte ich die Sorge übergeben, die mich bewegt; willst du mir versprechen, wenn ich nicht hier bin – und ich denke nicht lange fortzubleiben – willst du mir versprechen, Jewjeni Mossejew auf allen seinen Wegen zu folgen wie sein Schatten, zu erspähen, was er tut, wohin er geht, mit wem er verkehrt? – denn so allein ist es möglich, seine bösen Gedanken zu ergründen und seine bösen Anschläge unschädlich zu machen. Wenn du ihn dann auf falschem Wege ertappst, wenn du irgend etwas entdeckst, dann faß ihn und halte ihn fest, aber so lange hüte dich, daß er nichts bemerkt, daß er keinen Verdacht hegt, der ihn vorsichtig macht – willst du mir das versprechen, Stephan?«

»Ich verspreche es, Herr,« rief Stephan Sacharjew, indem er die Hand erhob, »ich schwöre es bei der heiligen Mutter Gottes, die mein Weib und Kind beschützt. Ich will seiner Spur folgen, wie der Fuchs dem Hasen, leise will ich ihn umschleichen, bis der Augenblick kommt, da ich ihn fassen kann, und dieser Augenblick wird kommen, denn ich bin gewiß, wo Jewjeni Mossejew ist, da hat der Teufel seine Hand im Spiel.«

»Gut,« sagte Blagonow, »du hast mir geschworen, und ich weiß, du wirst es halten. Aber noch eins, niemand darf davon etwas erfahren, auch dein Herr nicht, der Graf Wladimir Ossipowitsch; er würde sich unnütz Sorge machen, sein Herz ist zu gut, er vertraut den Menschen, er glaubt nicht an das Böse, und vielleicht würde teuflische List ihn bestricken.«

»Das ist wahr, gnädiger Herr, das ist wahr,« rief Stephan, »der Graf ist so gut und so treu wie das Sonnenlicht – er soll nichts erfahren, bis die Zeit gekommen ist, daß er glauben muß, jetzt würde er mich doch vielleicht nur schelten wegen meines Mißtrauens.«

»Du siehst, Stephan,« sagte Blagonow aufstehend, »daß Gott auch niedere Menschen zu großen Dingen auserwählt; deiner Wachsamkeit und Treue ist es gegeben, den Zaren und das Vaterland vor den bösen Anschlägen finsterer Mächte zu schützen – vergiß das keinen Augenblick; und nun kehre zurück zu deinem Lager, niemand darf wissen, daß ich hier mit dir gesprochen.«

Er ging in das Haus zurück, ganz stolz stieg Stephan die Treppen zum Boden hinauf.

Die Nacht verschwand vor dem immer heller aufleuchtenden Purpurstreifen am Morgenhimmel, und als die ersten Strahlen der Sonne über den Horizont emporschossen, legte sich Blagonow zu kurzem, von unruhigen Träumen unterbrochenem Schlummer nieder.

Nach wenigen Stunden war das ganze Lager wach. Blagonow teilte Wladimir, der ganz heiter und fröhlich seine Toilette machte, um sich zum Frühstück in das große kaiserliche Zelt zu begeben, mit, daß er den Entschluß gefaßt habe, sogleich nach Petersburg zu gehen, um sich zum Dienst bei seinem Regiment zu melden, denn da dasselbe nun ins Feld rückte, zieme es sich nicht für ihn, untätig im Hauptquartier zu bleiben.

Wladimir lachte.

»Du hast im Grunde recht,« sagte er, »und vielleicht würde ich ebenso handeln wie du, wenn auch mein Regiment marschierte; aber«, fügte er, mit dem Finger drohend, hinzu, »ich glaube doch, daß bei deinem Entschluß die Sehnsucht nach deiner Frau ein wenig mitspielt, denn du könntest dich ja deinem Regiment auch hier anschließen, aber freilich, dann würde mein tapferer Hektor keinen Abschied von Andromache nehmen können.«

Blagonow ließ die Neckereien seines Freundes ruhig über sich ergehen, und bald traten beide in das kaiserliche Frühstückszelt, in welchem bereits ein großer Teil des Gefolges versammelt war. Blagonow bat den Flügeladjutanten vom Dienst um eine Audienz bei Seiner Majestät, und als dieselbe schnell gewährt wurde, billigte und gewährte der Kaiser sogleich den Wunsch des jungen Offiziers, sich seinem Regiment bei dessen Ausmarsch aus Petersburg anzuschließen.

Wladimir hatte inzwischen dem General Rylejew seine Erlebnisse des gestrigen Abends in den Bureaus der Intendantur mitgeteilt; der General zuckte die Achseln und sagte:

»Man ist es ja gewohnt, daß diese Herren sich ihr Metier so angenehm als möglich machen, und ganz läßt sich das nicht abschaffen; allein was Sie gestern gesehen und gehört, ist in der Tat ein wenig zu stark; wenn es so in der unmittelbaren Nähe des Hauptquartiers zugeht, was soll denn draußen geschehen, wo gar keine Kontrolle besteht! – Ich danke Ihnen und werde sogleich an den Höchstkommandierenden eine Anzeige ergehen lassen, damit die Untersuchung eingeleitet wird.«

Wladimir war ein wenig niedergeschlagen und enttäuscht; nach seinem Gefühl hätte man die beiden Intendanturbeamten sogleich verhaften oder mindestens absetzen und nach Petersburg zurückschicken müssen – freilich sah er doch ein, daß das nicht ohne eine vom Oberkommando zu führende Untersuchung möglich sei, und so hatte er in seiner leicht beweglichen Natur bald die ganze Sache, die ihn so tief empörte, vergessen, zufrieden damit, daß er das Seinige getan, soweit er es vermochte.

Blagonow hatte schnell seine Reisevorbereitungen getroffen; er drückte Wladimir, der ihm tausend Grüße an Marica auftrug, zum Abschied die Hand, als er in seinen leichten Jagdwagen stieg, und legte wie zufällig den Finger auf den Mund, indem er dem hinter seinem Freunde stehenden Stephan Sacharjew einen Abschiedsgruß zunickte. Dann fuhr er, von schmerzlicher Unruhe bewegt, auf der Straße nach Simnitza davon.

Wie über das siegesfrohe Rußland selbst schwarze Wolken emporgezogen waren, so türmten sich auch gegen den Frieden und das Glück seines eigenen Lebens drohende Wetter auf, und sein Herz schnürte sich zusammen unter der bangen Frage, ob ihm je das helle Sonnenlicht, das so kurze Zeit sein Leben erleuchtet, wieder aufgehen werde.


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