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Die Ankunft des Kuriers hatte auch auf dem Schlosse Wolotschina große Bewegung hervorgerufen; er brachte ein Schreiben des Kriegsministers, nach welchem die Leutnants Graf Wladimir Ossipowitsch Swiatowski von der Chevaliergarde und Feodor Michaelowitsch Blagonow vom Garderegiment Ismailow auf Allerhöchsten Befehl zu Ordonnanzoffizieren Seiner Majestät bestimmt seien und sich binnen drei Tagen zum Dienst zu melden hätten, da Seine Majestät die Absicht habe, sich mit seinem militärischen Gefolge zur Inspizierung der Armee in das Hauptquartier nach Kischinew zu begeben.
Es war ein harter Schlag für die jungen Leute, sich aus der süßen Gewohnheit des jungen Glücks loszureißen und den Wechselfällen eines gewaltigen und in seiner Dauer unübersehbaren Krieges entgegenzugehen, denn man wußte ja nicht, ob der Kaiser nicht vielleicht sogleich bei der Armee bleiben werde, da man in allem entschlossen schien, den preußischen Feldzug von 1870 bis in alle Einzelheiten nachzuahmen, in dem ja auch der Kaiser Wilhelm von Anfang an inmitten seiner Armeen den Platz des Oberfeldherrn eingenommen hatte – aber das Kommando zum unmittelbaren kaiserlichen Dienst war zugleich so ehrenvoll auszeichnend für die beiden jungen Offiziere, daß der Schmerz der Trennung vor dem Gefühl der Freude und des Stolzes zurücktrat, und auch die beiden jungen Frauen unterdrückten mutig die Wehmut, welche sie beschleichen wollte.
Marica, die Tochter des kriegerischen Volkes der schwarzen Berge, kannte keine höhere Pflicht und keine größere Ehre und Freude des Mannes, als den Kampf für das Vaterland, und sie hätte es, so schmerzvoll sich auch ihr Herz bei dem Gedanken an die nahe Trennung zusammenzog, doch als eine demütigende Erniedrigung empfunden, wenn ihr Gemahl an ihrer Seite zurückgeblieben wäre, während die russischen Armeen gegen den Feind auszogen, der ja auch der Feind ihres Vaterlandes und ihres Volkes war.
Marpha war stolz und glücklich, daß der Mann, den sie zu sich emporgehoben und auf den die vornehme Gesellschaft von Petersburg noch immer hochmütig herabzublicken sich für berechtigt hielt, von neuem Gelegenheit finden sollte, sich unter den Augen des Kaisers selbst auszuzeichnen und in einer so großen und bedeutungsvollen Zeit seine Überlegenheit über so viele unbedeutende Träger vornehmer Namen zu beweisen, deren Vorfahren sich aus tieferer Niedrigkeit als er und durch unwürdige und verächtliche Mittel emporgeschwungen hatten.
So umarmten denn die beiden jungen Frauen, alle Wehmut tief in ihr Herz zurückdrängend, ihre Männer und wünschten ihnen Glück zu der ehrenvollen Berufung. Der Fürst Nikascha aber war außer sich vor Glück und Freude, er ließ alle Diener des Schlosses zusammenkommen und verkündete ihnen, daß ihre beiden jungen Herren mit dem allergnädigsten Kaiser selbst in das Feld ziehen würden; dann ließ er die edelsten Weine aus dem Keller heraufbringen und jedem einzelnen der Domestiken ein großes Glas davon vollschenken, um auf das Wohl des Kaisers und der Armee zu trinken, und nachdem er selbst bei dem Souper eine unzählige Reihe von Gesundheiten ausgebracht hatte, vom Kaiser anfangend alle Großfürsten und Großfürstinnen, alle Glieder seiner Familie, die Kommandeure der Armeekorps und die Regimenter der beiden jungen Leute einschließend, ließ er sich endlich von seinem alten russischen Diener Iwan Gregorjewitsch seinen Schafpelz und seinen Tschibuk bringen und bat Marpha und Blagonow, ihm nach der Reihe jene melodiereichen altrussischen Volkslieder vorzusingen, die er so sehr liebte und welche er, auf einem Diwan ruhend, dichte Wolken in die Luft blasend, mit seiner rauhen Stimme so falsch als möglich begleitete, während Wladimir und Marica, zärtlich aneinandergeschmiegt, leise miteinander flüsterten.
Der Fürst bestimmte die Abreise nach Petersburg auf den nächsten Abend, da er es sich durchaus nicht nehmen lassen wollte, das vorbereitete Fest im Dorfe Wolotschina mitzufeiern und noch einmal, ehe er in den Zwang der Residenz zurückkehrte, mit vollen Zügen das freie, nationale Volksleben zu genießen.
Spät erst trennte man sich. Der Fürst ließ sich schnell von seinem französischen Kammerdiener Constant entkleiden, der mit einer Miene unbegrenzter Verachtung den Schafpelz seines Herrn fortwarf und durch wiederholte Hustenanfälle seinen Abscheu vor dem strengen Tabaksgeruch zu erkennen gab. Dann behielt er Iwan Gregorjewitsch noch lange in seinem Zimmer, derselbe mußte sich vor sein Bett setzen, und bis weit in die Nacht hinein sprachen der Fürst und der seit Generationen mit dem Hause seines Herrn verwachsene Diener mit leuchtenden Blicken von den Siegen der russischen Armeen über die verhaßten Türken und von der hohen Ehre, welche dem Hause des Fürsten durch die Berufung seines Schwiegersohnes in das Gefolge des Kaisers widerfahren war und welche der alte Iwan ebenso stolz und freudig empfand als sein Herr.
Am Vormittage des nächsten Tages fuhr der Fürst in glänzender Equipage nach dem Dorfe hinab; an seiner Seite saß die Gräfin Swiatowski, welche sich ebenfalls über die erneute Trennung von ihrem Sohne durch die demselben winkende Ehre und Auszeichnung tröstete und heiter und freundlich den Starosten begrüßte, der sie an den ersten Häusern des Dorfes empfing. Die Wagen der beiden jungen Paare folgten. Wladimir und Blagonow trugen die Uniformen ihrer Regimenter, und ein begeisterter Freudenruf der ganzen Einwohnerschaft empfing die glänzenden Offiziere und die schönen jungen Frauen am Eingange der Dorfkirche, wo der Vater Christophor, der Geistliche des Ortes, denselben bis unter das Portal entgegentrat, um ihnen das Kreuz zum Kusse zu reichen.
Die Aufregung im Dorfe war groß. Die jungen Leute, welche sich infolge der neu angeordneten Mobilmachung zu ihren Regimentern stellen sollten, und deren Angehörige suchten die schmerzliche Unruhe, in welche die Trennung von der Heimat sie versetzte, durch eine kriegerische Begeisterung zu übertäuben, zu welcher sie sich um so leichter emporschwangen, da in der Tat der Kampf gegen den alten türkischen Erbfeind fast ein Glaubensartikel für jeden Russen war und der Gedanke daran jedes russische Herz höher schlagen ließ.
Der Täufling wurde gebracht, der Starost und Stephan Sacharjew, welcher blaß und traurig aussah und doch stolz erhoben einhertrat im Gefühl der hohen Ehre, welche seinem Erstgeborenen erwiesen wurde, führten den Fürsten und die Herrschaften des Schlosses zu den für sie bereiteten Sitzen. Wladimir trat mit der Frau des Starosten vor den Taufstein, um den kleinen Täufling in seine Arme zu nehmen, der mit großen Augen lächelnd auf die glänzende Uniform seines Paten blickte, und als nun der Vater Christophor in seiner kurzen Rede des bevorstehenden Krieges erwähnte und die Hoffnung aussprach, daß das Kind dereinst als Mann ebenso freudig für den Zaren und die heilige Kirche die Waffen führen werde wie sein erlauchter Pate und mit demselben die ganze Jugend des heiligen Rußland, da ging es wie ein Rauschen durch die ganze, dichtgefüllte Kirche hin, und wenig hätte gefehlt, so würde selbst an diesem heiligen Orte ein vollkräftiges Hurra für den Zaren und das heilige Rußland sich haben hören lassen.
Als der Taufakt beendet war und die Herrschaften reiche Spenden für die Kirche in das aufgestellte Becken niedergelegt hatten, begaben sich alle, von der jubelnden Bevölkerung umdrängt, nach Stephan Sacharjews Hause, um der jungen Mutter ihre Glückwünsche zu bringen. Eva Michaelowna empfing sie auf ihrem Lager, das mit den reichsten Decken geschmückt war, die ihr Haus besaß; sie trug auf dem Kopf eine goldgestickte Haube, vor ihrem Bette standen auf sauber gedeckten Tischen kalte Fleischspeisen, Fische, Branntweinflaschen und Gläser. Wladimir selbst legte das Kind in die Arme der Wöchnerin, dann reichte Stephan Sacharjew den sämtlichen Herrschaften Salz und Brot, und alle taten ihm aus den gefüllten Gläsern Bescheid auf das Wohl der jungen Mutter und ihres in den Bund der Christenheit aufgenommenen Sohnes. Die junge Frau aber schien die hohe Ehre, welche ihrem Hause widerfuhr, nicht ungetrübt zu empfinden; wohl leuchteten ihre großen, dunklen Augen stolz auf, als alle die vornehmen Herrschaften an ihr Bett herantraten und ihr ihre Glückwünsche brachten, dann aber verschleierten sich ihre Blicke wieder, Tränen strömten über ihre Wangen, und in lautes Schluchzen ausbrechend, barg sie ihr Gesicht in die Kissen. Stephan Sacharjew trat zu ihr heran, drückte ihre Hand und sprach ihr tröstend zu – aber auch seine Stimme zitterte und über seine braune Wange rann ein Tränentropfen herab.
»Was ist das, was heißt das,« rief der Fürst Nikascha, welcher mit großem Behagen ein Stück geräucherten Fisch verspeist hatte und dasselbe mit einem großen Schluck Branntwein hinunterspülte, »Tränen über dem Täufling? Das darf nicht sein, ihr bringt ja dem Kinde Unglück, wo fehlt es?« fragte er gutmütig, indem er zu dem Bett hintrat und den Kopf der schluchzenden jungen Frau aus den Kissen emporhob, »ist es irgendwo nicht richtig im Hause? Will es mit der Wirtschaft nicht gehen? – Sagt es, heute muß alles frisch und fröhlich sein, und wenn Menschenhilfe euren Kummer wenden kann, so bin ich da – also sprecht, wo fehlt's?«
»Oh, es ist nicht das, es ist nicht das!« sagte Stephan, »Gott hat ja unser Haus gesegnet, und es fehlt uns an nichts, und das Kind da wird einmal ein Erbe haben, wofür es den Heiligen des Himmels dankbar sein muß; aber –« Er stockte.
»Aber«, rief Eva Michaelowna, indem sie die tränenden Augen zum Fürsten aufschlug, »vielleicht wird dies arme Kind bald keinen Vater mehr haben: mein Mann soll sich bei seinem Regiment stellen und hinausziehen gegen die grausamen Türken, und ich soll allein hierbleiben in Angst und Bekümmernis.«
»Es ist nicht recht, daß du klagst, Eva Michaelowna«, unterbrach Stephan seine Frau, indem er gewaltsam seine eigene Bewegung unterdrückte; »ich habe die Pflicht wie jeder andere, für den Zaren und das heilige Rußland zu fechten, und wenn ich falle, so wird Gott dir und dem Kinde reich ersetzen, was du für das Vaterland verloren.«
»Recht so, recht so,« sagte der Fürst, der mitleidig auf die weinende junge Frau geblickt hatte, »das ist gesprochen, wie ein braver Russe sprechen muß; du mußt stolz sein auf deinen Mann, Eva Michaelowna, bete nur recht, und er wird wieder zurückkommen und Ehre und Segen in das Haus bringen.«
»Ja doch, ja – mein Gott, ja,« schluchzte die junge Frau, »ich weiß, daß es seine heilige Pflicht ist, ich will auch nicht murren und ergeben tragen, was Gott verhängt – aber«, rief sie lauter weinend und von neuem den Kopf in die Kissen drückend, »es ist doch hart – sehr hart für mich und das arme Kind.«
»Nun, Eva Michaelowna,« sagte Wladimir, »ich will dir helfen, so gut ich kann, ich gehöre ja zu euch als der Pate deines Kindes, dem ich versprochen habe, in Not und Gefahr beizustehen. Seine Pflicht muß dein Mann erfüllen, frei kann er nicht werden vom Dienst, und er würde es nicht wollen in so großer Zeit, wo das ganze Rußland aufsteht zum heiligen Kriege.«
»Nein, Herr, nein – niemals!«
»Aber«, fuhr Wladimir fort, »ich will ihn mit mir nehmen – du kannst das der Behörde melden,« sagte er zum Starosten gewendet, »ich werde in Petersburg dafür sorgen, daß er zu mir zum Dienst kommandiert wird; dann wird er im Hauptquartier sein, und wenn ich auch hoffe, an den Feind zu kommen, so wird doch sein Leben immer weniger gefährdet sein, als wenn er in den dichten Reihen des Regiments steht, und vor allem werde ich sorgen, daß du Nachricht von ihm erhältst, daß du immer wissen sollst, wo er ist und wie es ihm geht.«
»O Herr, Herr,« rief die junge Frau, strahlenden Blickes die Hände zu ihm erhebend, »wenn Ihr das tun wollt! Ich werde mein ganzes Leben für Euch und die gnädige Gräfin beten, daß Gott euch segne bis zu euren Kindern und Kindeskindern.«
Stephan Sacharjew und der Starost küßten den Saum von Wladimirs Uniform, indem sie innige Dankesworte stammelten.
Noch einige Augenblicke blieb die Gesellschaft. Der Fürst Nikascha trank auf das Wohl des Kindes und wünschte demselben eine lange Reihe von Brüdern und Schwestern, die junge Frau lächelte unter Tränen über die lustigen Einfälle und derben Scherze des Fürsten, und Stephan Sacharjew sprach leise mit dem Starosten von der Zukunft, deren dunkle Wolken sich plötzlich zerstreut hatten, und die ihm glänzend wie ein sonnenheller Tag entgegenschimmerte.
»Nun aber fort – hinaus auf den Tanzplatz,« rief der Fürst, »der Vater des Täuflings muß mit uns – wir wollen ihn bald wieder gehen lassen,« sagte er, freundlich die junge Wöchnerin auf die Schulter klopfend, »damit er von dir Abschied nehmen kann, Eva Michaelowna, und sich zur Abreise vorbereiten, denn die jungen Leute da müssen schon vor Abend fort, um noch die Eisenbahn in Rshew zu erreichen.«
Stephan Sacharjew umarmte noch einmal seine Frau und führte dann mit dem Starosten die Herrschaften hinaus nach dem Festplatze. Zahlreiche Fässer mit Branntwein und Quas waren auf hölzernen Gestellen aufgestellt, kaltes Fleisch, gebraten und gepökelt, geräucherte Fische, Brot und Speck und die so beliebten Salate von Kartoffeln und den grünen Spitzen der jungen Getreidesaat bedeckten auf großen Schüsseln rings die Tische.
Herr Sacharin, der Sekretär des Fürsten, machte die Honneurs und lud die noch schüchtern um alle diese Herrlichkeiten herumstehenden Bauern zum Zugreifen ein. Er war auch bei dieser Gelegenheit ernst, streng und kalt wie immer; seine Einladung, von den gastfreien Gaben der Gutsherrschaft Gebrauch zu machen, klang fast wie ein Befehl, und vielleicht würde es ihm noch schwerer geworden sein, die ehrerbietige Scheu, welche mit dem lüsternen Appetit der guten Muschiks kämpfte, zu überwinden, wenn nicht der alte Iwan Gregorjewitsch sich überall unter die Dorfbewohner gemischt hätte, um einen nach dem andern an die Tafel heranzuziehen.
Am ungezwungensten machte der Student Jewjeni Mossejew von der Gastfreundschaft der Herrschaft Gebrauch; er saß mitten vor einem der größten Tische, zog nacheinander die besten Schüsseln zu sich heran, indem er zugleich aus einem der großen zinnernen Becher kräftig von dem Wacholderbranntwein trank und die anerkennenden Worte für die Geber dieser guten Dinge mit Worten voll kriegerischer Begeisterung oder Ermahnung zur nationalen Einigkeit aller slawischen Stämme vermischte. Herr Sacharin hatte, als er auf dem Festplatze erschien, den Studenten verwundert angesehen, als ob er sich bemühe, diesem Gesicht einen Platz in seiner Erinnerung anzuweisen, und auch später noch ruhten seine scharfen Blicke prüfend auf dem jungen Menschen, bei dessen immer kühneren Reden er zuweilen unmutig den Kopf schüttelte.
Lauter Jubel erhob sich, als der Fürst mit der Gräfin, von Wladimir und Blagonow und ihren Frauen gefolgt, auf dem Platze erschienen. Die Herrschaften nahmen inmitten der Bauern an einem der Tische Platz, und der Fürst brachte mit lauter Stimme das Wohl des großen Zaren und der tapferen und siegreichen russischen Armee aus, in welches alle Anwesenden mit hoher Begeisterung einstimmten; dann begannen die Vergnügungen der Jugend, die Knaben mußten die hohen, glatten Stangen erklettern, um die an der Spitze derselben aufgehängten Geschenke zu erreichen. Allgemein war die Teilnahme an diesem Spiel, lautes Gelächter begleitete jeden verunglückten Versuch, und die Eltern der kleinen Wettkämpfer ereiferten sich in ebenso großer Spannung als jene selbst. Der Fürst begleitete die Wechselfälle dieses Spieles mit seinen kräftigen Scherzen, welche die Bauern entzückten, und fügte bei besonders geschickten Kletterern dem gewonnenen Preise noch einen ganzen oder halben Imperial aus seiner Börse hinzu, so daß die Heiterkeit immer höher stieg und selbst die jungen Paare, trotz der ernsten Stimmung, in welche sie die bevorstehende Trennung versetzte, oft in lautes, herzliches Gelächter ausbrachen.
Der Student Jewjeni hatte bei dem Erscheinen der Herrschaft den Leutnant Blagonow betroffen angesehen, und auch er schien jetzt, sich zuweilen die Stirn reibend, eifrig in seinen Erinnerungen zu suchen, wie dies bei seinem Anblick vorher Herr Sacharin getan hatte; zwar fuhr er fort, zu essen und zu trinken und die ihm Zunächstsitzenden mit seinen Reden nach dem Muster des Aksakowschen Artikels der Moskauer Zeitung zu unterhalten, aber immer wieder und wieder wendeten sich seine Blicke zu Blagonow hin, und wenn er den jungen Mann eine Zeitlang betrachtet hatte, so schüttelte er wohl den Kopf, als ob er die in ihm aufsteigenden Gedanken für töricht und unmöglich halte.
Die Spiele waren zu Ende, der Tanz der jungen Leute begann. Der Fürst hatte eine äußerst primitive Musikkapelle in einem der nächsten Flecken aufgetrieben, und bald gaben sich die jungen Burschen und Mädchen mit voller Jugendlust und Freude dem Vergnügen des Tanzes hin, der in allen Ländern und Ständen die jungen Herzen höher und feuriger zueinander schlagen läßt, während die Alten im Kreise umherstanden oder sich an den Tischen mit den leckeren Gaben aus den Vorräten des Schlosses beschäftigten. Wladimir und Blagonow hatten mit den hübschesten Dirnen des Dorfes den Tanz eröffnet, und dann bewegten sich beide mit ihren Frauen am Arme zwischen den einzelnen Gruppen umher, bald hier, bald dort den einen und den andern freundlich anredend, während Fürst Nikascha in der Mitte des Tanzplatzes stand, laut nach dem Takte der Musik in die Hände klatschte und den einzelnen Paaren seine zündenden, volkstümlichen Scherze zurief. Für die Gräfin Swiatowski war ein Armsessel herbeigebracht, auch sie sah mit freundlicher Teilnahme dem Tanze zu und unterhielt sich in liebenswürdigster Weise mit dem Vater Christophor, der neben ihr den Ehrenplatz einnahm.
Der Student war von seinem Tische aufgestanden und folgte in unmittelbarer Nähe Blagonow und Marpha, immer schärfer prüfende Blicke warf er auf den jungen Offizier, und der Ausdruck seines Gesichts deutete an, daß er immer noch in seinen Erinnerungen suche, so sonderbar und seltsam auch die aus denselben hervorsteigenden Gedanken sein mochten. Blagonow hatte mit einigen alten Bauern gesprochen, welche bei seiner Anrede sich ehrerbietig von ihren Plätzen am Tische erhoben und mit einem Segenswunsch den Saum seiner Uniform und den Pelzbesatz von Marphas Mantel küßten; er wendete sich dann zu einer anderen Gruppe hin – der Student stand unmittelbar hinter ihm, er drängte sich noch näher zu ihm heran, und wie zufällig vorbeischreitend sprach er halblaut das Wort »Nihil« aus.
Blagonow zuckte zusammen, sein Gesicht wurde totenbleich, und schnell sich umwendend, sah er mit entsetzten Blicken den jungen Menschen an, der ihm einen tückischen Seitenblick zuwarf; auch er schien in seiner Erinnerung zu suchen – es war, als ob plötzlich ein gespenstisches Schreckbild vor ihm aufstiege, und schnell sich wieder abwendend, ging er mit hastigen Schritten an den Tischen vorüber, um sich einer entfernteren Gruppe von Bauern zu nähern, die er mit zerstreuten, fast unzusammenhängenden Worten anredete, während seine scheuen Seitenblicke immer wieder nach dem Studenten hinüberstreiften, der wieder seinen Platz am Tische eingenommen hatte.
Dies alles war das Werk weniger Augenblicke gewesen.
Marpha hatte nichts von der Verwirrung ihres Gemahls bemerkt und unterhielt sich heiter und unbefangen mit den Bauern. Herr Sacharin aber, welcher sich wie zufällig immer in der Nähe des Studenten gehalten hatte, war auch in jenem Augenblick in dessen unmittelbarer Nähe gewesen, er hatte das von jenem ausgesprochene Wort gehört, und ein drohender Blitz war in seinen Augen aufgeflammt, er machte eine Bewegung, als ob er sich auf den jungen Menschen stürzen wolle. Und doch hielt er sich zurück und ging, mit unbefangener Miene durch die Reihen der Bauern weiter. Nach kurzer Zeit näherte er sich dem Fürsten und flüsterte demselben einige Worte zu. Der Fürst zog seine Uhr hervor, blickte mit einem bedauernden Seufzer auf das fröhliche Gewimmel der Tanzenden und ging dann zu seiner Tochter und Blagonow.
»Es ist Zeit,« sagte er, »daß wir aufbrechen, Paul Andrejewitsch mahnt mich, daß wir uns beeilen müssen, den Zug zu erreichen.«
»Ja, ja,« sagte Blagonow hastig, indem er wie erleichtert aufatmete, »wir müssen gehen, um keinen Preis dürfen wir zu spät in Petersburg eintreffen.«
Er eilte dem Fürsten voran zur Gräfin hin. Herr Sacharin hatte auch Wladimir benachrichtigt, die Wagen fuhren heran, und nachdem die herandrängenden Bauern noch einmal mit brausendem Hurraruf ihre freigebige Herrschaft begrüßt hatten, fuhr man zum Schlosse zurück. Eine kleine Britschka erwartete Herrn Sacharin; Stephan Sacharjew sollte mit ihm zum Schlosse fahren, um sich dort dem Grafen Wladimir anzuschließen. Der junge Bauer hatte noch einmal seine Frau und sein Kind umarmt, und noch eine Träne an den Wimpern, aber stolz und glücklich über die Ehre, die ihm widerfuhr, und die glänzende Zukunft, welche sich vor ihm auftat, stieg er, von allen laut beglückwünscht und von vielen im stillen beneidet, in den herrschaftlichen Wagen, dessen Kutscher er vorher das kleine Bündel mit seinem Reisegepäck übergeben hatte.
Herr Sacharin näherte sich dem Studenten, welcher neben dem Wagen stand.
»Ich habe Ihnen etwas zu sagen,« sprach er mit ernstem, strengem Tone, »kommen Sie heute abend auf das Schloß, aber erst spät, wenn es dunkel ist; ich habe mit der Abreise der Herrschaften zu tun und bleibe noch bis morgen hier, um die nötigen Anordnungen für die Verwaltung zu treffen.«
Der Student blickte erschrocken auf, die Worte waren so leise gesprochen, daß keiner der Umstehenden sie vernommen hatte; fast schien es, als wolle er eine trotzige Antwort geben, aber wie konnte er sich gegen den allmächtigen Geschäftsführer der Herrschaft auflehnen, und die Aufforderung, nach dem Schlosse zu kommen, hatte ja, so gebieterisch sie auch ausgesprochen war, an sich nichts Verletzendes und Beunruhigendes – er neigte also in schweigender Zustimmung den Kopf; Herr Sacharin aber hatte keine Antwort erwartet, sondern war bereits in den Wagen gestiegen, der dann schnell mit ihm und Stephan Sacharjew davonfuhr. Alle Vorbereitungen zur Abreise waren bereits auf dem Schlosse getroffen, und nach kurzer Zeit rollten die Reisewagen auf dem Wege nach Rshew dahin, um die beiden Offiziere ihrer ehrenvollen Bestimmung entgegenzuführen.
Das Fest auf dem Platze vor dem Dorfe nahm inzwischen seinen Fortgang, die jungen Leute tanzten, die alten aßen und tranken, und alles floß über von dem Lobe der Herrschaft; man wurde insbesondere nicht müde, immer wieder von dem Fürsten Nikascha zu sprechen, der so ganz und gar das Bild eines vornehmen Herrn aus der alten, guten Zeit des heiligen Rußland sei, und zahlreiche Gläser wurden auf sein Wohl geleert. Daneben tranken die jungen Leute, welche am nächsten Tage zu ihren Regimentern abgehen sollten, auf das Wohl des Zaren und den Sieg der russischen Waffen, und immer lauter und wilder wurden die Verwünschungen gegen die Türken, von denen sie nicht einen Mann übrig zu lassen schworen, so daß, als die Sonne unterging und die Dunkelheit der Nacht zum Aufbruch mahnte, alle Blicke bereits trübe geworden waren und niemand darauf achtete, daß der Student sich von den übrigen trennte und den Weg nach dem Schlosse einschlug.
Sinnend schritt er auf dem dunklen Wege dahin, ungewiß, was die Bestellung zu dem Sekretär des Fürsten, der auch die Geschäfte des Grafen Wladimir führte und in der ganzen Gegend fast ebenso hohes Ansehen genoß als die Herrschaft selbst, zu bedeuten habe, ungewiß, ob er demütig oder trotzig vor dem in der ganzen Gegend so mächtigen Manne erscheinen solle. Er betrat den Park, welcher sich über die ganze Anhöhe um das Schloß erstreckte; eine breite Allee führte langsam aufsteigend zu der Einfahrt in den großen Hof, daneben zu beiden Seiten lag dichtes Buschwerk. Tiefe Dunkelheit bedeckte den Weg, auf welchen die hohen Bäume der Allee ihren Schatten warfen, und nur von fern herüber glänzten die erleuchteten Fenster des Schlosses.
Der Student hatte, mit seinen Gedanken beschäftigt, etwa dreißig Schritte in der Allee gemacht, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte; erschrocken wollte er zurückspringen, aber zugleich fühlte er sich am Handgelenk gefaßt, und eine tiefe Stimme sprach das Wort »Nihil«.
Er blieb zitternd stehen. Dies Wort, durch welches er heute den glänzenden Offizier, den Schwiegersohn des Fürsten, in so große Unruhe versetzt hatte, klang hier in der Einsamkeit des dunklen Gehölzes wie eine furchtbare Drohung in sein Ohr. Er strengte seine Blicke an, um die Gestalt zu erkennen, welche seine Hand festhielt; es war ein Mann in einen dunklen, weiten Mantel gehüllt, seinen Kopf bedeckte ein tief in die Stirn gedrückter runder Hut, ein dichter schwarzer Bart umhüllte den unteren Teil seines Gesichts, und Jewjeni sah in der Dunkelheit nichts weiter als zwei funkelnde, phosphorartig leuchtende Augen.
Die dunkle Gestalt schritt, ohne seine Hand loszulassen, seitwärts in das Gebüsch, und immer ängstlicher folgte Jewjeni, der vergebens versuchte, seine Hand aus der eisernen Umspannung des Fremden zu befreien. Etwa zwanzig Schritte vom Wege entfernt blieb dieser auf einem kleinen, runden Platze stehen, das Gebüsch war hier ausgeschlagen, und die Sterne funkelten von oben herab. Jewjeni konnte die Umrisse der geheimnisvollen Gestalt deutlich erkennen, ohne jedoch auch hier von deren Gesicht mehr entdecken zu können als die unheimlich funkelnden Augen.
»Jewjeni Mossejew,« sagte der Mann im Mantel, »du hast das Losungswort gehört, du weißt, daß du vor einem Mitgliede des Bundes stehst, um dessen Befehle zu empfangen.«
»Und wenn ich daran zweifelte?« sagte Jewjeni.
Er hatte kaum das Wort ausgesprochen, als unter dem Mantel des Unbekannten hervor, ohne daß dieser die Hand des Studenten losließ, ein langer, spitzer Dolch im Sternenlicht funkelnd hervorblitzte. Jewjeni fühlte, wie die scharfe Spitze seine Kleider durchdrang und seine Haut ritzte.
Er schrie entsetzt auf und machte eine neue Anstrengung, um sich loszureißen; aber der Fremde hielt seine Hand fest – die Spitze des Dolches durchdrang bereits die Haut auf der Brust des zitternden Studenten.
»Vermessener,« sagte die dumpfe Stimme noch drohender als vorher, »du wagst es, zu zweifeln und zu trotzen, weißt du nicht, daß der Bund nur Gehorsam verlangt?«
»So sprecht,« sagte der Student zitternd, »ich zweifle nicht mehr; wäret Ihr nicht ein Abgesandter des Bundes, so würdet Ihr nicht wagen, eine solche Sprache zu führen.«
Die Dolchspitze zog sich ein wenig von Jewjenis Brust zurück, doch fühlte er immer noch den leichten Druck derselben, während der Unbekannte weitersprach:
»Du wurdest vor einem Jahre hier wegen unvorsichtiger und törichter Reden gefangen genommen, die Macht des Bundes hat dich befreit, wie kannst du es wagen, hier wieder zu erscheinen und von neuem dich in Gefahr zu setzen? – Du weißt, daß du dir nicht allein gehörst, seit du dem Bunde dein Leben verschworen.«
»Es war Befehl des Bundes selbst,« rief Jewjeni, »dafür zu sorgen, daß die Ansichten über den Krieg, die ich hier ausgesprochen, in das Volk dringen; ich bin gekommen, den Befehl des Bundes zu erfüllen.«
Der Vermummte schwieg einen Augenblick.
»Und wenn es so ist, wie kommst du dazu, das Losungswort des Bundes einem Fremden gegenüber auszusprechen, wie du es heute getan?«
»Wenn Ihr denn dies wißt,« erwiderte der Student, »so müßt Ihr auch wissen, daß jener kein Fremder war; er gehört dem Bunde an, ich habe ihn lange beobachtet und ihn wohl wiedererkannt, ob er auch jetzt hier als vornehmer Herr erscheint und als Offizier der Garde. Es ist jener Mann, der mich im vorigen Jahre nach der Eisenbahnstation in seinem Wagen mitnahm und den ich auf Euer Geheiß mit dem Losungswort des Bundes anredete, als Ihr mich aus der schwarzen Isba befreit hattet – denn«, fügte er ein wenig scheu und zögernd hinzu, »Ihr wenigstens seid es, der mich damals aus den Händen dieser tölpelhaften Bauern erlöste.«
»Ob ich es war oder nicht,« erwiderte der Unbekannte, »ist hier gleichgültig, jedenfalls hast du damals erfahren, daß der Bund alles weiß, was seinen Brüdern widerfährt, und überall da ist, um ihnen beizustehen – was aber jenen betrifft, so täuschest du dich, du hast eine schwere Unvorsichtigkeit begangen, indem du vor ihm das Losungswort ausgesprochen.«
»Nein,« rief der Student lebhaft, »nein, ich täusche mich nicht, er war es.«
Abermals senkte sich die Dolchspitze fester gegen seine Brust, und der Verhüllte sprach drohend:
»Du täuschest dich, und ich verbiete dir, jemals wieder, wo du ihm auch begegnen mögest, in seiner Gegenwart das Losungswort auszusprechen oder irgendeine Anspielung auf eine Vergangenheit zu machen, die nur in deinen Träumen existiert. Dies ist der Befehl für dich, du kennst die Strafe des Ungehorsams.«
Jewjeni beugte das Haupt, er wagte nicht länger zu widersprechen.
»Nun höre weiter«, sagte der Unbekannte. »Der Bund hat dich zu einem wichtigen Dienste ausersehen, du wirst dich sogleich in das Hauptquartier der Donauarmee nach Kischinew begeben.«
»Nach Kischinew – ich?!« rief der Student in höchster Verwunderung – »und was soll ich dort tun; vor allem, wie soll ich dorthin gelangen?«
»Du wirst«, sprach der Unbekannte weiter, »morgen von hier nach Petersburg zurückkehren; in deiner Wohnung dort wirst du weiteren Befehl finden, bei wem du dich zu melden hast, um in die Bureaus der Armeelieferanten aufgenommen zu werden. Du wirst darauf im Hauptquartier selbst Verwendung finden und auch dorthin gesendet werden.«
»Und wenn ich dort bin?« fragte der Student immer erstaunter.
»So wirst du alles beobachten und über alles, was du siehst, genau und ausführlich berichten. Du wirst in deiner Stellung überall Zutritt finden, und je weniger dir entgeht, je ausführlicher deine Berichte sein werden, um so mehr Verdienste wirst du dir um den Bund und seine heilige Sache erwerben. Weitere Befehle wirst du dort erhalten.«
»Und wie soll ich meine Berichte von da absenden?« fragte der Student, den der erhaltene Auftrag mit ängstlicher Besorgnis zu erfüllen schien.
»Das alles wirst du in Petersburg erfahren«, erwiderte der Unbekannte. »Deine Sache wird es sein, genau zu beobachten, und zu zeigen, daß du des Vertrauens wert bist, das man in dich setzt. Es ist das erstemal, daß du einen wichtigen Auftrag erhältst, mach, daß du die Prüfung bestehst; vor allen Dingen eile, nach Petersburg zurückzukehren, und hüte dich, hier in irgendeiner Weise die Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen, wie du es durch dein unvorsichtiges Betragen bereits getan hast.«
Der Student wollte noch etwas erwidern, aber der Unbekannte hatte, nachdem er die letzten Worte gesprochen, seine Hand losgelassen und war wie ein Schatten verschwunden, Jewjeni hörte nur ein leises Knistern der Zweige im Gebüsch.
»Teufel, Teufel,« sagte Jewjeni vor sich hin, »es scheint in der Tat, daß der Bund allgegenwärtig und allwissend ist, mehr noch, als ich es glaubte – vielleicht«, sagte er ganz leise, indem er scheu in die Dunkelheit blickte, »war ich ein Tor, mich aufnehmen zu lassen und den Schwur zu leisten, den man mir abnahm. Diese Sendung nach dem Hauptquartier ist ja ganz unterhaltend, aber sie kann den Hals kosten, wenn die Berichte, die man von mir verlangt, abgefaßt werden.
Nun, jetzt hilft kein Überlegen mehr, ich habe keine Lust, von neuem Bekanntschaft mit der Dolchspitze zu machen, und rückwärts kann ich nicht mehr; der Bund hat mir ja auch hier schon bewiesen, daß er wohl die Macht hat, seine Mitglieder gegen Gefahr zu schützen.«
Er suchte mühsam seinen Weg durch das Gebüsch, fand die große Allee wieder und stieg nach dem Schlosse hinauf. Am Portal fragte er nach Herrn Sacharin, der Türsteher führte ihn durch lange Gänge in das Vorzimmer des Sekretärs und ließ ihn nach kurzer Meldung in dessen Kabinett treten.
Herr Sacharin saß vor seinem mit Rechnungsbüchern bedeckten Schreibtisch, auf welchem eine Lampe mit blauem Schirm brannte. Er wendete sich, ohne aufzustehen, zu dem eintretenden Studenten und sagte in kurzem und strengem Ton:
»Sie sind der Sohn des Bauern Mossej Nikolajew und sind Student in Petersburg?«
Jewjeni bejahte betroffen und ein wenig eingeschüchtert durch den Ton der Frage, welcher fast an ein gerichtliches Verhör erinnerte.
»Sie haben«, fuhr Herr Sacharin fort, »hier, wie auch schon im vorigen Jahre, politische Gespräche geführt, was sich nicht für Sie schickt; ich will nicht, daß auf den Gütern des Herrn Grafen Swiatowski, welche für jetzt meiner Verwaltung anvertraut sind, dergleichen vorkomme, das würde, wenn es bekannt wäre, das Mißfallen der hohen Behörden erregen und schickt sich nicht für die Stellung des Herrn Grafen. Ich will von dem, was hier geschehen, keine Anzeige machen, wenn Sie unverzüglich wieder abreisen und sich nach Petersburg zurückbegeben; ich erwarte, daß Sie morgen Wolotschina verlassen. Wenn Sie diesem Winke nicht folgen, so wird die Anzeige über das, was im vorigen Jahre hier vorgefallen, erfolgen, und Sie werden selbst ermessen, welche Folgen dies für Sie haben muß.«
Er winkte entlassend mit der Hand, und der Student war so betroffen über die hochmütig kurze Weise des Sekretärs, der ihm einfach seinen Willen kundgab und nicht einmal eine Antwort von ihm verlangte, daß er sich bereits auf dem Korridor befand, ehe er sich über den ganzen Vorgang vollkommen klare Rechenschaft geben konnte. Der Lakai geleitete ihn nach dem Hof zurück, und in wenigen Augenblicken befand er sich wieder in der dunklen Allee auf dem Rückwege nach dem Dorfe.
»Sonderbar,« sagte er, »da habe ich denselben Befehl von zwei so ganz verschiedenen Seiten; es wird also wohl nichts übrigbleiben, als zu tun, was man von mir verlangt. Dieser hochmütige Sekretär gibt mir einen willkommenen Vorwand, um meine Abreise bei meinem Vater zu rechtfertigen, und fast könnte man glauben,« sagte er, laut über seinen eigenen Einfall lachend, »daß auch er im Dienste des Bundes stehe.«
Er kehrte zum Dorfe zurück und mischte sich von neuem unter die jubelnde Gesellschaft, welche beschäftigt war, die von dem Fürsten gespendeten Fässer bei dem Schein brennender Kienfackeln völlig zu leeren.
Am andern Tage reiste er in der Tat ab; der alte Mossej fand es ganz natürlich, daß sein Sohn in so wichtiger Zeit in der Residenz sein müsse, wie er sagte, und schien fast zu glauben, daß er zu hohen Dingen berufen sei, nachdem er vorher schon den Bauern verkündet hatte, was der Starost ihnen mitzuteilen von der Behörde beauftragt wurde. Auch ein großer Teil der jungen Burschen reiste ab, um sich bei ihrem Regiment zu stellen. Herr Sacharin führte einen großen Teil der Dienerschaft mit sich fort, und es wurde still und einsam auf dem Schloß und in dem Dorf, wo eben noch so lautes, fröhliches Leben gewaltet hatte.