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16. Kapitel.

Pawjel war in fliegendem Lauf vorwärts gestürmt, in die Schatten des Waldes hinein, in welchem der Türke verschwunden war, kaum berührten seine Füße den Boden, wie der gehetzte Hirsch stürmte er dahin, seine Schläfen pochten, sein Herz drohte seine Brust zu sprengen, der Atem wollte ihm versagen in seinem schnellen Lauf; aber er achtete es nicht, er hatte nur den einen Gedanken, Stjepanida zu erreichen, sie aus den Händen des wilden Feindes, der kein Mitleid kannte, zu befreien oder mit ihr zu sterben. Die Angst und Verzweiflung gaben ihm übermenschliche Kräfte, und in immer verdoppelter Schnelligkeit eilte er weiter über die spitzen, scharfen Steine hin, welche, oft den Boden bedeckten und seine Stiefel zerrissen. Endlich, als seine Kraft dennoch zu versagen drohte, als seine Knie zu zittern begannen und er mit Entsetzen fühlte, daß die menschliche Natur zusammenbrechen müsse, wenn er nicht bald sein Ziel erreiche, als er mit bebenden Lippen ein Gebet stammelte, um vom Himmel die Erhaltung seiner schwindenden Kräfte zu erflehen, entdeckte er bei der Wendung um ein dichtes Gebüsch, etwa hundert Schritte vor sich, den Türken, welcher langsam den zur Höhe des Gebirgskammes emporsteigenden Weg hinaufritt. Das Pferd mochte die schnelle Gangart auf dem felsigen, bergansteigenden Wege nicht haben fortsetzen können oder der Türke sich weit genug von den unberittenen Bulgaren entfernt glauben, um sich einige Ruhe in der Einsamkeit des Gebirges zu gönnen, in der er keine Gefahr von dem Feinde mehr befürchtete.

Stjepanida lag vor ihm über den Sattel gebeugt, sie war regungslos, Pawjel konnte deutlich die Flechten ihres Haares an der Seite des Pferdes herabhängen sehen; sie mußte noch von dem Sturze betäubt sein. Pawjel sank einen Augenblick in die Knie, er richtete aus seinen unnatürlich erweiterten und blutunterlaufenen Augen einen freudig dankbaren Blick zum Himmel und suchte durch einige tiefe und lange Atemzüge die Ruhe in seiner schmerzhaft angestrengten Brust wieder herzustellen; dann sprang er auf und wollte seinen eiligen Lauf aufs neue beginnen, um den Türken zu erreichen. Aber mit jener blitzartigen Erkenntnis, welche in den Augenblicken der höchsten Gefahr und der höchsten Erregung den Geist durchleuchtet, begriff er, daß er mit Gewalt nichts erreichen könne, sondern daß er List und Vorsicht anwenden müsse. Stjepanida war in der Gewalt seines Feindes, und er kannte den wilden, tückischen Sinn der furchtbaren Baschi-Bozuks genug, um überzeugt zu sein, daß der Räuber gewiß das Mädchen eher töten, als sich seine Beute entreißen lassen werde; er war gewiß, daß der Türke ihm, wenn er auf das äußerste getrieben werde, die blutige Leiche seiner Geliebten hohnlachend entgegenschleudern werde; außerdem war der Ausgang des Kampfes mit dem bis an die Zähne bewaffneten, mutigen und gewandten Feinde ungewiß, und wenn es dem Türken gelang, ihn zu töten nur verwundet niederzuwerfen, so war Stjepanida rettungslos in der Gewalt des erbitterten Türken.

Er mußte also vorsichtig den Augenblick erspähen, in welchem es ihm gelingen könnte, den Türken plötzlich so schnell und sicher zu überfallen, daß demselben keine Zeit zu blutiger Rache an seinem Opfer blieb; das sicherste Mittel zu Stjepanidas Rettung war, den Türken aus der Entfernung vom Pferde zu schießen, doch mußte dann der Schuß sicher und tödlich treffen, denn wenn er den Feind nur streifte oder leicht verwundete, so wurde die Gefahr für Stjepanida nur vergrößert.

Alle diese Gedanken und Überlegungen durchzuckten Pawjel in einem einzigen Augenblick; er nahm sein Gewehr von der Schulter, spannte leise den Hahn, schlich, so gut als möglich sich hinter den Gebüschen am Rande des Weges verbergend, dem immer noch langsam vorwärts reitenden Türken nach, mit seinen funkelnden Blicken jeder Bewegung desselben folgend und den Moment erspähend, der ihm zu dem sicheren Schusse Gelegenheit geben würde.

Er hatte, auf diese Weise vorwärts schreitend, allmählich die Entfernung zwischen ihm und seinem Feinde um fast ein Drittel vermindert, und als der Türke eben den Kamm des Höhenzuges erreicht hatte, trat Pawjel, schnell noch einige Schritte vorschreitend, neben einen jungen Eichenstamm, um, den Lauf des Gewehrs daran lehnend, sicherer seine Kugel zu entsenden. Aber als er schon sein Gewehr schußgerecht erhoben, ließ er, plötzlich in jähem Schreck zusammenzuckend, den Arm wieder sinken, denn das Pferd des Türken machte eine unruhige Bewegung, er hörte einen Schrei des Entsetzens und der Angst von Stjepanias Stimme und sah, wie der Körper des Mädchens, der bisher zusammengebrochen auf dem Sattel geruht hatte, sich in jäher Bewegung aufrichtete; zugleich vernahm er ein helles Hohnlachen des Türken und sah, wie derselbe Stjepanidas Haarflechten erfaßte und das Haupt des Mädchens wieder zurückriß.

Pawjel war totenbleich, seine Augen traten fast aus den Höhlen, kalter Schweiß perlte an der Wurzel seiner Haare. Er hob sein Gewehr wieder empor, aber er fühlte, wie seine Hand zitterte, er mußte seine Willenskraft sammeln und drückte das kalte Eisen des Gewehrlaufs gegen seine Stirn, um das glühende Blut zu kühlen, das seine Schläfen sprengen wollte; auch hatte das Pferd des Türken eine Wendung gemacht und das mit dem Türken ringende Mädchen sich so vorgebeugt, daß es unmöglich war zu schießen, ohne Stjepanida zu gefährden. Pawjel stand, vom Gebüsch gedeckt, hinter dem Stamm der jungen Eiche, er überlegte, ob er nicht dennoch auf alle Gefahr hin vorwärts eilen und sich auf den Türken stürzen sollte, sein wallendes Blut drängte ihn vorwärts zum entscheidenden Angriff, doch die Vorsicht hielt ihn zurück, denn wenn der Türke ihn bemerkte und mit Stjepanida davonjagte, so war es fast unmöglich, daß er nach dem erschöpfenden Lauf zum zweitenmal das schnelle Berberpferd einholen könne.

Während er noch knirschend die Zähne übereinanderbiß, um seinem Blick die Schärfe und seiner Hand die Festigkeit wiederzugeben, stieß der Türke, welcher sein Pferd wieder vorwärts gewendet hatte, um seinen Weg fortzusetzen, einen Wutschrei aus, und Pawjel sah, wie die blanke Dolchklinge, von Stjepanidas Hand geschwungen, im Sonnenstrahl blitzte. Das mutige Mädchen hatte den Handjar aus ihrem Gürtel gezogen, um die Brust des Räubers zu durchbohren.

Der scharfe Blick des Türken aber hatte die Bewegung bemerkt, schnell ihre Hand Zurückschlagend, hatte er den kräftig geführten Stoß abgelenkt, so daß nur die Spitze der zweischneidigen Klinge seine Schulter streifte und das Blut unter dem Ärmel seiner Weste hervorquellen ließ. Vor Schmerz und Wut schrie er laut auf, doch wenn auch der Stoß fehlgegangen war, so war doch Stjepanida dadurch von dem festen Griff des Türken befreit; sie ließ sich vom Pferde herabsinken, einen Moment sank sie vom Fall nieder, dann aber erhob sie sich, um sich zur Flucht rückwärts zu wenden – aber schon war der Türke aus dem Sattel gesprungen, ehe sie noch einen Schritt tun konnte, hatte er sie umschlungen, mit sicherem Griff ihr Handgelenk fassend, entwand er ihr die Waffe, die sie abermals gegen ihn erhob. Sie stieß einen lauten, verzweiflungsvollen Hilferuf aus, den der Türke mit einem gellenden Hohngelächter beantwortete, und nun begann ein furchtbares Ringen, in welchem Stjepanida mit der Kraft der Verzweiflung sich des wilden, von Gier und Rachedurst entflammten Barbaren zu erwehren versuchte.

Pawjel stand wie in den Boden gewurzelt, jeder Ruf, jeder Versuch, sich den Ringenden zu nähern, mußte Stjepanida dem sicheren Verderben weihen, denn der wild ergrimmte Türke würde sie erwürgt oder erdolcht haben, bevor er den Kampf mit ihrem Befreier aufgenommen hätte. Pawjel hatte sein Gewehr erhoben, seine ganze Seele, all sein Leben trat in sein Auge, die Züge seines Gesichts waren kalt, hart und unbeweglich, wie aus Marmor gemeißelt; er fühlte, daß all seine Hoffnung auf Erden, alles, was ihn an das Dasein band, in der Sicherheit seines Blickes und der Festigkeit seiner Hand ruhte, der Lauf seines Gewehrs schien ein Teil seines Körpers geworden zu sein und folgte jeder Bewegung des Türken, der bald sich ihm zuwendete, bald von dem Körper Stjepanidas wieder gedeckt wurde.

Die erschöpften Kräfte des Mädchens hielten den ungleichen Kampf nicht lange aus, mit einem ersterbenden Schrei, der wie ein Todesruf der Verzweiflung klang, sank sie zusammen. Laut aufjubelnd in höhnischem Triumph beugte sich der Türke über sie hin, um sie vollends niederzuwerfen – da krachte der Schuß, in hundertfachem Widerhall durch die Felsen donnernd. Die Augen des Türken öffneten sich weit, seine starren Blicke schienen den Feind zu suchen, der ihm seine Beute entreißen wollte – eine Verwünschung klang von seinen Lippen – aber schon begann sein brechender Blick sich zu trüben, er griff mit den weitausgestreckten Händen krampfhaft in die Luft, drehte sich um sich selbst und stürzte zuckend zu Boden, während sein Pferd, durch den Knall erschreckt, auf dem Wege fortstürmte.

Stjepanida lag auf ihren Knien, drückte die gefalteten Hände vor die Brust und blickte in stummem Dankgebet zum Himmel auf. Sie suchte keine Erklärung für die plötzliche, kaum noch gehoffte Errettung aus der entsetzlichen Gefahr, sie fühlte nur die unendlich berauschende Wohltat dieser Rettung, und ohne daß ihr Geist irgendeinen klaren Gedanken fassen konnte, zweifelte dennoch ihr Herz keinen Augenblick, daß es Pawjel sei, dem sie ihre Rettung verdanke.

Pawjel hatte sein Gewehr zu Boden fallen lassen und stand zitternd, mit niedergesenkten Augen an den Eichenstamm gelehnt da, es schien, als ob seine ganze Lebenskraft, welche er auf den verhängnisvollen Schuß zusammengedrängt, aus seinen Gliedern entwichen sei; er schwankte wie betäubt, er hatte ein Gefühl, als ob die Bäume und die Felsen sich in wirbelndem Kreise um ihn drehten – endlich aber schlug er dennoch zögernd die Augen auf, als zittere er, ein furchtbares Schrecknis zu erblicken; als er jedoch nun den Türken am Boden liegen sah, als er Stjepanida erblickte, die mit strahlenden Augen und leise bewegten Lippen zum Himmel aufblickte, da verklärten sich seine fahlen, verzerrten Züge in flammendes Entzücken:

»Stjepanida, meine Stjepanida!« rief er mit einer Stimme, welche die mächtige innere Bewegung fast erstickte, und weit die Arme ausbreitend, eilte er zu der Geliebten hin.

Stjepanida sah ihn mit lieblichem, glückseligen Lächeln an, keine Spur von Verwunderung über sein plötzliches Erscheinen lag auf ihrem Gesicht; er mußte ja da sein, er mußte es sein, der sie gerettet und ihr das Leben wiedergegeben hatte. Das war ja so natürlich, das konnte nicht anders sein, jedes Glück, jedes Gnadengeschenk des Himmels mußte ihr aus seiner Hand kommen, der ihr alles auf Erden war, dem ihre ganze Seele gehörte. Sie stand auf, schlang ihre Arme um seinen Hals, und lange standen sie beide in stummer Umarmung, das höchste Glück nach so namenloser Pein umfing sie wie ein dumpfer, aber unbeschreiblich seliger Rausch; Stjepanida schluchzte leise, und auch Pawjels Augen füllten sich mit ungewohnten Tränen.

Dann aber fuhr er erschrocken zusammen und blickte nach dem seitwärts am Boden liegenden Türken hin – doch seine Besorgnis war überflüssig, seine Kugel hatte sicher den Weg zum Herzen gefunden, der wilde Baschi-Bozuk war tot, seine Augen waren gebrochen, auf seinen verzerrten Lippen schien ein letzter Fluch zu schweben, seine geballten Hände waren noch im Todeskampf drohend erhoben.

»Fort,« rief Pawjel, »fort von diesem Ort des Entsetzens, laß uns zurückfliehen zu den Unsrigen! Oh,« sagte er bitter, »sie haben mich feige verlassen, sie haben nicht gewagt, mir zu folgen, aber ich verzeihe ihnen, da mich Gott so gnädig beschützte. Wir müssen zu ihnen, wir müssen sie erreichen, es könnten neue türkische Flüchtlinge auf diesem Wege kommen, und zum zweitenmal würde kein Wunder zu unserer Rettung geschehen.«

»Was haben wir zu fürchten,« sagte Stjepanida mit glücklichem Lächeln, »wir sind vereint; was ist der Tod, wenn wir miteinander sterben?!«

»Nein,« rief Pawjel, »nein, wir wollen nicht sterben, in dem Schrecken dieser Stunde habe ich den Wert des Lebens empfunden, alle Fasern meines Wesens klammern sich an das Leben und das Glück. Laß uns fliehen, Stjepanida, schnell fliehen, ich bin feige geworden, feige für dich und für unsere Liebe.«

Schnell zog er sie mit sich fort auf dem Wege, den er vorhin in so grenzenloser Qual und Angst durchmessen hatte, und mit jedem Atemzug glaubte er die Wonne neuen Lebens einzusaugen.

Als sie stumm nebeneinander herschreitend, die Arme verschlungen, die Hände ineinander ruhend, eine Strecke auf dem gekrümmten Wege weitergegangen waren, tönte ihnen der Schall eines lebhaft fortgesetzten Gewehrfeuers, durch die Schluchten gedämpft und von den Felsen widerhallend, entgegen; erschrocken lauschend blieb Pawjel stehen.

»O mein Gott,« sagte er, »ich tat meinen Freunden unrecht, sie sind angegriffen worden, darum konnten sie mir nicht folgen – dort kämpfen sie, hörst du's – das ist ein starkes Feuer, sollte der Himmel uns verlassen, sollten wir dennoch verloren sein?«

Stjepanida schmiegte sich zitternd an ihn. Einen Augenblick noch standen sie lauschend still, dann sagte Pawjel mit kalter, fester Entschlossenheit:

»Und dennoch müssen wir dorthin, Stjepanida, so schnell als möglich; auf der andern Seite ist das feindliche Land, und wir würden in jedem Fall verloren sein, wir müssen unsere Freunde erreichen, um mit ihnen zu siegen oder zu sterben. Oh«, rief er, sich hoch aufrichtend, während das Feuer sich heftiger hören ließ, »wenn ich bei ihnen wäre, ich würde ihnen Mut und Vertrauen bringen – fort, fort, daß wir sie erreichen; Gott ist mit uns, mit uns wird der Sieg sein!«

In eiligem Lauf stürmte er weiter, Stjepanida mit sich fortreißend. Nach einiger Zeit aber blieb sie zitternd, mit schmerzlichem Seufzer stehen.

»Ich kann nicht mehr, mein Geliebter,« flüsterte sie atemlos, »meine Kraft geht zu Ende. Geh allein,« sagte sie traurig, »wohin deine Pflicht dich ruft, du bist dein Leben dem Vaterlande schuldig und deinen Freunden. Laß mich hier, wenn ihr gesiegt habt, werdet ihr mich holen – aber gib mir den Dolch, damit ich nicht in die Hände der Feinde falle und euch im Tode folge, wenn Gott euren Untergang beschlossen hat.«

»Niemals,« rief Pawjel – »niemals! Ein Wunder des Himmels hat dich mir wieder geschenkt, ich werde dich nicht verlassen.«

»Ich kann nicht mehr!« hauchte sie schmerzlich.

»Meine Kraft reicht für uns beide,« rief er – »ist der Mann nicht dazu da, um des Weibes Schwächen zu stützen?«

Er faßte sie in seine Arme und trug sie wie ein Kind fort. Sie widerstand nicht, glücklich lächelnd lehnte sie den Kopf an seine Schulter, voll Stolz und Freude ruhte sie sicher in den starken Armen des Geliebten. Aber so kraftvoll er die süße Last auch trug, so konnte er dennoch nicht mehr mit der früheren Schnelligkeit vorwärts eilen; von Zeit zu Zeit mußte er ausruhen, und langsam nur verschwand der Weg unter seinen Füßen.

Das Feuer hatte aufgehört. Abermals bat Stjepanida ihn, sie zurückzulassen, er aber hob sie wieder empor und setzte seinen Weg fort.

»Der Kampf ist zu Ende,« sagte er mit finsterem Ernst, »wir bedürfen keiner Eile mehr; entweder haben unsere Freunde gesiegt, dann ist der Weg frei für uns – oder sie sind vernichtet, dann werden wir den Feinden begegnen, und es bleibt uns nichts übrig, als zu sterben.«

Schweigend, in düsterer Ergebung, schritt er weiter, aber immer langsamer wurden seine Schritte, immer mehr fühlte er die Erschöpfung von den furchtbaren Anstrengungen. Der Weg begann sich stärker herabzusenken.

»Bald werden wir Gewißheit haben,« sagte Pawjel, »denn wir müssen der Stelle unseres Lagers nahe sein.«

Stjepanida ruhte schwer in seinem Arm, auch ihre Kraft war fast erschöpft, und immer seltener schlug sie ihre matt herabsinkenden Augen wieder auf, um mit einem Blick voll Liebe zu ihm emporzusehen und ihm zuzuflüstern, daß sie nichts fürchte, da sie gewiß sei, jedes Schicksal mit ihm zu teilen.

Noch einige Schritte tat er vorwärts, dann zuckte er zusammen in plötzlichem Schreck und ließ Stjepanida sanft auf den Boden niedergleiten.

»Horch,« sagte er, »horch – das sind Pferdetritte – das ist das Klirren von Waffen – ganz nahe, hinter dem Felsenvorsprung dort. Oh, wo ist Gott, wo ist Gott?« rief er bitter; »das sind die Feinde, jetzt ist keine Hilfe mehr möglich!«

»So laß uns sterben,« sagte Stjepanida, welche vor ihm auf den Knien lag – »töte mich zuerst mit sicherem Stoß, mein letzter Blick soll dir gehören, und bald werden wir dort oben wieder vereint sein.«

In bitterem Schmerz preßte er die Lippen aufeinander; er zog seinen Handjar aus der Scheide und richtete die Spitze der blinkenden Waffe gegen Stjepanidas Brust. Seine düsteren, brennenden Blicke starrten nach dem Felsenvorsprung hin, der die Wendung des Weges deckte – immer deutlicher, immer näher hörte man die Pferdehufe auf dem steinigen Wege, das Klirren der Waffen und den Klang von Stimmen.

Da blitzten Gewehrläufe hinter dem Felsen hervor, Pawjel senkte mit einem ächzenden Wehlaut die Klinge seines Handjars gegen die Brust der Geliebten, Stjepanida sah ihn noch einmal mit einem Blick voll Liebe an.

»Lebe wohl,« hauchte sie – »auf Wiedersehen bei Gott!« – dann schloß sie die Augen, den Todesstoß erwartend. Aber lauter Jubelruf brauste durch die Luft, die Bulgaren, welche vor den Pionieren her die Truppen des Generals Gurko führten, erkannten Pawjel und Stjepanida, und mit jauchzendem Freudengeschrei eilten sie heran, die schon für verloren Gehaltenen zu begrüßen.

»Stjepanida, Stjepanida!« rief Pawjel, seinen Handjar weit von sich schleudernd.

Langsam, wie aus einem Traum erwachend, erhob sich Stjepanida. Die Bulgaren umringten die beiden und wurden nicht müde, sie immer und immer wieder zu umarmen und ihre Wangen zu küssen.

Der Zug hielt an; bald war gegenseitig das Erlebte mit hastigen Worten erzählt. Freudig und stolz führten die Bulgaren Pawjel zu dem Leutnant Rossianow, indem sie riefen:

»Dies ist unser Führer, er allein ist so viel wert als wir alle, er hat uns gerettet, er wird uns zum Siege führen.«

Der Leutnant Rossianow begrüßte Pawjel herzlich.

»Aber wir müssen weiter,« sagte er, »denn wir dürfen keinen Augenblick verlieren, um womöglich vor der Nacht den jenseitigen Abhang zu erreichen.«

»Vorwärts, vorwärts,« rief Pawjel, der, neu belebt voll Freude und Hoffnung, all seine Kraft wiedergefunden hatte – »vorwärts, wir werden die Berge überschritten haben, ehe die Sonne sinkt – aber Stjepanida ist erschöpft, sie kann nicht weitergehen«, sagte er, bestürzt auf das Mädchen blickend.

»Laß mich zurück,« bat sie, »ich bin ja jetzt in Sicherheit.«

Pawjel sah sie traurig an, auch die Bulgaren waren schmerzlich bewegt bei dem Gedanken, sich von dem kühnen Mädchen zu trennen, das alle Gefahren mit ihnen geteilt hatte.

»Ich bedarf meines Pferdes nicht,« sagte der Leutnant Rossianow, »auf diesem Wege bin ich besser zu Fuß; wenn das Mädchen da sich im Sattel halten kann, so soll sie mit uns gehen; es würde uns ohnehin Zu lange aufhalten, sie zurückzusenden, und hier am Wege können wir sie nicht verlassen.«

»Dank, Herr, tausendmal Dank«, rief Pawjel, »für Eure Güte – sie ist gewohnt zu Pferde zu sitzen von Jugend auf, und wir werden mutiger sein, wenn Stjepanida mit uns ist.«

Rossianow stieg ab, Pawjel hob Stjepanida auf das Pferd, die Bulgaren umringten sie mit freudigen Zurufen. Schon kam ein Adjutant des Generals von Rauch, um sich nach der Ursache des Aufenthalts zu erkundigen, und schnell setzte sich der Zug vorwärts in Bewegung.

Es war ein Marsch voll Mühe und Anstrengung; häufig mußten die Pioniere den Weg freimachen, oft auch war es nötig, die Pferde von den Kanonen zu spannen, und die Mannschaften trugen dann die Geschützrohre auf ihren Schultern über die schwierigen Stellen. Die Soldaten wetteiferten miteinander, alle Anstrengungen zu überwinden, allen voran die Bulgaren; von Pawjel geführt, taten sie Wunder an Kraft, Gewandtheit und zäher Ausdauer. Stjepanida hatte, durch einen Bissen Brot und einen Schluck Branntwein gestärkt, ihre Kraft wiedergewonnen, glücklich und stolz blickte sie von ihrem Pferde auf Pawjel herab, welcher nun nach so langem, heimlichem Flüchtlingsleben endlich die Seinen, wenn auch auf geringe Zahl zusammengeschmolzen, zu offenem Kampfe den Feinden des Glaubens und des Vaterlandes entgegenführte.

Der General Gurko hatte seinen Truppen nicht zu viel zugemutet, des Führers unbeugsame Willenskraft schien sich jedem Soldaten mitgeteilt zu haben, und noch war die Sonne nicht vollständig hinter die Baumwipfel herabgesunken, als der schmale Bergpfad sich breiter öffnete und langsam absteigend sich zu einem offenen Tal niedersenkte, in welchem man ein kleines, von freundlichen Gärten umgebenes Dorf erblickte.

Die Spitze des Zuges hielt, der Leutnant Rossianow ließ die Pioniere seitwärts Aufstellung nehmen, um den Weg freizumachen, die Geschützbatterien fuhren auf der Höhe des Abhanges auf, von welcher aus sie das unten liegende Dorf beherrschten; bald erschien der General von Rauch, und unmittelbar nach ihm auch der General Gurko selbst bei der Avantgarde. Der General ließ die Schützen vorrücken, um gegen das Dorf zu marschieren, zugleich befahl er, die Kosaken und das. Husarenregiment schnell heranrücken zu lassen. Noch schien man in dem etwa eine Viertelstunde abwärts liegenden Dorfe die russischen Truppen nicht bemerkt zu haben, obwohl dieselben sich auf der Anhöhe sichtbar formierten. Die Schützen rückten vor, die Bulgaren, von Pawjel geführt, an ihrer Spitze. Stjepanida hielt auf der Anhöhe neben den Generalen, ihr schien es, daß Pawjel der Feldherr all dieser Truppen sei, stolz blitzten ihre Augen, sie zitterte nicht bei dem Gedanken an die Gefahr, war es doch ein freier, offener Kampf, dem ihr Geliebter entgegenging, und war er doch kühner und stärker als alle, über seinem Haupte mußte der Sieg schweben.

Als die Schützen schon nahe an das Dorf herangekommen waren, erschienen einige Männer vor den ersten Häusern, um schnell beim Anblick der heranrückenden Russen wieder zu verschwinden. Dann hörte man Hörnersignale zwischen den Häusern und Gärten und laute Stimmen; die versprengten türkischen Truppen, welche am frühen Morgen an dem Lager der Bulgaren vorbeigezogen waren, waren in Chankioi geblieben und hatten sich vor aller Gefahr sicher geglaubt. Das plötzliche Erscheinen der russischen Truppen hatte einen panischen Schrecken in dem Dorfe verbreitet; aber mit jener wilden, fanatischen Tapferkeit, welche den türkischen Soldaten eigentümlich ist, hatten sie sich formiert und rückten dem Feinde entgegen.

Ein kräftiges Feuer der Schützenlinien empfing sie, zugleich schlugen die Kugeln der Gebirgsbatterie in die türkischen Reihen. Der Kampf währte nur kurze Zeit, bald warfen die Türken, welche die Unmöglichkeit des Widerstandes erkannten, ihre Waffen zur Erde und erhoben die Hände zum Zeichen ihrer Ergebung. Ein Teil der hinteren Glieder wendete sich zur Flucht und eilte in das Dorf zurück, um mit einer großen Unzahl von Weibern nach der andern Seite hin in das Tal hinabzueilen; die Kavallerie war herangekommen und jagte seitwärts um das Dorf her, um die Flüchtigen einzuholen. Bald waren dieselben erreicht und die ganze Besatzung des Dorfes gefangen.

General Gurko ritt nach Chankioi hinab, Stjepanida an seiner Seite. Am Eingänge standen die Bulgaren. Pawjel hob die Geliebte vom Pferde, und lange hielten sie sich in stummer Umarmung umschlungen.

»Der Balkan ist überschritten«, sagte der General Gurko kalt und ruhig, aber wundersam leuchteten seine Augen auf, als er, sich rückwärts wendend, die riesigen Bergmassen hinter sich sah. »Ihr habt euch brav gehalten,« fuhr er mit weithin schallender Stimme zu den Truppen gewendet fort, »ihr habt euren tapferen Brüdern den Weg nach Konstantinopel geöffnet, der Zar, den Gott segnen möge, wird mit euch zufrieden sein.«

Lauter Hurraruf beantwortete die Worte des Generals. Dann ritt er vorwärts in das Dorf, in welchem ihn die von den Husaren zurückgebrachten Einwohner zitternd und demütig begrüßten.

In allen Gärten blühten und dufteten die Rosen, die sinkende Abendsonne vergoldete die liebliche Landschaft mit ihren letzten Strahlen, die Truppen schlugen ein Biwak um das Dorf auf; Pawjel aber führte Stjepanida in eins der Häuser, richtete mit zärtlicher Sorgfalt ein Lager für sie ein und brachte ihr an Speisen und Trank das Beste, was er bei den Bewohnern des Ortes auftreiben konnte. Dann küßte er ihr Zärtlich die Hand, deckte sie mit weichen Decken zu, und während sich nach den furchtbaren Anstrengungen des Tages im glückseligen Gefühl der sicheren Rettung der sanfte Schlummer auf ihr Haupt herabsenkte, ging er hinaus zu seinen Freunden, um unter dem leuchtenden Sternenhimmel ihnen zu erzählen, was er erlebt, wie Gott ihn beschützt, und ihre Herzen zu erfüllen mit freudiger Hoffnung auf die endliche, dauernde Befreiung des Vaterlandes.


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