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Von rauhen, feuchten Winternebeln verhüllt, erhob sich die Sonne des 18. Januar, dieses merkwürdigen Tages, an welchem vor einhundertsiebzig Jahren der Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, der Sohn des großen Kämpfers gegen den übermütigen und übermächtigen Ludwig XIV., in der alten Ordensstadt Königsberg sich die königliche Krone auf das Haupt gesetzt, und an welchem heute, nach fast zwei Jahrhunderten, sein Nachfolger im Schlosse jenes stolzen französischen Königs von der deutschen Nation als ihr Kaiser auf den Schild erhoben werden sollte.
Damals aber hatte der brandenburgische Kurfürst hinausziehen müssen über die Grenzen Deutschlands hin, um ein König in Preußen zu werden, als Lehensträger von Polen, weil die kaiserlichen Habsburger keine königliche Krone dulden wollten auf dem Haupte eines Fürsten, der ihnen zu den Diensten des Erzkämmerers verpflichtet war.
Die europäischen Mächte hatten von oben herab auf diese preußische Krone geblickt, welche Friedrich I. seinen Nachfolgern hinterließ, als eine Mahnung, dem glänzenden Schein die Macht und das Wesen zu geben. Und erst dem Schwert des großen Friedrich war es vorbehalten, das königliche Preußen ebenbürtig einzuführen in den Kreis der europäischen Souveräne, über deren Haupt die geschlossene Krone das Kreuz trägt, – zum Zeichen, daß nur Gott über ihnen ist, und sie auf Erden keinen Richter haben.
Die kaiserliche Krone aber, welche heute auf das Haupt des Enkels und Nachfolgers jenes ersten preußischen Königs erhoben werden sollte – sie war nicht das Symbol einer künftig zu erringenden Größe und Macht, sie war die Vollendung und Erfüllung der sehnsüchtigen Träume der Nation, welche durch Heldentaten und Siege ohnegleichen zur Wirklichkeit geworden.
Dieser Krone hatten die Nachfolger nicht erst Macht und Glanz zu geben, – sie brachte ihnen nur die Mahnung, ihre gegenwärtige Macht zu erhalten, ihren hellen Glanz zu schützen.
Wie Friedrich Wilhelm IV. einst in prophetischer Vorahnung es ausgesprochen, daß die deutsche Kaiserkrone nur auf dem Schlachtfelde erworben werden könne, – so war es erfüllt, und die ganze Nation in Waffen umgab den Grundstein des neuen deutschen Kaiserthrones.
Schon in den Tagen vorher, am siebzehnten bis zum Morgen des achtzehnten, trafen die Fahnen und Standarten der Truppen der dritten Armee, welche Paris im Süden einschloß, ein, darunter die Fahnen des ersten und zweiten bayerischen Korps; auch die Fahnen des Gardekorps waren beordert, doch trafen nur die Fahnen des ersten Garderegiments zu Fuß ein, weil die übrigen unterwegs den Gegenbefehl erhielten, da nach den Meldungen der Vorposten die Bewegungen der französischen Truppen auf einen Ausfall schließen ließen, den man beabsichtigte.
Vom frühen Morgen an war ein reges militärisches Leben in Versailles, denn die Mannschaften aller dort kantonnierenden Regimenter hatten die Erlaubnis erhalten, sich in der zum Schlosse führenden Straße aufzustellen. Auf Befehl des Königs war die ganze Infanterie der Stabswache und die Kavallerie – aber zu Fuß – zum Dienste vor und in dem Schloß befohlen und durch Mannschaften der Gardelandwehr abgelöst worden.
Die Bevölkerung von Versailles hatte nicht erfahren, um was es sich handelte. Es wurde öffentlich nur von dem Ordensfest gesprochen, um zu verhindern, daß die Franzosen durch irgendeine Unternehmung die Feier des Tages stören möchten.
Der Minister des kaiserlichen Hauses, Freiherr von Schleinitz, war in den letzten Tagen in Versailles angekommen und mit den Hofmarschällen unausgesetzt tätig gewesen, alle Vorkehrungen zu dem großen Akte zu treffen. Man hatte dem König, welcher befohlen, daß die Feierlichkeit in der Salle des glaces, diesem großen Prunkgemach des vierzehnten Ludwig, stattfinden sollte, über alle Details der Arrangements Vortrag gehalten, und er hatte fast alle vorgeschlagenen Anordnungen genehmigt. Nur als man davon gesprochen, auf der Langseite des Saales, dem Altar gegenüber, einen Haut-pas zu errichten, hatte der König dies kurz und bestimmt abgelehnt und dadurch die Hofmarschälle in eine gewisse Verlegenheit versetzt, weil es ihrer Meinung nach nicht angemessen war, daß der König, welcher nun der Kaiser werden sollte, auf ebener Erde in gleicher Linie mit allen übrigen der Feier beiwohnen sollte.
Vom frühen Morgen des achtzehnten Januar an war auch im Schlosse alles in Tätigkeit; im Saal wurden die letzten Vorbereitungen beendet, die Truppen begannen heranzurücken, um ihre Aufstellung zu nehmen, und es entwickelte sich jene tausendfach komplizierte Tätigkeit, welche stets so großen und ausgedehnten Repräsentationsfeierlichkeiten vorherzugehen pflegt und sich in den letzten Augenblicken noch verdoppelt, als ob jeder noch etwas vergessen hätte, während doch alles bis auf das Kleinste vorher überlegt und geordnet worden ist.
Nur in dem Arbeitszimmer des Königs in der Präfektur war alles wie sonst. Er hatte sich früh, seiner Gewohnheit gemäß, erhoben, seinen Kaffee genommen und die Privatbriefe durchflogen. Dann blickte er tiefernst, fast traurig aus dem Fenster hin über das dichte Gewühl von Soldaten aller Waffen, welche im Ordonnanzanzug sich dort hin und her bewegten.
»So ist es denn vollendet,« sagte er leise, »was so viele so lange ersehnt und was wie eine Unmöglichkeit, wie ein unausführbarer Traum erschien! Deutschland ist einig unter Preußens Feldherrnschaft, und das alte Reich steigt neu verjüngt aus seinem Grabe empor. Segne dies neue Deutschland, mein Gott,« sprach er, die Hände faltend, – »aber auch mein altes Preußen segne für und für und laß es kräftig und fest fortbestehen als den Grundstein dieses neuen Baues, den aufzurichten du mich bestimmt hast.«
Lange stand er schweigend da und fuhr erst aus seinen tiefen Gedanken empor, als der Kammerdiener den Oberhofmarschall Grafen Pückler meldete.
Der König wandte sich der Tür zu und begrüßte mit herzlicher Freundlichkeit den Grafen, welcher in dem Kampagneüberrock mit den Schulterstücken des Generalleutnants hereintrat.
»Guten Morgen, mein lieber Graf Pückler,« sagte der König lächelnd, – »kommen Sie, um von dem König Abschied zu nehmen, bevor Sie in den Dienst des Kaisers treten? – Sie werden sich irren, der Kaiser wird keine Hofmarschälle haben, im Dienst des Kaisers werden Sie nur als General stehen, Hofmarschall müssen Sie schon beim König von Preußen bleiben.«
»Das hoffe ich, Majestät,« erwiderte der würdige alte Herr, indem seine kleine schmächtige Gestalt vor Bewegung zitterte und tiefe Rührung auf seinem Gesicht erschien, »solange ich lebe, werde ich meinen Dienst nicht mehr verändern; – doch ich komme,« sagte er nach einer kleinen Pause, »um Eurer Majestät Befehle nochmals zu erbitten –«
»Nun, ist noch etwas nicht klar, noch etwas nicht in Ordnung?« fragte der König. »Es war ja doch alles festgesetzt.«
»Alles ist fertig,« erwiderte Graf Pückler, »die Dekoration des Saales ist beendet. Aber,« – fuhr er mit einem gewissen Zögern fort, – »ich möchte Eure Majestät nochmals darauf aufmerksam machen, daß der Platz für Allerhöchstdieselben, dem Altar gegenüber, durch gar nichts ausgezeichnet ist – was vielleicht dem Eindruck der Feier schaden möchte – und ich möchte fragen, ob Allerhöchstdieselben nicht befehlen wollten, dort einen Haut-pas zu errichten – ich habe darüber mit dem Kronprinzen gesprochen, und auch Seine Königliche Hoheit –«
»Nein,« fiel der König ein, auf dessen Gesicht zuerst ein ernster, fast ungeduldiger Ausdruck erschienen war und der jetzt den Grafen Pückler mit forschendem Blick und schalkhaftem Lächeln ansah, – »nein – lassen Sie den Haut-pas!«
»Aber wenn Eure Majestät die Gnade haben wollten, zu erwägen –« sagte der Hofmarschall.
»Nein, nein,« sprach der König jetzt sehr ernst und bestimmt, »es soll alles bleiben, wie es ist, ich habe schon mehrfach meine Meinung gesagt.«
Graf Pückler verneigte sich schweigend.
»Alles übrige ist also in Ordnung?« fragte der König.
»Zu Befehl, Majestät.«
»Gut,« sagte der König, »Punkt zwölf Uhr werde ich dort sein.«
Und mit freundlicher Handbewegung entließ er den Grafen Pückler.
»Ich sehe wohl, was sie wollen,« sagte er, ihm nachblickend, »mit ihrem Haut-pas. Aber ich will das nicht,« fügte er ernst hinzu.
Der Flügeladjutant vom Dienst trat ein und überreichte dem König ein soeben angekommenes Telegramm.
Der König öffnete dasselbe.
»Vom alten Wrangel,« sagte er lächelnd, – »der brave Mann vergißt mich nicht, leider hat er nicht mehr hinausziehen können in diesen großen und heiligen Krieg, aber er hat doch auch mitgefochten an den Siegen, die wir heute errungen, denn sie bilden doch nur das letzte Glied in der jahrhundertelangen Kette der Siege meiner Armee, und deren Veteranen haben wohl das Recht, durch den ehrenreichen Feldmarschall dem Kaiser den ersten Gruß und Glückwunsch zu bringen.«
Er trat schnell an seinen Schreibtisch und schrieb mit kräftigen Zügen einige Zeilen. Dann reichte er das Blatt dem Flügeladjutanten und sprach:
»Hier die Antwort, lassen Sie dieselbe schnell abgehen.«
Er blickte auf seine Uhr.
»Ich habe noch Zeit übrig,« sprach er, »diese Zeit muß ich benützen, denn an diesem Tage, welcher den reichen Ehrenpreis des langen Ringens und Strebens meiner Vorfahren und meines Volkes bringt, darf ich nicht versäumen und vergessen, was in jahrhundertelanger, ununterbrochener, gleichmäßiger Fortführung uns bis hierher gebracht hat – die Arbeit – die Arbeit, welche der Lebensberuf meines Volkes gewesen ist von seinem Thron herab bis zu seinen Hütten.«
Er trat zu dem Schreibtisch, auf welchem, wie sonst, die von Tag zu Tag zu erledigenden Sachen niedergelegt waren, und begann eine Nummer nach der anderen genau durchzulesen, bald durch einen kurzen Namenszug die ihm unterbreiteten Vorschläge genehmigend, bald Bemerkungen und Fragen an den Rand notierend.
Plötzlich hielt er bei der Durchlesung eines der an ihn eingesandten Schriftstücke betroffen inne:
»Mein Gott,« fagte er, »welch eine wunderbare Fügung! Da wird mir der Befehl zur Neubedachung des Klosters Lehnin gerade heute vorgelegt! Dieser alte Abt von Lehnin, welcher in seinen lateinischen Versen den Schicksalslauf der Hohenzollern oft so treffend vorhergesagt, er hat ja auch Deutschlands Einigung prophezeit und dabei zugleich geschrieben, daß dann auch das Kloster Lehnin ein neues Dach erhalten werde. Wie seltsam, wie wunderbar, daß am heutigen Tage, während sich alles schon zum Kaiserfest versammelt, diese Verfügung mir vorgelegt wird!«
Und leise flüsternd zitierte er die Worte der Lehniner Weissagung:
» Et pastor habelit gregem
Et Germania regem.«
»Nun,« rief er dann, »wie ich heute die Bedachung des alten Klosters befehle, so möge das Dach, welches an diesem Tage über Deutschland errichtet wird, fest gefügt sein und dem großen Vaterland Schutz und Schirm gewähren gegen alle Stürme und Wetter der Zukunft.«
Und mit kräftigen Zügen setzte er seinen Namen unter das vor ihm liegende Schriftstück.
Der Kammerdiener trat aus der Tür, welche zum Schlafzimmer des Königs führte, und sprach:
»Wenn Eure Majestät die Gnade haben wollen – es wird Zeit sein, Allerhöchstihre Toilette zu machen.«
»Die Uniform des ersten Garderegiments,« befahl der König aufstehend, – »das Band vom Schwarzen Adlerorden und alle Kriegsorden und Denkmünzen – aber nur die Kriegsorden.«
Der Kammerdiener ging hinaus.
»Die Tapferkeit meines kriegstüchtigen Volkes hat mich hierher geführt,« sprach der König, »die deutsche Armee umgibt mich; als des deutschen Volkes oberster Kriegsherr soll der Kaiser an die Spitze der deutschen Fürsten treten. Darum passen für diesen Tag nur die Ehrenzeichen, welche ich als Feldherr meiner siegreichen Heere trage.«
Er stand noch einen Augenblick schweigend da, faltete die Hände und schien in leisem, stillem Gebet mit Gott zu sprechen.
Dann folgte er dem Kammerdiener in sein Schlafzimmer.
*
Wagen auf Wagen rollten in den Ehrenhof des Schlosses von Versailles, von dessen Mittelbau an der Stelle der sonst dort aufgezogenen weißen Fahne mit dem roten Kreuz heute die purpurne Standarte der Könige von Preußen mit dem eisernen Kreuz in der Mitte und den schwarzen Adlern in den vier Feldern herabwehte.
Die Fürsten und die Offiziere aller Grade und Waffengattungen versammelten sich zu der großartigen und einzigen Feier der Proklamation des deutschen Kaisers in dem alten Königssitz des besiegten Frankreich.
Auf der großen Treppe am linken Schloßflügel stieg man zu den Gemächern des großen Königs empor, dessen Sinnbild die Sonne war, die Sonne, vor welcher der Adler der Hohenzollern, seiner Devise getreu, seinen Flug nicht gesenkt hatte. Die preußischen und deutschen Offiziere, die dekorierten Mannschaften und die Fahnenträger begaben sich nach der prachtvollen galerie des glaces, diesem riesigen Raum, welcher die höchste Pracht des altfranzösischen Hofes gesehen, aber in welchem gewiß niemals ein gewaltigeres historisches Ereignis sich abgespielt hatte als heute. Wunderbar kontrastierte diese Versammlung, welche die Blüte der Waffenkraft Deutschlands repräsentierte, mit der Dekoration des Saales.
Der mächtige Raum, in welchem einst Ludwig XIV. den Dogen von Genua vor sich knien sah, ist hoch gewölbt und empfängt sein Licht durch siebzehn große Fenster, welche vom Boden bis zur Decke aufsteigen und nach der Gartenterrasse hinausgehen. Jedem Fenster entspricht an der gegenüberstehenden Wand eine mit riesigen Spiegeln ausgelegte Nische. Die Wände zwischen den Fenstern und Nischen sind mit braungelblichem, weißgeadertem Marmor bekleidet; in den Fensternischen selbst sieht man Mosaike von schwarzem, weißem und rotem Marmor. Die Ornamente der Türen und der Schmuck der oberen Teile der Wände sind reich vergoldet, und Plastik und Malerei haben in reichster Fülle zum Schmuck des Saales und seines Gewölbes beigetragen.
Das Auge kann alle diese Reliefs, teils aus blauem Gestein auf goldenem Grund geschnitten, alle diese Trophäen und Waffenschilder kaum fassen. Es ist ein Übermaß von Pracht und Reichtum, aber nicht erdrückend und überladen, weil alles dennoch im edelsten Stil gehalten ist. Deutlicher treten unter allem diesem Schmuck die sieben großen und acht kleineren Deckengemälde hervor, sowie die beiden Gemälde innerhalb der runden Wölbungen über der Ein- und Ausgangstür. Alle diese Bilder stellen die Siegesherrlichkeit Ludwigs XIV. vor mit den jener Kunstperiode eigentümlichen Allegorien. Am bedeutungsvollsten tritt unter denselben hervor des Königs siegreicher Übergang über den Rhein, ein Gemälde, auf welchem Ludwig XIV., umgeben von allen Gottheiten des Olymps, erscheint, während finstere Titanengestalten zu seinen Füßen sich vergebens bemühen, sich seinem Siegeslauf entgegenzustellen.
Und unter diesem Bilde versammelten sich im schimmernden Waffenschmuck die Vertreter der deutschen Heere, um den König von Preußen zum deutschen Kaiser auszurufen, den König von Preußen, den jener stolze Ludwig, der mit dem ruhig siegesgewissen Lächeln aus dem Bilde herabsah, einst kaum als seinesgleichen anerkennen wollte.
An dem Mittelpfeiler der nach dem Garten gehenden Langseite des Saales war ein Altar errichtet, den eine rote Decke mit dem Zeichen des eisernen Kreuzes bekleidete.
Vor diesem Altar stand die Geistlichkeit im Ornat. In der Mitte der Hof- und Garnisonsprediger Rogge, um ihn her die Divisionsprediger Abel und Richter, der Oberpfarrer für die Lazarette der dritten Armee, Rettich, der Konsistorialrat Lehmann, der Konsistorialrat Reitzenstein und der Divisionspfarrer Hosemann.
Unmittelbar neben dem Altar stand die Regimentsmusik der Königsgrenadiere, des siebenundvierzigsten und achtundfünfzigsten Infanterieregiments, sowie ein aus den Mannschaften derselben Regimenter gebildeter Sängerchor.
Rechts und links von dem Mai waren die Truppen aufgestellt, welche die Fahnen nach Versailles begleitet hatten.
Auf der anderen Langseite des Saales standen die Offiziere, so jedoch, daß ein weiter Raum unmittelbar dem Altar gegenüber frei blieb. An der schmalen Seite des Saales, dem Eingang gegenüber, war eine Estrade errichtet, auf welcher die Fahnenträger mit den Fahnen standen, und sechsundfünfzig Fahnen der verschiedenen Korps entrollten sich hier, um den Kaiser zu grüßen, der sie siegreich dem Feind entgegengeführt hatte. Die Tür und die Wand hinter dieser Estrade waren mit einem großen Samtvorhang von tiefroter Farbe überzogen, und dieser bildete einen prachtvollen, malerischen Hintergrund für die aufgerollten Feld- und Ehrenzeichen der Armee. Am Fuß der Estrade sowie an den Eingängen zur Galerie hielten Gardedukorps mit gezogenem Pallasch Wache.
Vor der linken Seite der Aufstellung der Offiziere hatte der Bundeskanzler Graf Bismarck, welcher an diesem Tage zum Generalleutnant ernannt war, seinen Platz genommen. Er trug nicht wie sonst den weißen Waffenrock des siebenten Magdeburgischen Kürassierregiments mit dem gelben Kragen, sondern die große Generalleutnantsuniform mit dem Orangeband des Schwarzen Adlerordens und dazu die sonst bei dieser Uniform nicht gebräuchlichen hohen Reiterstiefel. Der Graf blickte ernst, aber stolzen und leuchtenden Blickes über diese Versammlung hin, welche das herrliche Endziel seiner jahrelangen mühe- und sorgenvollen Arbeiten bildete.
Neben ihm stand der Minister des königlichen Hauses Freiherr von Schleinitz. Rechts standen der Staatsminister Delbrück, der wirkliche Geheime Legationsrat Abelen, dann der General Moltke und die übrigen anwesenden Generale mit dem englischen Militärbevollmächtigten General Walker, dem russischen Militärbevollmächtigten von Gurn und dem englischen Abgesandten im Hauptquartier Odo Russel.
Während diese ganze Versammlung sich in leise flüsterndem Ton unterhielt und die Blicke der sämtlichen von den Truppen hierher kommandierten Offiziere sich mit dem höchsten Interesse auf die charakteristischen Persönlichkeiten des Bundeskanzlers und des Generals von Moltke sowie auf die übrigen hervorragenderen Generale des Hauptquartiers richteten, war der Kronprinz in Begleitung seiner Adjutanten und seines Generalstabschefs, des Generalleutnants von Blumenthal, herangefahren. Vor dem Wagen des Kronprinzen ritten die zum Hauptquartier kommandierten Feldgendarmen – Preußen, Bayern, Württemberger und Badenser – und ein Zug vom zweiten schlesischen Dragonerregiment Nummer acht. Der Kronprinz fuhr an dem östlichen Eingang an dem escalier des Princes an, vor welchem auf dem Schloßhof eine Kompagnie des Königs-Grenadierregiments mit der Fahne als Ehrenwache aufgestellt war.
Hier befanden sich bereits die Prinzen Karl und Adalbert von Preußen, der letztere in der großen Admiralsuniform, der Kronprinz von Sachsen, die Großherzoge von Weimar und Oldenburg, die Herzoge von Koburg, Meiningen und Altenburg, der Fürst von Schwarzburg-Rudolstadt, die Prinzen Luitpold, Otto und Leopold von Bayern, der Prinz Georg von Sachsen, die Prinzen Wilhelm und August von Württemberg, der Herzog Eugen von Württemberg und sein Sohn gleichen Namens, der Erbprinz von Hohenzollern, der Landgraf von Hessen, der Herzog von Augustenburg, die Fürsten von Wied, von Putbus, von Lynar und von Pleß, die Prinzen von Reuß, Croy und Biron von Kurland; auch der Bundeskanzler, der Minister von Schleinitz und die Generale hatten bei der Ankunft des Kronprinzen sich hierher begeben, während im Saal der Major Dresow bei der Fahnenaufstellung und die Hofmarschälle und der Kommandant von Versailles, General von Voigts-Rheetz, unter den übrigen Versammelten für die Aufrechterhaltung der vorgeschriebenen Ordnung der Zeremonie Sorge trugen.
Punkt zwölf Uhr fuhr der König an der Treppe der Prinzen vor, schritt die Front der Ehrenwache ab und begab sich dann mit den Prinzen, Fürsten, Generalen und Ministern in die Chambres de la Reine, welche an die große Spiegelgalerie anstoßen. Der König begrüßte die Fürsten einzeln mit freundlicher Herzlichkeit, ohne jedoch eine Unterhaltung zu beginnen, nur dem Erbgroßherzog von Mecklenburg-Schwerin drückte er sein inniges Bedauern aus, dessen Vater hier zu vermissen, der in rühmlichster Tätigkeit auf seinem militärischen Kommando abwesend war. Vor dem Prinzen Leopold von Bayern, einem jungen blühenden Mann in der Hauptmannsuniform der Artillerie, blieb der König stehen, und indem er leicht mit der Hand auf das Ritterkreuz des Militär-Max-Joseph-Ordens deutete, das der Prinz auf seiner Brust trug, sagte er mit dem Ausdruck innigen Wohlwollens:
»Ich wünsche Eurer königlichen Hoheit von Herzen Glück zu dieser Dekoration, wozu ich noch keine Gelegenheit fand. Sie sind seit langer Zeit der erste königliche Prinz, der sich diesen Orden erwarb, bei dem kein Rang und Stand, sondern nur das Verdienst gilt. Ich weiß, was es heißt,« sagte er, »die erste militärische Auszeichnung zu erhalten, es ist zwar schon lange her, aber ich werde jene Zeit niemals vergessen.«
Sein Blick streifte herab über die auf seiner Brust hängenden Zeichen des eisernen Kreuzes und des russischen Georgenordens, und einige Sekunden schien sein Geist sich in ernst-wehmütige Erinnerungen zu tauchen. Dann schüttelte er noch einmal dem jungen Prinzen kräftig die Hand, der ganz strahlend und glücklich dastand, und wandte sich zu dem nächsten der Fürsten.
Bald erschien der Hofmarschall Graf Pückler in der großen Generalleutnantsuniform und meldete Seiner Majestät, daß alles zum Beginn der Feier bereit sei.
Unter Vortritt der Hofmarschälle Grafen Pückler und Perponcher begab sich der König in den Spiegelsaal, während der Kronprinz, die Fürsten, Minister und Generale ihm folgten. Mit einem raschen Blick umfaßte der König die ganze Versammlung und schritt dann zu dem leeren Raum dem Altar gegenüber. Die Fürsten stellten sich um ihn her, die Minister und Generale begaben sich an ihre Plätze.
Beim Eintritt des Königs begann der Sängerchor das Lied »Jauchzet dem Herrn alle Welt« zu singen, und es war wohl kein Herz in dieser großen Versammlung, in welchem die Töne dieses Lob- und Jubelliedes nicht mächtigen Widerhall gefunden hätten.
Als die Töne des Liedes verklungen waren, trat der Kronprinz einen Schritt vor und kommandierte mit lauter, weithin durch den großen Saal schallender Stimme:
»Helm ab zum Gebet!«
Unmittelbar darauf begann der Gottesdienst mit dem Liede der Gemeinde – einer Gemeinde, wie sie wohl selten auf Erden wieder sich zu gemeinsamer Andacht versammeln möchte – »Sei Lob und Ehr' dem höchsten Gott.«
Nach Beendigung des Liedes hielt der Divisionsprediger Rogge seine Rede über den einundzwanzigsten Psalm und wies in kräftigen Worten darauf hin, daß hier in diesem Saal für jeden, der Gottes Fügungen in der Geschichte verfolge, von allen Wänden das flammende Mene Tekel in deutlichen Zeichen rede. Hier hätten die Könige Frankreichs in hochmütiger Selbstvergötterung residiert und manche Pläne zur Erniedrigung Deutschlands gefaßt, und hier in diesem Saale vollziehe sich jetzt in dieser großen Stunde, die alle Schmach sühne, welche hier ersonnen und von hier ausgegangen sei, die Wiedergeburt des deutschen Reiches, und der neue Kaiser des deutschen Vaterlandes habe in dem einfachen schwarzen Kreuzeszeichen, das diesen Altar ziere, seine Überzeugung von der ewigen Wahrheit ausgedrückt, welche in dem Worte liege, das hier fast unwillkürlich aus allen Herzen aufsteige: »Gott in der Höhe allein die Ehre.« Ein kurzes, kräftiges Gebet folgte dieser schlichten und ergreifenden Rede und dann erklang, von dem Musik- und Sängerchor intoniert und von allen Anwesenden begeistert mitgesungen, das alte herrliche Lied Martin Ringhardts:
»Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen.«
Nachdem der Gottesdienst beendet war, stand der König noch einige Augenblicke mit gefalteten Händen stumm da. Dann blickte er nach den aufgestellten Fahnen hinüber und begab sich, von den Fürsten gefolgt, zu der Estrade an der schmalen Seite des Saales. Vor der Estrade blieb er stehen und befahl den Fahnenträgern – was auf dem schmalen Raum nicht ganz leicht war – ganz zurück an die Wand zu treten, um die Estrade so viel als möglich freizumachen. Dann wandte er sich zu dem Großherzog von Baden und ersuchte denselben, auf die Estrade zu treten. Als der Großherzog einen Augenblick zögerte, wiederholte der König seine Bitte in bestimmter Weise und ersuchte darauf auch die sämtlichen übrigen deutschen Fürsten, auf die Estrade zu steigen. Als dies geschehen war, stieg er ebenfalls mit dem Kronprinzen und den Prinzen Karl und Adalbert auf die Erhöhung. Hier wandte er sich noch einmal zu den Fahnen zurück und rief die Fahnenträger der drei Fahnen des ersten Garderegiments zu Fuß, der Fahne des Garde-Landwehrbataillons und der drei Fahnen seines Grenadierregiments heran.
»Mit diesen drei Truppenteilen«, sagte er zu den umstehenden Fürsten, »habe ich schon seit den Jahren 1807, 1816 und 1817 in unmittelbarer Beziehung gestanden, diese Fahnen sollen deshalb auch heute unmittelbar neben mir stehen.«
Dann sprach er mit lauter, kräftiger Stimme:
»Durchlauchtigste Fürsten und Bundesgenossen!
In Gemeinschaft mit der Gesamtheit der deutschen Fürsten und freien Städte haben Sie sich der von des Königs von Bayern Majestät an mich gerichteten Aufforderung angeschlossen, mit Wiederherstellung des deutschen Reiches die deutsche Kaiserwürde für mich und meine Nachfolger an die Krone Preußen zu übernehmen. Ich habe Ihnen, durchlauchtigste Fürsten, und meinen anderen hohen Bundesgenossen bereits schriftlich meinen Dank für das mir kundgegebene Vertrauen und meinen Entschluß ausgesprochen, Ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Diesen Entschluß habe ich gefaßt in der Hoffnung, daß es mir unter Gottes Beistand gelingen werde, die mit der kaiserlichen Würde verbundenen Pflichten zum Segen Deutschlands zu erfüllen. Dem deutschen Volke gebe ich meinen Entschluß durch eine heute von mir erlassene Proklamation kund, zu deren Verlesung ich meinen Kanzler auffordere.«
Unmittelbar darauf trat der Bundeskanzler Graf Bismarck an die Estrade heran, erhob mit der linken Hand das hoch bedeutungsvolle historische Dokument, durch welches das große Ereignis dieses Tages dem deutschen Volk kundgegeben wurde, und verlas, indem er zugleich seinen Helm am Riemen mit dem Papier in der Hand hielt, mit lauter, den ganzen Saal metallisch durchklingender Stimme die Kaiserproklamation, diese frohe Botschaft des neugeeinten, großen und mächtigen Deutschlands.
Er schwieg und trat, gegen den Kaiser sich tief verneigend, zurück.
Einen Augenblick herrschte lautlose Stille in dem weiten, dichtgefüllten Raum. Dann trat der Großherzog von Baden an den Rand der Estrade vor, schwang den Helm hoch empor und rief mit einer vor Rührung und Begeisterung zitternden Stimme: »Seine Majestät der König Wilhelm, der Kaiser von Deutschland, lebe hoch!«
Da brach die jubelnde Begeisterung von allen Seiten aus, alle Hände reckten sich empor, alle Helme hoben sich in die Luft, die Waffen rasselten, und donnernd und brausend schallte es von den Wänden und Wölbungen des Saales wieder:
»Es lebe der König Wilhelm, der deutsche Kaiser!«
Kein Stolz, keine selbstbewußte Erhebung zeigte sich auf dem Gesicht des Königs. Mit ernstem, fast demütigem Ausdruck richtete er die Augen aufwärts und neigte sich dann dankend für den jubelnden Gruß, darauf umarmte er den Kronprinzen und hielt ihn lange und innig gegen seine Brust gedrückt. Ebenso umarmte er seinen Bruder und die verwandten Fürsten und trat dann von der Estrade herab, um, abermals gefolgt von den Fürsten, Ministern und Generalen, langsam die freie Mitte des Saales durchschreitend, durch eine dichte Reihe von Trägern des eisernen Kreuzes sich zum Ausgang zu begeben.
In der Salle de la paix begrüßten ihn die frischen, kräftigen Klänge des Hohenfriedberger Marsches, unter denen der große Friedrich einst die preußischen Fahnen zum Siege geführt, und während der König vorüberschritt, gingen diese Töne in das »Heil dir im Siegerkranz« über, mit welchem die Armee und das Volk von Preußen seinen Herrscher bei allen großen Gelegenheiten begrüßt und welches auch heute an diesem herrlichen kaiserlichen Ehrentage seinen Platz in der Feier haben mußte.
Ernst und bewegt verabschiedete sich der König kurz von den ihn begleitenden Fürsten und Prinzen, stieg schnell in seinen Wagen und fuhr nach der Präfektur zurück.
Eine Stunde später trat der Geheime Hofrat Schneider in das Kabinett des Königs.
»Eure Majestät haben befohlen,« sagte der Geheime Hofrat.
Der König, welcher wieder den bequemen Uniformüberrock angelegt hatte, fragte halb ernst, halb lächelnd:
»Nun, Schneider, was sagen Sie?«
»Ich sage, Majestät,« erwiderte der Hofrat, auf dessen Gesicht eine außergewöhnliche Bewegung sichtbar war, – »ich sage, daß ich sehr glücklich und Gott dankbar bin, daß es mir vergönnt war, den heutigen Tag zu erleben und mitzuleben. Eine solche Versammlung, wie die heutige, und eine solche Proklamation tut meinem alten Herzen wohl; – den Kaiser zu sehen in der Mitte einer Vertretung aller Korps der Armee, den Kanzler in der Generalleutnantsuniform, das ist eine Art von Parlamentarismus, den ich verstehe, dabei gibt es keine Abstimmung, keine Majoritäten, alles ist Ordnung und Pünktlichkeit.«
»Glauben Sie,« fragte der König immer lächelnd, »daß Preußen aufhören wird, weil sein König deutscher Kaiser geworden ist?«
»Nein, Majestät,« rief der Hofrat, »das glaube ich nicht – das glaube ich nun gewiß nicht mehr. Ich hoffe, daß die gute alte preußische Art lebendig und kräftig das Deutsche Reich durchdringen wird, wie der brandenburgische Geist das Königreich Preußen groß gemacht hat.«
»Das glaube ich auch,« sagte der König ernst, »das weiß ich – dazu wird Gott seinen Segen geben – wenn das neue Kaisertum im rechten Geist gehandhabt wird, wenn die Rechte der Fürsten und der Stämme geachtet werden, wenn die Kaiser immer die Führer Deutschlands bleiben und niemals seine Herren werden wollen. Haben Sie wohl bemerkt?« sagte er dann – »sie hatten eine Estrade errichtet, um mich unter den übrigen zu erhöhen – sie hatten ein Haut-pas errichten wollen dem Altar gegenüber – aber das hatte ich verboten. Da haben sie nun die Fahnen auf die Estrade gestellt, weil sie wohl wußten, wo meine Fahnen sind, da gehe ich auch hin – ich habe das wohl gemerkt – aber ich habe alle Fürsten vor mir auf die Estrade steigen lassen – ich will wohl der Erste unter ihnen sein, aber mich nicht über sie stellen – so werden sie hoffentlich alle Vertrauen und Liebe zu mir gewinnen und behalten!«
»Ich habe nur den einen Wunsch, Majestät,« sagte der Hofrat, – »daß das ganze Deutschland diese Worte seines Kaisers hören könnte.«
»Worte sind nichts, Schneider,« sagte der König, »ich hoffe, sie werden aus meinen Taten meinen Sinn erkennen.«
»Die Welt ist schon lange gewöhnt, Majestät,« erwiderte der Geheime Hofrat, »daß Preußen in Taten spricht, – und wenn sie auch oft schwerhörig sich anstellte, – schließlich hat sie doch immer verstehen müssen.«
»Der alte Abt von Lehnin hat doch recht gehabt,« sagte der König sinnend, – »Sie sprachen neulich von seiner Prophezeiung, – denken Sie, daß ich heute morgen den Befehl unterzeichnet habe, dem Kloster Lehnin ein neues Dach zu geben!«
»Priscaque Lehnini
Surgent et tecta Chorini.«
»Wunderbar merkwürdig!« rief der Geheime Hofrat betroffen, – dann zuckte ein feines Lächeln um seine Lippen, und er sprach, indem er mit den Augen blinzelnd zum König emporblickte:
Der alte geistliche Herr hat recht gehabt, – ich weiß aber jemand, der auch recht hat und sich heute die Hände reibt!«
»Und das ist?« fragte der König.
»Wilhelm Schultze, Majestät,« erwiderte der Hofrat, – »der alte ehrliche Wilhelm Schultze, den sie mir jetzt zum Kutschke modernisieren, – er hat glänzend Recht behalten, – denn, Majestät, – ihren Soufflet haben sie bekommen, ›Na – und feste‹!«
Der König lachte herzlich.
Der Flügeladjutant meldete Seine Königliche Hoheit den Kronprinzen.
Rasch trat der Sieger von Wörth, der fürstliche Feldmarschall, ein und eilte in die weitgeöffneten Arme seines Vaters, während der Geheime Hofrat still und leise das Zimmer verließ.