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Der große Bahnhof in Kassel war ziemlich leer um die zehnte Abendstunde desselben Tages. Auf dem Platz vor dem äußeren Eingang des großen rundförmigen Baues standen die Wagen der verschiedenen Hotels. Einzelne Reisende warteten in den Wartesälen, und die diensttuenden Beamten gingen auf dem Perron auf und nieder, denn der von Köln und Hannover kommende Zug war signalisiert.
Unter den Eisenbahnbeamten konnte man auf dem Perron verschiedene Personen bemerken, welche trotz ihres Zivilanzuges eine gewisse militärische Haltung hatten.
Ein zweispänniger, verschlossener Wagen, ohne Bedienten, mit einem Kutscher in dunkler Livree, fuhr einige Zeit vor Ankunft des Zuges schnell von der Stadt her an den Bahnhof heran. Ein Herr, in einen weiten Überrock gehüllt, einen runden, tief in das Gesicht gedrückten Hut auf dem Kopf, stieg aus und wurde, nachdem er einige Worte mit dem vor dem Eingang der Wartesäle stehenden Beamten gewechselt, von diesem diensteifrig auf den dem Publikum noch verschlossenen Perron geführt, wo er auf dem von den hellen Gaslaternen am wenigsten erleuchteten Raum auf und nieder ging und, jede Begegnung mit den übrigen Personen vermeidend, mit sichtlicher Ungeduld die Ankunft des Zuges erwartete.
Es dauerte nicht lange, so erblickte man in der Ferne auf dem Schienengleise die hell leuchtenden Vorderlaternen der heranbrausenden Lokomotive. Der Zug fuhr vor, die Türen zu den Wartesälen wurden geöffnet, und bald füllte sich der Perron mit den aussteigenden Reisenden.
Der Herr im Überrock ging an der Wagenreihe entlang und blickte aufmerksam in die geöffneten Waggons.
In einem Halbkupee erster Klasse saßen zwei schwarzgekleidete Damen, die Gesichter mit dunklen seidenen Schleiern verhüllt. Ein Diener in schwarzer Reiselivree trat heran und nahm einige Handkoffer in Empfang, welche die eine der Damen ihm hinausreichte.
Der Herr im Überrock schien gefunden zu haben, was er suchte. Er näherte sich den beiden Damen, lüftete leicht den Hut und sagte in französischer Sprache:
»Wir haben Sie erwartet, Madame, und alles ist zu Ihrem Empfang bereit.«
Dann gab er der einen der beiden Damen seinen Arm und führte dieselbe, während ihre Begleiterin mit einem Diener, der einen Teil des Handgepäcks einem Kofferträger gegeben hatte, nachfolgte, zu dem neben den Hotelfuhrwerken haltenden Wagen. Das Gepäck wurde untergebracht, die Damen und der Herr stiegen ein, der Diener sprang auf den Bock, und im raschen Trabe eilten die für die einfache Equipage auffallend schönen und edlen Pferde auf dem Weg nach der Stadt dahin. Der Wagen wendete sich der großen Allee zu, welche nach Wilhelmshöhe hin führt, und hielt nach kaum einer halben Stunde auf der Rampe vor dem inneren Eingang des Schlosses, ohne daß er durch die Schildwache, welche ihre Instruktionen haben mußte, aufgehalten worden wäre.
Der General Reille, der Graf Castelnau und der Prinz Murat waren auf dem Vestibül. Der Herr, welcher, aus dem Wagen springend, in dem hellen Licht der Gasflammen seinen Hut abnahm und der ersten der beiden Damen die Hand reichte, um ihr aus dem Wagen zu helfen, zeigte sich als der Fürst von der Moskwa. Die sämtlichen Herren verneigten sich tief, – mit leichter Bewegung des Hauptes grüßend, ging die Dame, welcher der Fürst von der Moskwa voranschritt, in das Innere des Schlosses, während ihre Begleiterin von den übrigen Herren mit herzlicher Begrüßung empfangen wurde.
Vor dem Zimmer des Kaisers blieb der Fürst von der Moskwa stehen, öffnete die Tür und ließ, ehrerbietig zur Seite tretend, die Dame an sich vorübergehen, worauf er sofort die Tür wieder schloß.
Die verschleierte Dame durchschritt das Vorzimmer. An der Tür des dahinter liegenden Arbeitskabinetts des Kaisers trat ihr Napoleon in seiner schwachen, unsicheren Haltung, die linke Hand auf den Stock gestützt, entgegen. Die Dame schlug den Schleier zurück, und im Lichte der von der Decke herabhängenden Ampel, deren Strahlen sich mit dem Schein einer großen Lampe mit blauem Schirm vermischten, welche auf dem Schreibtisch des Kaisers stand, zeigten sich die edlen, klassisch schönen Züge der Kaiserin Eugenie, bleich, schmerzvoll und abgespannt und in der schwarzen Umhüllung noch marmorähnlicher erscheinend.
Der Kaiser zitterte so heftig, daß der Stock, auf welchem er sich stützte, hin und her schwankte. Dann faßte er sich mit Aufbietung aller Willenskraft, – und mit einer Bewegung, welche an die ritterliche Galanterie seiner früheren Tage erinnerte, trat er seiner Gemahlin entgegen, hob deren Hand an seine Lippen und führte sie dann zu dem im Hintergrund des Zimmers stehenden Kanapee, während er sich selbst in einen Sessel neben demselben mit allen Zeichen körperlicher Erschöpfung niedersinken ließ.
Die starre, kalte Ruhe, welche bisher auf dem Gesicht der Kaiserin gelegen hatte, machte einem Ausbruch heftiger und leidenschaftlicher Erregung Platz. Sie warf den Kopf gegen die Rücklehne des Kanapees zurück, Zorn und Verzweiflung flammten aus dem Blick ihrer großen Augen, die sie in dem Gemach umherschweifen ließ. Dann hob sich ihre Brust unter lautem Schluchzen, ein Tränenstrom rann über ihre Wangen herab, sie drückte ihr Taschentuch fest auf ihr Gesicht und versuchte vergeblich, die konvulsivische Erregung zu bekämpfen, welche ihren ganzen Körper in zitternder Bewegung hin und her warf.
Der Kaiser blickte ernst und traurig auf seine Gemahlin hin, – still und schweigend, – er wollte ihr Zeit lassen, den ersten wilden Ausbruch ihrer Gefühle bei diesem so schmerzlichen Wiedersehen zu überwinden.
Endlich wurde das Schluchzen der Kaiserin leiser, sie sank wie ermattet in sich zusammen und nahm das fast ganz durchnäßte Taschentuch von ihren Augen, der Kaiser beugte sich ein wenig vor und legte seine Hand auf diejenige seiner Gemahlin.
»Das Verhängnis hat uns schwer getroffen, Eugenie,« sagte er mit sanfter, ruhiger Stimme, – »in dieser so kurzen Spanne Zeit. Wer hätte es geahnt, als wir in St. Cloud voneinander Abschied nahmen, daß wir uns hier, daß wir uns so wiedersehen sollten!«
Die Kaiserin zog ihre Hand zurück. Ein Blick, in welchem mehr Zorn als Schmerz lag, traf ihren Gemahl.
»Und warum hat es so kommen müssen?« rief sie, »warum hat das Gebäude des Kaiserreichs, das so stolz aufgerichtet in Europa dastand, unter wenigen Schlägen so jämmerlich zusammenbrechen müssen?«
»Der Krieg,« sagte der Kaiser achselzuckend, »ist ein Würfelspiel um Sieg und Niederlage. Ich habe dies Spiel stets gescheut und gefürchtet, weil in demselben kein Platz bleibt für die ruhige Berechnung, durch welche man die Ereignisse zu lenken vermag, – Sie haben den Krieg gewollt, Eugenie, lange gewollt, Sie haben auf den glänzenden Gewinn jenes blutigen Spieles gehofft, – der Würfel ist anders gefallen, – tragen Sie nun in Ergebung mit mir den Verlust.«
»Läßt sich der Verlust einer Krone ertragen?« rief die Kaiserin flammenden Blickes. »Ist es möglich, ruhig hinabzusteigen von jenen Höhen, deren lichte Klarheit niemand ermessen kann, der nicht auf ihnen gestanden, in die Kreise der niedrigen, gewöhnlichen Welt?«
»Jeder Verlust läßt sich ertragen,« sagte der Kaiser, »wenn man ihn ertragen muß. Die Erkenntnis der Notwendigkeit gibt Ruhe und Resignation.«
»Die Notwendigkeit!« rief die Kaiserin, – »ja, – aber wo ist die Notwendigkeit? Warum haben wir geschlagen, so geschlagen werden müssen? Sie werden mich doch nicht glauben machen,« fuhr sie mit bitterem Ton fort, »daß diese Preußen unbesiegbare Halbgötter seien, denen gegenüber dieselben Feldherren, dieselben Truppen ohnmächtig sein mußten, welche auf so vielen Schlachtfeldern alle Nationen der Welt besiegt haben! Ich habe den Krieg gewollt, sagen Sie, – ja, ich leugne es nicht, ich habe ihn gewollt, – und ich glaube heute noch, daß ich recht hatte, ihn zu wollen, denn die ermattete Kraft des Kaiserreichs bedurfte der Siege. Der Thron, den wir unserem Sohn zu erhalten verpflichtet waren, wäre ohne den Krieg langsam zerbröckelt, wie er jetzt mit einem Schlag in Trümmer gesunken ist, – ich habe den Krieg gewollt,« fuhr sie sich hoch aufrichtend fort, »weil ich ihn für notwendig erkannte! Aber wenn ich auch den freien Blick habe, um den Zusammenhang der politischen Ereignisse zu erkennen, – ich bin nur eine Frau, konnte ich die Organisation, die Schlagfertigkeit der Armeen prüfen? Konnte ich wissen, konnte ich erkennen, daß das Werk des Marschall Niel, den unser böses Schicksal uns zu früh entrissen hat, schon in so kurzer Zeit wieder zerstört sein würde? Konnte ich es wissen oder voraussetzen, daß die Truppen Frankreichs in solcher Verfassung, ohne Ausrüstung und Verpflegung, einem Feind entgegengeführt werden würden, den man kennen mußte, zu dessen Bekämpfung man sich jahrelang vorbereitet hatte? Sie kommandierten Ihre Armeen, Sie mußten ihren Zustand kennen, und wenn Sie mir gesagt hätten, in welcher Verfassung sich dieselben befänden, so hätte ich wahrlich den Krieg jetzt nicht gewollt. Aber,« rief sie heftig, die Hände gegeneinander schlagend, »ich hätte auch Mittel gefunden, um unsere Armee schlagfertig und kriegstüchtig zu machen. Ich hätte Männer gefunden, um sie zum Siege zu führen.« »Ihre Stimme«, sagte der Kaiser, »ist nicht ungehört geblieben bei der Wahl der Feldherren, und Sie teilten mein Vertrauen in dieselben, – ein Vertrauen, das ich auch heute noch nicht bereue,« fügte er hinzu, – »sie alle haben getan, was menschliche Kraft vermochte, und dem Ruhm der französischen Tapferkeit haben alle diese verlorenen Schlachten keinen Eintrag getan. Das Verhängnis ist über uns hereingebrochen, – ein Verhängnis,« sagte er, nachdenklich vor sich hinblickend, »das ich vielleicht verschuldet habe, weil ich mich zu sicher wähnte, weil ich jenen alten, ewig wahren Grundsatz vergessen hatte, daß jede Herrschaft, jede Macht nur durch dieselben Mittel erhalten werden kann, durch welche sie aufgerichtet worden. Doch,« sprach er dann, die Hand seiner Gemahlin ergreifend, »wo das Verhängnis in die menschlichen Schicksale eingegriffen hat, da müssen die davon Betroffenen gegeneinander keine Vorwürfe und Beschuldigungen erheben. Ich habe meine Krone mit Ihnen geteilt, Eugenie, wir haben auf den Höhen des Glückes nebeneinander gestanden, lassen Sie uns gemeinsam das Unglück tragen, mit der Vergangenheit abschließen und an die Zukunft denken, die wir unserem Sohn zu öffnen verpflichtet sind.«
Die Kaiserin seufzte tief auf. »Die Zukunft unseres Sohnes«, sagte sie, »liegt noch fern, – kann eines Kindes Hand dies in seinen Tiefen aufgewühlte Frankreich beherrschen? Kann ein Kind durch gewonnene Schlachten diese entsetzlichen Niederlagen vergessen machen? Wir müssen die Ereignisse erfassen und zu einer großen Wendung zu führen suchen. Eine solche Wendung«, fuhr sie fort, »scheint sich uns zu bieten, und deshalb bin ich gekommen, um mit Ihnen zu beraten, was zu tun sei, – um Ihren Entschluß einzuholen.«
Der Kaiser schüttelte mit dem Ausdruck ungläubiger Resignation den Kopf.
»Für uns bleibt nichts zu tun,« sagte er, – »doch sprechen Sie, was glauben Sie, das geschehen könne? Welchen Entschluß soll ich fassen? Sie haben mir von dem geheimnisvollen Besuch dieses Herrn Regnier geschrieben und von seinen Plänen, die mir ziemlich unklar und verworren erschienen sind. Ich habe seinen Namen nie vorher gehört, – er ist nicht gekommen, – das wird eine von jenen abenteuerlichen Blasen sein, welche in den Zeiten großer Krisen jedesmal an die Oberfläche aufsteigen und ohne Folgen zerplatzen.«
»Ich habe das auch geglaubt,« erwiderte die Kaiserin, »und habe deswegen diesen Mann, welcher mit so zuversichtlicher Hand in die Weltgeschichte einzugreifen unternahm, nicht empfangen. Aber fast muß ich glauben, daß seine Ideen und Pläne doch einen festen Boden haben, denn mit der Erlaubnis des Königs von Preußen hat der General Bourbaki Metz verlassen und ist zu mir gekommen, um im Auftrag des Marschalls Bazaine meine Instruktionen in betreff der Verhandlungen mit Herrn Regnier zu erbitten.«
Der Kaiser hob mit gespannter Aufmerksamkeit den Kopf empor. Einen Augenblick verschwand die Erschlaffung aus seinen Zügen, sein Blick belebte sich – rasch fragte er:
»Und was hat der Marschall Bazaine Ihnen mitteilen lassen?«
»Der Zustand seiner Armee sei gut,« erwiderte die Kaiserin, »er könne sich noch lange in Metz halten, sei aber bereit zu kapitulieren, wenn seine Armee uns dadurch erhalten werde und wenn ich ihm den Auftrag erteilte, in unserem Namen über den Frieden zu unterhandeln. Er stehe treu zu uns und würde uns einen festen Halt bieten, um die angemaßte Autorität der Advokatenregierung in Paris zu brechen.«
»Und unter welchen Bedingungen würde man den Frieden schließen können?« fragte Napoleon.
»Es würde sich,« erwiderte die Kaiserin, »nach dem, was Herr Regnier dem Marschall Bazaine gesagt hat, um Gebietsabtretungen und bedeutende Kriegskosten handeln.«
»Die Kriegskosten sind gleichgültig,« erwiderte der Kaiser schnell, – »Gebietsabtretungen sind ein elastischer Begriff. Kommt Straßburg und Metz in Frage?«
»Straßburg,« erwiderte die Kaiserin, »hat ja der Graf von Bismarck von der Pariser Regierung gefordert. Er würde es, wie Herr Regnier meint, auch von uns fordern. Metz würde sich, wie ich hoffe, erhalten lassen, wenn der Frieden geschlossen werden kann, bevor der Platz genommen ist. Leider ist Bourbaki in einem höchst aufgeregten, nervösen Zustand, eine alte Wunde schmerzt ihn, und er hat keinen anderen Gedanken, als so schnell wie möglich nach Metz wieder zurückzukehren, um seine militärische Ehre von dem Vorwurf zu befreien, daß er in der Zeit des Kampfes seinen Posten verlassen habe. Doch würde, wenn Sie sich entschließen könnten, auf die Sache einzugehen, eine unmittelbare Anfrage im preußischen Hauptquartier vollständige Klarheit in die Sache bringen.«
»Ich weiß genug,« erwiderte der Kaiser mit festem Ton, – »genug, um ein Eingehen in diese Sache bestimmt zurückzuweisen.«
Die Kaiserin sah ihren Gemahl betroffen über diese schnelle und entschiedene Erklärung an.
»Und warum?« fragte sie. »Sie haben selbst vorhin mich ermahnt, die Notwendigkeit entschlossen zu tragen. Verluste an Macht und Gebiet sind aber die notwendige Folge verlorener Schlachten. Und wenn wir diese Notwendigkeit annehmen, wenn wir sie durch einen schnellen Friedensschluß auf das geringste Maß beschränken, wenn die Armee des Marschalls Vazaine zu unserer Verfügung steht, so können wir den schon verlorenen Thron wiedergewinnen, jene verwegenen Machthaber in Paris in ihr Nichts zurückschleudern und es der Zeit überlassen, Frankreichs Macht wieder zu stärken, damit wir oder unser Sohn einst das heute Verlorene wiedergewinnen.«
»So mag es scheinen,« erwiderte der Kaiser, »und doch würden wir, um für den Augenblick einen erschütterten und schwankenden Thron zu halten, die Zukunft unseres Sohnes und unseres Hauses für immer vernichten.«
»Ist diese Zukunft in der Verbannung besser gesichert?« fragte die Kaiserin mit einem Anklang von Unwillen.
»Gewiß!« sagte der Kaiser. – »Aus der Verbannung heraus bin ich auf den Thron gestiegen, gestützt auf die Erinnerung an Waterloo. Und auch unser Sohn kann aus der Verbannung den Thron glänzender und fester wieder aufrichten. Wenn er aber auf dem Wege, der sich heute öffnet, nach Paris zurückkehrt, so wird er früher oder später mit Sicherheit für immer in das Dunkel hinabstürzen, und niemals wird sich der Name Napoleon in Frankreich mehr erheben.
»Hören Sie mich an,« sagte er nach einer Pause, während welcher die Kaiserin unruhig mit ihrem Taschentuch spielte, »hören Sie mich an, und Sie werden mir recht geben. Mein Oheim ist gefallen in der Katastrophe des großen nationalen Unglücks; er hatte Schuld an diesem Unglück, mehr Schuld als ich, denn er wollte die Welt aus ihren Angeln heben, und er war der Feldherr, der persönlich geschlagen wurde, während ich nur der Kaiser war, dessen Armeen dem Feinde unterlagen. Dennoch hat ihm Frankreich seine Schuld vergeben, man hat nur an die Wohltaten gedacht, die er seiner Nation erwiesen, an die Ehre und den Ruhm, mit denen er sie in reichen Kränzen geschmückt hat. Das ist geschehen, weil er nach jener großen, unglücklichen Katastrophe in der Ferne verschwand, weil alle Erniedrigungen und Demütigungen, die Frankreich nach jener Katastrophe erlitt, sich nicht an seinen Namen knüpften, darum blieb sein Name das Zauberwort der nationalen Größe, die Losung der nationalen Wiederbelebung. Dieser Zauber des Namens des großen Kaisers hat mir den Weg zum Thron geöffnet, und dieselbe Macht muß ich dem Namen Napoleon erhalten, denn sie allein wird künftig auch unserem Sohn die Rückkehr in das Vaterland und auf den Thron unseres Hauses verschaffen. Hätte ich bei Sedan über den Frieden unterhandelt oder würde ich jetzt einen Frieden schließen, der ja doch nur Frankreich schwere Verluste auflegen könnte, so würde sich mit dem Namen meines Geschlechtes nicht nur der nationale Fall, sondern auch die nationale Erniedrigung und Demütigung verbinden, und nie und zu keiner Zeit würde ein Träger des Napoleonischen Namens wieder in Frankreich regieren können. Wir haben den Herren Gambetta und Jules Favre viel zu danken,« fuhr er mit einem feinen Lächeln fort, – »dadurch, daß sie in jenem kritischen Moment sich zur Regierung drängten, und daß sie die ganz unvernünftige und notwendig erfolglose Fortsetzung des Krieges unternahmen, haben sie die ganze Gehässigkeit des späteren demütigenden Friedens und der unausbleiblichen Gebietsverluste auf sich genommen. Es wäre wahrlich töricht von uns, wollten wir ihnen diese Last abnehmen. Sie haben sich die Autorität der Regierung Frankreichs angemaßt, mögen sie denn auch ihre Namen unter das verhängnisvolle Dokument setzen, welches französischen Boden und französische Festungen den Feinden überliefern wird. Ich kenne Frankreich, ich kenne die Franzosen, – die Namen, welche unter dem Friedenstraktat stehen, der Straßburg und Metz den Deutschen überliefert, werden nie wieder in Frankreich zu Macht und Bedeutung gelangen. Mag man ihnen heute zujubeln, da man doch von Erfolgen träumt, man wird sie zu den Toten werfen, sobald sie den Frieden geschlossen haben. Man hat niemals den Bourbonen den Pariser Traktat verziehen, und er war doch lange nicht so verhängnisvoll für Frankreich, als es der Friede sein wird, den Herr Jules Favre demnächst unterzeichnen muß. Ich will verschwinden in dem Pulverdampf von Sedan, – wie Napoleon I. verschwand im Donner der Schlacht von Waterloo, die für ihn zur Apotheose wurde, – damit mein Sohn einst zurückkehren könne, um Sedan zu rächen, wie ich zurückgekehrt bin, um Waterloo zu rächen. Ein tragischer Fall in nationalem Unglück schadet keiner Dynastie, aber jede Regierung geht sicher zugrunde, welche sich auf Kosten der Ehre der Nation ein ohnmächtiges Dasein zu fristen sucht.«
Die Kaiserin hatte aufmerksam den Worten ihres Gemahls zugehört.
»Aber«, sagte sie nach einigem Nachdenken, »würde nicht dasselbe erreicht werden, wenn Sie sich zurückzögen, – es ist schmerzlich, und für mich am meisten, da ich eine schwere Verantwortlichkeit zu übernehmen hätte, aber wenn unser Sohn heute den Thron besteigen könnte, ihm würde niemand die Schuld an dem beimessen, was geschehen ist. Er ist ein Kind, in ihm würde man die Hoffnung verkörpert sehen, einst wieder gutzumachen, was jetzt verloren wurde, – wenn es gelänge, für ihn den Thron zu erhalten, auf die Armee von Bazaine gestützt, so würde er nicht nötig haben, später sein Erbe sich zu erkämpfen, und wir würden doch vielleicht sicherer für seine Zukunft sorgen.« Ein Zug feiner Ironie spielte um die Lippen des Kaisers. Er ließ die Spitzen seines Schnurrbartes durch seine Finger gleiten und sprach ohne jede Bewegung im Ton seiner Stimme:
»Ich würde die Schuld an dem Haß der Vergangenheit auf mich laden und in die Einsamkeit hinaustragen, wie einst jener Widder, den die Juden am Versöhnungsfest schlachteten und in die Wüste schickten, während mein Sohn, entsühnt, nur die Hoffnung auf die Zukunft in sich verkörpern würde.«
Die Kaiserin nickte wie unwillkürlich zustimmend mit dem Kopf bei diesen Worten, die ihren innern Gedanken ausgedrückt hatten.
»Glauben Sie mir, Eugenie,« fuhr Napoleon fort, »ich würde keinen Augenblick zögern, dieses Opfer zu bringen, das ja eigentlich kaum ein Opfer für mich wäre, denn das einzige Ziel meiner Sehnsucht ist die Ruhe und der Frieden stiller Zurückgezogenheit. Aber damit würde nichts erreicht werden, nichts für die Zukunft und kaum etwas für den Augenblick. Sie, Eugenie, müßten als Regentin den Frieden unterzeichnen, der für immer ein schwarzes Blatt in der Geschichte Frankreichs bilden wird. Blicken Sie in die Geschichte, sie zeigt Ihnen deutlich das Schicksal fremder Regentinnen in Frankreich. Sie, Eugenie, würden tiefer stürzen, als Maria von Medici gestürzt ist, die doch Frankreich keine Demütigungen gebracht hat, und unser Sohn ist nicht wie Ludwig XIII. anerkannter König von legitimem Blut, gegen dessen Berechtigung sich kein Widerspruch in Frankreich erhob. Und mehr noch,« fuhr er fort, »die Kombination, welche Sie im Auge haben, kann nur vollzogen werden, wenn Bazaine mit seiner Armee die militärische Stütze der Regentschaft bildet. Sein würde die Macht sein, er würde das Schwert in Händen halten neben einem unmündigen Kaiser und einer fremden Regentin, er würde der Majordomus sein dieses schwachen, mit dem Fluch des verhängnisvollen Friedens belasteten Kaiserreichs.«
»Bazaine steht treu zu uns,« rief die Kaiserin, »ich habe volles Vertrauen zu ihm! Bourbaki hat es mir bestätigt.«
»Ich zweifle nicht an der Ergebenheit Bazaines,« sagte der Kaiser. »Er ist ein tapferer und fester Soldat und steht zu seiner Fahne. Aber«, fuhr er fort, »eine Monarchie kann nicht bestehen, die einem ihrer Diener ihre Existenz verdankt, und das Schwert eines großen Reiches darf nur in den Händen des Souveräns ruhen, nur von diesem seinem Feldherrn anvertraut werden, – dann vor allem, wenn der Souverän nicht auf dem Boden der unanfechtbaren, allgemein anerkannten und heilig gehaltenen Legitimität steht. Bazaine würde der wahre Regent von Frankreich sein, – und Bazaine«, fügte er finster, den starren Blick ins Leere gerichtet, hinzu, »Bazaine bringt den Thronen kein Glück, neben denen er steht!
Wir müssen die Katastrophe sich vollziehen lassen,« fuhr er nach einer Pause fort. »Frankreich wird aus den schweren Zerrüttungen, die ihm bevorstehen, von selbst zu uns zurückkehren, und je ferner wir uns jetzt halten, je mehr wir unsern Namen von allem dem trennen, was noch mit unerbittlicher Notwendigkeit kommen muß, um so sicherer, um so schneller wird das Gefühl des eigentlichen Volkes, das jetzt schweigt, sich zu uns wenden.«
»So bleibt uns jetzt also nichts zu tun übrig?« sagte die Kaiserin trüb und finster.
»Nichts, Eugenie,« erwiderte Napoleon, »als uns zurückzuziehen in die Einsamkeit, zu schweigen allen Vorwürfen und Anschuldigungen gegenüber, unsern Sohn auszubilden, um ihm Wissen und Kraft zu geben zu der schweren Aufgabe, welche die Zukunft ihm stellen wird, und im stillen die Fäden zu erhalten und zu knüpfen, an denen wir später zur geeigneten Stunde die Ereignisse zu lenken imstande sein können.«
»Das ist hart, das ist sehr hart,« rief die Kaiserin aufspringend, »so schnell herabgeschleudert zu werden von den lichten Höhen in die Dunkelheit, und untätig schweigen zu müssen, wenn unsere bittersten Feinde uns mit Schmähungen überhäufen, wenn sie dies schöne Frankreich, das ich liebe, als ob ich auf seinem Boden geboren wäre, dem Untergang entgegenführen, – sich nicht rächen zu können –«
»Dunkelheit«, fiel der Kaiser ein, »wird noch lange, lange nicht den Namen Napoleon verhüllen. Mein Stern, an den ich einst so fest glaubte, ist herabgesunken und erloschen, aber der Stern meines Namens und meines Geschlechtes wird wieder heraufsteigen am Himmel der Welt, – dieser Glaube erfüllt mich, in dieser Überzeugung werde ich das Vermächtnis meinem Sohn hinterlassen, das ich von meinem Oheim überkommen! – und rächen? – rächen wird uns die Zeit und das Schicksal, – sicherer, als wir es könnten, an denen, die heute in ihrem wilden Haß uns zu treffen meinen, indem sie Frankreich schlagen. Hinter ihnen stehen schon die wilden Geister der Tiefe, die ich mit starker Hand gebannt und niedergehalten habe, und deren sie nie Meister werden können. Unsere Verbündete ist die Zeit, diese mächtigste und unbesiegbarste Kraft auf Erden. Hüten wir uns, ihrem Werk vorzugreifen!«
Die Kaiserin schwieg eine Zeitlang. Sie schien die Richtigkeit der Gründe anzuerkennen, welche ihr Gemahl ihr entwickelte, dennoch aber sträubte sich ihr Gefühl gegen die untätige Resignation, zu welcher sie sich verurteilt sehen sollte und welche so wenig zu der ihrem Charakter eigentümlichen Reizbarkeit paßte.
»Herr Thiers durchreist Europa,« sagte sie endlich, indem sie vor den Kaiser hintrat, »wenn es ihm gelänge, eine Anerkennung der gegenwärtigen Pariser Regierung zu erlangen?«
»Das wird ihm nicht gelingen,« erwiderte Napoleon im Ton fester Überzeugung. »Der Kaiser Alexander, auf den es hier allein ankommt, wird die Herren Favre und Gambetta nicht anerkennen, solange sie nicht wenigstens durch den Willen der Nation in irgendeiner Form legitimiert sind.«
»Aber man will ja eine Nationalversammlung berufen!« fiel die Kaiserin ein.
»Das wird man kaum können,« erwiderte der Kaiser, »und wenn man damit zustande kommen sollte, so wird keine nationale Versammlung Frankreichs Gambetta, Favre und Rochefort zu Regenten wählen.«
»Rochefort«, rief die Kaiserin, indem sie heftig mit dem Fuß auf den Boden trat, »Rochefort regiert in Frankreich – und wir sind verbannt! – –«
»Wir sind es«, sagte der Kaiser achselzuckend, »die diesen Menschen groß gezogen haben. Hätten wir seiner einfältigen ›Lanterne‹ nicht den Krieg erklärt, sein Name wäre nie aus der Dunkelheit aufgetaucht.«
»Und hätten wir alle diese Leute nicht in törichter Milde geschont,« rief die Kaiserin, »hätten wir sie mit starker Hand niedergeworfen und unschädlich gemacht, so würde heute Europa nicht das lächerliche Schauspiel haben, einen Gambetta und einen Rochefort an der Spitze Frankreichs zu sehen.«
Abermals schritt sie nachdenkend auf und nieder. »Aber könnten wir nicht unsererseits tun,« sagte sie dann, »was Herr Favre im Namen unserer Feinde tut, die Vermittlung der Mächte anrufen? Ein Wort des Kaisers Alexander würde genügen.«
»Er wird dies Wort nicht sprechen,« sagte Napoleon, »wenn es sich darum handelt, die Gebietsforderung Deutschlands herabzustimmen, – er hat Sebastopol nicht vergessen, – heut ist der Tag seiner Revanche, – er hat recht, sie zu nehmen, – und ich«, fügte er hinzu, »hatte damals großes Unrecht, gegen Rußland zu schlagen für dieses England, das heute gleichgültig auf unsern tiefen Fall herabsieht. Vergessen Sie aber vor allem nicht, daß, auch wenn es gelingen könnte, eine Intervention herbeizuführen, keine Regierung in Frankreich jemals Bestand haben kann, welche durch fremden Einfluß gestützt wird.«
»So sollen wir denn«, rief die Kaiserin, indem sie das Gesicht mit den Händen bedeckte und abermals in Tränen ausbrach, »so ganz untätig vom Schauplatz abtreten, – so sollen wir schweigend diese angemaßte Regierung in Paris anerkennen? Glauben Sie mir, Louis, trotz unseres Unglücks, trotz des lauten Geschreis unserer Gegner haben wir noch viele Freunde, viele treue und ergebene Anhänger in Frankreich. Sie sehen das hier weniger, aber zu mir dringen die Kundgebungen aus allen Teilen des Landes, die Aufforderungen, unsere Sache nicht verloren zu geben. Wenn wir in unserer schweigenden Zurückhaltung verharren, so werden wir unsere Freunde verlieren.«
»Im Gegenteil,« erwiderte der Kaiser unerschütterlich, »wir würden sie verlieren durch vorzeitiges Handeln. Ich wiederhole es Ihnen, und meine Überzeugung ist unerschütterlich, mein Entschluß unwiderruflich: wir müssen dieser Krisis fernbleiben, wir müssen dieselbe sich vollziehen lassen bis zu ihrem vollständigen Abschluß, dann erst wird man erkennen, welches Unheil jene Männer über Frankreich gebracht haben, die im Augenblick einer schweren nationalen Kalamität die vom Volkswillen eingesetzte Regierung stürzen und das von auswärtigen Feinden bedrängte Land der Anarchie preisgeben. Aber«, fuhr er fort, – »schweigen werden wir darum nicht. Es ist meine Pflicht, meine Stimme zu erheben gegen alles, was jetzt in Frankreich geschieht, und diejenigen zu verurteilen, welche das nationale Unglück für ihren Ehrgeiz und ihren politischen Haß ausbeuten. Ich habe die Ideen zu einer Proklamation aufgesetzt, welche in den nächsten Tagen veröffentlicht werden soll. Ich werde den Franzosen sagen, daß mein Glück und mein Unglück mit dem Glück und dem Unglück Frankreichs innig verwachsen ist. Ich werde sie daran erinnern, daß nicht ich, sondern die Nation den Krieg gewollt hat, der ein so unglückliches Ende genommen. Ich werde sie warnen vor der Fortsetzung des Krieges, die nur zu größeren Verlusten führen kann. Ich werde die Überzeugung aussprechen, daß Frankreich, wenn es einig zusammensteht, sich auch von diesen Schlägen erholen werde, wie es sich von so vielen harten Schicksalsschlägen seiner vergangenen Geschichte erholt hat. Ich werde zu den Franzosen sprechen als ihr berechtigter Kaiser und Souverän, aber ich werde kein Wort von der Zukunft sprechen, keinen Anspruch erheben, denn ich darf meine Autorität nicht diskutieren lassen.«
»Eine solche Proklamation«, rief die Kaiserin freudig, »wird eine Armee wert sein! Sie wird unseren Freunden Mut machen, sie wird uns das Volk zuführen, und diese traurigen Abenteurer, welche sich die Regierung der nationalen Verteidigung nennen, in ihr Nichts zurückwerfen!«
»Das alles wird nicht geschehen,« sagte der Kaiser, ruhig den Kopf schüttelnd, »diese Proklamation wird ungehört verhallen unter der gegenwärtigen Unruhe und Aufregung, kaum unsere Freunde werden darauf achten, und unsere Feinde werden alles tun, um sie zu unterdrücken. Aber diese Proklamation wird ein Testament sein, durch welches ich das Erbe meines Sohnes für die Zukunft sichere. Das französische Volk wird später meine Worte lesen, es wird darüber nachdenken und zu der Überzeugung kommen, daß es besser gewesen wäre, wenn Frankreich der Führung und dem Rat seines Kaisers gefolgt wäre. Diese Überzeugung aber wird unserem Sohn den Weg zum Thron öffnen, den wir jetzt aufgeben müssen.«
»Und so lange sollte es dauern,« sagte die Kaiserin, »bis diese Überzeugung in Frankreich Platz gewinnt?«
»Ein Paroxysmus wie derjenige,« erwiderte der Kaiser, »in welchem die französische Nation sich gegenwärtig befindet, ist unberechenbar. Das arme Frankreich wird unter dem Druck der fremden Okkupation noch verschiedene Stadien von Experimenten durchmachen müssen, welche die politischen Parteien mit ihm vornehmen werden. Die Internationale wird hervorbrechen, – sie wird diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, einen Versuch zur Verwirklichung ihrer Ideen zu machen, – ich kenne ihre Macht, ihre Verzweigung und Ausdehnung, – es wird ein furchtbarer Ausbruch werden. Die Herren von Orleans werden in gewohnter Weise,« sprach er mit einem Ausdruck von Zorn und Verachtung zugleich, »unter verschiedenen Masken auf der politischen Bühne erscheinen, um sich womöglich einen Thron zusammenzuflicken und eine Krone zu eskamotieren. Die Legitimsten werden den armen Chambord wieder aus seiner Einsamkeit hervorziehen. Das alles muß sich vollziehen mit mathematischer Notwendigkeit, und erst wenn das alles sich verbraucht hat, wenn jede dieser Parteien ihre vollkommene Unfähigkeit wird bewiesen haben, dann wird von neuem die Nation sich überzeugen und das ganze Europa mit ihr, daß das Kaiserreich die einzig mögliche Regierung in Frankreich ist, und dann wird der Augenblick gekommen sein, das Kaiserreich wiederherzustellen. Und«, fügte er mit sanftem, weichem Ton hinzu, »was mich betrifft, so wünsche ich, daß dieser Augenblick erst dann kommen möge, wenn ich nicht mehr bin, und daß unser Sohn mit erstarktem Arm die historische Aufgabe seines Hauses weiterzuführen berufen sein möge.«
Die Blicke der Kaiserin ruhten mit tiefer, mitleidsvoller Teilnahme auf der gebrochenen Gestalt ihres Gemahls. Sie trat zu ihm heran und reichte ihm die Hand.
»Sie werden sich wieder stärken, Louis, die Ruhe wird Ihnen die Kraft und die Elastizität des Geistes wiedergeben. Sie selbst werden mit fester Hand unsern Thron wieder aufrichten und die Aufrührer bestrafen.«
»Ich wünsche es nicht,« erwiderte der Kaiser, – »und ich glaube es nicht, – sollte das Schicksal es so fügen, so werde ich bereit sein, bis zum letzten Augenblick zu tun, was ich für die Pflicht gegen mein Haus und mein Land erkenne. Aber ich bitte Gott, mir diese Prüfung zu ersparen. Besser wäre es wahrlich mir und uns allen gewesen«, fügte er leise hinzu, »wenn die Kugeln von Sedan meinem Leben ein Ende gemacht hätten! – Für Sie schmerzt es mich, Eugenie,« sagte er, die Hand der Kaiserin zärtlich an seine Lippen drückend, »Sie sind jung, Sie sind geschaffen für den Glanz des Thrones, wie die Rose für das Sonnenlicht. Für Sie möchte ich wünschen, daß diese Krisis schnell vorüberginge, – für mich nicht. Ich sehne mich nach Schatten und Dunkelheit, nach Stille und Ruhe, für mich hat das Leben nur noch Erinnerungen, – aber keine Hoffnungen mehr.«
»Auch ich kann allem entsagen,« rief die Kaiserin, – »allem, nur nicht der Hoffnung auf die Zukunft unseres Sohnes, – und der Rache an unseren Feinden! Ich kehre also zurück,« sagte sie dann, »mit der Losung der vollständigsten Enthaltung und Untätigkeit –«
Der Kaiser nickte bestätigend mit dem Kopf.
»Es wird schmerzlich sein für alle unsere Freunde,« fuhr die Kaiserin fort, »Straßburg wird fallen, Metz wird fallen, Provinzen werden verloren gehen –«
Der Kaiser stand auf.
»Besser,« sagte er, »daß Jules Favre und Gambetta Provinzen abtreten, als daß wir eine einzige Stadt, eine einzige Meile französischen Gebiets den Feinden überliefern würden. Frankreich hat Provinzen verloren und Provinzen wiedergewonnen, aber der Name Napoleon würde seine Zauberkraft für immer verlieren, wenn er unter einem demütigenden Frieden stände. Mag man uns nehmen, was man erobert hat, – wir werden nichts geben und uns das Recht vorbehalten, dereinst wiederzugewinnen, was jene abgetreten haben.«
»O, es ist hart, zu warten!« rief die Kaiserin. »Aber Sie haben recht, – wie Sie recht hatten, als Sie den Krieg vermeiden wollten.«
»Ich will einige Stunden ruhen,« sagte sie dann, »um in der Frühe des Morgens wieder abreisen zu können, denn man soll meine Abwesenheit nicht bemerken, der Marschall Bazaine wird mit Ungeduld auf eine Entscheidung warten.«
»Schlafen Sie,« sagte der Kaiser, »und stärken Sie Ihre Kraft, denn Ihnen bleibt noch viel zu tun, – mehr vielleicht als mir. Sie waren bis jetzt«, sagte er mit innigem Ton, »die bewunderte, die angebetete Kaiserin, welche die Gegenwart beherrschte, – Sie werden die Mutter sein, welche ihren Sohn dazu erzieht, die Zukunft zu beherrschen, – das ist schwer und mühsam, aber groß und erhaben, und Frankreich wird Ihnen einst dafür danken.«
»Und ich danke Ihnen,« sagte die Kaiserin traurig, aber im Ton aufrichtiger Überzeugung, »daß Sie mir meine Aufgabe so klar gezeigt haben, – ich werde Gott bitten, daß er mir die Kraft gebe, sie zu erfüllen.«
Sie lehnte den Kopf an die Schulter des Kaisers, und einige Augenblicke standen sie in schweigender Umarmung nebeneinander, diese beiden Gatten, welche auf so vielfach verschlungenen Lebenswegen sich gefunden, welche auf der höchsten irdischen Höhe nebeneinander gestanden und welche hier in dem Schloß ihres Besiegers in der Einsamkeit der Verbannung sich gelobten, unablässig daran zu arbeiten, für ihren Sohn die kaiserliche Herrschaft über das Land wieder aufzurichten, in welchem jetzt ihre Namen geächtet und ihre Bildnisse zertrümmert wurden.