Gregor Samarow
Held und Kaiser
Gregor Samarow

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Zwanzigstes Kapitel

Der General Boyer war im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl zu Corny angekommen, und obwohl sein Wagen vor den Vorposten wieder hatte zurückgesandt werden müssen, da eine von dem preußischen Hauptquartier für ihn bestimmte Equipage ihn erwartete, so war ihm dennoch gestattet worden, den Diener des Grafen von Villebois, welchen der Marschall ihm empfohlen, mit sich zu nehmen. Der General wurde mit Auszeichnung empfangen, er reiste jedoch, ohne sich aufzuhalten, weiter, um so schnell als möglich zur Kaiserin in Chislehurst zu gelangen, nachdem noch zuvor auf seine Bitte seinem Begleiter ein Passierschein nach dem als Lazarettstation bekannten und vollständig unverdächtigen Schloß von Villebois erteilt worden war.

Der junge Mann machte sich nach der Abreise des Generals sogleich auf den Weg, passierte unangefochten die Linien und gelangte nach einem Marsch von einigen Stunden an die erste Gärtnerwohnung des Parkes von Villebois, wo er nach dem Weg zum Schloß fragte. Der Gärtner, ganz erstaunt, einen jungen Menschen in der Livree des gräflichen Hauses zu erblicken, welchem der Park und die Wege zum Schloß unbekannt waren und den er seinerseits noch nie gesehen, fragte etwas mißtrauisch nach dessen Namen und Begehr.

»Ich heiße Jean,« erwiderte der junge Mann, »der Herr Graf hat mich vor kurzem in seine Dienste genommen und hat mich von Metz mit einer Botschaft an das Fräulein hierher geschickt.«

Der Gärtner, welcher noch immer ein leises Mißtrauen hegte, wie man ja in jener Zeit auf beiden Seiten fortwährend in Besorgnis vor Spionen war, begleitete den Angekommenen durch den Park bis zum Schloß, wo derselbe von dem Portier und der ganzen Dienerschaft mit dem größten Interesse betrachtet wurde, da er ja von ihrem Herrn zu kommen angab, aber auch wiederum mit ebensoviel Mißtrauen, da ihn niemand vorher gesehen und die ganze Dienerschaft dieses alten Hauses sich doch untereinander genau kannte.

Er wurde sogleich Fräulein Hortense gemeldet, welche auf die Nachricht einer Botschaft von ihrem Vater den Überbringer derselben heraufzuführen befahl.

In unruhiger Spannung ging die junge Dame dem Eintretenden entgegen und blieb betroffen stehen, als sie in ein ihr völlig unbekanntes Gesicht blickte, das sie unter der Dienerschaft ihres Vaters niemals gesehen hatte. Noch mehr erstaunte sie über die elegante und vornehme Manier, mit welcher der junge Mensch sie begrüßte, der nach seiner Livree zu den unteren Stallbedienten ihres Vaters gehörte. Fast unwillkürlich erwiderte sie diese Begrüßung, wie sie es einem ihr vorgestellten Herrn ihres Standes getan haben würde, – dann, wie unzufrieden über den Eindruck, welchen die Erscheinung und Haltung des Fremden auf sie gemacht hatte, richtete sie sich hoch auf und fragte mit stolzem und kaltem Ton:

»Sie sind seit kurzem erst im Dienst meines Vaters? – Ich habe Sie niemals in Metz gesehen.«

»Seit ganz kurzer Zeit«, erwiderte der junge Mann, »hat mir der Herr Graf erlaubt, diesen Rock zu tragen.«

»Wie geht es meinem Vater? Wie steht es in Metz?« fragte Fräulein Hortense, abermals erstaunt über den Ton dieser Antwort und über den leichten fremdländischen Akzent in der französischen Aussprache dieses eigentümlichen Dieners.

»Der Herr Graf befindet sich wohl, – so wohl, als es die traurigen Verhältnisse in der Stadt erlauben. Übrigens, glaube ich,« fuhr er fort, »wird er bald aus seiner Lage befreit werden und selbst hierher kommen können, um sich von seinen Anstrengungen und Entbehrungen zu erholen, denn der Platz kann sich nach meiner Überzeugung nur noch ganz kurze Zeit halten, – wenn nicht ein Wunder geschieht, so steht die Kapitulation nahe bevor.«

Fräulein Hortense blickte traurig vor sich nieder.

»Die Kapitulation!« – sagte sie, – »auch das letzte Bollwerk unserer Macht wird fallen vor diesem unerbittlichen Feinde!«

»Wie schmerzlich für Frankreich, und wieviel schmerzlicher noch für diejenigen,« sagte der junge Mann, »welche auf Frankreich ihre Hoffnung gebaut haben, – für diejenigen, deren Vertrauen auf Frankreich so bitter getäuscht wurde!«

Eine helle Röte flammte in dem Gesicht des jungen Mädchens auf. Mit stolz zurückgeworfenem Kopf sagte sie:

»Ich weiß nicht, daß es Sitte in dem Hause meines Vaters war, daß die Diener unaufgefordert ihre Meinung – ihr Urteil über Frankreich aussprechen, es ziemt sich das weder für einen Franzosen, noch für einen Diener des Grafen Villebois.«

»Sie haben recht, mein Fräulein,« sagte der junge Mann, »aber ich bin weder ein Franzose, noch ein Diener des Grafen.«

Erschrocken zuckte Fräulein Hortense zusammen, fast unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück und streckte schon die Hand nach der auf dem Tisch stehenden Glocke aus, dann aber schüttelte sie, wie unwillig über diese Bewegung der Furcht, den Kopf, trat wieder dicht vor den Fremden hin und fragte in strengem, befehlendem Ton:

»Und wer sind Sie denn, – mit welchem Recht tragen Sie die Livree unseres Hauses?«

»Ich bin ein Unglücklicher,« sagte der junge Mann, »ein Geächteter, dessen Leben verfallen ist wie das des Vogels in der Luft, und den Ihr Vater hierher sendet, um bei Ihnen Schutz und Hilfe zu suchen.«

Der ernste Ausdruck, in dem der junge Mann diese Worte sprach, schien dieselben glaubwürdig zu machen, dennoch blickte ihn Fräulein Hortense noch immer voll Zweifel und Mißtrauen an.

»Mein Vater sendet Sie hierher?« fragte sie. »Und was kann ich –«

»Hier meine Beglaubigung«, fiel der Fremde ein, indem er aus der Brusttasche seiner Livree ein Papier zog, auf welchem in rotem Siegellack ein kleines Petschaft abgedrückt war. Er reichte dasselbe Fräulein Hortense.

Die junge Dame warf einen Blick auf das Siegel und rief:

»Das ist in der Tat der Abdruck von meines Vaters Ring, den er stets an seinem Finger trägt. Niemand würde dieses Zeichen besitzen können, der nicht wirklich von meinem Vater gesandt ist! Wer sind Sie? Was kann ich tun, um den Wunsch meines Vaters zu erfüllen?« fragte sie dann in verbindlichem Ton.

»Ich bin der Kapitän von Feldhausen,« sagte der junge Mann, »ich war Ordonnanzoffizier des Marschalls Bazaine –«

»Und Sie sind jetzt hier,« fiel Fräulein Hortense ein, »während der Feind vor den Toren von Metz steht?«

Eine dunkle Röte überzog das Gesicht des Herrn von Feldhausen.

»Ich bin hier, mein Fräulein,« sagte er, »auf den bestimmten Befehl des Marschalls, und auch Ihr Vater hat mein Benehmen gebilligt. Ich war hannoverischer Offizier,« fuhr er fort, »und bin nach Frankreich gekommen, um dem Ruf meines Königs zur Bildung einer Legion zu folgen und für dessen Rechte zu kämpfen. Der König hat die Legion aufgelöst, er hat das Schwert nicht gezogen, – da bin ich in die französische Armee eingetreten, welche gegen Preußen zu Felde ziehen wollte, – während jetzt das ganze Deutschland ihr gegenübersteht. Würde ich bei der Kapitulation gefangen werden, so würde ein schimpflicher Tod mein unzweifelhaftes Los sein, deshalb bin ich geflohen, – und obgleich der Marschall es mir befahl, obgleich Ihr Vater es mir riet, – so sehe ich jetzt doch, daß ich unrecht getan habe. Ich sehe das aus Ihrer Frage, mein Fräulein, – die Frauen sind scharfe Richter in Sachen der Ehre.«

Er blickte traurig zu Boden, in rascher Bewegung trat Fräulein Hortense auf ihn zu und reichte ihm die Hand.

»Verzeihen Sie mein rasches Wort, mein Herr,« sagte sie, – »was mein Vater billigt, was der Marschall Ihnen befiehlt, das ist gewiß recht und ehrenvoll, und ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um Ihnen zu helfen.«

»Vor allen Dingen kommt es darauf an,« erwiderte Herr von Feldhausen, »mir hier so lange ein Asyl zu gewähren, bis sich die Gelegenheit für mich findet, um sicher nach Belgien zu kommen, wo ich dann weiter sehen werde, wie ich mein Schicksal gestalten kann, – wenn Sie mir also erlauben wollen – –«

»Ich werde sogleich Befehl geben,« rief Fräulein Hortense, »daß man ein Zimmer für Sie einrichtet. Ich glaube, daß Sie hier völlig sicher sind, man respektiert das Lazarett im Schloß und es sucht Sie hier auch niemand.«

»Ich danke Ihnen, mein Fräulein,« sagte der junge Mann, »aber wäre es nicht besser und sicherer, wenn ich in dieser unscheinbaren Verkleidung unter der Dienerschaft Ihres Schlosses bliebe?«

»Nein, nein,« sagte Fräulein Hortense nachdenkend, »das geht nicht, die Leute würden sehr bald merken, daß Sie nicht einer der ihrigen sind und das würde von Ihnen sprechen machen und viel mehr die Aufmerksamkeit auf Sie ziehen. Sie können hier als ein Sekretär meines Vaters erscheinen, den derselbe mir gesandt, um mich in den Geschäften, welche mir in dieser Zeit näher treten als sonst, behilflich zu sein, – das ist ganz natürlich, Sie werden dann keiner neugierigen Beobachtung ausgesetzt sein.«

»Sie haben recht,« sagte Herr von Feldhausen, »ich unterwerfe mich Ihrer Anordnung.«

Die junge Dame ließ den Kastellan des Schlosses rufen und erteilte demselben ihre Befehle.

Bald war Herr von Feldhausen als Sekretär des Grafen im Schlosse installiert. Der Vicomte, welcher ungefähr die gleiche Figur mit ihm hatte, versah ihn mit Kleidung und Wäsche, und der junge Mann schloß sich dem kleinen geselligen Zirkel an, der hier vereint war, in dem er sich jedoch stets bescheiden und schweigsam zurückhielt, um nicht aus der Rolle des Untergebenen zu fallen.

Dieser Kreis vergrößerte sich immer mehr durch einzelne allmählich genesende preußische und französische Offiziere, welche in dem Schloß gepflegt waren, und schloß sich bei den immer länger werdenden Abenden immer näher und enger zusammen.

Auch Fräulein Hortense wurde kräftiger und frischer, ihre nervöse Abspannung und Reizbarkeit verlor sich, und eine zarte und gesunde Röte färbte allmählich ihr früher so krankhaft und durchsichtig bleiches Gesicht. In merkwürdiger Weise veränderte sich auch ihr Benehmen gegen den Baron von Rantow. Während sie früher demselben mit scharf abgemessener Höflichkeit und abwehrender Kälte entgegengetreten war und auf alle seine an sie gerichteten Worte nur ganz genau die unbedingt notwendige Antwort gegeben hatte, schien sie jetzt wärmer und herzlicher gegen ihn zu werden. Sie unterhielt sich eingehender mit ihm, und öfter schienen sich ihre Ansichten und Empfindungen sympathisch zu begegnen. Auch fand sich oft abends im Salon ihr Platz wie zufällig neben demjenigen des jungen Johanniters, – zuweilen lichtete sich ihr Blick mit einem eigentümlich sinnenden und fragenden Ausdruck auf denselben, und schnell schlug sie leicht errötend die Augen nieder, wenn er einem solchen Blick begegnete. Auch wenn sie Herrn von Rantow in leichtem, vertraulichem Geplauder von ihrer Kindheit erzählte und von all den Träumen ihres kindlichen Geisteslebens, deren Erinnerungen sich wie märchenhafte Elfengestalten durch die Hallen des Schlosses und durch die Schatten des Parkes hinzogen, – dann lag im Ton ihrer Stimme zuweilen ein wunderbar tiefer und inniger Klang, der in dem jungen Mann mit süßem Schauer die Erinnerung an jene Stunde in dem Boskett des Gartens zurückrief, als er von ihren Lippen so entzückende, berauschende Worte hörte, welche zu seinem Schmerz so schnell sich als der Ausdruck eines krankhaften Zustandes somnambuler Überreizung gezeigt hatten.

Auch der junge Mann hatte sich in seinem ganzen Wesen sehr tief und merklich verändert. Sein früher oberflächlicher und unsteter Blick war tief und fest geworden, ernstere Männlichkeit lag in seinem ganzen Wesen, und während er sonst mit einer oft zu selbstzufriedenen Sicherheit den Menschen und den Verhältnissen entgegengetreten war, schien er jetzt Fräulein Hortense gegenüber oft fast ängstlich unsicher. Obgleich die junge Dame ihm täglich wachsende Zeichen freundschaftlicher Sympathie gab, obgleich er jenen Ton in ihren Worten wiederklingen hörte, der noch immer in wonnevoller Erinnerung durch seine Seele zitterte, wagte er dennoch, nicht an das Glück zu glauben, das ihm aus allen diesen Zeichen entgegenschimmerte, welche er gewiß in früheren Zeiten mit sicherer Selbstgewißheit zu seinen Gunsten gedeutet haben würde.

Aber er fühlte sich glücklich, in der Nähe dieses Wesens leben zu können, das ihn mit so zauberischer Gewalt unterjocht hatte und mit so anmutiger Überlegenheit diesen ganzen Kreis beherrschte, der durch den welterschütternden Völkerkrieg hier zusammengefügt war. Doch war es ein peinliches, fast schmerzhaftes Gefühl, das ihn erfüllte, ähnlich wie in reizenden Träumen, welche die liebsten und höchsten Wünsche als Wirklichkeit erscheinen lassen, während die Seele immer das Bewußtsein in sich trägt, daß alles nur das Wolkenbild des Traumes ist, das wieder verfliegen und dem das kalte, traurige Erwachen folgen muß.

Er suchte nur in der Gegenwart zu leben, er suchte zu vergessen, was hinter ihm lag und was eine nahe Zukunft wieder mit Notwendigkeit an ihn heranführen müßte.

Seit der Ankunft des Herrn von Feldhausen aber, welcher der Gesellschaft als Monsieur Bertin und als Sekretär des Grafen vorgestellt war, – nur ihrem Bruder hatte Hortense das Geheimnis des jungen Offiziers mitgeteilt, – seit dieser Zeit war Herr von Rantow traurig und still geworden. Fräulein Hortense hatte zwar in ihrem freundlichen und herzlichen Benehmen gegen ihn sich nicht geändert, aber sie behandelte den so plötzlich angekommenen Fremden mit einer Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit, welche dem Sekretär ihres Vaters gegenüber bei ihrem sonst so stolzen Wesen auffallend und außergewöhnlich war. Auch ihr Bruder legte eine gleiche Aufmerksamkeit für den jungen Mann an den Tag, und Herr von Rantow selbst, welcher stets in der besten Gesellschaft gelebt und für die Manieren derselben einen sehr feinen und scharfen Blick hatte, bemerkte, daß dieser Herr Bertin für seine Lebensstellung ein ungewöhnlich sicheres, leichtes und elegantes Benehmen habe.

Der Baron hatte zum erstenmal in seinem Leben eine wahre und tiefe Liebe in seinem Herzen empfunden, er sollte nun auch die erschütternde Pein der Eifersucht kennen lernen, welche ihn um so heftiger erfaßte, als er nicht das geringste Recht zu derselben hatte.

Wie die Eifersucht immer erfinderisch ist, so setzte er sich über den Fremden, der plötzlich so störend in seine Glücksträume hineingetreten war und der durch einzelne Andeutungen der Dienerschaft, die ihm zu Ohren kamen, noch rätselhafter wurde, alle möglichen Vermutungen zusammen, wozu allerdings Fräulein Hortense mehrfach Veranlassung gab, da sie diesen Herrn Bertin nicht nur öfter in ihr Zimmer rufen ließ, um Geschäfte zu erledigen, wie sie sagte, sondern zuweilen auch mit ihm lange Spaziergänge durch den Park machte, worin der Vicomte, ihr Bruder, durchaus nichts Außergewöhnliches und Unpassendes zu finden schien.

Auch entging es dem scharf beobachtenden Blick des Barons nicht, daß die Augen des jungen Sekretärs mit dem Ausdruck tiefer und glühender Bewunderung an Fräulein Hortense hingen, und daß oft eine helle Röte über sein Gesicht flammte, wenn die junge Dame ihn durch eine Frage oder eine freundliche Bemerkung aus seiner bescheidenen Zurückhaltung zur Konversation mit ihr heranzog.

Der Himmel seines Glückes verdüsterte sich immer mehr, fast mechanisch nur besorgte er die Geschäfte und Anordnungen, welche die Leitung der Krankenpflege ihm auferlegte, und sich selbst zürnend, aber ohne die Kraft des Widerstandes, verzehrte er sich in peinvollen Gedanken, während er einen großen Teil seiner Zeit damit hinbrachte, in ängstlicher und schülerhafter Weise alle Begegnungen des Fräuleins von Villebois mit dem Sekretär ihres Vaters auszuspähen.

So war eine Zeit hingegangen, während welcher Herr von Rantow immer unruhiger und unsteter geworden. – Sein inneres Leiden zeigte sich in seiner äußeren Erscheinung, er war bleich und verstört, und oft fragte ihn Fräulein Hortense mehr noch mit Blicken als mit Worten nach der Ursache seines so sichtlich erkennbaren Leidens. Diese Blicke würden ihn, hätte er sein früheres Selbstvertrauen noch gehabt, mit Glück und Freude erfüllt haben, jetzt aber verstand er sie nicht zu deuten. Er antwortete auf die an ihn gerichteten Fragen mit ausweichenden Worten, und alles blieb beim alten.

Während sich dies in dem abgeschlossenen und verhältnismäßig stillen Leben im Schloß von Villebois begab, gingen draußen die großen Weltereignisse mit ihrem ehernen Schritt ruhig und unaufhaltsam vorwärts.

Der General Boyer hatte die Kaiserin Eugenie in einer verzweiflungsvollen Unsicherheit und Unschlüssigkeit gefunden. Sie hatte lange gezögert, ihm irgendeine Antwort zu geben, – dann, als der General ihr die dringende Notwendigkeit unmittelbaren Entschlusses immer schärfer entgegenhielt, hatte sie an den Grafen Bismarck und an König Wilhelm telegraphiert, um bestimmte Friedensbedingungen zu erhalten, immer aber dabei erklärt, daß sie niemals in die Abtretung französischen Gebietes willigen werde und willigen könne, und über all diesem Hinundherverhandeln, über all diesem Zögern und Zagen, diesem Schwanken zwischen Aufflackern stolzen Mutes und matter Verzweiflung vergingen Tage auf Tage, bis dann endlich die Nachricht von der Kapitulation von Metz in Camden-House eintraf und alle Pläne und Hoffnungen begrub. Nachdem Metz genommen und Bazaines Armee kriegsgefangen war, konnte an einen Friedensschluß mit der kaiserlichen Autorität nicht mehr gedacht werden, da diese Autorität nunmehr auch die letzte Stütze verloren hatte, welche ihr im Lande hätte Halt geben können. Nun mußte das Verhängnis seinen Lauf nehmen, und Ströme von Blut mußten noch fließen, um die republikanische Regierung endlich zu dem so schwer drückenden Frieden zu zwingen, welcher im Frühling des nächsten Jahres in Frankfurt abgeschlossen wurde.

Eine schwere Zeit war über Metz hingegangen, während dieses unentschlossenen Schwankens der Kaiserin. Der Marschall Bazaine hatte mit banger Unruhe von Tag zu Tag eine Nachricht von dem General Boyer erwartet, er hatte vergeblich und immer wieder vergeblich im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl anfragen lassen, um dort immer wieder die Antwort zu erhalten, daß man von Friedensverhandlungen nichts wisse, und daß die militärischen Rücksichten allein maßgebend sein müßten.

Mit düsterer Verzweiflung hatte der tapfere Marschall trotz der immer kleiner geteilten Rationen in immer unmittelbarerer Nähe das Ende des letzten Proviants und der letzten Portionen Pferdefleisch herannahen sehen, – da endlich hatte er seinen Kriegsrat versammelt, und alle seine Generale, auch der alte, feste und zähe Changarnier, hatten erklärt, daß es unmöglich sei, den Platz länger zu halten, wenn man nicht in kurzer Zeit die ganze Armee der Krankheit und dem Hunger opfern wolle. Da endlich hatte sich der Marschall entschließen müssen, über die Kapitulation zu verhandeln, da endlich war die letzte Armee des kaiserlichen Frankreichs und in ihrer Mitte die Garden des in Wilhelmshöhe gefangenen Kaisers hinausgezogen aus den Toren der von ihnen so lange verteidigten Festung, um ihre Waffen vor dem fürstlichen Führer der deutschen Truppen zu strecken, welcher in ritterlichem Sinn als tapferer Soldat den so lange ausgehaltenen mannhaften Widerstand seines Gegners rühmend anerkannte. Das republikanische Frankreich aber, vom Taumel des politischen Wahnsinnes ergriffen, statt achtungsvoll das Unglück seiner braven Armee zu ehren, schleuderte gegen sie und ihren Führer die Anklage des Verrates, welche später auf so widerwärtige Weise in dem Prozeß zur öffentlichen Verhandlung kam, bei welchem der Herzog von Aumale, ein General von unbekannter militärischer Vergangenheit, den Vorsitz über die Richter des Marschalls führte, der seinen Stab, von Grad zu Grad emporsteigend, sich durch lange Dienste erworben hatte und der einzige war, der den Feinden Frankreichs nachhaltigen und langen Widerstand leistete.

Mit tiefem Schmerz hatten der Vicomte von Villebois und seine Schwester in denen ihnen mit ziemlicher Regelmäßigkeit zugehenden Zeitungen die Nachricht von dem Beginn der Verhandlungen über die Kapitulation gelesen. Der Vicomte hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen, um in der Einsamkeit seinen traurigen Gedanken nachzuhängen, denn er sagte sich, daß nun für Frankreich alles verloren sei.

Fräulein Hortense hatte aber sogleich den Herrn von Feldhausen zu sich bitten lassen.

»Ich habe Ihnen eine wichtige Nachricht mitzuteilen, mein Herr,« rief sie, als der junge Mann bei ihr eintrat, – »der Marschall Bazaine unterhandelt über die Kapitulation von Metz, und wenn der Marschall erst Unterhandlungen beginnt, so ist die Übergabe der Festung unzweifelhaft und in wenigen Tagen bevorstehend. Mein Herz ist geteilt zwischen verschiedenen Empfindungen, – ich beklage dies neue Unglück meines Vaterlandes, – aber ich sehe nun auch der Befreiung meines Vaters aus der traurigen Lage, in welcher sein edler Sinn ihn verharren ließ, entgegen. Mein Vater wird nun, wie ich hoffe, in kurzer Zeit hier sein, er wird Mittel finden, Sie in Sicherheit zu bringen, mit dem Ende der Belagerung werden auch die Hemmungen des Verkehrs in dieser Gegend aufhören. Mein Vater wird Gelegenheit finden, Sie sicher nach Belgien zu schaffen, wo Sie endlich, von aller Gefahr frei, ruhig atmen können und wo die fortwährende Angst und Sorge vor Entdeckung nicht mehr über Ihrem Haupte schweben wird. Ich wollte keinen Augenblick verlieren, um Ihnen dies mitzuteilen, damit Sie an die Pläne für Ihre Rettung denken können.«

»Meine Rettung!« sagte der junge Mann traurig, – »nennen Sie es eine Rettung, mein Fräulein, für immer, zu dem unsteten, einsamen Leben eines heimatlosen Verbannten verurteilt zu werden? Denn das wird mein Los sein; – niemals, niemals werde ich wieder den Fuß auf den Boden meiner Heimat setzen, und meine Familie, meinen Vater«, fügte er mit zitternder Stimme hinzu, »werde ich nur auf fremder Erde wiedersehen, um von ihm Abschied zu nehmen.«

Fräulein Hortense blickte mit inniger, mitleidsvoller Teilnahme auf den jungen Offizier hin, welcher schmerzgebeugt vor ihr stand.

»Verlieren Sie die Hoffnung nicht,« sagte sie mit sanfter Stimme, »die Zeit heilt viele Wunden und versöhnt viele Gegensätze.«

»Diesen Gegensatz versöhnt keine Zeit,« sagte Herr von Feldhausen finster, »ich habe die Waffen gegen mein Vaterland getragen, ich glaubte gegen die Gegner meines Königs zu kämpfen, – aber das ganze Deutschland hat an deren Seite gestanden, und gegen Deutschland hat sich die Spitze meines Degens gerichtet. Das kann man mir dort nicht verzeihen, – dafür kann ich keine Verzeihung erbitten, und heimatlos gehe ich in die Welt hinaus. Und«, sagte er, den tiefen Blick seines dunklen Auges zu Fräulein Hortense aufschlagend, »hier in diesem Kreise, in dem Sie mich mit so viel Freundlichkeit umgeben haben, hatte ich das alles eine Zeitlang vergessen, und wenn die finsteren Gedanken an meine Zukunft an mich herantraten, suchte ich sie zu verscheuchen und fern zu halten von der freundlichen und glücklichen Gegenwart. Nun aber ist das aus; – dieser letzte Sonnenblick meines Lebens verschwindet, und die kalte, graue Dämmerung liegt vor mir, die sich immer mehr verdichten wird bis zur schwarzen, finsteren Nacht.«

Fräulein Hortense trat zu ihm heran. »Verzagen Sie nicht, mein Herr,« sagte sie, indem eine Träne in ihrem Auge glänzte, »in Ihrem Alter darf man die Hoffnung nicht verlieren, und seien Sie überzeugt – wie Ihr Schicksal sich auch immer gestalten möge – hier werden Sie immer aufrichtige Freunde haben, die den herzlichsten Anteil an allem nehmen werden, was Sie betrifft.«

Sie reichte ihm ihre Hand.

»O, mein Fräulein,« rief der junge Mann in stürmischer Bewegung, »wenn Sie meiner freundlich gedenken, so wird es immer noch einen Lichtstrahl in meinem Leben geben, und ich werde in meiner Erinnerung den Stern finden, der mir die Kraft gibt, auf meinem dunklen Wege nicht zusammenzubrechen.«

In überwallendem Gefühl beugte er sich nieder, als wolle er in die Knie sinken, und drückte seine Lippen auf die zarte, schlanke Hand der jungen Dame.

Rasch öffnete sich in diesem Augenblick die Tür, und der Baron von Rantow trat ein. Er blieb mit bleichem, verstörtem Gesicht auf der Schwelle stehen. Seine Lippen bewegten sich, als wolle er sprechen, ohne daß er einen Ton hervorbrachte, und seine Augen blickten starr, mit fast entsetztem Ausdruck auf Fräulein von Villebois und den jungen Sekretär, der sich bei seinem Eintreten schnell aufrichtete und bescheiden zurücktrat.

»Sie sehen so erschrocken aus, Baron,« sagte Fräulein Hortense verwundert, »die Nachricht von der Kapitulation von Metz, welche soeben hierher gelangte, kann für Sie doch keine traurige sein,« fügte sie wehmütig hinzu, – »was haben Sie?«

Der Baron hatte mühsam einige Fassung gewonnen. »Ich habe die Nachricht vernommen,« sagte er, »und da ich befürchte, daß nach der Kapitulation auch hierher vielleicht eine Anzahl von den vielen Kranken und Verwundeten geschickt werden möchte, welche zweifellos in Metz eingeschlossen sind, so wollte ich mit Ihnen darüber sprechen, welche Vorbereitungen wir dafür treffen können. Ich fand niemanden im Vorzimmer und bitte um Verzeihung, daß ich es gewagt habe, ohne Weiteres einzutreten, – ich wußte nicht,« sagte er mit einem Seitenblick auf Herrn von Feldhausen, »daß –«

»Beunruhigen Sie sich nicht,« fiel Fräulein Hortense ein, – »ich habe keine Geheimnisse, – meinen Freunden steht meine Tür immer offen.«

»Mademoiselle haben keine weiteren Befehle für mich?« fragte Herr von Feldhausen.

»Ich danke Ihnen, Herr Bertin,« sagte die junge Dame, »überlegen Sie die Sache, über welche wir soeben sprachen,« fügte sie mit herzlichem Ton hinzu, – »wir kommen noch darauf zurück und werden alles so gut als möglich wenden.«

Herr von Feldhausen verneigte sich schweigend und ging hinaus.

»Ich bedaure unendlich, gestört zu haben,« sagte der Baron Rantow mit einem gewissen harten und scharfen Ton, »und – Geschäfte unterbrochen zu haben,« fuhr er mit bitterem Lächeln fort, »welche gewiß interessanter und wichtiger waren als diejenigen, von denen ich Sie unterhalten kann.«

»Wie sind Sie sonderbar!« sagte Fräulein Hortense, indem sie ihn mit einem fragenden Blick ansah, in dem ein gewisser Vorwurf lag. »Sie haben mich in nichts unterbrochen, ich sprach mit meinem Sekretär und kann jenes Gespräch ja in diesem Augenblick wieder aufnehmen.«

»Ich will nicht die Ursache sein,« sagte Herr von Rantow mit bebenden Lippen, »daß dieser Augenblick sich verzögere und daß Herr Bertin,« fügte er zitternd vor leidenschaftlicher Erregung hinzu, »dieser rätselhafte Herr Bertin noch lange warten muß, bis er seine Lippen wieder auf diese Hand drücken kann, wie er es eben mit so glühender Verehrung tat.«

Er legte die Hand vor seine Augen, als wolle er ein Bild verscheuchen, das vor seinem Blick stand, – dann machte er eine kurze Verbeugung und wandte sich zur Tür.

Fräulein Hortense hatte bei seinen Worten ihn zuerst ganz erstaunt angesehen, als begriffe sie den Sinn derselben nicht, dann zog eine flammende Röte über ihr Gesicht, sie streckte die Hand nach ihm aus und rief mit strengem, befehlendem Ton:

»Herr von Rantow, bleiben Sie, – Sie sollen hier bleiben und mich anhören!«

Der Baron wandte sich langsam um. »Was soll ich hören?« sagte er tieftraurig, – »nachdem ich gesehen habe? – überlassen Sie mich meinem Schmerz, – dem ich ja doch früher oder später anheimfallen mußte, – ich habe kein Recht –«

»Sie haben kein Recht,« rief Fräulein Hortense, indem einen Augenblick ein Blitz hochmütigen Stolzes in ihrem Blick aufleuchtete, – »Sie haben kein Recht, über mich zu urteilen, und doch,« sagte sie, indem ihre Stimme einen unendlich weichen Ton annahm und ihre Augen sich mit wunderbar tiefem, fast bittendem Blick auf ihn richteten, – »und doch will ich nicht, daß Sie mich falsch beurteilen. Bleiben Sie,« sagte sie kurz und bestimmt, indem sie in schnellem Zug die Glocke bewegte.

»Herr Bertin,« befahl sie dem eintretenden Diener.

»Ich bitte Sie, mein Fräulein,« sagte der Baron mit einer abwehrenden Bewegung, »ersparen Sie mir –«

»Warten Sie,« sagte Fräulein Hortense, ihn unterbrechend, indem sie den Blick in ungeduldiger Erwartung auf die Tür richtete.

Nach wenigen Augenblicken trat der Gerufene ein. »Mademoiselle haben befohlen?«

»Lassen Sie den Ton des Dieners, mein Herr,« sagte Fräulein Hortense, »der Baron ist ein Freund, vor dem wir keine Geheimnisse nötig haben. Er ist zwar ein Preuße, aber er ist ein Kavalier, in dessen Ehre ich unbedingtes Vertrauen setze, er wird uns wesentlich behilflich sein, um Sie zu retten und vielleicht, um später Ihrem Schicksal eine günstigere Wendung zu geben.«

Die beiden jungen Männer sahen sich erschrocken an, keiner von ihnen wußte sich diese Worte zu erklären, keiner von ihnen wagte eine Erwiderung.

»Herr Baron von Rantow,« fuhr Fräulein Hortense fort, »dieser Herr, den Sie unter dem Namen Bertin als meines Vaters Sekretär hier gesehen haben, ist der Kapitän von Feldhausen, ein hannoverischer Edelmann, welcher in die französische Armee getreten und Ordonnanzoffizier des Marschalls Bazaine war. Er darf von den preußischen Truppen nicht erkannt und nicht gefangen werden, die Gefahr, daß dies geschehe, wird größer werden, wenn vielleicht neue Kranke und Verwundete in unser Lazarett kommen. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie mit uns über Mittel und Wege nachsinnen werden, um ihn sobald als möglich über die belgische Grenze zu retten, und ich bin gewiß, daß Sie meine Bitte erfüllen werden. Ich bedaure,« fügte sie hinzu, indem es abermals wie eine Bitte aus ihrem Blick zu dem Baron hinüberschimmerte, – »ich bedaure, Ihnen das nicht früher gesagt zu haben, – es war nicht Mißtrauen, was mich schweigen ließ, sondern die Furcht, Sie in peinlichen Konflikt mit den Pflichten Ihrer Stellung zu bringen. Jetzt, da die Gefahr näher tritt und die Zeit des Handelns da ist, wende ich mich an die Ehre des Edelmanns und«, fügte sie mit leiser, zitternder Stimme hinzu, –»an das Herz des Freundes, der mir beistehen wird, ein gutes und edles Werk zu tun.«

Herr von Feldhausen stand stumm, mit niedergeschlagenen Augen da. Über das Gesicht des Herrn von Rantow zog ein Schimmer helleuchtenden Glücks. Er machte eine Bewegung, als wollte er zu den Füßen der jungen Dame niederstürzen, welche, nachdem sie geendet, wie erschrocken über das, was sie getan, errötend und zitternd dastand, – dann aber wandte er sich zu Herrn von Feldhausen, streckte ihm seine Hand entgegen und rief:

»Ihr Geheimnis, mein Herr, ruht in meiner Brust so sicher wie in einem verschlossenen Grabe. Ich beklage, was Sie getan, aber ich bin nicht Richter darüber und Ihnen nach allen Kräften beizustehen ist für mich eine Ehrenpflicht, – und eine Pflicht der Dankbarkeit gegen dies edle und gastliche Haus, unter dessen schützendem Dach ich Ihnen begegnet bin.«

»So,« rief Fräulein Hortense ganz glücklich, »nun haben wir keine Geheimnisse mehr, nun werden wir miteinander und mit meinem Bruder beraten, was zu tun ist! – – Sind Sie nun zufrieden?« fragte sie leiser, das Auge halb zu Herrn von Rantow aufschlagend.

»O, mein Fräulein,« rief der Baron, – »Sie haben mich unendlich glücklich, unendlich stolz gemacht durch – Ihr Vertrauen, das Sie mir bewiesen.«

»Nun werde ich die Herren bitten,« sagte Fräulein Hortense, indem sie den sichern Ton der vornehmen Dame wiederfand, »miteinander zu überlegen, wie wir alles am besten einrichten, – ich will ein wenig nach meinen Kranken sehen.«

Mit leichter Neigung des Kopfes deutete sie den jungen Leuten ihre Entlassung an.

Herr von Feldhausen verbeugte sich schweigend und ernst. Der Baron von Rantow folgte ihm, indem er nur zögernd seinen glühenden Blick von dem jungen Mädchen löste, welche das Lächeln reizender Verwirrung, mit dem sie ihn grüßte, noch anmutiger erscheinen ließ.


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