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26. Kapitel.

Gerard ging hinab und gab durch die leise geöffnete Tür den beiden einen Wink, ihm zu folgen. Draußen aber fragte die Dame:

»Ist sie daheim, Gerard?« – Ja«, antwortete er unter einem fröhlichen Nicken. – »Hast du mit ihr gesprochen?« – »Soeben.« – »Ah, dein Gesicht hat einen so überaus glücklichen Ausdruck. Darf ich raten?« – Ja. Rate einmal, Kind!« – »Sie ist dein?«

Da holte er tief Atem und antwortete:

»Ja, sie will mein sein, sie, die Gute, die Reine, will mir angehören, dem Bösen, dem Unreinen!«

Da ergriff die Dame seine Hand und bat:

»Still, Gerard! Was du warst, das warst du ohne deine Schuld. Und damals, als du zu den von Gott scheinbar Verlassenen gehörtest, hat dich die Liebe veredelt, die du zu mir im Herzen trugst. Komm! Ich bin begierig, die kennenzulernen, der du verdankst, daß du es auf dich genommen hast, dich mit deinem Gewissen auszusöhnen.« – »Sie weiß noch nicht, wer du bist.« – »Warum?« – »Weil ich sehen will, ob sie scharfsinnig genug sein wird, es zu erraten. Kommt herauf.«

Oben hatte Resedilla die Zimmer geöffnet und erwartete die beiden.

»Willkommen, Señor! Willkommen, Señora!« sagte sie, ihnen die Hände geben. »Ich hoffe, daß Ihr fürliebnehmen werdet. Ah!«

Diesen Ausruf stieß sie aus, als sie die Dame näher betrachtete.

»Was ist's, meine Resedilla?« fragte Gerard. – »Ah, diese Ähnlichkeit«, antwortete sie mit allen Zeichen freudiger Überraschung. »Soll ich raten, wen du mir bringst?« – »Ja, rate.« – »Diese Señora ist deine Schwester!«

Da nickte er unter einem befriedigten Lächeln mit dem Kopf und sagte:

»Richtig! Es ist Annette, meine Schwester, liebe Resedilla.« – »Dieselbe, die Señor Sternau damals in Paris aus der Seine gerettet hat, als sie sich ins Wasser stürzte?« – »Dieselbe!« – »Willkommen, tausendmal willkommen! Welch eine Freude! Eine solche Überraschung hätte ich nicht für möglich gehalten!«

Resedilla umarmte die Französin, und diese sah und erkannte, welche Perle ihr Bruder in diesem guten, herzigen Mädchen gefunden hatte. Sie erwiderte die Umarmung auf das innigste und sagte:

»Habt Dank, Señorita, für die Liebe, die mein Bruder in Eurem Hause gefunden hat. Wir werden das Euch nie vergessen. Gott segne Euch dafür, da wir es Euch nicht vergelten können!«

Nach einiger Zeit kam Resedilla in die Küche, wo ihr Vater mit der alten Magd zwischen den Schüsseln und Tellern wirtschaftete. Als er sie erblickte, fragte er:

»Wo warst du?« – »Oben in meiner Stube«, antwortete sie. – »Gehe rasch wieder hinauf.« – »Warum?« – »Wir brauchen dich nicht« – »Ich habe doch das Essen zu bereiten.« – »Dummheit! Wir bringen das schon selbst fertig. Dieser Gerard braucht sich auf keine großen Delikatessen zu spitzen.«

Sie wußte, weshalb er sich in einer so grimmigen Stimmung befand. Sie verbarg ihr Lächeln und meinte:

»Ich denke, du hältst so große Stücke auf ihn?« – »Papperlapapp! Diese Zeiten sind vorüber.« – »Warum denn?« – »Das geht dich gar nichts an! Wo ist der Kerl?« – »In seiner Stube.« – »Der kann eigentlich bei den Vaqueros auf dem Heu schlafen. Nicht einen lumpigen Julep hat er sich geben lassen. Wo sind die beiden anderen?« – »Oben.« – »Hast du sie gesehen?« – »Natürlich!« – »Donnerwetter! Weißt du, wer das Mädchen ist?« – »Nun?« – »Seine Braut!«

Resedilla machte eine Miene des allergrößten Erstaunens.

»Seine Braut?« fragte sie. »Nein, das glaube ich nimmermehr.« – »Glaube es meinetwegen oder nicht! Er hat es mir selbst gesagt. Aber die Strafe folgt auf dem Fuß. Hier, dieses Essen soll ihm gut bekommen. Ich habe statt Butter Talg, statt Zucker Pfeffer, statt Milch Essig und anstatt des guten Fleisches eine alte Rindslunge genommen. Das steht am Feuer, bis es verbrannt ist, und dann mögen sie sich die Zähne ausbeißen und die Zungen am Pfeffer verbrennen.« – »Aber Vater! Was denkst du ...« – »Still, kein Wort«, unterbrach er sie. »Wer so dumm ist heiraten zu wollen, für den ist eine verbrannte und verpfefferte Ochsenlunge noch immer eine Delikatesse, deren er gar nicht wert ist. Packe dich fort, wir brauchen dich nicht!« – »Aber das geht nicht. Ihr beide versteht ja vom Kochen und Braten nicht das allergeringste.« – »Gerade darum kochen und braten wir für dieses Volk. Teufel noch einmal! Will ich mich freuen über die Gesichter, die sie schneiden werden, wenn sie in die famose Lunge beißen. Du aber, du kannst verschwinden, wir brauchen dich nicht.«

Pirnero faßte Resedilla an und schob sie zur Tür hinaus. Sie ließ es unter heimlichen Lachen geschehen und begab sich zu dem Geliebten, um diesen vor der famosen Rindslunge zu warnen.

Dann aber setzte sie sich wieder in das Gastzimmer an ihr Fenster.

Nach einiger Zeit trat die Magd ein und begann zu decken. Pirnero beaufsichtigte dieses Geschäft und schickte sie dann hinauf, um die drei Gäste zur Tafel zu holen. Dann setzte er sich an sein Fenster, aber so, daß er den Tisch, an dem gegessen werden sollte, übersehen konnte. Er freute sich über die Gesichter, die er nach seiner Ansicht zu sehen bekommen werde.

Die drei traten ein und nahmen mit den ernstesten Mienen Platz. Pirnero sah zum ersten Male Annettes Gesicht.

»Pfui Teufel!« brummte er vor sich hin. »Sich so eine alte Grille auszulesen. Aber, hm, ja. Eine andere hätte er auch nicht bekommen.«

Gerard nahm die Gabel und spießte sie in die Lunge. Er mußte Gewalt anwenden, um die Gabel hineinzubringen.

»Sapperlot«, meinte er schmunzelnd und vor Appetit mit der Zunge schnalzend. »Welch ein saftiger und weicher Braten! Was ist denn das, Señor Pirnero?« – »Gebackene Kalbslunge«, antwortete dieser. – »Ah, mein Leibgericht.« – »Meines auch, lieber Gerard«, meinte die Dame, »aber gebackene Kalbslunge sollte eigentlich kalt gegessen werden.« – »Ja, kalt ist sie mir auch zehnmal lieber«, antwortete Gerard. »Wie wäre es, wenn wir sie uns bis zum Abend aufhöben?« – »Ich bin dabei. Aber was essen wir dann?« – »Oh, ich habe noch ein Stück am Spieß gebratene Büffellende in meinem Sattelsack. Das hole ich, und wir wärmen es. Habt Ihr noch Feuer, Señor Pirnero?« – »Nein«, antwortete dieser ganz ärgerlich, daß er um die gehoffte Genugtuung kommen sollte.

Gerard aber ließ sich nicht irremachen. Er öffnete die Küchentür, blickte hinaus und sagte:

»Dort brennt es ja noch hell und lichterloh. Ich werde das Lendenstück holen. Señorita Resedilla, werdet Ihr so gut sein und es unter Eure Aufsicht nehmen?«

Resedillas Vater warf ihr einen befehlenden Blick zu. Sie sollte die Frage verneinen; aber sie erhob sich vom Stuhl und antwortete:

»Ich kann es Euch doch wohl nicht abschlagen, Señor, obgleich es um die schöne Lunge jammerschade ist.« – »Ja«, meinte Pirnero. »Kalbslunge kalt essen. Habe das noch nie gehört, weder hier noch drüben in Pirna, wo sie doch auch wissen, was gut schmeckt.«

Aber er konnte es nicht ändern. Gerard holte seinen Braten herbei und übergab ihn Resedilla, die mit ihm in der Küche verschwand. Dann wandte er sich an Pirnero.

»Können wir einstweilen einen Julep erhalten, Señor?« – »Ja. Doch einen nur für alle drei?«

Gerard tat, als ob er die Malice, die in dieser Frage lag, gar nicht bemerke, und antwortete:

»Nein, sondern pro Person einen.« – »Ah! Die Señorita trinkt auch Julep?« – »Natürlich!« – »Hm! Das erwartet man eigentlich nur von einer Indianerin.« – »Sie hat auch lange Zeit in der Nähe von Indianern gewohnt.«

Pirnero holte die Schnäpse und setzte sich dann an sein Fenster. Es trat eine Stille ein, die niemand unterbrechen wollte. Gerard wußte, daß der Alte es nicht lange so aushalten werde; er kannte dessen Eigentümlichkeiten. Er hatte sich auch nicht verrechnet, denn nach fünf Minuten rückte Pirnero auf seinem Stuhl hin und her, und nach abermals derselben Zeit sagte er, einen Blick zum Fenster hinauswerfend:

»Schlechtes Wetter.«

Kein Mensch antwortete. Darum wiederholte er nach einer Weile:

»Miserables Wetter!«

Als es nun noch still blieb, drehte er sich halb um und rief:

»Na?« – »Was denn?« fragte Gerard lächelnd. – »Armseliges Wetter!« – »Wieso?« – »Diese Hitze!« – »Nicht so sehr schlimm!« – »Nicht? Donnerwetter! Wollt Ihr die Trockenheit noch schlimmer?« – »Ich habe sie noch viel schlimmer erlebt. Da draußen in der Llano estacado zum Beispiel.« – »Ja, aber hierher paßt sie nicht. Habt Ihr den Fluß gesehen?« – »Natürlich!« – »Fast gar kein Wasser darin. Die Fische verschmachten und die Menschen beinahe auch. Verfluchtes Land. Aber ich werde gescheit sein.« – »Wieso?« – »Ich ziehe fort.«

Dieser Entschluß kam Gerard überraschend.

»Ah! Wirklich?« fragte er. – »Ja. Es ist fest bestimmt.« – »Wohin zieht Ihr denn?« – »Hm! Wißt Ihr, woher ich bin?« – »Ja.« – »Nun?« – »Aus Pirna in Sachsen.« – »Richtig. Nun wißt Ihr ja auch, wohin ich ziehe.« – »Wie? Nach Pirna wollt Ihr?« – »Das versteht sich. Übrigens kann ich fast gar nicht anders.« – »Weshalb?« – »Weil ich gestern einen Brief bekam, aus Pirna nämlich. Könnt Ihr Euch etwa denken, von wem?« – »Ich habe keine Ahnung.« – »Ja, zu so einer Ahnung seid Ihr auch der richtige Kerl gar nicht, dazu fehlt es Euch an den nötigen Begriffen. Wißt Ihr vielleicht, was man unter einem Schulfreund versteht?« – »Das wenigstens weiß ich, trotzdem ich keine Begriffe habe«, antwortete Gerard lachend. – »Nun, so einen Schulfreund habe ich, der hat es so nach und nach bis zum geheimen Stadtgerichtsamtswachtmeistersobersubstituten gebracht. Wißt Ihr, was das ist?« – »Ich ahne es.« – »Ja, so etwas könnt Ihr nur ahnen. Dieser Obersubstitut hat einen Sohn, der erst bei der Eisenbahn, dann bei der Marine und endlich bei der Oberstaatsanwaltschaft gedient hat. Nun ist er wirklicher geheimer Oberlandessporteleinzahlungskassenrevidierungsfeldwebel, und dieser wirkliche Geheime hat in dem Brief um die Hand meiner Resedilla angehalten.« – »Alle Teufel! Kennt er sie denn?« – »Dumme Frage. So vornehme Leute heiraten stets nur aus der Entfernung.« – »Habt Ihr bereits geantwortet?« – »Ja.« – »Was?« – »Ich habe mein Jawort gegeben und meinen Segen erteilt.« – »Das ist sehr schnell gegangen.« – »Warum nicht? Dieser Schwiegersohn stammt aus einer der feinsten Familien des Landes. Er ist ein wirklicher Geheimer. Wen aber hätte Resedilla hier bekommen? Höchstens einen armen Teufel von Trapper oder Jäger, dem es lieb gewesen wäre, sich bei mir satt zu essen.« – »Vielleicht habt Ihr recht. Ich gratuliere.« – »Danke«, meinte der Alte unter einem höchst gnädigen und herablassenden Kopfnicken. – »Aber«, fuhr Gerard fort, »wenn Ihr hier fort wollt, was fangt Ihr da mit Eurem Eigentum an?« – »Ich verkaufe!« – »Hm! Das wird schwer werden.« – »Unsinn! So ein Geschäft, wie das meinige, findet seinen Mann. Und die paar Meiereien, die mir gehören, werde ich auch bald los.« – »So habt Ihr wohl schon einen Käufer?« – »Ja.«

Das war eine Unwahrheit, aber in seinem Grimm lag es dem Alten nur daran, Gerard recht zu ärgern. Dieser machte die unschuldigste Miene von der Welt und sagte:

»Das ist schade, sehr schade.« – »Wieso?« – »Weil ich gekommen bin, um Euch zu fragen, ob Ihr nicht Lust habt, zu verkaufen.«

Da drehte Pirnero sich mit einem Ruck zu ihm herum und fragte:

»Ihr? Ihr selbst?« – »Ja.« – »Ihr wolltet mich fragen, ob ich Lust habe, zu verkaufen?« – »Ja, ich.« – »Wie kommt denn Ihr zu einer solchen Frage?« – »Weil ich einen Käufer weiß, dem Euer Geschäft und Eure Meiereien sehr gut passen würden.«

Pirnero war nur in seinem Grimm auf den Gedanken gekommen, zu verkaufen und fortzuziehen. Nun er aber von dem Jäger diese Worte hörte, war es ihm zumute, als ob er diesen Entschluß bereits längst und unwiderruflich gefaßt gehabt hätte.

»So?« fragte er. »Wer ist es denn?« – »Das zu erfahren, kann Euch doch nun nichts mehr nützen.« – »So? Warum denn?« – »Weil Ihr bereits einen Käufer habt.« – »Das ist noch lange kein Grund, mir die Auskunft zu verweigern. Hat man zwei Käufer anstatt nur einen, so kann man sich den auswählen, der am meisten bietet. Also, wer ist es?« – »Ich selbst.« – »Ihr selbst?« fragte Pirnero, indem er vor Staunen den Mund weit öffnete. – »Ja, ich selbst«, antwortete Gerard sehr ruhig. – »Sakkerment! Macht keine dummen Witze mit mir.« – »Pah! Ich rede sehr im Ernst.« – »So seid Ihr unsinnig.« – »Wieso?« – »Wie wollt Ihr der Käufer sein? Ihr könntet mir das Zeug doch gar nicht bezahlen.« – »Wißt Ihr das so genau?« – »Sehr genau. Der Kolben Eurer Büchse ist zwar von Gold, auch ist es möglich, daß Ihr wißt, wo noch einige Nuggets liegen, und Ihr habt ja wohl einige Säcke Blei bei Euch, aber das alles ist doch noch nichts gegen die Summe, die ich verlangen würde.« – »Hm. Vielleicht könnte ich sie doch bezahlen.« – »Versucht es einmal«, höhnte der Alte. – »Wieviel verlangt Ihr?« – »Hundertsechzigtausend Dollar. Zahlt Ihr die, so bekommt Ihr alles, wie es steht und liegt.« – »Auch das Inventar?« – »Ja.« – »Und die Vorräte im Magazin?« – »Ja.«

Gerard wiegte nachdenklich den Kopf hin und her.

»Hm«, sagte er. »Das wäre allerdings nicht übel! Aber leider habe ich diese Summe nicht.« – »Dachte es mir schon! Wieviel bringt Ihr denn zusammen?« – »Zwölftausend Dollar.« – »Das ist nichts, das zählt gar nichts. Soviel haben nur arme Leute. Da ist mein wirklicher Geheimer ein anderer Kerl. Aber sagt mir doch einmal, was Ihr mit meinem Zeug anfangen wolltet, vorausgesetzt nämlich, daß Ihr es bezahlen könntet!« – »Ich würde es verschenken.« – »Verschenken?« fragte Pirnero. »Seid Ihr verrückt?« – »Vielleicht.« – »Nicht vielleicht, sondern wirklich! Wer ein solches Vermögen verschenkt, der ist in Wirklichkeit verrückt. An wen würdet Ihr es denn verschenken?« – »An den Señor da drüben.« – »An den? Wer ist er denn?« – »Mein Schwager.« – »Euer Schwager? Ah, ich verstehe! Der Bruder von Eurer Braut. Na, es ist schon dafür gesorgt, daß der Ziege der Schwanz nicht zu lang wächst. Mit dem Verschenken wird es nichts. Mit dem Verkaufen auch nicht, selbst, wenn Ihr noch einige hundert Dollar für das Blei bekommt, das ich Euch abkaufen werde.« – »Leider, leider! Aber sagt, wie bezahlt Ihr das Blei?« – »Je nach der Güte.« – »Da möchte ich doch einmal erfahren, was Ihr für das meinige bietet.« – »Laßt es sehen!«

Ohne ein Wort zu sagen, entfernte sich Gerard und brachte einen der Ledersäcke herein, die von den Dienern abgeladen worden waren. Dieser mußte sehr schwer sein, wie es schien.

»Warum hier?« fragte Pirnero. »Das machen wir ja drüben im Laden ab.« – »Hier oder drüben, das bleibt sich gleich«, antwortete der Jäger. »Ihr werdet das Blei doch nicht kaufen.«

Dabei legte er den Sack vor Pirnero hin.

»Warum nicht kaufen?« fragte dieser. – »Weil Ihr es nicht bezahlen könnt.«

Da lachte der Alte laut auf.

»Ich, und dieses Blei nicht bezahlen!« sagte er. »Ich sage Euch, daß ich es augenblicklich bezahlen könnte, selbst wenn Ihr zehn solche Säcke brächtet! Soviel Geld hat der alte Pirnero immer!« – »Wollen sehen! Macht einmal auf!«

Gerard zog sein Messer und reichte es Pirnero hin. Dieser fragte:

»Darf ich das Siegel wegmachen?« – »Ja.« – »Und das Leder aufschneiden?« – »Natürlich. Ihr müßt ja das Blei sehen.«

Dabei stellte Gerard den Sack aufrecht vor Pirnero hin. Dieser kratzte das Siegel mit dem Messer weg, machte einen Querschnitt und zog das Leder weg. Es gab nun eine zweite und dritte Lage ungegerbten Leders, die Pirnero beseitigte. Dann bückte er sich nieder, um das Metall zu besichtigen, fuhr aber sofort wieder zurück.

»Heiliges Pech! Ist's möglich?« rief er aus.

Seine Augen waren weit geöffnet und starrten mit einem Ausdruck unbeschreiblichen Erstaunens auf Gerard.'

»Was denn?« fragte dieser.

Pirnero bückte sich abermals nieder, um den Inhalt des Sackes genauer zu besichtigen.

»Das nennt Ihr Blei?« rief er, – »Haltet Ihr es denn für etwas anderes?«

Da fuhr der Alte mit beiden Händen in den Sack, wühlte darin herum und antwortete:

»Blei, sagt Ihr? Das ist ja Gold, reines, gediegenes Gold! Nuggets von der Größe einer Haselnuß!« – »Alle Teufel!« lachte Gerard. »Was habe ich da gemacht! Da habe ich mich wahrhaftig vergriffen und meine Nuggets eingepackt anstatt des Bleies!«

Pirnero war ganz starr. Er hielt die beiden mit Nuggets gefüllten Hände gerade vor sich hin und starrte wie abwesend auf das Gold. Resedilla hatte sich in der Küche kein Wort des Gespräches entgehen lassen. Sie war jetzt hereingekommen und stand ebenso erstaunt da wie ihr Vater.

»Euch vergriffen!« rief dieser endlich. »Um Gottes willen! Wie schwer ist denn dieser Sack?« – »Sechzig Pfund«, antwortete der Jäger. – »Und jedes Maultier schleppte zwei solche Säcke?« – »Ja.« – »Und wem gehört das alles?« – »Mir.« – »Euch? Euch allein? Mensch, so seid Ihr ja steinreich!« – »Möglich.« – »Reicher, zehnmal reicher, als ich es bin!« – »Sehr wahrscheinlich.« – »Aber sagt, woher habt Ihr denn dieses Gold?« – »Aus den Bergen. Übrigens liegt noch mehr da oben.« – »Noch mehr? Und Ihr wißt, wo es zu finden ist?« – »Ja.« – »Mensch! Kerl! Gerard! Señor! Und das sagt Ihr mit einer solchen Seelenruhe, als ob es sich um einen Pappenstiel handele!« – »Pah! Das Gold macht nicht glücklich. Ich habe mir ein wenig geholt, weil ich es brauche, um mich zu verheiraten, wie ich Euch bereits sagte.« – »Leider, leider. Aber, Señor, nehmt es mir nicht übel. Ihr spielt da den schlimmsten Streich Eures Lebens!« – »Inwiefern?«

Ohne überhaupt zu beachten, daß die Dame zugegen war, ließ Pirnero in seinem Paroxismus sich fortreißen, zu antworten:

»Ihr hättet noch eine ganz andere Frau gekriegt!« – »So? Meint Ihr? Was denn für eine?« – »Nun, eine, die Euch wenigstens einen tüchtigen Schwiegervater mitbringen würde.« – »Das ist allerdings etwas wert«, lachte Gerard. »Zuerst war es freilich meine Absicht, mir ein Mädchen zu suchen, das mir einen Schwiegervater mitbringen werde, aber ...« – »Was, aber? Habt Ihr etwa keine solche gefunden?« – »O ja doch! Aber ich kam zu spät.« – »Wieso zu spät?« – »Ihr Vater hatte sie einem anderen versprochen.« – »Kannte er Euch denn nicht?« – »Oh, sehr gut.« – »Dann ist er ein ganz ungeheurer Dummkopf gewesen!« – »Wohl nicht.« – »O doch! Wer Euch kennt, der weiß, was Ihr wert seid.« – »Soviel war ich doch nicht wert, wie der andere, der das Mädchen bekommen soll.« – »Ah! Wirklich? War der andere denn ein gar so großes Tier?« – »Ein sehr großes«, antwortete Gerard ernsthaft. – »Nun, was war er denn da?« – »Er ist wirklicher geheimer Oberlandessporteleinzahlungskassenrevidierungsfeldwebel.«

Pirnero wich zurück, blickte den Jäger eine Weile an und fragte:

»Wie meint Ihr das? Was wollt Ihr damit sagen?« – »Was der andere ist, wollte ich sagen.« – »Donnerwetter! Das sind ja meine eigenen Worte!« – »Freilich.« – »Ihr meint den Pirn'schen da drüben?« – »Ja.«

Da fixierte der Alte die Anwesenden alle, einen nach dem anderen und rief:

»Señor Gerard, wollt Ihr mich etwa konfus machen?« – »Nein, sondern Ihr habt mich ganz konfus gemacht!« antwortete dieser höchst ernsthaft. – »Euch? Womit?« – »Mit Eurem wirklichen Geheimen.« – »Wie kann ich Euch mit dem konfus machen? Hattet Ihr denn ein Auge auf die Resedilla geworfen?« – »Ja, alle beide sogar!«

Da brauste der Alte zornig auf.

»Und dort steht Eure Braut!« – »O nein, Señor.« – »Nicht? Ihr sagtet es doch!« – »Ich machte nur Scherz. Diese Señora ist meine Schwester und die Frau meines Schwagers, der da neben ihr steht.«

Da machte Pirnero ein Gesicht, als ob er Scheidewasser verschluckt habe.

»Also Scherz?« fragte er. »Sakkerment, was sind mir das für Sachen! Dadurch kann ein braver Kerl nur in die gewaltigste Klemme geraten! Übrigens mag Euch die Resedilla ja gar nicht!« – »Wißt Ihr das so genau?« fragte Gerard. – »Ja. Sie reißt ja vor Euch aus!« – »Das tut nichts. Ich bin ihr nachgelaufen.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja, und habe sie gefragt, ob sie aus Haß oder aus Liebe vor mir ausgerissen ist« – »Dummheit! Aus Liebe reißt keine aus.« – »Es ist aber doch so gewesen. Resedilla hat mir gesagt daß sie mich lieb hat und daß sie bereit ist, meine Frau zu werden.«

Da drehte der Alte sich nach seiner Tochter um.

»Ist das wahr?« fragte er. – »Ja, lieber Vater«, antwortete die Gefragte, zwar errötend, aber doch ohne Furcht und Scheu.

Da schlug Pirnero die eine Hand auf die andere und rief:

»Nun hört mir aber doch alles und verschiedenes auf! Reißt vor ihm aus und will ihn dennoch heiraten! Also Ihr seid Euch gut?«

Sein Gesicht war plötzlich ein ganz anderes geworden; es glänzte förmlich vor Befriedigung und Freude.

»Ja«, antworteten beide. – »Na, da nehmt Euch denn in Gottes Namen!«

Pirnero wollte ihr Hände ergreifen, aber Gerard wehrte ab und sagte:

»Ich danke, Señor! Damit ist es nichts!« – »Nichts? Alle Wetter! Warum denn?« – »Ihr müßt ja Eurem wirklichen Geheimen Wort halten!« – »Unsinn! Der lebt ja nicht!« – »Wie? Was? Er lebt ja drüben in Pirna!« – »Nein. Den gibt es gar nicht.« – »Aber Ihr sagtet es doch!«

Pirnero befand sich in Verlegenheit, da kam ihm ein Gedanke, den er sofort zur Ausführung brachte.

»Ja, gesagt habe ich es«, meinte er, »aber nur, um Euch zu bestrafen, Señor Gerard.« – »Das begreife ich nicht.« – »Und doch ist es so einfach. Haltet Ihr mich etwa für so dumm, daß ich Euch nicht durchschaue? Ich habe längst gewußt, wie es mit Euch und Resedilla steht, ich habe nicht geglaubt, daß diese Señora Eure Schwester sei; aber weil Ihr mir das weismachen wolltet, habe ich zur Strafe das Märchen von dem wirklichen Geheimen erfunden.«

Niemand glaubte ihm; aber sie ließen sich das nicht merken, und Gerard fragte:

»Also, Señor, so sagt mir allen Ernstes, ob ich Euch als Schwiegersohn recht und willkommen bin!«

Da streckte ihm der Alte beide Hände entgegen und rief:

»Na und ob! Junge, willst du das Mädchen wirklich haben?« – »Von ganzem Herzen!« – »Und, Mädel, bist du in den Kerl so verliebt, daß du ihn heiraten willst?« – »Ja«, lachte Resedilla unter Tränen. – »So kommt an mein Herz, Kinder! Endlich, endlich habe ich einen Schwiegersohn! Und was für einen!«

Er drückte beide fest an sich und schob sie dann einander in die Arme, indem er sagte:

»Da, umarmt Euch und gebt Euch einen Kuß, damit ich sehe, ob es wahr ist, was ich beinahe nicht glauben kann!«

Sie küßten sich, und nun faßte er sie bei den Köpfen und rief:

»Wahrhaftig, sie küssen sich! Na, da gibt es keinen Zweifel mehr. Kommt her, Kinder! Auch von mir soll jedes einen Schmatz haben, der Gerard, die Resedilla, der Schwager und auch die Schwester!« – »Nicht auch die Köchin von wegen der gebackenen Lunge?« fragte Gerard lachend. – »Kinder, laßt das gut sein! Die Lunge war ein Braten vor Ärger. Ihr sollt etwas anderes bekommen.«

Er nahm die vier Anwesenden beim Kopf. Er fühlte sich so glücklich wie noch nie, ja, er vergaß sogar in seiner Freude das Gold, bis er fast über den Sack gestürzt wäre.

»Ah, die Nuggets«, sagte er da. »Was geschieht mit denen?« – »Mit ihnen werde ich bezahlen«, antwortete Gerard. – »Was denn?« – »Ah, hast du denn unseren Handel vergessen, lieber Vater?«

Pirnero machte einen Luftsprung und rief:

»Lieber Vater, sagt der Kerl, und du nennt er mich! Himmelbataillon, da könnte man vor Freude gleich den Mond vom Himmel reißen. Ja, sobald man einen Schwiegersohn hat, ist man ein ganz anderer Kerl! Aber unser Handel? Hm, das ist nun so ein Ding. Soll ich denn wirklich verkaufen?« – »Ich denke, du bist dazu entschlossen«, meinte Gerard. – »Ich tat allerdings so. Es war vor Grimm und Wut.« – »Schade.« – »Wieso schade?« – »Ich hätte die Geschichte gekauft und meiner Schwester geschenkt.« – »Mensch, das wäre toll!« – »Nein. Mein Schwager und meine Schwester sehnen sich nach einem Platz, wo sie ruhig und sicher wohnen können. Beide sind arm, ich aber habe mehr als genug. Da dachte ich, wir und der Vater könnten ihnen das Geschäft und die Meiereien ablassen, und dann zögen wir an einen anderen Ort?« – »Hm«, meinte Pirnero. »Nicht übel. Aber an welchen Ort?« – »Das würde sich finden. Nach Mexiko, nach New York, nach London, nach Paris, nach Dresden ...« – »Oder nach Pirna!« unterbrach ihn der Alte fast jauchzend. »Himmelsapperlot, Kinder, glaubt ihr denn, daß ich jemals so einen Gedanken gehabt habe?« – »Welchen?« fragte Resedilla. – »Meine Vaterstadt zu besuchen. Man hält es nicht für möglich, aber ich habe niemals daran gedacht. Jetzt werde ich auf einmal gescheit! Holla, hurra! Was werden sie in Pirna sagen, wenn ich komme! Aber, ah, da habe ich einen Gedanken!«

Er machte plötzlich ein so nachdenkliches Gesicht, daß Gerard sich erkundigte:

»Was für ein Gedanke ist es?« – »Hm. Als was soll ich denn eigentlich nach Pirna gehen?« – »Du bist ja Kaufmann hier, lieber Vater.« – »Kaufmann? Das ist jeder, das zieht noch lange nicht«, meinte der Alte verächtlich. – »Haziendero?« – »Sie wissen da drüben gar nicht, was das ist.« – »Plantagenbesitzer?« – »Auch nichts. Ah, ich wüßte etwas!« – »Was?« – »Es war doch hier bei Fort Guadeloupe eine Schlacht!« – »Allerdings.« – »Ich habe auch mit gekämpft.« – »Hm!« machte Gerard. – »Und zwar sehr tapfer.« – »Hm!« – »Wenn ich recht nachsuche, finde ich vielleicht sogar ein paar Wunden und Schrammen, die ich davongetragen habe.« – »Hm!« – »Ich suche also Juarez auf und – und – und ...«

Pirnero stockte. Resedilla fragte:

»Was willst du bei ihm?« – »Nun, Juarez ist Präsident, er kann Stellen und Chargen vergeben, ganz nach Belieben.« – »Du möchtest wohl eine?« – »Freilich!« – »Was für eine?« – »Hm, er könnte mich zum Leutnant machen!« – »Du machst wohl Spaß, Vater?« – »Spaß? Ja, Leutnant in meinen Jahren, das klingt allerdings sehr spaßhaft; es ist also besser, ich werde Hauptmann oder Major, am allerbesten aber Oberst. Donnerwetter! Was würden sie in Pirna für Augen machen, wenn da plötzlich ein echter mexikanischer Oberst aus der Kutsche stiege und den Leuten erzählte, daß er vor fünfzig Jahren beim alten Schneidermeister Wehrenpfennig in die Schule gegangen ist. Ich kriegte ein Denkmal gesetzt und eine Tafel über die Tür meines Geburtshauses. Kinder, ich mache zu Juarez. Ich verkaufe alles, Sack und Band, und werde Oberst. Juarez hat mir so viel zu verdanken, daß er mir ein solches Gesuch gar nicht abschlagen kann.«


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