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9. Kapitel.

Kaum in Mexiko angekommen, begab sich Cortejo nach dem Palast, während Landola in dem Gasthof zurückblieb, in dem sie abgestiegen waren. Der letztere hatte kein Vertrauen zu diesem, wie ihm schien, gewagten Schritt. Der erstere aber war voller Zuversicht, daß ihm nichts geschehen könne.

Am Palast angekommen, erblickte er zu Seiten des Einganges zwei Schilderhäuser. Zwei Ehrenposten standen dabei, ein sicheres Zeichen, daß ein hoher Militär Quartier hier habe. Er wollte eintreten, aber der eine Posten hielt ihn auf.

»Zu wem wollen Sie?« fragte er. – »Welcher Offizier hat hier sein Quartier?« erwiderte Cortejo. – »General Clausemonte.« – »Danke! Den General aber will ich gar nicht belästigen. Ich will zu dem Besitzer des Hauses.« – »Sie meinen zu dem Herrn Administrator?« – »Ja.« – »Gehen Sie parterre rechts.«

Cortejo folgte dieser Weisung. Im Hauskorridor rechter Hand erblickte er an einer Tür ein Schild, auf dem das Wort »Administration« zu lesen war. Er klopfte an und trat, auf einen zustimmenden Ruf von innen, ein. Er befand sich in einem Zimmer mit mehreren Schreibtischen, an dem verschiedene Personen arbeiteten. Einer der Männer trat auf ihn zu und fragte:

»Sie wünschen?« – »Den Herrn Administrator.« – »Ist nicht zu sprechen.« – »Warum?« – »Er frühstückt.« – »Melden Sie mich ihm!« – »Das darf ich nicht. Er will nicht gestört werden.«

Cortejo gab sich ein möglichst imponierendes Äußere und meinte:

»Ich habe Sie bedeutet, mich zu melden, und das werden Sie tun!«

Der Mann blickte erstaunt auf. Cortejos Ton schien aber doch einigen Eindruck hervorgebracht zu haben, denn die Antwort lautete:

»Wer sind Sie, Señor?« – »Das geht nur den Herrn Administrator etwas an. Sagen Sie, ein Herr, der direkt aus Spanien komme, wünsche ihn wegen der gräflichen Besitzungen und deren Verwaltung sogleich zu sprechen.« – »Ah! Das ist wohl etwas anderes. Hätten Sie das sogleich gesagt, so wären Sie bereits gemeldet. Wollen Sie die Güte haben, mir in das nächste Zimmer zu folgen, um den Herrn Administrator dort zu erwarten!«

Cortejo folgte dem Mann nach dem nebenan liegenden Raum, wo er einstweilen allein gelassen wurde. Das Zimmer glich bei weitem mehr einem feinen Damenboudoir, als einem Expeditionslokal.

»Hm!« brummte Cortejo. »Dieser Herr Verwalter scheint noble Passionen zu haben. Vielleicht hat Landola recht.«

Erst nach einer vollen Viertelstunde hörte er Schritte. Ein sehr fein nach französischer Mode gekleideter Mann trat ein, dessen Gesichtsschnitt, ebenso wie Schnurr- und Kinnbart, sofort den Franzosen vermuten ließen. Er betrachtete Cortejo kalt und forschend und fragte, doch ohne Verbeugung und Gruß:

»Wer sind Sie, Monsieur?« – »Mein Name ist Don Antonio Veridante.« – »Schön! Ein Spanier also dem Laut nach?« – »Ja. Advokat aus Barcelona.« – »Ahnte es!« – »Agent und Bevollmächtigter des Grafen Alfonzo.« – »Welches Grafen Alfonzo?« – »De Rodriganda.« – »Ah! Können Sie dies beweisen?« – »Ja. Hier meine Akkreditive.«

Cortejo gab dem Franzosen die betreffenden Papiere. Dieser las sie durch, ohne daß eine Miene zuckte, und sagte dann kalt:

»Schön! Tut mir aber leid!« – »Was?« – »Diese Papiere sind nicht hinlänglich!« – »Wieso? Zweifeln Sie an der Echtheit derselben?« – »Nicht im mindesten.« – »Der Paß sagt Ihnen ganz genau, wer ich bin!« – »Allerdings.« – »Und die Vollmacht klärt Sie über meine Befugnisse hoffentlich auf.« – »Vollständig.« – »Und dennoch sagen Sie, daß diese Papiere unzulänglich seien?« – »Ja«, antwortete der Gefragte mit einem leichten Achselzucken. – »Was könnte noch fehlen?« – »Sie kommen direkt von Rodriganda oder Barcelona herüber nach Mexiko?« – »Ja.« – »Sie waren nicht vorher in Madrid?« – »Nein.« – »Oder in Paris?« – »Nein.« – »So haben Sie Ihre Reise leider umsonst unternommen.« – »Wieso?« – »Sie hätten sich vorher dem französischen Gesandten in Madrid oder dem spanischen Gesandten in Paris vorstellen sollen.« – »Ich habe das nicht für notwendig gehalten.« – »Da haben Sie sich allerdings geirrt« – »Sie meinen, es sei eine gesandtschaftliche Rekognoszierung notwendig.« – »Sehr notwendig.« – »Das kann ich noch nachholen!« – »Ja, indem Sie sich von hier nach Paris oder Madrid zurückbegeben.« – »Das ist nicht notwendig, da sich hier in Mexiko ein spanischer Geschäftsträger befindet.« – »Ein solcher Beamter befindet sich allerdings hier, aber seine Kompetenz reicht nicht so weit, daß ich auf ihn hören dürfte.« – »Ah! Die Befugnis eines Geschäftsträgers reicht nicht so weit?« – »Nein.« – »Ich werde mich erkundigen.« – »Tun Sie das, Monsieur!« meinte der Franzose, indem er eine etwas schadenfrohe Miene nicht ganz beherrschen konnte. – »Ich bin Advokat und kenne die Gesetze!« drohte Cortejo. – »Das erstere gebe ich zu, das letztere scheint mir aber doch nicht der Fall zu sein.« – »Señor, wollen Sie mich beleidigen?«

Der Franzose warf einen geringschätzigen Blick auf den Spanier und erwiderte:

»Das kann mir gar nicht einfallen.«

Dieser Blick ärgerte Cortejo gewaltig, er sagte erbost:

»Sie meinten aber doch sehr deutlich, daß Sie bezweifeln, daß ich die Gesetze kenne.« – »Das bezweifle ich allerdings.« – »Ah!« – »Ihre Ansicht, daß die Kompetenz des spanischen Geschäftsträgers ausreichend sei, mag für die Gewöhnlichkeit zutreffend sein. Wir aber haben Krieg und befinden uns also in einem Ausnahmefall.« – »Donnerwetter.« – »Ihr Wort, Monsieur, ist nicht sehr höflich, doch will ich es für dieses Mal nicht gehört haben. Also wir haben Krieg. Der Kaiser hat gefunden, daß die Besitzungen von Rodriganda herrenlos sind, und dafür Sorge getragen, daß sie unter Verwaltung kommen. So lange wir uns in dem angegebenen Ausnahmefall befinden, kann ich Ihre Vollmacht nur dann respektieren, wenn durch einen der beiden heimischen Residenten, mag es nun der meinige oder der Ihrige sein, nachgewiesen wird, daß meine Regierung Ihnen erlaubt, die Verwaltung der betreffenden Güter in Ihre Hände zu nehmen.« – »So müßte ich wirklich wieder über den Ozean hinüber?« – »Allerdings.« – »Darf ich nicht wenigstens einigermaßen Einsicht in den Stand der Dinge nehmen?« – »Ich darf dies nicht zugeben.« – »Die Verwaltung befand sich bisher in den Händen des Señor Pablo Cortejo?« – »Ja.« – »Warum ist sie ihm genommen worden?« – »Er wurde als Empörer und Verräter des Landes verwiesen. Sie sehen doch ein, daß es ihm da unmöglich ist, dieses Amt auch fernerhin zu bekleiden.« – »Wo befindet er sich?«

Der Franzose zuckte hochmütig die Achsel und antwortete:

»Weiß ich es? Ich gehöre nicht zur Gendarmerieabteilung. Es ist mir höchst gleichgültig, wo sich dieser Cortejo befindet, den ich nicht nur für einen Empörer, sondern auch für einen ganz ausgefeimten und gewissenlosen Spitzbuben und Betrüger halte.« – »Señor!« rief Cortejo unbesonnen. – »Mein Herr?« – »Sie beschimpfen Cortejo!« – »Mit vollem Recht!« – »Haben Sie Beweise für Ihre Behauptung?« – »So viele Sie wollen!« – »Bringen Sie dieselben!« – »Etwa Ihnen?« lachte der Intendant. – »Ja.« – »Ich bemerkte Ihnen bereits, daß Sie hier nichts zu sagen haben!« – »Und ich werde Ihnen beweisen, daß dies dennoch der Fall ist!« – »Tun Sie es immerhin, es ist mir das sehr gleichgültig.« – »Ich werde mich sofort zu meinem Geschäftsträger verfügen.« – »Der ist mir ebenso gleichgültig wie Sie.« – »Zum Kaiser!« – »Pah! Der Kaiser wird Ihnen sagen, daß Sie ihn belästigen.« – »Zu Marschall Bazaine!« – »Der wird Sie einfach einsperren lassen.« – »Donnerwetter!« – »Monsieur, ich habe Ihnen wiederholt gesagt, daß ich das Fluchen nicht dulde.« – »Sie sprachen vom Einsperren.« – »Allerdings, und zwar mit vollem Recht. Sie nehmen sich dieses Cortejo mit einer Wärme an, daß Sie mir verdächtig werden.« – »Ich verdächtige niemanden ohne Beweise.« – »Ich auch nicht. Ich sage Ihnen, daß ich so viele Beweise habe, wie Sie nur verlangen können. Jede Zeile seiner Bücher, die er führte, jede Ziffer, die darin enthalten ist, bildet einen solchen Beweis. Er hat den Grafen Rodriganda um ungeheure Summen gebracht. Wird er ergriffen, so wird er gehängt allein um dieses Grundes willen; denn daß er als Präsident kandidierte, das war eine wahnsinnige Lächerlichkeit.« – »So befindet er sich wirklich außer Landes?« – »Ich weiß es nicht. Haben Sie mir sonst noch etwas zu sagen?« – »Unter diesen Verhältnissen nicht, für jetzt nämlich.« – »So bedaure ich, daß ich mich habe stören lassen.« – »Sie waren notwendig beschäftigt?« – Ja.« – »Beim Frühstück?« lachte Cortejo höhnisch. – »Das ist wahr. Aber Sie geben zu, daß das Frühstück eine notwendigere und angenehmere Beschäftigung ist, als die fruchtlose Unterhaltung mit einem Mann, der hierherkommt, um zu gebieten, sich aber über das Allereinfachste noch nicht im mindesten orientiert hat. Adieu!«

Der Franzose drehte sich stolz um und ging. Cortejo befand sich allein in dem Zimmer. Eine solche Zurechtweisung hatte er noch nie erfahren.

»Warte nur, Bursche!« knirschte er. »Es wird die Zeit kommen, da ich dir das alles wieder heimzahle, und zwar mit Zinsen!«

Cortejo verließ den Ort. Als er durch das vordere Zimmer schritt, wurde er von den höhnischen Blicken der dort anwesenden Schreiber verfolgt Er tat, als ob er dies gar nicht bemerkte, und verließ das Haus. Draußen auf der Straße erkundigte er sich nach der Wohnung des spanischen Geschäftsträgers, zu dem er sich verfügte.

Dort angekommen, konnte er nur nach langem Warten vorgelassen werden und hörte dann zu seinem Ärger, daß er von dem Administrator nur das Richtige erfahren habe. Es blieb ihm nichts übrig, als völlig unverrichteter Sache zu Landola zurückzukehren.


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