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26. Kapitel.

Graf Ferdinando war nach dem oberen Stockwerk gegangen, um das ihm angewiesene Zimmer zu besichtigen. Er hörte die Rufe und trat aus seiner Stube heraus, um wieder nach unten zu eilen. Da öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und im Rahmen derselben erschien ein junges Mädchen, von der Schönheit und dem Glanz der Jugend umflossen. Es war Pepi.

Der Graf blieb bei ihrem Anblick wie versteinert stehen.

»Amilla!« entfuhr es unwillkürlich, aber laut und deutlich seinen Lippen, indem er die Arme erhob, als ob er das Mädchen umfassen wolle.

Sie trat überrascht zurück, aber ohne die Tür zu schließen. Diese Bewegung weckte ihn aus seiner Täuschung, er trat auf sie zu und sagte:

»Verzeihung, Señorita! Gehören Sie zur Familie des Wirtes?« – »Nein«, entgegnete sie, kein Auge von seiner ehrwürdigen Gestalt abwendend. – »So sind Sie fremd wie ich?« – »Ja.« – »Würden Sie die Güte haben, mir Ihren Namen zu nennen?« – »Ich heiße Pepita; man pflegt mich aber Pepi zu rufen.« – »Ich meine Ihren Familiennamen.« – »Ich habe keinen.« – »Ah, das ist doch nicht möglich.« – »Ich habe keine Eltern; ich wurde mit meiner Schwester im Kloster erzogen.« – »Sie haben eine Schwester?« – »Ja.« – »Wie alt ist sie?« – »Sie zählt siebzehn, ich achtzehn Jahre.« – »In welchem Kloster wurden Sie erzogen?« – »Im Kloster della Barbara zu Santa Jaga.«

Graf Ferdinando wollte weiter fragen; da aber kamen zwei Herren den Korridor entlang. Es waren Berthold und Willmann, die beiden Wiener Doktoren.

»Was ist los? Warum schießt man?« fragte Berthold. – »Franzosen kommen, um das Fort zu überfallen«, antwortete der Graf. – »Das ist ja im höchsten Grade überraschend. Komm, Willmann, da ist unsere Hilfe nötig!«

Sie eilten miteinander die Treppe hinab. Pepi war über Don Ferdinandos Worte so erschrocken, daß sie in ihr Zimmer zurücktrat und die Tür schloß.

»Pepita heißt sie!« murmelte der Graf. »Eine Schwester hat sie, und beide wurden im Kloster erzogen, in jenem Kloster della Barbara!«

Er ging wie träumend weiter in das Erdgeschoß hinab.

Als die beiden Ärzte das Palisadentor erreichten, sahen sie die Verteidiger dort versammelt. Sternaus Gestalt überragte alle in der Weise, daß der erste Blick auf ihn fallen mußte. Berthold blieb stehen und faßte seinen Kollegen am Arm.

»Willmann, kennst du den Mexikaner dort?« – »Den?« antwortete der Gefragte. »Ah! Wäre dieser gewaltige Bart nicht, so hielte ich ihn auf der Stelle für ...«

Er hielt inne; der Gedanke war ihm zu abenteuerlich.

»Nun, für wen?« drängte Berthold. – »Für jenen Doktor Sternau, der im Salon deiner Eltern solches Aufsehen erregte, damals, als wir noch Knaben waren.« – »Du hast recht. Er sieht ihm außerordentlich ähnlich, daß ich sofort zu ihm gehen werde. Es wäre doch hochinteressant, wenn ... komm!«

Sie traten beide vor Sternau hin. Berthold grüßte und fragte deutsch:

»Verzeihung, mein Herr! Sind Sie vielleicht ein Deutscher?« – »Ja«, antwortete der Gefragte, indem er den Gruß erwiderte. – »Sie haben eine geradezu frappante Ähnlichkeit mit einem Herrn, der vor längerer Zeit sehr viel bei meinem Vater war.« – »Wer war Ihr Herr Vater?« – »Professor Berthold in Wien.«

Da machte Sternau eine Bewegung der Überraschung und sagte:

»Professor Berthold? Freilich ja; er war mein Freund und Gönner.« – »So täusche ich mich nicht! Sie sind Herr Doktor Sternau?« – »Allerdings.« – »Welch ein Abenteuer! Welch ein Wiedersehen. Wer konnte das denken?« – »So sind Sie wohl der kleine Johannes, der bereits so gut Latein verstand?« – »Ja. Ich wurde Arzt und schloß mich mit meinem Freund, Doktor Willmann hier, der mexikanischen Expedition an, um eine wissenschaftliche Bereicherung zu finden. Wir kamen mit nach Chihuahua und zogen mit gegen das Fort. Die Kompanie wurde aufgerieben, uns aber verschonte man.« – »Das ist interessant, höchst interessant. Wir werden später davon sprechen. Jetzt müssen wir unsere Aufmerksamkeit anderweitig konzentrieren.« – »Man sagt, daß die Franzosen von neuem anrücken!« – »Ja. Blicken Sie da nach Osten hinüber! Sie defilieren da eben zwischen den Bergen hervor, wie man ganz deutlich sehen kann.« – »Wird das Fort verteidigt werden?« – »Das versteht sich! Ich selbst werde die Verteidigung leiten.« – »Aber wo sind Ihre Truppen?« fragte Willmann nicht wenig erstaunt darüber, daß ein deutscher Arzt die Verteidigung eines mexikanischen Forts zu kommandieren hatte. – »Hier!« antwortete Sternau, auf die anwesenden Männer deutend. – »Ah! Wie stark sind die Franzosen?« – »Dreihundert Mann.« – »Und da wollen Sie mit diesem Häuflein Widerstand leisten?« – »Gewiß!« – »Herr Doktor, Sie werden geradezu erdrückt werden!« – »Das werden wir abwarten. Übrigens bitte ich Sie, mit Ihrer ärztlichen Hilfe bei der Hand zu sein.«

Jetzt sandte Sternau einige Eingeborene zu Pirnero, um genügenden Vorrat von Munition herbeizuschaffen, und verteilte die Leute hinter den Palisaden, die sich hart am Rand des Felsens hinzogen. Vom Wasser aus schien man keinen Angriff befürchten zu müssen, da der Feind von der Landseite nahte.

Die Franzosen waren zu Pferde; selbst ihre Fußtruppen waren beritten gemacht. Sie kamen im Galopp herbei und hielten dann in der Nähe des Forts. Ungefähr fünfzig Mann aber trennten sich augenblicklich ab und setzten den Weg im Trab fort, auf das offenstehende Palisadentor zu.

Sie schienen zu glauben, das kleine Fort im Ritt überrumpeln zu können. Sie waren aber kaum noch zwanzig Schritt vom Tor entfernt, da trat ihnen Sternau entgegen, ganz allein, ohne alle Begleitung.

Ein Kapitän führte die Abteilung an. Er parierte unwillkürlich sein Pferd, als er die hohe, stolze Gestalt in reicher, mexikanischer Tracht erblickte.

»Was wünschen Sie hier, Messieurs?« fragte Sternau höflich, aber ernst. – »Wir wünschen in das Fort zu gehen«, antwortete der Kapitän. – »In welcher Absicht?« – »Ah, wollen Sie uns vielleicht examinieren?« – »Ein wenig. Kommen Sie in friedlicher Absicht?« – »Natürlich!« – »So dürfen Sie eintreten. Ich bitte aber, vorher Ihre Waffen abzugeben.« – »Tausend Donner, wer sind Sie denn, daß Sie es wagen, so mit mir zu sprechen?« – »Ich bin der Kommandant des Forts.«

Der Kapitän salutierte höhnisch lächelnd und entgegnete:

»Sehr viel Ehre, Herr Kamerad. Über wieviel Mann gebieten Sie? Über fünf oder sechs?« – »Meine sechs Mann genügen vollständig!« – »Und welchen Rang bekleiden Sie?« – »Untersuchen Sie das mit dem Degen!« – »Ah, gut! Ich fordere Sie hiermit in aller Form auf, mir das Fort zu übergeben.« – »Und ich fordere Sie auf, diesen Platz zu verlassen.« – »Ich gebe Ihnen zehn Minuten Zeit, sich die Sache zu überlegen.« – »Und ich gebe Ihnen zwei Minuten Zeit, sich zurückzuziehen!« – »Donnerwetter, wenn Sie den geringsten Widerstand wagen, muß alles über die Klinge springen.« – »Ich bin begierig, diese fürchterliche Klinge kennenzulernen.« – »Hier ist sie! Drauf, Leute, und hinein!«

Der Kapitän zog den Degen und gab seinem Pferd die Sporen. Er sprang an, und die anderen machten Miene, ihm zu folgen. Da aber griff Sternau in seinen Gürtel und riß die Revolver heraus. Beim ersten Schuß stürzte der Kapitän vom Pferd, und jeder weitere Schuß kostete einen Mann. Dann sprang Sternau rasch zurück, und hinter ihm wurde das Tor zugeworfen. Zu gleicher Zeit blitzte es überall durch die Lücken der Palisaden heraus. Es standen hier ja Leute, die mit einem Gewehr umzugehen verstanden. Ihre Kugeln waren nur auf die Reiter gerichtet. Sie stürzten von den Pferden. Die reiterlosen und durch Schüsse erschreckten Tiere bäumten und überwarfen sich. Es entstand ein fürchterlicher Wirrwarr, in den hinein immer neue Schüsse krachten. Und das alles war so schnell gegangen, daß die Franzosen, die noch unverletzt waren, nicht hatten daran denken können, umzukehren und sich durch die Flucht zu retten. Als die letzten daran dachten und davonsprengten, zählten sie nur noch neun Mann.

Gerard stand neben Sternau. Sein Gewehr rauchte noch von dem letzten Schuß.

»Das war eine Lehre«, sagte er. »Wenn sie klug sind, kommen sie nicht wieder.« – »Sie werden leider nicht so klug sein«, meinte Sternau. »Sehen Sie, daß die Offiziere beisammenstehen, um sich zu beraten?« – »Ja, und sehen Sie da draußen am Rand des Gebirges sich etwas vollziehen?«

Bei diesen Worten deutete Gerard hinaus nach dem östlichen Horizont. Ein aufmerksamer Beobachter konnte dort, wenn er ein scharfes Auge besaß, eine dunkle Linie bemerken, die sich langsam nach rechts und links ausdehnte.

»Ah, die Apachen!« meinte Sternau. – »Sie werden einen Halbkreis bilden, um den Feind zu umfangen.« – »Dazu brauchen Sie immerhin eine Viertelstunde, wenn sie den Feind nicht vor der Zeit auf sich aufmerksam machen wollen.« – »Oh, die Franzosen bemerken nichts; sie stehen zu tief, meinte Gerard. »Sie scheinen übrigens jetzt einen Entschluß gefaßt zu haben.« – »Sie wollen stürmen«, sagte Mariano, der in der Nähe stand.

Er hatte recht. Die Franzosen stiegen ab, führten die Pferde zurück und griffen zu den Bajonetten, die sie aufsteckten. Sie bildeten dann einen Halbkreis, um das Fort gegen den Strom hin zu erfassen. Da wandte sich Sternau an zwei der Eingeborenen und befahl ihnen, die Wasserseite zu beobachten und sofort zu melden, wenn der Feind etwa versuchen sollte, von dort aus einzudringen.

Ein Offizier zu Pferde kam jetzt herbeigesprengt; er hielt ein weißes Taschentuch an der Spitze seines Degens, blieb aber doch so weit entfernt, daß man gerade noch seine Stimme hören konnte. Es war der Kommandierende, und zwar jener Major, der Señorita Emilia so stürmisch anbetete.

»Ah, der Major selbst!« sagte Gerard, als er ihn kommen sah. – »Kennen Sie ihn?« fragte Sternau. – »Ja. Wollen Sie mir erlauben, mit ihm zu sprechen?« – »Gern.« – »Ich werde hinunter zu ihm gehen.« – »Das ist zu gefährlich.« – »Für mich durchaus nicht Ich stehe ja unter dem sicheren Schutz Ihrer Gewehre!« – »So gehen Sie und antworten Sie so, wie ich selbst es tun würde!«

Sternau ließ das Tor öffnen. Gerard nahm seine Büchse und schritt hinaus. Er kletterte ruhig am Felsen hinunter und stand bald gerade am Pferd des Offiziers, der sich über diese Kühnheit nicht wenig wunderte. Als er sich aber den Mann betrachtete, zog er unwillkürlich die Zügel an.

»Bei Gott, der Schwarze Gerard!« rief er. – »Ja, der ist es«, erwiderte der Genannte ruhig. »Meine Gegenwart wird Ihnen sagen, was Sie zu erwarten haben.« – »Was anders als den Besitz dieses Platzes!« – »Pah, lassen Sie sich das nicht träumen! Sie schmachten zwar nach dem Fort wie nach Señorita Emilia, aber wir werden ja sehen, mit welcher Eroberung Sie mehr Erfolg haben.« – »Was geht Sie Señorita Emilia an!« rief der Major. – »Was geht Sie das Fort an! Aber ereifern wir uns nicht. Der Kommandant sendet mich, um zu fragen, was Sie uns mitteilen wollen.« – »Ich verlange die sofortige Übergabe dieses Platzes, und zwar auf Gnade oder Ungnade, da mir vierzig Mann getötet worden sind.« – »Mehr ist es nicht, was Sie verlangen? Sie sind außerordentlich bescheiden! Diese vierzig Mann wurden getötet, weil der sie befehligende Kapitän den Degen gegen unseren Kommandanten zog. Sie sind in nicht ganz zwei Minuten gefallen, und Sie mögen daraus ersehen, was Ihrer wartet. Von einer Übergabe zu sprechen, ist Unsinn, und von der Gnade und Ungnade zu reden, ist gar der reine Wahnsinn!« – »Herr, vergessen Sie nicht, mit wem Sie sprechen!« – »Pah! Ein kleiner Major redet mit dem berühmten Gerard; weiter ist es nichts. Übrigens bin ich es gewesen, der Ihre vernichtete Kompanie in die Hände der Apachen geführt hat. Gebärden Sie sich nicht so stolz, denn auch Ihre Truppe wird vernichtet werden. Kein Mann entkommt.« – »Das ist die Sprache eines Verrückten! Bringen Sie meinen Auftrag Ihrem Befehlshaber.« – »Das ist nicht notwendig. Sie haben ja die Antwort bereits erhalten.« – »Als eine endgültige?« – »Ja.« – »Nun, so sage ich Ihnen, daß wir keinen Pardon erteilen werden!« – »Das wäre ja auch lächerlich, denn Sie werden gar nicht in die Lage kommen, Gnade erteilen zu können.« – »So mag es augenblicklich beginnen!«

Der Major hielt den Degen ohne Taschentusch empor, und sofort setzten die Franzosen sich in Bewegung. Das war eine Treulosigkeit, da Gerard doch als Parlamentär sich noch gar nicht hatte zurückziehen können. Der Major zog seinen Degen und drang auf ihn ein.

»Hier Bursche, hast du deinen Lohn für alles!« rief er und holte zum Hieb aus, aber er kannte Gerard nicht. Dieser parierte den Hieb mit dem Lauf seines Gewehres, riß mit einem gewaltigen Ruck den Reiter vom Pferd und entwand ihm den Degen. – »Stirb an deinem eigenen Verrat und sieh an die Erde genagelt zu, wie ihr vollständig vernichtet werdet.«

Mit diesen Worten warf Gerard den Major zu Boden und stieß ihm den Degen in den Leib, bis an den Griff, so daß die Klinge tief in den Boden drang. Dann kletterte er, von den Kugeln der heranrückenden Feinde umschwirrt, den Felsen empor.

»Herein durchs Tor! Schnell!« rief es drüben auf der anderen Seite. – »Zu spät«, antwortete Gerard. »Ich stehe hier gut.«

Damit suchte er hinter dem einzigen Baum, der da oben bei den Palisaden stand, Deckung. Dort legte er sich nieder und sandte Kugel um Kugel in die im Sturmschritt nahenden Franzosen.

»Dieser Mann sucht den Tod«, sagte Sternau zu Mariano. – »Fast scheint es so!« erwiderte dieser. »Kennst du den Grund?« – »Ja. Wir müssen ihn unterstützen! Er darf nicht fallen. Komm!«

Die Besatzung des Forts war nur ein Häuflein, aber Männer wie Sternau, Gerard, Geierschnabel, Büffelstirn und andere zählen ja mehr als fünf- oder zehnfach. Noch hatte der Feind nicht den Fuß des Felsens erreicht, da begannen sich seine Reihen zu lichten. Aber er drang unaufhaltsam vor.

Als die Franzosen den Felsen zu erklimmen versuchten, zeigte es sich, welch eines mörderischen Feuers die berühmten Jäger fähig waren. Tat einer der Franzosen einen Schritt, so hatte er eine Leiche vor sich, und kaum war er über diese hinweggestiegen, so sank er selbst als Leiche nieder.

Da, wo Gerard stand, tobte der Kampf am heftigsten. Einer der Offiziere hatte ihn erkannt und seine Leute aufmerksam auf ihn gemacht Sie wollten den gefürchteten Jäger zum Gefangenen haben und kletterten am Felsen empor. Aber seine sichere Büchse riß einen nach dem anderen nieder. Und gelang es ja einmal einem, bis an den Rand des Felsens zu kommen, so zerschmetterte Gerard ihm mit dem goldenen Büchsenkolben den Kopf.

An dieser Stelle stand Sternau mit Mariano hinter den Palisaden und nicht weit von ihnen Geierschnabel. Diese drei gaben sich alle Mühe, die Stürmenden von Gerard abzuhalten. Besonders interessant war es, dem Yankee zuzusehen. Er lud und schoß mit einer zauberhaften Geschwindigkeit und sprach dabei so laut, als ob die Feinde ihn hörten.

»Ah, dort will wieder einer dem Gerard ein Blei geben!« sagte er eben. »Schade um die Mühe, denn ich kalkuliere, daß ihn meine Kugel vorher treffen wird.«

Er legte an und drückte ab – der zielende Franzose war eine Leiche.

»Hier kriecht einer herauf. Er denkt, es sieht ihn niemand; ich rechne, daß er eher unten sein wird, als oben«, fuhr er darauf fort und drückte den zweiten Lauf ab, so daß, durch den Kopf geschossen, der Franzose wieder hinabrutschte.

Gerard war so fleißig gewesen, daß er seine Patronen verschossen hatte. Er blutete bereits aus mehreren Wunden, da die meisten Schüsse auf ihn gerichtet waren. Da ertönte die helle, kräftige Stimme Sternaus:

»Aufgeschaut! Hilfe kommt!«

Noch war es trotz ihrer Überzahl nicht einem Franzosen gelungen, bis an die Palisaden vorzudringen, da ertönten ihre Hornsignale, um sie zurückzurufen zur Bildung von Karrees. Sie hatten nicht gemerkt, was hinter ihnen vorging. Und als sie sich jetzt umwandten, sahen sie zu ihrem Entsetzen einen weiten Halbkreis wilder Reiter in rasendem Galopp auf sich zugesprengt kommen.

Es gelang einigen Haufen von ihnen, Vierecks zu bilden, und das war ein großes Glück für sie, denn sonst wären sie auf den ersten Ansturm niedergeritten worden.

Droben beobachtete Sternau die ganze Sache. Durch das Nahen der Apachen und der Jäger Juarez' bekam er Luft.

»Wollen wir nun einen Ausfall machen?« fragte Mariano. – »Es ist das beste.«

Da erscholl Hufschlag die Gasse herauf. Ein Indianerhäuptling kam dahergesprengt, drei Adler- und drei Rabenfedern im wallenden Schopf und das Gesicht mit den Farben der Apachen bemalt. Er hatte eine neue, indianische Kleidung angelegt, und von seinen Schultern fiel der schwere Pelz eines grauen Bären herab. Er bot einen imposanten, kriegerischen Anblick.

»Bärenherz!« rief Mariano. »Woher hat er die Kleidung?« – »Jedenfalls von Pirnero. Er wird sich den Apachen zeigen wollen.«

Diese Ansicht bestätigte sich auf der Stelle, denn der Häuptling deutete wortlos auf das Tor, das ihm sofort geöffnet wurde, und stürmte im Galopp den Weg hinunter und auf den dichtesten Haufen der Feinde ein. »Warum wollen wir da warten?« rief Mariano. »Ihm nach!« – »Ja, ihm nach!« rief auch Geierschnabel. – »Ihm nach!« auch Büffelstirn.

Sie sprangen dem Apachen nach. Sternau war nicht imstande, sie zu halten. Als Kommandant blieb er zurück, nebst den Bewohnern des Forts, denen es nicht einfiel, sich einer so direkten Lebensgefahr auszusetzen.

Wie bereits gesagt, hatten die andringenden Apachen an einigen Haufen Widerstand gefunden. Dies löste ihre geordnete Reihe auf. Während sie an der einen Stelle, alles über den Haufen stürmend, vorwärtsdrangen, wurden sie an anderen Orten von kleinen Vierecks, die sich gebildet hatten, aufgehalten. Diese Vierecks wurden umzingelt, aber der Kampf kam zum Stehen.

Da die Indianer für ein Fechten, Mann gegen Mann in geschlossener Reihe, nicht geeignet sind, so schien es bald, als ob sie hier und da gegen die Franzosen im Nachteil seien. Sie konnten nichts gegen die Karrees ausrichten, und es schien, als ob es den Franzosen doch gelingen werde, sich teilweise durchzuschlagen.

Hinter der Kampfeslinie hielt, hoch zu Roß, mit einem Reitertrupp, der Präsident Juarez. Seine Augen ruhten glühend auf den Kämpfenden. Noch etwas weiter rückwärts standen etwa sechzig weiße Jäger. Es waren wilde, kräftige Gestalten, die er aus den Vereinigten Staaten angeworben hatte. Sie waren bisher noch nicht am Kampf beteiligt, da Bärenauge das Recht, die Skalpe der Franzosen zu erwerben, für sich und seine Apachen in Anspruch genommen hatte. Juarez winkte ihren Anführer zu sich und fragte:

»Sie sehen, daß der Kampf zum Stillstand kommt?« – »Leider«, antwortete der Gefragte. – »Glauben Sie, daß die Apachen siegen werden?« – »Ganz gewiß. Aber sie werden nicht imstande sein, einen Durchbruch des Feindes zu verhüten. Die Absicht der Franzosen auf das Fort ist vereitelt worden; aber es wird vielen von ihnen gelingen, zu entkommen.«

Juarez nickte. Seine Lippen preßten sich zusammen, und er entgegnete:

»Das soll und darf nicht geschehen. Welchen Rat geben Sie mir?« – »Lassen Sie mich mit den Meinigen vorgehen. Unsere Kugeln werden diese gefährlichen Vierecks bald auseinanderreißen.« – »Gut, so greifen Sie an.«

Der Jäger kehrte nun zu seinen Leuten zurück. Um dem Feind kein Ziel zu bieten, zerstreuten sie sich und schritten in dieser Kampfesweise vor, jede Deckung nach Art der echten Westmänner sorgfältig benützend.

Bärenauge hatte sich im Mittelpunkt des Halbkreises befunden, den die Angreifenden bildeten. Er war siegreich durch die Reihen der Franzosen gedrungen und hatte sich dann wieder umgedreht, mit dem Tomahawk einen nach dem anderen vor sich niederschlagend. Hoch auf seinem Roß sah er einem Kriegsgott ähnlich, gegen den es keinen Widerstand gab. Er verfolgte die fliehenden Feinde und entfernte sich dabei, vom Eifer des Kampfes getrieben, vom eigentlichen Herd desselben.

Er nahm sich gar nicht die Zeit und Mühe, nach dem Gefecht sich umzusehen. Daher kam es, daß er nicht bemerkte, daß der Feind an gewissen Stellen im Vorteil war.

Eben schlug er einem der vor ihm fliehenden Feinde die Schärfe des Schlachtbeils so in den Nacken, daß der Wirbel getrennt wurde und der Kopf nach vorn herunterhing, da hörte er vor sich den lauten Tritt eines herbeigaloppierenden Pferdes.

Er blickte auf und sah einen Indianer, einen Apachen, aber ihm vollständig unbekannt, der mit dem Abzeichen eines hohen Häuptlings versehen, vom Fort her angaloppiert kam. Er zügelte erstaunt sein Pferd, und im nächsten Augenblick hielt der andere vor ihm. Sie konnten die gegenseitigen Gesichtszüge nicht erkennen, da die Gesichter mit den Farben des Krieges bemalt waren; aber der andere fragte:

»Du bist Bärenauge, der Häuptling?« – »Ja«, nickte der Gefragte. – »Du bist ein tapferer Krieger. Aber siehst du nicht, daß deine Krieger umsonst kämpfen?«

Der Sprecher deutete mit diesen Worten nach den Vierecks hin. Das Auge Bärenauges folgte diesem Wink.

»Uff!« rief er. »Die Hunde von Franzosen müssen dennoch sterben. Aber wer bist du?« – »Ich bin Bärenherz, dem du alle sieben Tage einen Weißen geopfert hast. Vorwärts.«

Dabei warf er sein Pferd herum und ritt weiter. Er handelte ganz als Indianer. Der Kampf ging vor. Er verzichtete auf jede Wiedererkennungs- und Freudenszene, um seine Pflicht als Häuptling und Krieger zu erfüllen.

Bärenauge war, trotz der Selbstbeherrschung, die den Indianern eigen ist, für einen Augenblick fast starr vor Erstaunen, dann aber sprengte er seinem Bruder nach.

»Arku Shoshinliett! Gutesnonselki Franza!« rief er mit Donnerstimme über den Kampfplatz hin, so daß Freund und Feind es hören konnten.

Dieser Ruf in der Sprache der Apachen heißt zu deutsch:»Hier ist Bärenherz! Zehnfachen Tod den Franzosen!«

Alle Roten wandten nun ihre Blicke der Gegend zu, in der dieser Ruf erschollen war. Sie sahen Bärenauge hart hinter seinem Bruder. Beide flogen in rasendstem Lauf auf das eine Viereck zu.

»Arku Shoshinliett! Fastsa Franza! Hier ist Bärenherz! Tod den Franzosen!« erscholl es aus aller Munde.

Sie griffen von neuem an, und zwar in dem Augenblick, in dem die Franzosen eine Salve abgegeben hatten und im Begriff standen, wieder zu laden. Aus diesem Grund waren nur einige Gewehre mit Kugeln versehen.

»Prenez les crosses! Nehmt die Kolben!« gebot der Anführer.

Sie drehten die Gewehre um. In diesem Augenblick aber waren die Häuptlinge nahe gekommen. Bärenherz spornte sein Pferd und riß es empor. Es flog in einem hohen, weiten Bogen mitten in das Viereck, und Bärenauge folgte mit einem ebenso kühnen Satz. Zu gleicher Zeit die Tomahawks gebrauchend und ihre Pferde zum Stampfen zwingend, schlugen und stampften sie alles nieder, was in ihre Nähe kam. Dadurch entstanden Lücken, durch die die Apachen in das Viereck eindrangen, das verloren war.

Bärenherz hatte den Seinigen Bahn gebrochen. Er durchbrach, von seinem Bruder gefolgt, die entmutigten Feinde, um in ein anderes Karree einzudringen. Da sah er die Pferde der Franzosen, die, von einigen Chasseurs bewacht, nicht weit vom Kampfplatz hielten. Er deutete nach ihnen hin.

»Telki Franza ineh! Natan sesteh. Die Pferde der Franzosen wegnehmen und die Wachen niederschlagen!« rief er seinem Bruder zu.

Dieser gehorchte dem Gebot sofort. Er rief eine Schar der Apachen zu sich und eilte mit diesen zu den Pferden. Die Chasseurs wurden nach kurzer Gegenwehr geschlagen, und nun, da die Tiere sich in den Händen der Apachen befanden, war den Franzosen das Entkommen unmöglich.

Unterdessen hatten die weißen Jäger die Reihen der Franzosen mit ihren sicher treffenden Büchsen gelichtet. Ein jeder ihrer Schüsse kostete einen Mann. Als Bärenherz das zweite Viereck erreichte, war es bereits so dezimiert, daß er sein Pferd gar nicht zum Sprung ausholen ließ, sondern geraden Laufes in den Feind hineinstürmte, so daß die erschrockenen Franzosen auseinanderstoben.

Die Apachen waren durch das Erscheinen ihres vor so langen Jahren verschwundenen Häuptlings förmlich elektrisiert worden. Sie sahen nicht die Waffen der Feinde, sie achteten nicht auf den Widerstand, der ihnen entgegengesetzt wurde. Sie mußten das Wiedererscheinen des großen Häuptlings durch einen vollständigen Sieg und durch die Eroberung aller Skalpe feiern. Darum war ihr erneuter Angriff geradezu unwiderstehlich.

Die Franzosen wurden wie Halme niedergemäht, und die Fliehenden sicher von den ihnen nachjagenden roten Reitern erreicht und niedergehauen. Es war vorauszusehen, daß kein einziger entkommen werde.

Kein einziger? Das war denn doch noch die Frage.


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