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Unterdessen zogen die Franzosen auf die Öffnung des Passes zu. Wer sie so dahinreiten hätte sehen können, dem wäre himmelangst um sie geworden. Gleich beim ersten Blick mußte man sehen, daß die Kompanie aus den verschiedenartigsten Elementen zusammengesetzt war. Turkos und Zuaven, Jäger und Linieninfanteristen, die nie ein Pferd bestiegen hatten, saßen auf ihren Tieren wie der Affe auf dem Kamel. Auch die Bewaffnung war verschieden. Es war eine jener verlorenen Kompanien, die, aus den verzweifeltsten Menschen zusammengesetzt, an die Grenze geschickt wurde, entweder um sie loszuwerden oder weil gerade solche obstinaten Charaktere am geeignetsten sind, mit Todesverachtung die schwierigsten Aufgaben zu lösen.
Diese eigentümliche Truppe bestand nur aus neunzig militärischen Personen. Außer diesen waren zwei bebrillte Zivilisten zu bemerken, von denen jeder ein bepacktes Handpferd mit sich führte. Die Marketenderin war an ihrer phantastischen Uniform zu erkennen. Außer ihr befanden sich fünf junge Damen dabei, die allerliebst zu Pferde saßen, was nicht zu verwundern war, da jede Mexikanerin das Reiten versteht. Es war klar, daß diese Damen zur mexikanischen Demimonde gehörten. Die übrigen Pferde waren Packpferde, alle zusammen hundertundzwanzig Stück, wie der Apache und sein Freund Gerard ganz richtig gezählt hatten.
Der Kapitän, oder wie wir deutsch zu sagen pflegen, der Hauptmann, ritt an der Spitze. Neben ihm der Premierleutnant. Sie waren in der eifrigsten Unterhaltung begriffen.
»Verflucht, daß uns der Führer davongelaufen ist!« brummte der Leutnant. »Nun können wir sehen, ob wir den rechten Weg auch wirklich treffen.« – »Keine Sorge, Leutnant, wir haben ihn«, antwortete der Kapitän. »Ich bin vor unserem Wegzug vorsichtig gewesen und habe mir von einem Vaquero die ganze Gegend beschreiben lassen. Sehen Sie, daß sich da gerade vor uns das Gebirge öffnet? Das muß der Paß sein, den ich suche.« – »Ein Paß?« fragte der Oberleutnant, das Monokel so nachlässig in das Auge klemmend, als ob er sich im Parkett eines Theaters befände. – »Ja, ein Paß.« – »In welchem Gebirge?« – »Zwischen zwei Gebirgen.« – »Pardon, Kapitän. Ein Paß ist stets nur in einem Gebirge.« – »Oh, er kann auch zwei Gebirge scheiden.« – »Scheiden? Hm! Wahrhaftig, es ist möglich! Also zwei Gebirge. Wie heißen sie?« – »Links die Sierra del Diablo.« – »Links? Ah ja, links! Und rechts?« – »Rechts die Sierra del Chanate.« – »Chanate? Rechts? Ah ja! Hm! Interessant!«
Der Oberleutnant hielt sein Pferd an und betrachtete sich die Berge durch das Augenglas gerade so, als ob er den Schnurrbart eines guten Kameraden nach Motten durchsuchen wolle. Er sowohl, als auch der Hauptmann sprachen in jenem näselnden, weltmüden Ton, der in Offizierskreisen so gern affektiert wird.
»Und diese Öffnung im Gebirge?« fragte der Premier weiter. – »Bildet einen Paß, wie ich bereits sagte«, antwortete der Hauptmann. – »Und diesen Paß?« – »Werden wir durchreiten.« – »Höchst interessant! Ein Paß, ein Defilee! Wird man da jemandem begegnen?« – »Wem sollte man begegnen?« – »Hm! Einer hübschen Indianerin.« – »Ah, Sie verraten einen exotischen Geschmack, Leutnant.« – »Ich habe gehört, die Komantschinnen oder Apachinnen sollen reizend sein!« – »Wirklich?« lächelte der Hauptmann.
Sein Lächeln war das eines Faun, ebenso das des Leutnants.
»Ja, auf Ehre!« antwortete dieser. »Habe gehört, daß besonders die Apachenmädchen wahre Wunder von Schönheit sein sollen.« – »Sie erregen wahrhaftig meine Neugierde.« – »Die meinige ist längst da. Sie sollen noch schöner und verführerischer sein als die allersüßesten Soubretten oder Chansonetten.« – »Oh, doch nicht!« – Auf Ehre! Füßchen und Händchen wie Pepita oder Fanny Elsner.«
Der Kapitän schnalzte mit der Zunge, als ob er eine große Delikatesse vor sich habe, und sagte:
»Und Sie meinen, daß eine dieser Apachinnen reizender wäre, als zum Beispiel Ihre Señorita Pepi?«
Bei dem letzteren Wort warf der Kapitän einen Blick hinter sich, wo die mexikanischen Damen ritten.
»Als Pepi?« fragte der Leutnant. »Ah, doch nicht. Pepi würde schöner sein. Sie ist bei Gott das schönste Mädchen, das ich gesehen habe.« – »Sie und Zilli, ihre Schwester«, nickte der Kapitän plötzlich ernsthaft. – »In die Sie verliebt sind, Kapitän!« meinte der Premier mit einem erzwungenen Lachen. – »Hole Sie der Teufel!« brauste der Kapitän auf. – »Ah, jetzt noch nicht«, meinte der Leutnant »Oh, diese Pepi!«
Er schnalzte dabei mit den Fingern wie ein Austernesser, dem nach langem Fasten endlich wieder einmal ein Dutzend Prima Austern geboten werden.
»Und o diese Zilli!« fügte der Kapitän hinzu. »Wären doch diese beiden verdammten Österreicher nicht!«
Bei diesen Worten warf er einen Blick auf die beiden Brillen tragenden Zivilisten hinter sich. Der Leutnant sekundierte diesen Blick mit einem heimlichen Ballen seiner Faust und meinte halblaut:
»Kapitän, man hat uns betrogen.« – »Ja, mich und Sie.« – »Ich koche vor Rachedurst.« – »Ich ebenso.« – »Ich habe an diese Pepi geglaubt, wie der Russe an seinen Hausheiligen.« – »Und ich an diese Zilli, wie der Türke an seinen Imam.« – »Und dennoch war alles Lüge!« – »Und Heuchelei!« – »Ich nahm Pepi mit, weil ich glaubte, sie liebe mich.« – »Und ich erlaubte Zilli, mich zu begleiten, weil ich dachte, sie sei in mich vernarrt.« – »Und nun läuft diese Pepi diesem Doktor nach.« – »Und Zilli dem anderen Doktor.« – »Der Teufel hole alle Doktoren!« – »Und die Hölle verbrenne alle Gelehrten! Warum hängt man uns denn eigentlich die beiden Österreicher an den Hals!« – »Hm, ich habe einen Gedanken«, meinte der Premier. – »Ah, welch ein Wunder«, meinte sein ergrimmter Nachbar, »daß Sie einmal einen Gedanken haben!« – »Keine Beleidigung, Kapitän! Ich fange nämlich an, zu bezweifeln, daß diese beiden Kerle Gelehrte sind.« – »Ah! Warum?« – »Sie sind mir zu jung und hübsch dazu. Gelehrte sind lang, dürr und steif; diese beiden Menschen aber sind jung, beweglich, rotwangig und – hol's der Teufel, ich glaube es ungeschworen, daß sie von den Damen für liebenswürdig gehalten werden.« – »Das ist wahr. Aber was sollen sie denn sein, wenn sie keine Gelehrten sind?« – »Hm, Spione.« – »Unsinn!« – »Jawohl, Spione des österreichischen Max nämlich. Da kommen diese beiden und legitimieren sich als Naturwissenschaftler. Sie bitten, sich uns anschließen zu dürfen, um das Land zu studieren und Werke über die Fauna und Flora herauszugeben. Sie reiten mit uns von Mexiko nach Querétaro, Guanajuato, Zacatecas, Durango und Chihuahua. Wohin wir kommen, schnappen sie uns die schönsten Mädchen weg, sie, die Österreicher, uns den Franzosen! Da, auf einmal sollen wir weiter nach Norden; sofort sind sie wieder da. Sie sind Schmarotzer, deren wir uns entledigen müssen. Habe ich recht?« – »Vollständig!« – »Ich glaube, sie wollen nicht ein Werk über die Fauna und Flora dieses Landes herausgeben, sondern über Pepi und Zilli.« – »Das soll ihnen nicht gelingen. Treffe ich Zilli noch einmal bei ihm, so jage ich ihm eine Kugel durch den Kopf.« – »Und treffe ich Pepi bei dem anderen, so lasse ich ihn an den ersten besten Baum aufknüpfen. Unsere Jungens können die beiden Deutschen ja auch nicht ausstehen.« – »Ja, bringen wir sie nach Fort Guadeloupe, so ist es zu spät. Wir sind dann in geordneten Verhältnissen, und sie spielen den Hahn im Korb. Man müßte sie unterwegs verlieren.«
»Ah, ganz richtig, Kapitän! Ich wollte nur wissen, wie Sie über diese Sache denken. Also Sie werden meine Patronen nicht nachzählen, wenn Sie heute etwa einen Schuß hören?« – »Fällt mir nicht ein. Wir befinden uns hier in der Wildnis, wo das Gesetz der Savanne gilt. Finde ich meine Geliebte bei einem anderen, so jage ich ihm ebenso eine Kugel durch den Kopf, wie Sie jenem.« – »Das gilt?« – »Auf Ehre!« – »Topp?« – »Topp.«
Sie reichten einander die Hände. Diese beiden leichtsinnigen Franzosen beschlossen den Tod zweier deutscher Ehrenmänner mit derselben Gleichgültigkeit, mit der sie sich auf eine Hasenjagd versprochen hätten.
Während dieser Unterhaltung war der Zug in einen Paß eingebogen, der hier nach Osten aufzusteigen begann. Man ließ den Kapitän und seinen Premier voranreiten, sonst aber wurde nicht die mindeste Ordnung eingehalten. Der Sekondeleutnant ritt mit dem Portepeejunker im dichtesten Gewirr; die beiden hatten den Auftrag erhalten, über das Wohl der Damen zu wachen.
So wurde die Höhe des Passes erreicht, hinter der er sich wieder abwärts senkte. Auch die Sonne sank immer tiefer, bis sie endlich den Horizont erreichte; für die Franzosen aber, die in der Tiefe des Defilees ritten, war sie schon verschwunden.
Da plötzlich erweiterte sich der Paß zu einer Art Rundteil, das wie zu einem Lagerplatz geschaffen zu sein schien. Es war genau die Stelle, von der Gerard zu dem Apachenhäuptling gesprochen hatte. Die beiden voranreitenden Offiziere hielten, auf das freudigste überrascht, ihre Pferde an.
»Donnerwetter, wie bequem!« sagte der Kapitän. »Gerade wie zum Biwak angelegt!« – »Ganz so!« meinte der Premier und quetschte das Monokel in das Auge, um sich den Platz aufmerksam anzusehen. – »Platz genug für uns alle«, fuhr der Kapitän fort. – »Wasser auch«, meinte der Premier. – »Und Gras für die Pferde.« – »Schutz gegen die Winde.« – »Wie gut, daß es bereits seit Mittag aufgehört hat zu regnen. Wir werden hier ziemlich trocken liegen.« – »Ganz und gar trocken. Mein Zelt und meine Decken sind vollständig wasserdicht.« – »Die meinigen auch. Also hier bleiben und lagern?« – »Ja. Wollen das Zeichen geben.«
Der Hornist erhielt den Befehl und blies zum Lagern. Einige Augenblicke später herrschte das tollste Gewirr und ein lautes Schreien, Rufen und Zanken, ganz der französischen Sorglosigkeit und Lebhaftigkeit angemessen. Kein Mensch dachte daran, daß man sich auf dem Kriegspfad bewegte und daß man sich zwischen den Jagdgebieten der einzelnen Apachenstämme befand. Es war der Leichtsinn, der weiß, daß er mit dem Tode spielt, sich aber Mühe gibt, nicht daran zu denken.
Die Soldaten gruppierten sich auseinander, und Lager und Zelte wurden errichtet. Die der Offiziere, der Damen und der beiden Gelehrten kamen in die Mitte; die Pferde durften frei weiden und trinken. Niemand dachte daran, die Umgebung abzusuchen, und nur an den Ein- und Ausgang des Rundteils kam ein Einzelposten zu stehen, jedoch nur, damit sich keines der Pferde verlaufen solle. Kein Präriejäger hätte gewagt, hier zu übernachten, und nun lagerte sich ein Trupp von neunzig Franzosen da, wo ringsum das Verderben ihnen entgegengähnte; es war geradezu unbegreiflich.
Zudem wurden große Feuer gemacht, deren Flammen haushoch emporloderten, so daß selbst der kleinste Zweig hell erleuchtet wurde. Dann holte man die Proviantvorräte herbei, und nun wurde gebraten und gekocht, als ob man sich hier unter den sicheren Hallen von Paris, nicht aber an den Teufelsbergen von Nordamerika befände. Das Tal war in zehn Minuten von Bratenduft erfüllt, der einem Indianer diese Truppe meilenweit hätte verraten müssen. Nur Franzosen verfahren in dieser Manier, obgleich man gerechterweise gestehen muß, daß die französischen Waldläufer und Pelzjäger des Felsengebirges mit die kühnsten, erfahrensten und vorsichtigsten sind.