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25. Kapitel.

Nachdem Sternau das Fort besichtigt hatte, wollte er zurückkehren; aber Gerard hielt ihn noch draußen fest.

»Warten Sie noch einige Augenblicke«, bat er, »bis ich Ihnen eine sehr wichtige Mitteilung gemacht habe! So viel Zeit erübrigen wir noch.« – »So sprechen Sie.« – »Der alte Herr ist Graf Ferdinando de Rodriganda?« – »Ja.« – »Der junge Herr, den man Mariano nennt, ist der eigentliche Erbfolger des Grafen de Rodriganda?« – »Wir vermuten es. Woher aber wissen Sie von dieser Vermutung?« – »Davon später. Jetzt will ich Ihnen nur sagen, daß ich in Rheinswalden war.« – »Ah! Das wäre ein sehr sonderbarer Zufall!« – »Oh, es war leider kein Zufall, Monsieur!« – »Was sonst?« – »Ist es Ihnen bekannt, wovon ich mich in Paris nährte?« – »Ja.« – »Daß ich garottierte?« – »Ja.« – »Ich entschuldige mich nicht, sondern ich verdamme mich selbst, Monsieur. Einst garottierte ich den Grafen Alfonzo ...« – »Alfonzo de Rodriganda?« fiel Sternau schnell ein. – »Ja.« – »In Paris?« – »Ja. Er befand sich unter falschem Namen da. Ich nahm ihm sein Geld und sein Notizbuch. In dem letzteren waren alle seine Streiche notiert.« – »Unmöglich! Das wäre ja die wahnsinnigste Unvorsichtigkeit von ihm!« – »Wissen Sie nicht, Monsieur, daß der klügste Verbrecher stets da am dümmsten handelt, wo man ihn erfassen wird?« – »Das ist allerdings wahr!« – »Nun gut. Später geschah es, daß er mich kennenlernte.« – »Ohne zu wissen, daß Sie ihn garottiert hatten?« – »Ja. Er bemerkte, daß ich bereit sei, Geld zu verdienen, und machte mir nun einen Vorschlag, der Ihre Frau Gemahlin betrifft.« – »Mein Gott! Jedenfalls eine Niederträchtigkeit!« – »Allerdings, sogar noch mehr als das!« – »Was war es?« – »Ich sollte mit nach Rheinswalden gehen und dort Ihre Frau ermorden!«

Sternau erbleichte.

»Was taten Sie?« fragte er, vor Angst stockend. – »Ich ging auf diesen Vorschlag ein.« – »Um des Himmels willen!« – »Nur scheinbar.« – »Dem Himmel sei Dank!« – »Wäre ich nicht scheinbar auf seine Intentionen eingegangen, so hätte er sich einen anderen engagiert, und Gräfin Rosa wäre verloren gewesen.« – »Das ist wahr. Sie reisten also mit ihm nach Deutschland?« – »Ja, und zwar als sein Diener.« – »Was taten Sie dort?« – »Ich ging zu Ihrer Frau Gemahlin. Ihre Mutter und Ihre Schwester befanden sich bei ihr. Ich erzählte ihnen alles; ich erzählte ihnen auch, weshalb ich den Mord nicht ausführen wollte, sondern sie im Gegenteil warnte.« – »Welcher Grund war dies?« – »Weil Sie meine Schwester gerettet haben.« – »Ah, so bringt eine gute Tat stets von selbst ihre Früchte!« – »Von den Damen weg ging ich durch den Wald. Dort traf ich einen Waldhüter.« – »Gewiß Tombi?« – »Ja. Ich gab ihm jene Notizen, die ich Alfonzo abgenommen hatte.« – »Wie unvorsichtig!« – »Er sollte sie mir übersetzen. Er aber las sie durch und gab sie mir nicht wieder.« – »Warum gaben Sie das zu?« – »Er ist der Sohn von Zarba.« – »Ah! Kennen Sie Zarba, die Zigeunerin?« – »Ja. Sie war meine Gebieterin.« – »Ihre Gebieterin? Inwiefern? Sie setzen mich in Erstaunen.« – »Es besteht eine geheime Gesellschaft, deren Zweck ich nicht verraten darf.« – »Es bindet Sie ein Schwur?« – »Ja. Zarba ist das Oberhaupt dieser Gesellschaft, und ihr muß jeder unbedingt gehorchen, sie mag von ihm verlangen, was sie will.« – »Selbst ein Verbrechen?« – »Selbst das schwerste Verbrechen. Als Tombi, Zarbas Sohn, mir die Notizen nicht gab, konnte ich nichts machen; ich war ihm gegenüber machtlos.« – »Warum tat Zarba ihren Sohn als Waldhüter nach Rheinswalden?« – »Ich weiß es nicht; aber irgendeinen Zweck verfolgt sie damit. Das ist sicher.« – »Hat Tombi diese Notizen noch?« – »Ich vermute, daß er sie Zarba gegeben hat.« – »Gut. Sie wird sie herausgeben müssen. Was geschah weiter?« – »Nachdem ich die Absicht Alfonzos verraten hatte, wurde er polizeilich verfolgt; aber er entkam nach Spanien. Mir ging es in Paris dann nicht gut. Ich bereute mein Leben und fuhr nach Amerika. Ich wurde Jäger.« – »Ah! Vielleicht zur Sühne?« – »Ja. Ich machte es mir zur Aufgabe, die Savanne von ihren Bösewichtern zu befreien. Dadurch wurde ich berühmt. Aber die Reue nagte fort.« – »Gerard, Gott zürnt nicht ewig!« – »Aber die Menschen!« – »Was haben Sie mit den Menschen zu schaffen?« – »Oh, sehr viel! Ich lernte hier ein Mädchen kennen, einen Engel an Reinheit und Güte. Es liebte mich wieder, ich aber war ehrlich und gestand ihm, daß ich Garotteur gewesen sei, also ein geschäftsmäßiger Mörder.« – »Ich will hier nicht urteilen; aber war dieses Geständnis notwendig?« – »Ja. Mein Gewissen trieb mich dazu. Sie entsagte. Aber ich sehe, daß sie vergebens mit ihrer Liebe kämpft. Sie wird dem einstigen Garotteur doch noch die Hand reichen und daran innerlich zugrunde gehen.«

Sternau bewunderte diesen einstigen Verbrecher, der jetzt ein so feines, moralisches Zartgefühl zeigte, doch sagte er nichts dazu.

»Aber sie soll nicht zugrunde gehen!« fuhr Gerard fort. »Ich bin Jäger; tausend Gefahren umdrohen mein Leben. Wie leicht, wie bald kann ich tot sein; dann ist sie frei. Wollen Sie mir dann eine Gnade erweisen, für die ich noch jenseits für Sie beten werde, Monsieur Sternau?« – »Sehr gern, wenn ich kann.« – »Wenn Sie hören, daß ich tot bin, so sagen Sie ihr, daß sie mein letzter Gedanke gewesen ist, und daß ich am Tag des Gerichts Vergebung zu finden hoffe, weil die Liebe zu ihr, der Reinen, mich auch rein gemacht hat!«

Es wurde Sternau bei dieser Bitte ganz eigentümlich zumute.

»Sie denken an den Tod? Ah pah!« sagte er. »Übrigens bezweifle ich sehr, daß ich zugegen sein werde, wenn Sie sterben.« – »Ich habe ja auch nur von diesem Fall gesprochen, Monsieur!« – »Dann müßte ich doch wissen, wer diese Dame ist.« – »Sie erraten es nicht?« – »Nein.« – »Resedilla Pirnero ist es.« – »Ah! Ich begreife, daß Sie dieses Mädchen lieben. Und Sie vermuten wirklich, daß Ihre Liebe erwidert wird?« – »Ich vermute es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon.« – »So würde ich an Ihrer Stelle die Liebe walten lassen. Pflanzte Gott diese in das Herz jenes Mädchens, so ist dies ein Zeichen, daß er Ihnen vergeben hat.« – »So habe ich mir auch gesagt; aber ich bin seit einigen Minuten anderer Ansicht geworden.« – »Wieso?« – »Resedilla ist die Freundin von Emma Arbellez, die Bekannte von dem Grafen und anderen hochehrbaren Personen; sie soll nicht zu mir heruntersteigen.« – »Sie haben unrecht. Dieses Zartgefühl täuscht Sie. Fühlen Sie sich jetzt ein wenig eingeschüchtert, so werden Sie dies sehr bald überwinden.« – »Ich bezweifle es. Also, Herr Doktor, wollen Sie mir jene Gnade erweisen?« – »Aber Sie werden ja nicht sterben!« – »Wer weiß dies? Gehen wir nicht jetzt einem Kampf entgegen?« – »Nun gut. Ich will Ihnen das Versprechen geben!« – »Ich danke! Und noch eins. Sollte ich heute fallen, so kommen Sie vielleicht nach Chihuahua. Dort gibt es eine Dame, die Señorita Emilia genannt wird. Sie werden von ihr hören. Sagen Sie ihr, daß ich gestorben bin. Ich bäte sie vom Jenseits herüber, das Leben ernst zu nehmen.« – »Ist sie eine frühere Geliebte von Ihnen?« – »Nein. Aber sie liebt mich so, wie vielleicht noch kein Weib geliebt hat.« – »Ich werde auch dies ausrichten.« – »So können wir jetzt zurückkehren.«

Sie traten den Rückweg an.

Resedilla hatte unterdessen mit Emmas Hilfe die Zimmer in Bereitschaft gesetzt. Sie stieg eben noch mit einem Wasserbecken die Treppe empor, als die beiden Männer unten eintraten. Sie bemerkte sie nicht; Gerard aber stieg ihr nach, um sie oben zu treffen und zu sprechen.

Der Zwiespalt zwischen seiner Vergangenheit und Gegenwart hatte ihm in letzter Zeit tief in die Seele geschnitten. Er fühlte sich verwundet und hatte keine Hoffnung mehr, von den inneren Kämpfen und Vorwürfen erlöst zu werden. Das sollte heute einen Abschluß finden.

Als er bemerkte, daß die Geliebte sich in einem Zimmer ganz allein befand, folge er ihr dorthin nach. Sie ordnete eben einen Blumenstrauß.

»Ah, Señor, habt Ihr Euch nicht auch gefreut?« rief sie ihm entgegen. – »Worüber, Señorita?« fragte er. – »Über das Glück, meine Cousine wiederzuhaben.« – »Ich bin entzückt davon.« – »Und denkt! Eben heute schrieb mir ihr Vater einen Brief, in dem er meldete, daß ich seine Hazienda erben sollte. Ich sollte ihn besuchen.« – »In dieser gefährlichen Zeit?« – »Ich hatte auf Euren Schutz gerechnet.« – »Oh, wie gern hätte ich Euch denselben gewidmet, Señorita!« – »Ich weiß das, mein guter Señor Gerard. Ich bin Euch auch recht herzlich gut dafür.«

Resedilla blickte ihm dabei so offen und freundlich in die Augen, daß er sich zu schwach diesem Blick gegenüber fühlte und seine Augen niederschlug.

»Sagt das nicht, Señorita!« entgegnete er. – »Warum nicht?« – »Das darf nicht sein. Ihr dürft mir nicht freundlich gesinnt bleiben.« – »So sagt mir den Grund!« – »Den habe ich erst heute so richtig und deutlich empfunden. Als sie vorhin unten standen, die Grafen und Señores, und aller Augen so freundlich auf Euch leuchteten, stand ich von fern und fühlte, daß ich immer und ewig so fern stehen müsse. Ihr seid so hoch, und ich bin so tief und niedrig. Euer Kommen zu mir würde ein Fall sein, nichts als ein Fall.«

Da wurde sie plötzlich blaß; er sah, daß sie erschrak.

»Mein Gott, wer hat Euch das gesagt? Wer hat Euch auf diese Gedanken gebracht?«

Während sie diese Frage aussprach, trat sie einige Schritte zurück, als wolle sie sich ihn erst einmal genauer ansehen.

»Sie sind ganz von selbst gekommen, diese Gedanken«, antwortete er. – »Gebt ihnen nicht Raum, Señor! Wißt Ihr denn nicht mehr, was Ihr gebeichtet habt, und habe ich Euch nicht alles vergeben?« – »Ich weiß es noch. Ihr wäret so mild und gut. Darum denke ich, Ihr werdet auch heute so sein und mir eine große Bitte erfüllen.« – »Ich erfülle sie; sagt nur, welche!« – »So schließt einmal Eure Augen, Señorita!« – »Ah«, lächelte sie, »Ihr wollt es machen, wie Kinder es tun? Ihr wollt mich überraschen?« – »Ja; aber ich denke, daß Euch diese Überraschung nicht gefallen wird.« – »Nun, wir wollen es versuchen. Also seht her! Die Augen sind zu.«

Resedilla schloß wirklich die Augen. Da trat Gerard schnell näher, legte die Arme um sie und drückte sie an sich, und ehe sie noch Zeit fand, die Augen zu öffnen, fühlte sie seine Lippen auf den ihrigen, einmal, zwei-, drei-, viermal; dann flüsterte er ihr ins Ohr:

»Ich danke dir, du liebe, liebe, liebe Resedilla! Vergiß mich nicht ganz, wenn du einmal so recht glücklich bist!«

Sie fühlte darauf, daß seine Arme sich von ihr lösten, und als sie die Augen öffnete, stand sie wieder ganz allein in dem Zimmer.

Gerard aber eilte die Treppe hinab und nach der Gaststube, in der er sein Gewehr liegen hatte. Als er dieses ergriff und schnell wieder fort wollte, fragte Geierschnabel:

»Was ist's? Kommen sie schon?« – »Ich weiß es nicht; aber es ist besser, wachsam zu sein. Ich werde hinausgehen, um aufzupassen.« – »So gehe ich mit.«

Auch der Yankee griff nach seiner Büchse, und beide gingen, um draußen, wo man die Gegend besser überblicken konnte, Wache zu halten. Dies aber war nicht nötig, denn in ebendemselben Augenblick erhob sich draußen ein lautes Rufen.

»Sie kommen, sie kommen!« ertönte es.

Sofort ergriffen alle die Waffen und eilten davon.


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