Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11. Kapitel.

Am anderen Morgen war Gerard der erste, der das Zimmer betrat. Resedilla hatte ihn kommen hören und trat herein, um ihm einen guten Morgen zu wünschen.

»Habt Ihr gut geschlafen, Señor?« fragte sie. – »Mehr und besser als gut; ich danke, Señorita«, entgegnete er, sein Gewehr an den Tisch lehnend. »Und wißt Ihr, wem ich dies zu danken habe? Euch!« – »Mir?« fragte sie unter einem leichten Erröten. »Warum?« – »Ich habe während der ganzen Nacht von Euch geträumt.«

Sie errötete noch tiefer und versetzte:

»Ihr scherzt, Señor. Wenn man außerordentlich ermüdet ist, wie Ihr es wart, so pflegt man nicht zu träumen.« – »Nur der Körper war ermüdet«, antwortete er, »aber nicht der Geist. Dieser spann die Gedanken fort, die ihn jetzt allezeit beschäftigen. Wißt Ihr, wem diese Gedanken galten?« – »Gedanken sind Eigentum der Seele, in der sie auch bleiben sollen, Señor. Ihr habt lange nichts genossen. Soll ich Euch eine Schokolade bringen?« – »Ich bitte darum.«

Sie entfernte sich, um in die Küche zu gehen, und er nahm am Tisch Platz. Nach einer kurzen Zeit trat Pirnero herein und grüßte mürrisch:

»Guten Morgen.« – »Guten Morgen«, dankte Gerard. – »Ausgeschlafen?« – »Ja.« – »Das läßt sich denken. Ich habe noch keinen solchen Langschläfer gesehen wie Euch.« – »Möglich.« – »Sagt einmal, schlaft Ihr denn auch in der Savanne so lange?« – »Vielleicht.« – »Und im Urwald?« – »Kann sein.« – »Nun, dann ist es kein Wunder, daß ich noch kein Stück Wild in Eurer Hand gesehen habe. Ein guter Diplomat sieht es Euch auf den ersten Blick an, daß Ihr kein Westmann, sondern ein echtes Murmeltier seid.«

Señor Pirnero besaß, wie so viele andere Leute, die unangenehme Eigenschaft, sich des Morgens nach dem Erwachen in übler Laune zu befinden. Dies hatte Gerard jetzt zu büßen gehabt. Er nahm es jedoch gleichgültig hin.

Der Wirt setzte sich dann auf seinen Stuhl am Fenster und blickte hinaus. Es regnete immer noch, wenn auch nicht so sehr wie gestern; darum sagte er nach einer Weile mißmutig:

»Armseliges Wetter!«

Gerard antwortete nicht. So fuhr jener nach einer kleinen Weile fort:

»Fast noch wie gestern!«

Und als Gerard jetzt noch nichts sagte, wandte er sich zu ihm und rief ihm zu:

»Nun?« – »Was denn?« fragte der Jäger ruhig. – »Armseliges Wetter!« – »Hm, ja!« – »Fast wie gestern.« – »Freilich!« – »Glaube nicht, daß er da kommen wird.« – »Wer?« – »Wer? Welche Frage! Der Schwarze Gerard natürlich. Wen sollte ich sonst meinen?« – »Oh, dem ist das Wetter gleichgültig; der kommt, wenn er überhaupt will.« – »Meint Ihr? Ihr müßt nämlich wissen, daß er hier erwartet wird.« – »Ja, von Euch.« – »Allerdings, aber auch von noch jemandem.« – »Wer könnte das sein? Eure Tochter etwa?« – »Die? Fällt ihr nicht ein! Das ist ja eben mein Leiden. Da könnten tausend Schwiegersöhne gelaufen kommen, die guckte sicher keinen an; am allerwenigsten aber wartet sie auf einen. Nein, ich meine einen anderen, einen Jäger.« – »Ah, einen Jäger, der bei Euch ist?« – »Richtig. Er kam gestern, als Ihr Euch bereits niedergelegt hattet.« – »Und er ist bei Euch geblieben, um den Schwarzen Gerard zu erwarten?« – »Ja.« – »Woher kam er?« – »Aus dem Llano estacado.« – »Ah!« – »Nicht wahr, da staunt Ihr. Ja, Ihr wäret wohl nicht der Mann, durch den Llano zu reiten, obgleich Ihr zehnmal größer und stärker seid als er. Und was ist es für ein Kerl. Er hat die Taschen voll Nuggets.« – »Wirklich? Was ist es für ein Landsmann? Vielleicht ein Yankee?« – »Nein, sondern ein Deutscher.« – »Das sind die besten, zuverlässigsten Leute. Wie heißt er?« – »Andreas Straubenberger.« – »Kenne diesen Namen nicht.« – »Das ist möglich, denn ... ah, da kommt er!«

Straubenberger trat ein. Er grüßte, dann ging sein erster Blick hinaus nach dem Wetter, sein zweiter aber galt Gerard. Seine Beobachtung schien ihn zufriedengestellt zu haben, denn er setzte sich neben Gerard und fragte:

»Ihr seid der Señor, der seit gestern nachmittag hier geschlafen hat?« – »Ja«, antwortete der Gefragte. – »Das nenne ich einen Kapitalschlaf. Ihr müßt außerordentlich ermüdet gewesen sein.« – »Allerdings.« – »Von der Jagd?« – »Auch mit.« – »Hm! Gedenkt Ihr, lange hierzubleiben?« – »Vielleicht nur einige Stunden.« – »Wohin geht Ihr dann?« – »Hinüber in die Berge.« – »Alle Wetter! Allein?« – »Ja.« – »So nehmt Euch um Gottes willen in acht. Es sollen sich viele Rote dort befinden.« – »Das geht mich nichts an.« – »Seid nicht leichtsinnig, Señor! Wenn sie Euch beim Schopf haben werden, dann wird es Euch recht wohl etwas angehen. Wollt Ihr aber trotzdem hinüber, so könnt Ihr mir einen Gefallen tun. Kennt Ihr den Schwarzen Gerard?« – »Man hört sehr viel von ihm.« – »Gut! Sucht zu erfragen, wo er sich befindet, und wenn Ihr ihn zufällig trefft, so sagt ihm, daß einer hier sei, der auf ihn wartet.« – »Und wenn er mich fragt, wer dieser eine sei?« – »So sagt ihm, daß es der Kleine André ist.« – »Donnerwetter, Ihr seid der Kleine André?« – »Ja. Eigentlich heiße ich Andreas Straubenberger. Die französischen Jäger haben aber Andreas in André verwandelt, und weil ich von Gestalt kein Riese bin, so werde ich der Kleine André genannt. Das ist mein Savannenname.« – »Ich kenne ihn, Señor, und weiß, daß Ihr ein tüchtiger Jäger seid. Übrigens können wir, wenn es Euch lieb ist, auch deutsch zusammen reden.« – »Deutsch! Versteht Ihr Deutsch, Señor?« – »Ja freilich. Obgleich ich eigentlich Franzose bin.« – »Wie ist Euer Name, Herr?« – »Mason. Und in Paris hatte ich den Beinamen l'Allemand, weil ich der deutschen Sprache mächtig bin.«

Der Wirt hatte diesem Gespräch schweigend zugehört; jetzt meinte er:

»Wie, Ihr versteht deutsch?« – »Ja.« – »So seid Ihr doch kein so unebener Kerl, wie ich dachte. Aber, was bringst du da?«

Diese Worte galten Pirneros Tochter, die aus der Küche getreten war und jedem der drei Männer eine Tasse Schokolade vorsetzte. Schokolade ist der gewöhnliche Morgentrank in Mexiko und in den angrenzenden Ländern.

Resedilla sah ihren Vater an, und er erklärte ihr in strengem Ton:

»Hat Señor Mason die Schokolade bestellt?« – »Warum fragst du, Vater?« – »Ehe er trinkt, muß er sie bezahlen. Du weißt, daß ich ihm keinen Kredit gebe.«

Resedilla errötete bis hinter die Ohren. Mason aber fragte gleichmütig:

»Was kostet sie?« – »Einen Quartillo. Ich will es billig mit Euch machen.« – »Hier!«

Gerard griff in die Tasche, nahm die Kupfermünze heraus und schob sie dem Alten hin. Der Kleine André hatte diese Szene mit großem Erstaunen beobachtet. Er schüttelte den Kopf und sagte zu dem Franzosen:

»Nichts für ungut, Señor! Seid Ihr wirklich ein Jäger?« – »Ja.« – »Ein wirklicher Westmann?« – »Ich denke es.« – »Ah, das glaube ich nicht.« – »Warum?« – »So kommt nach dem Norden und seht, was ein Trapper in Eurer Lage getan hätte.« – »Ich weiß es. Er hätte Señor Pirnero die Kugel durch den Kopf gejagt oder das Messer in das Herz gestoßen.« – »Ah, Ihr wißt das so gut und tut es nicht?« – »Fällt mir nicht ein.« – »So seid Ihr kein richtiger Westmann!« – »Das ist möglich. Adieu, Señores!«

Gerard sagte dies im gleichgültigsten Ton und erhob sich.

»Adieu!« antworteten die beiden anderen.

Gerard hatte mit einem Mal den Anspruch auf Achtung bei dem Kleinen André verscherzt, trotzdem dieser gestern in ähnlicher Weise von Pirnero behandelt worden war. Als er in den Hausflur trat, stand Resedilla dort. Sie hatte alles gehört und befand sich in der größten Verlegenheit.

»Mein Gott, wie hat der Vater Euch abermals beleidigt!« sagte sie. »Er ist sonst so gut, aber gegen Euch scheint er ein Vorurteil zu haben.« – »Habt keine Sorge, Señorita«, entgegnete er.»Ich hoffe, daß dieses Vorurteil nicht lange Bestand haben wird.« – »Ihr werdet ihm verzeihen?« – »Gern.« – »Oh, Señor, wie danke ich Euch! Werdet Ihr wiederkommen?« – »Erlaubt Ihr mir es denn, Señorita Resedilla?« – »Gern.« – »So werde ich ebensogern wiederkommen.« – »Wann?« – »Heute noch, wie ich denke. Gott behüte Euch!«

Er drückte ihr die Hand und ging. Sie blickte ihm nach. Warum sprach er diesen ernsten Gruß? Lag etwas so Ernstes vor ihm oder vor ihr? Auch sein Gesicht hatte einen so entschlossenen Ausdruck gehabt nicht wie Zorn über die widerfahrene Beleidigung, sondern wie die Erwartung eines Ereignisses, dem man mit Sammlung entgegengehen muß.

Er schaute sich nicht nach ihr um, sondern ging nach dem Stall und zog ein Pferd heraus, das sich sicher ebenso ausgeruht hatte wie er. Dann stieg er auf und ritt davon.

Es war hohe Zeit dazu, denn er hatte ja mit Bärenauge die Verabredung getroffen, heute pünktlich mittags an der großen Eiche bei den Teufelsbergen zu sein.

Die Sierra del Diablo, zu deutsch das Teufelsgebirge, liegt im Nordwesten von Fort Guadeloupe und fällt in steilen, zerklüfteten Wänden nach dem Rio Puercos ab, an dem das Fort liegt und von dem es dann noch durch einen breiten Präriestreifen getrennt ist Diesen Streifen hatte Gerard in Zeit von zwei Stunden durchritten und gelangte nun an den Fuß des Gebirges.

Einer der Vorberge war nicht so sehr steil wie die anderen. An seiner Lehne ritt der Jäger hinauf. Oben angekommen, erblickte er vor sich eine zweite gewaltige Bergesmasse, von ihm nur durch ein tiefes Tal getrennt, und auf der Spitze dieses Berges erhob sich, weithin sichtbar, eine riesige Eiche, deren Zweige einen Umkreis beschatteten, der ganz sicher mehrere hundert Schritt im Durchmesser hatte. Das war die Eiche, unter der die Apachen ihn jetzt erwarteten.

Er ritt zunächst in das Tal hinab und dann drüben wieder empor. Er rechnete, daß er noch über eine Stunde zubringen werde, um das Stelldichein zu erreichen, aber da plötzlich knackte es neben ihm in den Büschen. In demselben Augenblick hatte er auch bereits seine Büchse im Anschlag, ließ sie jedoch sogleich wieder sinken, als er sah, daß es unnötig sei, sich zu verteidigen, denn vor ihm stand Bärenauge, sein Verbündeter.

»Mein weißer Bruder ist sehr pünktlich«, sagte dieser. – »Mein roter Bruder ebenso«, antwortete Gerard, indem er vom Pferd sprang und dem Indianer die Hand entgegenstreckte. – »Bärenauge hat nicht gewartet, bis sein weißer Bruder zur Eiche kam, denn er hat ihm Wichtiges zu sagen.« – »Was ist es?« – »Mein weißer Bruder erwartet Leute, die aus Osten kommen?« – »Ja.« – »Leute, die vom großen Vater der Yankees kommen?« – »Ja.« – »Und dem Präsidenten Juarez viel Geld bringen?« – »So ist es.« – »Bärenauge war bei Juarez, während mein weißer Bruder in Chihuahua war.« – »Ich weiß es. Was sagte Juarez?« – »Er vertraut meinem weißen Bruder, der der Schwarze Gerard genannt wird, und sagte mir, er solle mich und meine Krieger zu den Franzosen führen, die das Fort Guadeloupe überfallen wollen.« – »Wie viele Krieger hast du mit?« – »Fünf mal hundert.« – »Und sechshundert Komantschen wollen den Franzosen zu Hilfe kommen, um Juarez zu vertreiben?« – »Ja, aber sie werden noch nicht gleich ihre Lager verlassen.« – »Warum?« – »Sie haben gehört, daß Juarez viel Geld erwartet, das durch den bösen Llano estacado herbeigebracht werden soll.« – »Ah!« rief Gerard erschrocken. »Woher weißt du das?« – »Ich war im Lager der Komantschen, als sie Beratung hielten, und habe sie belauscht.« – »Bärenauge, das ist so kühn, daß ich selbst mir es nicht getraute.«

Der junge, stolze Indianer machte eine Bewegung der Geringschätzung und fuhr dann fort:

»Sie werden heute zweihundert Krieger aussenden, um die Spuren derer zu suchen, die das Geld bringen. Diese Männer sollen getötet werden; das Geld erhalten die Franzosen, die übrige Beute aber und die Skalpe die Komantschen. Dann erst werden die sechs mal hundert Komantschen ausziehen, um den Präsidenten Juarez zu überfallen.« – »Diese Nachricht ist sehr wichtig. Ich muß sofort wieder nach dem Llano estacado, nachdem wir die Franzosen vertrieben haben.« – »Mein Bruder weiß, wann sie kommen?« – »Ja.« – »Und welchen Weg sie gehen?« – »Ja, ich habe ihre Lagerfeuer gesehen.« – »Wo werden wir sie treffen?« – »Da, wo das Teufelsgebirge mit der Sierra del Chanate zusammenstößt, geht eine Öffnung durch das Gebirge, die von einem Bach gebildet wird. Durch diesen Paß werden sie ganz sicher kommen.« – »Wann?« – »Heute abend oder morgen früh.« – »So ist es gut, daß ich dich hier erwartet habe und nicht droben auf dem Berg bei der Eiche. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn wir müssen den Paß besetzen.« – »Wo sind deine Krieger?« – »Du wirst sie sogleich sehen.«

Bärenauge nahm einen hohlen Geierknochen an den Mund und stieß jenen schrillen Pfiff aus, durch den sich die Indianer zuweilen ihre Zeichen geben. Sofort rauschte es in den Büschen, und aus denselben brachen fünfhundert Reiter hervor, die dahinter verborgen gewesen waren. Einer von ihnen brachte das Pferd Bärenauges mit. Keines von all diesen Pferden hatte geschnaubt oder in irgendeiner anderen Weise seine Anwesenheit verraten, als Gerard sich genaht, so gut waren diese Tiere dressiert.

Der Häuptling gab einen Wink, ritt mit Gerard an die Spitze, und der Zug setzte sich in Bewegung, ohne daß ein Wort des Kommandos oder der Verständigung gesprochen wurde. Nach Indianersitte ritt einer genau hinter dem anderen. Der letzte führte Gerards Pferd am Halfter, das er vor seinem Ritt nach Chihuahua Bärenauge in Verwahrung gegeben hatte.

»Mein weißer Bruder reitet ein fremdes Pferd?« fragte der junge Häuptling jetzt. – »Ich nahm es gestern früh von einer Herde.« – »Wann wird er es gegen das seinige umtauschen?« – »Jetzt noch nicht. Einige Franzosen kennen mein Pferd. Reite ich es, so wissen sie, wer ich bin. Soll ich auf Kundschaft voranreiten?« – »Nein. Die Franzosen sind keine Jäger; sie sind blind und taub, bei ihnen ist es nicht notwendig, solche Vorsicht anzuwenden.«

Aus diesen Worten war zu erkennen, daß der Häuptling die Franzosen nicht hoch schätzte, denn er hielt eine Kompanie von ihnen nicht einmal der Vorsicht für wert, die er einem einzigen Jäger gegenüber angewandt hätte.

So ging der Zug nach Süden, bis dahin, wo die Teufelsberge endeten, die hier an die Sierra del Chanate stießen, von der sie durch jenen Paß getrennt wurden, von dem Gerard gesprochen hatte. Dieser Paß war zwar nicht sehr breit, an seiner schmälsten Stelle höchstens zweihundert Fuß, aber er stieg nicht steil, sondern langsam empor, bot schönen Grasboden und war aus diesem Grund leicht und bequem zu passieren. An beiden Seiten war er von Höhen eingefaßt, deren Bäume genug Holz zur Feuerung boten, und da diese Höhen die Winde abhalten, so wären die schönsten, wenn auch die gefährlichsten Nachtlagerplätze hier gewesen.

Nämlich der Feind konnte, wenn er zahlreich war, die Höhen rechts und links so gut und leicht besetzen, daß kein Mensch zu entkommen vermochte. Selbst ein einzelner Mann, der sich da oben hinter die Bäume und Sträucher versteckte, hätte einer vorüberziehenden Truppe den größten Schaden bereiten können, während ihn keine Kugel gefährdete.

Als die fünfhundert Apachen diesen Paß vor sich sahen, machte ihr Häuptling halt.

»Weiß mein Bruder genau, daß die Franzosen hier durchkommen werden?« wandte er sich an Gerard. Dieser antwortete in bestimmtem Ton: »Ich habe die Richtung gesehen, die sie einschlugen. Sie sind nördlich von Conchas über den Rio gegangen, da, wo die Nordgrenze des Presidio del Norte und de las Yuntas liegt. Wenn sie nach Fort Guadeloupe wollen und keinen großen Umweg einschlagen wollen, müssen sie hier passieren.« – »So mögen meine Leute die Höhen besetzen. Wir beide aber reiten weiter, um zu sehen, ob wir die Feinde bemerken.«

Der Indianer gab nun seine Befehle, und augenblicklich verschwanden die Leute unten zwischen den Bäumen, um die beiden Seiten des Passes zu besetzen; er selbst setzte mit Gerard den Ritt fort, zwar im scharfen Trab, stets aber doch die Stellen aussuchend, wo die Hufe der Pferde die wenigst sichtbare Spur hinterlassen mußten.

So ritten sie mehrere Stunden fort. Die Sonne erreichte den Zenit und begann wieder zu sinken. Längst schon lag die Höhe des Passes hinter ihnen. Es mochte drei Uhr nachmittags sein, als endlich die jenseitige Prärie, die sich nach dem Rio del Norte hinüberzieht, vor ihnen lag. Die Sonne stand tief und beleuchtete die Ebene scharf, so daß es für ein gutes Auge nicht schwer war, bis auf sehr weite Entfernung alles zu überblicken.

Die beiden Männer beschatteten ihre Augen mit den Händen und beobachteten die Prärie genau. Eben wollte Gerard eine Bemerkung machen, als Bärenauge die rechte Hand ausstreckte und nach Westen deutete.

»Ugh!« sagte er. »Mein weißer Bruder blicke da hinüber.« – »Ich habe diese Reiter bereits bemerkt«, antwortete Gerard. – »Wie viele zählt mein Bruder?« – »Hundert und zwanzig.« – »Auch ich zähle zwölf mal zehn. Sind es die Franzosen?« – »Ja.« – »Woran erkennt sie mein Bruder?« – »An dem Glanz ihrer Uniformen.« – »Was funkelt in der Luft?« – »Bajonette.« – »Tragen bei den Franzosen auch Reiter Bajonette?« – »Nein. Diese Kompanie besteht nicht aus Reitern, sondern aus Infanterie. Man hat den Leuten Pferde gegeben, weil hier diese Tiere nichts kosten und doch das Fortkommen erleichtern und beschleunigen.« – »Uff! Es sitzt nicht auf jedem Pferd ein Mann.« – »Sie werden Packpferde mit haben.« – »Ich sehe aber Frauen auf den Pferden sitzen.« – »Sie werden eine Marketenderin mithaben.« – »Was ist das?« – »Ein Weib oder Mädchen, das Getränke und Lebensmittel verkauft« – »Ich sehe mehrere Weiber, vier, fünf, sechs.« – »Ah, die Franzosen lieben die Frauen! Die Offiziere werden sich einige hübsche Mädchen aus Chihuahua mitgenommen haben.« – »Ugh!« rief Bärenauge erstaunt. »Hat der große Geist ihnen das Gehirn genommen, daß sie Mädchen mit auf einen Kriegszug schleppen?« – »Diese Kerle sind zu dumm, um zu wissen, welchen Fehler sie begehen.« – »Sie reiten nebeneinander. Sie machen eine Fährte, so breit wie die Bahn einer Büffelherde. Sie werden untergehen.« – »Sie sind verloren. In einer halben Stunde werden sie den Paß erreichen.« – »Was tun wir? Meint mein weißer Bruder, daß wir zurückkehren?« – »Ja.« – »Warum? Wollen wir sich nicht vorüberlassen und sehen, wo sie sich lagern werden?« – »Nein, in einer halben Stunde sind sie hier, wie ich schon sagte, dann ist nur noch zwei Stunden Tag. Um diese Zeit werden sie jenseits der Paßhöhe einen Ort erreichen, der breit und bewässert ist. Dort haben sie Platz, und ihre Pferde finden Trank und Futter. Sie werden so dumm sein, dort zu lagern, und wir können sie beobachten und jedes Wort hören, was gesprochen wird. Davon soll es abhängen, ob wir sie töten oder gefangen nach Fort Guadeloupe schaffen. Mein roter Bruder möge mir folgen.«

Bärenauge nickte beistimmend; sie wandten sogleich die Pferde um und kehrten zurück, selbst im Gras kaum eine Spur ihres Hierseins zurücklassend.


 << zurück weiter >>