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Die chinesischen Fahrzeuge sind ganz geeignet, das Auge des Europäers, welcher noch keins derselben gesehen hat, auf sich zu ziehen.
Die großen Handelsdschunken sind ungeschlachte Schiffe von bedeutender Größe, deren Vorder- und Hinterdeck bedeutend höher ist als der Mittelbord, was ihnen ein seltsames Aussehen gibt. Sie ragen mit nilpferdartiger Unbehilflichkeit aus dem Wasser.
Ihr Stern ist sehr breit, gleich demjenigen eines altholländischen Linienschiffes, bunt bemalt und zuweilen vergoldet, und das Deck ist mit einem ungeheuren Strohdache, welches das Fahrzeug noch viel schwerfälliger erscheinen läßt, versehen.
Die Masten, welche ungemein dick sind, aus einem einzigen Stücke bestehen und keine Stengen haben, tragen an der Spitze eine Rolle, durch welche ein schweres, starkes Tau läuft, mit dessen Hilfe das gewichtige Mattensegel aufgehißt wird.
Das Vorderteil ist meist rot bemalt. Rechts und links vom Steven erblickt man je ein Auge, oft vier bis fünf Fuß im Durchmesser haltend und in möglichst grellen Farben gemalt. Von diesen beiden Augen, welche einen eigenartig glotzenden Ausdruck zeigen, haben die Dschunken den allgemein gebräuchlichen Namen »Lung-yen« d. i. Drachenaugen erhalten. Sie sollen dem Schiffe jenen drohenden Ausdruck verleihen, durch welchen böse Geister und andre unirdische Ungetüme, welche sich zu gewissen Zeiten zur Erde und besonders in das Wasser niederlassen, vertrieben werden sollen. Das Wort Dschunke bedeutet Schiff und lautet im Hochchinesischen »dschuen«, in der Mundart von Kanton aber »dschonk«.
Die größeren Dschunken haben bis 500 Tonnen Gehalt und sind dreimastig. Sie sind leicht und kunstlos zusammengefügt, so daß sie eine schwere See und die Schüsse von großen Geschützen nicht ertragen können. Dennoch haben selbst Handelsdschunken wegen der mit Recht gefürchteten Flußpiraterie eine oder sogar zwei Kanonen an Bord. Sie können wegen der Einfachheit ihrer Takelage und ihres Segelwerkes nicht lavieren, sondern nur mit günstigem Winde fahren und daher z. B. zwischen China und Java oder Singapore jährlich nur eine Hin- und Rückreise machen, weil dort halbjährige Winde, die sogenannten Monsuns, wehen, welche nur auf einer Tour günstig sind.
Die Kriegsdschunken sind etwas schärfer und besser gebaut, auch nicht so sehr hochbordig. Sie segeln nicht schlecht, eignen sich aber dennoch nur für Flüsse und die Küstenstrecken, da sie schwere See nicht bewältigen können. Sie führen gewöhnlich vier bis sechs Drei- oder Vierpfünder an den Seiten, einen oder zwei Sechs- bis Neunpfünder im Vorderteile und zuweilen auch im Sterne einige kleine Kanonen. Mehrere Gingals oder Wallbüchsen mit einem sechs bis acht Fuß langen Laufe und einer zwei Zoll lichten Mündung drehen sich in Zapfen auf ihren Gestellen, welche an den Seitenborden befestigt sind. Die Mannschaft ist mit Luntenflinten, Lanzen, Säbeln und Schilden bewaffnet, doch haben viele auch noch Bogen und Pfeile im Gebrauche. Erst in der allerneuesten Zeit erblickt man hier und da einmal ein Gewehr besserer Konstruktion.
Die Segel werden durch fünfundzwanzig bis dreißig Ruder unterstützt. Die Disziplin ist selbst auf den Kriegsdschunken eine echt chinesische. Täglich wird dreimal ein Gebet zu dem Kriegsgotte gehalten, wobei ein wahrhaft ohrenzerreißendes Klingeln und Pauken, Brüllen und Schreien nebst Abbrennen von Schwärmern, Raketen und andrem Feuerwerke stattfindet.
Erst am 8. Juni 1869 lief das erste nach europäischer Weise gebaute Kriegsschiff in Fu-Tschéu vom Stapel. Heutigestags besitzt China eine kleine Anzahl ähnlicher Schiffe, was aber bei einem Reiche, welches 410 Millionen Einwohner zählt, so viel wie gar nichts bedeutet.
Ist es mit der Disziplin auf den Kriegsdschunken nicht gut bestellt, so sieht es auf den Handelsdschunken in dieser Beziehung noch viel schlechter aus.
Der Eigentümer oder Superkargo des Schiffes hat die unumschränkte Herrschaft über die ganze Schiffsladung; er kauft und verkauft zu und von derselben ganz nach Belieben und führt ebenso die Aufsicht über die etwaigen Passagiere, welche ganz in seine Willkür gegeben sind. Ueber das Kommando des Schiffes und das Treiben der Mannschaft hat er kein Wort zu sagen.
Das Kommando führt, wie bereits erwähnt, der Kapitän, Ho-tschang genannt, was wörtlich »bejahrtes Licht« bedeutet und für Pilot zu nehmen ist. Ihm liegt bei Tag und Nacht die Führung des Schiffes ob und die genaue Beobachtung derjenigen Punkte, nach welchen er den Lauf desselben zu richten hat. Das ist ein sehr ermüdender Posten, weshalb es Ho-tschangs gibt, welche es fertig bringen, selbst im Stehen zu schlafen. Obgleich er der Kommandierende ist, gehorchen ihm die Matrosen nur dann, wenn seine Befehle nach ihrem Sinne sind. Im andren Falle schmähen und schimpfen sie offen auf ihn und thun oder lassen, was ihnen beliebt.
Sein nächster Untergebener ist der Steuermann, To-kung geheißen. Er führt das Steuer und gehorcht bald dem Ho-tschang, bald den Matrosen, je nachdem es zu seinem augenblicklichen Vorteile ist.
Die Matrosen zerfallen in zwei Abteilungen, die Tau-mu oder Vordermänner und die Ho-keh oder Kameraden. Es ist das eine Unterscheidung ungefähr wie zwischen unsren Voll- und Leichtmatrosen. Von diesen Leuten hat jeder dem andern zu befehlen, keiner aber will gehorchen. Ist nichts zu thun, so sind sie alle da; soll jedoch eine Arbeit geschehen, von welcher vielleicht vieles abhängig ist, so sind sie verschwunden.
Sodann ist ein Schreiber da, um die Rechnungen zu führen, ein Proviantmeister, welcher den ganzen Tag kaut und schlingt, und diejenigen, denen er nicht wohl will, halb verhungern läßt. In seine Fußstapfen tritt der Koch. Bei seiner Anstellung ist er gewöhnlich spindeldürr; nach kurzer Zeit aber hat er sich gewiß ein ansehnliches Bäuchlein angemästet. Es soll aber auch anderwärts so sein, in andern Ländern und andern Branchen. Auch mehrere Barbiere gibt es, unentbehrliche Leute, da der Todestag des Kaisers der einzige Tag ist, an welchem sich kein Chinese rasieren lassen darf.
Um eine Hauptperson nicht zu vergessen, sei noch der Hiang-kung genannt, zu deutsch der Wohlgerüche Streuende. Er ist der Schiffspriester, welcher den Gottes- oder vielmehr Götzendienst versieht. Diese Obliegenheit besteht aber nur darin, daß er an jedem Morgen und Abend eine gewisse Anzahl Räucherstäbchen verbrennt.
Jeder einzelne der Mannschaft betrachtet seine Arbeit als ein Nebengeschäft. Hauptsache dagegen ist für ihn der Handel, welchen er treiben will und zu dessen Zweck er seinen jetzigen Posten eingenommen hat. Jeder darf eine gewisse Quantität Waren an Bord bringen; sobald nun irgendwo gelandet wird, rennen alle mit ihren Waren fort oder locken Käufer herbei, und so liegt jeder seinen eigenen Geschäften ob, ohne sich um andres zu kümmern. Ob die Dschunke früher oder später ihren Bestimmungsort erreicht, das ist diesen Leuten gleich. Der Ho-tschang muß sich nach ihnen richten; durch Zwang erreicht er nichts, und oft sieht er sich veranlaßt, das, was er eigentlich mit Strenge verlangen könnte, mit kriechender Freundlichkeit zu erbitten.
Da kann man sich nun wohl denken, wie Reisende auf so einer Dschunke aufgehoben sind. Ja, es gibt Fahrzeuge, in denen sich die Matrosen sämtlicher Räume bemächtigt haben. Kommt dann ein Passagier, den der Besitzer aufnimmt, so kann er sich nur damit helfen, daß er einen Matrosen überredet, ihm seinen Platz gegen eine Extrabezahlung zu überlassen.
So sind die berühmten Lung-yen beschaffen, und so sah es auch auf der »Schui-heu« aus, mit welcher der blaurote Methusalem und seine Begleiter nach Kanton fahren wollten.
Wehe aber dem Passagier, welcher eine zweideutige Dschunke betritt, um Passage auf ihr zu nehmen! Er glaubt, es mit ganz braven, wenn auch rohen, aber doch ehrlichen Leuten zu thun zu haben, und nichts verrät, daß das Gegenteil stattfindet. Unterwegs aber erkennt er zu seinem Schreck, daß er sich an Bord eines Flußpiraten befindet. Dann ist für ihn nur zweierlei möglich; entweder er muß, um sich zu retten, am Räuberhandwerke teilnehmen, oder er wird vollständig ausgeraubt und vielleicht gar getötet, um später nichts verraten zu können.
Und solcher Piratendschunken gibt es noch gar viele. Die Regierung ist fast ohnmächtig gegen sie. Zehn Kriegsdschunken wagen es nicht, eine gleiche Anzahl von Raubdschunken anzugreifen, denn sie wissen, daß die Bemannung jeder Kriegsdschunke, welche kampfunfähig wird und den Piraten in die Hände fällt, über die Klinge springen muß. Man segelt nicht allzuweit hinan, verpafft einige Zentner Pulver, schreit und brüllt sich heiser, wendet um, opfert der Meeresgottheit Mat-su-po einige Tassen Thee und sendet der Behörde den Bericht über einen glorreichen Sieg ein, der gar nicht möglich war, weil überhaupt kein Kampf stattgefunden hatte. So geschieht den Piraten nichts, wenn nicht einmal der Kreuzer einer europäischen Seemacht einige dieser Kiang-lung oder »Flußdrachen«, wie sie dort im Munde des Volkes auch heißen, leck schießt, so daß sie mit Mann und Maus zu Grunde gehen. Es scheint aber ganz so, als ob zehn Lebendige dann an die Stelle eines Toten träten. –
Als die Fünf die Seite der chinesischen Fahrzeuge erreichten, sahen sie Dschunke bei Dschunke liegen, eine so fremdartig und grotesk wie die andre. Aber welch ein Unterschied zwischen diesen Schiffen und den europäischen auf der andern Seite! Während unsre Seeleute eine Ehre darin suchen, ihr Schiff so sauber und nett wie möglich ab- und aufzuputzen und dafür schon längst vor der Landung eifrig thätig sind, sahen diese Dschunken aus, als ob nie ein Tropfen über die Wasserlinie emporgekommen sei. Von den Borden und Tauen hingen schmutzige Fetzen; von überall blickten schmutzige Männer mit schmutzigen Gesichtern, welche sich mit schmutzigen Händen festhielten. Dabei gab es zwischen Quai und Borden allerlei schmutzigen Verkehr, und auf der Wasserseite hinter den Schiffen machten sich schmutzige Boote mit schmutzigen Insassen zu schaffen. Auf dem Quai selbst gab es schmutzige Verkaufsstände mit schmutzigen Verkäufern, und dazwischen riefen ambulante schmutzige Händler ihre schmutzigen Waren aus.
Ein Zwiebelröster hockte auf der Erde vor seinem kleinen Bratöfchen und schälte Zwiebeln. Der Duft derselben drang ihm in Nase und Augen. Er nieste einen wahren Sprühregen in seine kräftig duftenden Scheiben hinein und brüllte dabei förmlich A – a – abziehhhh, ein Laut, welcher sich auf der ganzen Erdenrunde gleich bleibt. Der Mongole, der Kaffer, der Indianer und der Malaye, die erste Hofdame des Kaisers der Reußen und die koboldartige Frau des Papuaaustraliers, sie alle, alle niesen a – a – abziehhhh. Zuweilen wird eine der beiden Silben aus gesundheitsschädlichem Schicklichkeitsgefühle etwas verkürzt, da ist sie aber stets, wenn auch in Verstümmelung. Hier sollten die Weltsprachfabrikanten der Neuzeit anfassen; ab – zieh oder ha – tzieh sind die beiden Grund- und Ursilben der Menschheit, ihr von der Natur geschenkt, welche, sobald dies einmal vergessen wird, den Vergeßlichen durch einen tüchtigen Schnupfen wieder auf ihren Fingerzeig aufmerksam macht. Was nun speciell diesen Zwiebelröster betrifft, so kam er aus dem Niesen gar nicht heraus, denn so oft ihm die Augen im Wasser schwammen, wischte er sich dieselben, wohl um seine schmutzigen Hände zu schonen, mit einer aufgeschnittenen Zwiebel aus und putzte auch die Nase damit, worauf dann natürlich ein neuer Nieserich explodierte. Die angewischte Zwiebel aber wurde geröstet und dann von den Kunden wohlgemut verzehrt. Käufer hatte er genug.
Solche und noch andre Scenen, welche sich nicht gut in Worte kleiden lassen, konnte man häufig beobachten, doch soll damit nicht ein Urteil über den Chinesen im allgemeinen ausgesprochen sein. In den Hafenorten sammelt sich eben der sociale Schmutz, den beide, das Wasser und das Land, nach der Küste treiben.
Auf einer der schmuckeren Dschunken, die einen ziemlich scharfen Bau und keinen so hohen Vor- und Achterbord hatte, war kein Mensch zu sehen. Die Masten ragten kahl empor, denn die großen Mattensegel lagen zusammengerollt auf dem Deck. Die Drachenaugen zu beiden Seiten des Vordersteven waren neu gemalt. Auf dem Hinterteile standen einige Kübel mit blühenden Gewächsen; kein schmutziges Wäschestück war zu sehen, und auch sonst ließ sich erkennen, daß der Patron dieses Schiffes etwas mehr auf Sauberkeit und Ordnung halte als andre seinesgleichen.
Ganz ungewöhnlich für ein chinesisches Fahrzeug war ein ebenso hohes wie breites Brett, auf welches blaue Wogen gemalt waren, in denen eine Frauengestalt schwamm, die fünf Pfauenfedern im Haare trug. Darunter waren die beiden Zeichen Schui und Heu mit Silberfarbe in die blauen Wogen gemalt. Diese Dschunke war also »Schui-heu«, die »Königin des Wassers«. Eine schmale, leiterartige Bambustreppe führte vom Lande aus zum Deck empor.
»Das ist das Fahrzeug, welches ich meine,« sagte der Blaurote. »Es scheint kein Mensch zugegen zu sein. Als ich hier war, befanden sich Leute an Bord.«
Turnerstick setzte den Klemmer auf das Näschen, musterte das Schiff mit Kennerblick und meinte: »Hm, nicht übel! Schlank auf den Kiel gebaut, scharfe Brust, kurzes, aber tief greifendes Steuer und schmale, lange Segel. Das Steuer ist der Schwanz, und die Segel sind die Flügel – gleicht einem Albatros, macht also scharfe, ruhige Fahrt, gehorcht dem Steuer leicht und legt sich nicht unter der Bö. Kann mir gefallen. Hat auch sonst einen netten Anguck und ist die adretteste Schwimmerin unter allen, die hier liegen. Will meinen Dollar gern bezahlen und auch noch etwas mehr, wenn das Innenwerk der Außenseite entspricht. Was sagen Sie dazu, Mijnheer van Aardappelenbosch?«
»Het scheep is fraai,« antwortete der Gefragte. »Ik ben tevreden – das Schiff ist hübsch; ich bin zufrieden.«
»Das denke ich auch, denn ich bin Kenner. Wenn ich zufrieden bin, können andre es auch sein. Die schwimmende Frau soll wohl die Wasserkönigin sein?«
»Ja,« antwortete der Methusalem.
»Was bedeuten denn die beiden Krikelkrakel darunter?«
»Das ist die Unterschrift, eben Schui-Heu.«
»Schui-heu? Unsinn. Das sind doch keine Buchstaben, also keine Worte.«
»Buchstaben hat der Chinese nicht, sondern Zeichen. Das erste Zeichen ist der fünfundachtzigste Schlüssel der chinesischen Schrift, besteht aus einer senkrechten Linie, zwei krummen, divergierenden Halbdiagonalen und zwei Quasten an denselben; es ist das Zeichen für Wasser. Das zweite Zeichen besteht aus –«
»Um des Himmels willen, halten Sie ein!« rief Turnerstick, sich mit den Händen nach den Ohren langend. »Mir brummt der Kopf schon von diesem einen Zeichen. Wie viele solcher Zeichen hat denn eigentlich die chinesische Schrift?«
»Wohl achtzigtausend.«
»Alle guten Geister –! Da lobe ich mir unsre Schrift mit den wenigen Buchstaben!«
»Aber Sie, der Sie so ausgezeichnet chinesisch sprechen, sollten wenigstens die zweihundertvierzehn Schlüssel dieser Sprache kennen lernen!«
»Wozu der Schlüssel, wenn ich gar nicht hinein will in die Schrift! Meine Schlüssel sind die Endungen; mit ihrer Hilfe bin ich in die Tiefen der Sprache eingedrungen, die Schrift aber ist mir Leberwurst. Lassen wir das also sein, und steigen wir lieber zum Deck der Dschunke empor. Es wird sich wohl ein Marsgast finden lassen, welcher einem Rede und Antwort steht. Aber, Methusalem, ich bitte mir aus, daß Sie schweigen! Ich selbst will sprechen und die Erkundigung führen. Sie mit Ihrem Bücherchinesisch könnten leicht alles falsch verstehen.«
Degenfeld nickte bescheiden und schickte sich an, voranzusteigen; aber der Kapitän faßte ihn hinten an dem blausamtnen Schnurenrock, zog ihn zurück und sagte: »Halt, Musenalmanach! Ich bin der Sprecher und muß also voran. Schauen Sie doch, wie Sie sich hinaufschmuggeln wollen, um mir zuvor zu kommen und das erste Wort zu haben! Ich heiße Tur-ning sti-king und mache meine Rechte als Mandarin geltend.«
»Habe ja gar nichts dagegen, alter Seebär! Aber ich muß Sie warnen: Nennen Sie sich einem Chinesen gegenüber ja nicht Mandarin!«
»Warum nicht? Denken Sie vielleicht, man erkenne den Esel unter der Löwenhaut, und ich werde wegen der Führung eines gestohlenen Titels bestraft?«
»Ist auch möglich; aber ich meine nicht das, sondern etwas andres. Die Chinesen kennen das Wort Mandarin gar nicht.«
»Nicht? Da sind sie dumm genug! Wenn wir es kennen, muß es ihnen doch erst recht geläufig sein!«
»Eben nicht. Mandarin kommt her von dem Sanskritworte Mantri, ein weiser Ratgeber, ein Minister. Die Portugiesen hörten dieses Wort und machten es sich mundrechter, indem sie es in Mandarin umwandelten. Mit diesem Titel belegten sie dann die chinesischen Beamten. Die Chinesen aber wenden dieses ihnen ganz fremde Wort niemals an. Sie nennen ihre Beamten alle Kuan, welches Wort ein Dach bezeichnet, einen Ort, unter welchem viele beisammen sind. Um nun auszudrücken, wer diese Versammelten sind, setzen sie das Zeichen Fu dazu, welches Vater oder Greis bedeutet, einen erfahrenen, weisen Mann, welcher also zum Beamten geeignet ist. Kuan-fu bedeutet also eine Vielheit von klugen Leuten, von Beamten. Hier unterscheidet man nun wieder Zivil- und Militärbeamte. Die ersteren werden Wen-kuan genannt, litterarische Beamte, und die letzteren heißen Wu-kuan, tapfere Beamte. Sie dürfen sich also nie Mandarin nennen, auch nicht Kuan-fu im allgemeinen, sondern weil Sie ein Generalmajor, also ein Militär sind, so gehören Sie zu der Abteilung der Wu-kuan. Merken Sie sich das ja!«
Turnerstick kratzte sich hinten unter dem falschen Zopfe.
»Alle Wetter, ist das eine Not!« seufzte er. »Kuan-tschu, Wäng-Kuan, Wau-kuan. Das ist eine Tschu- und Wäng- und Wau-kuanerei, daß es einem die Ohrläppchen hinten im Genick zusammenzieht!«
»Sie sprechen die Worte ganz falsch aus!«
»Wegen den vielerlei Kuans. Sagen Sie mir noch einmal, was für einer ich bin! Das werde ich mir schon merken.«
»Ein Wu-kuan!«
»Wu, Wu, Wu, Wu-kuan! Nun werde ich das Wu wohl im Kopfe haben, wenn ich dabei nur das Kuan nicht wieder vergesse. Es ist ein sehr schlechtes Chinesisch. Die richtige Endung fehlt; es muß ein ng hintenan, also Wung-Kuang. Das wäre hochchinesisch. Haben Sie vielleicht einen Bleistift bei sich?«
»Ja. Hier ist er.«
»Danke! Will mir dieses Wu-kuan, zu welcher Sekte ich doch nun einmal gehöre, doch lieber aufschreiben, und zwar hierher auf den Fächer, wo ich es stets vor Augen habe. Fällt mir es nicht gleich bei, so öffne ich den Fächer und fächle mir meine Kriegerklasse zu. Prächtiger Gedanke! Man sollte sich eigentlich jedes chinesische Wort, welches man leicht vergessen könnte, auf den Fächer notieren.«
»Wie groß müßte er dann bei Ihnen sein?«
»Wie groß? Ah, Sie wollen mich wohl foppen? Ich denke, mein Kopf faßt ebensoviel wie der Ihrige!«
»O, noch weit mehr. Ihr Zopf beweist das ja.«
»Wieso? Machen Sie sich wirklich über mich lustig?«
»Nein, Kapitän. Wie heißt Zopf in chinesischer Sprache?«
»Jedenfalls Zopfing oder Zopfeng.«
»Nein. Dieses Mal sind Sie leider falsch unterrichtet.«
»Wie denn?«
»Pen-tse, zu deutsch Sohn des Gehirnes. Die Chinesen gehen von der Ansicht aus, daß aus einem gesunden Kopfe auch ein gesunder, also recht langer Zopf wachsen müsse. Demzufolge muß also ein langer Zopf das sichere Zeichen eines guten Gehirnes, eines klugen Mannes sein. Daher lachen sie über unser geschorenes Haar und halten uns für Dummköpfe. Je höher ein Chinese steht, desto länger und dicker wird sein Zopf sein, ob Natur oder Kunst, das ist Nebensache. Da Sie nun so einen gewaltigen Zopf besitzen, während ich leider keinen Pen-tse habe, so müssen Sie mir geistig ungeheuer überlegen sein.«
»Das ist auch gewiß sehr richtig. Wart, den Zopf muß ich mir auch sofort notieren. Also Pen-dse?«
»Nein, denn dse heißt ›vier‹.«
»Also Pen-ße?«
»Auch nicht, denn ße oder sse bedeutet den akademischen Grad eines Doktors.«
»Wohl Pen-se?«
»Bewahre, denn se heißt Liebe, Farbe, Figur, Malerei. Sie müssen ein hartes t vor das s setzen.«
»Folglich Pen-tße?«
»Unmöglich; tße bedeutet nämlich: sich, selbst, Eigenart, innere Beschaulichkeit, Identität und auch Identifikation.«
Turnerstick hielt den Fächer in der Linken und den Bleistift in der Rechten zum Schreiben erhoben; aber er schrieb nicht, sondern zog ein ganz merkwürdiges Gesicht und rief erbost: »Jetzt hören Sie nun mal auf, Sie Deutschverderber! Es braust mir ja um die Ohren, als ob ich den Niagarafall im Kopfe hätte!«
»Ja, mein Lieber, Sie müssen die beiden Konsonanten genau und scharf unterscheiden. Im Chinesischen ist ein großer Unterschied zwischen se, sse, sze, tse, tze, dse und dze.«
»Ihr Unterschied kann mir gestohlen werden! Warum bringen Sie mir lauter Worte ohne eine meiner Endungen! Peng tseng wäre richtig; warum soll ich da Pen-tse sagen? Ich schreibe mir den unglückseligen Zopf gar nicht auf. Hier haben Sie Ihr Stückchen Bleistift zurück. Mir brauchen Sie mit Ihrem hölzernen Pantoffelchinesisch nicht zu kommen. Da hat das meinige doch mehr Saft und Kraft. Pang, peng, ping, pong und pung, das ist der wahre Jakob; das klingt wie Glockengeläute! Was würden Sie sagen, Mijnheer van Aardappelenbosch, wenn einer von Ihnen verlangte, sieben- oder achterlei dse und tse zu unterscheiden?«
»Ik zoude ihm sagen: Gij zijt een ongelukkige Nijlpaard!« antwortete der Dicke, indem er so tief und ängstlich Atem holte, als ob an ihn das Verlangen gestellt worden sei, den malefikanten Pen-tse zu deklinieren.
»Ja, ein Nilpferd sondergleichen wäre dieser Kerl. Merken Sie sich das, mein bester Methusalem, und sündigen Sie hinfort nicht mehr, sonst zwingen Sie mich. Sie einmal in die linguistische Wäsche zu nehmen. Jetzt aber wollen wir endlich an Bord. Vorwärts!«
Die fünf sonderbaren Personen hatten durch ihr längeres Verweilen an dieser Stelle eine große Anzahl von Neugierigen herbeigezogen. Dennoch zeigte sich oben auf dem Deck der Dschunke kein Mensch. Unser Kapitän schob seinen Fächer zusammen und wendete sich nach der Treppe.
»Vergessen Sie das Tsing-tsing nicht!« ermahnte ihn der Blaurote noch. »Wir wollen höflich sein und grüßen.«
»Soll geschehen! Tsing ist doch wenigstens chinesisch; es hat eine von meinen fünf Endungen und klingt viel peking-, nanking- und kantongähnlicher als Ihr trauriges Tse-dse-sse, welches sich so anhört, wie wenn Ihr Gottfried in seine Oboe fiebt. Mich laßt aus damit!«
Er stieg die Treppe empor. Hinter ihm folgten Richard Stein, der Wichsier, der Dicke und zuletzt der Methusalem. Diese Ordnung der Personen hatte für den dicken Holländer eine kleine Belästigung zur Folge. Da Gottfried den Kopf der Hukah Persische Wasserpfeife trug und der Methusalem die Spitze des Schlauches im Munde hatte, so führte der letztere an Mijnheer van Aardappelenbosch vorüber und machte ihm das Emporsteigen schwieriger, zumal die Treppe für seine volle Gestalt viel zu schmal war. Er blieb aus der vierten oder fünften Stufe halten, um wenigstens seinen Riesenschirm, welcher ihm sehr beschwerlich wurde, zuzumachen, verwickelte sich aber dabei in den langen Pfeifenschlauch. Der Schirm entging seiner Hand. Um denselben zu ergreifen, machte er eine schnelle Bewegung, verlor den Halt und rutschte von der Leitersprosse ab.
»Gottfried, halte die Pfeife fest!« rief der Methusalem, indem er die Spitze derselben fahren ließ.
Der Dicke stürzte auf ihn, und zwar mit solchem Gewichte, daß der Blaurote sich und ihn nicht zu halten vermochte; beide krachten von der Treppenleiter herab und auf die Erde nieder.
Der Methusalem raffte sich augenblicklich wieder auf; der Dicke aber blieb liegen, hielt die Hände und Füße empor, spreizte alle zehn Finger auseinander und schrie: »Mijn God, mijn hemel, o mijn rug en mijne neus! Daar ligg ik hoe een walvisch in de fontein! Ik ben dood. Goede nacht, gij boose wereld – mein Gott, mein Himmel, o mein Rücken und meine Nase! Da lieg ich wie ein Walfisch im Springbrunnen! Ich bin tot. Gute Nacht, du böse Welt!«
Gottfried hatte die Pfeife fest gehalten, so daß sie ihm nicht entrissen worden war. Er kam herabgestiegen, um den beschmutzten Anzug seines Herrn mit dem Taschentuche zu reinigen. Dabei fragte er denselben: »Wie nennt man eigentlich im Holländischen das Parterre?«
»Gelykvloers,« antwortete der Bemooste.
»Stroozak.«
»Danke!«
Sich nun an den Holländer, welcher noch immer alle vier Extremitäten von sich streckte und die Augen geschlossen hielt, wendend, rief er: »Mijnheer, wollen Sie hier gelykvloers liegen bleiben wie ein Stroozak? Erheben Sie sich doch in Ihre janze Herrlichkeit!«
»Ik kan niet!« antwortete der Aufgeforderte im kläglichsten Tone.
»Warum nicht?«
»Ik ben dood, muisdood. Ik sterv in deze oogenblik. Ik ben een ongelukkige nijlpaard. Wij worden afschied nemen!«
»Wat, so mausetot sind Sie, dat Sie Abschied nehmen wollen?« lachte der Wichsier. »Wer so weich fällt wie Sie, der kann sich jar nie zu Tode fallen. Sollten Sie aber dennoch bereits nach dem Jenseits hinüberjeschlummert sein, so habe ich da meine Posaune des letzten Jerichtes, mit welcher ich Ihnen aus dat Erbbejräbnis blasen werde. Wollen Sie jefälligst auf?«
»Neen! Ik kan niet!«
»Dann werde ich nachhelfen.«
Er hielt ihm die Oboe an das Ohr und blies. Es kam ein so entsetzlicher, langgezogener Mißton zum Vorscheine, daß sich der Holländer sofort in sitzende Stellung aufrichtete und beide Ohren mit den Händen verschloß.
»Dat hilft! Nicht wahr?« kicherte Gottfried ihn an. »Weiter! Noch einmal!«
Aber obgleich der zweite Ton noch schrecklicher als der erste war, der Dicke blieb sitzen. Er zog zwar das jämmerlichste Gesicht, welches denkbar ist, hielt sich aber die Ohren zu und bewegte sich nicht.
»Will's nicht weiter wirken?« fragte Gottfried. »Die erste Fermate hat doch jeholfen! Warum die zweite nicht? Auf, Mijnheer! Es wird schon jehen!«
Ik fort niet; ik word sterven!« antwortete der Dicke kopfschüttelnd.
»Laß ihn!« rief der Methusalem, welcher mittlerweile die Leiter emporgestiegen war. »Man soll jedem Toten seine Ruhe gönnen. Möge ihm die Erde leicht werden! Wir aber haben mehr zu thun. Hier oben an Deck riecht es geradezu zum Entzücken. Ich glaube, es wird an Bord ein seines Diner abgehalten. Ich rieche Rumpsteaks mit Schmorkartoffeln; auch nach Selleriesalat duftet es. Man scheint also schon beim zweiten Gange zu sein. Komm also schnell herauf, Gottfried! Ein chinesisches Essen, das dürfen wir unmöglich versäumen!«
»Gebraden rumpvleesch?« rief der Dicke, indem er die Hände von den Ohren nahm. »Selrisalade? Een middageten in een chijnedischen scheep? Ik word ook met eten. Ik kom ook met in't scheep – gebratenes Lendenfleisch? Selleriesalat? Ein Mittagsessen in einem chinesischen Schiffe? Ich werde auch mit essen. Ich komme auch mit in das Schiff!«
Was Gottfried mit seiner Oboe nicht fertig gebracht hatte, das war dem Methusalem mit seiner Ankündigung gelungen. Einem Rumpsteak konnte der Dicke nicht widerstehen. Er sprang vom Boden auf, steckte den Tornister, welcher ihm entfallen war, wieder auf die beiden Gewehrläufe, ergriff auch den Familienschirm und kletterte dann mit einer Beweglichkeit, welche ihm vorher niemand zugetraut hätte, an der Leiter empor.
Gottfried stieg hinter ihm her und rief lachend: »So erfährt man, wie tote Leichen aufjeweckt und zu Verstand jebracht werden! Hängt man diesem juten Mijnheer einen Bahnzug von sechzig Kohlenwagen hinten an und hält ihm vorn eene saftige Kotelette vor. so zieht er die Lowrys im Jalopp über den Sankt Jotthard hinweg. Es jibt eben Menschen, deren Magen jradezu allmächtig ist.«
Als er eben an Bord anlangte, reichte er dem Methusalem vor allen Dingen die Schlauchspitze hin und zündete ein Holz an, um den Tabak in Brand zu stecken. Er hielt es eben für unmöglich, daß sein Herr als »Nichtraucher« eine chinesische Dschunke besteigen werde, um mit dem Besitzer derselben wegen der Passage in Unterhandlung zu treten.
Zunächst war kein Mensch zu sehen. Das Schiff schien ausgestorben zu sein. Auch von einem Bratengeruche war nichts zu verspüren, was den Dicken zu dem Ausrufe der Enttäuschung veranlaßte: »Ik ben verschrikt! Hier wordt niets kocht – ich bin erschrocken. Hier wird nichts gekocht.«
Er hielt seine Nase in alle Richtungen der Windrose, und da er von einem Bratendufte keine Spur bemerkte, so stieß er den Schirm zornig auf und rief: »Ik houd niet van zulk een gedrag; ik loop waarlyk naar mijne herberg – ich halte nichts von so einem Betragen; ich gehe wahrhaftig nach meinem Gasthofe!«
Er wollte sich wirklich wieder nach der Treppe wenden, ließ sich aber durch einen interessanten Anblick, welcher sich ihm bot, daran hindern.
Zunächst war es kein Anblick, sondern ein lieblicher Geruch, welcher plötzlich in seine Nase drang. Es duftete wirklich nach gebratenem Fleische, wodurch der Scherz des Blauroten zum Ernste wurde. In der Stützwand des hohen Hinterdeckes wurde eine Mattenthür geöffnet, und es traten vier Chinesen hervor, welche einen Tisch trugen. Auf diesem standen mehrere Porzellangefäße verschiedener Formen mit gebratenem Fleische, Kuchen, Wein und duftenden Blumen.
»Het middageten komt!« rief der Dicke, indem sein Gesicht einen freudigen Ausdruck annahm.
»Dat scheint wirklich so!« nickte Gottfried von Bouillon. »Sollte man unsre Ankunft jemerkt haben und nun mit einem Freundschaftsimbiß feierlichst bejehen wollen? So eine diplomatische Jeschicklichkeit hätte ik bei diese Söhne der Mitte freilich nicht jesucht!«
»Abwarten!« lachte der Methusalem. »Diese Delikatessen sind jedenfalls nicht für uns.«
»Dann könnten mir diese Kinder des Zopfes immer wieder jestohlen werden.«
Es zeigte sich, daß der Methusalem recht hatte, denn die vier Chinesen machten sehr erstaunte Gesichter, als sie die Fremden erblickten. Sie trugen den Tisch bis zwischen den Mittel- und Hintermast, setzten ihn dort nieder und entfernten sich schleunigst, jedenfalls um die Anwesenheit der Europäer zu melden.
Gleich darauf kamen aus derselben Thür zwei Männer, welche sich in langsamen und würdevollen Schritten näherten. Beide waren lang und hager. Sie trugen die gewöhnliche chinesische Tracht, ohne Abzeichen eines litterarischen oder militärischen Ranges und hatten breitkrempige Basthüte auf den rundum kahlgeschorenen Köpfen. Nur auf den Scheitelstellen waren die Haare nicht entfernt worden; sie hingen von dort aus in Gestalt von Zöpfen unter den Hüten hervor. Waffen waren nicht zu sehen; dennoch aber, und obgleich die beiden Männer in diesem Augenblicke ein höfliches Lächeln zeigten, hatten ihre breiten, mongolischen Gesichter einen Ausdruck, welcher nicht auf weichliche Gesinnung schließen ließ.
Als sie herangekommen waren, blieb der eine einen Schritt hinter dem andren stehen. Der letztere verbeugte sich tief und sagte in ziemlich gutem Englisch: »Die hochgeborenen Herren beehren mein schmutziges Schiff mit Ihrer glänzenden Anwesenheit. Welchem glücklichen Umstände habe ich, der allerunwürdigste Ihrer Diener, diese leuchtende Gnade zu verdanken?«
Selbst im Verkehr mit seinesgleichen gebietet nämlich die Höflichkeit dem Chinesen, von sich nur in wegwerfenden, von dem andern aber in erhebenden Ausdrücken zu sprechen.
Der Methusalem verbeugte sich ebenso tief und öffnete bereits den Mund, um diese Frage zu beantworten; da aber trat Turnerstick schnell vor und rief: »Tsching, tsching, tsching! Wir kommeng als Passagierings und wollang mit der ›Königing des Wassers‹ fahrung. Wir hoffeng, gute Wohnung zu finding und werdeng nobel bezahlang. Fünf Personung und ein Hund. Was habeng wir für den Ramsch zu bezahlung?«
Der Neufundländer war nämlich auch mit über die Treppe heraufgeklettert.
Der Chinese warf einen unbeschreiblich verblüfften Blick auf den Kapitän, schüttelte den Kopf und sah die andern fragend an.
»Nun!« sagte Turnerstick ungeduldig. »Sie werdeng doch hoffentling Chinesisch verstehang! Ich lasse nur den reinsteng und feinsteng Dialekting hörung. Verstanding? Ich will Antwort habeng!«
Der Chinese stand noch ebenso verwundert wie vorher. Darum fuhr Turnerstick in erhöhtem Tone fort: »Seid ihr beideng etwa taubstumming? Ich kann verlangung, gehört zu werdeng. Ich bin – bin – bing – – –«
Leider hatte er das Wort nun schon vergessen. Er entfaltete also seinen Fächer, um es abzulesen, und ergänzte: »Ich bing ein Wu-kuan und heiße Tur-ning sti-king, Schiffskapitäng und chinesischer Obermandaring; ich werde –«
Er wurde unterbrochen. Der Chinese gebot ihm durch eine Armbewegung Schweigen und fragte den Methusalem, sich wieder der englischen Sprache bedienend: »Wer ist dieser erlauchte Herr? Meine ungehorsamen Ohren vermögen es nicht, seine Worte zu verstehen.«
Der Gefragte antwortete in derselben Sprache: »Er ist ein Wu-kuan, ein Fu-tsiang seines Vaterlandes, und bedient sich des höchsten Dialektes der Beamten von der Pfauenfeder, welchen andre nicht zu kennen scheinen.«
»So muß es sein, denn ich kenne diese Sprache nicht. Wollen uns also lieber derjenigen der Yan-kui-tse Engländer bedienen, in welcher ich die weisen Herren wohl verstehen kann. Ich bin der ganz unwürdige Ho-tschang dieses Schiffes, und mein Kamerad hier ist der To-kung desselben. Unsre Tau-muh haben uns gesagt, daß einige erleuchtete Männer an Bord gekommen seien, und so haben wir uns beeilt, unsre ganz demütigen Dienste anzubieten.«
»Hat der Besitzer dieser Dschunke nicht davon gesprochen, daß ein Tao-dse-kue Deutscher hier gewesen ist, um für sich und noch vier andre Platz für Kanton zu bekommen?«
»Er hat es gesagt. Wenn ihr diese vom Himmel gesandten Herren seid, so wird es für uns eine ganz unverdiente Ehre sein, euch bei uns aufzunehmen und nach Kuang-tscheu-fu Chinesischer Name für Kanton zu bringen.«
»Wir sind es. Wo ist der Schiffsherr?«
»Er befindet sich bei dem Hiang-kung, um mit demselben für das Gelingen unsrer Reise zu beten. Wenn das Gebet vollendet ist, werden wir hier auf dem Deck das Kong-pit vornehmen, um ganz sicher zu sein, daß uns unterwegs kein Uebel widerfahre.«
»Werdet ihr uns erlauben, dieser Zeremonie beizuwohnen?«
»Ja, da ihr mit uns fahren wollt. Aber da muß ich nach euren berühmten Namen und euren glänzenden Würden fragen, damit ich euch die euren hohen Verdiensten angemessenen Plätze anweisen kann.«
»Ihr sollt sie erfahren. Dieser berühmte Held ist, wie bereits erwähnt, ein Wu-kuan. Sein Titel ist aus seinem Fächer verzeichnet: Tur-ning sti-king kuo-nyan ta-fu-tsiang. Mein Name ist Me-thu-sa-lem-tsiung-wan, woraus ihr ersehen werdet, wen ihr vor euch habt.«
Die Klasse der Tsiung-wan ist nämlich die erste der fünf obersten Klassen des persönlichen Adels, wohin nur die Mitglieder und Abkommen der kaiserlichen Familie gehören. Als die beiden Chinesen diese zwei Silben hörten, verbeugten sie sich so tief, daß ihnen ihre Zöpfe nach vorn über die Köpfe flogen, und der Ho-tschong fragte im Tone tiefster Ergebenheit: »So sind Sie der Nachkomme eines glänzenden Ahnen?«
»Des glänzendsten, den es gibt. Er hieß A-dam; vor ihm beugten sich alle Geschöpfe der Erde, und er ist der Urvater aller Kaiser und Könige. Mein Name wird also genügen, so daß ich diejenigen meiner andern Begleiter nicht zu nennen brauche. Jeder von ihnen ist ein Tao-kuang Glanz der Vernunft in unserm Vaterlande, und wenn wir mit euch fahren, werdet ihr alle ihre zehntausend Vortrefflichkeiten kennen lernen. Vor allen Dingen aber möchten wir wissen, wie viele ›Wasserfüße‹ wir haben müssen, um mit euch nach Kanton zu gelangen.«
»Der Herr des Schiffes hat mir bereits gesagt, daß er für die Person einen Dollar verlangt hat. Da ihr aber so vornehme Herren seid, denke ich, daß ihr uns beiden außerdem noch ein Kom-tscha Tjcha – Thee, Geld für Thee, also Trinkgeld geben werdet.«
»Ihr sollt pro Mann einen Dollar bekommen.«
»Herr, eure Gnade ist über alles Erwarten groß. Wenn ihr das Geld sogleich bezahlt, werdet ihr sofort Zeuge des Kong-pit sein.«
Turnerstick und der Mijnheer zahlten je zwei Dollar, der Methusalem für sich, Gottfried und Richard vier Dollar, folglich hatten die beiden Schiffsoffiziere drei Dollar Trinkgeld, worüber sie sich außerordentlich erfreut zeigten.
Während des Gespräches hatte sich das vorher so menschenleere Deck bevölkert. Die Bemannung war unter Deck gewesen und nun heraufgekommen. Die Leute standen in der Nähe des Tisches. Von ihnen lösten sich zwei ab, welche langsam herbeikamen. Der Methusalem erkannte den Schiffseigner. Der andre trug eine mönchsähnliche Tracht. Jedenfalls war er der Hiang-kung, der Priester des Schiffes.
Der erstere erhielt von dem Kapitän das Passagegeld, natürlich aber nicht das Trinkgeld. Die vier Chinesen traten beiseite, sprachen eine Weile miteinander und warfen dabei scharf forschende Blicke auf die Passagiere. Der Schiffseigner hatte, wie von Degenfeld ganz richtig bemerkt worden war, kein vertrauenerweckendes Gesicht, der Priester sah noch finsterer aus. Ihre Blicke glichen denen von Händlern, welche eine Ware scharf abschätzen wollen.
»Die Kerls gefallen mir gar nicht,« sagte der Methusalem. »Sie betrachten uns wie Kolli, die in ihren Besitz übergehen sollen. Warum sprechen sie heimlich miteinander?«
»Das ficht mich nichts an,« antwortete Turnerstick. »Ein Kapitän muß wissen, wen er an Bord hat, und daß wir ihr Befremden erregen müssen, versteht sich ganz von selbst. Lassen Sie die Kerls immer reden. Mir gefallen sie, obgleich sie kein Wort von meinem Hochchinesisch verstehen. Lassen Sie uns nur in das Innere des Landes kommen. Da werden Sie sehen, welchen Effekt ich mit meinen Sprachkenntnissen mache! Ueberdies ist diese ›Schui-heu‹ ein wahres Prachtschiff, schmuck und sauber im höchsten Grade. Vielleicht läßt man uns auch einen Blick unter Deck werfen. Am liebsten möchte ich gleich hier bleiben. Vielleicht thue ich es auch, wenn sie es erlauben. Warum soll ich im Hotel übernachten und so viel Geld bezahlen?«
Als ob sie die Worte des Kapitäns gehört hätten, kamen die vier jetzt wieder herbei, und der Kapitän sagte: »Ich habe den Hiang-kung benachrichtigt, daß ihr das Kong-pit mit ansehen wollt. Er würde es gern erlauben, darf aber nicht, weil ihr dann wohl das Schiff verlassen werdet, um erst morgen früh wieder an Bord zu kommen.«
»Das beabsichtigen wir allerdings,« bestätigte Degenfeld. »Aber warum soll dieser Umstand ein Hindernis sein?«
»Weil dann das Kong-pit nicht zutreffen würde. Wer bei demselben gewesen ist, darf das Schiff vor der Abfahrt nicht wieder verlassen, wie sich ganz von selbst versteht.«
»Was ist denn dieses Kong-pit für ein Dings?« erkundigte sich Turnerstick in deutscher Sprache. »Kennen Sie es, Methusalem?«
»Ich habe davon gelesen,« antwortete der Gefragte. »Kongpit heißt wörtlich: ›das Herabsteigen zum Pinsel‹. Es ist das Geisterschreiben bei den Chinesen, ähnlich wie bei uns der Unsinn des Tischrückens oder des Spiritismus.«
»Geisterschreiben? Das muß ich sehen! Ich habe zeit meines Lebens noch keinen Geist gesehen, auch noch keinen Brief von so einem Wesen erhalten.«
»Ik ook nok niet; ik will ook zien schryven dezen Keerl van ginds – ich auch noch nicht; ich will auch diesen Kerl aus dem Jenseits schreiben sehen,« meinte der Mijnheer.
Und Richard Stein bat: »Einen Geist, welcher schreibt? Lieber Onkel Methusalem, den möchte ich auch gern sehen. Können wir nicht gleich hier bleiben?«
»Warum denn nicht?« antwortete Gottfried von Bouillon. »Son 'ne Jeisterjeschichte ist mich zwar immer verdächtig. Jeister können mich eben nie imponieren. Der einzige ehrliche Jeist ist doch nur der auf Flaschen je- und wohljezogene. Aberst ich möchte es mich doch mal jenehmigen, eenen Jeist mit Pen-tse, also mit Zopf zu sehen, und so verhoffe ich, dat unser Methusalem es möglich macht.«
»Hm!« zuckte der Genannte die Achsel. »Viel liegt mir gar nicht daran; aber was hindert uns, gleich hier zu bleiben? Das Wenige, was wir am Lande noch zu thun haben, ist bald geordnet, und da ihr mich überstimmt, so will ich mich in euren Wunsch ergeben.«
Er sagte das dem Kapitän. Dieser ließ sich Instruktion erteilen und sandte dann mehrere Leute ab, welche für die Reisenden einkaufen sollten, was der Methusalem als nötig angegeben hatte. Einer von ihnen mußte in das Hongkong-Hotel gehen, um dort dem Wirte zu melden, daß die Gäste nicht zurückkehren würden; der Mijnheer gab ihm eine schriftliche Bescheinigung mit.
Als diese Veranstaltungen getroffen waren, durften die Passagiere das Innere des Schiffes besichtigen und die Koje oder vielmehr Kajüte in Augenschein nehmen, welche ihnen als Aufenthaltsort dienen sollte.
Die Dschunke machte auch in ihrem Innern ihrem Baumeister und den sie regierenden Offizieren alle Ehre. Sie führte nur zwei Deckkanonen, und der Kapitän versicherte, daß keiner seiner Matrosen bewaffnet sei. Er behauptete, vor den Räubern vollständig sicher zu sein, da die »Königin des Wassers« das am schnellsten segelnde Schiff des chinesischen Meeres sei und von keinem andern eingeholt werden, im Gegenteile aber jedem leicht ausweichen könne.
Nach Kanton sollte das Schiff in Ballast gehen und erst dort Ladung nehmen, da es hier in Hongkong die bisherige gelöscht hatte. Nur eine Anzahl großer, schwerer Kisten standen im Güterraume. Sie enthielten die Maschinenteile einer großen Brennerei, welche in der Nähe von Kanton gebaut worden war und deren Eigentümer die Maschinen in Europa bestellt hatte. Sie waren von der »Königin des Wassers« in Singapore in Empfang genommen worden.
So erzählte der Ho-tschang und die Reisenden hatten keine nähere Veranlassung, die Wahrheit seiner Angaben in Zweifel zu ziehen.
Nur eins fiel dem Methusalem auf, nämlich die ungewöhnlich große Anzahl der Matrosen, welche mit der Größe des Schiffes und der Einfachheit des Takelwerkes gar nicht im Verhältnisse stand. Das konnte aber, wie Turnerstick meinte, auf chinesischem Brauche beruhen und war also kein Grund, Mißtrauen zu erwecken. Ein chinesischer Matrose bekommt so wenig Lohn und so wenig Essen, welches nur in billigem Reis besteht, daß ein Reeder oder Kapitän sich schon den geringen Luxus einiger überzähliger Mannen gestatten kann.