Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Förster Wunderlich auf der Pirsch

Am andern Morgen war Wunderlich zeitig auf den Beinen. Nach dem Grundsatz, daß eine Liebe der andern wert ist und eine Hand die andre wäscht, hatte ihm Vetter Arndt in der Nacht noch bei der Holzberechnung geholfen, die nach Heranziehung einer so tüchtigen Hilfskraft denn auch überraschend schnell fertig wurde. Darüber atmete der Förster gewaltig auf. Seine brummige Laune war gänzlich verflogen, und als er sich mit seinem Bärbchen ins Schlafzimmer zurückzog, sprach er bereits wieder von Arndt als von einem pfiffigen Kopf und einem äußerst brauchbaren Menschen.

Demzufolge strebte er am kommenden Morgen, kaum daß der Tag graute, doppelt willig nach Hohenthal und beredete den Teichbauer, sogleich seinen Schlitten anspannen zu lassen.

Der Herr Vetter, so erklärte Wunderlich, der bei ihm zu Besuch sei, habe dringend in der Stadt zu tun, und da auch er, der Förster, selber in Geschäften schleunigst dorthin müsse, wollten sie mitsammen fahren. Zu Fuß sei das bei dem Schnee und den schlechten Wegverhältnissen doch eine zu ungemütliche Sache.

Während nun Christian, der Knecht des Teichbauern, auf Geheiß seines Herrn die Pferde anschirrte, drang Wunderlich auch noch darauf, daß die Bäuerin zwei behäbige Wärmflaschen heiß machte und im Fußgestell des Schlittens verstaute. Decken lagen im Forsthaus schon bereit. So, nun konnte die Fahrt beginnen.

Es ging zunächst noch einmal zur Försterei zurück. Für ein Pferdegespann war der Umweg nicht groß, und man gewann dadurch noch den Vorteil, daß Arndt auf diese Weise den Ort Hohenthal nicht erst zu durchqueren brauchte.

Oh, es war alles reiflich bedacht! Arndt war ja Detektiv, und sein Helfer, der Förster Wunderlich, war auch nicht auf den Kopf gefallen.

Arndt hatte das Frühstück soeben beendet, ein Genuß, den Wunderlich heut schon lange hinter sich hatte, als der Schlitten vor dem Forsthaus hielt. Ohne langen Abschied von der Frau Försterin nahmen die beiden Männer hinter dem Knecht des Teichbauern in dem leichten Gefährt Platz, und hinaus ging es in den schneehellen Morgen, durch prächtigen Winterwald und später über weißglänzende Feldwege und Landstraßen.

Wunderlich war sehr redselig; so entsprach es seiner ausgezeichneten Laune. Er witterte das Abenteuer und freute sich darauf. Natürlich, er war doch nicht umsonst Jäger mit Leib und Seele. Auch Arndt zeigte sich angeregt und unterhaltsam. Die Reden gingen munter hin und her zwischen den beiden, und der Detektiv wunderte sich im stillen, daß der Förster keine einzige neugierige Frage in bezug auf die kommenden Dinge mehr tat. Das gefiel ihm. Entweder hatten seine Belehrungen vom vergangenen Abend erstaunlich gefruchtet, oder Wunderlich war klug genug, des Knechts wegen zu schweigen, der trotz des hellen Geläutes der Schlittenglocken jedes Wort seiner Fahrgäste hätte aufschnappen müssen.

Endlich, als sie den Saum der Kreisstadt schon erreicht hatten, öffnete Arndt den Mund zu einer nähern Weisung an den Lenker des Gefährts.

»Nach dem Gasthof ›Zum Goldenen Ochsen‹!« rief er Christian zu.

Der nickte nur und nahm den Weg nach dem gebotenen Ziel. Dann fuhr der Schlitten in den großen Torbogen der Wirtschaft ein. Im Hof kam der Stalldiener herbei. Er begrüßte Christian kameradschaftlich, zog dann seine Mütze und wollte dem Teichbauer aus dem Fahrzeug helfen. Da sah er zu seinem Erstaunen einen fremden Mann im Schlitten sitzen und neben ihm den alten Wunderlich, den Förster aus dem Wald bei Hohenthal.

Daß er auch Arndt schon einmal gesehn hatte, damals nämlich, als der Detektiv in der Küche mit der Wirtin sprach, vor der Überraschungskomödie, die er mit dem Wirt des ›Goldenen Ochsen‹ aufführte, das ahnte der Brave freilich nicht.

Christian versorgte nun mit dem Stalldiener die Pferde. Sie wurden ausgespannt, während der Schlitten im Hof stehnblieb. Dann ging Christian mit dem andern in die kleine Stube im Hintergebäude, wo Dienstboten, Kutscher usw. sich aufzuhalten pflegten, wenn sie auf ihre Herrschaft warteten. Die beiden Fahrgäste aber begaben sich ins Gastzimmer.

Der Raum war menschenleer. Sie nahmen an demselben Fenstertisch Platz, an dem kürzlich Michalowski gesessen und Eduard Hauser übertölpelt hatte. Da ging die Tür hinter dem Schanktisch auf. Der Wirt erschien.

Er begrüßte den Förster als einen alten Bekannten, der freilich nur selten in der Stadt und noch seltner im ›Goldenen Ochsen‹ auftauchte; denn die Dienstbezüge des guten Wunderlich gestatteten ihm für seine Person keine großen Seitensprünge.

Als auch Arndt dem Wirt die Hand bot und ihn vertraulich ansprach, stutzte der Mann.

»Ja, freilich, Herr, ich sollte meinen, wir hätten uns auch schon gesehn. Die Stimme kommt mir bekannt vor. Aber ich weiß wahrhaftig nicht ...«

»Denken Sie an den närrischen Kauz mit der blauen Brille!«

Der Wirt fuhr auf.

»Sie wären ... der Fremde ...?«

»Ganz recht? Ich bin's.«

Der Besitzer des ›Goldenen Ochsen‹ brauchte eine Weile, um aus seiner Verblüffung herauszufinden. Verblüfft war aber auch der Förster. Arndt mußte ihn erst mit wenigen Worten flüchtig darüber aufklären, daß der Herr Wirt und der Vetter Arndt schon einmal nähere Bekanntschaft miteinander gemacht hatten.

Nun folgte der ersten, kurzen Begrüßung eine zweite, herzlichere.

»Sie glauben nicht, wie sehr mich Ihr Besuch freut, meine Herren!« versicherte der Wirt und fügte, zu Arndt gewendet, hinzu: »Ich habe mit Ihrem Besuch gerechnet, nachdem Sie sich fürs erste bei mir nicht mehr sehn ließen. Sie sagten mir neulich, daß Sie das Buschgespenst suchen, und nun geht heut früh in der Stadt das Gerücht um, daß Sie Ihre Aufgabe schon gelöst hätten.«

»Aha!« machte Arndt mit einer bezeichnenden Kopfbewegung gegen den Förster. »Man weiß schon!«

»Man munkelt, verehrter Herr«, verbesserte ihn der Wirt. »Bestimmtes weiß man nicht. Aber ich hoffe das nun von Ihnen zu erfahren.«

»Sollen Sie erfahren, mein Lieber, sollen Sie. Sie werden sogar mehr zu hören bekommen, als irgendeiner von der Sache weiß. Vorerst aber bringen Sie uns einen heißen Kaffee! Die Morgenfahrt im Schlitten war kühl – trotz bester Verpackung ... Ist Ihnen doch recht, Herr Vetter?«

Über diese Anrede, die dem Förster galt, wunderte sich der Wirt gewaltig. Daß der Alte aus dem Wald einen so hochbeamteten und tüchtigen Vetter besaß, war ihm bisher gänzlich unbekannt gewesen. Seine Hochachtung vor dem schlichten Mann stieg um viele Grade.

Indessen wiegte Wunderlich brummend den Kopf hin und her.

»Hm«, meinte er, »recht oder nicht! Ein heißer Kaffee, zumal kräftig gebraut und unverfälscht, ist an einem Tag wie heute nicht zu verachten. Aber ...«

»Nun?« forschte Arndt. »Aber? Heraus mit der Sprache!«

»Ein herzhafter Grog wäre mir noch lieber«, platzte der Förster los.

Arndt lachte.

»Also, dann einen herzhaften Grog für den Herrn Förster! Für mich bleibt's beim Kaffee!«

Der Wirt entfernte sich. Wunderlich holte die unvermeidliche Pfeife hervor, stopfte sie und setzte sie bedächtig in Brand. Arndt zündete sich eine Zigarre an.

»So«, sagte Wunderlich dann. »Bis jetzt gefällt mir das Abenteuer ganz ausgezeichnet. Nun kann es weitergehn. Sie wollen dem Wirt jetzt alles erzählen?«

»Nur das Nötigste. In der Hauptsache will ich wichtige Auskünfte von ihm einholen.«

»Und Sie meinen wirklich, er kann Ihnen nützlich sein?«

»Das meine ich. Entsinnen Sie sich nicht, daß ich Ihnen gestern abend sagte, unser gemeinsamer Freund Eduard Hauser sei hier im ›Goldenen Ochsen‹ von einem Unbekannten, der sicher ein falsches Spiel trieb, auf den Leim geführt worden? Ich denke, daß der Wirt die beiden gesehn, vielleicht sogar beobachtet hat, sich jenes Gauners erinnert und ...«

»Kreuztürken!« fuhr der Förster dazwischen. »Da hat der Hund die Nase auf der Spur! Natürlich! Sie sind wirklich ein Pfiffikus, Herr Vetter.« Dann kratzte er sich mit der Linken hinterm Ohr. »Ich muß gestehn, so nahe der Gedanke liegt, ich bin nicht drauf gekommen, obwohl ich doch gelernt habe, eine Fährte anzusprechen.«

Hier wurde das Gespräch der beiden unterbrochen. Der Wirt brachte zunächst den Grog für Wunderlich und gleich danach auch den Kaffee für Arndt. Hierauf setzte er sich, ohne lange zu fragen, zu den beiden an den Tisch. Der Förster rückte sich auf seinem Stuhl zurecht mit dem Behagen eines Mannes, der im Theater nach dem letzten Klingelzeichen auf den Beginn eines spannenden Schauspiels wartet. Arndt aber wendete sich an den Wirt.

»Also Ihnen ist ein Gerücht zu Ohren gekommen, wonach man das Buschgespenst ertappt und hinter Schloß und Riegel gebracht haben soll?«

»So ist es. Man erzählt, es sei ein junger Bursche aus Hohenthal, der Sohn braver Webersleute.«

»Und weiter?«

»Ach, es ist eine ganz unerhörte Geschichte! Auch ein Mädel soll in die Angelegenheit verwickelt sein. Sie soll auf einen der Häscher des Verbrechers geschossen haben.«

»Nun«, meinte Arndt gelassen, »mir scheint, die Leute schwatzen da mehr, als sie verantworten können. Ich will Ihnen den wahren Sachverhalt erzählen. Aber wohlgemerkt, mein Lieber, was Sie jetzt von mir hören, bleibt vorläufig unter uns! Der Kuckuck soll Sie holen, wenn Sie gegen irgend jemand etwas davon verlauten lassen!«

»Wie werde ich, Herr! Mein Wort darauf, daß ich meinen Mund halte!«

»Das soll gelten«, nickte Arndt. »Im übrigen habe ich Vertrauen zu Ihnen, das wissen Sie ja von meinem ersten Besuch her. Und nun aufgepaßt: Der junge Mann, den man als Buschgespenst verhaftet hat, ist unschuldig!«

»Oho!«

»Ich verbürge mich dafür, und Sie wissen, wer ich bin. Er ist nämlich mein Gehilfe.«

»Ihr Gehilfe?«

»Nun ja, er unterstützt mich beim Aufspüren des Buschgespenstes.«

»Alle Wetter! Wie konnte es da geschehn, daß man ihn ins Gefängnis bringt?«

»Vorläufig nur in Untersuchungshaft, Herr Wirt. Das ist nämlich noch nicht dasselbe wie in Strafhaft.«

»Immerhin! Es gehört doch eine gewaltige Eselei dazu, mit dem Falschen so umzuspringen.«

»Es war eben ein Irrtum. Und wie nun, wenn dieser Irrtum von Feinden des jungen Mannes absichtlich herbeigeführt wurde?«

»Das wäre eine Schurkentat ohnegleichen. Den Halunken, der so etwas anrichtet, müßte man ...«

»... erwischen und selber einsperren. Nicht wahr? Nun sehn Sie, gerade das will ich bewirken. Ich will den Schuft fangen, und dazu brauche ich Ihre Hilfe, Herr Wirt.«

»Meine Hilfe? Stehe gern zur Verfügung, mein Herr. Was soll ich tun?«

»Sie sollen mir den Mann beschreiben, der hier im ›Goldenen Ochsen‹ einen arglosen jungen Menschen namens Eduard Hauser aus Hohenthal beschwatzt und in die Falle gelockt hat, worin der Unschuldige dann als Buschgespenst gefangen wurde.«

Arndt brachte jedes Wort langsam und sorgfältig betont über die Lippen. Er war dabei so ruhig, als handle es sich um ein zwar wichtiges, jedoch nicht ungewöhnliches Geschäft. Wunderlich dagegen ließ vor Begeisterung über dieses Abenteuer fast seine Pfeife ausgehn. Andächtig beobachtete er den Wirt, der vor Überraschung den Mund aufsperrte und ihn eine geraume Weile wieder zu schließen vergaß.

So herrschte denn in dem Zimmer einige Sekunden lang eine lautlose Stille. Bis Arndt dem Staunen und Schweigen des Wirts und zugleich auch der Beobachterfreude des Försters ein Ende machte.

»Nun?« mahnte er. »Wie steht es? Entsinnen Sie sich des Mannes, von dem ich spreche? Er ist der Schurke, den ich suche.«

Jetzt endlich klappte der Wirt seinen Mund zu, öffnete ihn jedoch sogleich wieder und tat einen tiefen Seufzer.

»Wenn ich das geahnt hätte!« war sein erstes Wort.

In Arndts Zügen löste sich die Spannung. Er erkannte, daß sein Verfahren von Erfolg begleitet war.

»Das heißt, Sie entsinnen sich des Vorgangs?« forschte er trotzdem noch.

»Und ob ich mich entsinne! Es war doch erst gestern, am Aschermittwoch-Morgen, da kam ein schmächtiger Bursche in die Gaststube, der schon vor ein paar Tagen einmal dagewesen war. Damals ließ er sich Tinte, Feder und Papier geben, um einen Brief zu schreiben.«

»Ganz recht«, nickte Arndt, »das war Hauser. Und weiter?«

»Kaum hatte er sich an einen Tisch am Fenster gesetzt und einen Kaffee bestellt, als ein zweiter Gast eintrat, den ich nicht kannte.«

»Wie sah er aus?«

»Nur langsam, Herr! Immer der Reihe nach! Die Sache ist wichtig genug, sie gründlich und mit Bedacht zu behandeln. Also der Fremde! Er war mittelgroß, recht wohlgenährt, sehr anständig gekleidet und trug eines dichten Bart und eine große Brille. An seiner fleischigen Rechten bemerkte ich einen prächtigen Ring; wundervolle Goldschmiedekunst mit einem leuchtend grünen Stein. Kurz und gut, der Mann machte mir den Eindruck, als lohnte es sich auch für unsereinen, mit ihm die Börse zu tauschen.«

»Bitte«, unterbrach Arndt den Redefluß des Wirts, »eine Frage noch! Ich sollte meinen, Ihr Geschäft bringt es mit sich, daß Sie einige Übung darin haben, einen Menschen nach seinem Äußern zu beurteilen. Ist er ein anständiger Kerl oder ein Gauner? Welchen Beruf mag er etwa haben? Gebildet oder nicht? Na, und so weiter!«

»Ganz recht«, war die Antwort. »Das ist allerdings meine Angewohnheit, und ich muß sagen, ich habe schon oft erfahren, daß sich eine solche Schätzung, die ich hier und da anstellte, nachträglich als richtig erwies. Der Fremde sah mir etwa aus wie ein Getreide- oder Viehhändler. Viel Bildung besaß er bestimmt nicht, dafür aber sicher einen guten Geschäftssinn. Und wenn er auch nicht den Eindruck eines Gauners machte, so hätte ich ihm da, wo es sich lohnte, ein weites Gewissen recht wohl zugetraut.«

»Das ist schon allerhand«, lobte Arndt. »Ihre Mitteilungen sind mir äußerst wertvoll, Herr Wirt, und ich ...«

»Abwarten, abwarten«! rief der andre eifrig dazwischen. »Die Hauptsache kommt ja erst noch. Sie werden staunen, mein Herr. Hören Sie nur weiter! – Also, der Mann setzte sich hier an den Fenstertisch und verlangte ein Bier. Gesprächig war er durchaus nicht, und ich ließ ihn gewähren. Aber ich machte mir meine Gedanken über ihn, denn ich hatte vorher gesehn, daß er an der Straßenecke mit einem der bekanntesten Männer der Umgegend sprach, nämlich mit dem jungen Seidelmann aus Hohenthal, den hier jeder kennt.«

»Aha«, nickte Arndt, »ich weiß Bescheid! Die Seidelmanns sind auch mir bekannt.«

»Um so besser. Da kann ich mir die Worte sparen. Also es war Fritz Seidelmann. Die beiden begrüßten sich gegenseitig mit freudig erstaunten Mienen wie zwei Leute, die sich nach langer Zeit zufällig einmal wieder begegnen. Seidelmann tat sehr vertraulich, und dann erzählte mir mein Hausbursche, der zufällig an den beiden vorübergegangen ist und hingehorcht hat, Seidelmann habe den Dicken mit lachender Miene als seinen Freund Michalowski begrüßt.«

»Da haben wir sogar den Namen! Das ist ja großartig! Wissen Sie etwa immer noch mehr?«

»Ei freilich! Die Sache geht noch weiter.«

Hierauf berichtete der Wirt, auf welche Weise Michalowski und Eduard Hauser miteinander ins Gespräch gekommen waren. Der Wirt vergaß dabei auch nicht zu erwähnen, daß er sich über eine Frage des Fremden in bezug auf Hohenthal gewundert habe, weil dieser Mann doch eben erst recht vertraulich mit einem gesprochen hatte, der von dort stammte, nämlich mit Seidelmann.

Der Förster lauschte gespannt und schmunzelte zu alledem, Arndt aber nickte dazu. Das Bild, das er sich von den dunklen Vorgängen gemacht hatte, die schließlich zu Hausers Verhaftung führten, rundete und ergänzte sich immer mehr. Alles schien da genau ineinander zu stimmen.

Nur der Schluß der Darstellung des Wirts ließ eine Unklarheit offen.

»Der Fremde wollte also nach Hohenthal«, hieß es da, »und der junge Mann, der Eduard Hauser, sollte und wollte ihm den Weg zeigen. Aus der Sache ist aber offenbar nichts geworden. Wie schon gesagt, habe ich die beiden dann in der Gaststube allein gelassen, weil ich Wichtigeres zu tun hatte, als einer Unterhaltung zuzuhören, der ich selbstverständlich keinerlei Bedeutung beimaß. Und als ich dann wieder ins Gastzimmer kam, war der Bursche verschwunden, und der Dicke bezahlte für ihn. Sie sind nicht mitsammen aufgebrochen, und ich weiß nicht, was es weiter gegeben hat.«

Das war das Unklare, eine Klippe, über die der Detektiv freilich sogleich hinwegkam.

»Aber ich weiß es«, lächelte er.

Darauf erzählte er, der Fremde habe dem unerfahrenen jungen Menschen angeblich hochwichtige und geheime Papiere zur Besorgung über die Grenze nach Breitenau aufgeschwatzt, obendrein unter Berufung auf ihn, den Vetter Arndt des Försters Wunderlich.

»Wie die Bande, die da an einem Strick zieht, hinter meine Beziehungen zu dem jungen Hauser gekommen ist, kann ich im Augenblick auch noch nicht sagen. Aber ich werde es herausbekommen und der saubern Gesellschaft gehörig auf die Finger klopfen«, drohte Arndt in ehrlichem Grimm. »Eduard Hauser ist dann auch wirklich in der Dunkelheit zur Grenze gegangen und erwischt worden, erwischt von Leuten, die von Anfang an auf ihn lauerten, weil sie wußten, daß er kommen würde. Ja, die überhaupt mehr wußten als der arglose Bursche selber.«

Jetzt erzählte er die Sache von den Spitzen und erklärte mit aller Bestimmtheit, man habe dem jungen Burschen das Paschergut heimlich hinter das Rockfutter genäht, um ihn zu verderben. In diesem Zusammenhang erwähnte er endlich auch den verhängnisvollen Brief an Strauch mit der Unterschrift ›Das Buschgespenst‹. So bedurfte es nur noch einer kurzen Erklärung darüber, wie Eduard zu solcher Torheit gekommen war, und der Wirt wußte alles. Auch Wunderlich war nun hinreichend unterrichtet.

Überflüssig zu sagen, daß die beiden ihrer hellen Entrüstung über eine solche Verkettung von Hinterlist und Niedertracht gründlich Luft machten. Der Wirt war dabei so im Zug, daß er gänzlich vergaß, danach zu fragen, wie es denn nun mit dem Mädchen stände, das in die Angelegenheit verwickelt sein sollte und angeblich auf einen der Häscher des ›Buschgespenstes‹ geschossen hatte.

Er verstrickte sich in eine zornmütige, gutgemeinte, im übrigen aber fruchtlose Auseinandersetzung mit Wunderlich, und Arndt beschloß, die Gelegenheit zu nützen und die beiden sich selbst zu überlassen.

»Meine Herren«, sagte er, »was es hier noch zu erzählen gibt, können Sie ohne mich abmachen. Ich habe inzwischen einen wichtigen Gang zu erledigen.«

Dabei war er schon aufgestanden und hatte nach Hut und Mantel gegriffen.

»Herr Vetter«, wendete er sich an den Förster, »warten Sie hier auf mich und trinken Sie inzwischen noch einen Grog oder auch zwei auf mein Wohl! In einer Stunde hoffe ich wieder hier zu sein.«

Ein paar Einwände tat er kurz ab, dann verschwand er. Es drängte ihn, zur Kriminalpolizei zu eilen und dort mit dem Kommissar zu sprechen, der die Sache Eduard Hausers und Angelika Hofmanns zu behandeln hatte.

Hinter ihm steckten im Gastzimmer des ›Goldenen Ochsen‹ zwei die Köpfe zusammen: der Wirt und der Förster Wunderlich.

»Alle Achtung!« brach der brave Schenkwirt in abgrundtiefe Bewunderung aus. »Das ist ein Mann!«

»Ein ganzer Kerl!« nickte der Förster und tat dabei so geschmeichelt, als gelte das Lob ihm selbst.

»Und dieser Mann ist wirklich Ihr Vetter?«

»Na gewiß. Sie haben es ja gehört.«

»Wie lautet denn sein Amtstitel? Er ist doch nicht nur gewöhnlicher Detektiv, auch nicht bloß Kriminalinspekor?«

Da saß Wunderlich plötzlich in der Klemme, weil der Wirt vom ›Goldenen Ochsen‹ über den Beruf des angeblichen Verwandten vielleicht besser Bescheid wußte als der Gefragte. Aber der Förster ließ sich nicht verblüffen. Er besann sich – bewußt oder unbewußt – darauf, daß man mit einem guten Jägerlatein in der ganzen Welt durchkommt. Also flunkerte er tapfer darauf los.

»Wo denken Sie hin, mein Lieber! Detektiv? Lächerlich! Kriminalinspektor? Pah! Direktor, sage ich Ihnen, sogar Generaldirektor!«

Der Wirt stutzte. Generaldirektor? Das gab es doch gar nicht bei der Kriminalpolizei.

»Das verstehe ich nicht«, bekannte er offen.

»Ja, mein Bester, das versteht mancher nicht. Ich finde mich da selber kaum zurecht. Aber wenn man nun einmal solche Verwandtschaft hat, muß man sich auch in die schwierigsten Dinge hineinzudenken versuchen.«

In dieser Tonart ging es weiter, und als der gute Förster Wunderlich schließlich beim dritten Glas Grog angelangt war, wurden seine Reden noch dunkler. Sein Latein trieb die üppigsten Blüten, so daß der Wirt vom ›Goldenen Ochsen‹ schließlich verstimmt abwehrte.

»Nun hören Sie aber auf, Herr Förster! Zum Narren halten lasse ich mich nicht!«

*

Arndt saß inzwischen im Zimmer des Kriminalkommissars, der ihn zunächst abwartend und kühl begrüßte, dann aber, als der andre seinen behördlichen Ausweis vorzeigte, sehr höflich und liebenswürdig wurde.

»Darf ich bitten, mir Ihr Anliegen vorzutragen, Herr Arndt?«

»Ich komme wegen des jungen Mädchens und besonders wegen des jungen Mannes, die man in der vergangenen Nacht in Hohenthal festgenommen hat.«

»Dachte mir's beinahe«, nickte der Kommissar. »Das ist ja zur Zeit die wichtigste Angelegenheit, die uns hier beschäftigt. Sie kennen die beiden?«

»Seit kurzer Zeit erst, aber doch sehr genau.«

»Die Namen, die Familienverhältnisse, die nähern Umstände bei der Verhaftung?«

»Ich bin in alles eingeweiht.«

»Und Sie wissen auch, daß der Verhaftete im dringenden Verdacht steht, das Buschgespenst zu sein?«

»Auch das ist mir nicht unbekannt. Aber man täuscht sich!«

»Sie meinen, mein Herr? Nun, das Gegenteil wäre erst zu beweisen. Eine Aufgabe, die ich mir nicht so leicht vorstelle, obgleich ich selber noch nicht darauf schwöre, daß wir das richtige Buschgespenst gepackt haben.«

»Oh, der Beweis ist bald geführt! Eduard Hauser kann schon deshalb nicht das Buschgespenst sein, weil er meine rechte Hand ist.«

»Wie? Der junge Hauser Ihre rechte Hand?«

»Gewiß. Ich halte mich seit einigen Tagen in dieser Gegend auf, weil es mich reizt, dem geheimnisvollen Buschgespenst nachzuspüren. Zu diesem Zweck mußte ich mich der Unterstützung eines Einheimischen versichern. Besondere Umstände wiesen mich auf Eduard Hauser hin. Ich prüfte ihn unauffällig, fand ihn recht und brav und – nun ja, ich machte ihn zu meinem Gehilfen.«

»Und jetzt verhaftet man ihn nahezu in Ihrer Gegenwart als Buschgespenst! Das ist wirklich köstlich!«

»Mir kommt die Sache gar nicht so ›köstlich‹ vor«, meinte Arndt ernst. »Hauser tut mir im Gegenteil leid, und deshalb komme ich zu Ihnen. Er ist unschuldig, und ich möchte seine Befreiung erwirken. Zu diesem Zweck kann ich mit verschiedenen Angaben und Beobachtungen dienen, und ich hoffe, daß wir dadurch bald zu einem befriedigenden Ergebnis gelangen. Darf ich fragen, ob Sie von sich aus Verdacht gegen Hauser schöpften? Hielten Sie selber ihn für das Buschgespenst?«

»Nein. Ich wußte ja von diesem jungen Mann bis vor ganz kurzer Zeit überhaupt noch nichts.«

»So sind Sie erst von dritter Seite auf Hauser aufmerksam gemacht worden?«

»Ja.«

»Wer hat das getan?«

»Fritz Seidelmann, der Sohn des Kaufmanns aus Hohenthal. Er kam zu mir und zeigte mir einen Brief, den Hauser an einen hiesigen Kaufmann namens Strauch geschrieben hat, unterzeichnet ›Das Buschgespenst‹.«

»Ich weiß von diesem Brief.«

»Sie wissen davon? Das ist wichtig. Wie haben Sie davon erfahren?«

»Hauser hat mir selber davon erzählt. Er hielt seinen törichten Streich in verblüffender Arglosigkeit für einen guten Einfall, geriet aber dann bald in Sorge, dieser Brief könne ihm Ungelegenheiten bereiten.«

»Hm! Die Ungelegenheiten haben sich, wie Sie sehn, auch sehr bald eingestellt.«

»Ich hatte es befürchtet. Man wird amtlicherseits hoffentlich kein allzu großes Gewicht auf den Brief legen.«

»Sobald der wahre Sachverhalt deutlich zutage tritt, gewiß nicht, obwohl der Brief an sich unzweifelhaft Beweisgegenstand einer ungesetzlichen, einer strafbaren Handlung ist. Sie verstehn mich?«

»Vollkommen. Aber man muß berücksichtigen, daß Hauser die verfänglichen Zeilen in einer gewissen Herzensangst geschrieben hat!«

»Ich weiß. Sein Vater hat mir einiges erzählt, und dann, als ich mit dem Pärchen hierher unterwegs war, haben mir die beiden Leutchen genug mitgeteilt, und ich kam mehr und mehr zu der Überzeugung, daß Eduard Hauser ...«

»... unschuldig und ein anständiger Mensch ist«, ergänzte Arndt.

»Gewiß«, gab der Kommissar zu. »Aber das Verfahren muß, da es einmal im Gang ist, seinen Lauf nehmen. Wir können den jungen Hauser erst freilassen, wenn wir Beweise für seine Unschuld in Händen haben. Können Sie diese Beweise liefern?«

»Ja, Herr Kommissar.«

Hierauf schilderte Arndt ausführlich seine Beobachtungen in jener Nacht im Haus der Seidelmanns vom Dach des Schuppens aus, verschwieg aber die Sache mit dem Schmuckstück.

Der Kommissar war diesen Darlegungen mit größter Spannung gefolgt.

»Ihre Berechnung erscheint so natürlich und folgerichtig, daß ich mich ihr fast anschließen möchte«, sagte er dann, ohne danach zu fragen, warum Arndt an jenem Abend das Haus der Seidelmanns beschlichen hatte. »Aber«, fuhr er fort, »zwischen Spitzen und Spitzen kann ein Unterschied sein.«

»Kann«, nickte Arndt. »Im vorliegenden Fall aber handelt es sich bestimmt um schwarze Spitzen mit einem fein gearbeiteten Muster von Halbmonden und Punkten zwischen Linien, die einander spitzwinklig schneiden. Stimmt es, Herr Kommissar?«

»In der Tat, es stimmt.«

»Das wußte ich«, fuhr der Detektiv fort. »Ich nehme an, daß Sie im Besitz der Spitze sind, die bei Hauser gefunden wurde. Sie muß mit dem Stück, von dem sie abgeschnitten wurde, genau zusammenpassen. Man muß also bei Seidelmanns nachforschen. Und dann noch eins: Glauben Sie, daß Fritz Seidelmann bei Hausers erst nach Zwirn gesucht hat, als er die Spitze ins Rockfutter nähen wollte?«

»Keinesfalls. Vorausgesetzt, daß Ihre Rechnung stimmt, hat er Zwirn und Nadel von zu Haus mitgenommen.«

»Wie haben Sie Hausers Rock geöffnet?« erkundigte sich der Detektiv weiter.

»Ich habe mit dem Taschenmesser einen Riß ins Futter geschnitten.«

»Gut, gut! Die Naht ist also unverletzt geblieben?«

»Völlig unverletzt! Und man wird leicht erkennen, ob die ursprüngliche Naht von fremder Hand aufgetrennt und dann mit anderm Zwirn wieder genäht wurde. Wir wollen das sogleich untersuchen. Ich habe den Rock Hausers im Nebenzimmer hängen.«

Der Beamte entfernte sich, kehrte nach kurzer Zeit mit dem Kleidungsstück zurück und breitete es auf dem Tisch aus.

Arndt prüfte das Futter sorgfältig.

»Meine Vermutung hat mich nicht getäuscht«, sagte er schließlich. »Der Schneider hat mit Seide genäht; hier unten aber sehn Sie die Stelle, die geöffnet und in großen, eiligen Stichen mit ziemlich starkem Zwirn wieder geschlossen wurde.«

»Man wird bei Seidelmanns nach solchem Zwirn suchen«, nickte der Kommissar. »Wenn das alles so stimmt, liegt hier eine Gemeinheit und Niedertracht vor, wie sie mir in meiner Amtstätigkeit noch nicht vorgekommen ist.«

»Und die auf noch Weiteres schließen läßt«, meinte Arndt trocken.

»Und das wäre?«

»Weshalb geben sich die Seidelmanns solche Mühe, Hauser zum Buschgespenst zu stempeln?« lautete die Gegenfrage Arndts.

»Aus Haß, aus Rachsucht meinetwegen, Herr Arndt.«

Der Detektiv lächelte. Er fühlte sich in diesem Augenblick dem Beamten überlegen, weil er in der Tat mehr wußte als der Kommissar.

»Gut, sagen wir: aus Rachsucht! Diese Rachsucht aber hat Formen angenommen, die weit über das gewöhnliche Maß hinausgehn. Sie wissen doch, Herr Kommissar, daß der junge Hauser hier in der Stadt von einem Fremden angeblich hochwichtige Papiere empfing, die er heimlich über die Grenze bringen sollte?«

»Natürlich weiß ich das. Die Papiere sind ja in meinem Besitz, und ich muß nach Durchsicht dieser Schriftstück erklären, daß sie ...«

»Nun?«

»... daß sie ohne jede Bedeutung sind. Sie enthalten bis auf ein niederträchtig ausgeklügeltes Schreiben, womit Hauser vermutlich übertölpelt wurde, nur flüchtig hingeworfenen Unsinn. Einige Blätter sind ganz leer.«

Hier lächelte Arndt zum zweitenmal.

»Sehn Sie, Herr Kommissar, das ist es, was ich zu hören erwartete. Hauser ist gröblich getäuscht worden.«

Der Kommissar nickte bedächtig.

»Fragt sich nur, von wem!«

»Das kann ich Ihnen verraten. Der Betreffende nennt sich Michalowski.«

Mit einem Ruck fuhr der Beamte hoch.

»Was sagen Sie?«

»Der Mann nennt sich Michalowski.«

»Sie kennen den Namen des Betrügers?«

»Vorläufig nur den Namen, weiter noch nichts. Aber ich habe eine Personalbeschreibung des Mannes und hoffe, dem Halunken auf die Spur zu kommen, der bestimmt nicht damit gerechnet hat, daß man ihn ausfindig macht. Sonst hätte er sich gehütet, jenes ausgeklügelte Überrumpelungsschreiben in die Hände der Polizei fallen zu lassen. Er ist übrigens ein Freund und Bekannter der Familie Seidelmann.«

Der Kommissar pfiff durch die Zähne.

»Weht der Wind daher? – Herr Arndt, darüber müssen Sie mir genauer berichten.«

Und Arndt berichtete, berichtete so überzeugend, daß ihm der Beamte zum Schluß die Hand drückte.

»Sie haben uns da einen großen Dienst geleistet, Herr – Herr Kollege. Ich sehe jetzt allmählich deutlicher. Der junge Hauser wird nicht lange in Untersuchungshaft sitzen; sein Fall ist ja beinahe schon geklärt. Nur ... ich weiß nicht, ob Sie ahnen, woran es noch immer fehlt?«

»Noch fehlen die Beweise für die Schuld der Gegenseite. Ich verstehe Sie vollkommen. Diese Beweise sind jetzt vor allem zu beschaffen. Was ich dabei tun kann, soll geschehn. Ich werde trachten, diesen Herrn Michalowski ausfindig zu machen.«

»Dasselbe werden wir amtlicherseits auch versuchen. Ich denke, Herr Kollege, wir haben in dieser Angelegenheit noch nicht die letzte Unterredung miteinander gehabt.«

»Stehe ganz zu Ihrer Verfügung, Herr Kommissar.«

»Und wo sind Sie zu erreichen?«

»Ich wohne in Hohenthal, das heißt, abseits vom Ort, beim Förster Wunderlich.« – –

Die beiden trennten sich. Arndt begab sich wieder nach dem Gasthaus ›Zum Goldenen Ochsen‹. Hier erwartete ihn eine große Überraschung. Der Wirt stand allein im Gastzimmer. Der Förster war nirgends zu erblicken.

»Ausgeflogen?« wunderte sich Arndt. »Wie kommt das?«

Er war fast ein wenig ärgerlich über die Eigenmächtigkeit seines Begleiters. Aber es genügte eine kurze Erklärung des Wirts, um die Sache sogleich in einem ganz andern Licht erscheinen zu lassen.

»Es hat sich in Ihrer Abwesenheit etwas Hochwichtiges ereignet, Herr«, lautete der Bescheid. »Denken Sie sich: wir sitzen hier, der Herr Förster schon beim dritten Glas Grog, und schwatzen gemütlich von allen möglichen Dingen; da vermißt Wunderlich auf einmal seinen Tabaksbeutel. Er meint, er habe ihn vielleicht im Schlitten liegen lassen, und geht hinaus, um nachzusehn. Ich schaue inzwischen zum Fenster hinaus, als sich plötzlich die Tür auftut und ein neuer Gast über die Schwelle tritt.

Der Mann setzte sich gar nicht erst, sondern trank nur im Stehn einen Schnaps. Dabei brachte er scheinbar so nebenbei das Gespräch auf die Seidelmanns. Das fiel mir auf. Seidelmanns – Hohenthal – die Ereignisse der vergangenen Nacht – das alles beschäftigt einen nun mal. Deshalb sah ich mir den Fremden etwas genauer an, und nun denken Sie, was ich da entdeckte! An der Hand, die vor mir nach dem Schnapsglas griff, funkelte ein Ring, den ich sofort wiedererkannte. Das ist der Ring, den gestern Michalowski trug, schoß es mir durch den Sinn. Dieser leuchtend grüne Stein!

Im Augenblick war ich wie verwirrt, aber ich faßte mich rasch und paßte auf. Ich verglich die Gestalt des Fremden mit der Erscheinung Michalowskis: mittelgroß, gut genährt, anständig gekleidet! Stimmte alles. Nur der Bart und die große Brille fehlten. Ich wußte nicht recht, woran ich war. Da fiel mein Blick wieder auf die fleischige Hand mit dem Ring. Freilich, sagte ich mir, das ist doch Michalowski! Und als der Mann bezahlte und wieder ging, sah ich es auch an der Haltung und am Gang, daß ich mich nicht irrte.

Sie können sich vorstellen, daß mir sogleich allerlei Pläne auftauchten. Da schob sich Wunderlich zur Hintertür herein. Er hatte seinen Tabaksbeutel gefunden und zeigte ihn schmunzelnd vor. Ich aber kehrte mich nicht dran.

›Still!‹ unterbrach ich ihn. ›Es gibt Wichtigeres zu besprechen. Michalowski war soeben hier. Da draußen – sehn Sie – da geht er über die Straße! Schnell, laufen Sie ihm unauffällig nach! Er kennt Sie nicht, so können Sie ihn heimlich beobachten. Stellen Sie fest, wohin er sich wendet!‹

Im Nu war der Förster im Mantel, hatte die Mütze auf dem Kopf und huschte zur Tür hinaus, hoffentlich hat er mich richtig verstanden. Zum Reden blieb uns ja keine Zeit mehr. Ich habe ihn jedenfalls auf die Fährte gesetzt, und nun müssen wir das Weitere abwarten.«

»Das haben Sie fein gemacht«, schmunzelte Arndt. »Wenn es Wunderlich halbwegs schlau anfängt, werden wir dem Kerl hinter seine Schliche kommen.«

Die überraschende Kunde erregte den Detektiv, der sich sonst nicht so schnell aus der Fassung bringen ließ, so sehr, daß er sich nicht setzen mochte, sondern sinnend im Zimmer auf und ab ging, die Hände auf dem Rücken. Allerlei Erwägungen durchkreuzten sein Hirn. Der Wirt sah ihm schweigend zu und störte ihn nicht.

Dann aber unterbrach er plötzlich mit einem lauten Ruf die Stille.

»Da kommt Wunderlich zurück!«

Und wirklich, die Tür tat sich auf, der Förster trat herein. Er strahlte übers ganze Gesicht.

»Mahlzeit, Herr Vetter!« lachte er. »Melde mich zurück von der Pirsch. Erfolg auf der ganzen Linie. Der Fuchsbau ist ausgekundschaftet.«

»Wahrhaftig? Sie haben die Wohnung des Herrn Michalowski ausfindig gemacht?«

»Habe ich, Herr Vetter. War doch Ehrensache. Bin ihm nachgeschlichen und habe ihn nicht wieder aus den Augen gelassen, zwei, drei, vier Straßen entlang, bis in die Seilergasse. Dort bog er in die weite Torfahrt des Hauses ein, das nach der bekannten Drogerie ›Zum Blauen Stern‹ genannt wird. Er überschritt den Hof und verschwand im Hintergebäude. Ich wartete eine Weile. Michalowski kam nicht wieder. Sollte er hier wohnen? dachte ich. Schließlich betrat ich den Drogenladen und kaufte mir eine Tüte Insektenpulver.

›Für den Hund‹, sagte ich zu dem Geschäftsinhaber. ›Das Vieh hat Ungeziefer.‹

So kamen wir ins Gespräch, und ich konnte schließlich ganz unauffällig die Frage anbringen, um die es mir zu tun war.

›Ich sah da eben einen Herrn durch die Torfahrt gehn, den ich dem Namen nach von Hohenthal her kenne. Er ist, wenn ich mich recht erinnere, mit dem Kaufmann Seidelmann befreundet und ...‹

Mehr brauchte ich gar nicht zu sagen. Der Drogist fiel mir sogleich in die Rede.

›Ah, Sie meinen Herrn Michalowski?‹

›Ganz recht. Wohnt er etwa hier im Haus?‹

›Zur Zeit wieder einmal. Sie wissen doch, er stammt von drüben, von jenseits der Grenze, ist aber oft in Geschäften hier in der Stadt. Dann bleibt er regelmäßig bei der Witwe Hempel im Hinterhaus.‹

›Ach so, er ist ab und zu längere Zeit hier?‹

›Drei- oder viermal im Jahr, immer für eine Woche und mehr. Wenn ich recht unterrichtet bin, ist er Großhändler in Garn und Stoffen aller Art.‹

›So, so‹, sagte ich. ›Ich weiß das nicht. Geht mich auch nichts an. Ich fragte nur, weil ich ihn in Hohenthal mal mit den Seidelmanns beisammen gesehn habe und da hörte, das sei ein gewisser Herr Michalowski.‹

Na, ich wußte nun genug, bezahlte das Insektenpulver für meinen Hund, der mir die ungerechtfertigte Verleumdung hoffentlich nicht übelnehmen wird, steckte die Tüte ein und ging. Und nun bin ich hier und stehe für neue Dienste zur Verfügung, Herr Vetter. Meine Grogs habe ich mir wohl ehrlich verdient?«

»Alle drei, lieber Wunderlich! Ich muß Sie gewaltig loben. Sie scheinen mir Ihren Beruf verfehlt zu haben. An Ihnen ist ein Detektiv verlorengegangen.« –

Der schöne Erfolg, den der brave Förster so gänzlich überraschenderweise erzielt hatte, brachte es mit sich, daß Arndt gleich noch einmal zur Kriminalpolizei ging und dem Kommissar mitteilte, er habe die Wohnung Michalowskis ausgekundschaftet. Der Beamte war natürlich freudig überrascht, obwohl er den Detektiv im geheimen ein wenig beneidete. Er hätte den großen Vorteil nicht ungern auf der Seite seiner Leute gebucht. Doch es ging um die Sache, und der war hier entschieden gedient worden.

Arndt und der Kommissar besprachen sich darauf fast noch eine ganze Stunde lang. Es war dabei auch noch einmal von den Spitzen die Rede, die sich nach Arndts Angaben im Besitz der Seidelmanns befanden.

»Ich werde danach suchen lassen«, erklärte der Beamte.

Arndt aber widersprach.

»Dazu würde ich vorläufig nicht raten. Die Seidelmanns würden dann sogleich wissen, daß man hinter ihre Machenschaften gekommen ist, würden ihren Helfer Michalowski benachrichtigen und uns die weiteren Nachforschungen in jeder Weise erschweren.«

Das leuchtete dem Kommissar ein. Er versprach, diese Sache vorerst noch ein paar Tage ruhen zu lassen. Im übrigen sicherte er Arndt zu, er würde dem jungen Hauser und auch Angelika Hofmann ihre Lage soviel wie irgend möglich erleichtern. Es sei ja nur noch eine Frage kurzer Zeit, wann man zunächst einmal Eduard Hauser, später aber gewiß auch das Mädchen aus der Untersuchungshaft entlassen könne.

Nun erst waren die Geschäfte des Detektivs in der Stadt einstweilen beendet. Im Hof des ›Goldenen Ochsen‹ bestieg man wieder den Schlitten zur frohen Rückfahrt nach dem Forsthaus im Hohenthaler Wald.

Unterwegs hatte Wunderlich trotz seiner ausgezeichneten Laune doch wieder etwas zu knurren und zu brummen.

»Sie haben mir da mit Ihren Heimlichkeiten eine nette Suppe eingebrockt, Herr Vetter«, meinte er scheinbar arg verdrießlich, in Wahrheit aber verstohlen schmunzelnd.

»Das wäre?« forschte Arndt.

»Wir sind doch Vettern vor den Leuten?«

»Na gewiß. Habe ich mich im ›Goldenen Ochsen‹ etwa nicht danach betragen?«

»Das schon, aber Sie haben mich nur ganz flüchtig in Ihre Absichten und in Ihre Verhältnisse eingeweiht. Nun fragt mich der Schenkwirt, der verwünschte Giftmischer, nach dem Beruf meines Vetters aus. Dabei weiß der Kerl längst mehr über diese Dinge als ich, und so werde ich in die Enge getrieben. Nein, lachen Sie nicht mein Lieber! Das war nicht nett von Ihnen.«

»Was heißt: nicht nett?« beruhigte Arndt den Alten. »Ich konnte doch nicht vorzeitig meine sämtlichen Karten aufdecken.«

Mehr sagte er nicht, sondern deutete mit einem bezeichnenden Kopfnicken auf Christian, den Knecht, der wieder nicht hören durfte, daß Arndt Detektiv war und daß es hier um die Jagd auf das Buschgespenst ging.

Dem trug der Förster denn auch Rechnung. Er machte nur eine kurze Handbewegung, dann aber beugte er sich seitlich zu Arndt hinüber und flüsterte ihm ins Ohr:

»Und was wird nun aus dem wirklichen Buschgespenst?«

Die Antwort kam ebenso leise und verstohlen.

»Das fangen wir in den nächsten Tagen, vielleicht schon heut oder morgen.«

»Heißa! Dabei will ich mittun!«

»Ist bereits ausgemachte Sache. Sie kommen mit. Haben Sie heut abend Zeit?«

»Zu solchem Zweck immer.«

»Dann sollen Sie heute noch etwas erleben. Ich habe nämlich ein Stelldichein mit dem Buschgespenst. Dabei werden Sie mich begleiten.«


 << zurück weiter >>