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10. Eine Falle wird aufgestellt

Der nächste Tag war ein echter Aschermittwoch. Die Welt hatte an diesem Februarmorgen ein graues Gesicht. Fröstelnd trottete Fritz Seidelmann schon frühzeitig durch die Straßen und Gassen der Nachbarstadt. Es war ihm nichts daran gelegen, von einem, der ihn kannte, bemerkt zu werden. So kam er schließlich an die kleine Drogerie ›Zum Blauen Stern‹, huschte durch einen weiten Torbogen in den Hof, den er eilig überquerte, und verschwand im Hinterhaus, wo er im ersten Stock an eine Tür klopfte.

Eine alte Frau öffnete ihm und führte ihn auf seine Frage nach dem Kaufmann Michalowski in eine Art Fremdenzimmer, wo ein beweglicher, untersetzter Mann in mittleren Jahren soeben damit beschäftigt war, zwischen Zähnebürsten und Scheitelfrisieren seinen Morgenkaffee zu schlürfen. Der Mann mit der Zahnbürste in der Linken sah unwillig auf. Aber sein Blick erhellte sich sogleich, als er Fritz Seidelmann gewahrte.

»Ah, Sie sind es! Schön willkommen! Einen Augenblick! Stehe sofort zu Ihren Diensten. Bitte, nehmen Sie Platz!«

Damit nötigte er den Besucher auf ein altmodisches, wurmstichiges Sofa.

»Nun, mein lieber Freund, was bringen Sie? Hat Ihnen der Vater schon von unserm neuesten Geschäft erzählt? Wir beabsichtigen ...«

Fritz unterbrach ihn.

»Nein, Herr Spengler, ich weiß noch nichts von dem Geschäft, und ich komme in einer ganz andern Angelegenheit.«

»So, so!« Spengler legte die Zahnbürste endgültig beiseite und kam an den Tisch, um den Rest seines Kaffees zu trinken. »Dann erzählen Sie mal! Was gibt es denn?«

Und Fritz Seidelmann erzählte, erzählte alles, was er über das Maskenfest, Eduard Hauser, Angelika Hofmann, den rätselhaften Fremden und seine damit zusammenhängenden Erlebnisse und Pläne vorzubringen hatte.

Spenglers Gesicht wurde ernst. Bei oberflächlicher Betrachtung machte er den Eindruck eines gutmütigen Lebemanns; seine immer lächelnden Züge gaben ihm fast etwas Freundliches. Jetzt aber hatten sich seine Brauen zusammengezogen, und sein Blick war finster und drohend.

Sobald Fritz Seidelmann mit seinem Bericht zu Ende war, sprang er erregt vom Stuhl auf.

»Spitzen im Rock? Ohne es zu wissen? Das ist ein guter Einfall von Ihnen! Nun muß man ihn noch dazu bringen, in diesem Rock über die Grenze zu gehn.«

»Das eben ist unser Plan. Es fehlt uns nur ein verschwiegner Mann, der den Burschen unter einem geeigneten Vorwand zu diesem Gang veranlaßt.«

»Hm«, machte Spengler, »das wollte ich schon bewerkstelligen. Aber ich muß sagen, die Sache scheint mir so, wie sie geplant ist, noch nicht richtig reif. Passen Sie mal auf! Was kann diesem Hauser schon weiter geschehn, wenn man einige Spitzen bei ihm findet? Sie werden ihm allenfalls weggenommen, und er macht sich lediglich verdächtig. Wegen des Briefs an Strauch wird er sich herausbeißen. Das alles bricht ihm den Hals noch lange nicht. Ja, man kann solche Ereignisse überhaupt nicht genau berechnen. Es können sogar Umstände eintreten, die seine Unschuld wahrscheinlich machen oder womöglich beweisen. Was dann? In diesem Fall könnte sich die Waffe, die wir führen, sogar gegen uns kehren.«

»Oh, ich bin sehr vorsichtig gewesen!« meinte Fritz. »Kein Mensch dürfte sagen, daß man ihm die Spitzen heimlich eingenäht hat, oder gar, daß ich der Täter bin.«

»Trau, schau, wem!« brummte Spengler. »Der Teufel hat oft gerade da sein Spiel, wo man am allerwenigsten an ihn denkt. Allzu große Zuversicht hat schon manchen gescheiten Kerl ins Verderben gebracht.«

Fritz Seidelmann stand enttäuscht.

»So wollen Sie uns in dieser Sache nicht helfen?« fragte er verzagt.

Da aber wehrte Spengler eifrig ab.

»Wer sagt denn das? Der Bursche muß gehörig in die Patsche gebracht werden. Das steht fest. Ich will nur sicher gehn und bedenke darum alle Möglichkeiten. Wie nun, wenn man hinterher zufällig solche Spitzen bei Ihnen sieht oder findet?«

»Wer sollte sie bei uns suchen? Überdies haben wir sie so gut versteckt, daß kein Mensch sie zu entdecken vermag, und zur größern Sicherheit werde ich sogar den Zwirn, womit ich Hausers Rock wieder zugenäht habe, an dem gleichen Ort verstecken.«

»Das kann ich nur loben; die Hauptsache aber wäre, daß Hauser sich nicht gutwillig untersuchen ließe, sondern sich widersetzte oder einen Fluchtversuch machte.«

»Daran haben wir auch schon gedacht. Aber das wird nicht zu machen sein.«

»In der Welt ist alles zu machen«, versicherte Spengler. »Man darf nur kein Dummkopf sein. Lassen Sie mich nachdenken!«

Er schritt einigemal im Zimmer auf und ab. Dann blieb er plötzlich vor Fritz stehn.

»Könnte man diesen Hauser nicht wie zufällig irgendwo treffen? Aber es müßte bald sein. Vielleicht heute noch.«

»Das ist einzurichten. Sie müßten mich zu diesem Zweck nach Hohenthal begleiten, natürlich ein wenig unkenntlich im Äußern. Sie wissen schon. Falls Sie dem Hauser etwas vormachen, um ihn auf den Leim zu führen, darf er hinterher nicht sagen können: ›Der Mann, der mit mir gesprochen hat, sah so und so aus.‹ Wenn dann die Beschreibung auf einen gewissen Spengler alias Kaufmann Michalowski paßt, wäre womöglich alles verraten.«

»Ganz recht«, nickte Spengler. »Wird besorgt. Und nun beschreiben Sie mir diesen Hauser einmal für alle Fälle möglichst genau!«

Fritz Seidelmann kam diesem Wunsch nach, und Spengler hörte aufmerksam zu.

»Das genügt, ihn sofort zu erkennen«, sagte er zum Schluß. »Ich werde diesen Hauser auf mich nehmen. Er soll an mich denken! Ich werde ihn so einwickeln, daß ihm die Augen übergehn. Wissen Sie denn wirklich genau, daß er im Sold jenes Fremden steht?«

»Er sagte es selber. Und ich wüßte nicht, von wem er plötzlich Geld haben sollte, wenn nicht von diesem geheimnisvollen Schurken. Denn er ist sonst ein armer Teufel.«

»Schön!« erklärte Spengler mit verblüffender Sicherheit. »So wird er mir sagen, wer dieser Fremde ist.«

»Was?« rief Seidelmann. »Er selber soll es Ihnen sagen? Womöglich freiwillig? Wie wollen Sie das anfangen?«

»Sehr einfach. Ich gebe mich für einen Vertrauten des Fremden aus. Das führt am schnellsten und sichersten zum Ziel.«

»Wenn Hauser glaubt, was Sie sagen!«

»Dafür werde ich schon sorgen.«

»Und wie wollen Sie ihn dazu bringen, über die Grenze zu gehn und sich im gegebnen Augenblick den Beamten zu widersetzen?«

»Ich vertraue ihm ein Paket an, das niemand sehn darf, auch die Grenzer nicht.«

»Ein Päckchen mit Paschergut? Damit verraten Sie sich doch! Der Fremde verleitet ihn bestimmt nicht zum Paschen.«

»Wer redet denn von Paschergut?« fragte Spengler im Ton der Überlegenheit. »Das Päckchen wird wichtige Urkunden enthalten, deren Inhalt aus amtlichen Gründen geheim bleiben muß. Hauser hat die Papiere deshalb auch vor den Grenzern zu verbergen.«

»Das ist, genau besehn, ein fauler Zauber. Verzeihn Sie das harte Wort, Herr Spengler! Doch es mag in diesem Fall hingehn. Der unerfahrene Bursche wird es glauben. Nun aber kommt eine andre Frage: Besitzen Sie denn solche Schriftstücke?«

Spengler lachte breit.

»Aber mein Bester! Wie können Sie so etwas fragen! Dazu braucht man doch nichts als etwas Papier, Tinte und Feder! Ich werde nachher anfertigen, was ich brauche. Der Wortlaut der Blätter, die ich vor Hauser sehn lasse, um seine Bedenken zu zerstreuen, wird so sein, daß er sogar gern auf den Leim geht. Er wird stolz darauf sein, daß ihm diese Schriftstücke anvertraut werden. Das ist abgemacht. – Nun zu etwas anderm: Wie soll es denn herauskommen, daß Strauch den Brief erhalten hat? Wie ich ihn kenne, wird er die Sache verschweigen.«

»Gewiß. Aber ich will ihn jetzt eben aufsuchen, um ihn zur Anzeige zu bewegen.«

»Das ist der richtige Weg«, nickte Spengler bedächtig. »Im schlimmsten Fall erstatten Sie für Strauch die Anzeige. Aber reden Sie erst mit ihm! Ich fertige mir inzwischen die Schriftstücke an, die ich brauche, und mache mich ein wenig unkenntlich. Was ich dazu brauche, ist sofort beschafft.«

»Ja, ja«, sagte Fritz Seidelmann voll Bewunderung. »Sie sind ein Mann, der nicht in Verlegenheit zu bringen ist.«

Spengler lachte.

»Bin ich. Stimmt. Doch hören Sie weiter! Wir treffen uns nachher, um gemeinsam nach Hohenthal zu wandern. Bis kurz vor den Ort können wir getrost beisammen bleiben.«

»Und unser Treffpunkt hier in der Stadt?«

»Ich schlage die Straßenkreuzung unweit vom ›Goldenen Ochsen‹ vor. In einer guten Stunde erwarte ich Sie dort. Ist es Ihnen recht so?«

»Abgemacht!«

Die beiden schieden mit einem kurzen, herzhaften Händedruck.

*

Wenige Minuten später erschien Fritz Seidelmann in der Wohnung seines Freundes Strauch, der den Besucher nicht gerade mit Begeisterung empfing.

»Na, alter Junge, was machst denn du für ein Gesicht?« fragte Seidelmann. »Du hast wohl schon gehört, was gestern geschehn ist?«

Strauch war sichtlich verlegen.

»Ja«, meinte er. »Eine tolle Geschichte!«

»An der nur du schuld bist!«

»Ich?« versuchte der Verstimmte aufzubegehren.

Und Fritz Seidelmann nickte unbeirrt.

»Wer denn sonst? Es hat da gestern abend einen Skandal gegeben, der allein auf deine Rechnung kommt. Versuche nicht, dich weiß zu waschen! Ich weiß alles. Sag mir lieber, weshalb du nicht zum Kasinoball warst!«

Strauch tat einen tiefen Seufzer und zog die Augenbrauen hoch.

»Tja, mein Lieber, das war nun freilich so eine Geschichte. Ich war krank, wahrhaftig ernstlich krank. Was glaubst du? Mein Herz, ach, mein Herz ...«

Da lachte Fritz Seidelmann grob.

»Ja, ja, dein Herz! Das brachte den Mut nicht auf, dem Buschgespenst zu widersprechen.«

Entgeistert starrte ihn der andre an.

»Was sagst du? Dem Buschgespenst?«

»Gewiß. Oder willst du es leugnen, einen Brief von dem geheimnisvollen Oberhaupt der Pascher erhalten zu haben?«

Strauch war starr. Das dunkle Geheimnis, sein Geheimnis, das ihm seit nunmehr zwei Tagen das Leben verbitterte, war also schon in den Händen eines andern! Was konnte daraus noch werden? Ein Frösteln lief ihm über den Rücken, wenn er an die Drohung des Buschgespenstes dachte. Und so sah er denn mit einem hilflos flehenden Bück zu Fritz Seidelmann auf, der spöttisch lächelnd vor ihm stand.

»Ich kann ja gar nicht leugnen«, sagte er und senkte das Haupt. »Der Brief ist in meinen Händen ...«

Sofort griff Seidelmann zu.

»Wirklich noch in deinen Händen? Das ist gut. Zeig mir das Schreiben!«

Strauch kramte den verhängnisvollen Brief umständlich aus seinem Schreibtisch hervor.

»Da!« sagte er schließlich. Und Fritz Seidelmann sah sein Spiel gewonnen.

»Mit diesem Schreiben«, erklärte er und klopfte auf das Papier, daß es knisterte, »mit diesem Schreiben gehst du zur Kriminalpolizei und erstattest Anzeige!«

Da aber fuhr der gute Strauch in die Höhe, als hätte ihn eine Natter gebissen.

»Was? Anzeige erstatten? Bist du verrückt?«

»Erlaube mal!«

»Nun ja. Soll ich mir den Tod an den Hals holen? Das kannst du nicht von mir verlangen. Der Mann, der mit dem Buschgespenst anbindet, muß erst noch geboren werden. Bitte, hättest du vielleicht den Mut dazu?«

»Ich?« fragte Seidelmann. »Mit Freuden werde ich dem Schurken das Handwerk legen. Das will ich dir beweisen.«

»So? Dann beweise es! Ich für mein Teil ...«

»Du für dein Teil sollst ja auch weiter nichts tun, als mir den Brief überlassen. Ich werde damit zur Kriminalpolizei gehn und die Anzeige ...«

»Fritz, mach mich nicht unglücklich! Ich flehe dich an!«

»Ach was! Unsinn! Du bist ein Hasenfuß!«

»Und du weißt nicht, was du ...«

»Ich weiß es sehr wohl. Laß mich handeln! Das Ganze ist ja eine Lächerlichkeit. Ich habe dir bereits gesagt, daß ich den Mut aufbringe, mit dem Buschgespenst anzubinden, und ich habe auch schon herausgebracht, wer der Briefschreiber ist.«

»Wer der ...« stotterte Strauch, »... wer das Buschgespenst ist?«

»Gewiß. Der junge Hauser aus Hohenthal ist es.«

»Hauser? Der Webersohn?«

»Kein andrer! Es geht ihm jetzt an den Kragen. In den nächsten Tagen wird man ihn an der Grenze beim Paschen ertappen. Dafür ist gesorgt.«

Da hob ein tiefer Seufzer die Brust des überängstlichen Herrn Strauch.

»Gott sei Dank!« stammelte er. »Nun fällt mir eine Zentnerlast von der Seele. Wenn es so ist, überlasse ich dir gern alles Weitere.«

»Und den Brief zur Anzeige?«

»Natürlich auch den Brief. Mach damit, was du willst! Nur bereite mir keine allzu großen Unannehmlichkeiten! Du weißt, man hat hier in der Stadt seinen Ruf zu vertreten. Und vor allem erzähle mir weiter! Also der Hauser ist es ...?«

Damit war ein neuer Abschnitt der Unterhaltung eingeleitet. Fritz Seidelmann mußte erzählen, und er tat es eifrig, wenn auch sehr vorsichtig; denn er hütete sich, Strauch irgend etwas wissen zu lassen, was den Freund seiner Meinung nach nichts anging. Und der Schluß war, daß die beiden in Frieden und Freundschaft voneinander schieden, Seidelmann mit dem Brief in der Tasche, den er zur Kriminalpolizei tragen wollte.

Vorher jedoch begab er sich zunächst nach der Straßenkreuzung unweit vom ›Goldenen Ochsen‹, um seinem Vertrauten Spengler, der dort vielleicht schon auf ihn wartete, das Ergebnis der Unterredung mit Strauch mitzuteilen.

Als er um die Ecke bog, stand da schon ein gutgekleideter, behäbiger Mann, in dem Seidelmann trotz des künstlichen Bartes, der Perücke und einer großen, entstellenden Brille sogleich seinen Verbündeten erkannte oder eigentlich mehr witterte. Es war in der Tat Spengler, der scheinbar gelangweilt die Straße hinabblickte, beim Erscheinen des jungen Seidelmann aber wie überrascht aufschaute.

»Was sehe ich? Fritz Seidelmann aus Hohenthal, der Sohn meines Geschäftsfreundes? Ist es möglich? Wo kommen Sie denn schon her zu dieser frühen Stunde?«

Seidelmann stellte sich gleichfalls überrascht, weil man nicht wissen konnte, ob man irgendwoher zufällig beobachtet wurde. Dann aber kamen die beiden auf den eigentlichen Grund ihres Zusammentreffen zurück.

»Wie war es bei Strauch?« lautete Spenglers erste Erkundigung gedämpft.

»Strauch weigert sich, Anzeige zu erstatten«, berichtete der andre. »Es ist mir aber gelungen, ihm den Brief abzulisten. Ich werde an seiner Stelle zur Kriminalpolizei gehn. Hier ist das Schreiben!«

Spengler überflog den Brief und nickte befriedigt vor sich hin.

»Es enthält ohne allen Zweifel eine Bedrohung, und so scheint es mir unmöglich, daß Hauser straflos davonkommt. Wann werden Sie den entscheidenden Gang tun?«

»Gleich. Oder sind Sie andrer Ansicht?«

»Allerdings, denn in diesem Fall müßte ich hier wohl noch eine Stunde auf Sie warten. Wir wollen doch gemeinsam nach Hohenthal aufbrechen. Außerdem ist es vielleicht besser, Sie warten erst ab, welches Ergebnis ich erziele. Man könnte dann, je nachdem meine Rücksprache mit dem Burschen verläuft, der Kriminalpolizei gleich einen genauen Wink geben über Ort und Stunde, wo und wann sie das Buschgespenst auf frischer Tat zu ertappen vermag.«

Diese Gründe mußte Seidelmann gelten lassen, obwohl ihm der Gedanke nicht gefiel, erst noch einmal nach Haus zurückkehren zu sollen, ohne die hochwichtige Anzeige erstattet zu haben.

»Sie haben recht«, nickte er. »Nur halte ich es für nötig, Strauch von diesem Aufschub kurz zu verständigen. Er könnte sonst gar irgendeine Dummheit machen, die uns alles verdirbt und ... doch halt!« unterbrach er sich. »Da sehe ich, daß das Schicksal eingreift und unsrer Sache die entscheidende Wendung geben will.«.

Er deutete nach rechts die Straße hinab.

»Bemerken Sie dort den jungen Mann mit dem Paket? Es ist Hauser!«

»Unser Buschgespenst?« rief Spengler freudig erstaunt. »Das trifft sich ja großartig? Wollen uns ein wenig in den Hauseingang hier zurückziehn, damit er uns nicht sieht!«

»Recht so! Und nun – ah, sehn Sie, er geht in das Haus da drüben. Ahnen Sie, was er da zu schaffen hat? Er will seinen Maskenanzug abliefern.«

»Wenn er wieder herauskommt, werde ich ihm folgen. Ich muß auf alle Fälle mit ihm sprechen«, erklärte Spengler in seiner kurzen, bestimmten Art. »Ihnen, mein lieber Seidelmann, rate ich, inzwischen schleunigst zu verschwinden. Es wäre verfehlt, wenn Sie der junge Mensch, an den ich mich heranpirschen will, in meiner Gesellschaft erblickte. Er hätte dann wohl von vornherein kein Vertrauen zu mir.«

Seidelmann war schon sprungbereit.

»Ja, ja, ich mache mich unsichtbar«, versicherte er eifrig. »Fragt sich nur, wann und wo wir uns wieder treffen.«

»Das muß sich finden. Sie können ja vorsichtig beobachten, wohin sich Hauser wendet, sobald er drüben beim Maskenverleiher fertig ist. Für alle Fälle können wir vereinbaren, daß wir, in – na, sagen wir in zwei Stunden – wieder hier am ›Goldenen Ochsen‹ sind.«

»Abgemacht. Auf Wiedersehn!«

Damit eilte Fritz Seidelmann fort. Spengler aber wartete, bis der junge Hauser wieder auf der Straße erschien und überraschenderweise im ›Goldenen Ochsen‹ verschwand. Dann schritt auch er bedächtig nach dem Wirtshaus hinüber, trat da ins Gastzimmer, setzte sich an einen Fensterplatz und ließ sich ein Bier geben.

Er sah, daß Eduard Hauser einen Kaffee bekam. Der junge Mensch war durchfroren von dem langen Marsch zur Stadt und genoß mit Behagen das warme Getränk. Bohnenkaffee war ja überhaupt im Leben des armen Burschen bisher ein fast unbekannter Genuß gewesen, ein Genuß, den man sich erst neuerdings leisten konnte, seit man im Sold des Fremden stand.

Ach, des Fremden! Eduard Hauser durfte gar nicht daran denken, wie sehr er seinen Gönner enttäuscht und verstimmt hatte. Dieses Unglück verwirrte ihn so sehr, daß er nicht einmal die rechte Freude über den glücklichen Verlauf seiner Herzensangelegenheit mit dem Engelchen zu empfinden vermochte. Der junge Mensch sann immer wieder darüber nach, wie er wohl das Verfehlte gutmachen und es womöglich durch einen großen Dienst, den er Arndt leistete, ausgleichen könne.

Er ahnte in diesem Augenblick noch nicht, daß keine drei Schritte von ihm entfernt einer mit ihm im gleichen Zimmer saß, der ihm zu einem solchen Dienst verhelfen wollte, zu einer angeblich großen Gefälligkeit für den Fremden, und noch weniger ahnte Hauser, daß das alles nur eine Vorspiegelung, eine tückische Falle sein würde, die listige Feindschaft ihm stellte.

Und so wurde ihm denn seine Arglosigkeit zum Verhängnis.

Spengler tat zunächst so, als schenke er dem andern keinerlei Beachtung. Nach einer Weile aber wandte er sich halb herum und begann ein Gespräch mit dem Wirt. Er zog scheinbar Erkundigungen verschiedner Art ein und ließ dabei durchblicken, daß er ortsfremd sei.

»Der Herr ist wohl nicht aus dieser Gegend?« forschte der Wirt nach einigen Fragen Spenglers.

»Nein. Ich bin von auswärts. Ich kam mit der Bahn und will nach Hohenthal. Wie weit ist es bis dorthin?«

Der Wirt, der vorher müßig am Fenster gestanden und beobachtet hatte, wie der Fremde mit Fritz Seidelmann sprach, wollte bereits den Mund auftun und sagen, der Herr habe ja soeben mit einem Bewohner von Hohenthal gesprochen; und das wäre dem braven Spengler nicht gerade angenehm gewesen. Da mischte sich Eduard Hauser ein.

»Sie werden es in anderthalb Stunden schaffen«, meinte er zuvorkommend. »Ich bin von dort. Wenn Sie Wert darauf legen, könnte ich Ihnen sogar den Weg zeigen.«

Spengler, der den Eindruck eines anständigen und wohlhabenden Mannes machte, warf einen freundlich forschenden Blick auf Hauser und nickte ihm dann dankbar zu.

»Das ist mir lieb, mein junger Freund. Eigentlich wollte ich mir einen Schlitten mieten; aber ich komme gradwegs aus Dresden, und wenn man so lange Zeit in der Bahn gesessen hat, ist einem eine Fußwanderung willkommen. Wollen Sie sich, bis wir aufbrechen, nicht zu mir setzen?«

Eduard nahm seinen Kaffee und leistete der Aufforderung Folge, während sich der Wirt zurückzog und seine beiden Gäste sich selbst überließ.

»Sind Sie in Hohenthal gut bekannt?« forschte Spengler.

»Ja. Ich bin dort geboren.«

»Ah, da kann ich Sie ja gleich um eine Auskunft bitten. Kennen Sie dort vielleicht eine Familie Hauser? Es sollen überaus brave, wenn auch arme Leute sein.«

Eduard errötete.

»Dieses Wort ehrt mich, mein Herr. Ich bin ein Hauser.«

Spengler streckte ihm in gut gespielter Überraschung die Hand entgegen.

»Sollte man ein solches Zusammentreffen für möglich halten! Ein Hauser? Das freut mich? Darf ich nach Ihrem Vornamen fragen?«

»Ich heiße Eduard und bin der älteste Sohn ...«

»... des Webers Hauser? Ich weiß Bescheid und muß in unsrer Begegnung nun erst recht die wunderbare Fügung bestaunen. Denken Sie an, gerade Ihretwegen bin ich hier! Ausgerechnet Sie wollte ich in Hohenthal aufsuchen.«

»Mich?« wunderte sich Eduard.

»Ja, Sie! Man hat mir einen sehr günstigen Bericht über Sie geliefert. Das veranlaßt mich, Ihnen mein Vertrauen zu schenken.«

Die Augen des Burschen wurden immer größer.

»Herr«, sagte er, »wer sind Sie? Ich ...«

»Schon gut! Davon später!« wurde lächelnd abgewehrt. »Sie werden sogleich merken, wie gut ich um Sie und Ihre Angelegenheiten Bescheid weiß. Sie verkehren heimlich mit einem, der sich ein großes Ziel gesteckt hat?«

Eduard fuhr zurück. Er betrachtete den andern, als sähe er ihn jetzt erst; er blickte in ein lächelndes, wohlwollendes Gesicht, und das beruhigte ihn.

»Mein Herr, ich weiß in der Tat nicht ...«

»Dieser jemand hat Ihnen eine Summe ausgezahlt«, fuhr Spengler schnell fort.

»Ich verstehe Sie nicht. Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen.«

Der andre nickte befriedigt vor sich hin.

»So ist es recht! Ich sehe, daß Sie verschwiegen sind, daß man sich auf Sie verlassen kann. Es ist mir sehr lieb, daß ich grad Sie hier treffe. Dadurch wird mir ein Weg erspart, und ich kann gleich hier mit Ihnen sprechen. Sie müssen freilich Vertrauen zu mir fassen. Deshalb lesen Sie zunächst einmal dieses hier!«

Er brachte ein Päckchen zum Vorschein, das eine Anzahl sorgfältig zusammengefalteter Schriftstücke enthielt. Spengler öffnete das Päckchen, schlug eines der Papiere auseinander und schob es Eduard über den Tisch.

Der junge Hauser las es. Seine Verwunderung stieg dabei mit jeder Zeile. Als er mit dem Brief fertig war, fragte ihn Spengler im Ton eines Mannes, der seiner Sache vollständig gewiß ist:

»Nun, was halten Sie davon?«

Eduard blickte ihn mit dem Ausdruck größter Hochachtung an.

»Herr, Sie sind ein hoher Polizeibeamter!« sagte er voll Ehrfurcht.

»Das war nicht schwer zu erraten. Ich will etwas andres wissen. Können Sie sich nun denken, worum es sich zwischen uns handelt?«

»Diese Schriftstücke enthalten vertrauliche Mitteilungen für die jenseitige Grenzbehörde«, erklärte der junge Mensch. »Soviel verstehe ich. Was aber ich mit dieser Angelegenheit zu schaffen habe ...«

Hier brach er ab und sah Spengler fragend an. Der erwiderte den offnen Blick mit einem unergründlichen Lächeln, das wohl eine Aufmunterung enthalten sollte.

»Nun? Weiter!« drängte er. »Ist es denn gar so schwer?«

»Ich finde keine Beziehung zwischen diesen Papieren und mir.«

»Auch dann nicht, wenn Sie bedenken, daß Sie im Dienst eines Mannes stehn, über dessen geheime Absichten wir beide genau unterrichtet sind?«

Im Kopf des jungen Häuser verwirrten sich die Gedanken. Sein Gönner hatte also mit dieser Sache zu tun. Aha, schoß es ihm durch den Sinn, das ist die Angelegenheit, über die er gestern abend eigentlich mit mir reden wollte, die er aber nur kurz erwähnte und dann doch verschwieg, weil ich ... weil ich mich als unzuverlässig erwiesen hatte!

Eduard tat wieder einmal einen tiefen Seufzer, einen der vielen Seufzer der Reue, die ihm seit der letzten Mitternacht schon entschlüpft waren. Und abermals festigte sich in ihm der Entschluß, nun aber seinen Mann zu stehn und zu zeigen, daß er auch schweigend und besonnen handeln konnte.

»Ich begreife«, sagte er endlich. »Sie stehn in laufender Verbindung mit meinem Gönner. Er hat Sie auf mich aufmerksam gemacht ...«

»Sehr recht, sehr recht«, nickte Spengler.

»... und nun haben Sie für mich einen Auftrag, der sich auf diese Papiere bezieht. Sie können Vertrauen zu mir haben. Sie können mir jede Weisung geben. Ich werde nicht versagen.«

Darauf wieder das unergründliche Lächeln in Spenglers Gesicht. Wäre Eduard Hauser nur einigermaßen Menschenkenner gewesen, so hätte er gefühlt, daß da vor ihm gleichsam eine häßliche Spinne saß, die ihr tückisches Netz um ihn wob. Aber er war ein unerfahrener Bursche, und so wurde er das Opfer dieser Spinne.

Spengler deckte jetzt scheinbar seine Karten auf.

»Diese Papiere sind, wie Sie richtig bemerkt haben, geheimer Art und von höchster Wichtigkeit; sie müssen über die Grenze gebracht werden, ohne daß jemand davon erfährt, ohne daß jemand ihren Inhalt kennenlernt. Wollen Sie das übernehmen?«

»Ich?«

»Ja, gewiß, Sie!« Spenglers Blick wurde zürnend. »Fürchten Sie sich? Wollen Sie das große Vertrauen, das man höheren Orts in Sie setzt, enttäuschen?«

»Nein, nein!«

»Nun, so hören Sie mich an und lassen Sie Ihren Worten vom guten Willen die Tat folgen! Ein sicherer und verschwiegener Mann, der zudem ein Kenner der Grenze ist, soll die Papiere unbemerkt hinüberschaffen. Das werden Sie besorgen, und zwar in der kommenden Nacht. Sind Sie bereit dazu?«

Eduard nickte nur. Er war ganz klein geworden vor der Überlegenheit des andern, und doch schwellte ein wunderbarer Stolz seine Brust.

»Das freut mich. Die Belohnung wird nicht ausbleiben«, fuhr Spengler fort. »Man wird Sie im Auge behalten. Nachher gebe ich Ihnen Aufschluß über die Person, der Sie die Schriftstücke überbringen sollen. Vorher aber sagen Sie mir erst, wie oft Sie mit – mit Ihrem Gönner zusammenkommen?«

»Sooft er es für nötig hält.«

»Wo wohnt er?«

»Herr«, wich Eduard aus, »Sie kennen seinen Wohnort doch ebenso genau wie ich.«

Spengler zwang sich zu einem Schmunzeln über die angeblich lobenswerte Verschwiegenheit des jungen Mannes.

»Natürlich kenne ich ihn«, lenkte er scheinbar ein, tastete aber sogleich wieder in andrer Richtung vor. »Wie weit sind eigentlich die Unternehmungen gegen das Buschgespenst vorgeschritten?«

»Das dürfte alles in dem Dienstbericht stehn, den Sie doch bestimmt zu lesen bekommen.«

»Zum Teufel, junger Mann, weichen Sie mir nicht so aus! Selbstverständlich habe ich das alles gelesen. Aber ich muß Sie doch schließlich auch was fragen dürfen, und Sie müssen antworten.«

»Ich darf nichts antworten, was gegen die Weisungen verstößt, die man mir gegeben hat«, beharrte Eduard Hauser.

»Die Gewissenhaftigkeit selbst! Großartig!« spottete Spengler, fuhr jedoch sogleich in einem andern Ton fort: »Aber Scherz beiseite! Ich wollte Ihnen nur ein wenig auf den Zahn fühlen, und Sie haben die Probe glänzend bestanden. Meine Anerkennung!« Spengler streckte dem errötenden Burschen die Hand entgegen und drückte ihm herzhaft die Rechte. »Sie sind wirklich ein sehr verschwiegener junger Mann. Und nun wieder zur Sache! Sie tragen also die geheimen Papiere noch in dieser Nacht über die Grenze. Den Ort Breitenau kennen Sie natürlich. Am Eingang dieses Dorfes, dort, wo der Wald aufhört, wird rechter Hand im Gebüsch zwischen 9 und 10 Uhr ein Mann auf Sie warten. Er wird Sie ansprechen und um den Weg nach Hohenthal fragen. Das ist das Erkennungszeichen. Diesem Mann händigen Sie die Schriftstücke aus! Nun aber kommt die Hauptsache für Sie. Sie müssen Ihren Gang über die Grenze so einrichten, daß niemand Sie bemerkt. Ist Ihnen ein Weg bekannt, wo Sie unauffällig durchzukommen glauben?«

»Der Föhrensteig«, ging Eduard Hauser ins Garn. »Ich denke, dort kann man es wagen.«

»Und wenn Sie doch auf einen Grenzbeamten stoßen?«

»Dann hat die Sache wohl keine Schwierigkeiten. Ich habe ja nichts Verzollbares bei mir.«

Spengler lächelte wieder einmal spöttisch und überlegen.

»O Sie harmlose Seele! Gewiß haben Sie nichts Verzollbares bei sich, wohl aber etwas, das nicht für die Augen Unberufener bestimmt ist; und dazu gehören in unserm Fall auch die Grenzbeamten.«

»Sie dürfen wirklich die Papiere nicht sehn?«

»Wo denken Sie hin?« fuhr Spengler auf. Dann runzelte er finster die Stirn. »Hören Sie, junger Mann, mir kommen Bedenken. Sie nehmen die Sache zu leicht. Sie sind für uns vielleicht doch nicht der Richtige. Ich werde es mir noch überlegen.«

Da aber unterbrach ihn Hauser hastig.

»Nein, nein! Versuchen Sie es mit mir!« bat er. Ihn quälte eine jähe Angst, er könne auch hier wieder versagen und sich die Gunst seines Gönners nun endgültig verscherzen. »Erklären Sie mir, was ich tun soll, und ich werde es ausführen! Ich werde auch einen Grenzbeamten um keinen Preis Einblick in die Schriftstücke gewinnen lassen.«

Spengler zeigte sich wieder versöhnt und nickte.

»Gut. Ich freue mich, daß Sie im letzten Augenblick zur Einsicht kommen. Sonst hätte ich wirklich geglaubt, man wäre von Ihren Fähigkeiten allzu überzeugt gewesen. Sie dürfen, wenn Sie im Geheimdienst staatlicher Behörden stehn, nicht immer fragen, wieso und warum und ob und ob. Sie müssen Ihre Weisungen in Empfang nehmen und schweigend danach handeln. Solche Männer braucht der Staat. Sie verstehn mich nun?«

»Vollständig.«

»Recht so! Und nun endlich zum Schluß! Ich werde die Schriftstücke einsiegeln. Alles, was dazu nötig ist, habe ich bei mir. Sie tragen die kostbaren Dinge über die Grenze und haften dafür, daß niemand, einfach niemand Einblick in die Papiere gewinnt. Was Sie tun, wenn Ihnen ein Grenzbeamter in die Quere kommt und sich allzu neugierig zeigt, ist dann Ihre Sache.«

»Ist meine Sache«, nickte Hauser.

»Das heißt?« fragte Spengler lauernd, weil er sein Opfer ganz sicher haben wollte.

»Das heißt, daß ich dann dem Beamten, der in diesem Fall ja im Unrecht ist, einfach entwischen würde.«

»Hm! Wird Ihnen das auch gelingen?«

»Oh«, strahlte Eduard Hauser, »was denken Sie! Ich bin flink. Ein Sprung ins Gebüsch, wo ich Weg und Steg, jeden Stein, jeden Baum besser kenne als auch der tüchtigste Grenzbeamte, ein rascher Sprung macht mich unsichtbar. Dann soll man nach mir suchen. Ich bringe die Papiere sicher hinüber, ohne daß jemand sie näher ansieht.«

»Schön«, nickte Spengler. »Ich will Ihnen noch sagen, daß Ihr Gönner von allem unterrichtet ist. Sie müssen sich aber, damit niemand Verdacht schöpft, vorerst von ihm fernhalten, dürfen vorher nicht mit ihm sprechen. Hören Sie, nicht mit ihm sprechen! Begegnet er Ihnen zufällig, so winken Sie ab und verschwinden!«

»Ich verstehe.«

»Sie dürfen natürlich erst recht keinem andern Menschen von der Sache erzählen.«

»Wie werde ich!«

Das sagte Eduard Hauser sehr fest und dachte dabei: Aha, er weiß schon, daß ich einmal unzuverlässig gewesen bin! Wunderbar, wie rasch sich diese Männer vom Geheimdienst untereinander verständigen!

»Sie werden die Bezahlung für diesen Sonderdienst von mir erhalten«, fuhr Spengler fort. »Wollen Sie eine Anweisung haben?«

»Nein, nein! Ich bin ja schon bezahlt.«

»Diese Sache ist Sonderleistung. Aber gut, lassen wir die Bezahlung, bis Sie Ihre Pflicht erfüllt haben! Ich weiß Sie dann schon zu finden. Das Geld ist Ihnen sicher. Sie bekommen vierzig Mark, daß Sie es im voraus wissen.«

Schon wieder so viel Geld? Eduard Hauser fand überhaupt keine Worte; er nickte nur. Inzwischen zog Spengler ein Stück Siegellack, einen Kerzenstummel, ein Paar Zündhölzer und ein Petschaft hervor und verschloß den Brief mit den geheimnisvollen Schriftstücken. Dann drückte er Eduard Hauser die Hand.

»Gehn Sie jetzt, und machen Sie Ihre Sache gut! Ihren Kaffee bezahle ich mit. Wann werden Sie aufbrechen?«

»Sobald es finster ist, also in der fünften Stunde.«

»Recht so!«

Damit schob er den jungen Mann zur Tür hinaus.

Hauser hatte kaum die Gaststube verlassen, so bezahlte Spengler und ging gleichfalls. Zwei Straßen weiter stieß er auf Fritz Seidelmann, der gut aufgepaßt hatte.

»Nun? Alles in Ordnung?«

»In bester Ordnung sogar.«

Spengler erstattete genauen Bericht, während sie die Straße entlangschlenderten.

»Kommen Sie nun noch mit nach Hohenthal?« erkundigte sich Fritz Seidelmann.

Darauf lächelte Spengler.

»Vorläufig nicht. Aber wir sehn uns bald wieder. Nach allem andern fragen Sie nur Ihren Vater!«

Er ging. Seidelmann aber machte sich auf den Weg zur Kriminalpolizei. Der Kommissar, an den er verwiesen wurde, kannte ihn dem Namen nach und empfing ihn sehr liebenswürdig und zuvorkommend.

»Ich möchte mir einen Rat und eine Auskunft erbitten«, begann Seidelmann.

Darauf machte der Kommissar eine höflich einladende Handbewegung.

»Bitte, nehmen Sie Platz!«

Seidelmann setzte sich. Dann aber wußte er im Augenblick nicht, wie er beginnen sollte.

»Ist die Sache denn so schwierig? Was betrifft sie?« erkundigte sich der Beamte.

»Das – das Buschgespenst.«

Seidelmann sprach das Wort nur zögernd aus. Kaum aber war es geschehn, so sprang der Kommissar überrascht auf.

»Das Buschgespenst? Alle Wetter! – Bitte, sprechen Sie!«

Nun holte Fritz Seidelmann den Brief an Strauch aus der Tasche und reichte ihn dem Kommissar. Der überflog die wenigen Zeilen. Sein Gesicht nahm den Ausdruck der größten Spannung an. Dann warf er einen ernsten, forschenden Blick auf Fritz.

»Kennen Sie die Wichtigkeit dieser Zeilen, Herr Seidelmann?«

»Ich ahnte sie, und deswegen ging ich zu Ihnen.«

»Sehr gut! Und nun vor allem eine Frage: Wie kommen Sie zu diesem Schreiben?«

»Ich sah es bei meinem Freund, dem Kaufmann Strauch. Er zeigte mir den Brief vorhin. Sogleich riet ich ihm, das Schreiben der Behörde zu übergeben; aber er hegte Bedenken und meinte, es könne ihm an den Kragen gehn, wenn das Buschgespenst erfahre, daß er Anzeige erstattet habe.«

»Hm – ja – immer wieder diese Furcht vor dem rätselhaften Buschgespenst! Das eben ist es, was uns so hindernd in den Weg tritt! Grad diejenigen, die uns vorteilhafte Winke geben könnten, unterlassen es aus Furcht vor der Rache des Verbrechers. Aber bitte, erklären Sie mir diesen Brief! Es ist mir da noch vieles unklar.«

Fritz Seidelmann berichtete, was er für notwendig hielt.

»Kennen Sie die Handschrift?« fragte darauf der Beamte.

»Sie ist verstellt. Aber ich halte sie für die Schrift eines meiner jungen Heimarbeiter.«

»Wie?« fragte der Kommissar sichtlich enttäuscht. »Einer Ihrer Arbeiter sollte das Buschgespenst sein? Ich habe mir das, aufrichtig gestanden, anders gedacht.«

»Oh, der Kerl ist pfiffig genug dazu!«

»Hm, ein einfacher Weber? Ist mir beinahe unwahrscheinlich.«

»Wieso? Der Betreffende heißt Eduard Hauser und ist als Pascher verdächtig, wenn man ihm bisher auch noch nichts beweisen konnte.«

»Und wie steht es mit dem Ruf der Familie? Sind Vater und Mutter ordentlich?«

»Die Leute stellen sich arm, aber das kennt man ja.«

»Haben Sie noch andre Beweise gegen den Mann?«

Darauf gab Seidelmann eine kurze, für seine Zwecke zurechtgestutzte Darstellung der Vorfälle nach dem Maskenball und erklärte, er habe Eduard Hauser, nachdem der Bursche sein Mädchen verlassen, im Gespräch mit einem Pascher belauscht.

»Ich hörte nicht alles, aber doch manches, was da gesprochen wurde.«

»Redeten sie vom Schmuggel?«

»Ja. Der andre schien von jenseits der Grenze zu sein. Er machte eine Bestellung, wenn ich recht gehört habe, auf Spitzen.«

»Ging Hauser darauf ein?«

»Sofort!«

Der Kommissar sann eine Weile schweigend vor sich hin.

»Wenn man den Schurken nur das Handwerk legen könnte!« sagte er endlich. »Aber es geht wie mit dem Teufel zu. – Die Kerle sind nicht zu fassen!«

»Nun, in diesem Fall wäre nichts leichter als das, Herr Kommissar«, versicherte Seidelmann. »Ich hörte ja, wie die beiden genau die Zeit bestimmten. Und ich kenne auch den Ort, wo Hauser die Spitzen verstecken soll. Er will nach Einbruch der Dunkelheit am Föhrensteig sein.«

»Am Föhrensteig? Das ist der Weg von Hohenthal über die Berge nach Breitenau, wenn ich recht unterrichtet bin.«

»Ja. Der Föhrensteig selber ist eine hölzerne Brücke, die man über den Waldbach gelegt hat.«

»Ich kenne sie. Wir haben dort schon einmal nach den Paschern und nach dem Buschgespenst gefahndet. Wird man dort auf Hauser warten?«

»Nein. Er trägt die Spitzen bis kurz vor Breitenau; die Dunkelheit und den Föhrensteig erwähnte er nur, um einen Wink in bezug auf den Weg und auf die Zeit seines Eintreffens zu geben. Er will die Spitzen unter das Rockfutter nähen. Der andre mahnte ihn zur Vorsicht; er aber lachte und meinte, daß es keinem Menschen einfallen werde, das Futter zu untersuchen.«

Der Beamte war begeistert von dem, was er da hörte. Er ging einigemal im Zimmer auf und ab und blieb dann dicht vor Seidelmann stehn.

»Sie haben der Behörde einen großen Dienst erwiesen. Endlich etwas Greifbares! Jetzt werden wir die Schlinge zuziehn. Wir werden dem Buschgespenst das Handwerk legen. Ich will Hauser noch heut greifen.«

»Wie? Sie wollen selber ...«

»Ja. Ich selber werde das berüchtigte Buschgespenst fangen. Wollen Sie sich daran beteiligen?«

Diese Frage hatte Fritz Seidelmann im stillen ersehnt. Welch eine Genugtuung, wenn er bei der Verhaftung des verhaßten Nebenbuhlers zugegen sein konnte! Aber er hütete sich, seinen Gefühlen Ausdruck zu geben.

»Wird denn das möglich sein?« erkundigte er sich.

»Weshalb nicht? Ihre Anwesenheit wird uns sogar nützlich sein, denn Sie kennen den Burschen am besten. Eine Frage nur: Können Sie reiten?«

»Leidlich.«

»Schön. Ich werde einige Grenzer und Gendarmen aufbieten. Vorher habe ich noch einiges zu erledigen. Aber wenn wir dann reiten, treffen wir noch vor der Dämmerung beim Föhrensteig ein.«

»Verzeihung, hier habe ich ein Bedenken, Herr Kommissar. Unser Weg führt durch Hausers Wohnort. Wenn er uns bemerkt, ahnt er die Gefahr.«

»Wir reiten um Hohenthal herum, teilen uns und schlagen verschiedene Wege ein.«

»Das mag angehn. Hoffentlich klappt alles. Ich brenne darauf, die Gegend endlich von dem Buschgespenst befreit zu sehn. Der Bursche ist aber unglaublich verwegen, und wenn am Föhrensteig nicht die allerbesten Maßregeln ergriffen werden, so schlüpft uns der Kerl doch noch durch die Finger.«

»Verlieren wir keine Zeit mit solchen Bedenken!« unterbrach der Kommissar diese Einwände ein wenig selbstbewußt. »Wo werden Sie zu finden sein?«

»Im Gasthof ›Zum Goldenen Ochsen‹.«

Die beiden trafen noch genaue Verabredungen. Dann empfahl sich Seidelmann und verließ das Amtsgebäude. In ihm war eine tolle Freude über den gelungenen Streich.


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