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Sechzehnter Brief

An den Schilderungen der Subjekte des ersten Tisches hättest du also, laut deinem Geständnisse genug, und ich will daher ohne Verzug zu andern schreiten, denen ich ebenfalls im voraus deinen Beifall wünsche.

Fast möchte ich mich nun vor allem ein wenig an den Herren Billardisten reiben, von denen hier so manche dies sonst unschuldige Vergnügen bis zu einem hohen Grade der Gaunerei treiben; allein ihr Anführer und ehemaliges Oberhaupt hat sich seit einiger Zeit aufs Land gemacht, und mit dem Weggange des Direktors scheint auch die ganze übrige Rotte zersprengt worden zu sein; sie überheben mich daher einer unangenehmen Untersuchung ihrer Gilde.

Zunächst fällt mir nun aber das zerhauene und zerfetzte Mulattengesicht eines Afterarztes in die Augen, den der Himmel im Zorn zu einem Doctor medicinae machte und an seinem abscheulich-widrigen Zügen vielleicht ein warnendes Generalbeispiel geben wollte, wie nötig es überhaupt sei, sich vor der Heimsuchung jedes Leipziger Arztes zu hüten. Daß die Zunft hiesiger Äskulapensöhne im ganzen schon ihr eigenes philosophisches System habe, ist bekannt, und wer dies noch nicht wüßte, dem müßte es ja, glaube ich, schon so manches Benehmen erweisen, daß außer diesem Systeme sich wohl schwerlich ein andres erlauben möchte. Doch das Ziränerische macht, jene Eigentümlichkeiten auch abgerechnet, ohnedem noch besondere Epoche; alle Ketten des eisernen Zwanges hat es (echt philosophisch) weit von sich geworfen, erhebt sich aus dem Staube zum Seraph, verachtet das Hohngelächter einiger vernünftigen Toren und hüllt sich in einen aschgrauen Mantel, der freilich besser deckt als alle philosophischen Dogmen und sicherer vor Erkältung schützt als Gcsundheitsmoltum und Elixiere. Ziräner (Zierener) hat jetzt neben seiner Praxis überdem noch das Direktorium über das Fuhr- und Reitwesen einer gewissen Dame übernommen, die zu ihren Matins weiter Männermantel. sich die aschgraue Farbe erwählte und vorwitzigen Spaßvögeln dadurch Veranlassung gegeben hat, ihren Wagenmeister sehr naiv mit der Charge Amt. eines Schaffners von der aschgrauen Kutsche zu belegen. Doch Zierener ist weit entfernt, die Obliegenheiten eines gewöhnlichen Kutschers so strikt zu befolgen, daß er wie seine hungrigen Kollegen zur zwölften Stunde des Mittags vor dem Peterstor hielte, unter freiem Himmel vorübergehende Fahrlustige anwerbe oder sie wohl gar sans façon ohne Umstände. in seine graue Chaise hineinschöbe; nein, lieber spannt er sich selbst vor das niedliche Kariol und fährt damit, so sauer es ihm auch werden mag, zur großen Funkenburg hin, wo bei einer Flasche Gose (oder wenn Kundleute wie Herr Lieutenant Wolf oder Herr Linke zugegen sind, bei einer Bouteille Wein und einem Karpfengerichte ) der Termin zur Fahrt wohl ebensogut oder noch besser bestimmt werden kann als vor dem Peterstore in der Sonnenhitze bei trockenem Maule.

Oh, die lieben Musen sind doch wahrlich recht gütige Mütter; sie lachen da zu den Bocksprüngen ihrer freien Kinder, wo ein schlichtes Handwerk seine zünftigen Söhne prügeln oder als ungeratene wenigstens beklagen und dann ohne Barmherzigkeit ausstoßen würde.

Diesem Ehrenmanne gerade gegenüber ist derjenige friedliche Tisch, woran das lustige Schneidervölkchen sich einmütig versammelt, die Torheiten leichtgläubiger Kaufleute belacht, von guten wie von schlechten Kunden spricht und Schafskopf spielt. Kein so vergnügter, kein so zufriedener und mit Himmel und Welt so einiger Mensch mag wohl kaum auf unserem sublunarischen Erdball aufzuzeigen sein als es ein Leipziger Schneider ist. Not haben die guten Leutchen zwar immer, und für tiefe Seufzer sorgen schon die bösen Schuldner. Allein laß alles Ungemach hageldick auf sie einbrechen, laß den Kaufmann fluchen, den Tuchhändler drohen, den Knopfmacher brüllen und den Stadtsoldaten exequieren, Befehle ausführen. wie er will: es dauert doch nur ein Weilchen, die Wolken zerteilen sich wieder, und desto heller scheint dann die Sonne der Lust, wenn die vierte Nachmittagsstunde sie gleichsam fühlbar in den Nacken schlägt und unaufhaltsam nach der großen Funkenburg fortzieht. Da werden dann im edlen Gosentranke die sogenannten Curas grillasque Sorgen und Grillen. vertrieben, alle Hausstands- und Weibersorgen verjagt, und ein Kärtchenvollendet die Feier des Tages. Dabei sind denn die guten Leutchen mit ihren Genossen so einig, so wenig neidisch auf des andern größere Kundschaft und so brüderlich einmütig, daß jeder Zunftgenosse stets in ihrem Herzen den ersten Platz behauptet und nur etwa ein paar lustige Magistri oder der Conversus kirchlicher Überläufer. Sonntag sich in ihr Vergnügen mit einschleichen können, welcher letztere ihnen denn tagtäglich an den Fingern beweist, daß der Jude beim Übertritt zum Christentum dennoch seine jüdische Knifftologie nicht vergesse.

Und hiermit, du seelenvergnügtes Schneidervölklein, hätte ich denn auch dir ein kleines Denkmal meiner Zufriedenheit über deine immer heitere Laune gesetzt.

Fast hätte man nun glauben sollen, daß die Sekte am gegenüberstehenden Tische beim Anblick stets froher und lustiger Menschen etwas wenigstens von seinem aristokratischen Steifheitssystem abgeschliffen und die alte Klosterkapuze längst von sich geworfen haben sollte; allein was paßt, was schickt sich besser für alte Sünder als eine andächtige Miene und verdrehte Augen? Sonderbar! Bei aller der stillen Pietisterei, bei allen den dogmatischen Schmälfungereien dennoch so viel Unduldsamkeit, so viel Prätension und eine Impertinenz, die so weit geht, daß sie sich an einem öffentlichen Orte sogar Schenktische leibeigen macht und durchaus nicht gestatten will, daß ein anderer seine Finger an dies große Heiligtum lege. Nie will der Esel weichen und immer nur das letzte Wort haben; spannt man sein Fell über eine Trommel, so läßt er auch nach dem Tode die Mucken noch nicht, und so, glaub ich, wird's auch einst an diesem Tische werden, wenn der Tod das Dominium verändert, denn um ihn herum werden die alten Besitzer wenigstens noch spucken.

Das Personale an dieser Tafel ist gemischt, und ein Fleischwieger (denn den Titel eines Fleischsteuereinnehmers haben diese Herren nur in ihren Gedanken) führt jetzt das Präsidium. Die Fleischersporteln Nebeneinkünfte, -gebühren, Schreibgebühren. müssen wirklich so unbeträchtlich nicht sein, wie man vielleicht glauben könnte, denn hier wenigstens legt sich das Gegenteil recht sichtlich zu Tage. Man kann sehr füglich bei diesem Ämtchen seine Wirtin zu Schmausereien mitnehmen, und zur Dankbarkeit muß doch wohl billig ihr Ehemann Bedientenstelle vertreten und dem Herrn Einnehmer bei regnerigtem Wetter den Matin nachtragen, denn ganz umsonst frönt keiner so leicht in den Laufgräben einer schon halb verschütteten Festung. Soviel wird, glaub ich, genug sein, um mich verstehen zu können.

Daß Betrügereien und das daher gezogene Gut meistenteils nicht lange wuchere, beweist das Beispiel des an diesem Tische sitzenden Trakteurs S. Er und Herr Summburg vereinigten sich ehedem, einem armen Teufel (Tuttenhöfer), der noch den Wert des Geldes nicht kannte, das Fell über die Ohren zu ziehen. Die beiden Kompagnons wußten sich in kurzem zu Direktoren seiner Handlungen wie seiner Kasse zu machen, sorgten christlich für seine physischen Bedürfnisse und schafften gestempelte Mädchen herbei, die nach neun Monaten mit ausgestopften Leibern heranrückten und für ihre (lange entehrte) Jungfrauschaft ein Abfindungsquantum verlangten. Der arme Tropf war zwar freilich seiner Unschuld sich bewußt, allein die beiden Rädelsführer ermahnten das gutwillige Tier zur christlichen Liebe, gern gab er also hundert Taler hin, um nur das Lamentieren loszusein, und in der Unterstube wurde das artige Sümmchen redlich geteilt, die am Leibe aufgestopften Betten lachend wieder vorgezogen, und nun erst lief die Dirne mit unverletzter Jungfrauschaft wieder zur Mühle heraus. So ging es aber nicht etwa nur einmal, sondern wohl hundertfältig.

Auch für die Erweiterung seines Vermögens wollten die sauberen Herren bedacht sein und legten auf Tuttenhöfers Kosten ein Magazin an. Allein bald war das Korn eingetrocknet, der Hafer angelaufen, beide Artikel fielen auf einmal im Marktpreise, und der Gewinn ...!!

So wurden diese beiden Bestien Tuttenhöfers Unglück, legten wenigstens die erste Grundlage dazu und brachten ihn in kurzer Zeit um ein Kapital von nicht mehr als zehntausend Talern. Tuttenhöfer fiel bis zum Landstreicher, die beiden Blutigel lächelten zu seinem Untergange. Tuttenhöfer ist jetzt im Lazarett, beweint seine jugendlichen Torheiten und verflucht die Urheber seines Elendes. Bei dem Trakteur S. soll er vor einiger Zeit um ein Almosen gebeten haben, allein dieser sitzt selbst im Drecke bis über die Ohren, und die Frau, welche bestimmt war, seine Schulden zu tilgen, ist klug genug, sich aus der Affäre zu ziehen. Bei Summburgen darf er nun vollends gar nicht anpochen, denn diesen ernährt jetzt die Tochter und sein graues Haar. Unrecht Gut wudelt gedeiht. nicht, sagt man im Sprichworte, allein ob es gleich nur Sprichwort ist, so möchte es bei diesen beiden Schurken diesmal doch wörtlich eintreffen, denn beiden fehlt nichts als ein derber Knotenstock, um betteln zu gehen.

Willst du auf jede Stunde im Jahr etwas soviel als möglich Verworrenes hören, so setze dich hierher zur Seite des Tischlermeister Fusingers. Schuster, bleib bei deinem Leisten!, und du, Tischler, geh nicht über deinen Hobel: so möchte man wirklich diesem unsinnigen Manne zurufen. Viel unverdauete Lektüre mit zurückgelassenen Kruditäten im Kopfe, eine Selbstliebe ohne Grenzen und eine Deklamation aus dem achten Jahrhundert, das sind ohngefähr die Haupteigenschaften, die ich vorausschicken muß, wenn du dir nur einen höchst schwachen Begriff von diesem sonderbaren Manne machen willst. Rechne nun noch dazu eine Menge der gräßlichsten Ammenvorurteile, die so fest kleben wie der Leim, womit er seine Kommoden verschmiert, addiere dazu eine unglaubliche Belesenheit: in alten Erzvätern und chymischen Skarteken, schlechte Schriften oder Bücher. dann einen Wust von scholastischem Unsinn und eine mehr als mystische Sprache, so hast du das vollendete Gemälde eines inspirierten Kapuziners.

Das wäre denn also das Personale dieses leibeigenen Tisches, und ich bin herzlich froh, daß ich zeitig genug noch zur Vollendung schritt. Toren machen gewöhnlich dem Zuschauer viel Spaß, doch ich verweile nur ungern lange bei ihnen. Stets denke ich dabei an unser aufgeklärtes Jahrhundert und wundere mich, daß es immer noch so viel dunkle Geister erschuf. Doch was kann im Grunde das Jahrhundert dafür, daß Mohren sich nicht waschen lassen wollen?

Noch so mancherlei Farcen wären zwar übrig, die allerdings wohl einer kleinen Beleuchtung wert zu sein schienen; allein ich bin wirklich solcher Schilderungen müde und will statt dessen eine kleine Zugabe beifügen, die freilich etwas klein ausfallen wird, da mir ohnedem in diesem Briefe noch eine weitläuftige Charakteristik bevorsteht.

Der Ton (und das ist denn die versprochene Zugabe), der an diesem Orte des gesellschaftlichen Vergnügens herrscht, ist durchaus nicht von der Art, daß ich ihn mit Überzeugung empfehlen könnte, und fast möchte ich sogar behaupten, es herrsche hier eigentlich gar keiner. Sogleich folgen die Gründe:

Nach Tische mit dem Glockenschlag vier kommt zwar alles wie gerufen herbei, allein jeder kömmt aus eignen Absichten, und nur ein sehr seltener Fall ist's, wenn einmal ein gemeinschaftliches Interesse fünf Personen zu einer nützlichen Unterhaltung vereinigt. Meistenteils aber gewahrt man dies Phänomen nur dann erst, wenn etwa ein neuer Bankrott ausgebrochen oder nach Hamburger Blättern der Feind geschlagen ist, oder vielleicht ein armer Teufel das große Los gewonnen hat. Übrigens aber sind Kopf und Herz jedes hierherkommenden Gastes schon im voraus, und fast möcht ich sagen, auf alle Tage im Jahre zu einem einzigen festen Endzweck vergeben.

Die ersten viere erscheinen zu einem bestellten Lomber L'hombre; verbreitetes Kartenspiel. oder Solo; die zweiten bilden einen eigenen Ausschuß, und jedem andern ist der Zutritt versperrt; oder wagt sich ja aus Unbekanntschaft mit ihrem System ein Uneingeweihter zu ihnen hin, so ist der ganze Klub auf einmal stumm wie ein Grab; der Hinzugekommene sperrt das Maul auf oder geht wieder, wenn er gescheut ist, seinen Gang. Die dritten sitzen da und schlucken, daß ihnen die Adern anlaufen, ach, und sehen dabei stets so freundlich nach ihrem Fläschchen hin, als wenn heilige Engel drin herumschwömmen; aber kein Laut entweiht ihre rotglühenden Lippen. Die vierten stehen stummen Götzen gleich an den Schranken des Billards und begleiten mit ihren stierenden Blicken jeden Ball zu seinem Loche. Die fünften (und das sind denn die wenigen Vernünftigen) gehen ohne Aufhören den Saal bald auf, bald ab und sehen sich, da es ihnen an zweckmäßiger Unterhaltung gebricht, genötiget, sich in sich selbst zurückzuziehen. Mit verborgenem Lächeln hören sie das Gemurmel der gärenden Menge mit an: wie der eine über den verlornen Schafkopf flucht, der andre über schlechte Gose schreit und der dritte alle Teufel zu Hülfe ruft, daß ihm heute kein Ball gelingen will.

Die Musik ist zuweilen das einzige noch, was einige Stunden lang Unterhaltung gewährt, und wirklich geben sich die Spielenden viel Mühe. Allein diese Freude dauert auch nur die Sommerszeit über, denn im Winter versammeln sich tanzlustige Damen, und ihre Chapeaus lassen dann Walzer aufspielen. Freilich findet da mancher wieder eine neue Unterhaltung, und wär's auch nur die – eine erhitzte Jungfer (?) in neues Feuer zu treiben.

Im ganzen also muß man die Funkenburg bloß als einen Ort betrachten, den nur höchstens solche Menschen besuchen, die mit Leib und Seele Trinker sind; wer aber etwa nach vollendeten Geschäften eine angemessene Erholung wünscht, der sucht sie vergebens daselbst und wird sich höchstens einmal täuschen lassen.

Auch mit der versprochenen Zugabe wäre ich nun fertig und habe, ehe ich diesen Brief beschließe, bloß noch die Charakteristik des Wirts und seiner teuren Ehehälfte vor mir – oh, ein sehr schweres Kapitel; ich muß mich in der Tat so kurz als möglich fassen, sonst liefe ich wahrlich große Gefahr, ein ganzes Alphabet damit zu füllen. Allein wo soll ich nun zuerst anfangen?

Der jetzige Besitzer der Funkenburg, Herr Müller, kaufte dies Grundstück von einem Gelehrten, dessen Sinnesorgane sich zuweilen in einem Zustande befanden, der, wenn man ihn zu nutzen verstand, sehr füglich erlaubte, den ganzen Mann zu verwirren; und gerade eine solche Krisis mußte wohl Herr Müller sehr glücklich benutzt haben, denn sein wohlfeiler Kauf machte Aufsehn. Doch auch dies geringe Quantum war Müller nicht imstande, aus seinen eigenen Mitteln zu bezahlen, und Herr Advokat (?) Lange tat daher Vorspanne. Im Anfange ging alles sehr glücklich vonstatten, und der Zuspruch, der sich immer häufiger einfand, versprach nur zu sehr die Gewißheit, einst aus Müllern einen reichen Mann zu machen. Allein die Szene änderte sich leider nur zu bald.

Müllers Gemahlin fing an, Vergleichungen zwischen den Talenten ihres Mannes und denen anderer artigen Männer zu machen; sie war damals noch in ihrer Blüte, und es konnte ja daher durchaus nicht an Subjekten fehlen, welche um ihre Gunst buhlten. Die Dame war nicht grausam genug, ihre Anbeter lange seufzen zu lassen, und so hatten denn in kurzer Zeit mehrere zu ihrer Fahne geschworen. An ihrer Spitze stand Guthmann. Die Dame mochte an den Erweisungen seiner Liebe viel Behagen finden, denn bald genoß er ihren ungeteilten Beifall, den sie denn bei näherer Bekanntschaft wirklich so weit extendierte, daß Guthmann ihre Leibesangelegenheiten besorgen und Erzeuger zweier jetzt noch lebender und sein wahres Bild an sich tragender Kinder werden konnte. Müller fühlte seine Ohnmacht und ließ ohne Bedenken seinen Namen ins Kirchenbuch eintragen. Allein dem armen Guthmann kostete diese Administration leider sein halbes Vermögen und ward in der Folge der Grund zu seinem Unglück. Er mußte die genoßnen Freuden sehr teuer bezahlen und, als seine Finanzen erschöpft waren, seine Amasia und das geliebte Leipzig verlassen. Er hat sehr hart für seine Torheiten gebüßt, und sein übrigens guter Charakter verdiente ein besseres Los, allein er war zu tief schon in die Schlingen gefallen, die ihm Raubsucht und Buhlerei legten, um noch zeitig genug mit Ehren sich herauszuwinden. Ohnmöglich konnte nun aber Dame Müller nach seinem Verschwinden lange brachliegen, und Mechaniker und Ärzte besetzten den erledigten Posten. So ging denn die saubere Wirtschaft ohne Aufhören fort; der eine trat auf, der andere ab, und auch noch jetzt, da graues Haar ihr Haupt silbert, läßt sie sich so seelengern den Bart streichen und von einem Töpfer Formen drehen.

Die Folgen solcher Ausschweifungen können nie ausbleiben, und auch hier sind sie längst schon sichtbar gewesen. Als Wirtin lag ihr ob, die nötigen Einrichtungen in der Küche und im Hauswesen zu besorgen, allein wie vertragen sich Küche und Liebhaber? Die letztern müssen notwendig vorgehen, und die ersteren werden treulosen Dienern überlassen, die sich freilich besser dabei befinden, wenn sie nach eigner Willkür schalten können, als wenn eine aufmerksame, selbsttätige Hausfrau ihnen auf die Finger sieht. Außer einer unrichtigen Berechnung schleppt daher überdem noch alles, was Atem hat, und für die in gewissen Punkten nötige Verschwiegenheit muß Madame Müller demohnerachtet noch extra bezahlen.

Freilich merkte Müller nur zu bald das Stocken in seinem Hauswesen, er sah die Urheberin seines Elendes, und eine tüchtige Karbatsche sollte vor allen die Sünderin zur Buße zurückleiten. Das arme Weib schrie nun anfangs und weinte die bittersten Tränen; dann aber kam es zu Vorwürfen des Selbstverschuldens, und endlich lachte die verstockte Dame gar zu seinen ohnmächtigen Drohungen. Man riet ihm wohlmeinend an, mit dem ersten Medikamente fortzufahren, allein das Mitleid lähmte den Arm. Nun sieht der gute Mann gelassen zu, wie elende Buben sein eheliches Bett beschimpfen, und höchstens einmal, wenn die Zunge schwer zu werden beginnt, läuft die Galle ihm über, und dann verwickelt sich eine derbe Hetzpeitsche in die Kräuselhaare der graduierten Beischläfer seiner Gattin. Allein dergleichen Exekutionen fallen, wie schon erwähnt, nur äußerst selten vor, und Müller benimmt sich im ganzen bei diesen Eingriffen in seine Rechte sehr philosophisch.

Ist's aus Desperation Verzweiflung. oder Neigung geschehen – Müller hat seit einiger Zeit alle Götter quittiert und dafür seinem Götzen, dem feisten Bacchus, ewige Treue geschworen. Schon bei dämmerndem Morgen bringt er ihm schäumende Trankopfer, und die späte Nacht findet ihn oft noch in seinem Dienste. Seine Markörs Kellner. wissen diese Betstunden aufs Haar, verkaufen indes auf ihre Rechnung und schleppen ganze Trachten nach Hause. Auch Nachschlüssel sind hier Mode, und oft ist der neu angekommene Wein schon halb ausprobiert, ehe ihn Müller noch zu Gesichte bekam.

Wäre der Zuspruch auf diesem Platze nicht so außerordentlich zahlreich und der Gewinn daher nicht so ganz ungeheuer, als er es wirklich ist, so würde Müller längst schon ein Bettler sein, indes seine Diener sich Häuser bauen könnten.

Allein endlich muß es doch kommen, und die Not wird hereinbrechen wie ein Dieb in dunkler Nacht, denn jetzt schon ist zuweilen nicht so viel in der Kasse, als eine Schmiede- oder Wagnerrechnung beträgt. Seine eigenen Gäste halfen ihm schon oft mit zwanzig Talern aus der Not, und die Markörs lassen gern ihr Salarium auf Jahre stehen, damit sie vor Verjagung sicher sind, da sie recht füglich von dem Betruge leben können, den sie an ihrem armen Herrn und Meister verüben.

Es jammert den rechtschaffnen Mann, wenn er einen schon halb Gesunkenen in solchen Händen sieht. Diese Bestien sind ärger noch als Blutigel und Schröpfköpfe, die doch dann wieder nachlassen, wenn sie satt sind. Diese aber gleichen immer gefräßigen Raubtieren, nur höchstens mit dem kleinen Unterschiede, daß letztere sich weder an Zeit noch Umstände binden, jene aber nur dann die Kralle zum Greifen ausstrecken, wenn sie vor Licht und Knotenstöcken sicher sind.

O armer Müller, wollte sich doch ein treuer Freund finden, der dir die blöden Augen öffnete und Mut genug hätte, dein treuloses Weib samt deinen gewissenlosen Dienern in einem Nu zum Teufel zu jagen, vielleicht würde es ja dann etwas besser mit dir!

Noch wäre mir zwar eine sogenannte Reitschule, welche Dame Kelz auf diesem Platze unterhält, zu beschreiben übrig; allein da ich nicht recht eigentlich in Erfahrung habe bringen können, wer wohl zureitet und was zugeritten wird, so stehe ich deshalb auch an, mit meinen Gedanken und Vermutungen etwas zu aufrichtig zu sein.

Und so wäre ich denn nun endlich mit der Schilderung der Funkenburg und ihrer Freuden zustande und fange jetzt an, mit meinem Senkblei in den Tiefen eines andern Ortes zu sondieren, der ganz eigentlich ein Schlupfwinkel des hiesigen vornehmeren Pöbels zu sein pflegt. Ich weiß schon, du wirst im voraus einer kleinen prüfenden Untersuchung des Place de Repos entgegensehen, und mein nächster Brief soll dich auch wirklich hierüber befriedigen; bis dahin lebe wohl.

v. N. N.


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