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Erster Brief

Nein! So fürchterlich mag wohl selbst der geizigste Buchhändler kaum den armen Übersetzer bombardieren, auch wenn er schon zwanzig Taler pränumerando mit Vorauszahlung, vorausbezahlend. bezahlt haben sollte, als du mich, der ich doch ganz eigentlich aus bloßer Gefälligkeit diene, mit deiner ungestümen Aufforderung übereilst, – mich, der ich wahrlich seit zwei Tagen erst hier angekommen bin.

Nein, lieber Baron, so schnell wie du erwartest, kann ich ohnmöglich mit meinen Nachrichten dienen, und dir Lügen aufzuheften, weißt du ja aus vielfältiger Erfahrung, ist meine Sache nicht; sie schänden den ehrlichen Mann und setzen ihn oft nur zu tief unter seine Würde herunter. Laß mir also Muße, und ich hoffe, es soll dir schon bei Lesung meines nächsten Briefes nicht gereuen, mir diesen kleinen Akkord Zugeständnis. nachsichtsvoll bewilliget zu haben. In alle Winkel will ich kriechen, jedes, auch das verrufenste Loch will ich besteigen, und wär's in der groteskesten Verkleidung, wär's auch mitten im Dunkel der verdächtigen Nacht, – ich habe mein Wort nun einmal gegeben und darf es nicht brechen, sonst mögte bei meiner Rückkunft der Willkommen wohl nicht so freundschaftlich ausfallen, als ich ihn von dir nun einmal gewohnt bin. – Nicht wahr, so würde es werden, lieber Baron?

Bei meiner Ankunft im Hallischen Tor, wo ich, Gott weiß, warum, ebenfalls mein Teil in eine blecherne Büchse steuern mußte und wo die Herren Aufwärter und Visitatoren, des öftern Fingerklopfens des Kriegsrat Müllers ohnerachtet, noch immer dieselben Flegels sind, die sie sonst waren, und von dem sanften Winde, der, Gott sei Dank, jetzt in den innern Toren weht (und der es nicht mehr erlaubt, in Ermangelung des nötigen Groschens Schnupftücher und Taschenmesser in einstweiligem Arreste zu behalten), durchaus sich nicht abkühlen lassen wollen, erfuhr ich denn, daß schon seit zwei Tagen die Neujahrmesse ihren Anfang genommen habe. Mein Postillion riet mir wohlmeinend, die undankbare Mühe zu ersparen, die notwendig aus dem Bestreben erwachsen müßte, in einem Hotel der innern Stadt ein angemessenes Quartier für mich und meinen treuen Jakob zu suchen; in den ersten Tagen der angehenden Messe sei alles besetzt, und nur die mit einem Reichstaler verbundene Ordre an einen Lohnbedienten allein würde es vermögen, daß in einigen Tagen wenigstens recht acceptable für mich und meine Bequemlichkeit gesorgt sein könne.

Ich ließ mir dies, wiewohl ungern, gefallen, denn die Gasse, die wir soeben passierten und in welcher der einstweilen angepriesene Gasthof befindlich sein sollte, duftete mir schon von weitem sehr unannehmlich entgegen; der Geruch sowie die auf dieser Gasse herumwandelnden Menschen waren gleich sonderbar und verschieden, doch Gerberfelle und der Weihrauch eines eben ausgemisteten Schweinstalles, vereint mit dem ausgesuchtesten, aus kleinen Stummelpfeifen dampfenden Kneller, schlechter Rauchtabak. brachten ein so liebliches und sanftes Gemisch in die gleichsam fühlbare und schwerfällige Atmosphäre, daß ich hier das erstemal zum Petit-maître Stutzer. ward, mein Schnupftuch hervorsuchte, es über Mund und Nase hielt und so verpanzert denn endlich im Schwarzen Kreuze aus meiner Chaise stieg. Anmerkung des Herausgebers: Mich nimmt's baß wunder, daß der Leipziger zuckersüße Rat mit seinen dünnen Nasenlöchern wider diesen innern Gestank noch keine Klage erhoben hat, wie etwa gegen den der Wachsfabrikanten vor den Toren. Wehe euch dann, ihr armen Gerbergäßler!

Auch hier hätte vielleicht ein jeder andere an meiner Stelle von den ersten Aussichten, die sich mir darboten, eine sehr üble Schlußfolge auf die übrige Bewirtung gezogen, denn der widrige Anblick zerlumpter russischer und polnischer Knechte, deren entfernte Witterung schon gar häßlich in der deutschen Nase krübelt, kribbelt. und das Gekreisch ihrer rauhheisern Gurgeln sowie das struppige Waldgebüsch ihrer borstigen Köpfe, auf denen der schießlustige Weidemann zu jeder Jahrszeit ein wohlbesetztes Jagdrevier antrifft, konnten mich gar nicht verleiden, ein Hausgenosse dieser schmutzigen Ausländer zu werden.

Doch die Ankunft des Wirts, eines unter so saubern Zuspruchs noch nicht ganz russisch gewordenen Mannes, versüßte meine und meines Jakobs gallenbittere Erwartungen, und in wenig Augenblicken waren wir samt unsern Habseligkeiten auf einem Zimmer, das zwar nicht prachtvoll und elegant, doch aber reinlich, sauber und mit einer Tür versehen war, an derem äußern Schloß und innern Riegeln man wohl abnehmen mochte, daß dem Herrn Dost (des Wirts Name) sehr wenig daran gelegen sei, wenn seine Gäste über vermißte Uhren, Ringe, Geschmeide und über gestohlene Laubtaler klagten.

O lieber Baron, wie sehnte ich mich nach sanfter Ruhe!

Ein Stubenmädchen erschien, überzog mein Bett mit einem weißgewaschnen Überzug, ach, und ihre Hände allein hättest du sehen sollen, wahrlich, du wärest dem artigen Mädchen in ihrer Arbeit ein Beispringer geworden, denn so viele schöne, runde, volle und emporstrebende Reize sah ich noch nie; Himmel! wie mußte ich meine Philosophie weidlich anspornen. Gewiß, sie lag sonst in wenig Augenblicken samt meiner dickbrüstigen Schönen mitten im weiß überzogenen Bette und preßte sich an den bebenden Schenkeln der schmachtenden Überzieherin zu einer Realdefinition des wahren Erdenglücks und seiner Freuden. Aber ich siegte und bin noch heute stolz auf meinen Sieg; das arme Mädchen sah mir noch so unschuldig, und – vielleicht hätte ich gar eine Blüte vergiftet.

Morgen verändere ich mein Logis und werde hoffentlich, solange auch mein Aufenthalt hier dauern mag, ununterbrochen im Hôtel de Bavière wohnen. Doch ehe ich noch zu diesem Schritte eile, will ich zuvor genau meine Überzieherin sondieren; ist das Mädchen noch rein und tugendhaft, wie ich vermute, so mag ich wahrlich nicht der erste Mörder ihrer Unschuld sein; sollte sie aber wirklich schon von der Ursach unterrichtet sein, warum ihre Spaltung gerade zwischen den Füßen und nicht ebensogut am Ärmel sitzt, nun, dann mag immerhin mein System sich seiner Bürde entledigen und auch über eine Nichtphilosophin eine Ladung daherschütten, die die Fühlbare überzeugen soll, wie schön das Studium der Kritik uns für das auferlegte Fasten dann belohnt, wenn wir wie ich nach Monatsfrist aus ihren Kriterien uns einmal heraus und in diejenigen Höhlen der Natur einwühlen, wo man auch ohne Terminologien einzudringen vermag, worin der Dumme wie der Kluge sich findet, wo Kriegsknechte ihre Säbel schleifen und Handwerksbursche ihre Instrumente wetzen.

Du wirst lächeln, lieber Baron; aber bei Gott, dies Mädchen ist mir mit ihren vollen Rosenwangen interessanter geworden als die geile Frau Hauptmann von S. mit ihren gepuderten Backen. Mein Amor fängt an zu revolutionieren, doch ich hoffe den Degen bald in die Scheide zu bringen, und so wären, glaub ich, auch ohne Dragoner die Unruhen mit einmal geschlichtet.

Unter vierzehn Tagen erwarte keinen Brief, dann aber sieh mit voller Gewißheit einer treuen Nachricht über die hiesigen Messen entgegen von deinem

v. N. N.


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