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Zehnter Brief

Daß dir die Bemerkungen in meinem vorigen Briefe einige nicht unangenehme Stunden gemacht haben, freut mich um so mehr, da ich aus der deinem werten Schreiben an mich beigefügten Bitte, dir nächstens über die in Leipzig gangbaren Freudenhäuser vor allen andern bestimmtere Auskunft zu geben, den sichern Schluß ziehe, daß der Beifall, den du meinen vorigen Beobachtungen geschenkt hast, nicht bloß leere Schmeichelei, sondern vielmehr ein auf meine Unparteilichkeit gesetztes unbeschränktes Zutraun sei, das dem ehrlichen Manne, und also auch mir, deinem Freund, durchaus verbietet, aus einem Nichts ein Etwas zu bilden, aus allem Gift zu saugen und immer nur zu tadeln, wo jeder andere vielleicht Stoff fände zu billigen.

Je sorgfältiger ich mich nun aber bestreben muß, in allen folgenden meiner Briefe ebenfalls dies ehrende und rühmliche Zutrauen zu verdienen, so kann ich doch auch ohnmöglich deiner dringenden Bitte länger widerstehen und will dir daher über die hiesigen Freudenhäuser alles treu referieren, wie ich mit eignen Augen es sah und fand.

Mein nächster Gang, lieber Baron, war nach dem Siolischen Keller gerichtet, wo man, wie in allen übrigen Italiener-Kellern, mit Wein und andern dahin einschlagenden Artikeln bedient wird, nur mit der sonderbaren Ausnahme, daß man hier noch andere Phänomene wahrnimmt, die man in den übrigen oft so ungern vermißt. Schon seit geraumer Zeit stand dieser Ort eben nicht in dem vorteilhaftesten Rufe, und ob er ihn wirklich verdiene, mag die folgende Erzählung enthüllen.

Es war schon abends neun Uhr und der Himmel regnericht, als ich diesen Tempel der Freude betrat. Lange wurde ich nichts Verdächtiges gewahr, saß da ganz allein und verlassen und fing deshalb schon an, der hundertzüngigen Fama ein derbes Kapitel zu lesen und mit schneller Hast meine Flasche zu leeren.

Des Wirts Tochter erschien, und ich witterte schon von fern am Eingang der Tür ihre balsamische Ankunft, so arg war das ehrbare Kind durchräuchert und parfümiert. Beim Eintritt machte sie mir die artigste Verbeugung, die ich als Gast nur immer erwarten konnte, allein Blick und Miene waren die nicht, die ich wünschte.

Ihre Unterhaltung, für jeden andern vielleicht naiv genug, fing an, mir lästig zu werden, und schon war ich im Begriff, das letzte Glas zu leeren und meine Schöne dem Erstaunen über einen so seltsamen Fremdling zu überlassen, als sich wie im Reiche der Feen plötzlich eine Seitentür öffnete und ein Mädchen heraustrat, über deren Grazie ich staunte.

Jetzt drängte sich mir zum erstenmal der Gedanke auf, wo ich war!

»Würden Sie die Güte haben, schönes Mädchen, und neben mir Platz nehmen?« sprach ich, und auf die einnehmendste, doch bescheidenste Art folgte die Schöne meiner Bitte.

Diese artige Bescheidenheit zog sie mit einmal näher an mich, und ich glaube, so schön sie war, ich hätte sie dennoch verachten können, wenn sie statt dieser liebenswürdigen Zurückhaltung – Frechheit gezeigt hätte. Nach einigen Komplimenten, die ich ihrer Schönheit machte, wurde das holde Mädchen gesprächig; ihr Mund lächelte so süß, in ihrem Auge glaubt ich ein so verstecktes wollüstiges Feuer zu bemerken, daß ich anfing, beherzter zu werden.

Du kennst die Berliner Griffe, lieber Baron, und kurz und gut, auch bei meiner liebenswürdigen Schönen suchte ich sie in Ausübung zu bringen, machte unter dem Tische allerlei Experimente, und da meine Angebetete keinen Unwillen zeigte, sondern vielmehr allmählich in ein sanftes Stöhnen verschmolz, so fuhr meine Hand leichtsinnig durch den Schlitz ihres dünnen Röckchens hindurch und gerade hin zu dem Ort, wo die Wollust ihren Sitz hat. Und, lieber Baron, ohnmöglich könnt ich hier dem Anziehenden widerstehen. O hättest du das schöne Kind (und schön war sie gewiß, mochte auch ohngefähr erst achtzehn Jahre zählen) mit ihren Purpurlippen und ungeschminkten Rosenwangen gesehen; hättest du gesehen, wie ihr wollusttränendes Auge schmachtend auf das meine fiel, wie meine Hand auf ihrer stark bemoosten Liebesgrotte zitterte, wie ihr Atem bei meinem Kützeln nur schwach noch stockte, – ach, wie sie dann so hingebend sich an mich anschmiegte, – wahrlich, Baron, du müßtest von Stahl und Eisen sein, wenn sich hier deine Empfindungen nicht regten.

Mein Blut wirbelte, meine Sinne schwanden, brennender wurden des Mädchens Küsse, und ich zeigte ihr die Stärke meines Verlangens. Plötzlich zog sie mich nach sich, und in einem Nu waren wir in einem niedlichen Schlafzimmer!

Aber wie soll ich dir meine Wollust malen, lieber Baron? Bei Gott, nie empfand ich noch, was ich heute bei diesem engen Mädchen empfand. Ihr sanftes zärtliches Wiederholen jeder meiner Bewegungen, ihre vollen unverwelkten Reize, die in ihrer jungen Blüte ausgegossen vor mir auf dem Bett lagen, und dann die brennende Begierde, ihre Lust zu stillen, Himmel, sie verdoppelten alle Empfindung.

Unsere Wünsche waren befriedigt und die Wollust gesättigt, ich zog meine Börse, um ihr zu danken.

Aber plötzlich änderte sich die ganze Miene des Mädchens, auf ihrer Stirn thronte Unwille. »Mein Herr«, sprach sie mit einer alles bezaubernden Würde, »ich bin keine Verworfene, die Sie bezahlen können; ich werfe mich nicht in die Arme jedes viehischen Unmenschen, am wenigsten aber für Geld. Behalten sie es oder geben es einer Armen, und erinnern Sie sich dann und wann an ein weibliches Geschöpf, das sehr oft, aber nur zuweilen in der Stunde der Anfechtung nicht widerstehen kann!« Sie drückte hierauf noch einen feurigen Kuß auf meine Lippen, belohnte Wollust schwamm in ihrem Auge, ich verließ ihr Zimmer, und sie verschloß es.

Das ist doch sonderbar, wirst du sagen, und ich selbst dachte damals nicht anders; ich war wie in einem Traume, und ungewiß, wie ich mich hierbei benehmen sollte, verließ ich spät in der Nacht diesen Keller, erkundigte mich den zweiten Tag etwas genauer nach diesem sanften Plätzchen der Liebe, habe es noch einigemal besucht und oft noch gratis in den Umarmungen meiner göttlichen Schöne, eines verheirateten Weibchens, gelegen.

Teufel und Hölle, wirst du sagen, ein Weib? Glaube mir, lieber Baron, ich war in keiner geringen Verlegenheit, als ich aus dem Munde dieser Schöpferin so viel süßer Freuden hörte, daß sie das Weib eines hiesigen Handelsmanns sei. Nie konnte mir der verdrüßliche Gedanke beikommen, Eingriffe in die Rechte eines andern zu tun, so frisch, so unberührt schien mir dieses göttliche Geschöpf; bei jedem Genuß glaubte ich die Erstlinge eines schwelgerischen Frühlings zu brechen.

Kaum hörte ich also aus ihrem Munde dies unbefangene Geständnis, so ahndete ich unter dem schönen Rosengebüsch die lauschende Natter, ich ahndete Betrug und wohlangelegte Überraschung von Seiten des beleidigten Gatten. Sage mir, lieber Baron, war dies nicht der vernünftigste Gedanke von der Welt?

Aber wie täuschte ich mich diesmal. Die Schöne merkte gar bald meine Verlegenheit und war nicht grausam genug, mich länger in dieser folternden Unruhe zu lassen; wonnetrunken schlang sie ihre schönen runden Arme um meinen Nacken, küßte jede ängstliche Besorgnis liebevoll von meinen Lippen hinweg und erzählte mir endlich die Geschichte ihres Lebens und ihrer Leiden. So schön, angenehm und bezaubernd dies Weib war, so sonderbar waren im Gegenteil auch ihre Schicksale, die wohl verdienten, von den Händen eines geübten Biographen bearbeitet zu werden. Läge es nicht zu weit außer dem Gesichtskreise gegenwärtiger Briefe, so würde ich nicht anstehen, wenigstens das wesentlichste daraus dir mitzuteilen, doch mündlich will ich dir die ganze Geschichte dieses seltenen Weibes umständlicher erzählen und hier nur den Beschluß ihrer Rede beifügen, der mich dann aller weitern Erklärungen in Hinsicht des Siolischen Kellers überhebt:

»Sehn Sie«, schloß das göttliche Geschöpf, »sehn Sie, mein Lieber, so kam ich in die Hände eines Tigers und – eines ganz entkräfteten Wollüstlings. Ungeschwächte Kraftfülle strotzt noch in meinen jungen Adern, und glühendes Feuer ungelöschter Lust brennt zuweilen in meinem Innern beim Anblick eines saftvollen Jünglings. Werden Sie die Dürstende wohl entschuldigen, daß sie sich an den Bund einiger Unglücksgefährtinnen anschloß, die gleiches Schicksal hierherführt? Hören Sie meine Gründe: Wir würden uns schämen, jedem elenden Wüstling uns preiszugeben, und einen erklärten Liebhaber uns zuzugesellen erweckt langweiligen Überdruß und endlichen Ekel, nicht dazugerechnet, daß wir Gefahr liefen, auf diesem Wege gebrandmarkt zu werden, da wir hier (in Siolis Keller ) so sicher und so ungestört der Liebe uns überlassen können, die im Verborgenen ihre Geweihten so süß lohnt. Fast täglich kommen wir also hier bei nächtlicher Weile zusammen und – rächen uns für die Ohnmacht unserer mark- und kraftlosen Männer. Zwar sind auch seit kurzem einige Ledige unserm Bunde einverleibt, und diese stehen dann meistens im Dienst unseres Wirtes und zahlen ihm die Hälfte ihres Gewinns; die mehrsten aber sind verheiratete Weiber und lohnen mit ihrer Gunst dem, der ihnen gefällt, aber nicht jedem, der sie heischt. Wir treiben keinen Wucher mit unserem Genuß, lassen dagegen uns aber auch das Recht nicht nehmen, nach Gefallen zu wählen und zu verwerfen. Wir genießen unsere Lieblinge mit Mäßigkeit, und immer kehren sie daher mit verneuerter Zärtlichkeit in unsere Mitte zurück. Wir geben ihnen nichts von dem Gifte gewöhnlicher Dirnen, sie bleiben gesund, und unser Wirt hat immer zahlreichen und angesehenen Besuch. Wir sind nicht eifersüchtig und genießen oft in einem Abend die süßen Früchte mehrerer Bäume. Die Messen sind unserer Liebe nicht hold, wir fürchten ausländische Pest und – dürsten daher lieber in diesen langen vier Wochen. Nur mich führte an jenem seligen Abend, an welchem Sie mich zum erstenmal so glücklich machten und so süß mit ihrer vollen Liebe lohnten, ein unnennbares Gefühl, ein unwiderstehlicher Drang hierher. Ich sah Sie, und meine Begierden erwachten; ein Glück für meine Leidenschaft, daß Sie zuerst begannen, ein sanftes Gefühl für geheime Freuden zu empfinden, sonst war ich in Gefahr, meine Wünsche zu verraten, oh, und dann härte ich vielleicht so manche göttliche schöne Stunde weniger gehabt! Nochmals, holder Mann, wie danke ich Ihnen für den Vollgenuß Ihrer kraftvollen Ergießungen; verachten Sie aber nie das schmachtende Weib, das so feurig sich Ihnen dahingab, und, die einzige Bitte, schonen Sie unter rohen Jünglingen meine Ehre!«

So sprach dies seltene Weib, drückte noch einen brennenden Kuß auf meine glühenden Lippen, errötete und – verschwand in ein nebenanstoßendes Zimmer.

Würdest du nach dieser Erklärung wohl getan haben, lieber Baron, was ich nun tat? Ich verließ schnell dieses Weib und diesen Ort und – sah sie und ihn nie wieder.

Du weißt nun, was du von diesem Tempel der Freude zu urteilen hast, und ich will daher nur noch soviel zu seiner Empfehlung hinzufügen, daß kein Amtsknecht, kein Gerichtsfrohn und kein Pedell dich hier in deinem süßen Minnespiele stört, und daß dieser Frieden seine gute Ursach habe, wirst du auch ohne mein Zutun erraten. Leb wohl.

v. N. N.


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