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Fünfzehnter Brief

Sie heißt die große zum Unterschiede von einer kleinern, die jetzt im Pachte eines Mannes steht, der von jeher seine schwerschenklichen Talente treufleißig zu Frommen seiner hinkenden Verpachterin verwendete und vielleicht, obschon bei grauem Haar, noch diesen Augenblick zum Opfer darbringen muß, dafür aber den Vorteil genießt, nie von der alten Zarre zänkisches, keifendes Weib. in einem Pachte verdrängt zu werden, der entweder nur pro forma kontraktmäßig abgeschlossen worden oder doch wenigstens von so geringem Belang ist, daß er ganz füglich aus dem Torgelde genommen werden kann, das der Herr Lieutenant Wolf wöchentlich zu entrichten hat, wenn er wegen Versäumnis an der Pharobank oder wegen bequemer Hereintransportierung eines vielleicht bei der Donnerwache aufgefundenen Schlafkameraden gemüßiget ist, oft mitten in grauer Nacht um schnelle Eröffnung zu bitten. Doch so alte und treue Dienste müssen auszeichnend belohnt werden, und dies um so mehr, da es in der Tat viel Überwindung kosten mag, sie einer Dame zu bezeugen, die, als der Himmel sprach: »Werde!«, so häßlich und abscheulich davonkam, daß man Gefahr läuft, ihr Entstehen in einer Schiefergrube zu suchen.

Allein vor jetzt genug. Ich breche hier ab und schreite zu der längst versprochenen Beschreibung der großen Funkenburg über, welche nebst einer an sie anstoßenden Ratsziegelscheune und einem nicht weit davon entfernten, ehedem zur Beherbergung einwandernder polnischer Ochsen bestimmten Platze ein eignes kleines Vorstädtchen bildet und dicht an der Straße nach Merseburg liegt.

Im Sommer ist das ziemlich niedrige, doch längliche Gebäude, worin der Speise- und Bewirtungssaal befindlich, von den Blättern und Ästen der vor ihm stehenden Kastanienbäume so versteckt und verborgen, daß der fremde und unbekannte Vorbeireisende, wenn er nicht etwa zufällig zwischen dem Schatten der Bäume die großen Fensterscheiben gewahrt, sehr leicht den Verstoß machen könnte, es für einen wohlangelegten herrschaftlichen Schafstall zu halten. Die daranstoßende, gleichmäßig gebaute Kegelbahn könnte den Wanderer noch mehr in seinem Glauben bestärken und ihn mit wenig Mühe verleiten, ersteres als den Spielraum lustiger feuriger Böcke und letzteres als eine Horde für geduldige Schafe zu betrachten. Doch die innre Einrichtung ist sehr vorteilhaft und für einen Sammelplatz so vieler hierher strömender Menschen äußerst zweckmäßig und söhnt mich daher mit der äußern Form vollkommen wieder aus.

Gleich an das Hauptgebäude stößt ein freier Platz in Form eines Halbzirkels mit Lauben, Tischen und Bänken, doch ungepolstert und daher für diejenigen nicht brauchbar, welche an ihrem Posterioribus Hintern. mit der Dürrsucht geplagt sind. Dies Rund wird im Sommer dadurch noch weit angenehmer, daß die Musiker in der Mitte desselben sich etablieren und die von ihnen hervorgebrachten Zaubertöne sehr angenehm in die nahen Lauben sich verbreitet.

An keinem der hiesigen öffentlichen Orte wirst du einen für deinen Gesichtskreis so weiten Spielraum finden, als hier vor dem Saale der großen Funkenburg der soeben gerühmte Halbzirkel ist.

Noch weit mehr Vergnügen und Angenehmes aber gewährt das dicht daranstoßende Wäldchen nebst den zwischen ihm liegenden anmutigen grünen Wiesen.

Der melodische Chor der Sänger des Waldes, das täuschende Gelispel der Blätter, das murmelnde Plätschern des vorbeirieselnden Flusses und die stets ehrwürdige heilige Stille, welche feierlich in diesen dunkeln Schatten thront, geben diesem Orte einen Reiz, den freilich wohl Madame H. ehedem auch fühlen mochte, als sie, in Zauber und Wollust verschmolzen, mit ihrem R. auf grünem Rasen lag, – im Dufte des fetten, geil aufstrotzenden Grases doppelt die aufstrebende Kraftfülle ihres stürmenden Daphnis empfand und gern noch einmal in süße Verlorenheit sich gewiegt hätte, wäre nicht mitten in der wollüstigen Ergießung ein ungebetner Waller vorübergeeilt, der grausam den hohen Flug ihrer sich eben entledigenden Geilheit in die strotzenden Adern zurücktrieb – dem bestürzten Daphnis lange Kreuzschmerzen und der erschrockenen Chloe zum steten Angedenken – eine ewige Gelbsucht bereitete. Doch diesem warnenden Beispiel zum Hohn und der immer noch einherschwankenden Gelbgestalt zum Trotz wird dieser anmutige, der stillen Liebe so günstige Hain von girrenden Täubchen und krächzenden Stößern besucht, die sich von einem vorübergehenden Hofmann nicht abhalten lassen, ihre ergießende Fülle zu leeren, sondern nirgends mehr als hier das alte Sprichwort wahr machen: daß Borsdorfer Äpfel und Leipziger Mädchen nicht eher rot werden, als bis man sie aufs Stroh (oder ins Gras) legt.

Also auch selbst der Unbefangenste und der, welcher das ächzende Minnespiel im Grase für ein gut Stück herkulischer Arbeit betrachtet, wird, das Natur-Anmutige dieses Spaziergangs an und für sich selbst schon abgerechnet, durchaus keine Langeweile empfinden, wenn ein glücklicher Zufall in diesen Tempel der Wollust ihn führt. Es gewährt allerdings dem Lauscher einen mehr als lüsternen Anblick, wenn hier Kinder der Natur sich in die frühen Urzeiten versetzen, ungezwungen ihren Trieben folgen, durch kein Rauschen fallender Blätter sich unterbrechen, durch kein Räuspern des schadenfrohen Mißgünstigen sich stören lassen, sondern wie im Paradiese ungescheut und ganz sans gêne dem Drange ihrer Herzen folgen, geistlich beginnen, weltlich vollenden und zwei in einem Fleische sind.

Doch eben werde ich gewahr, daß ich von hinten anfange, statt von vorne zu beginnen, schnell kehre ich also zum Saal ins Hauptgebäude der eigentlichen Versammlung zurück.

Nie wird die Funkenburg mehr besucht als in den Sonn- und Wochentagen der Messen, ganz vorzüglich aber an dem jedesmaligen ersten Sonntage derselben. An diesem Tage gehen gewöhnlich nachmittags nach zwei Uhr die zu verkaufenden Pferde unter Anführung und Vorritt eines grünröckigten Spions durch einige Straßen der Stadt; der vornehme wie der gemeine Pöbel zieht ihnen nach oder bleibt einstweilen an den Toren stehen, wo sie vorüberpassieren, und dann strömt der ganze unzählbare Haufe in buntem Gemisch nach dem gewöhnlichen Sammelplatze, der großen Funkenburg, hin.

Du kannst dann hier immer einige tausend Menschen finden, die sich bald setzen, bald sich bloß herumdrehen, einander begaffen, endlich wieder verschwinden und andern, frisch ankommenden Platz machen.

Vor Zeiten, da noch gute Tage waren, speisten hier schon zu Mittage viel Hamburger Kaufleute, machten sich lustig bei vollen Pokalen, extendierten dann oft ihr Wohlbehagen bis zu einem Grad des Unbewußtseins, das den Zuschauern, die nicht an der Quelle dieser Lust mitschöpfen konnten, gleiche und zuweilen noch größere Freude verursachte, und der Wirt sah am Abend des glücklichen Tages alle Flaschen seines konigten schalen. Weines geleert.

Nicht mehr so jetzt, doch immer noch Zuspruch genug. Zwar fällt die Mittagstafel gänzlich hinweg; allein den Abend wird desto toller geschmaust, und noch die späte Nacht verbirgt hier ihre jauchzenden Lieblinge. Die meisten der auswärtigen Kaufleute, vornehmlich die des mittleren Schlags, strömen bald aus dieser, bald aus jener Absicht in Scharen hierher, und die Funkenburg scheint gleichsam das Losungswort zu jedem Meßsonntage geworden zu sein.

Der eine spricht mit dem andern über Handelsangelegenheiten (jetzt bloß noch über schlechte, in Verfall geratene Messen!), ein zweiter schließt mit dem dritten einen Handel ab, ein vierter nimmt Bestellungen an, und ein fünfter macht für die kommende Nacht Spekulationen auf eine gute Wärmflasche.

Doch nirgends läuft man mehr Gefahr, das männliche Geschlecht unter den Legionen fremder und einheimischer Freudenmädchen zu verlieren, als wirklich hier an solchen Tagen. In unübersehbaren Wogen strömt diese Brut, einem reißenden Waldstrome gleich, hierher in ihr Bette, und lockt die Schiffenden mit Sirenengezisch in seine sprudelnden Schlüfte. Die eingewanderten Fremdlinge dieser Sekte, noch unbekannt mit dem Leipziger Wesen und Tun, überlassen einstweilen, an der Hand einer alten Hexe geleitet, den Einsichten dieser Kupplerin ihr Interesse; die alte Megäre bringt ihre Pflegbefohlene an einen gutpostierten Tisch, – geht dann ein liebedurstiger Kämpe vorüber, und die Mama gibt ihr durch einen Seitenstoß oder Händedruck das Signal zur Attacke, so läßt die Dirne auf den aufmerksamen Adonis bestmöglichst ihre buhlerischen Blicke schießen, der Entzückte nähert sich der vielleicht schon halb anbrüchigen Meßdirne mit bloßem Haupt und abgemeßnen Tritt, und einige Stunden darauf zieht im Dunkel des Wäldchens auch der kleine Amor ehrfurchtsvoll sein Mützchen ab und beschließt die Tagesordnung mit – sprudeln. Hat nun die Dirne sich guter, stammhafter Arbeit beflissen, so ist von nun an und die ganze Messe hindurch ihr Vorteil gemacht, ihre Spekulation zu einem förmlichen gangbaren Artikel gediehen, die Kupplerin wird als entbehrlich verabschiedet, und sie besucht von dato an die Funkenburg solo, oder die Arbeiter in ihrem Weinberge nehmen wohl selbst das sichere Geleit über sich und bringen die Schöne an ein bequemliches Sitzchen.

Die einheimischen Freudenmädchen, welche ebenfalls die Messezeit sich ganz besonders hier versammeln, anlangend, so habe ich schon oben etwas von ihnen erwähnt und darf also jetzt nur soviel noch nachholen, daß auch sie die Funkenburg zum Terrain ihrer Operationen erwählen, mit einer außerordentlichen Grazie und einem mehr als gemeinen Glanze hier erscheinen und zu ihren Führern – arme Musensöhne erkiesen, die für eine Flasche Gose, einiges Backwerk, ein Abendessen und einmal Reiten sehr gern das süße Geschäft über sich nehmen, auf die galante Dame teilweise den Schutz zu transferieren, welchen ihre Inskription ihnen gewährt, und als wahre Philosophen gelassen es ansehen, daß ein fremder Handelsdiener erscheint, die Begleitete halb-academica von ihrer Seite reißt, in ein nahes Gebüsch mit ihr verschwindet und dem armseligen Studioso das Nachsehen und höchstens eine frisch angeschrotene Gosenbulle zurückläßt.

Fast sollte man glauben, die Studien müßten durchaus ein so niederes Handwerk verbieten, und die Theologie besonders ist ja als eine fürchterlich strenge Moralistin verschrien; allein was wirst du sagen, lieber Baron, wenn ich dir auf Ehre und guten Namen versichere, daß die meisten der jungen Musensöhne, welche gleichsam zu den elendesten Kupplerchargen sich herabwürdigen, Jünger Christi sind und einst Lehrer des seligmachenden Worts – hohe Priester, Diakoni, Kapellans und Volkslehrer – zu werden gedenken! Die Arbeit, das Scharren, Behacken, Pflügen und Ausputzen im Weinberge Gottes muß doch wirklich ganz erbärmlich bezahlt werden und wenig Kopfzerbrechen und Mühwaltung mehr kosten, wie könnte denn sonst der junge Anflug künftiger Arbeiter in den Tagen des Heils so wenig seine Bestimmung berücksichtigen, und wie wär's möglich, daß Menschen dahin gedungen werden könnten, die nach vollendeten drei Lehrjahren verwilderte Seelen in Ordnung bringen sollen und vielleicht selbst noch nie daran dachten, den Wust auszufegen, der in ihren eigenen Herzen und Köpfen gleich stark und dicht sich krustenmäßig angesammelt hat? Der junge Gesalbte kommt auf ein Dorfpfärrchen, wird Führer zur Seligkeit, und was wissen die einfältigen Bauern davon, daß ihr jetziger Seelenhirte ehedem in Leipzig auf der großen Funkenburg – Schäfchen der feilen Wollust und niedrigsten Unzucht weidete?

Du arme christliche Kirche, wie weltlich werden von Tage zu Tage deine erwählten Söhne! Bald möchte wohl an deinem theologischen Himmel eine totale Sonnenfinsternis ausbrechen, deine Planeten und Fixsterne verschwinden und nur noch zuweilen der matthelle Mond deine Ruinen beleuchten.

Doch hinweg von diesen Lichtern der Welt und wieder zu den versprochenen Schilderungen zurück.

Bisher sprach ich von der Funkenburg lediglich in der Hinsicht, wie sie als ein Ort des Vergnügens für Fremde in den Messen berücksichtiget werden muß; etwas genauere Besichtigung aber verdient sie als ein Platz, wo sich auch außer den Messen viel einheimische Menschen jeder Art divertieren. Als ein solcher nun wird er wohl keinen Tag von Besuchern leer sein, und sooft ich dahin kam, um meine Bemerkungen zu bestätigen oder zu ordnen, fand ich auch Gäste in Fülle. Die Lage des Ortes, die, wie schon oben erwähnt worden, in der Tat sehr angenehm ist und bei keinem der übrigen Leipziger Vergnügungsplätze wohl stattfindet, mehr aber noch mag ein hier gangbares Lieblingsbier die zahlreichen Gäste herbeilocken, die täglich hier zur bestimmten Stunde sich unanimiter einmütig, einstimmig. einfinden. Man nennt diesen gerühmten Labsalstrank gemeinhin Gose, und unter diesem Schild wird auch so manche Flasche Leipziger Breihan eigentl. Breuhahn, eine Art Weißbier. verkauft. Die hiesigen Ärzte haben sich bald die Gurgeln heiser geschrien, um dies Getränk totaliter von Leipziger Schanktischen zu verbannen, so gefährlich, so nachteilig für die Gesundheit und so äußerst schädlich soll es nach ihrem Urteile sein. Allein, haben entweder die Leipziger Ärzte Kredit und Autorität schon gänzlich verscherzt, so daß es bedenklich wird, ihren Untersuchungen und den daraus hergeleiteten Resultaten fidem pastoralem zu schenken, oder hat wirklich dies Bier einen zu anziehenden Reiz, um ihm widerstehen zu können: kurz, man wallfahrtet nach den Orten, wo es geschenkt wird (wär's auch Stunden weit), ärger als die frommen Beter jetzt nach Loreto, und viele dieser Pilger haben sich sogar in dem Genusse desselben bis zu einer so hohen Begeisterung und Stärke emporgeschwungen, daß man sie per jocum auf scherzhafte Weise. Gosenbrüder nennt und aus mehr denn einem Grunde mit Recht so nennen darf, da viele derselben sogar ein eignes Studium daraus machen, eine ungewöhnlichere Kenntnis in den Eigenheiten und Beschaffenheit dieser Himmelsgabe zu erlangen, und mit allem Eifer an der bestmöglichsten Ausweitung ihrer Gurgeln arbeiten, um sie bis zu dem Grade der Empfängnis und Nachgiebigkeit auszuspülen, der gelassen einen täglichen Einguß von drei Gosenhumpen erträgt und dieses Einschütten wohl gar endlich zu einem so unentbehrlichen Erfordernis macht, daß nur Not und Elend erst imstande sind, sie wieder zu den reinen Quellen der Natur zurückzuführen, die nicht nach Kannen gemessen und um Sündengeld erkauft werden müssen, sondern die für jeden fließen, jeden gleich stärken und erquicken und oft wohl den Magen desjenigen wieder ins Gleis bringen, der sich ihn durch Gosenschwelgen so fürchterlich zerrüttete. Man kann hierüber nachlesen: Lunitzens Gosenessenz als das probateste Mittel, schlechte Advokaten zu machen. Dresden, 1799, in der Verlagshandlung, in 4 to.

Und glaubst du nicht, lieber Baron, daß in diesem Leckerbiere so mancher schon sich bettelarm soff?

Und gerade dies Labsal ist auch auf der Funkenburg gangbar, dabei aber zugleich mit dem richtigen Zusatze, daß nirgends stärker, ärger und häufiger darin gewütet wird als hier und daß ebendaher kein Platz von jener schon mehr dazu geeignet schien, den Ruin und das Elend so manches sonst guten Mannes zu vollenden, als eben der vorliegende.

Mit Szenen der traurigen Vergangenheit mag hier meine Feder sich durchaus nicht befassen, ich will lieber dafür desto unparteiischer in die Gegenwart eindringen, und dies um so mehr, da sie mir hinreichenden Stoff liefert, Betrachtungen in Menge zu machen.

Ich habe es mir nun einmal zum unverrückten Ziele gesetzt, nicht nur jeden öffentlichen Ort nach seinen Eigentümlichkeiten genau zu sondieren, sondern auch, wo es tunlich ist, selbst die Gesellschaft ein wenig zu mustern, die sich daselbst einfindet und wie Vögel auf gewohnte Bäume hierher ihre Sedes consuetas Stammsitze. verlegt hat. Ich laufe dabei um so weniger Gefahr, schief zu urteilen und parteiisch zu schildern, da ich immer nur eine und dieselbe Menschenklasse vor mir habe, welche zum Beispiel die Funkenburg nun einmal als ein Plätzchen betrachtet, wo man unter gleichvereinigten Brüdern seine Nacktheit und Blöße bis aufs Hemde sehen lassen könne und dem stillen Beobachter daher freien Spielraum läßt, nach Belieben Reflektionen zu machen. Unter dieser zuverlässigen Voraussetzung habe ich mich denn eine geraume Zeit mit meiner treuen Schreibetafel hieher begeben, fand mich nie in meinen Erwartungen getäuscht und kam immer, wie ein Trüffelhund von Visitator, mit bereicherter Tasche nach Hause. Doch muß ich leider schon im voraus gestehen, daß alle die nun folgenden gallenbittern Wahrheiten, die ich ausgespürt habe und worüber wir im Leugnungsfall den Angeschuldigten in optima forma den Eid deferieren zuschieben. wollen, meistens auf den Schmerbauch und das Haupt Herrn Müllers (Wirt) und seiner holden Gattin fallen, die wenigen übrigen Schattengemälde aber, wozu die Pinselstriche aus der sich hier versammelnden Gesellschaft genommen sind, um so weniger auffallend und befremdend sein können, je gewöhnlicher es ist, daß sich unter einer zahlreichen Herde nicht lauter makellose, sondern auch einige räudige Schafe befinden. Diese wenigen nun aber eine scharfe Revue passieren zu lassen ist Pflicht für mich; ich werde sie daher unverzüglich der Reihe nach mustern und gleich beim Eingange am Tische rechter Hand anfangen, den man abusive widerrechtlich, sprachwidrig. den Herrentisch nennt und an welchen sich stets ein wahres Quodlibet von Menschen hinpflanzt, die so gern den Unwert, an dem sie laborieren, in Wert verwandeln möchten, sich daher hinter das Panier einiger Angesehenen an diesem Tische verstecken und so, vom Glanze dieser wenigen mitumstrahlt, eine Art von Noblesse formieren.

Hierher rechne ich nun vor allen anderen den Ring- und Kettenmacher Liebeskind, einen Generalschwadroneur ohne Kopf und Sinn. Sein Verstand gleicht dem Prinzmetall; kühn und frech tritt es an die Seite des edleren Silbers und brüstet sich bei allem Unwert keck unter jenem; allein der Kenner kommt, vermißt die Probe und wirft es unter die falsche Münze und Schlacken. So gleicht der Schimmer in seinem ganzen Wesen böhmischen Diamanten, die wohl auch zuweilen, wie einst Herr Liebeskind die Probe machte, für echte passieren, allein dem Kenner durch ihr groteskes Prahlen gleichfalls verdächtig werden und bei aller Brillantierung dennoch zuletzt, mit Bedauern ob der an ihnen verschwendeten Mühe und Verachtung gebrandmarkt wie so vieles, dem guten Glück sich überlassen sehen, das ja mit Prahlern und Dummköpfen ohne Verdienst oft so wunderlich spielt, wie jetzt schon die Figur zeigt. Doch Vergleichungen solcher Art sind für diesen Mann immer noch viel zu erhaben, und er würde sich bei Lesung dieses ganz gewaltig brüsten, mit so edlen Erzeugnissen der Natur in Parallele gesetzt worden zu sein, ich will ihn also noch kürzlich – denn was soll ich mich lange bei einem so elenden Stümper aufhalten – durch Lavaters Physiognomie beurteilen lassen.

»Wäre sein Kopf«, sagt Lavater, »nur um einen Daumen breit höher, so würde ich den Philosophen beitreten, die im Schädel den Sitz der Seele suchen; allein hier trage ich Bedenken, selbst das Gehirn entdecken zu können, das man doch gewöhnlich nach den obern Teilen der festen Schale bringt. Ich weiß nicht, mir scheint die Stirn viel zu weit vorwärts zu gehen, und die Tollader ist ebenfalls zu dick und gespannt, wohl mag also das bißchen Gehirn, in einem kleinen Säckchen verwahrt, an den innern Stirnriemen hangen. Drum würde ich diesem Manne wohlmeinend anempfehlen, besonders des Abends (?) etwas langsamer und bedächtiger zu schreiten – bei einem Sturze würde sonst der Beutel gequetscht, das Gehirn in eine andere Richtung versetzt werden und eine böse Krisis für den Verstand eintreten. – Die Augenbrauen sind zu verzogen und deuten auf dunkle Ideen und Sturm. – Die Augen selbst sprühen ganz unleugbar Hinterlist und Tücke, so wie das Weiße darin Nebel und zuweilen Sturm mit Schloßen markiert. – Die Nase muß gute Luftlöcher haben, und dann faucht stets darin ein egoistisches Schnauben. – Die Grübchen in der rechten Wange zeigen viel Belesenheit in alten Kirchenvätern an, so wie das linke Ohrläppchen auf einen perfekten chymischen Schmelztiegel und eine unvergleichlich gute Schleifmühle für unechte Steine hinweist. – Die Furche in der Oberlippe scheint mir eine Brühpfanne des Verstandes zu sein; sie wogt in ewiger Unruhe, die untere Lippe muß nachfolgen, um Materialien unterzuschieben, und nun fangen die durcheinandergeschmissenen Ideen an, polternd zu sieden. – Der Mund im ganzen genommen verspricht überdem noch viel unreifes Raisonnement und mokantes Tadeln, so wie das etwas starke Kinn viel Unduldsamkeit verrät, zugleich aber auch ganz auffallend für Toleranz in Betreff männlicher Untreue spricht.«

Und nie traf wohl Lavaters Urteil genauer mit der Wirklichkeit überein als in vorliegendem Falle, und die, welche Herrn Liebeskind näher kennen, werden ihm und mir von Herzen beistimmen.

Diesem Ehrenmanne gegenüber sitzt in vollem Gefühle seines Berufs der Billetteur Schlüssel und spioniert auf verdächtige Reden, die dann durch Silbergeld wieder unverdächtig gemacht werden müssen, wenn sie nicht nächsten Tages mit gravierender Übertreibung protokolliert werden sollen. Man duldet ihn, weil er gefährlich werden kann, und keiner wagt es, den ersten Stein auf diesen Judas zu werfen.

An seiner himmelblauen Seite paradiert mit gräßlichem Geschrei Herr Advokat Bernig. Wenn es wahr ist, daß aus verdorbenen Theologen gute Juristen werden sollen, so kann ich bei diesem Manne nur insoweit jenem angenommenen Grundsatze beitreten, inwiefern er beim Umsatteln seinem dogmatischen Ketzergeschrei immer noch treu geblieben und den theologischen Schmälfungus in einen juristischen Marktschreier verhandelt hat. Um sich von der Gewißheit dieser Behauptung genauer zu überzeugen, darf man nur zur eilften Vormittagsstunde den Saal der Signoria betreten, wo man gewiß schon auf den ersten Stufen mitten durch das dumpfe Gemurmel der versammelten Menge hindurch Bernigs lautkreischende Stimme vernehmen wird. Der gemeine Pöbel steht in dem Wahne: wer recht schreit, ist seiner Sache gewiß. Bernig weiß dies Vorurteil echt theologisch zu benutzen, schreit und streitet auf seine Kollegen los mit Händen und Füßen, bis er heiser wird, die Einfalt staunt und – nennt ihn einen unüberwindlichen Verfechter menschlicher Rechte. Kaum weiß er sich daher vor dem Zulauf des niedern Haufens zu schützen, streicht schmunzelnd seine Liquidationen ein und lacht über die Torheit der betrogenen Klienten. Die Welt will es nun einmal so haben, und um bei ganz mittelmäßigen oder gar keinen Kenntnissen nicht zu verhungern, wird, wie billig, das rechtliche Gefühl an den Nagel gehängt. Übrigens ist die Lärmposaune diesem ehrlichen Manne schon so zur Gewohnheit oder Bedürfnis geworden, daß er damit auch unter zivilisierteren Menschen erscheint und sie selbst da nicht zu Hause läßt, wenn er auf der Funkenburg am Herrentisch die Zahl der närrischen Gäste vermehrt. Gelehrten ist gut predigen, sagt man; und unter Dummköpfen läßt sich's gut streiten. So hier. Bei Bernigs Erscheinen formiert sich sogleich ein wahres Femgericht: Liebeskind spielt den Kläger, Schlüssel sitzt da in Form des Beklagten, demütig einem armen Sünder gleich, und Bernig agiert den Defensor. Verteidiger. Nun solltest du deine wahre Lust sehen, lieber Baron, wie Bernig, einem Inspirierten nicht unähnlich, die Augen verdreht, mit dem Kopfe, einem Entensteiß gleich, wackelt, mit einem so erbärmlichen Zetergeschrei auf Klägern losstürmt und so feurig Beklagtens Unschuld und Gerechtsame in Schutz nimmt, daß den nebenansitzenden und herbeigekommenen Zuhörern ganz angst und bange wird und der nicht Unterrichtete wohl glauben könnte, es sei hier ein zweiter Pariser Konvent. Bernigs Klient wird in Mangel mehrerern Verdachts wie billig absolviert, und der Defensor verläßt nach acht Uhr unter lautem Beifallsjauchzen den Saal.

In vollem Vertrauen, daß Gott seiner Familie einst noch großes Heil werde widerfahren lassen, erscheint hier ebenfalls der kupferigte Torschreiber Retzsch und nimmt Gratulationen zu künftigen Gnadenerweisungen an. Als Leipziger Torschreiber soll man, wie vorwitzige Klügler behaupten, eine recht gute Nummer haben, und hier wenigstens legt sich die Richtigkeit jener Behauptung sehr sichtlich zu Tage. Retzsch hat eine zahlreiche Familie (meistens besteht sie aus Mädchen), allein betrachte diese und gehe noch weiter in das Innere seiner häuslichen Wirtschaft, so wirst du keinen Torschreiber, sondern einen kaufmännischen Luxus gewahr werden. Die Töchter wandeln in gräflichem Glanze auf Promenaden und öffentlichen Orten umher, und fast sollte man an diesem Schimmer zum Zweifler werden, daß die väterlichen Sportelpfennige ihn hervorbringen könnten – so auffallend und prunkvoll ist er. Der stille Beobachter ist daher von obiger Behauptung ab- und zu einer anderen Quelle übergegangen, aus der die Bestreitung jenes verschwenderischen Aufwandes wohl weit natürlicher herzuleiten sein mag. Eine Retzische Tochter nämlich, weiland sehr angenehm und niedlich, hatte das eben nicht seltene Glück, dem Sohne eines hiesigen sehr reichen Mannes zu gefallen, aber auch das noch weit seltenere – treu von ihm geliebt zu werden. Der Vater des jungen Menschen erfuhr nicht so bald dies sein Ansehn entehrende Bündnis, als er auch sogleich dem Vater des Mädchens ernstlich und drohend gebot, dies Verständnis durch sein Machtwort zu trennen, und seinem eigenen Sohne wohlmeinend anriet, dieser elenden Grille, bei Verlust seiner Huld, sich sogleich zu entschlagen. Allein beide fühlten wenig Beruf, diese Warnungen zu Herzen zu nehmen; ersterer aus Interesse und letzter aus zärtlicher Liebe. Dem ehrwürdigen Vater zum Trotz geht nun schon seit einigen Jahren der junge unbesonnene Mann, seine Torschreiber-Schöne am Arm, auf allen Alleen umher, ist selig in ihrem Besitz, gibt für einen zärtlichen Blick, was die Lose verlangt, läßt Nähtischchen für zwanzig Louisdor seinem entzückten Liebchen ins Haus schaffen und borgt, wo nur zu borgen ist, auf das längstgewünschte Ende des reichen Vaters. Doch zeitig genug werden dem Betrogenen die blöden Augen sich öffnen; das stolze Tormädchen liebt jetzt schon in ihm nur den künftigen Besitzer eines großen Vermögens, und nur ein wenig Geduld: wird die Schöne durch deine Einfalt erst unter die Haube gebracht sein, oh, dann sorge wahrlich nicht für Hörner, guter Doktor! Doch nemo omnibus horis sapit, niemand weiß zu allen Stunden. und Apel singt: in me tota ruit Venus, die ganze Liebe ist in mir zusammengebrochen. daher ziehen sich redliche Freunde bedächtig zurück und überlassen den Verblendeten seinem Schicksale; und sosehr auch immer sein wirklich gutes Herz gute Tage verdient, so viele traurige Stunden, furcht ich, können ihm dennoch einst werden!

Vor allen andern aber gewährt Herr D. Ecks (Ex) vermöge des ihm anklebenden Prädikats eines Doktors der Rechte und der ihm anhangenden unbeschreiblich dicken Backen dieser nobeln Trinkgesellschaft noch einiges Ansehn. Mögen es Institutionen oder Pandekten sein, welche nach diesem Teil des obern Körpers (denn der untere ist verflucht dürre!) ihren Zug genommen haben, so ergibt sich, daß sie bei aller ihnen sonst eigentümlichen Trockenheit ihre Verehrer dennoch zuweilen recht gut zu nähren verstehen. Allein so ganz mag die Gosenessenz wohl auch nicht als ein Hilfsmittel obbemeldeter Gesichtsstärke verworfen werden können, und die Funkenburger Winterschmäuse, wobei Herr D. Ex zu des Wirts inniger Freude stets meisterhaft den Werber und Invitator agiert, für seine Mühwaltung aber wie billig cum uxore deformi mit unförmiger Ehefrau. frei ausgeht, müssen ebenfalls als schätzbare Beiträge gerühmter Backenbereicherung angesehen und publice empfohlen werden!

In voller Schneiderpracht präsentiert sich noch an dieser Tafel das possierlichste Männchen unter der Sonne – Herr Larmé. Einige adelige Ideen, die ihn einst auch wohl verleiten mochten, Equipage zu halten, und dann das unaufhörliche Beifallslächeln abgerechnet, womit das Schneiderlein jeden winzigen Einfall beehrt, scheint er mir am ganzen Tische noch einer der Vernünftigsten zu sein, und Herr Müller würde ihn um alles in der Welt nicht gerne missen wollen, denn seine Magenphilosophie ist unstreitig die, welche dienstfertige Wirte jedem ihrer Gäste wünschen.

Hast du nun an den Schilderungen der ersten Tafel genug, oder soll ich in meinen Gemälden fortfahren? Vollendet sind sie nur erst zur Hälfte, und ich werde wohl noch einen ebenso langen Brief damit ausfüllen müssen, wenn du alle die närrischen Dinge ersehen willst, welche hier dem beobachtenden Auge sich darbieten. Doch jetzt schließe ich und erwarte deine weitern Wünsche.

v. N. N.


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