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Zweites Buch.
Stud. iur. et cam.

»Als die Nacht war hingezogen,
Stand des Morgensternes Fackel
An dem stillen Horizonte,
Wie ein Irrlicht aus dem Grabe.«

Clemens Brentano.


Erstes Kapitel.
Der Baron wider Willen

Etwa fünf Minuten vor dem Einlaufen des Basler Schnellzuges spazierte ein junger Corpsstudent unruhig den Perron des Main-Neckar-Bahnhofs zu Heidelberg auf und ab. Er trug auf dem sorgfältig frisirten Kopfe den weißen Stürmer der Vangionen und unter dem eleganten Sommeranzuge das Burschenband seines Corps. Eine schön gebaute Ulmer Dogge führte er an kurzer Lederkoppel mit sich. Von Zeit zu Zeit schaute der stattliche junge Mann auf das Zifferblatt der Bahnhofsuhr und verglich dann die Minuten mit denen seines goldenen Chronometers. Auf seinem Antlitze lag ein Ausdruck seltsamer Schwermuth, der auffallend mit den schneidig geschwungenen Spitzen seines blonden Schnurrbartes contrastirte. Üeberhaupt blickten die tiefliegenden Augen des Studenten melancholisch-blasirt in die Welt, während der Mund und der untere Theil des Kopfes unläugbar den Skeptiker verriethen. Die Dogge sah genau so geschniegelt und gestriegelt aus wie ihr Herr, schaute aber auch gerade so müde auf die Leute, welche ihr in den Weg liefen, wie der junge Vangione.

Der Zug verspätete sich um 15 Minuten. Als ein Bahnbeamter die Notiz aus einem schwarzen Brette ankreidete, sagte der Student zu seiner Dogge: »Ist auch egal, Buddha, dann brauchen wir nicht zu der langweiligen Bowle von Fritz Grambkowitz. Die Erdbeeren sind doch schon strohern und der Wein auf der Molkenkur ist mehrschtendeels mieß wie Essig.«

Der Ulmer mit dem sonderbaren Namen gähnte, wie um seine Zustimmung zu geben. Zwei Saxoborussen begegneten dem Vangionen, und die Herren grüßten einander mit jener chinesischen Etikette, welche bei jedem, der dem Corpscomment ferner steht, die Annahme erwecken muß, es handle sich um eine Ceremonie von weitesttragender diplomatischer Bedeutung.

Nachdem der Reichsfreiherr Botho von Kieselwetter mit seinem Leibburschen Elimar von Protznich passirt war, hatte der Schneider des Vangionen, Herr Stichele, den Vorzug, seinen Kunden durch eine devote Entblößung des grauen Hauptes grüßen zu dürfen, was von dem Herrn Corpsstudenten durch ein gnädiges Herabsenken der Augenlider erwidert wurde. Buddha gähnte bei dem Anblick Herrn Sticheles zum zweitenmal, während er sich nach den zwei Saxoborussen mit dem feinen Instincte der Unterscheidung der Geister doch wenigstens in einem halben rechten Winkel umgeschaut hatte.

Endlich wurde das Signal gegeben. Der mit zwei Locomotiven bespannte Schnellzug rollte in den Bahnhof ein, und wenige Secunden später sah der Student einen ältern Herrn aus einem Coupéfenster erster Klasse winken. Buddha rannte einige Proletarierkinder um und langte dann glücklich mit seinem Herrn vor dem betreffenden Waggon an.

»Grüß Gott, Theo! Wie geht's? Tausend, haben Sie aber 'nen Renommirschmiß!«

»Vor vierzehn Tagen in der Hirschgasse gekriegt. Wie geht's, Doctor? – So, kommen Sie! Geben Sie Ihre Bagage und den Gepäckschein nur dem Fax; er besorgt alles in den ›Prinzen Karl‹.«

Erst jetzt machte sich »Fax«, der Corpsdiener, bemerkbar.

»Hier, Fax, nehmen Sie 'ne Kutsche und besorgen Sie die Sachen vom Herrn Doctor. Das Zimmer haben Sie doch bestellt?«

»Jawohl, Herr Göh … Herr Baron!«

Damit sprang er fort. Der Doctor fragte, indem er seinen Arm unter den Theos schob: »Ist das hier auch wie in Oesterreich, wo einen jeder Fiaker baronisirt?«

Erröthend versetzte Theo: »Doch nicht! Seit vierzehn Tagen bin ich wirklich Baron.«

»Aber Theo, ist das Ihr Spitzname?«

»Mein Ernst. Ich hab' Ihnen nichts davon nach Italien geschrieben. Ja, Papa ist seit zwei Wochen reußischer Freiherr.«

»Sie scherzen, Theo!«

»Leider ist die dumme Geschichte wahr. Ach, es ist ein elender Mumpitz! Seitdem Papa von dem alten Brewer das Rittergut Bernsloh erworben hat, ruhte er nicht, bis er einen Adelsbrief bekam. Er hat eine Summe zu ich weiß nicht welchem Zweck hergegeben, und nun sind wir Barone durch die Gnade von Reuß älterer Linie. Ja, lachen Sie nur frisch heraus, lieber Doctor! Ich habe mich schon über den ›alten Freiherrn von Göhring‹ nach Noten gefuchst …«

»Nun, zum Aergern ist da eigentlich kein Grund.«

»Nicht? Wie die Geschichte hier bekannt wurde, gratulirte mir einer von den Guestfalen mit den Worten: Beim Baron fängt der Mensch erst an.«

»Haha!«

»Ich gab ihm natürlich die passende Antwort, daß ich mich schon zwanzig Jahre als Mensch betrachtet hätte …«

»Sehr gut, Theo – oder besser: lieber Baron!«

»Fangen Sie die Witze nicht auch noch an! Kurz und gut, es kam zu einer Forderung. Das Resultat ist meine Tiefquartabfuhr. Blaues Blut ist aber noch nicht geflossen, dessen versichere ich Sie.«

»Sie haben wenigstens Galgenhumor.«

»Wissen Sie, was mein Onkel, der Senator Göhring, zu der Geschichte sagte?«

»Na?«

»Die Directorin, meine Schwägerin, sagte er, hatte immer einen Nagel; jetzt hat sie sieben Zacken.«

»Nicht sehr galant.«

»Aber den Nagel aus den Kopf getroffen. Uebrigens, da ist mein Wagen.«

Innerlich über die Maßen belustigt, folgte Dr. von Sechow dem Baron wider Willen zu dem Fiaker. Als sie saßen, rief Theo die Dogge: »Komm, Buddha! Hopp! Du bist heute genug gelaufen. Da, leg dich!«

»Wie nennen Sie Ihren Hund?«

»Buddha.«

»Wie kommen Sie denn auf die Idee?«

»Er soll mich an das Nirwana, meine einzige Hoffnung, erinnern.«

»Aber Theo! Selbst als Heidelberger Corpsier sind Sie noch melancholisch?«

»O mehr denn je, Doctor! Und ich freue mich, daß ich Sie jetzt hier habe. Ihr Telegramm aus Mailand war eine Wohlthat, eine Erlösung für mich …«

»Sehr geschmeichelt, Herr Baron!«

»Bitte, lieber Doctor, seien Sie wenigstens natürlich und aufrichtig mit mir. Wenn Sie wüßten, wie mir in diesem Leben, das ich gegen meinen Willen mitmachen muß, zu Muthe ist, wenn Sie eine Ahnung hätten, wie ich mich selber verachte …«

»Nun, alter Freund,« sagte Sechow milde, indem er Theo die Hand drückte, »ich habe immer ein theilnehmendes Herz für Sie. Doch lassen wir diese Erörterungen, bis wir allein auf Ihrer Bude sind. Hier im Wagen erklären Sie mir lieber die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Aber noch eins zuerst: Sie sagten, Ihr Papa hätte Bernsloh gekauft?«

»Ja, schon letzten Sommer.«

»Das gehörte doch, wenn ich mich recht erinnere, dem alten Brewer.«

»Gewiß. Sie wissen aber zweifelsohne, daß Brewers vollständig ruinirt sind …«

»Ruinirt? Wie? Dieses alte, solide Handelshaus?«

»Der Schlag kam für Uneingeweihte ganz plötzlich. Das Fallissement von Waring Bros. in London und Cachenez Fils in Havre riß Brewers mit. Es scheint, daß Albrecht Brewer zu stolz war, sich zu rechter Zeit seinen Hamburger Freunden anzuvertrauen. Ich hörte, daß trotz des enormen Deficits von mehreren Millionen die Möglichkeit vorhanden war, das Haus zu halten; aber wie man von der Sache hörte, war auch schon der Krach vor der Thüre. Brewer verkaufte zuerst seine Stadtwohnung, ein halbes Jahr darauf sein holsteinsches Besitzthum Bernsloh. Er selbst soll mit seiner alten Schwester Klothilde irgendwo am Genfer See leben – in Montreux oder Vevey, ich weiß es nicht genau.«

»Die Nachricht interessirt mich, überrascht mich aufs höchste, Theo. Sie erinnern sich, daß ich Ihnen auf Helgoland einst von einer gewissen Georgine erzählte …«

»Gewiß, sie ist die geschiedene Gattin Albrecht Brewers.«

»Wissen Sie vielleicht, wo Georgine lebt?«

»Nein. Doch warten Sie – vor einiger Zeit hörte ich, sie lebe in Paris. Aber Genaueres weiß ich nicht. Georg Brewer hat sich mit meiner Cousine Olga, der Tochter des Senators, verlobt – obwohl seine Mutter anfänglich dagegen war. Wo Paul ist, weiß ich nicht. Wir verkehren mit Brewers kaum –«

»Während ich in Aegypten, Palästina, Hellas und Italien herumstreifte, hat sich manches ereignet, Theo. Ich habe Sie noch vieles zu fragen, aber wie gesagt – nicht hier im Wagen. Sie grüßen übrigens in einem fort, Theo, ich werde Ihnen meine Hutmacher-Rechnung schicken.«

Das sind alles Herren vom Corps. Wir grüßen uns – oder unsere Farben, wenn Sie wollen –, wo wir uns begegnen.«

»Wie stark ist Ihre Bangionia in diesem Semester?«

»Fünfzehn Burschen und zwölf Füchse.«

»Ein ziemlich stattlicher Fuchsenstall, scheint mir.«

»Fuchsenstall! Kennen Sie diesen elenden Ausdruck auch! Ach, der ganze Mumpitz hängt mir zum Halse heraus. Heute Abend führe ich Sie, wenn Sie wollen, auf die Kneipe – ich kann dann mit meinem weitgereisten Freunde renommiren, und Sie können sich den systematischen Stumpfsinn ansehen und mir nachher recht geben, daß das ganze Corpsleben ein ekelhafter Firlefanz ist. Vermuthlich wird man sich einigermaßen nobel benehmen, wenigstens anfänglich. Wenn Gambrinus die Kerle aber erst unter seiner Fuchtel hat, ist mein Buddha wahrhaftig ein noblerer Kumpan als meine herzigen Corpsbrüder – einige weiße Krähen natürlich abgerechnet.«

»Sie eröffnen mir da ja interessante Aussichten.«

»Und wenn Sie ein vollkommenes Kamel kennen lernen wollen, rathe ich Ihnen, sich mit unserem Fuchsmajor anzufreunden. Das Exemplar von einem burschikos-albernen, eingebildeten und dummstolzen Vangionen fin de siècle nennt sich Graf Anatol Strelnikoff, stammt aus Riga und ist der natürliche Sohn eines russischen Großfürsten. Darauf thut sich der Graf sogar noch etwas zu gute und hält sich für besser als Leute, deren Eltern christlich miteinander verheiratet waren. Eine Elzevirausgabe von fashionabler Lebensweisheit, in Kalbleder gebunden, ist auch unser erster Chargirter, ein Herr von Biegerecken genannt von Streckfues aus Thorn. Seiner vollkommen würdig ist der zweite Chargirte …«

»Sie scheinen in der That mit Leib und Seele an Ihren Corpsbrüdern zu hängen. Warum sind Sie denn eingetreten, wenn Sie so wenig für die Herren übrig haben?«

»Wie das so geht. Ich wurde colossal gekeilt, überall eingeladen und eingeseift – fühlte mich in den ersten Wochen auch sehr einsam und folgte schließlich einem Wunsche Papas, der sich von den ›Konnexionen‹ viel für später zu versprechen scheint. Freilich, erst als ich einige Wochen in der Vangionia vegetirt hatte, wurde ich gewahr, daß mein großer Wechsel das Interesse der Herren für mich wachgerufen hatte. Es waren einige hohe Herren von Habenichts unter den Corpsbrüdern, und um diese durch die verschiedenen Champagnerfrühstücke und nächtlichen Schlemmereien durchschleppen zu können, nahm man mit dem bürgerlichen Hamburger vorlieb. Mein Leibbursch war so ein verblichener Magnat. Ich mußte ihn neu vergolden. Allerdings konnte ich mir den Kerl ja selbst aussuchen, und er schien mir ein ganz vernünftiger, liebenswürdiger Kauz zu sein. Natürlich warb der Pfiffikus auch um meine Huld, und von dem bezechten Momente an, wo ich ihn zu meinem Leibburschen erkor, wurde ich sein Großalmosenier.«

»Sie reden wie ein Buch, Theo. Sagen Sie mal: dichten Sie auch noch?«

»Alle Romantik ist mir in die Binsen gegangen. Ein Misanthrop wie ich pflegt den Musen und Grazien nicht den Hof zu machen.«

»Das scheint so …«

»Und was wollen Sie, Doctor! – ruhig, Buddha! – was können Sie überhaupt von einem Menschen verlangen, dessen geistiger Speisezettel folgende Unverdaulichkeiten enthält: Katerfrühstück; dann einstündiger Besuch von zwei oder mehr Corpsbrüdern behufs Entleerung von Cognacflaschen und Cigarrenkisten; dann eine halbe Stunde beim Coiffeur; folgt: Frühschoppen oder Metzelei in der Hirschgasse – Bummel durch die Hauptstraße – dyspeptisches Mittagsmahl – Kaffee mit Benediktiner, Chartreuse und Cognac – Skat mit ditto – Fechtboden oder Reitschule – Renommirbummel zu Fuß, Wagen oder Roß – wieder irgend ein Schoppen oder Exkneipe – Abendessen – Kneipe oder Theater oder Tingel-Tangel …«

»Hören Sie auf, Theo! …«

»Zur Abwechslung höchstens mal zur Oper nach Mannheim oder ins Darmstädter Theater oder …«

»Sie erzählen ja gar nichts vom Colleg, Freund.«

»Die barbarische Idee, absolut ins Colleg gehen zu wollen, hat mir Hunderte an Strafgeldern gekostet. Ich versäumte so viele officielle, officiöse und halbofficielle Convente, Kneipen und andere Gelegenheiten, daß mir die Geschichte zu toll wurde. Daher hängte ich das Jus an den Nagel, freilich mit dem festen Vorsatz, nach diesem Semester nich mehr nach Heidelberg zurückzukehren. Ich verkomme hier physisch und geistig, obwohl ich gar nicht einmal die wüstesten nächtlichen Excesse meiner Corpsbrüder mitmache.«

»Haben Sie denn keinen intimern, gleichgesinnten Freund hier?«

»Keinen.«

»Wirklich keine Ihnen zusagende Bekanntschaft gemacht?«

»Im Anfang, ehe ich Vangione wurde, lernte ich einen liebenswürdigen italienischen Maler kennen, mit dem ich Spaziergänge durch den Odenwald und das Neckarthal machte. Aber als Corpsier mußte ich mit Herrn Mallatini brechen, er war zu wenig nobel, und außerdem verstanden wir uns in manchen Punkten nicht recht, denn er war enragirter Katholik. Sonst ein netter Mensch. Er erinnerte mich ein wenig an meinen armen Hans.«

»Theo, Hans' Geschichte müssen Sie mir noch genau berichten. In Ihren spärlichen Briefen waren Sie sehr wortkarg über den Fall.«

Der Student versetzte traurig: »Wenn ich die Kraft dazu finde, Doctor. Diese Wunde wird niemals heilen.«

»Ich will Sie jetzt nicht weiter fragen, wählen Sie selbst die geeignete Stunde, Theo. Sie wissen, daß der Doctor Lexikon für manches Leiden ein Pflästerchen oder Tränklein kennt. Oder ist es nicht so?«

»Haben Sie auch ein Gegengift gegen den Ekel an der Welt? gegen die Verachtung seiner selbst?« erwiderte Theo bitter.

»Kommt Zeit, kommt Rath.«

Als die Droschke vor dem »Hotel zum Prinzen Karl« vorfuhr, sprang der allzeit dienstbereite »Fax« schon herbei um die Herren zu empfangen. Für den Doctor waren zwei helle Zimmer mit Aussicht auf den Karlsplatz reservirt.

»Das ist prächtig,« rief Sechow, als er sich in seinem Logis umsah, »da habe ich ja einen Theil des berühmten Schlosses vor mir. Es ist gut, daß ich zwei Räume habe, ich brauche nämlich viel Platz für meinen Zimmerruderapparat.«

»Was ist denn das für ein Institut?«

»Sie werden es morgen aufgestellt sehen. Ich habe letzten Herbst einen Apparat erfunden, mit welchem Sie im Zimmer rudern und jene Muskeln üben können, die etwa bei einer Bootregatta in Anwendung kommen. Die Idee an sich ist nicht neu, sie war in Amerika schon vor circa zehn Jahren verwirklicht. Ich benutze indessen 1. wirklich Wasser, das in einen künstlichen Lederteich gefüllt wird, und 2. kann ich den ganzen Apparat, welcher beim Gebrauche den Boden eines großen Zimmers vollständig einnimmt, für die Reise in einen mäßigen Handkoffer zusammenpacken. Als Material ist nur Leder, Gummi und Segeltuch verwendet. Uebrigens habe ich das Deutsche Reichspatent für meine Erfindung erworben.«

»Alles mögliche! Der Apparat wäre gut zum Renommiren auf unserer Kneipe.«

»Meinen Sie? Aber Mensch, Freund, Theo! Wie sehen Sie denn aus? Jetzt bemerke ich das erst! Sie sind doch nicht schon leberleidend?«

»Körperlich fühle ich mich ziemlich gesund und kräftig – so, sehe ich schlecht aus? Das muß wohl die Galle sein. Na, Doctor, machen Sie jetzt Toilette; dann speisen wir miteinander und sprechen uns nachher auf meiner Bude aus.«

»Recht so. Nur ersuchen Sie gefälligst Ihren Buddha, sich nicht aus mein Reiseplaid zu legen und dort sein Nachmittags-Nirwana abzuhalten.«

»Sie spotten immer, Doctor. Komm, Buddha! Willst du wohl? Hierher, in diese Ecke! So, leg dich!«

»Ich danke Ihnen, Theo. Zur Belohnung dafür, daß Sie Ihren Buddha von meinem kostbaren Vicuñaplaid entfernt haben, erlaube ich mir, Ihnen eine Copie von meinem »Photographischen Reisebegleiter durch Palästina und Aegypten« zu dediciren. Ich habe ganz neue Originalaufnahmen gemacht, die Sie nirgends im Buchhandel finden. Hier – ein Exemplar liegt obenauf in meinem Koffer. Sie können sich die Geschichte nachher angucken, dann erkläre ich Ihnen die Bilder. Es ist nur eine Kleinigkeit – Sie mögen sich unter meinen Mosaiken und den türkischen Raritäten noch ein paar Stücke aussuchen – aber morgen; heute will ich nicht erst auskramen. Ich habe unterwegs oft an Sie gedacht … Aber was haben Sie denn? Sie werden doch nicht gerührt, Sie forscher Vangione?«

»Doctor! es gab eine Zeit, da packte auch ich meinen Koffer aus und hatte allerlei Ueberraschungen für einen lieben Freund darin. Es war die seligste, schönste Zeit meines Lebens, als ich für jemand zu sorgen hatte … Sie verstehen das, Doctor; aber ach – jetzt liegt das alles weit, weit hinter mir! Der romantische Märchentraum ist verflogen, und ich bin namenlos einsam, unglücklich, ja zum Sterben unglücklich.«

Der junge Mann hatte sich in einen Sessel geworfen und sah gar nicht mehr fesch und schneidig aus. Die Dogge schaute ganz verwundert aus der Zimmerecke zu ihrem Herrn hinüber.

Sechow faßte vor dem Stuhl des Melancholikers Posto und sagte, indem er beide Arme in die Seiten stemmte, halb sarkastisch, halb mitleidig: »Nanana! Und Sie wollen alle Romantik aufgegeben haben? Nein, mein Freund, in der Erinnerung, in der Phantasie sind Sie noch Erzromantiker, wenn Sie auch in einer Wirklichkeit leben, die zu haut-goût ist, als daß sie Ihrem ehrlichen, idealen Sinne schmecken könnte. Es wird höchste Zeit, daß Sie der Dame Ihres Herzens begegnen, lieber Freund, und Ihr Glück in der Realität der Dinge und der Lebensverhältnisse suchen; sonst verflüchtigen Sie sich in Ihrem Weltschmerz zu einem Häufchen Elend …«

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich die Erlösung im Nirwana suche? Das Nichts, das Nichtssein, das Gestrichenwerden von dem Komödienzettel dieses Lebens, das ist meine Seligkeit.«

»Sie sind ein begabter, gefühlvoller Mensch, Theo; aber Sie machen doch für Ihr Alter sonderbare Kopfsprünge. Warum muß die Verzweiflung über eine Welt, die nicht nach Ihrem Geschmacke ist, Ihr Steckenpferd sein? Wenn die Welt Ihnen nicht gefällt, lachen Sie über ihre Tollheiten! Machen Sie es ungefähr so wie der Europäer, wenn er von China liest oder hört …«

»Soll mir das Recept über meine Vereinsamung hinweghelfen?«

»Sagen Sie mal, Theo, offen und ehrlich: haben Sie sich noch nie in eine junge Dame verliebt?«

»Nein.«

»Sie hatten doch gewiß Gelegenheit dazu.«

»Freilich. Aber ich traue diesem Geschlechte nicht. Wo ist die Garantie, daß ich nicht betrogen werde? Die Weiber sind mir zu schlau.«

»Aha, das ist der Knoten. So allgemein gesprochen haben Sie aber schwerlich gerecht geurtheilt.«

»Ich dächte, Ihre Lebenserfahrungen stimmten zu meiner Theorie,« versetzte Theo gereizt, bereute aber die unzarte Anspielung sofort.

Herr von Sechow ließ sich keinen Unmuth anmerken und fuhr fort: »So sollte es scheinen. Was mich indessen angeht, so habe ich mir gerade durch meinen Mangel an Vertrauen mein eigenes Lebensglück zerstört. Ich möchte Sie deshalb davor bewahren, ein solch zweckloses Vagabundenleben zu führen, wie ich es thue. Ich freilich bin allmählich resignirt geworden, während Ihnen die ganze Welt offen steht.«

»Eine Frau, wie ich sie allenfalls lieben könnte, existirt gar nicht«, sagte der Student nachdenklich.

»Na, was müßte die denn für großartige Eigenschaften besitzen?«

»Sie müßte erstens sehr religiös sein; denn nur dann würde ich sicher sein, daß ich nicht das Opfer einer Speculation …«

»Sie unverbesserlicher Mensch! Es gibt doch religiöse Frauen!«

»Ich glaube es selbst. Ein religiöses Mädchen würde mich aber nicht nehmen, weil ich nicht religiös bin.«

»Und warum sind Sie es nicht?«

»Weil, wie mein armer Hans einmal in seiner verständigen Naivetät meinte, nur eine Religion die wahre sein kann.«

»Nun, dann studiren Sie sonderbarer Kauz zuerst vergleichende Religionswissenschaft, bevor Sie sich verloben. Darf ich fragen, welche weitere Bedingungen Sie an eine Lebensgefährtin stellen?«

»Sie müßte schon etwas erlebt, durchgemacht haben.«

»Warum das?«

»Weil Frauen, die immer im Glücke gelebt haben, seicht und eitel sind.«

»Und drittens, bitte?«

»Sie müßte mich jahrelang kennen; denn sonst könnte sie sich in mir täuschen. Mit all meinen Schwächen und Fehlern müßte sie mich lieben, nein, auch achten müßte sie mich.«

»Sonst wäre es nichts?«

»Sonst wäre es nichts!«

»Hm!« meinte Sechow trocken, »eine von den Prophezeiungen, die Ihnen einst der Meergreis machte, ist ja schon eingetroffen … Sie erinnern sich: der gute Mann weissagte Ihnen drei Dinge: Glauben, hohen Rang und glückliches Familienleben.«

»Denken Sie noch an den Mumpitz? Ich habe das längst vergessen.«

»Und doch ist der hohe Rang bereits eingetroffen,« lachte Sechow; »denn Sie sind ja nun Baron, wenn auch wider Willen. Wer weiß, wozu das gut ist! Und wer weiß, ob nicht das Familienglück auch im Anzuge ist …«

»Ach, lassen Sie mich in Frieden mit Ihrer Wahrsagerei!«

»Freilich muß erst der Glaube an die Menschen in Ihrer Brust erwachen.«

»Ohne Religion ist das unmöglich. Erst der Glaube an Gott. Aber seine Vorsehung, von der die Frommen so viel reden, hat mich recht stiefväterlich behandelt …«

»Theo, nehmen Sie sich in acht, Ihren Schöpfer zu kritisiren. Das wird Ihnen nie Frieden bringen.«

Statt aller Antwort erhob sich Theo und rief seine Dogge.

»Wollen Sie im Speisesaal auf mich warten, Theo?«

»Ja.«

»In zehn Minuten bin ich drunten.«

»Schön. Komm, Buddha! Allons!«



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