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XVII.
Die Demokratie am Ruder

 

London, August 1852.

Der unvermeidliche Konflikt zwischen der Frankfurter Nationalversammlung und den Regierungen der deutschen Staaten brach endlich in den ersten Tagen des Mai 1849 in offene Feindseligkeiten aus. Die österreichischen Abgeordneten, von ihrer Regierung abberufen, hatten schon die Versammlung verlassen und waren heimgekehrt, mit Ausnahme einiger weniger Mitglieder der Linken, resp. der demokratischen Partei. Die große Masse der konservativen Mitglieder, die wußten, welche Wendung der Dinge bevorstand, hatten sich sogar zurückgezogen ehe noch ihre respektiven Regierungen sie dazu aufgefordert hatten. Ganz abgesehen von den in früheren Briefen auseinandergesetzten Ursachen, die den Einfluß der Linken verstärkten, genügte somit schon die bloße Desertion der Mitglieder der Rechten, um die frühere Minorität in die Majorität der Versammlung zu verwandeln. Die neue Majorität, die sich dieses Glück nie vorher im Traume hätte einfallen lassen, hatte ihren Platz auf der Seite der Opposition dazu benutzt, gegen die Schwäche, die Unentschlossenheit, die Lässigkeit der alten Majorität und ihres Reichsverwesers Feuer und Flammen zu speien. Nun sah sich die Linke auf einmal berufen, an die Stelle dieser alten Majorität zu treten. Sie sollte jetzt zeigen, was sie leisten könne. Natürlich, ihr Regime mußte nun eines der Energie, Entschlossenheit und Thätigkeit sein. Sie, die Elite Deutschlands, werde bald im Stande sein, den senilen Reichsverweser und seine wankelmüthigen Minister vorwärts zu treiben, und wenn das nicht möglich sein sollte, dann werde sie – wer durfte daran zweifeln – kraft der Souveränetät des Volkes diese unfähige Regierung absetzen und durch eine thatkräftige, unermüdliche Exekutivgewalt ersetzen, die Deutschlands Rettung sichern werde. Arme Gesellen! Ihre Regierung – wenn man von Regierung sprechen kann, wo Niemand gehorchte – fiel noch lächerlicher aus als selbst die ihrer Vorgänger.

Die neue Majorität erklärte, trotz aller Hindernisse müsse die Reichsverfassung durchgeführt werden, und zwar sofort; am nächsten 15. Juli habe das Volk die Abgeordneten zum neuen Reichstag zu erwählen, und dieser solle darauf in Frankfurt am 15. August zusammentreten. Das war nichts Geringeres als eine offene Kriegserklärung gegen jene Regierungen, die die Reichsverfassung nicht anerkannt hatten, darunter in erster Reihe Preußen, Oesterreich, Bayern, die drei Viertheile der Bevölkerung Deutschlands umfaßten; eine Kriegserklärung, die sofort von ihnen angenommen wurde. Auch Preußen und Bayern beriefen jetzt die Abgeordneten ab, die von ihren Territorien nach Frankfurt entsendet worden, und sie beschleunigten ihre militärischen Rüstungen gegen die Nationalversammlung. Auf der anderen Seite nahmen die Demonstrationen der demokratischen Partei (außerhalb des Parlaments) zu Gunsten der Reichsverfassung und der Nationalversammlung einen ungestümeren und heftigeren Charakter an, und die Masse der Arbeiter, geführt von Männern der extremsten Partei, zeigte sich bereit, die Waffen für eine Sache zu ergreifen, die allerdings nicht die ihre war, die ihnen aber doch durch die Befreiung Deutschlands von dem Bleigewicht seiner alten monarchischen Einrichtungen die Möglichkeit eröffnete, ihren Zielen etwas näher zu kommen. Ueberall standen sich Volk und Regierung mit äußerster Erbitterung gegenüber, der Ausbruch war unvermeidlich; die Mine war geladen, und ein Funke genügte, sie explodiren zu lassen. Die Auflösung der Kammern in Sachsen, die Einberufung der Landwehr in Preußen, die offene Widersetzlichkeit der Regierungen gegen die Reichsverfassung waren solche Funken; sie fielen, und sofort flammte das ganze Land auf. In Dresden bemächtigte sich das siegreiche Volk am 4. Mai der Stadt und verjagte den König, während alle Bezirke der Umgebung den Insurgenten Verstärkungen sandten. In Rheinpreußen und Westfalen weigerte sich die Landwehr auszumarschiren, stürmte die Zeughäuser und bewaffnete sich zum Schutz der Reichsverfassung. In der Pfalz bemächtigte sich das Volk der bayerischen Regierungsbeamten und der öffentlichen Kassen und setzte einen Landesvertheidigungsausschuß ein, der die Provinz unter den Schutz der Nationalversammlung stellte. In Württemberg nöthigte das Volk den König, die Reichsverfassung anzuerkennen, und in Baden zwang die Armee im Verein mit dem Volk den Großherzog zur Flucht und errichtete eine provisorische Regierung. In anderen Theilen Deutschlands wartete das Volk blos auf ein entscheidendes Signal der Nationalversammlung, um sich in Waffen zu erheben und sich ihr zur Verfügung zu stellen.

Die Lage der Nationalversammlung war weit günstiger als man nach ihrer unrühmlichen Vergangenheit erwarten durfte. Die westliche Hälfte Deutschlands hatte die Waffen für sie ergriffen; das Militär war überall unsicher geworden; in den kleineren Staaten neigte es unzweifelhaft auf die Seite der Bewegung. Oesterreich war durch das siegreiche Vordringen der Ungarn gelähmt, und Rußland, diese Reserve der deutschen Regierungen, nahm alle seine Kräfte zusammen, um Oesterreich gegen die magyarischen Waffen zu unterstützen. Es galt nur, Preußen zu bezwingen, und Angesichts der revolutionären Sympathien, die in jenem Lande bestanden, war die Möglichkeit, dies Ziel zu erreichen, unzweifelhaft gegeben. Alles hing also von der Haltung der Nationalversammlung ab.

Nun ist der Aufstand eine Kunst ebenso wie der Krieg oder andere Künste, und gewissen Regeln unterworfen, deren Vernachlässigung zum Verderben der Partei führt, die sich ihrer schuldig macht. Diese Regeln, logische Folgerungen aus dem Wesen der Parteien und der Verhältnisse, mit denen man in solchem Falle zu thun hat, sind so klar und einfach, daß die kurze Erfahrung von 1848 die Deutschen ziemlich bekannt mit ihnen gemacht hatte. Erstens darf man nie mit dem Aufstand spielen, wenn man nicht entschlossen ist, allen Konsequenzen des Spiels Trotz zu bieten. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Werth sich jeden Tag ändern kann; die Streitkräfte, gegen die man zu kämpfen hat, haben den Vortheil der Organisation, Disziplin und der herkömmlichen Autorität ganz auf ihrer Seite; kann man nicht große Gegenmächte dagegen aufbringen, so wird man geschlagen und vernichtet. Zweitens, ist der Aufstand einmal begonnen, dann handle man mit der größten Entschiedenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jeder bewaffneten Erhebung; diese ist verloren, ehe sie sich noch mit dem Feinde gemessen hat. Ueberrasche die Gegner, so lange ihre Truppen zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch kleine Erfolge; halte das moralische Uebergewicht fest, das die. erste erfolgreiche Erhebung dir gebracht; ziehe jene schwankenden Elemente an dich, die immer dem stärksten Anstoß folgen und sich immer auf die sicherere Seite schlagen; zwinge deine Feinde zum Rückzug, bevor sie ihre Kräfte gegen dich zusammenfassen können; kurz, nach den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik: de l'audace, de I'audace, encore de l'audace!

Was hatte also die Nationalversammlung von Frankfurt zu thun, um dem sicheren Verderben zu entgehen, das ihr drohte? Vor Allem mußte sie die Situation klar erfassen und sich überzeugen, daß sie keine andere Wahl mehr hatte, als entweder sich den Regierungen bedingungslos zu unterwerfen oder rückhaltslos und ohne Zaudern für die Sache des bewaffneten Aufstands einzutreten. Zweitens aber mußte sie öffentlich alle Erhebungen anerkennen, die bereits ausgebrochen waren, überall das Volk aufrufen, die Waffen zur Verteidigung der Vertretung der Nation aufnehmen, und alle Fürsten, Minister und Andere für vogelfrei erklären, die es wagen sollten, sich dem souveränen, von seinen Beauftragten vertretenen Volk zu widersetzen. Drittens endlich mußte sie sofort den deutschen Reichsverweser absetzen, eine kraftvolle, thätige, rücksichtslose Exekutivgewalt schaffen, aufständische Truppen nach Frankfurt zu ihrem unmittelbaren Schutze berufen, wodurch sie auch einen gesetzlichen Vorwand für die Ausbreitung der Insurrektion lieferte, alle zu ihrer Verfügung stehenden Streitkräfte in einen geschlossenen Körper organisiren, kurz, rasch und ohne Zaudern jedes verwendbare Mittel ausnützen, um ihre Stellung zu stärken und die ihrer Gegner zu schwächen.

Von alledem thaten die tugendhaften Demokraten in der Frankfurter Versammlung das gerade Gegentheil. Nicht zufrieden damit, die Dinge so laufen zu lassen, wie sie laufen wollten, gingen diese Helden so weit, durch ihr Gegenwirken alle sich vorbereitenden aufständischen Bewegungen zu unterdrücken. Dies that z. B. Herr Karl Vogt in Nürnberg. Sie sahen zu, wie die Erhebungen in Sachsen, Rheinpreußen, Westfalen niedergeschlagen wurden, und wußten ihnen nicht anders beizustehen, als durch einen posthumen sentimentalen Protest gegen die gefühllose Brutalität der preußischen Regierung. Sie unterhielten einen geheimen diplomatischen Verkehr mit den süddeutschen Insurrektionen, hüteten sich aber, diese je durch offene Anerkennung zu unterstützen. Sie wußten, daß der Reichsverweser auf Seite der Regierungen stand, und doch riefen sie ihn, der sich nicht rührte, an, den Intriguen dieser Regierungen entgegenzutreten. Die Reichsminister, alte Konservative, verhöhnten diese kraftlose Versammlung in jeder Sitzung, und sie ließ sich's gefallen. Und als Wilhelm Wolfs, ein schlesischer Abgeordneter und einer der Redakteure der »Neuen Rheinischen Zeitung«, sie aufforderte, den Reichsverweser für vogelfrei zu erklären, der, wie er mit Recht sagte, der erste und größte Volksverräther war, da wurde er von der einstimmigen tugendhaften Entrüstung dieser demokratischen Revolutionäre niedergeschrien. Kurz, sie fuhren fort, zu schwätzen, zu erklären, zu protestiren, zu proklamiren, hatten aber nie den Muth oder den Verstand zu handeln, indeß die feindlichen Truppen der Regierungen immer näher heranrückten, und ihre eigene Exekutive, der Reichsverweser, eifrig mit den deutschen Fürsten zu ihrem raschen Untergang konspirirte. So verlor diese verächtliche Versammlung selbst die letzte Spur von Ansehen; die Aufständischen, die sich für sie erhoben hatten, hörten auf, sich um sie zu kümmern, und als sie schließlich zu einem schmählichen Ende kam, wie wir noch sehen werden, starb sie, ohne daß irgend Jemand ihren ehrenlosen Abgang beachtet hätte.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 18. September 1852.)


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