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II.
Die Anfänge der liberalen Opposition

 

London, September 1851.

Die politische Bewegung der Bourgeoisie in Deutschland datirt von 1840. Ihr gingen Symptome voraus, die zeigten, daß die kapitalbesitzende und industrielle Klasse dieses Landes zu einem Zustande heranreifte, der ihr nicht länger gestattete, unter dem Druck eines halb feudalen, halb bureaukratischen Monarchismus zu bleiben. Die kleineren Fürsten Deutschlands gewährten einer nach dem anderen Konstitutionen von mehr oder weniger liberalem Charakter, theils um sich dadurch größere Unabhängigkeit gegen die Uebermacht Oesterreichs und Preußens oder gegen den Einfluß des Adels ihrer eigenen Staaten zu sichern, theils um die unzusammenhängenden Provinzen, die der Wiener Kongreß unter ihrem Szepter vereinigt hatte, zu einem Ganzen zu konsolidiren. Sie konnten das thun, ohne sich selbst irgendwie zu gefährden; denn wenn der Bundestag, diese Marionette in den Händen Oesterreichs und Preußens, versuchte, ihre Unabhängigkeit als Souveraine anzutasten, konnten sie sicher sein, bei ihrem Widerstande dagegen von der öffentlichen Meinung und den Kammern gestützt zu werden; und wenn auf der anderen Seite diese Kammern zu stark wurden, durften sie ohne Weiteres über die Macht des Bundestags verfügen, um jede Opposition niederzuwerfen. Die Verfassungen Bayerns, Württembergs, Badens oder Hannovers konnten unter diesen Umständen keinen ernsthaften Kampf um politische Macht hervorrufen, und daher hielt sich auch die große Masse der deutschen Bourgeoisie im Allgemeinen fern von den kleinen Händeln, die in den gesetzgebenden Versammlungen der Kleinstaaten sich erhoben, da sie wohl wußte, daß ohne eine gründliche Aenderung in der Politik und Verfassung der beiden Großmächte Deutschlands alle untergeordneten Bemühungen und Siege erfolglos bleiben würden.

Aber zu gleicher Zeit wuchs in diesen kleinen Kammern ein Geschlecht von liberalen Juristen, berufsmäßigen Oppositionsmännern heran, die Rotteck, Welcker, Römer, Jordan, Stüve, Eisenmann, jene großen »Volksmänner«, die nach einer mehr oder weniger geräuschvollen, stets aber erfolglosen Opposition von zwanzig Jahren durch die revolutionäre Sturmfluth von 1848 auf den Gipfel der Macht getragen und, nachdem sie dort ihre völlige Unfähigkeit und Unbedeutendheit gezeigt, in einem Augenblick herabgestürzt wurden. Diese ersten Exemplare des Geschäftspolitikers und des Oppositionsmannes von Beruf auf deutschem Boden gewöhnten durch ihre Reden und Schriften das deutsche Ohr an die Sprache des Konstitutionalismus und zeigten schon durch ihr Dasein das Nahen einer Zeit an, in der die Bourgeoisie sich jener politischen Phrasen bemächtigen und ihnen ihre wahre Bedeutung geben würde, mit denen diese geschwätzigen Advokaten und Professoren herumzuwerfen pflegten, ohne viel von ihrem ursprünglichen Sinn zu verstehen.

Auch die deutsche Literatur konnte sich dem Einfluß der politischen Aufregung nicht entziehen, die sich ganz Europas seit den Ereignissen von 1830 bemächtigt hatte. Ein kindlicher Konstitutionalismus oder ein noch kindlicherer Republikanismus wurden fast von allen Schriftstellern jener Zeit gepredigt. Es wurde mehr und mehr zur Gewohnheit namentlich der untergeordneten Sorte von Literaten, den Mangel an literarischem Können durch politische Anspielungen wett zu machen, die sicher waren, Aufmerksamkeit zu erregen. Gedichte, Romane, Rezensionen, Dramen, jedes literarische Produkt strotzte von »Tendenz«, wie man es nannte, das ist, von mehr oder weniger furchtsamen Aeußerungen eines regierungsfeindlichen Geistes. Um die Konfusion der Ideen zu vollenden, die nach 1830 in Deutschland herrschte, mischten sich diese Elemente politischer Opposition mit schlecht verdauten Universitätserinnerungen an deutsche Philosophie und mit mißverstandenen Brocken von französischem Sozialismus, namentlich Saint-Simonismus; und die Klique von Schriftstellern, die sich über dieses heterogene Konglomerat von Ideen verbreitete, betitelte sich selbst voll Dünkel das »Junge Deutschland« oder die »moderne Schule«. Sie hat seitdem ihre Jugendsünden bereut, aber ihren Stil nicht verbessert.

Endlich hatte auch die deutsche Philosophie, dieser komplizirteste aber auch sicherste Thermometer der Entwicklung des deutschen Geistes, sich auf Seite der Bourgeoisie gestellt, als Hegel in seiner Rechtsphilosophie die konstitutionelle Monarchie für die höchste und vollendetste Form der Regierung erklärte. Mit anderen Worten, er verkündete in seiner Art, daß die Bourgeoisie des Landes nahe daran sei, zur politischen Macht zu gelangen. Nach seinem Tod blieb seine Schule nicht dabei stehen. Die radikalere Richtung seiner Anhänger unterwarf auf der einen Seite jeden religiösen Glauben der Feuerprobe einer strengen Kritik, die das altersgraue Gebäude des Christenthums in seinen Grundfesten erschütterte, auf der anderen Seite aber entwickelte sie kühnere politische Prinzipien, als das deutsche Ohr bis dahin zu hören bekommen, und versuchte sie, das ruhmreiche Andenken der Helden der ersten französischen Revolution wieder zu Ehren zu bringen. Wenn die dunkle philosophische Sprache, in welche diese Ideen gekleidet waren, den Geist des Schriftstellers und den des Lesers umnebelte, so blendete sie auch die Augen des Zensors, und daher kam es, daß die »Junghegelianer« sich einer Preßfreiheit erfreuten, die in jedem anderen Zweig der Literatur unbekannt war.

Es war demnach klar, daß die öffentliche Meinung in Deutschland eine große Veränderung durchmachte. Die große Mehrheit jener Klassen, die ihre Bildung oder Lebensstellung in Stand setzte, unter einer absoluten Monarchie einige politische Kenntnisse zu erwerben und eine Art selbständiger politischer Meinung zu bilden, vereinigten sich nach und nach in eine einzige mächtige Phalanx der Opposition gegen das bestehende System. Wenn man über die Langsamkeit der politischen Entwicklung in Deutschland urtheilt, sollte man niemals vergessen, die ungeheueren Schwierigkeiten in Betracht zu ziehen, die der Erlangung richtiger Einsicht aus irgend einem Gebiete in einem Lande im Wege stehen, wo alle Quellen des Wissens unter der Botmäßigkeit der Regierung sind, wo nirgends, von der Dorfschule bis zur Zeitung und zur Universität, etwas gesagt, gelehrt, gedruckt oder veröffentlicht werden darf, das nicht vorher die Genehmigung der Regierung erhalten hat. Nehmen wir z. B. Wien. Die Bevölkerung von Wien, die in Bezug auf Gewerbefleiß vielleicht keiner in Deutschland nachsteht, die an Geist, Muth und revolutionärer Energie sich allen anderen weit überlegen erwiesen hat, war doch unwissender über ihre wirklichen Interessen und beging mehr Fehler während der Revolution, als die Bevölkerung an anderen Orten, und dies war in sehr großem Maße der fast absoluten Unwissenheit über die gewöhnlichsten politischen Verhältnisse zuzuschreiben, in der Metternichs Regierung sie zu erhalten gewußt hatte.

Es bedarf keiner weiteren Erklärung, warum unter einem solchen System das politische Wissen das fast ausschließliche Monopol jener Klassen der Gesellschaft war, welche die Mittel besaßen, seine Einschmuggelung in das Land zu bezahlen, und namentlich jener, deren Interessen durch den bestehenden Stand der Dinge am schwersten getroffen wurden, das heißt, der industriellen und kommerziellen Klassen. Diese waren daher die ersten, die sich in Masse gegen die Fortsetzung eines mehr oder weniger verhüllten Absolutismus wandten, und von der Zeit ihres Eintretens in die Opposition ist die wirkliche revolutionäre Bewegung in Deutschland zu datiren.

Als den Zeitpunkt der oppositionellen Erhebung der deutschen Bourgeoisie kann man das Jahr 1840 betrachten, den Tod Friedrich Wilhelms III. von Preußen, des letzten noch lebenden Gründers der heiligen Allianz von 1815. Man wußte von dem neuen König, er sei kein Freund der überwiegend bureaukratischen und militärischen Monarchie seines Vaters. Was die französische Bourgeoisie von Ludwig XVI. erwartet hatte, erhoffte die deutsche bis zu einem gewissen Grade von Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Auf allen Seiten war man einig, daß das alte System überlebt und bankerott sei und aufgegeben werden müsse, und was man unter dem alten König schweigend ertragen, wurde nun laut für unerträglich erklärt.

Aber wenn Ludwig XVI., Louis le Désiré, ein einfacher, anspruchsloser Einfaltspinsel war, seiner eigenen Nichtigkeit halb bewußt, ohne bestimmte Ideen, hauptsächlich von den Gewohnheiten geleitet, die er während seiner Erziehung erworben, war »Friedrich Wilhelm le Désiré« ganz anderer Art. Er übertraf sicher sein französisches Original an Charakterschwäche, war aber dabei weder ohne Ansprüche, noch ohne Ideen. In dilettantischer Weise hatte er sich mit den Elementen der meisten Wissenschaften bekannt gemacht und hielt sich daher für kenntnißreich genug, sein Urtheil in jeder Sache für entscheidend anzusehen. Er war überzeugt, er sei ein Redner ersten Ranges, und es gab sicher keinen Handlungsreisenden in Berlin, der ihn an Fülle vermeintlichen Witzes oder an Geläufigkeit im Sprechen übertreffen konnte. Und vor Allem hatte er seine Ideen. Er haßte und verachtete das bureaukratische Element der preußischen Monarchie, aber nur, weil alle seine Sympathien dem feudalen Element gehörten. Einer der Gründer und Hauptmitarbeiter des Berliner »Politischen Wochenblatts«, der sogenannten historischen Schule (einer Schule, die von den Ideen Bonalds, de Maistres und anderer Schriftsteller der ersten Generation der französischen Legitimisten zehrte), strebte er eine möglichst vollständige Wiederherstellung der sozialen Vorherrschaft des Adels an. Der König sollte der erste Edelmann des Reiches sein, umgeben zunächst von einem glänzenden Hofstaat mächtiger Vasallen, Fürsten, Herzoge und Grafen, und dann von einem zahlreichen und reichen niederen Adel; er sollte nach seinem Gutdünken über seine getreuen Bürger und Bauern herrschen, als das Haupt einer vollständigen Hierarchie gesellschaftlicher Abstufungen oder Kasten, von denen jede ihre besonderen Privilegien besaß und durch eine fast unübersteigbare Schranke der Geburt oder einer festbestimmten gesellschaftlichen Stellung von den anderen getrennt war; und dabei sollten alle diese Kasten oder Stände des Reiches einander an Macht und Einfluß so trefflich das Gleichgewicht halten, daß das Handeln des Königs völlig frei blieb: das war das beau ideal, das Friedrich Wilhelm IV. verwirklichen wollte und das er jetzt wieder zu verwirklichen strebt.

Es dauerte einige Zeit lang, bis die preußische Bourgeoisie, in theoretischen Fragen nicht sehr bewandert, den wirklichen Charakter der Absichten ihres Königs herausfand. Aber was sie sehr bald merkte, war die Thatsache, daß seine Neigungen sich auf Dinge richteten, die das gerade Gegentheil dessen waren, was sie brauchte. Kaum war das Mundwerk des neuen Königs durch den Tod seines Vaters entfesselt, da machte er sich auch schon daran, seine Intentionen in Reden ohne Zahl zu verkündigen; und jede Rede, jede That entfremdete ihm immer mehr die Sympathien der Bourgeoisie. Er hätte sich nicht viel darum gekümmert, wären nicht einige harte und beunruhigende Thatsachen dagewesen, die seine poetischen Träume störten. Wie traurig, daß die Romantik so schlecht zu rechnen versteht und daß der Feudalismus seit Don Quixote stets die Rechnung ohne den Wirth macht! Friedrich Wilhelm IV. besaß zu viel von jener Verachtung für baares Geld, die seit jeher das edelste Erbstück der Söhne der Kreuzfahrer gewesen ist. Er fand bei seiner Thronbesteigung ein kostspieliges, wenn auch knauserig eingerichtetes Regierungssystem vor, und einen mäßig gefüllten Staatsschatz. Nach zwei Jahren war jede Spur eines Ueberschusses in Hoffesten, königlichen Reisen, Gnadengaben, Unterstützungen an hungernde und lungernde, schmierige und gierige Adelige u. s. w. aufgegangen und die regelmäßigen Steuern genügten nicht mehr für die Bedürfnisse des Hofs und der Regierung. Und so fand sich Seine Majestät bald in der Klemme zwischen einem unverhüllbaren Defizit auf einer Seite und einem Gesetz von 1820 auf der anderen, das jede neue Anleihe und jede Vermehrung der bestehenden Steuern ohne Zustimmung der »künftigen« Volksvertretung ungesetzlich machte. Diese Volksvertretung bestand nicht; der neue König war noch weniger geneigt, als selbst sein Vater, sie zu schaffen; und wäre er dazu geneigt gewesen, so wußte er, daß die öffentliche Meinung seit seinem Regierungsantritt ganz erstaunlich gewechselt hatte.

Die Bourgeoisie, die zum Theil erwartet hatte, der neue König werde sofort eine Konstitution gewähren, Preßfreiheit und Schwurgerichte geben u. s. w., kurz, sich selbst an die Spitze der friedlichen Revolution stellen, die sie brauchte, um die politische Macht zu erlangen – die Bourgeoisie hatte ihren Irrthum eingesehen und sich wüthend gegen den König gewendet. In der Rheinprovinz und mehr oder weniger in ganz Preußen war sie so erbittert, daß sie, da ihr nicht genug fähige Männer zur Verfügung standen, die sie in der Presse vertreten konnten, sich zu einer Allianz mit der extremen philosophischen Richtung bequemte, von der wir oben gesprochen. Die Frucht dieser Allianz war die »Rheinische Zeitung« in Köln, die nach fünfzehnmonatlichem Bestehen unterdrückt wurde, von der man aber das moderne Zeitungswesen in Deutschland datiren kann. Das war 1842.

Der arme König, dessen geschäftliche Schwierigkeiten die schärfste Satire auf seine mittelalterlichen Neigungen bildeten, merkte bald, daß er nicht weiter regieren könne ohne ein kleines Zugeständniß an das allgemeine Verlangen nach jener Volksvertretung, die als der letzte Rest der lang vergessenen Versprechungen von 1813 und 1815 in dem Gesetz von 1820 erwähnt war. Er hielt es für den am wenigsten unangenehmen Weg, diesem lästigen Gesetz zu genügen, wenn er die ständigen Ausschüsse der Provinzialstände zusammenberief. Die Provinzialstände waren 1823 für jede der acht Provinzen des Königreichs eingerichtet worden und bestanden 1. aus dem höheren Adel, den ehedem souveränen Familien des Deutschen Reichs, deren Häupter durch Geburt Mitglieder der ständischen Versammlung waren; 2. aus den Vertretern der Ritterschaft oder des niederen Adels; 3. aus den Vertretern der Städte; 4. aus Abgeordneten der Bauernschaft oder der Klasse der kleinen Landwirthe. Das Ganze war so eingerichtet, daß in jeder Provinz die zwei Abtheilungen des Adels immer die Majorität in der Versammlung hatten. Jeder dieser acht Provinzial-Landtage erwählte einen Ausschuß, und diese acht Ausschüsse wurden nun nach Berlin berufen, um eine Volksvertretung zu bilden, welche die so heißbegehrte Anleihe bewilligen sollte. Man erklärte, der Staatsschatz sei gefüllt und die Anleihe sei nicht für die Deckung laufender Bedürfnisse, sondern für den Bau einer Staatseisenbahn benöthigt. Aber die vereinigten Ausschüsse antworteten dem König mit einer direkten Weigerung, indem sie sich für inkompetent erklärten, als eine Volksvertretung zu handeln, und Seine Majestät aufforderten, das Versprechen einer Repräsentativverfassung einzulösen, das sein Vater gegeben, als er die Hilfe des Volks gegen Napoleon brauchte.

Die Sitzung der vereinigten Ausschüsse hatte gezeigt, daß der oppositionelle Geist nicht mehr auf die Bourgeoisie beschränkt war. Ein Theil der Bauernschaft war zu ihr gestoßen, und viele Adelige, die selbst große Landwirthschaft auf ihren eigenen Gütern betrieben und mit Korn, Wolle, Spiritus und Flachs handelten, hatten sich ebenfalls gegen die Regierung und für eine Repräsentativverfassung ausgesprochen, da sie gleichfalls Garantien gegen den Absolutismus, die Bureaukratie und die Wiederaufrichtung des Feudalismus brauchten. Der Plan des Königs war völlig gescheitert; er hatte kein Geld bekommen und die Macht der Opposition gestärkt. Die folgende Sitzung der Provinzialstände selbst verlief noch unglücklicher für den König. Sie alle forderten Reformen, die Erfüllung der Versprechungen von 1813 und 1815, die Gewährung einer Verfassung und der Preßfreiheit; die darauf bezüglichen Resolutionen einiger der Stände führten eine ziemlich respektlose Sprache, und die übellaunigen Antworten des aufgebrachten Königs machten das Uebel noch ärger.

Inzwischen wuchsen die finanziellen Schwierigkeiten der Regierung immer mehr. Durch widerrechtliche Verwendung von Geldern, die für verschiedene Zweige des öffentlichen Dienstes bestimmt waren, und durch unsaubere Geschäfte mit der »Seehandlung«, einem Handelsinstitut, das auf Rechnung und Risiko des Staats spekulirte und handelte und seit Langem als dessen Geldmakler fungirte, gelang es eine Zeit lang, den Schein der Zahlungsfähigkeit zu wahren; die vermehrte Ausgabe von staatlichem Papiergeld lieferte auch einige Hilfsmittel; und im Ganzen wurde das Geheimniß der Finanzlage gut gewahrt. Aber alle diese Auskunftsmittel waren bald erschöpft. Nun versuchte man etwas Anderes: die Gründung einer Bank, deren Kapital zum Theil vom Staat, zum Theil von privaten Aktionären geliefert werden und deren oberste Leitung in den Händen des Staats sein sollte, derart, daß die Regierung im Stande war, dieser Bank große Summen zu entnehmen und so dieselben betrügerischen Transaktionen zu wiederholen, zu denen sich die »Seehandlung« nicht länger verstehen wollte. Aber natürlich fanden sich keine Kapitalisten, die ihr Geld unter solchen Bedingungen hergeben mochten. Die Statuten der Bank mußten geändert und das Eigenthum der Aktionäre gegen Uebergriffe des Finanzministers gesichert werden, bevor Aktien gezeichnet wurden. Nachdem auch dieser Plan mißglückt war, blieb nichts übrig, als eine Anleihe aufzunehmen, das heißt, wenn Kapitalisten zu finden waren, die ihr Geld herliehen, ohne die Garantie und die Zustimmung jener mysteriösen »künftigen Volksvertretung« zu fordern. Man wandte sich an Rothschild, und der erklärte, wenn diese Volksvertretung die Anleihe garantire, übernehme er sie ohne Weiteres – wenn nicht, dann wolle er mit dem Geschäft nichts zu thun haben.

So verschwand jede Hoffnung, Geld zu bekommen, und es bestand keine Möglichkeit, der fatalen »Volksvertretung« zu entgehen. Rothschilds Weigerung wurde im Herbst 1846 bekannt, und im Februar des nächsten Jahres berief der König die gesammten Provinzialstände der Monarchie nach Berlin, um aus ihnen einen »Vereinigten Landtag« zu bilden. Diesem Landtag wurde als Aufgabe jene Thätigkeit gestellt, die das Gesetz von 1820 erforderlichen Falls vorschrieb: Das Bewilligen von Anleihen und neuen Steuern; darüber hinaus sollte er keine Rechte haben. Bei der Gesetzgebung sollte er nur eine berathende Stimme besitzen; er sollte nicht in bestimmten Zeiten, sondern nach dem Gutdünken des Königs zusammentreten; er sollte nur Angelegenheiten diskutiren dürfen, die es der Regierung beliebte, ihm vorzulegen. Natürlich waren die Mitglieder des Landtags nur wenig von der Rolle erbaut, die ihnen da zugedacht war. Sie wiederholten die Wünsche, die sie in den Provinzialständen kundgegeben. Die Beziehungen zwischen ihnen und der Regierung spitzten sich zusehends zu, und als man von ihnen die Bewilligung der Anleihe forderte, die wieder durch die Nothwendigkeit von Eisenbahnbauten motivirt wurde, lehnten sie sie abermals ab.

Dieses Votum machte den Sitzungen des Landtags bald ein Ende. Der König, der immer erbitterter wurde, entließ ihn mit einem Tadel, aber immer noch blieb er ohne Geld. Und er hatte alle Ursache, über seine Lage bestürzt zu sein, wenn er sah, daß die liberale Partei, an deren Spitze die Bourgeoisie stand, die einen großen Theil des niederen Adels und alle die mannigfachen Unzufriedenen umfaßte, die sich in den verschiedenen Theilen der unteren Stände angesammelt – daß diese liberale Partei entschlossen war, zu erlangen, was sie wollte. Umsonst hatte der König in der Rede, mit der er die Versammlung eröffnete, erklärt, er werde niemals, niemals eine Verfassung im modernen Sinne des Wortes gewähren; die liberale Partei bestand auf einer derartigen modernen, antifeudalen Repräsentativverfassung mit allen ihren Konsequenzen, Preßfreiheit, Geschwornengerichte etc., und ehe sie diese erhielt, sollte nicht ein Pfennig bewilligt werden. Eines war klar: lange konnten die Dinge in dieser Weise nicht weiter gehen, und entweder mußte einer der beiden Theile nachgeben, oder es mußte zum gewaltsamen Bruch, zu einem blutigen Kampfe kommen. Und die Bourgeoisie wußte, daß sie am Vorabend einer Revolution stand, und sie bereitete sich für diese vor. Durch alle möglichen Mittel suchte sie die Unterstützung der Arbeiterklasse der Städte und der Bauernschaft des flachen Landes zu gewinnen, und zu Ende des Jahres 1847 war anerkanntermaßen kaum ein einziger hervorragender politischer Charakter unter der Bourgeoisie zu finden, der sich nicht für einen »Sozialisten« ausgab, um die Sympathie des Proletariats zu erwerben. Wir werden noch diese »Sozialisten« an der Arbeit sehen.

Dieser Drang der führenden Bourgeoisie, wenigstens den äußerlichen Anschein des Sozialismus anzunehmen, war die Folge einer großen Veränderung, welche die Arbeiterklasse Deutschlands durchgemacht hatte. Seit 1840 war ein Theil der deutschen Arbeiter, die in Frankreich und der Schweiz auf Wanderschaft gewesen, mehr oder weniger von den unreifen sozialistischen oder kommunistischen Anschauungen erfüllt, die damals unter den französischen Arbeitern im Schwange waren. Das zunehmende Interesse, das man seit 1840 derartigen Ideen in Frankreich zollte, brachte den Sozialismus und Kommunismus auch in Deutschland in die Mode, und von 1843 an waren alle Zeitungen voll von Erörterungen sozialer Fragen. Sehr bald bildete sich eine sozialistische Schule in Deutschland, die sich mehr durch die Dunkelheit als durch die Neuheit ihrer Ideen auszeichnete; ihre Hauptthätigkeit bestand darin, Fourieristische, Saint Simonistische und andere Lehren aus dem Französischen in die abstruse Sprache der deutschen Philosophie zu übersetzen. Die deutsche Schule der Kommunisten, die gänzlich verschieden ist von dieser Sekte, wurde ungefähr um dieselbe Zeit gebildet.

1844 kam es zu den Aufständen der schlesischen Weber, denen die Erhebung der Kattundrucker in Prag folgte. Diese Unruhen, die grausam unterdrückt wurden, Erhebungen von Arbeitern nicht gegen die Regierung, sondern gegen die Unternehmer, machten tiefen Eindruck und gaben der sozialistischen und kommunistischen Propaganda unter den Arbeitern einen neuen Antrieb. Ebenso wirkten die Brotkrawalle im Hungerjahr 1847. Kurz, in derselben Weise, wie die konstitutionelle Opposition um ihr Banner die große Masse der besitzenden Klassen schaarte (mit Ausnahme der großen feudalen Grundbesitzer), so erwartete die Arbeiterklasse der größeren Städte ihre Emanzipation von den sozialistischen und kommunistischen Lehren, obwohl man ihnen unter den bestehenden Preßgesetzen nur sehr wenig darüber mittheilen konnte. Man durfte nicht erwarten, daß sie sehr klare Ideen über das, was sie wollten, hegten – sie wußten nur, daß das Programm der konstitutionellen Bourgeoisie nicht alles enthielt, was sie brauchten, und daß ihre Bestrebungen in dem konstitutionellen Ideenkreise in keiner Weise enthalten waren.

Es gab also keine besondere republikanische Partei in Deutschland. Die Leute waren entweder konstitutionelle Monarchisten oder mehr oder weniger klare Sozialisten oder Kommunisten.

Angesichts dieser Elemente mußte der geringste Zusammenstoß zu einer großen Revolution führen. Und während der höhere Adel und die älteren Beamten und Offiziere die einzige sichere Stütze des bestehenden Systems bildeten; während der niedere Adel, die industrielle und kommerzielle Bourgeoisie, die Universitäten, die Lehrer jeden Ranges und sogar ein Theil der unteren Rangklassen der Bureaukratie und der Offiziere sich alle gegen die Regierung vereinigten; während hinter diesen die unzufriedenen Massen der Bauernschaft und des großstädtischen Proletariats standen, die vorläufig noch die liberale Opposition unterstützten, aber schon seltsame Andeutungen laut werden ließen von der Absicht, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen; während die Bourgeoisie bereit war, die Regierung niederzuwerfen, und die Proletarier bereit, dann die Bourgeoisie niederzuwerfen, verfolgte diese Regierung hartnäckig einen Kurs, der nothwendiger Weise einen Zusammenstoß herbeiführen mußte. Deutschland stand im Beginn des Jahres 1848 am Vorabend einer Revolution, und diese Revolution wäre sicher gekommen, auch wenn die französische Februarrevolution sie nicht beschleunigt hätte.

Welche Wirkungen diese Pariser Revolution auf Deutschland hatte, werden wir bald sehen.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 28. Oktober 1851.)


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