Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
Die religiöse Opposition. Die Idee der deutschen Einheit

 

London, September 1851.

In unserem letzten Artikel beschränkten wir uns fast ausschließlich auf jenen Staat, der von 1840 bis 1848 bei weitem der wichtigste in der deutschen Bewegung war, nämlich auf Preußen. Wir müssen jedoch noch einen raschen Blick auf die anderen Staaten während desselben Zeitraums werfen.

Die Kleinstaaten waren seit der revolutionären Bewegung von 1830 vollständig unter die Diktatur des Bundestags, das heißt Oesterreichs und Preußens, gerathen. Die verschiedenen Verfassungen derselben waren gegeben worden, nicht nur um ihre fürstlichen Urheber populär zu machen und den heterogenen Vereinigungen von Provinzen, die der Wiener Kongreß ohne jegliches leitende Prinzip gebildet, Zusammenhang zu geben, sondern auch, um als Vertheidigungsmittel gegen die Diktate der größeren Staaten zu dienen. So illusorisch diese Verfassungen auch waren, hatten sie sich doch während der aufgeregten Zeiten von 1830 und 1831 als gefährlich für die Autorität der kleinen Fürsten selbst erwiesen. Sie wurden fast völlig vernichtet; der Rest, den man fortbestehen ließ, war weniger als ein Schatten, und es gehörte die geschwätzige Selbstgefälligkeit eines Welcker, Rotteck, Dahlmann dazu, sich einzubilden, die unterthänige Opposition, gemischt mit entwürdigender Kriecherei, die sie in den ohnmächtigen Kammern dieser Kleinstaaten an den Tag legen durften, könne irgend ein Ergebniß zeitigen.

Der energischere Theil der Bourgeoisie in den kleineren Staaten gab bald nach 1840 jede Hoffnung auf, die er früher auf die Entwicklung einer parlamentarischen Regierung in diesen Anhängseln Oesterreichs und Preußens gesetzt. Kaum hatte die preußische Bourgeoisie sammt den mit ihr verbündeten Klassen den ernsten Entschluß gezeigt, für ein parlamentarisches Regime in Preußen zu kämpfen, da überließ man ihr auch schon die Führung der konstitutionellen Bewegung im ganzen nichtösterreichischen Deutschland. Es ist eine Thatsache, die heute nicht mehr bestritten werden wird, daß die ersten Elemente jener Konstitutionalisten von Mitteldeutschland, die später aus der Frankfurter Nationalversammlung ausschieden und nach dem Orte, an dem sie ihre Separatversammlungen abhielten, die Gothaer genannt wurden, lange vor 1848 einen Plan erwogen, den sie 1849 mit geringen Abänderungen den Vertretern ganz Deutschlands vorlegten. Sie beabsichtigten die völlige Ausschließung Oesterreichs aus dem deutschen Bunde, die Begründung eines neuen Bundes mit einem neuen Grundgesetz und mit einem Bundesparlament unter dem Schutze Preußens, und die Einverleibung der kleineren Staaten in die größeren. Alles dies sollte ausgeführt werden, sobald Preußen in die Reihe der konstitutionellen Monarchien eintrat, die Freiheit der Presse einführte, eine von Rußland und Oesterreich unabhängige Politik annahm und so die Konstitutionalisten der kleineren Staaten in Stand setzte, eine wirkliche Gewalt über ihre Regierungen zu erhalten. Der Erfinder dieses Planes war Professor Gervinus von Heidelberg. Die Emanzipation der preußischen Bourgeoisie sollte also das Signal für die Emanzipation der Bourgeoisie von Deutschland überhaupt und für die Begründung eines Offensiv- und Defensivbündnisses gegen Rußland und Oesterreich sein. Denn Oesterreich wurde, wie wir gleich sehen werden, als ein ganz barbarisches Land betrachtet, von dem man wenig wußte, und das Wenige war nicht sehr schmeichelhaft für seine Bevölkerung; Oesterreich wurde daher als kein wesentlicher Bestandtheil Deutschlands betrachtet.

Die anderen Klassen der Gesellschaft in den Kleinstaaten folgten mit größerer oder geringerer Schnelligkeit den Spuren von ihresgleichen in Preußen. Die Kleinbürger wurden immer unzufriedener mit ihren Regierungen, mit dem Anwachsen der Steuerlast, mit der Verkürzung der Scheinrechte, mit denen sie sich zu brüsten pflegten, wenn sie sich mit den »Sklaven des Despotismus« in Oesterreich und Preußen verglichen; aber bisher wies ihre Opposition noch kein bestimmtes Ziel auf, das sie zu einer selbständigen Partei hätte stempeln können, die sich von dem Konstitutionalismus der höheren Bourgeoisie unterschied. Unter der Bauernschaft wuchs die Unzufriedenheit in gleicher Weise, aber es ist bekannt, daß dieser Theil der Bevölkerung in ruhigen und friedlichen Zeiten niemals seine Interessen geltend macht und als eine selbständige Klasse auftritt, außer in Ländern, in denen das allgemeine Stimmrecht herrscht. Die industriellen Arbeiter der Städte begannen vom »Gift« des Sozialismus und Kommunismus angesteckt zu werden; aber da es wenige Städte von Bedeutung außerhalb Preußens gab, und noch weniger Industriebezirke, war in Folge des Mangels von Zentren der Agitation und Propaganda die Bewegung dieser Klasse in den kleineren Staaten sehr langsam.

Sowohl in Preußen wie in den Kleinstaaten erzeugte die Schwierigkeit, der politischen Opposition Ausdruck zu geben, eine Art religiöser Opposition in den Parallelbewegungen des Deutschkatholizismus und der freien Gemeinden. Die Geschichte bietet uns zahlreiche Beispiele dafür, daß in Ländern, die sich der Segnungen einer Staatskirche erfreuen und in denen die politische Diskussion eingeengt ist, die profane und gefährliche Opposition gegen die weltliche Macht sich hinter den erhabeneren und anscheinend selbstloseren Kampf gegen die geistige Knechtschaft verbirgt. Manche Regierung, die nicht duldet, daß irgend eine ihrer Handlungen diskutirt werde, trägt Bedenken Märtyrer zu schaffen und den religiösen Fanatismus der Massen zu entzünden. In Deutschland galt 1845 in jedem Staate entweder die römisch-katholische oder die protestantische Religion, oder beide, als ein Bestandtheil des im Lande herrschenden Rechtes. Und in jedem dieser Staaten bildete der Klerus einer dieser Konfessionen oder beider einen wesentlichen Theil des staatlichen Beamtenthums. Ein Angriff auf die katholische oder protestantische Orthodoxie, ein Angriff auf die Priesterschaft bedeutete also einen versteckten Angriff auf die Regierung selbst. Was die Deutschkatholiken anbelangt, so war schon ihr bloßes Bestehen ein Angriff auf die katholischen Regierungen Deutschlands, besonders Oesterreichs und Bayerns; und so wurde es auch von diesen aufgefaßt. Die Freigemeindler, protestantische Dissidenten, die einige Aehnlichkeit mit den englischen und amerikanischen Unitariern haben, erklärten offen ihre Opposition gegen die klerikalen und streng orthodoxen Tendenzen des Königs von Preußen und seines Günstlings, des Kultusministers Eichhorn. Die beiden Sekten, die sich vorübergehend äußerst rasch verbreiteten, die erstere in katholischen, die andere in protestantischen Gegenden, unterschieden sich blos durch ihren verschiedenen Ursprung; was ihre Lehren anbelangt, so waren sie in dem einen höchst wichtigen Punkt völlig einig, daß alle festgesetzten Dogmen werthlos seien. Dieser Mangel an jeder Bestimmtheit machte den Kern ihres Wesens aus; sie behaupteten, sie würden den großen Tempel erbauen, unter dessen Dach alle Deutschen sich zusammenfinden könnten; sie repräsentirten also in religiöser Form eine andere politische Idee des Tages, die der deutschen Einheit; aber trotzdem konnten sie untereinander nie einig werden.

Die Idee der deutschen Einheit, welche die eben erwähnten Sekten wenigstens auf religiösem Gebiete zu verwirklichen suchten, indem sie eine gemeinsame Religion für alle Deutschen erfanden, die speziell für ihre Bedürfnisse, Gewohnheiten und Neigungen fabrizirt war – diese Idee war in der That weit verbreitet, besonders in den kleineren Staaten. Seit der Auflösung des Deutschen Reiches durch Napoleon hatte der Ruf nach der Vereinigung der disjecta membra Deutschlands den allgemeinsten Ausdruck der Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung gebildet, namentlich in den Kleinstaaten, wo die Kostspieligkeit eines Hofes, einer Staatsverwaltung, einer Armee, kurz das ganze Gewicht der Besteuerung in direktem Verhältniß zur Kleinheit und Ohnmacht des Staates wuchs. Aber wie diese deutsche Einheit aussehen sollte, wenn sie verwirklicht wurde, das war eine Frage, über die die Meinungen der Parteien auseinander gingen. Die Bourgeoisie, die keine gefährlichen revolutionären Erschütterungen wünschte, war mit jener »praktischen« Lösung zufrieden, die wir bereits kennen gelernt haben, nämlich einem Bund, der ganz Deutschland mit Ausschluß Oesterreichs umfaßte, unter der Oberhoheit eines konstitutionellen Regimes in Preußen; und sicher konnte man damals nicht mehr erlangen ohne bedrohliche Stürme heraufzubeschwören. Die Kleinbürger und die Bauern, soweit die letzteren sich überhaupt um dergleichen kümmerten, kamen nie zu einer Definition jener deutschen Einheit, die sie so lärmend forderten; einige Träumer, meist feudale Reaktionäre, hofften auf eine Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches; ein paar unwissende soi disant Radikale, welche die Einrichtungen der Schweiz bewunderten, mit denen sie noch nicht die praktische Bekanntschaft gemacht, die sie später in so lächerlicher Weise enttäuschte, erklärten sich für eine Föderativrepublik; und nur die extremste Partei wagte es damals, für die eine und untheilbare deutsche Republik einzutreten. So war die deutsche Einheit eine Frage, die in ihrem Schooße Uneinigkeit, Zwietracht und unter Umständen den Bürgerkrieg barg.

Um es kurz zusammenzufassen, so war der Zustand Preußens und der kleineren Staaten in Deutschland zu Ende des Jahres 1847 folgender: Die Bourgeoisie fühlte ihre Kraft und war entschlossen, nicht länger die Fesseln zu ertragen, mit denen ein feudaler und bureaukratischer Despotismus ihre Handelsgeschäfte, ihre industrielle Leistungsfähigkeit, ihr gemeinsames Handeln als Klasse einschnürte; ein Theil des Landadels hatte sich so weit in Produzenten von Waaren für den Markt verwandelt, daß er die gleichen Interessen mit der Bourgeoisie hatte und sich ihr anschloß; das Kleinbürgerthum war unzufrieden, murrte über die Steuern, über die Hindernisse, die seiner geschäftlichen Thätigkeit in den Weg geworfen wurden, besaß aber kein bestimmtes Programm von Reformen, die versprachen, seine Stellung in Staat und Gesellschaft zu sichern; die Bauernschaft wurde niedergedrückt theils von den feudalen Lasten, theils von den Anforderungen der Wucherer und Advokaten; die Arbeiter in den Städten waren ergriffen von der allgemeinen Unzufriedenheit, haßten in gleicher Weise die Regierung und die großen industriellen Kapitalisten und verfielen der Ansteckung durch sozialistische und kommunistische Ideen; kurz, die Opposition bildete eine heterogene Masse, die von den verschiedensten Interessen getrieben, aber mehr oder weniger von der Bourgeoisie geführt wurde, in deren Reihen wieder die Bourgeoisie Preußens voranmarschirte, namentlich die der Rheinprovinz.

Auf der anderen Seite finden wir Regierungen, die in zahlreichen Punkten uneinig waren, voll Mißtrauen gegeneinander und vor Allem gegen Preußen, auf dessen Schutz sie sich doch angewiesen sahen; in Preußen eine Regierung, aufgegeben von der öffentlichen Meinung, aufgegeben sogar von einem Theil des Adels, gestützt auf eine Armee und eine Bureaukratie, die jeden Tag mehr von den Ideen der oppositionellen Bourgeoisie angesteckt wurden und mehr ihrem Einfluß unterlagen – und, zu alledem, eine Regierung mit völlig geleerten Kassen, die keinen Pfennig auftreiben konnte, um das wachsende Defizit zu decken, ohne vor der Opposition der Bourgeoisie zu kapituliren. Gab es jemals eine glänzendere Stellung für die Bourgeoisie eines Landes in ihrem Kampfe um Macht gegen die bestehende Regierung?

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 6. November 1851.)


 << zurück weiter >>