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London, September 1851.
Der erste Akt des Revolutionsdramas auf dem Kontinent von Europa ist zu Ende. Die »Mächte der Vergangenheit« vor dem Sturm von 1848 sind wieder die »Mächte der Gegenwart«, und die mehr oder weniger populären Eintagsherrscher, provisorische Regenten, Triumvirn, Diktatoren, mit ihrem Schwanz von Abgeordneten, Zivilkommissären, Kriegskommissären, Präfekten, Richtern, Generälen und Soldaten, sind an fremde Küsten geworfen und »über die See verschickt« nach England oder Amerika, um dort neue Regierungen » in partibus infidelium« zu bilden, Europäische Komites, Zentralkomites, Nationalkomites, und ihr Kommen in Proklamationen zu verkünden, die ebenso feierlich sind wie die weniger imaginärer Potentaten.
Man kann sich keine entschiedenere Niederlage denken als die, welche die Revolutionspartei – oder vielmehr Parteien – des Kontinents auf allen Punkten der Schlachtlinie erlitten. Aber was hat das zu bedeuten! Hat nicht das Ringen des britischen Bürgerthums um seine gesellschaftliche und politische Herrschaft achtundvierzig Jahre, das des französischen Bürgerthums vierzig Jahre unerhörter Kämpfe umfaßt? Und war sein Triumph nicht gerade dann am nächsten, als die wiederhergestellte Monarchie sich fester im Sattel fühlte denn je? Die Zeit jenes Aberglaubens, der Revolutionen der Böswilligkeit einiger Agitatoren zuschrieb, ist längst vorbei. Heutzutage weiß Jedermann, daß überall, wo revolutionäre Erschütterungen eintreten, ein gesellschaftliches Bedürfniß dahinter sein muß, dessen Befriedigung durch überlebte Einrichtungen gehindert wird. Das Bedürfniß mag noch nicht so dringend, so allgemein empfunden werden, daß es unmittelbaren Erfolg sichert, aber jeder Versuch, es gewaltsam zu unterdrücken, muß es mit verstärkter Gewalt wieder hervortreten lassen, bis es seine Fesseln bricht.
Wenn wir also geschlagen sind, so haben wir nichts Anderes zu thun, als wieder von vorne anzufangen. Und die wahrscheinlich sehr kurze Ruhepause, die uns zwischen dem Schluß des ersten und dem Beginn des zweiten Aktes der Bewegung gegönnt ist, giebt uns glücklicherweise Zeit zu einem höchst nothwendigen Stück Arbeit: der Untersuchung der Ursachen, die sowohl die letzte Erhebung wie auch deren Niederlage mit Nothwendigkeit herbeiführten; Ursachen, die nicht in den zufälligen Bestrebungen, Talenten, Fehlern, Irrthümern oder Verräthereien einiger Führer zu suchen sind, sondern in dem allgemeinen gesellschaftlichen Zustand und den Lebensbedingungen jeder der von der Erschütterung betroffenen Nationen. Daß die plötzlichen Bewegungen des Februar und März 1848 nicht das Werk einzelner Individuen waren, sondern spontane unwiderstehliche Aeußerungen von Bedürfnissen der Völker, die mehr oder weniger deutlich begriffen, aber von großen Klassen in jedem Lande sehr deutlich empfunden wurden, ist eine allgemein anerkannte Thatsache; wenn man aber nach den Ursachen des Erfolgs der Kontrerevolution forscht, erhält man von allen Seiten die bequeme Antwort, daß es der Herr A. oder der Bürger B. gewesen sei, der das Volk »verrieth«. Diese Antwort kann je nach den Umständen wahr sein oder nicht, sie kann aber unter keinen Umständen irgend etwas erklären, nicht einmal zeigen, wieso es kam, daß das »Volk« sich so verrathen ließ. Und wie kläglich sind die Aussichten einer politischen Partei, deren ganzes politisches Inventar in der Kenntniß der einzigen Thatsache besteht, daß der Bürger Soundso kein Vertrauen verdient.
Die Erforschung und Darstellung der Ursachen sowohl der revolutionären Erschütterung wie ihrer Unterdrückung sind überdies höchst wichtig von einem historischen Standpunkte aus. Alle diese kleinlichen persönlichen Zänkereien und Rekriminationen, alle diese einander widersprechenden Behauptungen – Marrast oder Ledru Rollin oder Louis Blanc oder irgend ein anderes Mitglied der provisorischen Regierung oder diese insgesammt sei der Steuermann gewesen, der die Revolution mitten unter die Klippen hineinsteuerte, an denen sie scheiterte –, von welchem Interesse können sie sein und welche Aufklärung können sie bringen für den Amerikaner oder Engländer, der alle diese verschiedenen Bewegungen aus einer Entfernung verfolgt hat, die zu groß ist, um ihn die Details der Vorgänge erkennen zu lassen? Kein vernünftiger Mensch wird jemals glauben, daß elf Männer, von zumeist höchst mittelmäßiger Begabung, sowohl im Guten wie im Bösen, im Stande gewesen wären, binnen drei Monaten eine Nation von sechsunddreißig Millionen zu Grunde zu richten, wenn nicht diese sechsunddreißig Millionen ebensowenig klar sahen wie die elf. Aber wie es kam, daß diese sechsunddreißig Millionen mit einem Male berufen wurden, selbst den Weg zu bestimmen, der einzuschlagen war, obwohl sie zum Theil in arger Dämmerung tappten; wie es kam, daß sie den Weg verfehlten und ihre früheren Lenker wieder für einen Augenblick in ihre Führerstellung zurückkehren durften, das ist gerade die Frage.
Wenn wir also versuchen, den Lesern der »Tribune« die Ursachen auseinanderzusetzen, die nicht nur die deutsche Revolution von 1848 zur Nothwendigkeit machten, sondern auch deren zeitweilige Unterdrückung 1849 und 1850 ebenso unvermeidlich herbeiführten, so darf man nicht erwarten, daß wir eine vollständige Geschichte der Ereignisse geben werden, die sich in Deutschland abgespielt haben. Spätere Ereignisse und das Urtheil der kommenden Generationen werden entscheiden, welcher Theil jener wirren Masse anscheinend zufälliger, unzusammenhängender und miteinander unvereinbarer Thatsachen ein Stück der Weltgeschichte zu bilden hat. Die Zeit für diese Aufgabe ist noch nicht gekommen; wir müssen uns innerhalb der Grenzen des Möglichen halten und zufrieden sein, wenn es uns gelingt, rationelle, auf unleugbaren Thatsachen beruhende Ursachen aufzufinden, welche die wichtigsten Ereignisse, die entscheidenden Wendungen jener Bewegung erklären und uns einen Schlüssel über die Richtung geben, die der nächste und vielleicht nicht sehr ferne Ausbruch dem deutschen Volke ertheilen wird.
Zunächst, welches war der Zustand Deutschlands beim Ausbruch der Revolution?
Die Zusammensetzung der verschiedenen Klassen des Volkes, welche die Grundlage der politischen Organisationen bilden, war in Deutschland komplizirter als in irgend einem anderen Lande. Während in England und Frankreich eine kräftige und reiche Bourgeoisie, die in großen Städten und namentlich der Hauptstadt konzentrirt war, den Feudalismus gänzlich vernichtet oder wenigstens, wie in dem ersten Lande, auf einige unbedeutende Formen reduzirt hatte, besaß der Feudaladel in Deutschland noch einen großen Theil seiner alten Privilegien. Das System des feudalen Grundbesitzes herrschte fast überall vor. Die Grundherren hatten sogar die Gerichtsbarkeit über ihre Gutsunterthanen behalten. Ihrer politischen Privilegien, des Rechts, die Fürsten zu leiten, beraubt, hatten sie fast ihre ganze mittelalterliche Oberherrlichkeit über die Bauernschaft ihrer Domänen sowie die Steuerfreiheit bewahrt. Der Feudalismus war in manchen Gegenden stärker als in anderen, aber nirgends völlig vernichtet, außer auf dem linken Rheinufer. Dieser Feudaladel, damals außerordentlich zahlreich und zum Theil sehr reich, wurde offiziell als der erste »Stand« im Lande betrachtet. Er lieferte die höheren Regierungsbeamten und war fast ausschließlich im Besitz der Offiziersstellen in der Armee.
Die Bourgeoisie Deutschlands war bei Weitem nicht so reich und konzentrirt wie die Frankreichs oder Englands. Die früheren Industrien Deutschlands waren durch das Aufkommen der Dampfkraft und die rasch sich verbreitende Uebermacht der englischen Industrie ruinirt worden. Die moderneren Industrien, die unter dem Kontinentalsystem Napoleons ins Leben gerufen worden, bestanden in anderen Theilen des Landes, bildeten keine Entschädigung für den Verlust der älteren, und genügten nicht, der Industrie eine Bedeutung zu verleihen, die stark genug gewesen wäre, die Beachtung ihrer Bedürfnisse Regierungen aufzuzwingen, die jeder Vermehrung nichtadeligen Reichthums und nichtadeliger Macht mißtrauisch gegenüberstanden. Wenn Frankreich seine Seidenindustrie siegreich durch fünfzig Jahre der Revolutionen und Kriege hindurchführte, so sah Deutschland im gleichen Zeitraum seine alte Leinenindustrie fast ganz zu Grunde gehen. Ueberdies waren die Industriebezirke nur gering an Zahl und weit auseinander gelegen. Sie lagen tief im Lande drin und benutzten zu ihrer Ausfuhr und Einfuhr meist ausländische, holländische oder belgische Häfen, so daß sie nur wenig oder gar keine Interessen mit den großen Hafenstädten an der Nord- und Ostsee gemein hatten; vor Allem aber waren sie unfähig, große Industrie- und Handelszentren zu bilden, wie Paris und Lyon, London und Manchester.
Die Ursachen dieser Rückständigkeit der deutschen Industrie waren mannigfaltig, aber zwei genügen, sie zu erklären: die ungünstige geographische Lage des Landes, seine Entfernung vom atlantischen Ozean, der die große Heerstraße für den Welthandel geworden war, und die steten Kriege, in die Deutschland verwickelt war und die auf seinem Boden ausgefochten wurden vom 16. Jahrhundert bis auf den heutigen Tag. Es war der Mangel an Massen und besonders an einigermaßen konzentrirten Massen, der das deutsche Bürgerthum verhinderte, jene politische Herrschaft zu erlangen, deren sich der englische Bourgeois seit 1688 stets erfreut und die der französische 1789 erobert hat.
Und doch war in Deutschland der Reichthum und mit dem Reichthum die politische Bedeutung des Bürgerthums seit 1815 in stetem Wachsthum begriffen. Die Regierungen waren, wenn auch widerwillig, gezwungen, wenigstens seinen nächsten materiellen Interessen Rechnung zu tragen. Man darf sogar mit Recht sagen, daß von 1815 bis 1830 und von 1832 bis 1840 jedes Stück politischen Einflusses, das der Bourgeoisie in den Verfassungen der kleineren Staaten eingeräumt worden war und das ihr während der zwei genannten Perioden politischer Reaktion wieder entrissen wurde – daß jedes derartige Stück durch ein praktischeres Zugeständniß aufgewogen wurde. Jede politische Niederlage der Bourgeoisie zog einen Sieg auf dem Gebiet der Handelsgesetzgebung nach sich. Und sicherlich waren der preußische Schutzzolltarif von 1818 und die Bildung des Zollvereins für die Kaufleute und die Industriellen Deutschlands bedeutend mehr werth, als das zweifelhafte Recht, in der Kammer irgend eines Duodezstaates Ministern ihr Mißtrauen auszudrücken, die über derartige Abstimmungen lachten.
Das Wachsthum ihres Reichthums und die Ausdehnung des Handels brachte die Bourgeoisie bald auf eine Höhe, auf der sie die Entwicklung ihrer wichtigsten Interessen durch die politische Verfassung des Landes gehindert sah – durch seine tolle Zersplitterung unter sechsunddreißig Fürsten mit einander widersprechenden Bestrebungen und Launen; durch die feudalen Fesseln, die die Landwirthschaft und den mit ihr verknüpften Handel beengten; durch die zudringliche Ueberwachung, der eine unwissende und anmaßende Bureaukratie alle ihre Geschäfte unterwarf. Gleichzeitig brachten die Ausdehnung und Befestigung des Zollvereins, die Einführung des Dampfes in das Verkehrswesen, die wachsende Konkurrenz auf dem inneren Markt die kommerziellen Klassen der verschiedenen Staaten und Provinzen einander näher; sie machten ihre Interessen gleichförmiger und zentralisirten ihre Kraft. Die natürliche Folge davon war der Uebergang aller dieser Elemente in das Lager der liberalen Opposition und der siegreiche Ausgang des ersten ernsthaften Kampfes der deutschen Bourgeoisie um politische Macht. Diesen Umschwung kann man von 1840 datiren, von dem Zeitpunkt, in dem die preußische Bourgeoisie an die Spitze der Bewegung des deutschen Bürgerthums trat. Wir werden auf diese Bewegung der liberalen Opposition von 1840 bis 1847 später noch zurückkommen.
Die große Masse der Nation, die weder zum Adel noch zur Bourgeoisie gehörte, bestand in den Städten aus der Klasse der Kleinbürger und den Arbeitern, und auf dem Lande aus der Bauernschaft.
Das Kleinbürgerthum ist in Deutschland außerordentlich zahlreich in Folge der kümmerlichen Entwicklung der Klasse der großen Kapitalisten und Industriellen in diesem Lande. In den größeren Städten bildet es fast die Mehrheit der Bevölkerung, in den kleineren überwiegt es vollständig, da reichere Mitbewerber und Einflüsse dort fehlen. Diese Klasse, die in jedem modernen Staate und in jeder modernen Revolution von höchster Bedeutung ist, ist besonders wichtig in Deutschland, wo sie während der jüngsten Kämpfe die entscheidende Rolle spielte. Ihre Zwischenstellung zwischen der Klasse der größeren Kapitalisten, Kaufleute und Industriellen, der eigentlichen Bourgeoisie, und der Klasse des Proletariats bestimmt ihren Charakter. Sie strebt nach der Stellung der ersteren, aber das geringste Mißgeschick schleudert die Individuen dieser Klasse in die Reihen der letzteren. In monarchischen und feudalen Ländern bedarf das Kleinbürgerthum der Kundschaft des Hofs und der Aristokratie zu seiner Existenz; der Verlust dieser Kundschaft kann einen großen Theil desselben ruiniren. In den kleineren Städten bilden sehr häufig eine Garnison, eine Kreisregierung, ein Gerichtshof mit seinem Anhang die Grundlage des Gedeihens der Kleinbürger. Man entziehe ihnen diese Institutionen, und die Kleinhändler, die Schneider, die Schuster, die Schreiner gehen ihrem Ruin entgegen. So schwanken sie beständig zwischen der Hoffnung, in die Reihen der wohlhabenderen Klasse einzutreten, und der Furcht, zu Proletariern oder sogar zu Paupers herabgedrückt zu werden; zwischen der Hoffnung, ihre Interessen durch Eroberung eines Antheils an der Lenkung der öffentlichen Angelegenheiten zu fördern, und der Angst, durch übel angebrachte Opposition den Zorn einer Regierung zu erregen, die über ihre Existenz selbst verfügt, da sie die Macht hat, ihnen ihre besten Kunden zu entziehen; gering sind die Mittel, die sie besitzen, und die Unsicherheit ihres Besitzes steht im umgekehrten Verhältniß zur Größe desselben: diese Klasse ist in ihren Anschauungen höchst wankelmüthig. Demüthig und kriecherisch unterwürfig unter einer starken feudalen oder monarchischen Regierung, wendet sie sich dem Liberalismus zu, wenn die Bourgeoisie im Aufsteigen begriffen ist; sie wird von heftigen demokratischen Paroxysmen ergriffen, sobald die Bourgeoisie für sich die Herrschaft errungen hat, verfällt aber der jämmerlichsten Verzagtheit, wenn die Klasse unter ihr, das Proletariat, eine selbständige Bewegung wagt.
Wir werden im Verlauf unserer Darstellung sehen, wie diese Klasse in Deutschland abwechselnd aus einem dieser Stadien in das andere übergeht.
Die Arbeiterklasse ist in Deutschland in ihrer sozialen und politischen Entwicklung ebenso weit hinter der Englands und Frankreichs zurückgeblieben, wie die deutsche Bourgeoisie hinter der Bourgeoisie dieser Länder. Wie der Herr, so der Knecht. Die Entwicklung der Existenzbedingungen für ein zahlreiches, starkes, konzentrirtes und intelligentes Proletariat geht Hand in Hand mit der Entwicklung der Existenzbedingungen für eine zahlreiche, reiche, konzentrirte und mächtige Bourgeoisie. Die Bewegung der Arbeiterklasse ist niemals selbständig und von ausschließlich proletarischem Charakter, ehe nicht alle die verschiedenen Theile der Bourgeoisie und besonders ihr fortschrittlichster Theil, die Industriellen, die politische Macht erobert und den Staat nach ihren Bedürfnissen umgestaltet haben. Ist es so weit, dann rückt der unvermeidliche Konflikt zwischen den Unternehmern und den Arbeitern in drohende Nähe, ohne weiter hinausgeschoben werden zu können; dann ist es nicht mehr länger möglich, die Arbeiter mit trügerischen Hoffnungen und Versprechungen abzuspeisen, die niemals in Erfüllung gehen können; dann tritt endlich das große Problem des neunzehnten Jahrhunderts, die Aufhebung des Proletariats, völlig und klar zu Tage.
In Deutschland wurde die große Mehrheit der Lohnarbeiter nicht von jenen modernen Industriefürsten beschäftigt, von denen Großbritannien so ausgezeichnete Exemplare hervorgebracht hat, sondern von Kleinhandwerkern, deren ganzes Betriebssystem ein Ueberbleibsel des Mittelalters ist. Und ebenso wie ein ungeheurer Unterschied zwischen dem großen Baumwollenlord und dem kleinen Schuhflicker oder Schneidermeister besteht, ist auch der aufgeweckte Fabrikarbeiter eines industriellen Babylons durchaus verschieden von dem schüchternen Schneider- oder Schreinergesellen eines kleinen Landstädtchens, dessen Lebensverhältnisse und Arbeitsweisen sich nur wenig von denen seiner Fachgenossen vor fünf Jahrhunderten unterscheiden. Dieses allgemeine Fehlen moderner Lebensverhältnisse, moderner Produktionsweisen, war natürlich von einem ebenso allgemeinen Fehlen moderner Ideen begleitet, und man darf sich daher nicht wundern, daß nach dem Ausbruch der Revolution ein großer Theil der Arbeiter den Ruf nach sofortiger Wiederherstellung der Zünfte und mittelalterlicher privilegirter Handwerkerkorporationen erhob. Dennoch bildete sich unter dem Einfluß einiger industriellen Bezirke, in denen die moderne Produktionsweise vorherrschte, sowie des Wanderlebens vieler Arbeiter, das regen Verkehr der Arbeiter untereinander und höhere geistige Entwicklung mit sich brachte, ein starker Kern von Elementen, deren Ideen von der Emanzipation ihrer Klasse weit klarer und mit den bestehenden Thatsachen und den historischen Bedürfnissen mehr im Einklang waren. Aber sie bildeten nur eine Minorität. Wenn die lebhaftere Bewegung der Bourgeoisie von 1840 datirt, so beginnt die der Arbeiterklasse mit den Erhebungen der schlesischen und böhmischen Fabrikarbeiter im Jahre 1844, und wir werden bald Gelegenheit haben, einen Ueberblick über die verschiedenen Stadien zu geben, welche diese Bewegung durchlief.
Endlich war die große Klasse der kleinen Landwirthe, der Bauern, da, die mit ihrem Anhang von Landarbeitern die große Majorität des ganzen Volks bildet. Aber diese Klasse selbst zerfiel in verschiedene Theile. Zuerst haben wir da die wohlhabenderen Bauern, die sogenannten Groß- und Mittelbauern, die mehr oder weniger ausgedehnte Güter besitzen und von denen jeder über die Dienste mehrerer Lohnarbeiter verfügt. Für diese Klasse, die zwischen den großen unbesteuerten feudalen Grundbesitzern und der kleinen Bauernschaft und den Landarbeitern stand, war aus leicht begreiflichen Gründen eine Allianz mit der antifeudalen Bourgeoisie der Städte die natürlichste Politik. Dann haben wir die kleinen freien Bauern, die im Rheinland vorherrschten, wo der Feudalismus den wuchtigen Schlägen der französischen Revolution erlegen war. Aehnliche unabhängige Kleinbauern fanden sich auch hie und da in anderen Provinzen, wo es ihnen gelungen war, die Feudallasten, die auf ihren Grundstücken lagen, mit Geld abzulösen. Aber der Besitz dieser Bauern war nur dem Namen nach frei, da in der Regel so viel Hypotheken und unter so schweren Bedingungen auf ihm lasteten, daß nicht der Bauer der wirkliche Besitzer des Landes war, sondern der Wucherer, der das Geld vorgeschossen. Drittens waren da die feudalen Hintersassen, die nicht leicht von ihren Gütern vertrieben werden konnten, die aber eine ewige Rente zu bezahlen oder einen gewissen Betrag von Arbeit ständig für den Grundherrn zu leisten hatten. Endlich die Landarbeiter, deren Lage auf manchen großen Gütern genau dieselbe war, wie die der gleichen Klasse in England, und die in jedem Fall als arme schlecht genährte Sklaven ihrer Herren lebten und starben. Diese drei letztgenannten Klassen der Landbevölkerung, die kleinen Freibauern, die feudalen Hintersassen und die Landarbeiter, hatten sich bis zur Revolution ihren Kopf nie viel über die Politik zerbrochen, aber es ist klar, daß die Revolution ihnen eine neue Bahn voll der glänzendsten Aussichten eröffnete. Jeder von ihnen bot sie Vortheile, und man durfte erwarten, daß jede sich der Reihe nach ihr anschließen werde, sobald nur die Bewegung einmal ordentlich im Gange war. Aber gleichzeitig ist es ebenso klar und durch die Geschichte aller modernen Länder wohl bezeugt, daß die landwirthschaftliche Bevölkerung nie eine selbständige Bewegung mit Erfolg unternehmen kann. Dazu ist sie zu sehr über einen großen Flächenraum zerstreut und es hält schwer, einen erheblichen Theil derselben zu gemeinsamem Wirken zu vereinigen. Die Bauernschaft bedarf des einleitenden Anstoßes der konzentrirteren, aufgeklärteren und beweglicheren Bevölkerung der Städte.
Die hier gegebene kurze Skizze der wichtigsten Klassen, aus denen das deutsche Volk beim Ausbruch der jüngsten Bewegung sich zusammensetzte, wird bereits genügen, einen großen Theil sowohl des Mangels an Zusammenhang und Uebereinstimmung wie der anscheinenden Widersprüche zu erklären, welche diese Bewegung aufwies. Wenn Interessen zu einem heftigen Zusammenstoß kommen, die so verschiedenartig, so gegensätzlich sind, so merkwürdig einander kreuzen; wenn diese miteinander kämpfenden Interessen in jedem Bezirk, jeder Provinz in anderem Verhältniß gemischt sind; wenn, vor Allem, kein großes Zentrum im Lande ist, kein London oder Paris, dessen Entscheidungen durch ihr Gewicht die Bevölkerung der Nothwendigkeit entheben können, denselben Hader in jeder einzelnen Gegend immer wieder auszukämpfen: was kann man da anderes erwarten, als daß der große Kampf sich in eine Unzahl von unzusammenhängenden Einzelkämpfen auflöst, in denen eine ungeheuere Summe von Blut, Kraft und Kapital aufgewendet wird und die trotz alledem ohne entscheidendes Resultat bleiben.
Die politische Zerstücklung Deutschlands in drei Dutzend mehr oder weniger bedeutende Staaten erklärt sich ebenfalls durch dieses Durcheinander und diese Mannigfaltigkeit der Elemente, die die Nation bilden und die überdies noch in jeder Gegend anders gemischt sind. Wo die Gemeinsamkeit der Interessen fehlt, kann es keine Einheit der Ziele, geschweige des Handelns geben. Wohl hat man den Deutschen Bund auf ewige Zeiten für unauflöslich erklärt, aber trotzdem hat der Bund und sein Organ, der Bundestag, nie die deutsche Einheit repräsentirt.
Den höchsten Grad von Zentralisation, zu dem man sich in Deutschland aufgeschwungen, erreichte man durch die Gründung des Zollvereins. Dadurch wurden auch die Staaten an der Nordsee gezwungen, sich zu einer eigenen Zollvereinigung zusammenzuschließen, indeß Oesterreich fortfuhr, sich in seinen besonderen prohibitiven Zolltarif einzuhüllen. Deutschland erlangte so die Befriedigung, für alle praktischen Zwecke nur unter drei selbständige Mächte getheilt zu sein, anstatt unter sechsunddreißig. Die Oberhoheit des russischen Zaren, die 1814 begründet worden, erlitt dadurch natürlich keine Veränderung.
Nachdem wir diese einleitenden Folgerungen aus unseren Prämissen gezogen, wollen wir zunächst untersuchen, wie die erwähnten verschiedenen Klassen des deutschen Volks eine nach der anderen in Gang gebracht wurden, und welchen Charakter die Bewegung nach dem Ausbruch der französischen Revolution von 1848 erlangte.
(Erschienen in der »Tribune« vom 25. Oktober 1851.)