Frederick Marryat
Der Pascha
Frederick Marryat

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Zehntes Kapitel.

Am andern Tage begann der Renegat seine vierte Reise mit folgenden Worten:

Huckabacks vierte Reise.

Eure Hoheit wird denken, ich hätte jetzt nach so vielen Unfällen die Seereisen ziemlich satt haben können; aber wenn man einmal an ein unstätes Leben gewöhnt wurde, so ist man von einer Unruhe besessen, die Einen von Gemächlichkeit und Ueberfluß forttreibt, um in künftiger Gefahr und Schwierigkeit Abwechslung zu suchen. Dennoch kann ich sah mich genöthigt, daß dies im gegenwärtigen Falle bei mir zutraf; denn ich sah mich genöthigt, mich gegen meine Neigung wieder einzuschiffen. Der Kapitän des Schiffes, welcher mich mit nach Hause genommen, machte mir eine kleine Geldsumme zum Geschenk, und ich wanderte durch Frankreich nach Marseille; denn ich fühlte mich gedrungen, nachzusehen, ob mein Vater noch am Leben sey. Wegen der Aebtissin-Geschichte hegte ich keine Besorgnisse mehr, denn ich wußte, wie bald in dieser Welt Alles vergessen wird, und Zeit und Mühesal hatten mich dermaßen verändert, daß kaum zu erwarten stand, ich dürfte wieder erkannt werden.

In meiner Vaterstadt angelangt, begab ich mich nach der wohlbekannten Rasirstube, wo ich unter väterlicher Leitung meine Talente zu üben pflegte. Die Stange ragte zwar noch immer über der Thüre heraus, und das Becken pendelte im Winde; aber als ich in die gedrängt volle Stube trat (es war nämlich Samstag Nachmittag) bemerkte ich, daß mir sämmtliche Operateure unbekannt waren. Meinen Vater bekam ich nicht zu Gesicht. Einer der Exspektanten, welcher wartete, bis die Reihe an ihn käme, machte mir höflich auf der Bank neben sich Platz, und ich hatte Zeit, mich umzuschauen, ehe ich Fragen stellte.

Die Rasirstube war neu gemalt, ein Spiegel von beträchtlichem Umfang hatte den kleinen verdrängt, und das Ganze trug das Ansehen eines gedeihlicheren Etablissements.

»Ihr seyd ein Fremder, Monsieur?« bemerkte mein Nachbar.

»Ja,« versetzte ich. »Aber ich bin schon früher in Marseille gewesen, und während meiner letzten Anwesenheit pflegte ich mich hier rasiren zu lassen. Der Meister war ein kleiner, beleibter Mann; aber ich kann mich seines Namens nicht mehr entsinnen.«

»Oh – Monsieur Maurepas. Er ist todt – er starb vor ungefähr zwei Monaten.«

»Und was ist aus seiner Familie geworden?«

»Er hatte nur einen einzigen Sohn, der eine Intrige mit der Tochter eines alten Offiziers in hiesiger Stadt anfing und sich flüchtig machen mußte. Niemand hatte seitdem von ihm gehört. Man meint, er sey zur See umgekommen, weil das Fahrzeug, in welchem er sich eingeschifft hatte, nie den Hafen seiner Bestimmung erreichte. Der alte Mann hat ein schönes Vermögen hinterlassen, und zwei entfernte Verwandte führen nun Proceß wegen der Erbschaft.«

»Was wurde aus dem Frauenzimmer, von dem Ihr sprecht?«

»Sie ging in ein Kloster, das keine drei Meilen von hier liegt, und ist seitdem gestorben. Es handelte sich daselbst um ein Geheimniß wegen der Aebtissin, und man glaubte, sie sey im Stande, es aufzuklären. Wenn ich nicht irre, wurde sie von der Inquisition als eine Widerspenstige behandelt und in's Gefängniß geworfen, wo sie in Folge der an ihr geübten Strenge starb.«

Bei diesen Worten ging mir ein Stich durchs Herz. Das arme Mädchen hatte also um meinetwillen die grausamste Behandlung erlitten und war mir bis auf den letzten Augenblick treu geblieben. Ich verfiel in eine schmerzliche Träumerei. Auch Cerise, über deren Geschick ich mich zu Toulouse erkundigt hatte – die liebe, theure Cerise!«

 

»Ich sage dir noch einmal Huckeback, ich will nichts mehr von der Cerise hören,« rief der Pascha. »Sie ist todt, und hat also hier nichts weiter zu schaffen.«

 

Die erhaltene Nachricht erregte in mir Zweifel über meine künftigen Schritte. Ich konnte zwar leicht meine Identität beweisen, fürchtete übrigens, ich möchte in einer Weise katechisirt werden, die Verdacht erregte. Da ich aber keinen Sous mehr im Vermögen hatte, wollte mir doch der Gedanke, auf das Eigenthum meines Vaters ganz und gar Verzicht zu leisten, nicht einleuchten. Ich pflegte früher die Perücke eines alten Advokaten, der große Stücke auf mich hielt, in Ordnung zu erhalten. Da seit meiner Flucht erst fünf Jahre verstrichen waren, so dachte ich, er könnte wohl noch am Leben seyn, und beschloß, ihn aufzusuchen. Ich pochte an seine Thüre, und fragte, ob der Herr zu Hause sey. Das Mädchen, welches mir öffnete, antwortete bejahend und wies mich in dasselbe kleine, mit Papieren angefüllte Studirzimmer, nach welchem ich früher seine Perücke zu bringen pflegte.

»Was ist Euer Belieben, Monsieur?« fragte der alte Mann, durch seine Brille nach mir hinblickend.

»Ich wünsche wegen einer bestrittenen Erbschaft Euer Gutachten zu hören,« lautete meine Antwort.

»Was ist's für eine Hinterlassenschaft?«

»Die des Monsieur Maurepas, welcher kürzlich in hiesiger Stadt das Zeitliche segnete.«

»Wie, wieder ein neuer Ansprucherheber? Thut mir leid. Ich bin bereits von der einen Partie angenommen – Ihr müßt daher anderswohin gehen. Wenn nur François wieder käme und sein Eigenthum in Anspruch nähme – der arme Bursche!«

Entzückt darüber, daß der alte Herr mich noch immer im Andenken hatte, trug ich kein Bedenken, mich ihm zu entdecken.

»Ich bin François, Monsieur,« versetzte ich.

Der Advokat stand von seinem Sitze auf, trat dicht vor mich hin, und sah mir angelegentlich in's Gesicht. Nachdem er mich einige Minuten gemustert hatte, sagte er:

»Gut – ich glaube, Ihr seyd's. Aber darf ich fragen, Monsieur, wo Ihr diese ganze Zeit über gesteckt habt?«

»Ich kann darüber nicht gut Auskunft geben und nur sagen, daß ich viel gesehen und gelitten habe.«

»Und dennoch muß ich diese Auskunft haben, wenn Ihr Euer Eigenthum zu gewinnen wünscht, das heißt, Ihr müßt rund heraus mit der Farbe – fürchtet Euch nicht, François. Es ist ein Theil unseres Berufes, in seltsame Geheimnisse eingeweiht zu werden, und ich denke, es sind manche viel wichtigere in dieser Brust verschlossen, als diejenigen seyn werden, welche Ihr enthüllen könnt.«

»Aber wenn mein Leben dabei in Frage käme?«

»Was dann? Euer Leben wird sicher seyn. Wenn ich Alles ausplaudern wollte, was ich weiß, könnte ich halb Marseille an den Galgen bringen. Aber abgesehen von meinen Berufspflichten, bin ich Euch wohl geneigt; setzt Euch daher nieder und laßt mich Eure Geschichte hören.«

Ich fühlte, daß ich meinem alten Bekannten wohl vertrauen konnte, und begann deßhalb meine Abenteuer ausführlich zu berichten. Als ich ihm meinen Schiffbruch in der Nähe von Marseille mittheilte, unterbrach er mich lachend:

»Und Ihr wart die heilige Aebtissin?«

»Ja.«

»Gut; meinte ich doch Euer Gesicht zu erkennen, als ich mit den andern Hansnarren Euch meine Aufwartung machte. Wie man sich zuletzt gar zuflüsterte, eine Mannsperson habe die heilige Aebtissin vorgestellt, sagte ich zu mir selbst: ›das ist entweder François oder der Teufel gewesen.‹ Habe aber nie meinen Argwohn laut werden lassen.«

Nachdem ich meine Erzählung beendigt hatte, bemerkte er:

»Wohlan, François, es wird etwas gefährlich seyn, vor dem Gerichtshofe Eure Identität zu beweisen, und die anderen Partien werden natürlich darauf bestehen. Ich möchte Euch daher rathen. Euch mit der Partie, welche mich angenommen hat, zu vergleichen. Laßt das ganze Eigenthum auf ihn übertragen, unter der Bedingung, daß er Euch die Hälfte oder je mehr desto lieber überlasse. Ich stelle Euch als einen sorglosen jungen Menschen vor, der gerne geschwind Geld erhalten möchte, um es verjubeln zu können. Geht es auf diese Weise, so erhaltet Ihr eine schöne, runde Summe ohne Gefahr, und ich kann meinen beiden Klienten einen Gefallen erweisen. Es ist mir immer lieb, wenn ich's so einleiten kann.«

Das Verständige dieses Vorschlages leuchtete mir ein, und mein alter Freund schoß mir einige Louisd'or vor, um mich in die Lage zu versetzen, mein Aussehen zu verbessern. Er rieth mir, mich nicht zu viel zu zeigen, und bot mir ein Bett in seinem Hause an. Ich überließ es ihm, mir für eine anständigere Garderobe zu sorgen, und er wählte zu meiner besseren Verkleidung eine Offiziers-Halbuniform. Nachdem er außerdem noch einige andere Bedürfnisse eingekauft hatte, kehrte er nach seinem Hause zurück.

»Na, parole d'honneur, Ihr macht Eurem Anzuge Ehre. Es wundert mich nicht, daß Mademoiselle de Fonseca sich in Euch verliebte. Das ist übrigens eine traurige Geschichte – ich weiß nicht ob ich Euch meine Haushälterin anvertrauen darf, denn sie ist sehr jung und sehr hübsch. Gebt mir Euer Ehrenwort, daß Ihr dem armen Mädchen nicht den Hof machen wollt, denn ich liebe sie und möchte nicht gerne, daß Ihr Eure Liste von gebrochenen Herzen mit dem ihrigen vergrößert.«

»Ich bitte, sprecht nicht davon,« versetzte ich traurig. »Mein Herz ist todt und begraben mit derjenigen, deren Namen ich eben genannt habe.«

»Wohlan denn, so geht die Treppe hinauf und stellt Euch selbst vor. Im nächsten Zimmer warten Leute auf mich.«

Ich gehorchte seiner Anweisung, und als ich in das obere Zimmer trat, bemerkte ich eine jugendliche Gestalt, die mir den Rücken zugekehrt hielt, vor einem Stickrahmen. Wie ich mich näherte, wandte sie ihr Antlitz um – aber denkt Euch mein Erstaunen, mein Entzücken, als ich Cerise erblickte!«

 

»Heiliger Prophet,« rief der Pascha, »ist das Weibsbild wieder lebendig geworden?«

»Sie war nie todt, durchlauchtige Hoheit, und wird Eure Aufmerksamkeit noch mehr als einmal in Anspruch nehmen, wenn ich ln Erzählung meiner Reisen fortfahren soll.«

»Aber ich hoffe, es kommt zu keinen weiteren Liebesscenen.«

»Nur noch die gegenwärtige,« durchlauchtige Hoheit; »denn nachher wurden wir verheirathet.«

 

Cerise sah mich einen Augenblick an, schrie laut auf und fiel besinnungslos zu Boden. Ich fing sie mit meinen Armen auf, rief sie, während sie bewußtlos da lag, bei ihrem Namen und drückte ihr hundert Küsse auf die Lippen.

Das Geräusch hatte den alten Herrn erschreckt; er war unbemerkt hereingetreten und sah die Scene mit an.

»Auf Ehre, Monsieur, in Anbetracht Eures eben gegebenen Versprechens benehmt Ihr Euch etwas frei.«

»Es ist Cerise, mein theurer Herr – Cerise!«

»Cerise de Fonseca?«

»Ja, dieselbe; das theure Mädchen, das ich stets beklagt habe.«

»Bei meiner Seele, Monsieur François, Ihr habt Talent für Abenteuer,« sagte der alte Herr, indem er das Zimmer verließ und mit einem Glas Wasser zurückkehrte.

Cerise war bald wieder hergestellt und lag nun zitternd in meinen Armen. Unser alter Freund, welcher sich ›de trop‹ hielt, entfernte sich und ließ uns allein.

Ich will nicht bei einer Scene verweilen, welche keinen Reiz für solche haben kann, die, gleich Eurer Hoheit, die Liebe bereits fertig kaufen, und werde mich daher auf eine Erzählung von Cerisens Geschichte beschränken, wie sie mir von derselben mitgetheilt wurde, nachdem ich ihr zuvor ein ähnliches Vertrauen erwiesen hatte.

»Erlaubt mir zu bemerken, Felix – oder, wie Euer Name seyn mag, Ihr Betrüger« – sagte Cerise halb vorwurfsvoll, halb im Scherze.

»Mein Name ist François.«

»Wohlan denn, François; aber dieser Name wird mir nie so gefallen, wie Felix – den gegen Felix – doch was hängt zuletzt von dem Namen ab? – Genug daß der erste in mein Herz eingegraben ist und sich nicht aus demselben verwischen läßt. Ich will Euch übrigens jetzt meine Geschichte erzählen. Erlaubt mir, mit einer Bemerkung zu beginnen, welche mir die Bekanntschaft mit Euch und späteres Nachdenken tief in die Seele eingeprägt haben. Es ist ein großes Unglück, daß diejenigen, welche in dieser Welt dem Range nach am höchsten stehen, ihre Stellung in einem Punkte, auf dem fast alles wahre Lebensglück beruht, theuer bezahlen müssen. Ich meine in der Wahl eines Gefährten, mit dem man Hand in Hand die Pilgerfahrt durch's Leben machen soll. Je höher der Rang, desto mehr ist der freie Wille beschränkt, dessen sich doch der gemeinste Bauer ungebunden erfreuen kann.

»Ein König hat keine Wahl, sondern muß sich den Wünschen seiner Unterthanen und den Interessen seines Landes unterwerfen. Die Aristokratie in unserem Lande ist nur wenig besser daran – wenigstens der weibliche Theil derselben; denn man schleppt die armen Wesen von den Klöstern zum Altar und bringt sie den Familienverbindungen zum Opfer.

»Um die Zeit, als Ihr uns an der Landstraße beistandet, oder wir doch wenigstens dieser Meinung waren – denn die Sache ist mir bis jetzt noch ein Geheimniß –«

»In einem Punkte wenigstens ist es mehr als bloße Annahme, meine Cerise, denn ich beraubte mich meines einzigen Kleidungsstückes, um Euch zu bedecken.«

»Ja, das thatet Ihr – das thatet Ihr – ich meine Euch noch zu sehen, wie Ihr von der Seite des Wagens wegtratet. Ich liebte Euch von jenem Augenblicke an – aber um fortzufahren: ich war damals aus dem Wege nach dem Schlosse begriffen, um meinem künftigen Gatten vorgestellt zu werden, den ich nie zuvor gesehen hatte, obschon die Partie längst zuvor beschlossen war.

»Meinem Vater fiel es nicht entfernt ein, daß aus unserer kurzen Bekanntschaft Schaden erwachsen könnte, und hegte gegen Euch zu sehr die Gefühle des Dankes, um Euch das Haus zu verbieten. Freilich wußte er nicht, wie Umstände und Gelegenheit wirksamer sind, als die Zeit, und ich lernte Euch in einigen Tagen mehr kennen, als ich es, was für immer einem Manne gegenüber in eben so vielen Jahren für möglich gehalten hatte. Daß ich Euch liebte – mit Innigkeit liebte, – ist Euch wohl bekannt.

»Um jedoch fortzufahren – (wie! küßt mich nicht so, oder ich kann Euch meine Geschichte nicht erzählen) – am andern Morgen hörte ich, daß Ihr Eurer, Tags zuvor ausgesprochenen Absicht zufolge abgereist seyet; aber das Pferd meines Vaters kam nicht wieder zurück. Mein Vater wurde ernst, und der Bischof düsterer, als gewöhnlich. Zwei Tage nachher theilte mir mein Vater mit, daß Ihr ein Betrüger wäret; Alles sey entdeckt, und Ihr würdet im Betretungsfalle wahrscheinlich der Inquisition übergeben. Ihr hättet Euch übrigens aus dem Lande geflüchtet, und seyet vermuthlich zu Schiff nach Toulon gegangen; zugleich kündigte er mir an, daß mein künftiger Gatte in ein paar Tagen eintreffen würde.

»Ich überlegte mir Alles dies und zog daraus meine Folgerungen. Zuerst mußte ich annehmen. Ihr seyet nicht die Person, für die Ihr Euch ausgegeben hattet, und zweitens glaubte ich, mein Vater habe unsere Zuneigung entdeckt und deßhalb darauf bestanden, daß Ihr Euch nicht wieder blicken lasset – aber daß Ihr mich aufgegeben und das Land verlassen hättet, erschien mir nach dem Vorgefallenen als eine Unmöglichkeit. Mochtet Ihr übrigens Monsieur de Rouillé seyn oder nicht – ich sehnte mich blos nach Euch, und Ihr wart der Gegenstand meiner Anbetung, für den ich zu leben oder zu sterben gelobt hatte. Ich fühlte mich überzeugt, Ihr würdet eines Tags wieder zurückkommen, und dieser Glaube hielt mich aufrecht. Mein künftiger Gatte erschien – er war abscheulich. Der für unsere Hochzeit festgesetzte Tag nahte heran – ich sah nur einen einzigen Ausweg, nämlich die Flucht. Ich wußte, daß das Mädchen, welches mich bediente (Ihr erinnert Euch – sie kam zu uns in den Garten und theilte uns mit, daß der Bischof angelangt sey) mir treulich zugethan war. Ich zog sie ins Vertrauen, und durch ihre Vermittlung kam ich in den Besitz eines Bauernmädchenkleides; auch versprach sie mir Schutz in der Hütte ihres Vaters, der in der Entfernung einiger Stunden von dem Schlosse wohnte. Am Abend vor der beabsichtigten Vermählung eilte ich nach dem Flusse hinunter, warf Hut und Halstuch ans Ufer und eilte dann weiter nach der Stelle, wo der Vater meines Mädchens mit einem Wägelchen auf mich wartete. Das Mädchen selbst, welches zurückblieb, wußte Alles bewunderungswürdig einzuleiten. Man glaubte, ich hatte mich ertränkt, und da man ihrer Dienste nicht weiter benöthigt war, so wurde sie entlassen und kam mir nach der Hütte ihres Vaters nach. Dort blieb ich mehr als ein Jahr, bis ich es endlich für räthlich hielt, nach Marseille zu kommen, wo ich bald nachher die Haushaltung des alten Herrn übernahm, der mich seitdem mehr wie eine Tochter, als wie einen Dienstboten behandelt hat. Nun, Monsieur François, könnt Ihr mir eben so gute Auskunft über Euch selbst geben?«

»Nicht ganz, Cerise; aber ich kann Euch ehrlich erklären, daß ich Euch nie vergaß, so lange ich Euch am Leben glaubte, und als ich Euch für todt hielt, hörte ich nie auf, Euch zu beklagen; auch habe ich seitdem nie wieder ein Frauenzimmer ansehen mögen. Unser alter Freund unten kann dies aus der Antwort beweisen, die ich ihm gab, als er mich vor den Reizen seiner Haushälterin verwarnte.«

Durchlauchtige Hoheit, ich sagte Cerise nicht die ganze Wahrheit, denn ich habe es stets für vollkommen rechtfertigbar gehalten, Thatsachen zu verschweigen, welche nicht zu dem Glücke anderer Leute beitragen können. Ich erklärte ihr, ich habe sie verlassen, weil ich mein Leben verwirkt haben würde, wenn ich geblieben wäre; und um ihretwillen sey mir dasselbe werth geworden. Ich habe immer beabsichtigt, wieder zurückzukehren; namentlich habe ich, nachdem ich von Valencia aus als reicher Mann anlangte, augenblicklich Erkundigungen über sie eingezogen, dadurch aber nur die Nachricht von ihrem Tode erhalten. Auch verschwieg ich vor ihr das Gewerbe, zu welchem ich erzogen worden, indem ich ihr blos andeutete, mein Vater sey ein vornehmer Mann gewesen und reich gestorben – denn obgleich Leute von guter Familie sich bisweilen der Liebe beugen, ohne vornweg nach der Geburt zu fragen, so sind sie doch stets ärgerlich, wenn sie die Entdeckung machen müssen, ihr Lotterieloos sey eine Niete gewesen.

Cerise war zufrieden – wir erneuerten unser Gelübde, und der alte Herr bedauerte es nicht, daß wir den Bund der Ehe schlossen und sein Haus verließen, weil er meinte, unsere Geheimnisse könnten, wenn sein Mitwissen entdeckt würde, für ihn höchst gefährlich werden.

Ich erhielt von dem Ansprucherheber zwei Drittheile meines Vermögens, mit denen ich mich in Gesellschaft meiner Frau nach Toulon begab. Ein Jahr lang erfreute ich mich eines ungetrübten Glücks. Meine Gattin war mir Alles, und weit entfernt, sie verlassen zu wollen, um Abwechselung zu suchen, konnte ich nicht einmal den Gedanken ertragen, ohne ihre Begleitung nur aus dem Hause zu gehen. Aber wir lebten viel zu schnell, und am Schlusse des Jahres fand ich, daß ein Drittheil meines Vermögens aufgebraucht war. Meine Liebe gestattete mir nicht, meine Gattin dem Bettelstabe preiszugeben, und ich beschloß daher, einige Maßregeln zu treffen, um uns die Mittel für eine künftige Existenz zu sichern. Ich berieth mich mit ihr, und Cerise erkannte unter vielen Thränen meine Klugheit an. Ich theilte den Rest meines Eigenthums, legte die eine Hälfte in Kaufmannsgütern an, überließ ihr die andere für ihren Unterhalt während meiner Abwesenheit und schiffte mich an Bord eines nach Westindien bestimmten Schiffes ein.

Wir erreichten die Inseln ohne Unfall, und ich war ungemein glücklich in meinen Spekulationen. Fortuna schien einmal müde zu seyn, mich mit ihrer Ungunst zu verfolgen; aber ich kannte ihre Tücke und schiffte die Hälfte meiner Rückfracht in einem andern Fahrzeuge ein, um mir eine doppelte Aussicht zu sichern.

Unser Kapitän war zur Abfahrt bereit, und die Passagiere kamen an Bord. Unter den letzteren befand sich ein reicher, alter Herr, der von Mexico gekommen war und nach Frankreich reisen wollte. Als er an Bord kam, fühlte er sich sehr unwohl, und ich empfahl ihm eine kleine Aderlässe, für die ich ihm meine Dienste anbot. Sie wurden angenommen, der alte Herr genas, und wir kamen nachher auf einen sehr vertrauten Fuß. Wir waren etwa vierzehn Tage auf der Fahrt, als ein Orkan losbrach, wie ich nie zuvor einen ähnlichen erlebt hatte. Die See war eine einzige Schaummasse, die Luft mit Sprüh gefüllt, welche uns mit blendender Gewalt ins Gesicht schlug, und der Wind blies so heftig, daß ihm Niemand stehen konnte. Das Schiff wurde auf die Seite geworfen, und wir gaben uns für verloren. Zum Glück gingen die Masten über Bord und das Fahrzeug richtete sich wieder auf. Als aber der Orkan ausgeblasen hatte, befanden wir uns in einer sehr schlimmen Lage, denn alle ledigen Spieren waren über Bord gewaschen worden, und wir entbehrten aller Mittel, um Nothmasten aufzurichten und die Segel zu hissen. Wir lagen rollend in der nun folgenden Windstille und triffteten unter dem Einflusse des sogenannten Golfstroms nach Norden.

Eines Morgens, als wir uns ängstlich nach einem Schiffe umsahen, bemerkten wir einen Gegenstand in der Ferne, über den wir nicht ins Klare kommen konnten.

Anfangs meinten wir, es seyen mehrere schwimmende Fässer, die über Bord geworfen wurden oder aus dem Raume eines gescheiterten Schiffes brachen. Endlich aber entdeckten wir, daß es eine ungeheure Schlange war, welche mit einer Geschwindigkeit von sechs oder acht Seemeilen in der Stunde unmittelbar auf unser Schiff zukam. Als sie sich näherte, bemerkten wir zu unserm Entsetzen, daß sie eine Länge von ungefähr hundert Fußen und die Dicke des Hauptmastes auf einem Vierundsiebenziger hatte. Gelegentlich erhob sie ihren Kopf viele Fuß über die Oberfläche, senkte ihn dann wieder ins Wasser, und setzte ihren raschen Lauf fort. Als sie sich uns auf ungefähr eine halbe Meile genähert hatte, eilten wir Alle in unserm Schrecken nach dem Raume hinunter. Das Thier kam an das Schiff und erhob seinen Leib mehr als um die Hälfte aus dem Wasser, so daß der Kopf unsere Marssegelraaen erreicht haben würde, wenn unsere Masten noch gestanden hätten. Die Schlange senkte sodann den großen, rautenförmigen Kopf, steckte ihn in die Luke hinunter, ergriff einen von der Mannschaft mit ihren Zähnen, stürzte sich in die See und verschwand.

Wir waren Alle höchlich entsetzt, denn wir sahen mit jedem Augenblicke dem Wiedererscheinen der Bestie entgegen und hatten doch keine Mittel, uns unten zu sichern, denn jedes Gitter und jedes Fenster war in dem Orkan über Bord gewaschen worden. Der alte Herr war der Unruhigste von Allen. Er schickte nach mir und sagte: »Ich hoffte, meine Verwandten in Frankreich noch einmal zu sehen, aber es wird mir nicht mehr so gut werden. Mein Name ist Fonseca. Ich bin ein jüngerer Bruder in der edlen Familie dieses Namens und hatte im Sinne, nicht gerade meinen Bruder, aber doch seine Tochter mit den Schätzen zu bereichern, die ich mit mir bringe. Sollten sich meine Besorgnisse verwirklichen, so baue ich auf Eure Ehre, daß Ihr meine Bitte erfüllen werdet. Sie besteht darin, daß Ihr diese Kiste, welche von großem Werth ist, den Händen meines Bruders oder seiner Tochter überliefert. Hier ist ein Brief mit der Adresse und hier der Schlüssel; der Rest meines an Bord befindlichen Eigenthums soll, im Falle ich sterbe und das Schiff gerettet wird, Euch gehören. Hier habt Ihr eine Schenkungsurkunde, die Ihr im Nothfalle vorzeigen könnt.«

Ich übernahm die Kiste, sagte ihm aber nicht, daß ich der Gatte seiner Nichte sey; denn er hätte sie enterben können, weil sie sich so tief unter ihrem Range verheirathet hatte. Der alte Gentleman hatte mit seiner Besorgniß Recht gehabt. Die Schlange kehrte Nachmittags zurück, ergriff ihn ebenso, wie am Morgen den Matrosen, und stürzte wieder in die See. So fuhr sie fort, jeden Tag zwei oder drei abzulangen, bis nur noch ich allein übrig war. Am achten Tage hatte sie den letzten Mann außer mir geholt und ich wußte, daß auch mein Schicksal Abends zur Entscheidung kommen mußte; denn so groß auch die Bestie war, konnte sie doch in jeden Theil des Schiffes dringen und durch den Wind ihres Athems viele Fuß entfernte Körper zu sich hinziehen.

Zufälligerweise befanden sich zwei Tonnen mit einem neuen, in England erfundenen Material an Bord, das wir Versuchs halber nach Frankreich nehmen wollten. Während des Orkans war das eine geplatzt und verbreitete einen unerträglichen Gestank. Obschon die Substanz allmählig verdunstet war, so bemerkte ich doch, daß die Schlange, so oft sie sich einem Gegenstande näherte, der damit besudelt war, sich augenblicklich abwandte, als ob ihr der Geruch eben so unerträglich sey, als uns. Ich weiß nicht, aus was der Stoff bestand; aber die Engländer nannten ihn Steinkohlentheer. Da fiel nur denn ein, ich könnte mich vielleicht vermittelst dieses widerlichen Präparats retten. Ich schlug den Deckel des noch ganzen Fasses ein, bewaffnete mich mit einem Besen, sprang in das Faß und erwartete in höchster Todesangst mein Schicksal. Die Schlange kam, zwängte, wie gewöhnlich, ihren Vorderleib die Luke herunter, wurde meiner ansichtig und reckte mit feuersprühenden Augen den Kopf aus, um mich zu ergreifen. Ich fuhr ihr nun mit dem eingetauchten Besen in den Rachen und duckte mich bis über den Kopf unter den Kohlentheer. Als ich mich fast erstickt wieder erhob, war das Thier verschwunden. Ich kletterte heraus, sah über die Schiffsseite hinunter und bemerkte nur, wie die Schlange wüthend den Ocean peitschte, um sich schlug und untertauchte, um sich des ekelhaften Gemisches, womit ich ihr den Rachen gefüllt hatte, zu entledigen. Nachdem sie sich in ihren gewaltigen Anstrengungen ganz erschöpft hatte, versank sie, ohne daß ich ihrer je wieder ansichtig wurde.

 

»Du hast sie also nie mehr gesehen?« fragte der Pascha.

»Nie mehr. Auch wurde das Thier sonst nie von Jemandem bemerkt, als von den Amerikanern, welche viel bessere Augen haben, als sich die Europäer deren rühmen können.«

 

Das Schiff trifftete mit dem Golfstrom nordwärts, bis es ganz in Landnähe gelangte. Nun kam ein Lootsenboot heran und enterte. Die Schiffer waren sehr ärgerlich, mich an Bord zu finden; denn wäre das Fahrzeug aller Mannschaft baar gewesen, so hätten sie es sammt der Ladung für sich behalten können, während sie so nur an ein Achtel berechtigt waren. Ich verstand genug Englisch, um aus ihren Worten zu entnehmen, daß sie mich über Bord zu werfen gedachten und eilte deßhalb augenblicklich in den Raum hinunter, um meine Kiste in Sicherheit zu bringen; wie ich aber wieder auf das Deck zurückkehrte, schleuderten sie mich in die See. Ich sank, tauchte unter das Heck und hielt mich, ohne daß ich von ihnen bemerkt wurde, an den Ruderketten fest. Inzwischen war ein anderes Lootsenboot herangekommen, um das Schiff gleichfalls zu untersuchen. Ich schwamm darauf zu und wurde eingenommen. Da die Capitäne einander nicht leiden konnten, so wurde ich nach New-York genommen, um Zeugniß abzulegen gegen die Leute, welche einen Mordversuch an mir verübt hatten. Dort blieb ich nun lange genug, um die sieben Achtel meiner Ladung zu verkaufen. Ich war noch Zeuge, wie die Mannschaft des ersten Bootes gehangen wurde, und begab mich dann an Bord eines Schiffs, welches nach Bordeaux bestimmt war, wo ich wohlbehalten anlangte. Von hier aus reiste ich nach Toulon und fand daselbst meine theure Cerise so schön und so zärtlich als nur je.

Ich war jetzt ein reicher Mann und kaufte mir ein großes Gut, mit welchem der Titel eines Marquis verbunden war. Ferner brachte ich das Schloß Fonseca an mich und machte es meiner theuren Gattin zum Geschenke. Wie glücklich fühlte ich mich nicht im Besitze der Mittel, sie wieder zu dem Range in der Gesellschaft zu erheben, den sie um meinetwillen aufgegeben hatte. Wir lebten einige Jahre glücklich, ohne uns übrigens eines Kindersegens erfreuen zu dürfen. Dann traten Ereignisse ein, welche mich wieder auf die See schickten. Dies, durchlauchtige Hoheit, ist die Geschichte meiner vierten Reise.«

 

»Gut,« bemerkte der Pascha. »Ich habe nie zuvor von einer so großen Schlange gehört – vielleicht Du, Mustapha?«

»Nie, durchlauchtige Hoheit; aber Reisende sehen wundersame Dinge. In welcher Ausdehnung wollt Ihr den Mann Eure Gnade kosten lassen?«

»Gib ihm zehn Goldstücke,« sagte der Pascha, indem er sich von feinem Thronsessel erhob und hinter den Vorhang wackelte.

Mustapha zahlte die Zecchinen aus.

»Nimm guten Rath an, Selim,« sagte er. »Es würde Seiner Hoheit viel besser gefallen, wenn Du mehr auf der See bliebest und ein bischen mehr Wunderbares erzähltest. Dein Weib da, die Cerise, wie Du sie nennst, ist eine gar langweilige Person.«

»Na, ich will sie mir morgen vom Halse schaffen. Aber ich kann Euch sagen, Vezier, daß ich mein Geld redlich verdienen muß, denn 's ist eine erschöpfende Arbeit – und außerdem mein Gewissen.«

»Heiliger Prophet! Da höre man nur – sein Gewissen! Geh', Heuchler; ertränke es heute Nacht in Wein, und es wird morgen todt seyn. Vergiß mir nur nicht, Dein Weib umzubringen.«

»Erlaubt mir, zu bemerken, daß ihr Türken sehr wenig Geschmack habt. Gleichwohl will ich sie mir nach eurer eigenen Methode vom Halse schaffen – sie soll im Meere ertrinken.«

» Bashem ostun – auf mein Haupt komme es!«


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