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»Mustapha,« sagte der Pascha am anderen Tage, nachdem die Audienzhalle geschlossen war, »ist der andere Giaur bereit?«
»Baschem Ustun! Möge jede Säumigkeit über meinen Kopf kommen, durchlauchtige Hoheit. Der ungläubige Hund harrt nur Eures Gebots, um sich kriechend Eurer erhabener Person zu nähern.«
»Er soll kommen, damit unser Ohr erquickt werde. Barek Allah! Gott sey gepriesen! Es gibt außer dem Kalifen Harun noch andere Leute, welche Geschichten zusammenkriegen können.«
Der Sklave erhielt Befehl, vor dem Pascha zu erscheinen. Er war ein bräunlicher Mann mit schönen Zügen und trat mit einer stolzen Haltung ein, welche weder durch seine Lage, noch durch seine zerrissenen Kleider verdeckt werden konnte. Als er noch einen Schritt von dem Staatsteppich entfernt war, verbeugte er sich und kreuzte stumm seine Arme.
»Ich wünsche zu wissen, aus welchem Grunde Du Dich letzthin, als Du mit dem griechischen Sklaven Streit hattest, für einen so guten Weinkenner erklärtest.«
»Durchlauchtige Hoheit, ich gab damals als Grund an, weil ich viele Jahre Dominikaner-Mönch gewesen sey.«
»Ich erinnere mich, daß Du so sagtest. Was ist das für ein Gewerbe, Mustapha?« fragte der Pascha.
»Wenn Euer Sklave nicht irrt, so ist es allenthalben ein gutes Gewerbe. Der Ungläubige meint, er sey ein Mollah oder Derwisch unter den Anhängern von IsauriJesus Christus gewesen.«
»Mögen sie und die Gräber ihrer Väter in Ewigkeit befleckt seyn!« rief der Pascha. »Trinken sie nicht Wein und essen Schweinefleisch? Hast Du nichts weiter zu sagen?« fragte der Pascha.
»Mein Leben ist nicht uninteressant gewesen,« versetzte der Sklave, »und wenn es Eurer Hoheit beliebt, mich anzuhören, so will ich meine Geschichte erzählen.«
»Ja, wir wollen uns herablassen. Setz' Dich und fange an.«
Ich bin ein Spanier und in Sevilla geboren; ob aber mein Vater ein Grand oder von bescheidenerer Herkunft war, kann ich nicht mit Bestimmtheit angeben. Ich weiß nur so viel, daß ich mich, als meine Vernunft zu tagen begann, in dem von der Regierung errichteten Zufluchtsort für jene unglücklichen Wesen befand, die mit Schwarzbrod und Oel auferzogen werden, weil ihre unnatürlichen Eltern entweder den Aufwand für ihren Unterhalt nicht bestreiten mögen, oder zuerst durch ungesetzliche Liebe die Schaam, und zuletzt durch die Schaam die mütterliche Liebe besiegen ließen.
In einem gewissen Alter werden diese Kinder für verschiedene Berufe und Gewerbe bestimmt, und diejenigen, welche frühzeitig Talent zeigen, finden oft Aufnahme im Schooß der Kirche.
Da mich die Natur mit einer sehr schönen Stimme und einem richtigen Ohr für Musik ausgestattet hat, so wurde ich ausgewählt, um als Chorsänger in einem Dominikanerkloster von großem Rufe aufgezogen zu werden. Ich war zehn Jahre alt, als man mich der Obhut des Chorregenten übergab. Unter seiner Leitung erhielt ich Singunterricht, während ich zu anderen Zeiten den Ministrantendienst der Kirche versehen und bei den Prozessionen das Weihrauchfaß oder eine große Wachskerze tragen mußte. Als Kind wurde meine Stimme viel bewundert, und nachdem der Gottesdienst vorüber war, schenkten mir die Damen oft Confekt, das sie in ihren Taschen für den kleinen Anselmo mitgebracht hatten. Mit meinem heranwachsenden Alter vervollkommnete ich mich in der Musik und in meinem zwanzigsten Jahre hatte ich einen schönen Tenor. Der Superior des Klosters und andere Würdenträger der Kirche lagen mir nun auf das Schmeichelhafteste an, so daß ich endlich einwilligte, das Gelübde abzulegen und ein Mönch zu werden.
Obgleich man in unserem Kloster viel Freiheit hatte, wurde mir doch noch mehr nachgesehen als den übrigen Mönchen. Ich ertheilte Unterricht in der Musik und im Singen, und ein Theil meines Verdiensts fiel zum Besten der Brüderschaft in die Hände des Superiors. Doch abgesehen hievon verbreitete sich mein Ruf bald über ganz Sevilla, und Hunderte pflegten in unserer Kirche blos deßhalb die Messe zu besuchen, um die Stimme des Bruders Anselmo zu hören. Ich wurde daher als ein sehr werthvolles Eigenthum betrachtet, und das Kloster würde bedeutend gelitten haben, wenn ich es verlassen hätte. Obschon ich meiner Gelübde nicht entbunden werden konnte, war doch der Fall denkbar, daß ich durch Verwendung nach Madrid kam, und der Superior, der dies wußte, gestattete mir jede Nachsicht, um mich nur zum Bleiben zu vermögen. Das Geld, welches ich für meine Bedürfnisse erhielt, setzte mich in die Lage, den Pförtner zu meinem Freunde zu machen, so daß ich zu jeder Stunde ein- oder ausgehen konnte. Ich verstand mich vortrefflich auf die Guitarre, und so wenig es sich auch mit meinen mönchischen Gelübden zusammen zu reimen scheint, eilte ich doch oft vom Abendgottesdienste fort, um bei einer Serenade für irgend eine schöne Sennora mitzuwirken, deren Inamorato der Gewalt meiner Stimme bedurfte, um sie seinen Wünschen geneigt zu machen.
Meine Sedillas und Conzonettas wurden sehr bewundert, und zuletzt galt keine Serenade für vollkommen, wenn nicht Anselmos Tenor dabei war. Ich brauche kaum zu bemerken, daß dies ein sehr einträgliches Geschäft war und ich dadurch die Mittel gewann, einer Ueppigkeit zu pflegen, welche die Regel unser Orden nicht gestattete. Ich wurde bald ein Schlemmer und blieb oft ganze Nächte durch bei den jungen Cavalieren sitzen, um mit ihnen zu trinken und ihnen zur Unterhaltung Liebeslieder vorzusingen. Dennoch wurde mein Benehmen nicht bekannt, oder vielleicht aus den bereits angedeuteten Gründen übersehen. Wenn der Mensch sich einmal einem übermäßigen Weingenusse hingibt, so ist er auch jedem anderen Laster zugänglich und wird ihm leicht zur Beute. Der erste Irrthum führte mich in andere, und ohne Rücksicht auf meine mönchischen Gelübde fühlte ich mich oft geneigter, für eigene Rechnung, als für die meiner Gönner eine Serenade zu bringen. Ich hatte zwar ein sehr schönes Gesicht, aber es war entstellt durch die geschorne Glatze und durch den häßlichen Schnitt des Haares. Die rauhe, ungestalte Mönchskutte verhüllte das Ebenmaß meiner Glieder, welches sonst vielleicht auf dem Prado Aufmerksamkeit geweckt haben würde, und ich bemerkte bald, daß sich die Bewunderung des anderen Geschlechts auf nichts weiter als auf meinen Gesang erstreckte. Die Damen schienen zu glauben, ich sey, wie es meine Pflicht heischte, in jeden andern Punkte für die Welt todt.
Da war nun eine junge Dame, Donna Sophia, welcher ich einige Zeit Musikunterricht ertheilt hatte und die mir geneigt zu seyn schien. Sie war eine vortreffliche Dilettantin und liebte die Musik leidenschaftlich; auch besteht zwischen den wahren Freunden der Tonkunst eine Sympathie, eine Art von Freimaurerei, welche sie augenblicklich auf den Fuß der Gleichheit und in ein sehr inniges Verhältniß setzt, so zwar, daß ich, wenn ich ein verheiratheter Mann wäre und eine Musikfreundin zur Frau hätte, mich sehr hüten würde, ihr einen Mann von ähnlichen Gefühlen vorzustellen, im Falle ich sie nicht selbst besäße. Ich kam bei dieser jungen Dame sehr in Gunst und schmeichelte mir schon mit einem erfolgreichen Ausgang, als eines Tages, wie wir eben ein Duett sangen, ein schöner, junger Officier eintrat. Sein braunes Haar wallte in natürlichen Locken nieder und seine Kleider paßten vortrefflich zu seiner schmächtigen, anmuthigen Gestalt. Er war ein Cousin, welcher eben erst von Carthagena zurückgekommen, und erwies sich gegen die Dame so aufmerksam, daß ich bald bemerkte, alle Bemühungen seyen verloren, und ich trete mit jedem weiteren Morgen mehr in den Hintergrund zurück.
Darüber ärgerlich wagte ich es, mich frei auszusprechen, und schmähte auch in seiner Abwesenheit vor Donna Sophia über ihn, weil ich hoffte, mich auf diese Weise wieder in ihrer Gunst festzusetzen. Dies war jedoch ein trauriger Irrthum, dann sie verbat sich für die Zukunft nicht nur meine Dienstleistungen, sondern ich mußte auch nachher erfahren, daß sie ihrem Cousin den Grund meiner Entlassung mitgetheilt hatte.
Ich kehrte in keiner angenehmen Stimmung nach das Kloster zurück, wo mir mitgetheilt wurde, daß der Superior mich zu sprechen wünsche. Als ich vor ihm erschien, erklärte er gegen mich, daß er von meinen zügellosen Benehmen Kunde erhalten habe, schmählte bitterlich und schloß damit, daß er mir eine schwere Buße auflegte. Da ich wohl wußte, Ungehorsam würde nur größere Strenge zur Folge haben, so verbeugte ich mich mit demüthiger Miene, obschon meine Brust vor Entrüstung schwoll, und kehrte nach meiner Zelle zurück, fest entschlossen, augenblicklich um meine Versetzung nach Madrid einzukommen. Ich war noch nicht lange allein, als mir der Pförtner ein Billet brachte. Es war von Donna Sophia, welche mich bat, sie denselben Abend zu besuchen, und sich wegen der scheinbaren übeln Behandlung entschuldigte; sie habe sich nur so anstellen müssen, um ihre Absichten besser verbergen zu können, weil sie bei unserer letzten Zusammenkunft befürchtet habe, daß ihre Mutter in der Nähe sey.
Ich war entzückt über dieses Billet und beeilte mich, ihrem Wunsche zu entsprechen. Sie hatte mich angewiesen an der Hinterthüre, welche gegen das Feld hinausging, zu erscheinen und dreimal anzuklopfen. Aber kaum war mein Hand erhoben, um das Signal zu geben, als ich von vier verlarvten Männern ergriffen wurde, die mich knebelten und banden. Dann streiften sie mir meine Kutte ab und peitschten mich mit Nesseln, daß ich vor Schmerz fast wüthend wurde. Nachdem sie also ihre Rache befriedigt hatten, ließen sie mich los, nahmen mir den Knebel ab und liefen davon. Ich vermuthete damals, was sich auch später als richtig herausstellte, daß ich diese Behandlung dem jungen Officier zu danken hatte, welcher also die Schmähungen, die ich vor seiner Geliebten gegen ihn ausgestoßen, an mir rächen wollte. Die Hiebe brannten auf meiner Haut, und kochend vor Wuth zog ich, so gut es gehen wollte, meine Kleider an. Dann begann ich nachzudenken, in welcher Weise ich handeln sollte. Vor den übrigen Mitgliedern des Klosters konnte ich meine Lage nicht geheim halten, und eine wahrheitsgemäße Erklärung wäre nicht nur allzu demüthigend gewesen, sondern hätte mich auch einer viel strengeren Zucht unterworfen. Endlich kam ich aus den Gedanken, daß aus dem Uebel noch Gutes entspringen könne. Ich sammelte einen großen Büschel Nesseln, die unter den Mauern wuchsen, und schleppte mich nach dem Kloster zurück. In meiner Zelle angelangt, warf ich mein Gewand ab, das ich wegen meiner geschwollenen Glieder nicht länger tragen konnte, und begann die Wände und mein Bett mit den Nesseln zu peitschen.
Nach einer Weile stöhnte ich kläglich und immer lauter und lauter, bis endlich einige Mönche hereinkamen, um nach dem Grunde zu fragen. Da fanden sie nun, wie ich augenscheinlich mich selber auf die grausamste Weise kasteit hatte. Als sie die Thüre öffneten, warf ich mich auf das Brett und schrie noch lauter. Dies war freilich der einzige Theil meines Benehmens, welcher nicht in Täuschung bestand, denn ich fühlte die bittersten Schmerzen. Auf ihre Frage erwiederte ich ihnen, daß ich mich schwerer Vergehungen schuldig gemacht habe; der Superior haben mir einen Verweis ertheilt und mir Buße aufgelegt, wodurch ich bewogen worden sey, mich mit Nesseln zu peitschen. Ich bitte sie nunmehr, da ich selbst nicht mehr könne, die Operation fortzusetzen. Sie waren nicht so unmenschlich, um auf das Letztere einzugehen, sondern schickten nach dem Arzt des Klosters und meldeten den Vorgang dem Superior. Ersterer wandte Mittel an, um meinen Schmerz zu stillen, und Letzterer war über meine scheinbare Zerknirschung so erfreut, daß er mir die Absolution ertheilte und mir die auferlegte Buße abnahm. Nachdem ich wiederhergestellt war, kam ich bei ihm mehr in Gunst, als je, und hatte mich der vollen früheren Nachsicht zu erfreuen.
Während ich mich jedoch auf meinem Schmerzenslager befand, stellte ich unaufhörlich Betrachtungen über das Vorgefallene an. Mit bitterem Leide bemerkte ich die Schranke, welche die Kutte zwischen mir und der Welt gezogen hatte, während mich doch mein Temperament unfähig machte, mein Gelübde zu erfüllen. Ich fluchte meinen Eltern, welche die Ursache meiner gegenwärtigen Lage waren und fluchte meinem Mönchsgewand, welches dieselbe überall zur Schau trug. Dann dachte ich an das verrätherische Mädchen und entwarf Rachepläne. Ich verglich meine persönlichen Eigenschaften mit denen des jungen Officiers, und die Eitelkeit flüsterte mir ein, daß der Vortheil auf meiner Seite seyn würde, wenn mich nicht die schnöde Tracht meines Berufs entstellte. Endlich kam ich über meine Maßregeln zu einem Beschlusse.
Wie bereits gesagt, befand sich in Folge meiner Musikstunden und meines Beistandes bei den Serenaden meine Börse in einem guten Zustande. Nachdem ich mich hinreichend erholt hatte, um auszugehen, begab ich mich zu einem Barbier, dem ich sagte, man habe mir wegen beharrlichen Kopfwehs das Abrasiren des ganzen Kopfes anempfohlen, er solle mir daher eine falsche Tonsur machen. Diese war in einigen Tagen bereit und so gut angefertigt, daß kein Unterschied zwischen der Perücke und meinem eignen Haare, das ich nun entfernte, zu bemerken war. Soweit waren meine Einleitungen gelungen; da aber bei einem derartigen Unterfangen zu Vermeidung allen Verdachtes die größte Vorsicht nöthig war, so kehrte ich wieder nach dem Kloster zurück, wo ich mich mehrere Tage ruhig verhielt. Eines Abends, als es bereits dunkel war, ging ich wieder aus und begab mich in die Trödelbunde eines Juden, wo ich einen Cavaliersanzug, der mir passend schien, kaufte. Ich verbarg die Kleider in meiner Zelle und machte mich am andern Tage auf den Weg, um an irgend einem abgelegenen Theile eine kleine Wohnung aufzusuchen, wo ich keiner Beobachtung ausgesetzt wäre. Dies war nicht leicht; aber südlich gelang es mir, ein Quartier zu finden, das mit einem gemeinschaftlichen Treppenhause in Verbindung stand, in welchem die verschiedenen Hausbewohner unaufhörlich ab- und zugingen. Ich zahlte den ersten Monat voraus, sagte, mein Bruder, den ich mit jedem Tage erwarte, werde es nächstens beziehen, und nahm inzwischen den Schlüssel in Besitz. Ich kaufte einen kleinen Koffer, ließ ihn nach meiner Wohnung bringen und schloß darin meinen Cavalieranzug, den ich aus dem Kloster holte, ein. Dann verhielt ich mich wieder ruhig, einerseits um allem Verdacht vorzubeugen, dann aber auch um mich durch meine vermeintliche Besserung bei dem Superior in Gunst zu setzen. Einige Tage später ging ich wieder aus und ließ bei einem der geschicktesten Perückenmacher Sevillas ein Billet zurück, in welchem ich denselben aufforderte, mich zu einer gewissen Stunde in meiner Wohnung zu besuchen. In der letzteren angelangt, nahm ich meine Mönchskutte und falsche Tonsur ab, verschloß sie in meinem Koffer, band ein seidenes Tuch um meinen Kopf und legte mich zu Bette, den Cavalieranzug auf dem Stuhle neben mir liegen lassend. Zu der anberaumten Zeit klopfte der Perückenmacher. Ich hieß ihn eintreten, entschuldigte mich, daß mein Diener in einem Auftrage abwesend sey, und ersuchte ihn, mir eine schöne Perücke anzufertigen, weil ich mir wegen eines Fiebers, von dem ich jetzt genesen sey, den Kopf habe scheeren lassen müssen. Auf seine Frage über die Farbe und Art des verlorenen Haares schilderte ich ihm dasselbe weit heller, als mein eigenes war, und ungefähr in derselben Weise, wie es der junge Offizier trug, dessen Locken die Ursache meines kürzlichen Unglücks gewesen waren. Ich zahlte ihm einen Theil des Preises voraus, und nachdem er zu einer bestimmten Stunde die Perücke abzuliefern versprochen hatte, entließ ich ihn. Dann stieg ich aus meinem Bette, nahm Kutte und Tonsur wieder auf und kehrte nach dem Kloster zurück.
Während ich alle diese Vorbereitungen traf, hatte ich eifrig mein Geld zusammengespart, das ich früher eben so schnell verschwendete, als ich es gewonnen hatte. Ich konnte nicht umhin, mich jetzt mit einer Puppe vor ihrer Umwandlung zu vergleichen. Zuvor war ich die Raupe gewesen, jetzt aber stand ich im Begriffe, mein Gefängniß zu sprengen und als ein bunter Schmetterling umherzufliegen. Ich setzte mein kluges Benehmen noch eine Woche fort, nach deren Verfluß ich mich zu meinem Superior begab und seinen Händen eine Geldsumme überlieferte, die ich bequem entbehren konnte. Er ertheilte mir dafür seinen Segen und lobte mich, daß ich mir meine früheren Ausschweifungen abgewöhnt habe. Mit hochklopfendem Herzen eilte ich nach meiner Wohnung, warf die verhaßte Kutte sammt der Tonsur ab und kleidete mich in meinen neuen Anzug.
Die Umwandlung war vollkommen, denn ich erkannte mich selbst nicht mehr. Kaum konnte ich glauben, daß der schmucke junge Cavalier, der mir ans dem Spiegel entgegen sah, der Bruder Anselmo sey. »Soll dieses Gesicht durch eine schnöde Tonsur entstellt werden?« sagte ich zu mir selber. »Sollen sich diese Glieder unter einer garstigen Mönchskutte bergen?« Ich betrachtete mich abermals und konnte mich nur mit Mühe von dem Spiegelbilde meiner Umwandlung losreißen. Ich war in der That ein Schmetterling. Endlich nahm ich mir vor, auszugehen. Ich schloß meine Kutte ein und stieg die Treppe hinunter. Freilich wagte ich mich nur mit Zittern auf die Straße: aber ich fand bald Grund zuversichtlicher zu werden, denn auf der Straße begegnete mir einer meiner vertrautesten Freunde, der mir in's Gesicht sah und ohne ein Zeichen der Erkennung an mir vorbei ging. Hocherfreut über diesen Umstand ermuthigte ich mich und ging keck nach dem Prado, wo ich von den Frauen mit günstigen Blicken, von den Männern aber mit Sticheleien begrüßt wurde, die ich beide für gleich schmeichelhaft hielt. Abends begab ich mich wieder nach meiner Wohnung, legte meine Kutte an und kehrte in das Kloster zurück. Ich fühlte nun wohl, daß ich keine Entdeckung zu befürchten habe und schwelgte in dem Vorgenusse eines Glückes, das mir bisher versagt gewesen war. Später ließ ich mir die modischsten und kostbarsten Kleider anfertigen, miethete mein Quartier auf sechs Monate und legte mir den Namen Don Pedro bei. So machte ich nun die Bekanntschaft vieler jungen Männer, darunter auch die das jungen Officiers, welcher mich so übel behandelt hatte. Letzterer faßte eine Zuneigung zu mir, die ich zu Förderung meiner Absichten ermuthigte. Ich wurde sein Vertrauter. Er theilte mir sein Liebesverhältniß mit seiner Cousine mit, erklärte aber, daß er der Sache müde sey und mit ihr zu brechen wünsche; deßgleichen erwähnte er als eines vortrefflichen Spasses der Züchtigung, welche er dem Mönche Anselmo hatte angedeihen lassen.
Er führte den Degen vortrefflich – eine Eigenschaft, die natürlich durch meine Erziehung vernachläßigt worden war und die ich dadurch erklärte, daß man mich bis zu dem Tode meines älteren Bruders für die Kirche bestimmt habe. Ich nahm sein Erbieten, mich zu unterrichten, an und wurde von ihm in den ersten Anfangsgründen der Fechtkunst eingeweiht. Später nahm ich Stunden bei einem Fechtmeister, und da ich mich unaufhörlich übte, so fand ich schon nach einigen Monaten aus den gelegentlichen Versuchen, die ich mit dem Officiere machte, daß ich ihm überlegen war. Meine Rache, die ich bisher hatte unterdrücken müssen, war nun zur Reife gediehen.
Aber trotz meiner auswärtigen Abenteuer bot ich doch aller Klugheit und Vorsicht auf, um eine Entdeckung zu vermeiden, indem ich mich aufs Sorgfältigste hütete, durch irgend eine Unbesonnenheit Anlaß zu Argwohn zu geben. In der Regel weihte ich vier Tage in der Woche dem Kloster und meinen Singstunden. Um die Schwierigkeit einer Identitäts-Nachweisung zu erhöhen, wurde ich als Bruder Anselmo weit ernster und auch in meinem Aeußeren schmutziger. Ich that dergleichen, als hätte ich eine ungemeine Vorliebe für den Schnupftabak gewonnen, besudelte damit mein Gesicht und meine Kutte und sprach stets nur mit sehr feierlicher Stimme. Weit entfernt also, Argwohn zu erregen, setzte ich mich vielmehr jeden Tag mehr in der Gunst der Superiors fest. Meine Abwesenheit bei Tag blieb unbeachtet, weil man wußte, daß ich Musikstunden gab, und meine nächtlichen Unregelmässigkeiten blieben ein Geheimniß, in das nur ich und der Pförtner eingeweiht waren. Ich brauche kaum zu bemerken, daß ich als Don Pedro stets bedauerte, nicht mit einer Singstimme begabt zu seyn; ja ich schickte sogar in Gegenwart meiner Gefährten einmal ein Billet an Bruder Anselmo, daß er bei einer Serenade für eine Dame, welcher ich als Don Pedro den Hof machte, mitwirke. Ich glaube nicht, daß es damals je einem meiner Bekannten auch nur entfernt zu Sinne kam, ich könnte, unter verschiedener Kleidung eine und dieselbe Person seyn.
Um jedoch fortzufahren – eines Tages vertraute mir der junge Officier, welcher Don Lopez hieß, daß er sich nicht zu rathen und zu helfen wisse; er werde von der Eifersucht und den Vorwürfen seiner Geliebten bitterlich gequält – ich solle ihm daher rathen, was er anfangen solle. Ich lachte über seine Verlegenheit.
»Mein theurer Lopez, versetzte ich, stellt mich ihr vor und verlaßt Euch darauf, daß sie Euch nicht mehr viel lästig fallen wird. Ich will ihr den Hof machen, und über die neue Eroberung erfreut, wird sie Euch bald vergessen.«
»Euer Rath ist vortrefflich, mein guter Freund,« entgegnete er. »Wollt Ihr diesen Nachmittag mit mir kommen?«
Abermals stand ich der gegenüber, welche ich geliebt hatte, nun aber nicht mehr liebte, denn ich lebte jetzt nur der Rache. Sie erkannte mich durchaus nicht. Ihr Verdruß über Don Lopez und das Vergnügen über meine Bemühungen, ihr zu gefallen, verschafften mir bald Einfluß; aber sie liebte zwischen den Paroxismen ihres Hasses Don Lopez noch immer. Das einemal bot sie Alles auf, ihn wieder zu gewinnen, das andere Mal hörte sie auf meine Liebesworte; aber endlich beschuldigte er sie der Treulosigkeit und gab ihr für immer den Abschied. Nun brach ihr ganzes Ungestüm los, und sie verlangte von mir als einen Beweis meiner Liebe, daß ich ihn zum Zweikampf herausfordere. Nichts konnte mir gelegener kommen. Indem ich mich anstellte, als sey ich ganz wahnsinnig in sie verliebt, ersah ich eine Gelegenheit, als er eben über mich lachte, ihn der Lüge zu zeihen und Genugthuung zu fordern. Da dies in Gegenwart von Anderen geschehen war, so konnte von einem Widerruf oder einer Erklärung keine Rede seyn. Wir bestellten uns und trafen allein in demselben Felde zusammen, wo ich meine Züchtigung erhalten hatte. Zugleich hatte ich meine Mönchskleider und die Tonsur mitgebracht, die ich vor seiner Ankunft unter denselben Nesseln versteckte, welche er zu meiner Beschimpfung sammeln ließ. Der Kampf währte nicht lange. Nach einigen Stößen und Paraden lag er sterbend zu meinen Füßen. Ich warf nun schnell meine Kutte über, vertauschte die Perücke gegen die Tonsur und trat an seine Seite. Er öffnete seine Augen, welche ihm eine Ohnmacht – die Folge der plötzlichen Blutung – geschlossen hatte, und sah mich erstaunt an.
»Ja, Don Lopez,« sagte ich; »erblicke in Don Pedro den Mönch Anselmo, den Du mit Nesseln peitschen ließest, und der jetzt den Schimpf gerächt hat.«
Dann warf ich die Kutte ab, ließ ihn den Anzug erblicken, welchen ich unter derselben trug, und vertauschte meine Tonsur mit der Perrücke.
»Du bist jetzt von der Wahrheit überzeugt,« fügte ich bei, »und ich bin gerächt.«
»Ich sehe, wie es steht,« versetzte er mit matter Stimme. »Aber wenn Ihr mich als Don Pedro erschlagen habt, so bitte ich Euch, mir, nun ich im Sterben liege, als Bruder Anselmo die Absolution zu ertheilen. Treibt Eure Rache nicht so weit, um mir dies zu verweigern.«
Ich konnte ihm diesen Trost nicht versagen und ertheilte dem Manne, welcher unter der Maske des einen Costüms von meiner Hand gefallen war, die Absolution in der andern; denn es wäre eine Abgeschmacktheit gewesen, wenn sich jetzt meine Rachsucht nicht begnügt hätte.
Einige Minuten später starb er. Ich eilte nach meiner Wohnung, wechselte meine Kleider und begab mich nach dem Kloster, von wo aus ich als Don Pedro an Donna Sophia schrieb, ihr das Vorgefallene mittheilte und ihr zugleich bedeutete, daß ich mich verborgen halten müsse, bis der Lärm vorüber sey. Drei Wochen blieb ich im Kloster und ließ mich auswärts nur als Pater Anselmo blicken. Ich brachte den Superior eine beträchtliche Summe zum Gebrauch der Kirche theilweise um die Gewissensstürme zu beschwichtigen, die mich wegen des begangenen Verbrechens ängstigten, theilweise, um mich in seiner Gunst zu erhalten.
Nach Abfluß der gedachten Zeit schickte ich der jungen Dame in meiner Eigenschaft als Don Pedro ein Billet, in welchem ich ihr meine Rückkehr meldete und ihr zu wissen that, daß ich sie im Dunkel des Abends zu besuchen gedenke. Ich ging nach meinem Quartier, kleidete mich als Cavallier, klopfte an ihre Thüre und wurde eingelassen. Aber statt der erwarteten herzlichen Begrüßungen überhäufte sie mich mit Schmähungen und erklärte mich für einen Gegenstand des Abscheus. Es schien also, daß sie zwar in der Wuth über die Untreue ihres Liebhabers den Einflüsterungen der Rache Gehör geschenkt hatte, nun aber, als er nicht mehr unter den Lebenden weilte, alle ihre Liebe zu ihm wieder neu erwacht war. Ich zürnte jetzt gleichfalls und wollte das Haus verlassen; aber es lag nicht in ihrer Absicht, daß ich so leicht entkommen sollte, denn sie hatte zwei ihrer Verwandten unten aufgestellt, damit sie mich auffingen. Während ich die Treppe hinunter stieg, rief sie den unten Stehenden zu, und ich fand ein paar gezogenen Degen, welche mir den Durchgang streitig machten. Es blieb mir daher keine andere Wahl, als mir meinen Weg zu erkämpfen. In einem wüthenden Angriffe brachte ich zuerst dem Einen eine schwere Wunde bei und entwaffnete bald nachher den Anderen in demselben Augenblicke, als meine erboste Schöne, welche bemerkte, daß ich das Feld behaupten werde, hinter mich hingelaufen war und mir die Arme gehalten hatte. Aber sie kam zu spät. Ich schleuderte sie entrüstet auf den Verwundeten und ging zum Hause hinaus. Sobald ich auf der Straße war, zahlte ich Fersengeld, eilte nach meiner Wohnung, wechselte meinen Anzug und begab mich nach dem Kloster.
Dieses Abenteuer machte mich um Vieles nüchterner. Ich blieb nun einige Monate ruhig und wagte es nicht, mich als Don Pedro zu zeigen, damit die Diener der Gerechtigkeit nicht Hand an mich legten. Ich wurde pünktlicher in meinen Pflichten und strenger in meinem Benehmen.
Die verschiedenen Beichtstühle in unserer Kirche waren gewöhnlich von den älteren Mönchen besetzt, obgleich auch hin und wieder die jüngeren eintreten mußten, wenn einer der ersteren durch Krankheit oder andere Ursachen verhindert war. Einer der Patres wurde ernstlich krank, und ich wußte, daß die Mutter der jungen Dame, welche sehr pünktlich in ihren religiösen Obliegenheiten war, jeden Freitag in dem Stuhle dieses Mannes zu beichten pflegte. Ich nahm Besitz davon, weil ich hoffte, irgend ein Mittel aufzufinden, um meine Rache zu verfolgen. Auch die junge Dame pflegte in demselben Stuhle zu beichten, obschon sie nur selten kam; namentlich hatte sie sich seit dem Tode ihres Liebhabers nicht wieder blicken lassen.
Wie ich mir vorgestellt hatte; kam die Mutter richtig und beichtete eine lange Reihe kleiner Sünden, für die ich ihr eine leichte Buße auflegte. Dann fragte ich sie durch das Gitter des Beichtstuhls, ob sie keine Kinder habe, worauf sie bejahend antwortete. Ich erkundigte mich dann, wann ihre Tochter zum letztenmal gebeichtet habe. Sie nannte ein längst vergangenes Datum, und ich begann nun mich über die Nachlässigkeit der Eltern zu verbreiten, indem ich sie aufforderte, ihre Tochter zur Beichte zu schicken, da ich ihr andernfalls eine Buße von einigen hundert Paternostern und Ave Marias auflegen müsse, weil sie ihren mütterlichen Obliegenheiten nicht nachkomme. Die alte Dame, welche sich einer derartigen Buße nicht zu unterwerfen wünschte, versprach, ihre Tochter am andern Tage herzubringen, und hielt Wort. Donna Sophia kam augenscheinlich nicht sehr bereitwillig. Indes knieete sie in dem Beichtstühle nieder, bekannte hundert Kleinigkeiten, schloß dann ihr Register und wartete auf die Absolution.
»Habt Ihr sonst nichts mehr auf dem Herzen?« fragte ich in dem gedämpften, murmelnden Tone, der im Beichtstühle gewöhnlich ist; denn obgleich sich gegenseitig die Persönlichkeit nicht unterscheiden ließ, wünschte ich doch nicht, daß sie meine Stimme erkenne.
»Nein,« versetzte sie mit schwachem Flüstern.
»Meine Tochter,« entgegnete ich, »aus Eurer zitternden Antwort entnehme ich, daß Ihr Euch selbst und mich täuscht. Ich bin ein alter Mann und habe schon zu viele Jahre diesem Beichtstuhl vorgestanden, um nicht aus den Antworten, die ich erhalte, entnehmen zu können, ob das Gewissen wirklich entlastet ist. Ich bin überzeugt, auch das Eure drückt noch etwas schwer – eine Sünde, für die Ihr gerne Absolution haben möchtet, aber die Ihr Euch zu enthüllen scheut. Wenn Ihr auch nicht hauptsächlich dabei thätig wart, so habt Ihr doch zu dem Verbrechen mitgeholfen, und ich muß Euch die Absolution verweigern, bis von Euch ein volles Bekenntniß abgelegt worden ist.«
Ihre Brust hob sich in stürmischer Aufregung; sie versuchte zu sprechen, konnte aber nichts als Thränen hervorbringen.
»Das sind gute Vorboten,« bemerkte ich, »und ich gewinne daraus die Ueberzeugung, daß meine Muthmaßung richtig war. Forscht in Eurem Gewissen nach und nehmet den Trost hin den ich Euch zu geben vermag. Muth, meine Tochter; auch die Besten von uns sind schwere Sünder.«
Sobald es ihr möglich geworden war, ihr Schluchzen zu unterdrücken, begann sie ihre Beichte. Sie erzählte ihre Zuneigung zu mir, ihre spätere Liebe für den jungen Officier, meine Schmähreden über denselben und die darauf folgende Züchtigung – die Untreue ihres Liebhabers, die Einführung des Don Pedro, ihre Reue über den Umstand, daß sie ihn gespornt habe, ihren Geliebten zu tödten, den Tod desselben – kurz Alles, was ich Eurer Hoheit bereits mitgetheilt habe.
»Das sind ernstliche Verbrechen, meine Tochter – in der That schwere Verbrechen. Ihr seyd dem Versucher in Eurer eigenen Person unterlegen, führtet den Tod eines Menschen herbei, und habt den andern getäuscht, als er den Lohn seiner Ungerechtigkeit forderte. Aber Alles dies ist nur eine Kleinigkeit in Vergleichung mit dem Vergehen an dem heiligen Mönch, welches ich als Kirchenschändung bezeichnen muß. Und was war sein Vergehen? Daß er Euch vor einer Person warnte, welche durch ihr späteres Benehmen bewies, wie sehr der würdige Mann in seinen Muthmaßungen Recht hatte.
»Ihr habt in jeder Weise gegen den Himmel gesündigt. Euer ganzes Leben wird für die Aufgabe der Buße kaum zureichen, das ungeheure Verbrechen der Kirchenschändung gar nicht eingerechnet, welches von Rechtswegen eigentlich der Inquisition vorgelegt werden sollte. In Eurem Falle ist Excommunication weit eher am Ort, als Absolution.«
Ich wartete eine Weile, ehe ich weiter sprach, und das Mädchen schluchzte inzwischen bitterlich.
»Meine Tochter,« bemerkte ich, »ehe ich mich darüber entscheiden kann, was anzufangen ist, um Euch dem ewigen Verderben zu entreißen, ist es nöthig, daß Ihr Euch vor dem frommem Manne demüthigt, dessen Person Ihr beschimpft habt. Schickt nach dem Kloster, zu welchem er gehört, und bittet ihn, zu Euch zu kommen. Habt Ihr dann Euer Verbrechen gebeichtet, so bietet ihm dieselben Züchtigungswerkzeuge an, durch welche er durch Eure Anstiftung zu Schaden gekommen ist. Unterwerft Euch seinem Urtheil und der Buße, die er Euch verschreiben wird. Habt Ihr dies gethan, so kommt wieder hieher. Ich werde übermorgen abermals in diesem Stuhle sitzen.«
Das Mädchen verhüllte ihr Gesicht, wartete einige Minuten, um sich zu fassen und kehrte dann zu ihrer Mutter zurück, welche nicht wenig darüber verwundert war, daß man sie so lange im Beichtstuhle behalten hatte.
Am nämlichen Abende erhielt ich von Donna Sophia ein Billet, in welchem sie mich bat, daß ich sie am andern Tage besuchen möchte. Ich fand sie in ihren Zimmer. Sie hatte bitterlich geweint und erröthete bei meinem Eintreten vor Schaam und Verdruß; indeß war sie Tags zuvor viel zu sehr eingeschüchtert worden, um den erhaltenen Einschärfungen Widerstand zu leisten. Ein großer Bund Nesseln lag auf dem Stuhl, und sobald ich eingetreten war, drehte sie den Thürschlüssel um, fiel auf ihre Kniee nieder und legte unter vielen Thränen ein volles Bekenntniß ab. Ich drückte das größte Entsetzen aus; sie aber umklammerte meine Füße, bat mich um Vergebung, deutete dann auf die Nesseln und ersuchte mich, davon Gebrauch zu machen, wie es mir passend dünke. Nachdem sie dies gesagt hatte, bedeckte sie das Gesicht mit den Händen und blieb stumm auf ihren Knieen liegen.
Ich muß gestehen, daß ich mich, wenn ich an die Art der über mich verhängten Züchtigung und an den Verrath dachte, der mich beinahe dem Tode preisgegeben hatte – sehr geneigt fühlte, durch eine scharfe Geißelung Rache zu nehmen; aber obgleich die Liebe, welche ich vordem zu ihr gefühlt hatte, entschwunden war, so besaß ich doch von Natur aus zu viele Zärtlichkeit für das schöne Geschlecht, um den Einflüsterungen meines Zornes Raum zu geben. Mein Zweck war, sie fortzuschaffen, damit ich nicht in meinem weltlichen Anzuge erkannt werden möchte, denn ich wußte wohl, daß sie die einzige Person war, durch welche mir bewiesen werden konnte, daß ich ihren Liebhaber getödtet habe. Ich richtete sie daher auf, sagte ihr, daß ich mit ihrer Reue zufrieden sey, und verzieh ihr für meine Person die üble Behandlung, welche ich erlitten hatte; zugleich aber forderte ich sie auf, sich wieder zu ihrem Beichtvater zu begeben, welcher ganz die geeignete Person sey, ihr für ihre schwere Sünde Buße aufzulegen. Am andern Tage fand ich mich wieder in dem Beichtstuhl ein, und sie erzählte mir nun, was vorgefallen war. Ich erwiederte ihr, sie könne durch nichts Anderes den Himmel sich versöhnen, als daß sie ihre musikalischen Talente seinem Dienste weihe; denn nur darin könne sie noch Heil finden, wenn sie augenblicklich den Schleier nehme. Ich weigerte mich, auf ihren Vorschlag zu jeder anderen auch noch so schweren Art von Buße zu hören, gegen welche sie gerne das Urtheil umgetauscht hätte. Von ihrem Gewissen gegeißelt, unglücklich durch die Untreue und den Tod ihres Geliebten und erschreckt durch die Bedrohung mit Exkommunication, begab sie sich im Laufe der nächsten Woche nach den Urselinerinen-Kloster, wo sie nach kurzer Probezeit den Schleier annahm und in den Orden eintrat.
Sobald ich meinen einzigen Ankläger hinter Thor und Riegel wußte, nahm ich gelegentlich meine Cavaliertracht und meine Perücke wieder auf. Ich sage gelegentlich, weil es in der Gesellschaft, in der ich mich hauptsächlich umtrieb und in welcher ich der gute Weinkenner wurde, für den ich mich in Euren Hoheit Gegenwart ausgab – nicht nöthig war; denn ich fand mit meinem Gesang und mit meinen Guitarrespiel in meiner Kutte eben so gute Aufnahme, als in jedem andern Gewande. Außerdem brauchte ich nie zu bezahlen, wenn ich als Mönch erschien, während ich als Cavalier stets ausblechen müßte; deßhalb legte ich die letztere Tracht nur an, wenn ich mich einer Schönen angenehm zu machen wünschte. Ich brauche kaum zu bemerken, daß ich mich sorgfältig in Acht nahm, in der einen Eigenschaft mit derselben Gesellschaft zu verkehren, bei welcher ich in der anderen gut bekannt war. Ich führte meine Verkleidung mit trefflichern Erfolg drei Jahre fort; dann aber fand ein Ereigniß statt, welches mit meiner Entdeckung endete und zuletzt dahin führte, daß ich Sklave in Eurer Hoheit Besitzungen wurde.
Ich hatte eine Zeitlang die Nichte einer ältlichen Dame unterrichtet, welche von edler Familie und sehr reich war. Die Tante war während der Lehrstunden stets anwesend, und da ich sie als eine sehr fromme Frau kannte, so wählte ich lauter unanfechtbare Arien, in denen durchaus nichts von Liebe vorkam. In meinem Benehmen war ich stets gesetzt und achtungsvoll, demüthig und ascetisch. Wenn ich von der alten Dame mein Geld empfing, pflegte ich ihr in Namen unsres Klosters zu danken, zu dessen Nutzen es verwendet werde, und nannte es eine Gabe der Mildthätigkeit, für die ich ihr Gottes Lohn wünschte. Ihr Beichtvater starb, und sie wählte mich an seine Stelle. Danach hatte ich längst getrachtet, und ich verdoppelte meinen Eifer, meine Demuth und meine Schmeicheleien.
Ursprünglich hatte ich es nicht auf die Liebe der Nichte abgesehen, obschon sie ein sehr hübsches Mädchen war, sondern mehr auf den Beutel der alten Frau, weil ich wußte daß sie nicht mehr sehr lange leben konnte. Im Gegentheil war mir angelegentlichst darum zu thun, die Nichte zu entfernen, weil man glaubte, sie werde die Dublonen der alten Dame erben. Aber dazu war Zeit und Gelegenheit nöthig, und ich kultivirte inzwischen die Gunst meines vornehmen Beichtkindes. Sie pflegte alle Wochen zu beichten, und ich bemerke oft, daß sie sich's als Sünde anrechnete, weil sie zu viel an Jemand denke, der sie in ihren jüngeren Tagen vom Pfade der Pflicht abgeführt habe, und für den sie noch immer zu viel weltliche Leidenschaft empfinde. Wir hatten eines Abends, weil es der Tag und die gewöhnliche Stunde ihrer Beichte war, um zehn Uhr die Karten niedergelegt, welche wir hin und wieder miteinander spielten. Sie wiederholte dasselbe Vorgehen, und ich deutete nun zart an, daß sie vielleicht ruhiger seyn könne, wenn sie mir die Umstände vertraue, die mit ihren Gewissensbissen zusammenhiengen. Sie stockte; aber als ich sie darauf aufmerksam machte, daß es da keiner Zurückhaltung bedürft, und daß das Zugeständnis von Gewissensbissen, die aus einer Sünde hervorgingen, nicht das Bekenntniß der Sünde selbst sey, so fügte sie sich. Ihre Beichte bezog sich auf ihre frühe Jugend, als sie gegen die Wünsche ihrer Eltern einen jungen Cavalier liebte und denselben unter der feierlichen Zusage der Ehe in ihrem Gemache empfing. Ihre Verhältnis dauerte einige Zeit Art, bis es endlich entdeckt wurde. Ihre Verwandten lauerten dem Liebhaber auf, ermordeten ihn, und sie selbst wurde in ein Kloster geworfen. Dort gebar sie einen Knaben, den man sogleich nach seiner Geburt beseitigte. Sie hatte allen Gewaltmaßregeln und Drohungen, durch welche man sie zu zwingen suchte, den Schleier zu nehmen, Widerstand geleistet und kam nach dem Tode ihres Vaters in den Besitz ihres Eigenthums, dessen man sie nicht berauben konnte. Jetzt gab sie sich alle Mühe, zu entdecken, wohin ihr Kind gebracht worden war, und erfuhr zuletzt, daß man es nach den Findelhause geschickt hatte. Aber diese Kunde erhielt sie erst einige Jahre später, als die Kinder, welche um jene Periode in die Anstalt gebracht worden, bereits durch die Welt zerstreut waren. Sie hatte nie geheirathet, und ihre Gedanken kehrten stets wieder zu den Stunden zurück, die sie mit ihrem angebeteten Felix verlebt hatte, obschon sie glaubte, es sey Unrecht, bei einem Verhältnis zu verweilen, das an sich sündig war.
Ich hörte ihrer Geschichte mit großer Theilnahme zu, denn es kam mir der Gedanke, daß ich der unglückliche Sprößling ihrer Liebe seyn oder doch die alte Dame wahrscheinlich dahin gebracht werden könnte, es zu glauben. Ich fragte ob ihr Kind Merkmale getragen habe, an denen es sich wieder erkennen lasse, und erhielt die Antwort, sie habe die Leute, welche sie bedienten, auf's Sorgfältigste ins Verhör genommen, und von einer der Frauen erfahren, das Kind sey an der Hinterseite seines Halses mit einer großen Warze versetzen gewesen; da jedoch diese wahrscheinlich später verging, so habe sie alle, ihre Hoffnung, die Frucht ihres Leibes wieder zu finden, aufgegeben.
Ich bemerkte, daß Warzen, wenn sie zufällig entstanden, zwar leicht wieder vergingen, dagegen aber eben so wenig, als Muttermäler zu entfernen wären, wenn sie mit auf die Welt gebracht würden. Ich gab dann dem Gespräch eine andere Wendung, indem ich sagte, ich könne ihr Benehmen nicht für sündig halten, denn es liege in der menschlichen Natur, daß man die Liebe für eine Person beibehalte, mit welcher man so zu sagen in der Ehe gelebt habe und die um eines solchen Verhältnißes willen vom Tod ereilt worden sey. Ich ertheilte ihr die Absolution, legte ihr als Buße ein Dutzend Ava Maries auf und verabschiedete mich. Als ich auf meinem Bette lag, dachte ich über das Vorgefallene nach. Jahr und Monat stimmten genau mit der Zeit zusammen, in welcher ich nach dem Findelhause gebracht worden war. Eine Warze konnte, wie sie ganz richtig bemerkt hatte, verschwinden – war dann vielleicht nicht ich derselbe Sohn, dessen Verlust sie beklagte? Ich begab mich am andern Morgen nach der Anstalt und erkundigte mich nach dem Datum meiner Aufnahme sammt allen Einzelnheiten, die stets aufgezeichnet wurden, für den Fall, daß man die Kinder später wieder reklamirte. Man nannte mir den Februar; aber in demselben Monat, am nämlichen Tage und fast zu dergleichen Stunde war auch ein anderer Name eingetragen. »Abends neun Uhr wurde ein männliches Kind in einem Korbe an der Thüre gelassen; die Ueberbringer verschwanden schnell wieder – keine Kennzeichen – Namen Anselmo.«
»Um zehn Uhr wurde ein männliches Kind in einem Cabok an die Thüre gebracht. Ueberbringer unbekannt – keine Merkzeichen – Namen Jacobo.«
Augenscheinlich waren also in einem Zwischenraum von einer Stunde zwei Kinder nach dem Findelhaus gebracht worden, von denen das eine ich war. Abends kehrte ich zu der alten Dame zurück und brachte gelegentlich die Rede auf ihre Nachforschungen nach dem Kinde, indem ich sie zugleich fragte, ob sie mir nicht das Datum genau angeben könne. Sie antwortete, sie habe dies nur zu genau in ihrem Gedächtniß aufbewahrt – ihre Entbindung habe am achtzehnten Februar stattgefunden. Auch ihre Anfrage in dem Findelhause sey ihr die Mittheilung gegeben worden, daß die im Februar eingebrachten Kinder keine Zeichen gehabt hätten; alle seyen im Lande herum zerstreut – wo sie aber seyen, wisse man nicht zu sagen, da der frühere Hausmeister, welcher allein hätte Auskunft geben können, gestorben sey. Es war klar, entweder ich oder Jacobo mußte ihr Kind seyn; aber wie wäre es möglich gewesen, einen Beweis herzustellen? Ich trug jedoch kein Bedenken, meinen Plan zu verfolgen und mich mit dem Kinde, das sie verloren hatte, zu identifiziren. Der Beweis, daß ich an demselben Tage eingebracht wurde, war nutzlos, weil ich einen Competenten hatte, und außerdem standen meine Klostergelübde im Widerstreite mit meinen Spekulationen. Deßhalb beschloß ich, wenigstens sie zu überzeugen, wenn es auch nicht genügend vor mir selbst oder vor der übrigen Welt geschehen konnte, und traf demgemäß meine Maßregeln.
Ich nahm mir vor, meinen Zweck in meiner weltlichen Verkleidung zu erreichen, und weil ich dazu einer Warze an dem Halse bedurfte, so wollte ich mir dieselbe möglichst schnell beilegen. Dies war leicht bewerkstelligt. Ein Mönch des Klosters war mit dergleichen Excrescenzen sehr belästigt, und ich schlug ihm scherzhafter Weise vor, wir wollten den Versuch machen ob es wahr sey, daß man sich mit Warzenblut Warzen inoculiren könne. Nach vierzehn Tagen hatte ich eine Warze an meinem Finger, die bald groß wurde, und dann wandte ich das Blut derselben auf meinen Hals an. Nach drei Monaten hatte ich durch Inoculation und durch beharrliche Reibung eine große Warze oder vielmehr ein ganzes Conglomerat derselben an der Hinterseite meines Halses hervorgerufen. Während dieser Periode besuchte ich die alte Dame nicht so häufig und entschuldigte mich bei ihr mit meinen klösterlichen Pflichten. Zunächst handelte sich's nun darum, wie ich mich ihr in einer andern Gestalt vorführen konnte. Nach einiger Ueberlegung beschloß ich, daß mir die Nichte Beistand leisten sollte, weil ich wußte, daß sie auf jeden Fall, selbst wenn mir mein Plan gelänge, einen Theil des Vermögens erhalten würde, das ich mir zu sichern wünschte. Da ich oft mit ihr allein war, so ersah ich die Gelegenheit, mit ihr von einem jungen Freund zu sprechen, den ich höchlich herausstrich, indem ich zugleich lachend erwähnte, ich vermuthe, daß er von ihren Reizen bezaubert sey, weil ich ihn oft in dem gegenüberliegenden Hause auf der Lauer gesehen habe. Ein Bewunderer wird für ein junges Mädchen stets zur Quelle geheimer Freude; ihre Eitelkeit fühlte sich geschmeichelt, und sie befragte mich über allerlei Einzelheiten. Ich antwortete ihr so, daß ihre Neugierde entzündet wurde, beschrieb seine Persönlichkeit auf's Günstigste und erhob seine guten Eigenschaften. Auch versäumte ich nicht, ausführlich seinen Anzug zu schildern.
Nachdem der Musikunterricht vorüber war, begab ich mich nach meiner Wohnung, zog meine besten Kleider an, setzte meine Lockenperücke auf und ging vor den Fenstern des Hauses hin und her. Die Nichte erkannte in mir bald die Person, deren Anzug und Außenseite ich so umständlich beschrieben hatte, zeigte sich einen Augenblick an dem Fenster und fuhr in dem nächsten mit der ganzen Koketterie ihres Geschlechtes zurück. Ich bemerkte, daß ihr die Eroberung Freude machte, und entfernte mich nach kurzer Parade
Als ich am andern Tage in meiner Mönchstracht vorsprach, hielt ich ein Billet doux in meiner Tasche bereit. Der Gesangunterricht begann. Ich fand bald, daß sie Feuer gefangen hatte; denn sie wählte ein Lied, welches ich in Gegenwart ihrer Tante bei Seite gelegt haben würde, jetzt aber passiren ließ, weil es zu meinem Zwecke paßte. Als die Tante erschien, hielten wir inne und begannen ein anderes. Durch diese kleine List wurde ich eine Art Vertrauter, und dies wars, was ich haben wollte. Nachdem wir zwei oder, drei Arien gesungen hatten, verließ die Tante, Donna Celia, das Gemach. Ich bemerkte sodann gegen das Mädchen, ich habe den jungen Cavallier, von dem ich gesprochen, gesehen, und er scheine bethörter zu seyn, als je. Er habe mich um den Gefallen gebeten, ihm das Wort zu reden; dagegen aber hätte ich ihm gedroht, wenn er auf seiner Thorheit beharre, werde ich die Tante davon unterrichten, denn ich sey der Ansicht, daß es sich mit meiner Pflicht als Beichtvater der Familie nicht vertrage, heimliche Liebesbotschaften zu überbringen. Ich gab zu, daß ich seine Lage bemitleide, denn es hatte ein Steinherz rühren müssen, Zeuge seiner Thränen und Bitten zu seyn; aber trotz meiner großen Zuneigung zu ihm vertrage es sich doch nicht mit meinem Gewissen, mich in einen solchen Handel zu mischen. Ich fügte bei, er habe mir mitgetheilt, daß er gestern Nachmittag vor dem Hause auf- und abgegangen sey, weil er einen Diener zu treffen hoffte, den er zu Ueberbringung eines Briefchen bestechen könnte; indeß habe ich ihm abermals gedroht, die Sache der Donna Celia mitzutheilen. Donna Clara (denn so war ihr Name) schien mit meiner Strenge gar nicht zufrieden zu seyn, sagte aber nichts. Nach einer Weile fragte ich sie, ob sie ihn gesehen habe, und sie antwortete mit ja, ohne sich auf eine weitere Bemerkung einzulassen. Ihr Arbeitskörbchen lag auf dem Sopha, auf welchem sie Platz genommen hatte, und ich wußte das Billet unbemerkt hinein zu praktiziren. Nach beendigter Unterrichtsstunde begab ich mich nach dem Zimmer ihrer Tante, um ihr in meiner beichtvaterlichen Eigenschaft einen Besuch abzustatten. Nach einer halben Stunde kehrte ich durch den Salon zurück, in welchem ich Donna Clara verlassen hatte. Sie saß an ihrer Stickerei und hatte augenscheinlich das Billet gelesen, denn sie erröthete bei meinem Eintritte. Zufrieden mit dieser Ueberzeugung, nahm ich keine weitere Notiz davon und verabschiedete mich von ihr. In dem Billet bat ich sie um eine Antwort und deutete ihr an, daß ich die ganze Nacht über unter ihrem Fenster seyn werde. Sobald es dunkel war, kleidete ich mich als Don Pedro, ging nach ihrem Hause und schlug einige Noten auf der Guitarre an, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich war etwas mehr als eine halbe Stunde dort gewesen, als sich das Fenster öffnete und eine kleine Hand zum Vorschein kam, welche zu meinen Füßen ein Billet niederfallen ließ. Ich that, als ob ich es mit Entzücken küßte, und entfernte mich. In meiner Wohnung angelangt, öffnete ich es und fand es so günstig, als ich nur hoffen konnte. Nun entwarf ich den Plan, ihr Vertrauen zu gewinnen.
Als ich sie am nächsten Tage besuchte, sagte ich ihr, die Ueberzeugung von den ehrenhaften Absichten des jungen Cavaliers habe meine Bedenklichkeiten überwunden und mich bewogen, für ihn das Wort zu nehmen; freilich glaube ich, nicht recht zu handeln, aber der Zustand des jungen Mannes sey so beklagenswerth, daß ich seinen Bitten nicht habe widerstehen können. Ich erwarte übrigens, daß beiderseits kein Schritt ohne mein Vorwissen geschehe, und unter dieser Bedingung wolle ich, wenn ihn der junge Cavalier gefalle, meinen Einfluß zu ihren Gunsten aufbieten. Donna Claras Gesicht leuchtete vor Freude über meine Mittheilung, und sie gestand aufrichtig ein, was sie schon zuvor in ihrem Billet gethan hatte, daß ihr seine Person und sein Charakter durchaus nicht mißfielen. Ich zog dann ein anderes Billet hervor, zu dessen Überlieferung ich mich, wie ich sagte, hatte bewegen lassen. Nun nahmen die Angelegenheiten einen erfolgreichen Fortgang. Ich traf wiederholt Abends mit ihr zusammen und obschon ich anfangs gleichgiltig war, fesselten mich doch bald die vielen liebenswürdigen Eigenschaften das Mädchens, welche durch die Liebe ans Licht gefördert wurden. Eines Tages bemerkte sie gegen mich, daß zwischen mir und Don Pedro eine große Aehnlichkeit stattfinde, indeß kam ihr auch nie entfernt der Gedanke einer Möglichkeit, daß der ernste, geschorne Mann mit dem lebenslustigen Cavalier in den krausen Locken ein und dieselbe Person seyn könnte. Als ich die Sache endlich für reif hielt, machte ich Donna Clara einen Besuch, bedeutete ihr zur Einleitung daß ich ihr etwas Wichtiges mitzutheilen habe, und entdeckte ihr, daß ein junger Mann in ihre Nichte verliebt sey und, wie ich stark vermuthe, wieder geliebt werde. Ich kenne zwar den jungen Cavalier, der sehr liebenswürdig sey und viele gute Eigenschaften besitze, persönlich ganz genau; indeß scheine doch über seiner Familie ein Geheimniß zu liegen, da er derselben nie Erwähnung thue. Ich schloß mit der Bemerkung, daß ich es für mein Pflicht halte, sie von der Sache in Kenntniß zu setzen, damit sie, wenn sie etwas gegen die Partie einzuwenden oder mit ihrer Nichte andere Absichten habe, dem Liebeshandel ohne Weiteres ein Ziel setzen könne.
Die alte Dame war sehr erstaunt über die Nachricht und wurde sehr ungehalten über die Nichte, weil sie sich erdreistet hatte, ohne ihr Vorwissen eine Bekanntschaft anzuknüpfen. Ich ließ sie aussprechen und nahm mir dann ganz ruhig das Recht eines Beichtvaters, indem ich sie darauf aufmerksam machte, daß sie in ihren jüngeren Jahren denselben Fehler begangen habe. Der junge Mann habe mir gebeichtet, daß seine Absichten ehrenhaft seien, obschon es ihm unbekannt gewesen, daß ich in irgend einer Verbindung mit der Familie stehe. Donna Celia schien sich nun mehr zufrieden zu geben und stellte viele Fragen an mich, aus denen ich entnahm, daß ihr das Geheimniß über die Familie des Freiers am anstößigsten war.
Auf ihre Bitte versprach ich ihr, darüber Aufklärung einzuholen, ehe weitere Schritte geschehen sollen. Nachdem ich sie gewarnt hatte, sich gegen ihre Nichte ja nicht zur Heftigkeit hinreißen zu lassen, verabschiedete ich mich. Zuvor aber sprach ich noch einige Worte mit Clara, theilte ihr den dermaligen Stand der Dinge mit und empfahl ihr, ihre Tante nicht zu reizen, sondern sich bei ihren Verweisen reuig zu benehmen. Das Mädchen leistete meinen Einschärfungen Folge, und als ich am anderen Tage meinen Besuch machte, fand ich sie neben Donna Celia sitzen, welche augenscheinlich wieder versöhnt war. Ich bedeutete Clara durch einen Wink, daß sie das Zimmer verlassen möchte. Donna Celia theilte mir nun mit, die Nichte habe ihren Irrthum erkannt und sie deren Unklugheit nachgesehen, weil das Mädchen ihr versprochen habe, künftighin sich nur durch ihren Rath leiten zu lassen. Nachdem sie fertig war begann ich:
»Macht Euch auf seltsame Neuigkeiten gefaßt, Madame – die Wege des Himmels sind wunderbar. Gestern Abend nahm ich Rücksprache mit dem jungen Cavalier Don Pedro, und es stellte sich dabei heraus, daß er – der Sohn ist, dessen Verlust Ihr so schmerzlich beklagt habt.«
»Barmherziger Himmel!« rief die Dame und sank ohnmächtig zurück. Sobald sie sich wieder erholt hatte, rief sie aus: »Oh, wo ist er! Bringt ihn zu mir, damit das Mutterauge gesegnet werde durch seinen Anblick! Laßt das Sehnen eines Mutterherzens seinen Lohn finden in seiner Umarmung – laßt mich die Thränen der Liebe an seinem Busen weinen!«
»Beruhigt Euch, meine theure Madame, versetzte ich; denn Ihr habt die Beweise noch nicht gesehen. Zuerst überzeugt Euch und dann gebt Euch dem entzückenden Vorgenusse hin. Als ich in Don Pedro drang, daß er mir seine Familienangelegenheiten mittheile, erklärte ich ihm unverhohlen, daß nur in rückhaltlosem Vertrauen Aussicht für ihn vorhanden sey. Er erwiederte mir sodann, daß er als Kind in das Findelhaus geschickt worden sey und nichts von seinen Eltern wisse; das Geheimniß und das auf seiner Geburt haftende Brandmal seyen ihm das ganze Leben über zur Quelle bitteren Schmerzens geworden. Ich fragte ihn, ob er wisse, wie alt er sey oder ob er einen Auszug aus dem Aufnahme-Register besitze. Er holte nun aus einem Schranke ein Papier, auf welchem der 18. Februar desselben Jahres, in welchem Euer Kind dahin geschickt wurde, verzeichnet war. Da ich noch nicht ganz überzeugt war, so erklärte ich ihm, daß ich ihn diesen Morgen wieder besuchen und sehen wolle, was sich thun lasse, indem ich ihm zugleich versicherte, daß sein aufrichtiges Zugeständniß ihm mein ganzes Interesse gewonnen habe. Diesen Morgen begab ich mich nach den Findelhaus, wo ich das Register untersuchte. In derselben Nacht waren zwei Kinder eingebracht worden – hier ist der Auszug, und Ihr werdet finden, daß ärgerlicher Weise keine Kennzeichen aufgeführt sind. Wenn daher die Warze von der Ihr gesprochen habt, nicht noch immer vorhanden war, so blieb die Ungewißheit so groß, als nur je. Vor ungefähr einer Stunde besuchte ich ihn wieder, sprach abermals über den Gegenstand mit ihm und bedeutete ihm, so viel ich wisse, sey es Brauch, die besonderen Merkmale der Kinder, die zu einer spätere Reklamation dienen könnten, aufzuzeichnen. Er antwortete, dies sey nur dann der Fall, wenn sich's um unzerstörliche Merkmale handle; mit einem solchen sey er nicht behaftet, obschon sich, solang er denken könne, eine große Warze an der Hinterseite seines Halses befinde. »Aber wozu auch dies?« fügte er bei. »Ich habe die Hoffnung, meine Eltern zu entdecken, längst aufgegeben, und muß mich eben in mein unglückliches Schicksal fügen. Ich habe über das Vorgegangene nachgedacht und fühle, daß ich unrecht gehandelt habe. Ich bin ohne Familie und ohne Namen – welch ein Recht habe ich also, nach der Hand einer jungen Dame von guter Herkunft zu trachten? Ich habe den Entschluß gefaßt, mein Gefühl zu überwinden, und will daher, ehe unsre Vertraulichkeit zu weit gediehen ist, um den Bruch für das angebetete Wesen schmerzlich zu machen, Sevilla verlassen, um in der Einsamkeit meine unglückliche Lage zu beweinen.«
»Seyd Ihr eines solchen Opfers fähig, Don Pedro?« fragte ich.
»Ja, Vater Anselmo,« antwortete er. »Ich werde stets wie ein Mann von Ehre und Familie handeln, obschon ich meine Abkunft nicht beweisen kann.«
»Dann erweist mir die Gunst, Don Pedro,« entgegnete ich, »mich diesen Abend in meinem Kloster zu besuchen. Ich hoffe, Euch eine angenehme Kunde mittheilen zu können.« Dann verließ ich ihn, um hieher zu eilen und Euch die frohe Kunde zu bringen.
»Aber warum habt Ihr ihn nicht augenblicklich mitgebracht?« rief Donna Celia.
»Madame, ich habe im Kloster wichtige Obliegenheiten zu erfüllen, welche mich bis spät in die Nacht hinein bei dem Superior zurückhalten werden. Diese dürfen nicht verabsäumt werden. Ueberhaupt ist es nicht unmöglich, daß die Angelegenheiten unsres Klosters für einige Zeit meine Abwesenheit fordern: denn es handelt sich um eine neue Verpachtung unsrer Ländereien, und ich habe Grund, zu erwarten, daß mich der Superior mit dieser Angelegenheit beauftragt. Ich will dem jungen Mann mittheilen, was wir entdeckt haben, und ihn dann in Eure Arme senden. Ich möchte Euch übrigens rathen, nach der gegenwärtigen Aufregung Euch einige Stunde Ruhe zu gönnen, um für die ergreifende Scene, welche natürlich folgen wird, Kraft zu sammeln. Es wäre mir lieb, wenn ich dabei zugegen seyn könnte, denn es kömmt auf dieser Welt nicht oft vor, daß wir Zeuge seyn dürfen, wie sich die besten Gefühle des Herzens in ihrer tugendhaften Thätigkeit entfalten.«
Ich verabschiedete mich sodann mit der Bitte, Donna Celia möchte ihre Nichte von den Umständen unterrichten, da sie vermuthlich einer wechselseitigen Zuneigung von Seiten der jungen Leute kein Hinderniß in den Weg legen werde.
Ich brach deßhalb so bald auf, um die Geschichte ordnen zu können, die ich meiner neuen Mutter als Don Pedro über mein Leben vormalen wollte. Auch wußte ich mir Urlaub verschaffen, den ich dadurch gewann, daß ich einen Brief von einem ältlichen Herrn, der zu Alicant wohnte, vorzeigte; es stund darin, daß derselbe auf dem Sterbebette liege und meine Anwesenheit wünsche – ein Gesuch, auf das von Seiten des Superiors, zu dem ich auf dem besten Fuße stand, um so bereitwilliger eingegangen wurde, weil dabei einige Gelderwerbung in Aussicht stand.
Um bei dem Kranken in Zeiten einzutreffen, sollte ich meine Reise schon am nämlichen Abend antreten. Ich verabschiedete mich von dem Superior und den übrigen Mönchen, in der Absicht, nie wieder zurückzukehren, und eilte nach meiner Wohnung, wo ich meine Mönchskutte abwarf und sie von jener Stunde an nie wieder aufnahm. Ich begab mich nach Donna Celias Hause, wurde eingelassen und in ein Zimmer geführt, wo ich ihre Ankunft erwarten sollte. Meine Person hatte ich aufs Vorteilhafteste herausgeputzt; denn ich trug eine neue Perücke, einen prächtigen Samtmantel, ein seidenes Wams und seidene Beinkleider. Als ich mich ein paar Augenblicke im Spiegel betrachtete, fühlte ich, hocherfreut über meine schöne Außenseite, daß ich unmöglich erkannt werden könne. Die Thüre ging auf und Donna Celia trat zitternd vor Beklommenheit ein. Ich warf mich auf meine Kniee und bat sie mit einer vor Bewegung fast erstickten Stimme um ihren Segen. Von ihren Gefühlen überwältigt wankte sie zu dem Sopha; ich blieb noch immer auf meinen Knieen liegen und ergriff ihre Hand, die ich mit Küssen bedeckte.
»Es ist – es ist mein Kind,« rief sie endlich – »die allgewaltige Natur würde mir's gesagt haben, selbst wenn es an allen anderen Beweisen fehlte.«
Und sie schlang ihre Arme um meinen Nacken, beugte sich über mich und vergoß Thränen dankbaren Entzückens. Ich versichre Euch, Hoheit, daß ihre Aufregung ansteckend wirkte und auch ich meine Thränen mit der ihrigen mischte; denn ich fühlte damals und lebe auch jetzt noch der festen Ueberzeugung, daß ich ihr Sohn war. Obschon mir mein Gewissen während einer Scene, welche die Gefühle der Tugend in meine Brust zurückführte, für einen Augenblick Vorwürfe machte, war ich doch der Ansicht, daß eine Täuschung, welche soviel Entzücken und Freude hervorrufe, fast verzeihlich seyn müsse. Ich nahm meinen Sitz an ihrer Seite ein, und sie küßte mich wieder, indem sie mich das einemal in ihre Arme zog, das anderemal von sich zurück drückte, um mich betrachten zu können.
»Du bist ganz das Ebenbild deines Vaters, Pedro,« bemerkte, sie in wehmüthigem Tone. »Aber Gottes Wille geschehe. Wenn er auch genommen hat, so hat er doch wieder gegeben, und ich danke ihm aus voller Seele für seine Güte.«
Sobald wir uns einigermaßen von unsrer Aufregung erholt hatten, bat ich sie, mir die Geschichte meines Vaters zu erzählen, von der mir nur der gute Vater Anselmo Einiges mitgetheilt habe, und sie wiederholte mir nun alle Ereignisse ihrer Jugendzeit, welche bereits berichtet wurden.
»Aber du bist Clara noch nicht vorgestellt worden. Das schlimme Mädchen ließ sich wenig träumen, daß sie einen Liebeshandel mit ihrem Cousin unterhielt.«
Donna Celia rief sie herunter, und ich trug kein Bedenken, das theure Mädchen an mein Herz und einen Kuß auf ihre Lippen zu drücken. Unsre Augen strahlten von Liebe und Freude. Wir setzten uns auf das Sopha, ich in die Mitte, und hielten gegenseitig unsre Hände eng verschlungen.
»Und nun, mein theurer Pedro, möchte ich auch die Geschichte deines Lebens hören,« sagte Donna Celia, denn ich fühle mich überzeugt, daß du dir nichts Unehrenhaftes vorzuwerfen hast.«
Ich dankte ihr für ihre gute Meinung, drückte meine Hoffnung aus, daß ich sie weder in der Vergangenheit verscherzt habe noch durch die Zukunft je verlieren werde, und begann die Geschichte meines Lebens in folgenden Worten:
»Du begannst die Geschichte deines Lebens?« unterbrach ihn der Pascha. »Lacht uns der Sklave in den Bart? Was war denn das Alles, was Du uns bisher erzählt hast?«
»Die Wahrheit, durchlauchtige Hoheit,« entgegnete der Spanier. »Das aber, was ich jetzt zu erzählen im Begriffe bin, ist die Geschichte meines Lebens, wie ich sie erfunden hatte, um Donna Celia zu täuschen – diese ist falsch.«
»Ah, ich begreife, Mustapha; dieser Kafir ist ein regelmäßiger KesseguhOrientalischer Märchenerzähler. und läßt eine Geschichte aus der andere hervorgehen. Aber es ist schon spät; sorge dafür, daß er morgen Abend wieder erscheine, Bero! Geh, Ungläubiger – der Muezzin ruft zum Gebet.«
Der Spanier verließ das Gemach, und dem Rufe des Muezzin gehorsam begingen der Pascha und Mustapha ihre gewöhnliche Abendandacht – das heißt, sie weihten sich der Flasche.