Frederick Marryat
Der Pascha
Frederick Marryat

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Siebentes Kapitel.

»Khoda Chefa midèhed – Gott gibt Erleichterung!« rief der Pascha nach dem Schlusse des Divans – und in der That waren im Laufe der Tagesverhandlungen Viele um ihre irdische Güter erleichtert worden, während einige Andere in die Lage gekommen waren, sich nicht weiter mit weltlichen Gedanken oder Wanderungen plagen zu müssen. »Was haben wir heute, Mustapha?«

»Möge Eurer Hoheit Schatten nie geringer werden!« versetzte der Vezier. Haben wir nicht den Sklaven, der sich erbot, seine Geschichte zu Eurer Hoheit Füßen niederzulegen? Es geschah an demselben Abende, an welchem wir auf jene Söhne des Shitan trafen – auf Ali und Hussan, welchen die Züchtigung zu Theil wurde, die sie durch ihre ungeheuren Verbrechen verdienten. Haben wir nicht ferner das Manuscript des spanischen Sklaven, das mein treuer Grieche übersetzt hat? Er sagt mir, die Worte fließen von Honig, und ihre Musik gleiche der des Bulbul, wenn er seiner Lieblingsrose zusingt.«

»Und der Giaur, welcher seine Wanderungen und Reisen erzählt,« unterbrach ihn der Pascha – wo ist er? Kein Keffeguh unsres eigenen Geschlechts erzählt Geschichten, die den seinigen gleichen.«

»Der Giaur ist auf dem Wasser, durchlauchtige Hoheit. Er ist ein wahrer Rustam an Bord eines Schiffes und bringt Schätze nach dem Hazneh Eurer durchlauchtigen Hoheit. Er hat die Astrologen zu Rath gezogen, und die Sterne waren günstig. Ich erwarte, daß er morgen zurückkommen wird.«

»Wohlan denn, so müssen wir uns mit dem begnügen, was uns geboten wird. Laß den Sklaven kommen, damit wir seine Geschichte anhören, weil es doch unmöglich ist, daß wir heute die wundervollen Erzählungen Huckabacks genießen können.«

»Was für ein Hund war Lockman in Vergleichung mit der Weisheit Euer durchlauchtigen Hoheit!« entgegnete Mustapha. »Wie lauten Hafis Worte: – jeden Augenblick, dessen du dich erfreust, zähle für Gewinn. Wer kann sagen, wie etwas enden wird.«

Der Sklave, der auf Mustaphas Befehl festgenommen worden, erhielt jetzt die Weisung, zu erscheinen. Zwar hatten dem Vezir seine Leute mitgetheilt, er sey »von Allah heimgesucht« – oder mit andern Worten, wahnsinnig; aber Mustapha wagte es nicht, einen Mann oder vielmehr eine Geschichte ohne Einwilligung des Paschas loszulassen, und da ihm der Renegat nicht mit Aushülfe zu Gebot stand, so war er der Ansicht, es sey in Ganzen doch das Beste, wenn der Sklave dem Pascha vorgeführt werde.

»Du hast mich aufgefordert, Deine Geschichte zu hören,« bemerkte der Pascha, »und ich willigte ein – nicht Dir, sondern mir selbst zu lieb, weil ich ein Freund von guten Geschichten bin. Ich nehme es für ausgemacht an, daß die Deinigen darunter zu zählen seyn werden, sonst würdest Du Dich nicht erdreistet haben, ein derartiges Gesuch vorzubringen. Fange an.«

»Pascha,« versetzte der Sklave, welcher sich in eine Ecke niedergesetzt hatte und seinen Körper immer vorwärts und rückwärts bewegte, »es ist das Unglück derjenigen, welche nichts wissen – von der Aufregung, welche, wie ich Euer Hoheit zuvor angedeutet habe – an Höhe den stolzen, schneebedeckten Gipfel des Hebron übersteigt, – und dennoch nicht mehr werth seyn kann, als vier oder fünf Paras– –«

»Heiliger Prophet, was ist Alles dies?« unterbrach ihn der Pascha. »Ich kann kein Wort von dem verstehen, was du sagst. Lachst Du uns in die Bärte? Sprich verständlicher, besinne Dich!«

»Ich entsinne mich, als ob es von heute wäre,« fuhr der Wahnsinnige fort, »obschon Jahre darüber hingerollt sind. Nie wird es aus meinem Gedächtnisse entschwinden, so lange dieses Herz, so gebrochen es auch ist, zu schlagen fortfährt oder dieses Gehirn brennen darf. Die Sonne ist eben hinter dem zackigen Gipfel des Berges verschwunden, der meinen Wohnplatz gegen den unfreundlichen Nordostwind schützte. Die Blätter der Reben, die in Gewinden an dem Gatter vor meiner Hütte hängen – sie waren vor einer Minute noch von ihren herrlichen Strahlen durchbohrt und schienen so klar und durchsichtig – aber jetzt haben sie einen brauneren Schatten angenommen, und so weit das Augen reichen kann, steigt ein dünner blauer Dunst aus der Schlucht auf. Die ferne See hat ihr tiefes Blau gegen ein düsteres Grau vertauscht, während die Brandung wild an der Küste rollt, als sey sie unzufrieden, daß sie nicht länger die Farben des Prismas reflektiren kann; denn erst kürzlich noch tanzte sie vor Freude unter der funkelnden Beleuchtung des Tagesgottes – –«

»Pu-uff!« rief der Pascha, indem er sich Luft zufächelte.

»Mein Boot lag an dem Gestade, und meine Augen waren in glücklicher Vergessenheit darauf geheftet, bis der Schatten der Nacht mich hinderte, die Netze zu unterscheiden, die ich auf dem Schanddecke ausgebreitet hatte. Ich wandte mich um bei der sanften Stimme meiner Etana, welche, ihr Kind auf den Armen, neben mir saß und der Ungeduld des Kleinen zusah, als fordre es einen rascheren Milchstrom von der schneeigen Brust, und ein holdes Lächeln überflog die entzückte Mutter, als sie sich über das erste theure Pfand unsrer Liebe niederbeugte. Ich fühlte mich glücklich – fast allzuglücklich. Ich hatte Alles, was ich wünschte – ja, ich hatte es –« Der Wahnsinnige hielt jetzt inne und schlug sich mit der Faust vor die Stirne – »aber jetzt ist's vorbei.«

Nach einigen Sekunden nahm er wieder auf:

»Ich für meine Person bin stets der Ansicht gewesen, wenn der Wind gegen Südosten umschlage, begeben sich die Fische nach dem tiefen Wasser; und wenn Ihr beim Lesen der Trauben Euch in Acht nehmt, nicht auch die Stengel hineinzuwerfen, so wird der Wein, wie ich Eurer Hoheit zuvor andeutete, nur die ungeheure Schwierigkeit der Ueberzeugung erhöhen, wie weit ein Mensch mit gutem Gewissen gehen könne, das heißt im Verhältniß zu dem Grade des Verstandes, der durch gewisse Zwischenräume angedeutet ist und sich bis hinab in die tiefsten Ritzen der ganzen Schlucht erstreckt.«

»Wahrhaftig, ich kann kein Wort von alledem verstehen!« rief der Pascha aufgebracht. »Kannst du's, Mustapha?«

»Wie wäre es möglich, daß Euer Sklave etwas begriffe, was der Weisheit Eurer Hoheit verborgen ist?«

»Sehr wahr,« versetzte der Pascha.

»Eure Hoheit wird nach und nach schon eine geeignte Einsicht bekommen,« bemerkte der Wahnsinnige. »Aber es ist nöthig, daß Ihr abwartet, bis ich die Geschichte zu Ende gebracht habe. Was gegenwärtig noch wirr ist, wird sich dann abwinden lassen, wie ein Strang Seide.«

»Wohlan denn,« erwiederte der Pascha, »so möchte ich nur, Du begännest mit dem Ende deiner Geschichte und schlößest mit dem Anfang. Fahre fort.«

»Es ist unter dem Himmel nichts so interessant – so anmuthig – so lieblich zu betrachten, als eine junge Mutter mit ihrem Erstgebornen an der Brust. Das sanfte Lispeln und Liebkosen der Kindheit – die sich entfaltende Anmuth der knospenden Jungfrau – die erröthende, lächelnde, aber doch zitternde Braut, Alles verliert in Vergleichung mit dem Weibe in ihrer Schönheit, wenn sie ihre Bestimmung auf Erden erfüllt. Ihr Gesicht strahlt von jenem tiefen Gefühl des Entzückens, welches ihr die früheren Stunden der Sorge und der Angst mehr als vergütet. Aber ich fürchte Eure Hoheit zu ermüden.«

»Wallah el Nebi! bei Gott und seinem Propheten, das thust du in der That. Lautet Alles so wie dieses?«

»Nein, Pascha. Wollte der Himmel, es wäre so. Barmherziger Gott – warum hast Du diesen Schlag zugelassen? – War ich nicht dankbar? – Waren meine Augen nicht reich an Thränen, die aus der Wonne der Dankbarkeit und Liebe quollen – ja sogar in demselben Augenblicke, als sie hereinstürzten – als ihre mörderischen Waffen auf meine Brust gezückt waren – als die Mutter laut aufschrie, während sie das Kind als eine nutzlose Last wegrißen und es zur Erde schleuderten – als ich es aufgriff und die Pistole des wilden Türken seinem Daseyn ein Ende machte? Es ist mir noch gegenwärtig, wie ich den kleinen rubinrothen Brunnen küßte, der aus seinem Herzen sprudelte; ich sehe auch sie noch, wie man sie sinnlos von hinnen trug. Pascha, in einer kurzen Minute wurde mir Alles geraubt – Weib, Kind, Heimath, Freiheit und Vernunft – und hier bin ich ein Wahnsinniger und ein Sklave!«

Der Tolle hielt inne, sprang dann auf und begann mit lauter Stimme:

»Aber ich weiß, wer sie sind – ich kenne sie Alle; ich weiß auch, wo sie ist, und nun sollst Du mir Gerechtigkeit verschaffen, Pascha. Dieser ist's, welcher mir mein Weib stahl – dieser ist's, der mir mein Kind ermordete – dieser hält sie fern von meinen Armen und so will ich ihm Trotz bieten in Deiner Gegenwart.«

Wie er mit seinen Ausrufen zu Ende war, sprang er auf den erschreckten Mustapha los und zerraufte ihm mit der einen Hand den Bart, während er ihm mit den andern den Turban vom Kopfe schlug.

Die Wachen stürzten herein und befreiten den Vezier aus der unangenehmen Lage, in welche er sich durch seine eigene Unklugheit versetzt hatte, indem er diesen Mann vor dem Pascha erscheinen ließ.

Die Wuth der durchlauchtigen Hoheit kannte keine Grenzen, und der Wahnsinnige hätte wohl mit seinem Kopfe büßen müssen, wenn nicht Mustapha sich ins Mittel gelegt hätte; denn letzterer wußte Wohl, daß das gemeine Volk von Blödsinnigen und Wahnwitzigen annimmt, sie stünden unter dem besonderen Schutze des Himmels – so daß also ein derartiges rasches Verfahren leicht einen Aufstand hatte zur Folge haben können. Auf seine Fürsprache wurde der Mann von den Wachen fortgeschleppt und ersterer in bedeutender Entfernung von dem Palaste wieder losgelassen.

»Allah Kerim – Gott ist barmherzig!« rief der Pascha, sobald der Wahnsinnige fortgebracht worden war. »Es ist mir lieb, daß er nicht am Ende gar glaubte, ich habe sein Weib.«

»Allah verhüte, daß Eurer Hoheit eine solche Behandlung zu Theil werde. Er hat den Bart Eures Sklaven ganz zu Schanden gerissen,« entgegnete der Vezier, indem er die Falten seines Turbans wieder zurechte machte.

»Mustapha, zeichne Dir's auf – wir wollen nie mehr ein Anerbieten annehmen. Ich bin überzeugt, daß eine freiwillige Geschichte nichts werth ist.«

»Eure Hoheit spricht Wahrheit – Niemand trennt sich gerne von dem, was des Behaltens werth ist. Geld stößt man nicht mit den Füßen fort, und Diamanten findet man nicht glitzernd im nächsten besten Sonnenstrahls. Wenn wir sie erhalten wollen, müssen wir darnach suchen und sie aus den dunkeln Minen heraus arbeiten. Ist es Eurer Hoheit genehm, das Manuscript anzuhören, welches der griechische Sklave übersetzt hat?« »Sey es darum,« versetzte der Pascha, nicht in der besten Laune.

Der Grieche erschien, machte seine Verbeugung und begann dann folgende Vorlesung.

Manuscript des Mönchs, berichtend die Entdeckung der Insel Madeira.

Ehe ich vor jenes beleidigte Tribunal trete, das zu versöhnen ich viele Jahre in Buße und Gebet verbrachte, will ich zum Besten Anderer die Geschichte eines Menschen niederschreiben, welcher, indem er sich einer verhängnißvollen Leidenschaft hingab, den Rest seiner eigenen Tage verbitterte und das Leben der angebeteten Genossin seiner Schuld verkürzte. Mein Bekenntniß soll öffentlich seyn, damit mein Beispiel zur Warnung diene, und möge die Aufrichtigkeit, mit welcher ich mein Vergehen anerkenne – mögen die Thränen, welche ich vergossen habe, meine Sünde austilgen aus den bändereichen Annalen menschlichen Starrsinns und Ungehorsams!

In wenigen Tagen wird sich diese abgezehrte Gestalt mit dem Staube mischen, dem sie entsprossen ist, um, je nachdem es der Zufall gebietet, die Distel zu nähren, welche gegen die Fruchtbarkeit der Natur Krieg führt, oder den Getreidehalm, der unser Daseyn fristet – den Nachtschatten mit seiner tödtlichen Frucht oder das bescheidene Veilchen mit seinen süßen Dufte. Das Herz, welches so ungestüm schlug im Entzücken der Liebe und verödet wurde durch das Uebermaaß des Wehs, wird bald ausgepocht haben. Der Geist, welcher der unwiderstehlichen Gewalt der Leidenschaft erlag, sich vergeblich gegen den Strom derselben anstemmte und wüst und öde da lag, seit sie ihn verließ gleich dem einst fruchtbaren Thale, das die Ueberschwemmung verheert hat – wird in Kurzem aufhören, thätig zu seyn. Nach einigen kurzen Tagen muß ich vor dem Thron eines beleidigten, aber doch barmherzigen Erlösers treten, der, indem er Alles opferte, über den Wahnsinn unserer Herzenshärtigkeit weint. Mögen dann Henrique's Bekenntnisse als ein Warnezeicher dienen für diejenigen, welche sich dem ersten Impulse hinzugeben geneigt sind. Wenn sie erst über die Entdeckung ihrer Irrthümer erschrecken, so werden sie finden, daß die Ueberzeugung zu spät kommt, und daß sie, gleich mir, unwiderstehlich fortgerissen werden, wie auch ihre Vernunft und ihr Gewissen dagegen ankämpfen mag.

Ich bin ein Engländer von Geburt. Meine Eltern starben, noch ehe ich fünf Jahre alt war. Dennoch schwebt mir meine Mutter wie in einem Traume vor – ich habe eine matte Erinnerung an diejenige, auf deren Knieen ich jede Nacht zu sitzen pflegte, während sie meine kleinen Händchen zum Gebete faltete und ihr Kind segnete, ehe sie es zur Ruhe legte.

Aber ich verlor die Eltern, deren Lehren mir im späteren Leben so werthvoll hätten seyn können, und blieb der Vormundschaft eines Mannes überlassen, welcher seine volle Pflicht erfüllt zu haben meinte, wenn er für meine zeitlichen Interessen Sorge trug. Meine Erziehung wurde nicht vernachlässigt: aber ich hatte Niemand, der mir in Punkten von ernsterer Wichtigkeit an die Hand gegangen wäre. Von Natur mit einem feurigen, ungestümen Temperament ausgestattet und mit einer Ausdauer begabt, welche durch Hindernisse nur gesteigert wurde, wollte ich in meiner Seele lieber jedes Gefühl ermuthigen, um mich nur nicht einer verhaßten Ruhe hingeben zu müssen. Schwierigkeiten und Gefahren, ja sogar Schmerz und Reue waren mir weit lieber, als der sonnige Seelenfriede, den Andere für so beneidenswerth halten. Ich konnte nur in kräftigen Aufregungen leben; fehlten mir diese, so fühlte ich mich so abgespannt, wie der Gewohnheitstrinker am Morgen, ehe er seine Nerven durch eine Wiederholung seiner Libationen stimulirt hat.

Mein Treiben war von derselben Beschaffenheit – ich sehnte mich nach beharrlicher Veränderung und nach einem ewigen Scenenwechsel. Ich fühlte den Wunsch, »gefangen zu seyn von den unsichtbaren Winden und mit ruhelosem Ungestüm hingejagt zu werden über die schwebende Welt.« Nachts war ich glücklich; denn sobald der Schlaf meine Augen besiegelt hatte, träumte ich stets, daß ich mit Flugkraft begabt sey. Meine Phantasie trug mich auf Adlersfittigen durch die Luft – ich schwirrte über meinen Nebenmenschen dahin und sah mit Verachtung nieder auf sie und ihre endlose Plackerei.

Bei einem Geist von dieser Beschaffenheit, welchem nicht durch Weisen Rath Zügel angelegt wurden, ist es nicht zu verwundern, daß mein Lieblingswunsch, mein beharrliches Sehnen darauf hinausging, die Welt zu durchstreifen. Das endlose Meer, welches mir die Mittel bot, meine Leidenschaft zu befriedigen, war mir ein Gegenstand der Liebe und Anbetung. Wenn ich auch nicht die Schwingen des Adlers hatte, mit denen mich meine Träume versahen, so konnte ich doch vor den Fittigen des Windes dahin fliegen und, wie in Luftfahrten meines Schlafes, keine Spur hinter mir zurücklassen. Sobald ich das Alter erreicht hatte, welches mich befähigte, von meinem Eigenthum Besitz zu nehmen, suchte ich das Element auf, welches meinem Charakter so sehr zusagte. Einige Jahre folgte ich dem Berufe eines Seemanns und war glücklich in meinen Spekulationen. Aber ich kümmerte mich wenig um den Gewinn; es war mir eine Lust, von einem Klima zum andern zu schweifen, vor dem Sturme dahin zu fliegen, trotzend auf die ungeheuren Wellenberge zu blicken, die mich zu überwältigen drohten, den Wind und die tobende Brandung brüllen zu hören, in dem Getümmel der Schlacht zu stehen oder sogar die Zerstörung und das Unglück eines Schiffbruchs durchzumachen.

Es mag überraschend erscheinen, daß ich das Alter von Dreißig erreichte, ohne je Liebe gefühlt zu haben; aber es war so. Diese gewaltigste von allen Aufregungen, welche auf mein späteres Daseyn so großen Einfluß üben sollte, war noch nicht in Thätigkeit getreten; aber sie wurde zuletzt geweckt und wandelte gleich dem Orkan Alles vor sich her in Untergang und Verödung um. Ich war zu Cadix mit einer werthvollen Ladung angelangt, und man machte mir den Vorschlag, Zeuge der Einkleidung einer Nonne zu seyn. Da das Mädchen, welches Profeß that, einer vornehmen Familie angehörte und die Feierlichkeit mit dem größten Prunke vorgenommen werden sollte, so willigte ich ein. Die prachtvollen Verzierungen der Kirche, die Harmonie des Gesangs, die feierlichen Töne der Orgel, die prächtigen Gewänder der Priester im Gegensatz zu der düstereren Tracht der Mönche und Nonnen, das Schwenken der Rauchfässer, die aufsteigenden Weihrauchwolken und vor Allem die außerordentliche Schönheit der Einzukleidenden – alles dies weckte ein Gefühl der Theilnahme in mir, wie es nie zuvor durch irgend einen Prunkzug hervorgerufen worden war. Nachdem die Ceremonieen vorüber waren, verließ ich die Kirche mit neuen, überwältigenden Empfindungen, welche ich mir damals noch nicht zu zergliedern wußte. Aber als ich auf meinem Ruhebette lag, bemerkte ich, daß das Bild des holden Mädchens, wie es vor dem Altar kniete, tief in mein Herz gegraben war, während der übrige Glanz des Ritus nur in matten Umrissen vor meinem geistigen Auge schwebte. Ich fühlte eine Unruhe, eine Leere in meiner Brust, welche, gleich der in der Atmosphäre, die Vorläuferin eines Sturmes war. Ich konnte nicht schlafen, sondern warf mich die ganze Nacht über von einer Seite auf die andere, um am andern Morgen fieberisch und unerfrischt wieder aufzustehen. Wie gewöhnlich den Impulsen meiner Gefühle folgend, begab ich mich zu einem Verwandten des Mädchens, der mich zu der Ceremonie mitgenommen hatte, und beredete ihn, mich in dem Kloster einzuführen.

Da sie die Probezeit eines Jahres zu erstehen hatte, ehe sie vollends das Gelübde ablegte, durch welches sie für immer von der Welt geschieden werden sollte, so hielt es nicht schwer, sie zu sehen. Ihre pflichtgetreue Ergebung in den Willen ihrer Eltern, ihr heiteres, schönes Antlitz, ihr engelgleiches Lächeln – Alles trug dazu bei, meine Leidenschaft zu erhöhen, und nach der Unterhaltung einer Stunde verließ ich sie mit stürmisch bewegtem Herzen. Ich wiederholte meine Besuche mehreremale, erklärte ihr bald meine Gefühle und fand, daß sie mir Gehör schenkte, ohne an meinem Wort Anstoß zu nehmen. Meine Geschäfte forderten es gebieterisch, daß ich Cadix verließ; aber ehe ich abreiste, erhielt ich die Versicherung ihrer Gegenliebe. Sie hatte noch neun Monate Zeit, ehe sie sich ganz dem Klosterleben einverleibte, und ich versprach ihr, vor Ablauf dieser Frist zurückzukehren, und sie als mein Eigenthum in Anspruch zu nehmen. Da wir dergleichen Confession angehörten und sie nur deßhalb geopfert worden war, damit das Erbe ihrer Brüder durch ihre Morgengabe nicht geschmälert würde, so versah ich mich von Seite der Eltern keiner Einwendung. Ich bedurfte keiner Mitgift, da ich mehr als hinreichend Vermögen besaß, um sie mit jedem Luxus zu umgeben. Wir schieden. Unsere Hände zitterten, als sich unsere Finger durch das Gitter berührten; unsere Thränen entströmten, ohne sich vermischen zu können; unsere Lippen bebten, durften sich aber nicht gegenseitig berühren; unsere Herzen schlugen laut im Uebermaaße der Liebe, aber ich konnte sie nicht in meine Umarmung ziehen.

»Noch drei Monate, Rosina!« rief ich aus, als ich rücklings von dem Sprachgitter mich entfernte, die Augen noch immer auf sie heftend.

»Bis dahin lebe wohl, Henrique! Im Vertrauen auf Dein Wort und Deine Ehre werde ich kein Bedenken tragen, Dein theures Bild in meinem Herzen zu bewahren.«

Von ihren Gefühlen überwältigt, brach sie in Thränen aus, und eilte von hinnen.

Ich segelte mit günstigen Winde und langte wohlbehalten in meinem Vaterlande an. Meine Güter wurden verkauft. Ich gewann dadurch eine große Summe Geldes, traf alle meine Vorbereitungen und beabsichtigte nach Ablauf einiger Tage aufs Neue meine Reise anzutreten, um meine Zusage an Rosina zu erfüllen. Ich war in London und sah ungeduldig der endlichen Befrachtung des Schiffes entgegen, in welchem ich meine Fahrt machen wollte. Eines Abends schlenderte ich in dem Park umher, mich in den süßesten Liebesträumen ergehend, als ich plötzlich roh von einer reich gekleideten Person, welche zwei Hofdamen am Arme hatte, bei Seite gestoßen wurde. Ergrimmt über diese Kränkung und wie gewöhnlich nur dem Eindrucke des Augenblicks Folge gebend, schlug ich sie ins Gesicht und zog meinen Degen – ganz vergessend, daß ich mich im Bereiche des Palastes befand. Ich wurde ergriffen und ins Gefängniß geworfen. Mein Vergehen wurde für todeswürdig erklärt, weil mein Gegner ein Verwandter des Königs war. Ich bot eine große Summe für meine Befreiung; aber als man fand, daß ich reich war, wies man meine Erbietung so lange zurück, bis ich mich geneigt zeigte, die Hälfte meiner Habe zum Opfer zu bringen, um der Strenge der Sternkammer zu entrinnen. Aber der Verlust irdischer Güter focht mich nicht an, da ich immer noch genug hatte; um so quälender wurde mir die schrecklich lange Dauer meiner Haft, – die Spannung schwellte die Stunden zu Tagen und Tage zu Monaten der peinlichsten Folter an. Ich war mehr als ein Jahr eingekerkert gewesen, ehe ich meine Befreiung erhalten konnte. Meine Einbildungskraft vergegenwärtigte mir Rosina, wie sie meine Untreue beweinte, mir in ihrer Einsamkeit das gebrochene Gelübde vorhielt und in ihrem Schmerze (schon in dem Gedanken lag Wahnsinn) dem Drängen ihrer Eltern, daß sie den Schleier nehme, nachgab. Ich kam ganz von Sinnen, zerraufte mein Haar, zerstieß den Kopf an den Wänden meines Gefängnisses, tobte nach meiner Freiheit und erbot mich, jeden Schilling meines Besitzthums herzugeben.

»Bei den Bart des Propheten, dies ermüdet mich,« rief der Pascha. »Murakhas, Du bist entlassen.«

Der griechische Sklave verbeugte sich und trat ab.


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