Frederick Marryat
Der Pascha
Frederick Marryat

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Sechstes Kapitel.

»Maschallah! Wie wundervoll ist Gott! Hat der Kalif Harun je solche Geschichten gehört?« bemerkte der Pascha, indem er, während ihm Mustapha Gesellschaft leistete, die Pfeife aus dem Munde nahm. »Dieser Ungläubige erzählt seltsame Geschichten von fremden Ländern. – Was wird er wohl zunächst vorbringen?«

»Der Shaitan Bacheh – denn ein Sohn des Teufels ist er dennoch, obschon er den Turban trägt und sich vor Allah beugt – wird Eurer durchlauchtigen Hoheit zu einem wahren Schatze der Unterhaltung werden,« versetzte Mustapha. »Aber wie lauten die Worte des Reichen? Wenn Du Gold hast in Deinem Hazneh, so halte es wohl verschlossen und füge noch mehr hinzu: so wirst Du reich werden.«

»Das sind Worte der Weisheit,« entgegnete der Pascha.

»Ich möchte daher Eurer Hoheit rathen, diesen Abend auszugehen und weitere Erzähler auszusuchen, damit wir das, was wir in unserm Besitze haben, nicht erschöpfen.«

»Wallah Thaib! das ist wohl gesprochen,« erwiederte der Pascha, indem er sich von seinem Musnud oder Staatsteppich erhob. »Der Mond ist aufgegangen – wenn Alles bereit ist, so wollen wir uns auf den Weg machen.«

Eine Stunde später war der Pascha, wie zuvor von Mustapha und den bewaffneten Sklaven begleitet, auf der Straße und machte seine Wanderung durch die Stadt Cairo.

Sie waren noch keine halbe Stunde gegangen, als sie an der Thüre eines Fruchtladens zwei Männer sitzen sahen, zwischen denen es zu hohen Worten gekommen war. Der Pascha erhob seinen Finger gegen Mustapha und gebot ihm in dieser Weise, zu halten, damit sie das Gespräch anhören könnten.

»Ich sage Dir, Ali, es ist unmöglich, Deine langen Geschichten anzuhören, ohne den Gleichmuth zu verlieren.«

»Lange Geschichten?« flüsterte der Pascha entzückt seinem Begleiter zu. »Das ist's eben, was wir brauchen können – Shukur Allah! Gott sey Dank.«

»Und ich sage Dir, Hussan, daß die Deinigen zehnmal schlimmer sind. Du kannst keine zehn Minuten sprechen, ohne daß ich eine Neigung in mir verspürte, Deinen Mund mit dem Absatze meines Pantoffels zu begrüßen. Ich wollte nur, daß Jemand zur Hand wäre, der uns beide anhörte und ein Urtheil darüber fällte.«

»Das will ich auf mich nehmen« sagte der Pascha, indem er auf sie zuging. »Morgen will ich euch beide abhören und den Werth eurer Geschichten würdigen.«

»Und wer seyd Ihr?« bemerkte einer der Männer überrascht.

»Es ist Seine Hoheit, der Pascha,« versetzte Mustapha, der jetzt gleichfalls herantrat.

Die beiden Männer warfen sich zu Boden, während der Pascha seinen Begleiter beauftragte, die Personen am anderen Tage vor ihn zu bringen. Der Vezier ertheilte nun den Sklaven, welche in der Ferne nachfolgten, Befehl, die Männer festzunehmen, und kehrte mit dem Pascha nach Hause zurück. Letzterer war nicht wenig entzückt über die reiche Erndte, deren er sich von Leuten versah, welche sich gegenseitig ihre langen Geschichten zum Vorwurfe machten.

Sobald am folgenden Tage der Divan geschlossen worden war, erhielten die beiden Männer Befehl, vor dem Pascha zu erscheinen.

»Ich will mir nun ein Urtheil bilden, was an euren Geschichten seyn mag,« bemerkte er. »Setzt euch beide nieder und macht es mit einander aus, wer von euch beginnen soll.«

»Halten Eure Hoheit zu Gnaden – Ihr werdet nie im Stande seyn, diesen Mann Ali anzuhören,« bemerkte Hussan. »Es ist daher das Beste, wenn Ihr ihn fortschickt.«

»Allah bewahre Eure Hoheit vor allem Uebel,« versetzte Ali, »am meisten aber vor Hussans Reden, die so bedrückend sind, wie der heiße Wind der Wüste.«

»Ich habe euch nicht rufen lassen, um eueren Streit, sondern eure Geschichten anzuhören. Mach Du den Anfang, Ali.«

»Ich versichere Eure Hoheit,« fiel Hussan ein, »daß Ihr schon in drei Minuten genug haben werdet.«

»Und ich versichere Dir,« erwiederte der Pascha, »daß Du für Deine Mühe mit der Bastonade belohnt werden sollst, wenn Du nur noch ein Wort sprichst, ohne daß es Dir geboten wird. Ali, beginn mit Deiner Geschichte.«

»Gut, Eure Hoheit; Ihr wißt, es ist ungefähr dreißig Jahre her, daß ich ein kleiner Knabe war, wie Ihr wißt.«

Hier erhob Hussan seine Hand und lächelte.

»Also Eure Hoheit, Ihr wißt – –«

»Ich weiß nichts, Ali; wie kann ich wissen, eh' Du mir's erzählt hast?« bemerkte der Pascha.

»Wohlan denn, Eure Hoheit muß wissen, daß ich von meiner Geburt an stets in derselben Straße gewohnt habe, wo Eure Hoheit uns die letzte Nacht sitzen sah; und Ihr wißt, dreißig Jahre sind eine lange Periode im Leben eines Menschen. Mein Vater war ein Gärtner, und Ihr wißt, Leute dieses Standes müssen früh aufstehen, um in Zeiten für den Markt bereit zu seyn, auf dem sie, wie Ihr wißt, ihre Gemüse zum Verkauf bringen.«

»Ich gestehe, das mag Alles sehr wahr seyn,« bemerkte der Pascha; »aber Du thust mir einen Gefallen, wenn Du alle Deine ›Ihr wißt‹ wegläßt; denn ich bin ganz der Ansicht Deines Kameraden Hussan, daß sie sehr widerlich sind.«

»Das ist's was ich ihm immer sage, durchlauchtige Hoheit. ›Ali,‹ sage ich, ›wenn Du nur Deine ›Ihr wißt‹ weglassen könntest,‹ sage ich, so könnte Deine Geschichte unterhaltlich seyn. Aber › sage ich, –‹

»Stille da mit Deinem ›sage ich'«, bemerkte der Pascha. »Hast Du die Bastonade vergessen? Ihr scheint mir ein sauberes Paar zu seyn. Ali, fahre fort in Deiner Geschichte und merke Dir meine Einschärfungen; der Felek und die Ferasches sind zur Hand.«

»Nun, Eure Hoheit, eines Morgens stand er früher als gewöhnlich auf, weil es ihm darum zu thun war, mit einigen Zwiebeln, an denen es, Ihr wißt, keinen Mangel hat, der Erste auf dem Markt zu seyn. Nachdem er seinen Esel geladen hatte, ließ er ihn der Stadt zutraben. Dort langte er, Ihr wißt, ein wenig nach Morgengrauen auf dem Markte an, wo er, Ihr wißt –«

»Hast Du nicht meinen Befehl vernommen, Dein Ihr wißt auszulassen? Kann ich Gehorsam finden, oder nicht? Fahre fort, und wenn Du noch einmal gegen mein Gebot verstößst, so sollst Du die Bastonade erhalten, bis Dir die Nägel abfallen.«

»Ich werde Eurer Hoheit Wünschen nachzukommen suchen,« versetzte Ali. – »Ein wenig nach Tagesgrauen, Ihr – nein, er meine ich – bemerkte er eine alte Frau, die neben einem Früchtenstand saß und ihren Kopf mit einer alten, dunkelblauen Kapote bedeckt hatte; und als er an ihr vorbeikam, Ihr – sie, wollte ich sagen – hielt sie einen ihre Finger aus, und sagte: ›Ali Baba,‹ denn so lautete der Name meines Vaters, hört auf guten Rath und laßt Euer beladenes Thier stehen, um mir zu folgen.«

»Nun war mein Vater, Ihr wißt, nicht geneigt, einem solchen alten Weibe – Ihr wißt – Aufmerksamkeit zu schenken und er antwortete, Ihr wißt –«

»Heiliger Allah!« rief die der Pascha ergrimmt Mustapha zu, »was verdient dieser Mensch?«

»Die Züchtigung, welche all' denjenigen gebührt, die sich unterstehen, Eurer Hoheit Geboten nicht Folge zu leisten.«

»Und die soll er haben. Nehmt ihn hinaus und gebt ihm hundert Sohlenstreiche. Setzt ihn auf einen Esel, das Gesicht dem Schwanze zugedreht, und der Polizeidiener, der ihn durch die Stadt führt, soll ausrufen: »dieß ist die Strafe, welche der Pascha denjenigen ertheilt, die sich zu sagen herausnehmen, daß Seine Hoheit etwas wisse, während sie in der That doch nichts weiß.«

Die Wachen ergriffen den unglücklichen Ali, um den Willen des Paschas an ihm zu vollziehen. Als derselbe fortgeschleppt wurde, rief Hussan:

»Habe ich's nicht gesagt? Aber Ihr wollet mir nicht glauben.«

»Na, ich habe doch noch den Trost,« versetzte Ali, »daß meine Geschichte noch nicht erzählt ist. Seine Hoheit wird entscheiden, welche die Beste ist.«

Nach einigen Minuten, deren der Pascha benöthigt war, um sich von seinem Grimme zu erholen, redete er den andern Mann an:

»Wohlan, Hussan, beginne mit Deiner Geschichte – aber merke Dir wohl, daß ich nicht in der besten Stimmung bin.«

»Wie wäre es auch anders möglich, nachdem Eure Hoheit von Ali so sehr geärgert wurde? Ich sagte es ja. ›Ali‹ sagte ich –«

»Komm einmal an Deine Erzählung,« wiederholte der Pascha ärgerlich.

»Es ist ungefähr zwei Jahre her, Eure Hoheit, daß ich eines Tages in der Thüre des Fruchtladens saß, vor dem uns Eure Hoheit gestern Abend bemerkte. Da kam ein junges Frauenzimmer, welches nicht zu der gewöhnlichen Klasse zu gehören schien, in Begleitung eines Lastträgers herein. ›Ich möchte gerne einige Melonen haben‹ sagt sie. ›Spaziert nur herein, denn ich habe sehr schöne,‹ sage ich. Und ich langte nach den oberen Gesims hinauf, wo ich vier oder fünf Muskat- und vier oder fünf Wassermelonen aufgelegt hatte.

»›Nun‹ sage ich, ›junges Frauenzimmer, Ihr werdet bemerken, daß dieß weit schönere Melonen sind‹ sage ich, ›als man gewöhnlich findet, weßhalb ich auch den geringsten Preis, den ich dafür ansetzen kann‹, sage ich – –«

»Ei, Deine sage ich sind viel schlimmer als Alis Ihr wißt, Sey so gut, sie wegzulassen, und fahre in Deiner Geschichte fort,« rief der Pasche in sich steigerndem Unmuthe.

»Ich will Eurer Hoheit gehorchen, wenn es mir möglich ist. Ich machte den niedrigsten Preis namhaft, und sie schlug ihren Schleier zurück. ›Ich habe geglaubt‹ sagte sie, nachdem sie mir erlaubt hatte, eines der hübschsten Gesichter von der Welt zu sehen, ›daß sie weit wohlfeiler zu haben seyen.‹«

»Ich war von ihrer Schönheit so betroffen, daß ich ganz sprachlos dastand. ›Habe ich nicht recht?‹ sagte sie lächelnd, ›Von Euch, Frau‹ sage ich, ›kann ich nichts nehmen. Legt so viele in den Korb Eures Lastträgers, als Euch gut dünkt.‹ Sie dankte mir und legte Alle, die ich herunter gelangt hatte, in den Korb. ›Nun,‹ sagt sie, ›möchte ich einige Datteln – die besten und schönsten, die Ihr habt.‹ Ich holte einige herunter, welche sogar die Frauen von Eurer Hoheit Harem bewundert haben würden. ›Diese, schöne Frau,‹ sage ich, ›sind die besten, die in Cairo aufgefunden werden können.‹ Sie kostete dieselben und fragte nach dem Preis, den ich ihr nannte. ›Sie sind theuer,‹ versetzte sie; ›Ihr müßt sie wohlfeiler geben.‹ Und abermals lüftete sie ihren Schleier. ›Frau,‹ sage ich, ›diese Datteln sind viel zu wohlfeil um den von mir namhaft gemachten Preis, und es ist in der That unmöglich, auch nur einen Para weniger zu nehmen. Seht nur ihre Schönheit an, Frau,‹ sage ich; ›fühlt das Gewicht und kostet sie,‹ sageich, ›und Ihr müßt einräumen,‹ sage ich, ›daß ich sie Euch zu einem Preise angeboten habe,‹ sage ich – –«

»Heiliger Prophet!« rief der Pascha wuthentbrannt; »ich will nichts mehr von Deinen sage ich hören. Wenn Du nicht ohne dasselbe in Deiner Geschichte fortkommen kannst, so soll es Dir noch schlechter ergehen, als dem Ali.«

»Halten Eure Hoheit zu Gnaden, aber wie ist es möglich, daß Ihr erfahret was ich gesagt habe, wenn ich Euch nicht bemerklich mache, was ich sagte? Ich kann meine Geschichte anders nicht fortsetzen.«

»Das will ich doch sehen,« erwiederte der Pascha in grimmigem Tone und winkte durch ein Zeichen dem Henker zum Eintreten. »Erzähle jetzt weiter; und Du, Henker, schlägst ihm den Kopf ab, sobald er sein sage ich dreimal wiederholt hat. Fahre fort.«

»Ich werde nicht im Stande seyn, fortzufahren, durchlauchtige Hoheit. Aber erwägt nur einen Augenblick, wie harmlos mein sage ich gegen das abscheuliche Ihr wißt des Ali ist. Ich habe ihm dieß immer gesagt. ›Ali‹ sage ich, ›wenn Du nur wüßtest,‹ sage ich, ›wie ärgerlich Du bist! Ja, dann‹ sage ich. – –

In diesem Augenblicke fiel der Scymetar nieder und der Kopf Hussans rollte auf den Boden. Gewohnheitshalber zuckten die Lippen noch in ihren Convulsionen mit einer Bewegung, welche noch ein sage ich hervorgestoßen haben würden, wenn der Kanal des Lautes nicht so wirksam in seiner Thätigkeit unterbrochen worden wäre.

»Diese Geschichte ist zu Ende!« bemerkte der Pascha in Wuth. »Von allen Widerwärtigkeiten, die mir je begegnet sind, ist keine so schlimm gewesen, als die Heimsuchung mit zwei solchen Personen. Allah verhüte, daß ich je wieder mit einem sage ich oder mit einem Ihr wißt zusammentreffe!«

»Eure Hoheit ist die Weisheit selbst,« bemerkte Mustapha; »und möge gleiches Geschick alle diejenigen treffen, welche ihre Geschichte nicht erzählen können, ohne daß sie sagen, was sie gesagt haben.«

Aufgebracht über die getäuschte Erwartung und durch Mustaphas Bemerkung ein wenig beschwichtigt, war der Pascha im Begriffe, sich nach seinem Harem zurückzuziehen, als ihm Mustapha mit einer tiefen Verbeugung meldete, daß der Renegat in der Nähe sey, um seine zweite Reise zu erzählen, im Falle es demselben gestattet werden sollte, den Staub von Seiner Hoheit Füßen zu küssen.

»Khoda shefa midéhed – Gott gibt Erleichterung,« entgegnete der Pascha, indem er seinen Sitz wieder einnahm. »Er soll kommen.«

Der Renegat trat ein, machte die gewohnte Begrüßung, nahm Platz und begann die Geschichte seiner zweiten Reise.

Huckabacks zweite Reise.

Mit Eurer durchlauchtigen Hoheit Wohlnehmen – den Tag nachdem ich mich eingeschifft hatte, segelten wir mit günstigem Wind aus, brachten die Meerenge hinter uns und schmeichelten uns schon mit der Aussicht einer glücklichen Fahrt, wurden aber in unserer Erwartung elendiglich getäuscht; denn drei Tage nachher trafen wir auf eine kleine Brigg unter englischer Farbe. Da sie wie ein Kauffahrer aussah, so achteten wir nicht darauf, daß sie sich uns näherte, weil wir meinten, sie haben ihre Hissung verloren und wünsche nur zu wissen, wo sie stehe. Aber sobald sie dicht an uns war, fuhr sie nicht an unserem Stern vorbei, wie wir erwartet hatten, sondern rundete, und legte die Enterhaken ein. Wir hatten keine Waffen und sahen uns daher in Folge dieser Ueberraschung bald in den Raum hinunter geschlagen; nach einigen Minuten befand sich das Schiff im Besitze unserer Angreifer. Sie hielten eine kurze Berathung, öffneten dann die Lucken, und ein Hochbootsmann zog seine Pfeife heraus, indem er mit furchtbarer Stimme dazu brüllte: » all hands ahoy!« Dann folgte der Ruf: » tumble up there, tumble up!« Da wir dies für ein Signal hielten, auf dem Deck zu erscheinen, so gehorchten wir der Aufforderung. Als wir oben standen, fanden wir, daß es uns leicht geworden wäre, diese Männer, wenn wir sie nur entfernt für Feinde gehalten hätten, zurückzuschlagen; denn sie waren nur fünfzehn an Zahl, während wir sechzehn Köpfe musterten. Aber es war zu spät. Wir hatten keine Waffen, und von den Engländern war jeder mit einem Stutzsäbel nebst zwei im Gürtel steckenden Pistolen versehen. Sobald wir Alle auf dem Decke waren, banden sie uns mit Tauen die Arme auf den Rücken und stellten uns in einer Zeile auf; nachdem sie uns nach unserem Range und unserem Gewerbe gefragt hatten, hielten sie eine kurze Berathung, und der Hochbootsmann redete mich folgendermaßen an:

»Danke dem Himmel, Du Schurke, daß Du Barbier geworden bist; dann dies hat Dir das Leben gerettet!«

Er zerhieb dann die Taue, mit welchen ich gebunden war, und ich blieb in Freiheit.

»Wohlan denn, meine Jungen!« fuhr der Bootsmann fort, »nehme jetzt jeder seinen Vogel aufs Korn.«

Und mit diesen Worten ergriff er den Kapitän unseres Schiffes, führte ihn nach der Planke, rannte ihm sein Schwert durch den Leib und stieß ihn in die See.

In derselben Weise führte jeder von den mörderischen Schurken seinen ausgewählten Mann nach vorne, tödtete ihn entweder mit dem Schwerte oder mit der Pistole, und schleuderte die Leiche in die Wellen.

Das Blut erstarrte mir in den Adern, als ich diese Scene mit ansah; aber ich sagte nichts, da ich mich nur allzuglücklich schätzte, mit dem Leben davon gekommen zu seyn. Nachdem all dies abgethan war, brüllte der Hochbootsmann: »Das Geschäft ist vorbei! Jetzt fege das Blut da auf, Meister Barbier, und sey verdammt! Vergiß nicht, daß Du fortan einer von den Unsrigen bist.«

Ich gehorchte in stummer Furcht und kehrte dann nach meinem früheren Standorte in der Nähe des Hackebords zurück.

Die Leute, welche uns gekapert hatten, waren, wie ich später entdeckte, ein Theil der Mannschaft eines englischen Guineafahrers, welche ihren Meister und Maten ermordet und das Schiff in Besitz genommen hatten. Da unsere Brigg in jeder Hinsicht ein viel schöneres Fahrzeug war, so beschlossen sie, es zu behalten und ihr eigenes zu versenken. Noch vor Einbruch der Nacht hatten sie alle ihre Maßregeln getroffen und steuerten dann unter einer schönen Brise gen Westen.

Aber genau, als die Glocke um Mitternacht achtmal angezogen wurde, ließ sich über der Lucke eine furchtbare Stimme hören, die womöglich noch hundertmal lauter lautete, als die des Hochbootsmanns; sie brüllte: » all hands ahoy!«

Die Erschütterung der Luft war so stark, daß das Schiff zitterte, als wäre es von einem Donnerschlage getroffen worden, und sobald sich die Bewegung ein wenig gelegt hatte, hörte man durch alle Theile des Raumes Wasser rauschen. Von dem Tone erschreckt, eilte Alles auf das Deck, und man erwartete, das Schiff werde augenblicklich untergehen. Die Leute waren nur mit ihren Hemden bekleidet und sahen einander zitternd und voll Entsetzen an. Das Wasser fuhr fort in das Schiff einzudringen, bis es das Kuhbrückengebälk erreicht hatte; dann aber hielt es plötzlich inne.

Nachdem sich der panische Schreck bis zu einem gewissen Grade gemindert hatte, griffen die Matrosen, welche bemerkten, daß das Wasser nicht mehr höher stieg, nach den Pumpen, und um acht Uhr Morgens war das Schiff befreit. Dennoch lag der unerklärliche Vorgang wie eine Centnerlast auf dem Gemüthern der Seeleute, welche auf dem Deck umhergingen, ohne sich anzureden oder dem Schiffskurse Aufmerksamkeit zu schenken. Da Niemand das Kommando übernahm, so blieb auch das Steuer unbesetzt.

Ich für meinen Theil hielt den Vorgang für ein Gericht, das sie wegen ihrer Grausamkeit betroffen habe, und machte mich bereits aufs Schlimmste gefaßt, weil ich fest annahm, daß das Aergste noch nicht gekommen sey. Ich dachte an Marie und gelobte in meinem Innern, wenn ich entkommen sollte, ein anderes Leben anzufangen.

Nachts begaben wir uns wieder nach unseren Hängematten; aber wir Alle hatten so große Angst vor einer zweiten Heimsuchung, daß Niemand zum Schlafen kommen konnte. Die Glocke wurde nicht von den Leuten angezogen, sondern schlug von selbst und lauter, als ich sie je zuvor gehört hatte. Auch ließ sich abermals die schreckliche Stimme vernehmen: » all hands ahoy!« und abermals trieb uns das hereinstürzende Wasser auf das Deck. Wie in der letzten Nacht stieg es wieder bis zum Kuhbrückengebälk, hielt dann inne und wurde bis acht Uhr am folgenden Morgen wieder ausgepumpt.

Einen Monat lang, während welcher Zeit wir nie Land sahen, – denn wir hatten alle Gissung verloren, und Niemand kümmerte sich um das Steuer – fand jede Nacht die schreckliche Heimsuchung statt. Die Gewohnheit hatte die Leute einigermaßen abgehärtet. Sie fluchten und tranken wieder wie zuvor und scherzten sogar über den Hochbootsmann der Mittelwache, wie sie ihn nannten; aber zu gleicher Zeit erschöpfte sie die beharrliche Anstrengung dermaßen, daß sie einmal in der Nacht erklärten, sie wollten nicht länger pumpen. Das Wasser blieb den ganzen Tag über im Schiff, und Abends begaben wir uns wie gewöhnlich nach unsern Hängematten. Um Mitternacht ließ sich dieselbe Stimme über der Lücke wieder hören; aber es folgte jetzt kein Wasserrauschen, sondern der schrille Ruf: » tumble up there, tumble up!«

Wir Alle sprangen auf und eilten auf das Deck, denn wir fühlten uns wider Willen dahin getrieben. Nie werde ich den schrecklichen Anblick vergessen, der sich jetzt darbot; denn auf dem Decke des Schiffes lagen in einer Reihe die fünfzehn blutigen Leichen meiner ermordeten Schiffskameraden. Wir standen entsetzt da, und das Haar sträubte sich auf unseren Häuptern, als wir die übernatürliche Erscheinung betrachteten. Nach einer Pause von ungefähr fünf Minuten, während welcher Niemand ein Wort sprach oder sich auch nur rührte, rief eine der Leichen mit einer Grabesstimme, indem sie ihre Arme erhob:

»Kommt, nehme jeder seinen Vogel aufs Korn!«

Der Mann, welcher den lebendigen Körper nach der Laufplanke genommen, ihn getödtet und über Bord geworfen hatte, trat nun heran; er wurde augenscheinlich durch eine übernatürliche Kraft getrieben, denn nie werde ich den Blick des Entsetzens und den matten Ausruf der Todesangst vergessen, der ihm entwischte, als er der Aufforderung Folge leistete. Gleich dem zitternden Vogel, der von der Schlange bezaubert wird, sank er in die Arme der Leiche, die ihn fest umklammerte, in schlangenartigen Windungen mit ihm weiter rollte, bis sie den Rand der Laufplanke erreicht hatte, und dann mit ihrem Mörder in die See stürzte. Es folgte nun ein Blitz, der uns mehrere Minuten lang blendete. Und als wir unser Gesicht wieder gewannen, waren die übrigen Leichen verschwunden. Der Eindruck auf die schuldbeladenen Elenden war schrecklich. Sie lagen auf dem Decke niedergekauert da, wie in demselben Augenblicke, als der Blitz über ihnen hingeglitten war. Die Sonne ging jetzt auf, aber sie rührten sich nicht; die Strahlen trafen um Mittag ihre nackten Körper, aber dennoch blieben sie liegen; der Abend brach ein und traf sie noch immer in derselben Lage. Endlich schien die Dunkelheit den Zauber zu lösen, denn sie krochen jetzt hinunter und legten sich in ihre Hängematten. Um Mitternacht schlug die Glocke wieder an. Abermals ließ sich die Stimme vernehmen – der Schrei folgte und sie begaben sich aufs Neue nach dem Decke. Die vierzehn übrigen Leichen lagen in einer Reihe da. Ein weiterer Mörder wurde aufgeboten, gehorchte und verschwand. Abermals brach ein Blitz herein, und die Leichen wurden unsichtbar. So währte es fort – jede Nacht, bis der Hochbootsmann, welcher auf die letzte aufbewahrt geblieben war, von der Leiche des Kapitäns den übrigen nach über Bord gezogen wurde. Dann ließ sich eine dröhnende Stimme von dem großen Mars vernehmen; sie rief: »das Geschäft ist vorbei!« und dann folgte ein jubelndes Gelächter. Unmittelbar darauf rauschte das Wasser aus dem Schiffsraum hinaus, und das Fahrzeug war wieder so frei, wie zuvor.

Dem Himmel dankend, der mich mit dem Geschick der Uebrigen verschont hatte, legte ich mich nieder und versank zum erstenmal seit vielen Wochen in einen tiefen Schlaf. Wie lange er angehalten hat, weiß ich nicht, obschon ich seine Dauer auf viele Tage zählen möchte. Endlich wurde ich durch den Ton von Stimmen geweckt, und ich fand jetzt, daß die Leute an Bord eines von Mexico nach dem südlichen Spanien bestimmten Schiffes ein Boot ausgeschickt hatten, um die Brigg, welche mit zerrissenen Segeln und nicht gesetzten Raen dalag, zu untersuchen. Ich fürchtete, man werde mir, wenn ich das Vorgefallene erzähle, keinen Glauben schenken, oder falls es je geschähe, eine Person nicht an Bord nehmen wollen, welche in Gesellschaft von Menschen gewesen war, an denen sich die göttliche Rache so augenscheinlich kund gegeben hatte, und berichtete deßhalb, wir seyen vor sechs Wochen von der Ruhr befallen worden, welche die gesammte Mannschaft hingerafft habe, mich, den Superkargo der Brigg, ausgenommen.

Da das Schiff der Mexicaner nur halb voll war und ihre Ladung hauptsächlich aus Cochenille und Kupfer bestand, die nur einen kleinen Raum einnahmen, so erbot sich der Kapitän, von der Brigg so viele Güter, als er unterbringen konnte, an Bord zu nehmen, vorausgesetzt, daß ich ihm die Fracht überlasse. Ich ging bereitwillig darauf ein und las, nachdem ich das Manifest untersucht hatte, die werthvollsten Gegenstände aus, die ich nach dem spanischen Schiffe brachte.

Wir hatten günstigen Wind. Nachdem wir durch die Meerenge eingefahren waren, hofften wir, in einem oder zwei Tagen unsern Hafen Valencia zu erreichen, wurden aber jetzt von einem Nordoststurme befallen, welcher viele Tage anhielt und uns auf die afrikanische Küste zutrieb. Um unser Unglück zu erhöhen, mußte das Schiff einen Leck kriegen, durch welchen es so viel Wasser fing, daß wir es durch Pumpen kaum wieder befreien konnten.

Die Spanier sind sehr träge Matrosen, durchlauchtige Hoheit, und in einem Sturme weit mehr geneigt, zu beten, als zu arbeiten. In ihrem Schrecken gaben sie das Pumpen auf, zündeten vor dem Bilde des heiligen Antonius, welches im Stern des Schiffes aufgestellt war, eine Kerze an und begannen dessen Beistand anzurufen. Da der Heilige ihren Bitten nicht augenblicklich entsprach, so nahmen sie das Bild aus dem Tabernackel heraus, mißhandelten es, gaben ihm alle nur erdenkliche schnöde Namen und machten damit den Schluß, daß sie es an den großen Mast banden und mit Seilstumpen züchtigten.

Inzwischen füllte sich das Schiff mehr und mehr. Hätten sie, statt zu beten, an den Pumpen fortgearbeitet, so würde es uns gut genug ergangen seyn, denn der Sturm war im Abnehmen und das Fahrzeug fing nicht mehr so viel Wasser, wie zuvor.

Wüthend über diese Unthätigkeit und den Gedanken, mein werthvolles Eigenthum an Bord zu verlieren (denn ich betrachtete es als meine Habe), riß ich das Bild von dem Maste, warf es über Bord und erklärte ihnen, sie sollten an die Pumpen gehen, wenn sie gerettet zu werden wünschten. Die ganze Mannschaft stieß nun einen Schrei des Entsetzens aus und würde mich wohl dem Bilde nachgeschickt haben, wenn ich mich nicht in das Takelwerk hinauf geflüchtet hätte, aus dem ich mich viele Stunden nicht herunter wagte.

Da die Spanier sich an keinen Heiligen mehr wenden konnten, so griffen sie abermals zu den Pumpen. Zu ihrem Erstaunen zog das Schiff kein Wasser mehr und war im Laufe von einigen Stunden frei.

Am nächsten Morgen hatte der Sturm ausgeblasen und wir steuerten auf Valencia zu. Ich bemerkte, daß der Capitän und die Matrosen mich vermieden, kümmerte mich aber wenig darum; denn ich fühlte, mein Benehmen habe das Schiff und mein Eigenthum gerettet. Am zweiten Tage ankerten wir in der Bai. Die Behörden kamen an Bord und gingen mit dem Kapitän in die Kajüte hinunter, um sich daselbst lange mit demselben zu besprechen. Eine Stunde, nachdem sie das Schiff verlassen hatten, wollte ich ans Land gehen; der Kapitän erklärte jedoch, daß er mir dies vor dem nächsten Morgen nicht erlauben könne. Während ich ihm noch wegen seiner Weigerung Vorstellungen machte, ruderte ein Boot heran, aus welchem zwei schwarz gekleidete Personen an Bord stiegen. Ich erkannte in ihnen die Vertrauten der Inquisition. Da fiel mir augenblicklich ein, wie ich die Aebtissin vorgestellt hatte; ich glaubte, ich sey entdeckt, und hielt mein Urtheil für besiegelt. Der Kapitän deutete auf mich hin. Die Schwarzen ergriffen mich am Kragen, hoben mich in das Boot und ruderten schweigend dem Ufer zu.

Nachdem wir gelandet hatten, wurde ich in eine schwarze Kutsche gebracht und nach dem Inquisitionspalaste geschafft, wo man mich in einen der tiefsten Kerker warf. Am nächsten Tage erschienen die Vertrauten und führten mich nach der Gerichtshalle, wo ich gefragt wurde, ob ich mein Verbrechen bekennen wolle. Ich versetzte, daß ich nicht wisse, wessen ich angeschuldigt sey. Man fragte mich wieder, ob ich bekennen wolle, und da ich dieselbe Antwort gab, so wurde die Tortur über mich verhängt.

Ich wußte wohl, daß ich keine Aussicht hatte, und weil ich es nicht für nöthig hielt, mich einer nutzlosen Qual auszusetzen, so erklärte ich, daß ich bekenne.

»Was hat dich zu der That bewogen?«

Die Antwort machte mich verlegen, da mir die Natur meines Vergehens nicht ganz klar war; ich antwortete deßhalb, die heilige Jungfrau sey es gewesen.

»Gotteslästerer!« rief der Großinquisitor. »Wie! Die heilige Jungfrau hätte dich aufgefordert, den San Antonio über Bord zu werfen?«

»Ja,« versetzte ich, hocherfreut, daß nicht von demjenigen Verbrechen die Rede war, welches ich vermuthet hatte. »Sie that es und sagte mir, das Schiff werde dadurch gerettet werden!«

»Wo warst du bei dieser Gelegenheit?«

»Auf dem Deck.«

»Wo hast Du sie gesehen?«

»Sie saß auf einer kleinen blauen Wolke, ein wenig über der Marssegelraa.« ›Fürchte Dich nicht, François,‹ sagte sie, indem sie mir mit der Hand winkte, ›sondern wirf das Bild über Bord.‹

Die Inquisitoren waren erstaunt über meine Kühnheit. Es folgte nun eine Berathung, welche sich die Ermittelung zur Aufgabe stellte, ob ich als ein Gotteslästerer behandelt oder die Sache als ein Mirakel ausgerufen werden solle. Zum Unglück für mich hatte sich jedoch erst vor kurzer Zeit ein Wunder zugetragen, und es waren nur wenige Leute vorhanden, die bei dem Auto-da-fé des nächsten Monats verbrannt werden konnten.

Die Entscheidung fiel daher gegen mich aus. Ich wurde geschmäht, mißhandelt und zum Flammentode verurtheilt. Gleichwohl nahm ich mir vor, als meine einzige Aussicht, bis auf den letzten Augenblick eine gute Miene zur Sache zu machen. Ich blickte in die Höhe, als hätte ich irgend einen Punkt in der Decke der dunkeln Gerichtshalle vor Augen, und erhob wie in größtem Erstaunen meine Hände.

»Heilige Jungfrau! rief ich, indem ich meine Knie beugte, »ich danke Dir für dieses Zeichen. Gnädiger Herr,« fuhr ich trotzig fort, »ich fürchte mich nicht. Ihr habt mich verurtheilt, in den Flammen zu sterben; ich aber sage Euch, daß ich meinen Kerker mit Ehren verlassen werde, und daß mir eben so viele Lobpreisungen bevorstehen, als mir jetzt Beschimpfungen zu Theil werden.«

Die Inquisitoren waren einen Augenblick verdutzt. Ihre Ueberraschung wich aber bald wieder ihrer Grausamkeit, denn sie dachten daran, wie viele Tausende sie schon gefoltert hatten, weil sie Dinge bezweifelten, denen sie selbst nie einen Augenblick Glauben schenkten. Ich wurde nach meinem Kerker zurückgeführt. Der Schließer, welcher nie zuvor in der Gerichtshalle soviel Kühnheit gesehen hatte, und deshalb der Ueberzeugung lebte, daß ich die Wahrheit gesprochen, behandelte mich mit Wohlwollen und versah mich mit Bequemlichkeiten, die ihn seine Stelle gekostet haben würden, wenn sein Benehmen bekannt worden wäre.

Mittlerweile wurde die Ladung des Schiffes bei dem Zollhause gelandet, das Fahrzeug selbst aber ans Ufer gezogen, damit der Boden ausgestopft und verpicht werden konnte. Da zeigte sich nun zum großen Erstaunen des Kapitäns und der Mannschaft, daß der Kopf des Heiligen, den ich über Bord geworfen hatte, in dem Lecke stack und so fest eingekeilt war, daß man ihn nur mit Gewalt herausbringen konnte.

»Ein Wunder! Ein Wunder!« tönte es nun von den Kais und durch alle Theile der Stadt. Man sah jetzt deutlich, daß mich die heilige Jungfrau bewogen hatte, das Bild über Bord zu werfen, weil dies das einzige Mittel gewesen, das Leck zu verstopfen. Die Mönche des nächsten Klosters nahmen den heiligen Antonius für sich in Anspruch und kamen in großartiger Procession nach dem Schiffe herunter, um ihn nach ihrer Kirche zu tragen. Als der Großinquisitor von diesem Umstande Kunde erhielt, bezeugte er vor dem Bischof und der höchsten Geistlichkeit mein unerschrockenes Benehmen in der Gerichtshalle, und das Schiff war noch keine drei Stunde ans Land geholt werden, als ich in meinem Kerker von dem Großinquisitor, dem Bischof und einer langen Procession besucht wurde. Sie baten mich um Verzeihung und ertheilten mir auf mein Verlangen den Kuß des Friedens. So wurde ich denn unter allen Zeichen von Achtung in Freiheit gesetzt und fortan als ein Mensch betrachtet, der unter dem besondern Schutze der Jungfrau stand.

»Hab' ich Euch nicht gesagt, gnädiger Herr, daß ich mit Ehren meinen Kerker verlassen würde?« sagte ich zu dem Großinquisitor.

»Ja, das thatest Du, mein Freund,« antwortete er. Ich hörte ihn noch murmelnd hinzufügen: »Entweder gibt es wirklich eine Jungfrau Maria, oder dieser Mensch ist der pfiffigste Schurke, der sich weit und breit auffinden läßt.«

Während meines Aufenthalts zu Valencia war meine Gesellschaft sehr gesucht und geehrt. Ich verkaufte meine Waaren zu ungeheurem Preise, denn Jedermann glaubte, es müsse ihm Glück bringen, wenn er etwas besitze, was mir gehört hatte. Ich erhielt viele schöne Geschenke; die verschiedenen Klöster lagen mir an, als Mönch in ihren Orden zu treten, und ich verließ endlich die Stadt mit einer große Geldsumme, mit welcher ich mich nach Toulon begab, um mich nach meiner theuren Cerise zu erkundigen, deren Bild noch immer der Gegenstand meiner Träume sowohl als meiner wachen Gedanken vor.«

»Halt,« sagte der Pascha; »ich mochte wissen, ob Du glaubst daß die Jungfrau, wie Du sie nennst, den Kopf des Bildes in das Loch steckte, welches sich in dem Schiffsboden befand.«

»Eure Hoheit halten zu Gnaden, ich glaube es nicht, sondern bin der Ansicht, daß die ganze Sache blos auf dem Gesetz der Ursache und Wirkung beruhte. Es liegt in der Natur eines Wirbels, alles einzusaugen, was in seinen Bereich kommt. Das Wasser, welches in den Schiffsboden strömte, war nur der Scheitel eines Wirbels. Als ich das Bild des Heiligen leewärts von dem Schiffe über Bord warf, wurde es von der Gewalt des Windes unter das Wasser gedrängt, bis es von dem Wirbel des Lecks ergriffen wurde, und so fand es ganz natürlich seinen Weg in das Loch.«

»Du scheinst mir ganz recht zu haben,« antwortete der Pascha, »obschon ich kein Wort von dem verstehe, was Du gesagt hast.«

»Dies, durchlauchtige Hoheit, waren die Abenteuer, welche meine zweite Reise begleiteten,« schloß der Renegat mit einer Verneigung seines Kopfes.

»Und es ist obendrein eine recht gute Reise gewesen – sie hat mir besser gefallen, als Deine erste. Mustapha gib ihm zehn Goldstücke. Du wirst ihn morgen wieder herbringen, und wir wollen dann hören, was ihm auf seiner dritten zugestoßen ist.«

»Du siehst, daß mein Rath gut war,« sagte Mustapha, sobald sich der Pascha entfernt hatte.

»Ganz vortrefflich,« versetzte der Renegat, indem er seine Hand ausstreckte, um das Geld in Empfang zu nehmen. »Morgen will ich lügen, wie nur irgend ein Barbier.«


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