Frederick Marryat
Der Pascha
Frederick Marryat

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Achtes Kapitel.

Am andern Morgen bemerkte der Pascha gegen Mustapha: »Wir haben heute keine Geschichte, und da dachte ich denn, ob es nicht doch das Beste wäre, wenn wir den Griechen die gestern begonnene Geschichte zu Ende bringen ließen.«

»Sehr wahr, o Pascha,« versetzte Mustapha. »Besser trocken Brod, als gar nichts zu essen. Wenn wir nicht Pillau haben können, müssen wir uns mit gekochtem Reis begnügen.« »Wohl gesprochen, Mustapha; er soll fortfahren.« Der griechische Sklave wurde herbei beschieden und begann abermals seine Vorlesung.

Fortsetzung des Manuscripts.

Endlich hatte ich meine Freiheit errungen. Ich eilte nach der Küste miethete ein kleines Schiff und langte – zürnend mit den Winden, weil sie nicht mit einer Gewalt blasen wollten, die meinen ungestümen Wünschen entsprach – zu Cadix an. Es war Abends spät, als ich mich ausschiffte und nach dem Kloster begab. Der Widerstreit von Furcht und Hoffnung hatte mich dermaßen erschöpft, daß ich mich nur mit Mühe fortschleppen konnte. Ich wankte nach dem Pförtchen und fragte nach meiner Rosina. Seyd Ihr ein naher Verwandter,« entgegnete die Pförtnerin, »daß Ihr zu einer Schwester wollt?«

Ihre Frage setzte mich mit einemmale ins Klare. Rosina hatte den Schleier genommen – hatte der Welt und mir für immer abgeschworen. Mein Gehirn schwindelte und ich sank besinnungslos auf das Pflaster nieder. Ueber diesen Vorgang erschrocken, eilte die Pförtnerin zur Aebtissin und theilte ihr mit, ein Mann habe an dem Pförtchen nach der Schwester Rosina gefragt, und sey auf ihre Antwort hin bewußtlos niedergefallen. Rosina war bei der Erzählung anwesend; ihr Herz sagte ihr, von wem die Rede war, und daß ich nicht treulos gewesen sey. Die Freude über diese Ueberzeugung und der Schmerz über ihre eigene Voreiligkeit, welche jetzt Alles nutzlos machte, überwältigten sie dermaßen, daß man sie in einem eben so kläglichen Zustande, als der meine war, nach ihrer Zelle bringen mußte.

Als ich wieder zur Besinnung kam, lag ich in einem Bette. Ich war mehrere Wochen irre gewesen. Mit der Vernunft und dem Gedächtniß kehrte aber auch mein Elend zurück. Der Wahnsinn der Aufregung war vorüber; aber mein Geist lag in derselben Erschöpfung, wie mein Körper, und ich fühlte eine Art ruhiger Verzweiflung. Ueberzeugt, daß Alles verloren sey und eine unübersteigliche Schranke zwischen mir und Rosina sich befinde, raisonnirte ich mich in eine Art Philosophie hinein und beschloß, sobald ich wieder hinreichend Kraft besäße, einen Ort zu meiden, von dem ich mir so viel Glück geträumt hatte, während er mir jetzt nichts als Wehe bot.

Nur Ein Wunsch blieb in mir übrig; ich wollte Rosina noch einmal sehen, ehe ich abreiste, um ihr die Gründe meiner Zögerung erklären zu können. Der Verstand sagte mir, daß ich darin Unrecht thue; aber ich konnte den Einflüsterungen des Augenblicks keinen Widerstand leisten. Hätte ich mich ihm nicht hingegeben, so wäre ich zwar unglücklich, aber doch nicht schuldig gewesen. Ich schrieb an sie, machte ihr Vorwürfe wegen ihrer Uebereilung, und bat sie um eine letzte Zusammenkunft. Ihre Antwort war rührend – sie entlockte meinen Augen Ströme von Thränen und entzündete meine Liebe aufs Neue. Die Zusammenkunft wurde mir verweigert, da sie doch zu nichts führen könne und nur Gefühle in ihr wecken müßte, die zu ihrer Pflicht im Widerstreite ständen. Aber ihre Worte waren so gütig – die Absage so mild, daß ich deutlich sehen konnte, ihre Neigung stehe nicht im Einklange mit ihr Feder. Ich bat wiederholt, und da ich dieses Wiedersehen als einen Beweis ihrer aufrichtigen Liebe forderte, so willigte sie mit Widerstreben ein.

Wir sahen uns – ach dieses Wiedersehen! – Es war die Quelle unsres Elends, unsrer Schuld. Von diesem Augenblicke an beschloß ich, nie von ihr zu lassen – Religion, Tugend, Moral, jedes andere Gefühl schwand dahin vor dem Wiedererscheinen des Gegenstandes meiner Anbetung, und ehe wir uns trennten, wagte ich es auf's Neue, die Gelübde der Treue gegen ein Wesen auszusprechen, das sich seinem Gotte geweiht hatte.

»Das kann nicht seyn, Henrique,« sagte Rosina. »Wir dürfen uns nicht wiedersehen. Besinne Dich doch und Du wirst Dich selbst überzeugen, daß es nicht schicklich ist. Meine Eltern werden nie in eine Dispensation von meine Gelübden willigen – alle Hoffnungen einer Vereinigung in dieser Welt sind dahin – ach! mögen wir uns im Himmel wieder treffen!«

Sie rang ihre Hände in tiefem Schmerze und verschwand.

Ich kehrte nach Hause zurück. In jedem meiner Pulse klopfte Wahnsinn. Ich wandte mich wieder an sie und bat sie nochmals um eine Zusammenkunft, erhielt aber eine bestimmte Verweigerung. Die Hindernisse jedoch, die sich mir in den Weg stellten, schlugen mich nicht nieder, sondern erhöheten im Gegentheil meinen Entschluß, sie zu überwältigen. Es galt jetzt ihr Pflichtgefühl gegen ihre Eltern zu besiegen, sie zu veranlassen, daß sie ihr Gelübde gegen Gott mit Füßen trete, den Foltern der Inquisition Trotz zu bieten, Thor und Riegel vor ihr niederzubrechen, aus einer befestigten, mit Menschen überfüllten Stadt zu flüchten – aber alle und jede Schwierigkeit fachte meine Glut nur noch mehr an – meine starrsinnige Entschlossenheit verhöhnte nur die Stimme des Gewissens. Obgleich mir bisher jeder Trug ein Gräuel gewesen war, erniedrigte ich mich jetzt doch zum erstenmale zu einer Lüge. Ich schrieb ihr daß ich ihre Verwandten gesprochen und ihnen das Vorgefallene mitgetheilt habe; sie hätten mir Gehör geschenkt und wären geneigt, nachzugeben. Man wolle es zwar vor ihr geheim halten, aber in einigen Monaten werde sie ihrer Gelübde entbunden seyn. Wie grausam – wie selbstsüchtig war mein Benehmen! Aber es entsprach meiner Absicht. Von der Aussicht auf ein künftiges Glück getragen, kämpfte Rosina nicht länger gegen die verhängnißvolle Leidenschaft; sie weigerte sich nicht mehr, mich zu sehen, und auf meine Gelübde ewiger Treue zu hören. Tiefer und tiefer sog sie den berauschenden Trank ein, bis er an ihr die gleiche Wirkung geübt hatte, wie an mir, indem er jedes andere Gefühl als das der Liebe erstickte. Obgleich ich den Boden hätte küssen mögen, den ihr Fuß betrat, und mich bereitwillig für sie allen Qualen eines Märtyres hingegeben haben würde, erfüllte mich doch eine teuflische Lust, als ich meinen Erfolg sah. Ihr Abfall von Religion und Tugend wurde mir zur Wonne.

Sechs Monate waren entschwunden, während welcher es mir durch Bestechungen an die Pförtnerin und durch die Nachgiebigkeit meiner Geliebten gelang, Nachts Zutritt zu dem Klostergarten zu gewinnen. Eines Abends theilte ich ihr mit, ihre Eltern hätten auf die Drohung ihres Beichtvaters ihre Zusage an mich zurückgenommen und den Entschluß gefaßt, sich nicht für ihre Dispensation zu verwenden. Ich hatte alles vorbereitet, damit sie keine Zeit zur Ueberlegung gewinnen möchte, und von ihren eigenen Gefühlen sowohl, als durch meine Ueberredungen hingerissen, willigte sie ein, mit mir nach England zu entfliehen. Ich trug das zitternde, halb ohnmächtige Mädchen in meinen Armen fort, kam glücklich aus dem Kloster und aus der Stadt, schiffte mich an Bord eines Fahrzeugs ein, das auf meinen Wink die Anker lichten mußte, und hatte bald den Hafen von Cadix weit im Rücken.

Es war fast Mitternacht, als wir uns einschifften, und ich trug meinen Schatz in meinen Mantel gehüllt nach der Kajüte hinunter. Sie hatte ihr Nonnengewand nicht bei Seite gelegt, weil es mir außer Acht gekommen war, mich mit andern Gewändern vorzusehen.

Gegen Morgen blies der Wind frisch. Rosina sowohl als ich – wir beide hatten uns ganz jener allgewaltigen Liebe hingegeben, die uns erfüllte. Sie lag in meinen Armen, als der Kapitän des Schiffs, welcher mich sprechen wollte, herunterkam und die Nonnentracht meiner Geliebten bemerkte. Er stutzte und verließ schnell wieder die Kajüte. Ich hatte eine Ahnung, daß nicht Alles recht sey, riß mich von Rosina los, und ging auf das Deck, wo sich der Kapitän eben mit der Mannschaft berieth. Der Gegenstand der Verhandlung betraf eine augenblickliche Rückkehr nach Cadix, um uns der Inquisition auszuliefern. Ich setzte mich diesem Vorschlag entgegen, nahm das Schiff als mein Eigenthum in Anspruch, da ich es gemiethet habe, und drohte jedem, der es wagen sollte, den Kurs zu ändern, mit augenblicklichem Tode. Aber vergeblich. Ihr Entsetzen über den Kirchenraub und ihre Furcht, wegen Theilnahme daran die schrecklichsten Strafen erleiden zu müssen, überwogen alle meine Gründe, und meine Versprechungen sowohl, als meine Drohungen blieben unbeachtet.

Ich wurde ergriffen, überwältigt und das Schiff steuerte land einwärts. Ich tobte, stampfte und flehte, aber vergeblich. Endlich erklärte ich jedoch, sie sollten es Alle büßen, denn ich werde aussagen, daß sie um meine Absichten gewußt und nur deßhalb ihren Vertrag nicht erfüllt hätten, weil ich mich nicht weiter ihren Erpressungen habe unterwerfen wollen. Dies machte sie betroffen, weil ihnen bekannt war, daß die Inquisition bereitwillig nach allen Vorwänden griff, und wenn sie auch nicht verurtheilt wurden, stand ihnen doch auf alle Fälle lange Gefangenschaft bevor. Sie beriethen sich wieder, worauf sie das Schiff an den Wind brachten und das Langboot heraus hißten. Das Fahrzeug versahen sie mit spärlichem Mund- und Wasservorrath nebst einigen sonstigen Erfordernissen; dann holten sie die erschreckte Rosina aus der Kajüte herauf, setzten sie in das Boot und befahlen mir, ihr zu folgen. Sobald ich in dem Fahrzeuge war, kappten sie das Schlepptau, und wir lagen bald weit im Sterne des Schiffs. Hocherfreut, wenigstens der Grausamkeit der Menschen entronnen zu sehn, kümmerte ich mich wenig um die Gefahr, mit welcher mich die Elemente bedrohten. Ich tröstete die arme Rosina, pflanzte den Mast auf, hißte die Segel und steuerte in südlicher Richtung, um an irgend einem Theile der afrikanischen Küste zu landen. Weit entfernt, durch meine Lage beunruhigt zu werden, fühlte ich mich im Gegentheile glücklich. Ich schwamm zwar nur in einer gebrechlichen Barke, hatte aber in ihren engen Grenzen Alles, um was ich mich in dieser Welt kümmerte. Ich segelte, ohne zu wissen wohin, aber Rosina war in meiner Gesellschaft; ich fühlte die Unsicherheit unsres Geschickes, wurde aber durch die Gewißheit des Besitzes mehr als entschädigt. Der Wind hob sich, die See ging hoch und kräuselte sich zu drohendem Schaum; wir schoßen pfeilschnell dahin, und während ich mit dem einen Arm steuerte, mit dem andern aber Rosina umfaßt hielt, fühlte ich mich hochentzückt über unsre romantische Lage. Die wonnige Aufregung machte mich blind gegen alle Gefahren, die uns in Aussicht standen.

Sechs Tage liefen wir vor dem Wind, als eine sich häufende Wolkenmasse am südlichen Horizont verkündigte, daß ein Wechsel eintreten würde. Ich besaß keinen Compaß, sondern hatte Tags nach der Sonne, Nachts aber nach den Sternen gesteuert. Ich glaubte nun gut südlich zu seyn und beschloß, ostwärts zu laufen, um das afrikanische Ufer zu gewinnen; aber die Kühlte war zu stark, um mir zu gestatten, die Breitseite meiner kleinen Barke an den Wind zu bringen, und ich sah mich genöthigt, in südlicher Richtung fortzusteuern.

Zum ersten Mal bemächtigte sich jetzt meiner ein Gefühl der Unruhe. Wir hatten nur noch auf zwei Tage Lebensmittel, und Rosina empfand die Einwirkung von Wind und Wetter in ihren abnehmenden Kräften. Ich selbst fühlte die Notwendigkeit der Ruhe. Nur mit Schwierigkeit konnte ich meine Augenlider offen erhalten; denn jede Minute forderte die Natur gebieterischer ihre Rechte und ich nickte am Steuer.

Ich war in eine melancholische Träumerei vertieft, als es mir auf einmal vorkam, die Wolken am Horizont thäten sich hin und wieder auf und ließen mich den Gipfel eines Berges entdecken. Sie schloßen sich wieder, und ich blickte in größter Spannung danach hin, bis sie endlich allmählig wegrollten und eine hohe Insel enthüllten, welche mit Bäumen und Grün bis an den Wasserrand herunter bedeckt war. Ich schrie laut auf vor Entzücken und machte Rosina darauf aufmerksam, welche meinen Jubel mit einem matten Lächeln beantwortete. Mein Blut erstarrte über den Ausdruck ihres Gesichts. Sie hatte viele Stunden in tiefem Brüten da gesessen, und ich bemerkte, daß sie sich nur mir zu Liebe zu dem Lächeln zwang, da ihr die Kunde selbst nur wenig Freude machte. Ich schrieb dies jedoch der Erschöpfung zu und steuerte in der Hoffnung, sie bald wieder anders zu sehen, geradenwegs auf dem einzigen Theil der Küste zu, welcher uns eine sichere Landung versprach. In einer Stunde war ich ganz nahe an dem Ufer, und da mir angelegentlich darum zu thun war, noch vor der Dunkelheit ans Land zu kommen, so steuerte ich mit aufgehißten Segeln durch die Brandung, welche weit schwerer war, als ich erwartet hatte. Sobald der Bug das Gestade berührte, wurde das Boot auf die Seite geworfen und es bedurfte aller meiner Anstrengung, die Geliebte zu retten. Wir wurden bei dieser Gelegenheit ganz von der Brandung übergossen, welche nach wenigen Minuten das Boot in Stücke zerschellte. Ich trug Rosina nach einer Höhle unfern des Ufers, hüllte sie in einen Mantel, welchen ich aus dem Boote geborgen hatte, nahm ihr den Nonnenhabit ab und breitete ihn unter den warmen Strahlen der Sonne zum Trocknen aus. Sofort machte ich mich auf den Weg, um Nahrung zu suchen, welche ich auch alsbald fand; denn Bananas und Cocusnüsse waren in Menge vorhanden und frisches Wasser rann in rauschenden Bächlein nieder. Ich brachte ihr das Aufgefundene und wünschte ihr Glück, daß wir nunmehr jeglicher Verfolgung entronnen seyen und einen Ort gefunden hätten, der uns Alles, was wir brauchten, zu bieten verspreche. Sie antwortete mir mit einem matten Lächeln, denn ihre Gedanken waren anderswo. Die Sonne hatte inzwischen ihre Kleider getrocknet, und ich brachte sie ihr; sie aber schauderte, als sie derselben ansichtig wurde, und es kostete sie augenscheinlich einen schweren Kampf, bis sie sich entschließen konnte, die Nonnentracht wieder anzulegen. Die Nacht brach ein und wir blieben in der Höhle. Unser Bette bestand aus dem Mantel und aus dem Segel des Boots. Getrennt von aller Welt und nur uns selbst lebend, umschloßen wir uns mit den Armen und sanken in Schlaf. Der Morgen brach an. Kein Wölkchen ließ sich an dem ganzen blauen Himmelszelt blicken. Wir gingen aus und betrachteten in stummer Bewunderung die prächtige Landschaft. Die Insel war in Schönheit gekleidet; die Sonne goß ihre lieblichen Strahlen über die wilde Fruchtbarkeit der Natur aus, die Vögel trillerten ihre Freudenlieder, und die ruhige, spiegelklare See ließ die hohen Berge, welche sich über einander thürmten, wiederstrahlen.

»Hier also Rosina,« rief ich endlich entzückt aus, »haben wir Alles, was wir brauchen, und sind gesegnet in unsrer gegenseitigen Liebe.«

Rosina brach in Thränen aus.

»Alles – Alles, Henrique, nur kein ruhiges Gewissen, ohne das ich, wie ich wohl fühle, nicht leben kann. Ich liebe Dich – liebe Dich innig – bete Dich an, Henrique; nach Allen was vorgegangen ist, kannst Du nicht daran zweifeln. Aber nun der Wahnsinn der Leidenschaft sich gelegt hat, erwacht die Thätigkeit des Gewissens – ach, es ist nur zu thätig, denn es hat mir Alles verbittert, und ich fühle, daß für mich das Glück auf immer dahin ist. Ich habe mich meinem Gott vermählt und meinen Erlöser zum Bräutigam erkoren; ihm gelten meine Gelübde, und ich brachte sie ihm am Altare dar. Um der künftigen willen habe ich diese Welt verlassen – und was that ich?– ich bin ihm untreu geworden – verließ ihn, um mich einer weltlichen Leidenschaft hinzugeben, opferte die Ewigkeit für eine vergängliche Sterblichkeit, und eine schreckliche Stimme in meinem Inneren sagt mir, daß ich mich losgesagt habe von allen Freuden des Himmels. Trage Geduld mit mir, theuerer Henrique – ich will dir keinen Vorwurf machen, aber mich selbst muß ich verdammen. Ich fühle, daß meines Bleibens nicht lange mehr hier ist, sondern daß ich bald abgerufen seyn werde vor meinen beleidigten Herrn.«

»Barmherziger Erlöser!« rief sie, indem sie auf die Kniee niederfiel und die Augen stehend zum Herrn erhob, »strafe ihn nicht – vergib ihm seinen Fehler; denn was ist er in Vergleichung mit meiner Sünde? Er hat kein Gelübde abgelegt, keine Untreue begangen und ist nicht der schuldige Theil. Schone ihn, o Herr, und laß die gerechte Strafe nur diejenige treffen, welche ihn zum Verbrechen verführt hat.«

Ein herbes Herzweh bemächtigte sich meiner; ich warf mich auf den Boden und weinte bitterlich. Ich fühlte, daß ich durch meine Lüge ihre tugendhaften Entschließungen zerstört hatte; meine Selbstsucht hatte ihren Seelenfrieden zu Grunde gerichtet und sie in Schuld verstrickt. Sie kniete an meiner Seite nieder, beredete mich aufzustehen, unterdrückte ihre eigenen Gefühle, indem sie die Thränen von meinen Wangen küßt, und versprach mir, nie wieder meinen Frieden zu stören. Aber er war dahin – dahin für immer. Mein Verbrechen trat in seiner ganzen Größe vor mich hin; ich fühlte, daß ich mich einer schweren, unverzeihlichen Sünde schuldig gemacht und daß ich diejenige, welche ich liebte, eben so gut, als mich selbst zu Grunde gerichtet hatte. Sie lag noch immer auf ihren Knieen und an ihrer Seite flehte ich zu dem beleidigten Himmel um Erbarmen und Vergebung. Sie schloß sich meinem glühenden Gebete an; Thränen der Reue strömten über unsre Wangen nieder, und wir blieben einige Zeit in unsrer bittenden Stellung. Endlich erhoben wir uns wieder.

»Fühlst du Dich nicht glücklicher, Rosina?« fragte ich.

Rosinas Antwort bestand in einem traurigen Lächeln, und wir kehrten nach der Höhle zurück.

Viele Stunden wurde kein Wort gesprochen und wir ergingen uns stumm in unsern wehmüthigen Gedanken. Die Nacht brach wieder herein und wir legten uns zur Ruhe nieder. Als ich sie in meine Armen schlingen wollte, fühlte ich, daß sie schauderte und zurückwich. Ich ließ sie los und machte nun mein Lager an der andern Seite der Höhle, denn ich kannte ihre Gefühle und achtete sie. Von dieser Stunde an war sie mir nicht weiter, als eine theure, gekränkte Schwester, und obgleich ihr Körper mit jeder Stunde mehr dahin schwand, schien doch ihr Geist sich allmählig wieder zu beleben. Nach vierzehn Tagen fühlte sie sich so geschwächt, daß sie sich nicht mehr von ihrem Lager erheben konnte. Ich verbrachte Tag und Nacht unter Reuethränen an ihrer Seite, denn ich wußte daß sie dem Tode nahe war. Einige Stunden vor ihrem letzten Athemzuge schien sie sich ein wenig zu erholen und redete mich folgendermaßen an. –

»Henrique, diese Stunde hat Balsam in meine Brust gegossen, denn eine Stimme sagt mir, daß uns beiden vergeben ist. Unser Verbrechen ist groß gewesen, aber unsre Reue war aufrichtig, und ich fühle die Ueberzeugung, daß wir uns im Himmel wieder sehen werden. Für Deine Freundlichkeit – für Deine unwandelbare Liebe nimm meinen Dank und eine Zuneigung, welche der Himmel nicht verbietet – denn jetzt ist sie rein. Wir haben gesündigt, im Gebete gerungen und mit einander Verzeihung erhalten; jenseits werden wir wieder beisammen seyn. Gott segne Dich, Henrique! bete für meine Seele, die noch immer an ihrer irdischen Liebe haftet, aber Verzeihung gefunden hat bei Dem, welcher unsre Unvollkommenheit kennt. Reine Mutter Gottes, bitt für mich! Göttlicher Erlöser der Du die Thränen und Zerknirschung der Magdalena nicht verschmäht hast, nimm eine treulose, aber reuige Braut gnädig auf! denn als ich meine Gelübde ablegte, wußtest Du, daß mein Herz – «

Mit welchem Schmerz warf ich mich über die Leiche hin! Mit welch bittern Thränen wusch ich das kalte Antlitz –so schön, so engelgleich in seiner Ruhe! Am Morgen grub ich ihr Grab. Nachdem ich meine Hände, die ich mir bei den Geschäfte blutig kratzte, gereinigt hatte, kehrte ich zu der Leiche zurück und trug sie in ihrem Nonnengewande nach der Stätte, die ich ihr zubereitet hatte. Ich legte sie hinein, sammelte die Blumen, welche rund umher blühten, streute sie darüber hin und blieb bis Sonnenuntergang neben dem Grabe sitzen. Als ich sie bedeckte, legte ich die Erde handvollweise so leicht über ihre theuren Reste, wie eine Mutter ihren schlafenden Säugling bedeckt. Es stund lange an, ehe ich es über mich gewinnen konnte, das himmlische Antlitz mit Erde zu verhüllen oder es vor meinen schmerzenden Augen zu verbergen. Erst als dies geschehen, fühlte ich in der That, daß Rosina dahin und ich allein war.

Noch zwei Jahre blieb ich in der Einsamkeit. Ich errichtete über ihrem Grabe eine rohgearbeitete Kapelle und verbrachte daselbst meine Tage in Reue und Zerknirschung. Schiffe, welche einer fremden Nation gehörten, besuchten die Insel, kehrten mit der Kunde ihrer Entdeckung nach Hause zurück, und das Land wurde zum Zweck der Colonisation in Besitz genommen. Zu ihrem Erstaunen fanden sie mich auf, und nachdem ich ihnen meine Geschichte erzählt und meine Wünsche mitgetheilt hatte, gestatteten sie mir die Ueberfahrt nach ihren Lande. Wieder schiffte ich mich auf den bahnlosen Wellen ein, die mir nicht länger zur Wonne gereichten. Wie das Ufer zurückwich, hafteten meine Blicke stets auf dem bescheidenen Gebäude, das ich über der Asche meiner Rosina errichtet hatte. Es däuchte mir, ein Stern glänze über der Stelle, und ich begrüßte ihn als einen Boten der Gnade. Nach meiner Landung begab ich mich in das Kloster, zu welchem ich jetzt gehöre. Ich legte das Gelübde der Enthaltsamkeit und Kasteiung ab und verbrachte den Rest meiner Tage in Messen für die Seele meiner Rosina und in Gebeten für meine eigene Erlösung.

Dieß ist die Geschichte Henrique's, und möge sie denen zur Warnung dienen, welche ihre Vernunft durch die Leidenschaften bestechen lassen, und nicht den ersten Impuls zum Unrecht zügeln, wenn ihnen das Gewissen sagt, daß sie von dem Pfade der Tugend ausgleiten.

 

»Heiliger Allah!« rief der Pascha gähnend. »Ist dies der Bulbul, welcher der Rose singt? Was ist überhaupt daran, Mustapha? Oder wurde die Geschichte in einer andern Absicht geschrieben, als um die Leute einzuschläfern? Murakhas, Du bist entlassen,« fuhr er gegen den griechischen Sklaven fort, welcher sich auf dieses Geheiß entfernte.

Mustapha, welcher bemerkte, daß der Pascha über die Unterhaltung des Abends unzufrieden war, redete ihn folgendermaßen an:

»Die Seele Eurer durchlauchtigen Hoheit ist traurig, und Euer Geist ist müde. Was sagt der Weise, und sind nicht seine Worte mehr werth als Perlen? Wenn Du krank bist und Du Deinen Geist schwer fühlst, so laß Dir Wein bringen. Trinke und danke Allah, daß er Erleichterung gegeben hat.«

»Wallah Thaib, das ist Wohl gesprochen,« versetzte der Pascha. »Läßt sich nicht etwas von dem Feuerwasser der Franken bekommen?«

»Ist nicht die Erde und was die Erde birgt, für Eure durchlauchtige Hoheit geschaffen?« entgegnete Mustapha, aus seiner Brusttasche eine Flasche Branntwein hervorziehend.

»Gott ist groß,« sagte der Pascha, nach einen langen Zuge die Flasche von seinen Munde absetzend und sie dem Vezir hinbietend.

»Gott ist höchst barmherzig!« erwiederte Mustapha, sich zum Athmen Zeit lassend und den Bart mit dem Aermel seines Kalaat abwischend, während er achtungsvoll die Flasche seinem Gebieter zurückgab.


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