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Obgleich der nächste Morgen Aminens ganzes Hoffen und Fürchten – ihr kurzes Erdenglück – ihr Elend und ihre Ungewißheit beendigen sollte, schlief sie doch, bis ihr letzter Schlummer durch das Aufriegeln ihrer Zellenthüre gestört wurde und der Oberschließer mit einem Lichte erschien. Amine fuhr auf – sie hatte von ihrem Gatten – von glücklichen Stunden geträumt und erwachte jetzt zu der traurigen Wirklichkeit. Der Kerkermeister hatte ein Kleid in der Hand und forderte sie auf, es anzuziehen. Er zündete eine Lampe an und ließ sie allein. Der Anzug bestand aus schwarzem Sarsche mit weißen Streifen.
Amine legte das Kleid an, warf sich wieder auf das Bett und versuchte, sich den Traum in's Gedächtniß zu rufen, aus dem sie aufgestört worden war – aber vergeblich. Zwei Stunden entschwanden und nun erschien der Kerkermeister mit der Aufforderung, ihm zu folgen. Vielleicht ist es einer der schrecklichen Gebräuche bei den Inquisitionsgerichten, daß die Gefangenen, mögen sie nun ihre Schuld bekannt haben, oder nicht, nach der Anklage wieder in ihre Kerker zurückkehren müssen, ohne sich die mindeste Vorstellung über ihr Urtheil machen zu können, und wenn sie am Morgen der Hinrichtung vorgeladen werden, befinden sie sich noch in der gleichen Ungewißheit. Die Kerkerknechte holten die Gefangenen aus ihren verschiedenen Zellen ab und führten sie in eine große Halle, wo die Leidensgenossin versammelt blieben.
In diesem weiten, schwach beleuchteten Raume sah man ungefähr zweihundert Menschen gleichsam zur Unterstützung an die Wände gelehnt; sie waren Alle in schwarz und weißen Sarsche gekleidet und standen so regungslos, so eingeschüchtert da, daß man sie hätte für Bildsäulen halten können, wenn nicht das Rollen ihrer Augen, so oft die Kerkerknechte ab- und zugingen, das Gegentheil verkündet hätte. Es war die Angst der Ungewißheit, die noch weit schlimmer ist, als die Angst des Todes. Nach einer Weile wurde jedem Gefangenen eine ungefähr fünf Fuß lange Wachskerze in die Hand gegeben, und dann erhielten Einige den Auftrag, über ihre Kleider die Sanbenitos – Andere die Samarias anzulegen. Diejenigen, welche die mit Flammen bemalten Kleider erhielten, gaben sich für verloren, und es war schrecklich, die Angst jedes Einzelnen mit anzusehen, wenn die Anzüge nach einander hervorgebracht wurden; entsetzt und mit großen Schweißtropfen auf der Stirn harrten sie, ob nicht vielleicht auch ihnen das schreckliche Symbol dargeboten würde. Alles war Zweifel, Furcht und Todesangst!
Aber die Gefangenen dieser Halle gehörten nicht unter diejenigen, welche den Tod zu erleiden hatten. Die Träger der Sanbenitos sollten nur in der Prozession mitziehen und eine leichte Bestrafung erhalten. Die in Samarias Gekleideten waren verurtheilt worden, hatten aber durch das Bekenntniß ihres Verbrechens das verzehrende Feuer angewandt; die Flammen auf ihrem Anzug waren umgekehrt und zeigten damit an, daß ihre Träger nicht hingerichtet werden sollten; aber die Unglücklichen wußten dieß nicht, und alle Schrecken eines grausamen Todes vergegenwärtigten sich ihren irren Sinnen!
Eine andere Halle, ähnlich der, nach welcher die Männer geführt wurden, war mit weiblichen Verbrechern angefüllt.
Auch hier wurden die gleichen Ceremonien beobachtet – dieselbe Ungewißheit, Furcht und Todesangst malte sich auf jedem Gesichte. Es gab jedoch noch ein drittes Gemach, kleiner als die beiden übrigen, welches denjenigen vorbehalten blieb, die verurtheilt worden waren und den Tod am Pfahle sterben sollten. In diesen Raum wurde Amine geführt, und fand daselbst sieben Andere, wie sie gekleidete Gefangene, von denen nur zwei Europäer, die übrigen fünf Negersklaven waren. Jeder hatte seinen Beichtvater bei sich und lauschte angelegentlich auf dessen Ermahnung. Ein Mönch näherte sich Aminen, aber sie winkte ihm mit der Hand zurück; er sah sie an, spie auf den Boden und fluchte ihr. Jetzt kam der Hauptschließer mit den Anzügen für diejenigen, welche sich in dem kleinen Gemache befanden; es waren Samarias, die sich von den andern nur dadurch unterschieden, daß die Flammen aufwärts gemalt waren. Diese Anzüge bestanden aus grauem Stoff und waren weit wie ein Fuhrmannskittel; an dem untern Theile befand sich vorn und hinten das Bild des Verurtheilten – das heißt, nur das Gesicht – auf einem brennenden Scheiterhaufen, in dessen Flammen Teufel gemalt waren. Unter dem Portrait stand der Name des Verbrechens, für welches der Gefangene den Tod erleiden sollte. Sie mußten zuckerhutförmige Mützen aufsetzen, auf denen Flammen gemalt waren, und erhielten lange Wachskerzen in die Hände.
Amine und die andern Verurtheilten mußten in ihren Anzügen einige Stunden harren, ehe die Prozession begann, denn der Schließer hatte sie schon Morgens um zwei Uhr geweckt.
Die Sonne erhob sich strahlend, sehr zur Freude der Mitglieder des heiligen Officiums, denen es sehr unlieb gewesen wäre, wenn sie an einem Tage schlechtes Wetter gehabt hatten, an welchem sie die Ehre der Kirche vertheidigten und den Beweis lieferten, wie treulich sie an den weisen Lehren des Erlösers hielten, der da Erbarmen, Liebe und Vergebung fordert. Gott im Himmel! und nicht nur die Mitglieder der heiligen Inquisition freuten sich, sondern auch Tausend und aber Tausende, welche von allen Seiten herbeigeströmt waren, um die schreckliche Ceremonie mitanzusehen und ein Jubiläum zu feiern – viele vom Fanatismus des Aberglaubens gestachelt, noch weit mehr aber aus bloßer Gedankenlosigkeit und Liebe zum Prunk. Die Straßen und freien Räume, durch welche die Prozession ziehen sollte, waren schon zu einer frühen Stunde angefüllt.
Seidenstoffe, Tapeten und mit Gold und Silber durchwirkte Tücher hingen zur Ehre der Prozession über die Balkone oder zu den Fenstern heraus. Auf jedem Altane, an jedem Fenster drängten sich Damen und Cavaliere in ihrem prunkhaftesten Anzuge, sehnlich erwartend, daß die Unglücklichen vor ihrer Hinrichtung an ihnen vorbeikämen. Doch die Welt liebt Aufregung, und wo konnte dies ein abergläubisches Volk besser finden, als in einem Auto-da-Fé?
Mit dem Aufgang der Sonne begann die große Glocke der Kathedrale zu läuten, und alle Gefangenen wurden nach der großen Halle hinuntergeführt, damit man die Prozession ordnen könne. An dem großen Eingange saß unter einem Thronhimmel der Großinquisitor, von Vielen aus dem Adel Goas umgeben. Hinter ihm stand sein Sekretär, der, als die Gefangenen an dem Throne vorbeikamen und namentlich abgelesen wurden, je den Namen eines der gedachten Cavaliere ausrief, der sodann unverweilt vortrat und seine Stelle neben dem Gefangenen einnahm. Diese Leute werden Pathen genannt; ihre Pflicht besteht darin, den ihrer Pflege Befohlenen zu begleiten und für ihn verantwortlich zu sein, bis die Ceremonie vorüber ist. Die Uebertragung eines solchen Amtes durch den Großinquisitor wird für eine hohe Ehre gehalten.
Endlich begann die Prozession. Voran ging die Fahne der Dominikaner, da dieser Orden der Inquisition gründete und deshalb die Eröffnung des Zuges als ein Recht ansprach. Hinter dem Banner folgten die Mönche selbst in doppelter Reihe. Und was war wohl das Motto ihrer Fahne? »Justitia et Misericordia!« Dann kamen die Schuldigen, etwa dreihundert an der Zahl, jeder mit seinem Pathen an der Seite und einer angezündeten großen Wachskerze in der Hand. Die leichteren Verbrecher mußten barfuß und mit entblößtem Haupte vorangehen. Dieser Abtheilung, welche nur die schwarz und weiße Sarsche trug, folgten die Sanbenitos und dann die Samarias mit den umgekehrten Flammen. Hier kam nun eine Abtheilung in der Prozession, die durch ein großes Cruzifix, das Antlitz des Erlösers nach vornen gewendet, gebildet wurde. Hiemit sollte angedeutet werden, daß diejenigen vor dem Kreuze, auf welche der Heiland niedersah, nicht den Tod erleiden sollten, während die Hinteren für immer verderben sollten – in dieser und in jener Welt.
Dem Cruzifixe folgten die sieben Verurtheilten – zuletzt Amine als die größte Verbrecherin. Aber damit schloß die Prozession noch nicht. Hinter Aminen kamen fünf Bilder an Pfählen, den gleichen Anzug tragend, der mit Flammen und Teufeln bemalt war. Jedem Bilde folgte ein Sarg, der ein Skelet enthielt. Die Bilder stellten diejenigen vor, welche in ihrem Kerker oder unter den Qualen der Folter gestorben und nach ihrem Tode zum Verbrennen verurtheilt worden waren. Man hatte die Skelette wieder ausgegraben, und sie sollten jetzt dieselbe Strafe erleiden, die ihnen im Leben geworden wäre. Die Bilder sollten an die Pfähle geheftet und die Knochen von den Flammen verzehrt werden. Dann folgten die Mitglieder der Inquisition, die Vertrauten, die Mönche, die Priester und Hunderte von Büßenden in schwarzen Anzügen, die ihnen das Gesicht verhüllten – alle die angezündeten Wachskerzen in der Hand.
Es währte zwei Stunden, bis die Prozession, welche fast jede bedeutende Straße von Goa durchzog, in der Kathedrale anlangte, wo die weiteren Ceremonien vorgenommen werden sollten. Die barfüßigen Verbrecher konnten nun kaum mehr gehen, denn die kleinen scharfen Steine hatten ihre Füße dermaßen verwundet, daß jede Spur ihrer Tritte auf dem Boden der Kathedrale mit Blut bezeichnet wurde.
Der Hochaltar der Kirche war mit schwarzem Tuche behangen und mit Tausenden von Wachskerzen erhellt. Auf der einen Seite befand sich ein Thron für den Großinquisitor, auf der andern eine erhöhte Platform für den Vicekönig von Goa und sein Gefolge. Im mittleren Gange standen Bänke für die Gefangenen und ihre Pathen; die übrigen Theilnehmer an der Prozession vertheilten sich rechts und links unter den Zuschauern. Nachdem die Schuldigen die Kathedrale betraten, wurden sie nach ihren Sitzen geführt, die leichtesten Verbrecher am nächsten bei dem Altare, die zum Tode Verurtheilten am fernsten.
Die blutende Amine wankte nach ihrem Sitze und harrte mit Sehnsucht der Stunde entgegen, welche sie aus einer christlichen Welt abrufen sollte. Sie dachte nicht an sich selbst oder ihre Leiden, sondern nur an Philipp – daß er sicher sei vor diesen erbarmungslosen Geschöpfen – und daß ihr das Glück werde, zuerst zu sterben, um in einer Welt des Segens wieder mit ihm zusammen zu treffen. Durch die lange Gefangenschaft entkräftet, voll banger Beklommenheit, erschöpft von ihrem Schmerzensgange und nach der Kerkerhaft vieler Monate der glühenden Sonne ausgesetzt, war sie nicht länger die strahlende Schönheit, wie zuvor; um so rührender aber erschienen ihre abgehärmten und doch noch vollkommenen Züge.
Ein Gegenstand der allgemeinen Neugierde, war sie mit gesenkten, fast geschlossenen Augen einhergegangen; aber wenn sie hin und wieder aufblickte, legte das Feuer, das aus denselben strahlte, Zeugniß ab von der stolzen Seele, welche in dieser gebrechlichen Hülle wohnte, und Viele betrachteten sie mit scheuer Verwunderung, während die Mehrzahl es beklagte, daß ein so junges und liebenswürdiges Geschöpf zu einem so schrecklichen Schicksal verdammt sein sollte. Amine hatte ihren Sitz in der Kathedrale kaum eingenommen, als sie von Erschöpfung und der Macht ihrer Gefühle überwältigt ohnmächtig zusammen brach.
Trat Niemand vor, ihr Beistand zu leisten, sie aufzurichten und ihr belebende Mittel anzubieten? Nein – Niemand. Hunderte würden es wohl gethan haben, aber sie wagten es nicht – sie war ausgestoßen, gebannt, verlassen und verloren; und hätte Jemand aus Mitleid für einen leidenden Nebenmenschen sich unterfangen, sie aufzurichten, so wäre er jedenfalls mit Argwohn betrachtet, höchst wahrscheinlich aber vor Gericht gestellt worden, um diese Gewissenssache mit der heiligen Inquisition zu bereinigen.
Nach einer Weile kamen zwei Gerichtsdiener der Inquisition auf Amine zu, halfen ihr wieder auf ihren Sitz, und sie erholte sich hinreichend, um denselben behaupten zu können.
Jetzt predigte ein Dominikanermönch über das zarte Erbarmen und die väterliche Liebe des heiligen Officiums. Er verglich die Inquisition mit der Arche Noahs, aus der nach der Sündfluth alle Thiere wieder hervorkamen, nur mit dem großen Unterschiede, daß die Thiere die Arche in demselben Zustande verließen, in welchem sie hineingingen, während Diejenigen, welche mit der ganzen Grausamkeit ihres Charakters und mit dem Herzen von Wölfen die Räume des heiligen Officiums betreten, dieselben so mild und geduldig, wie Lämmer, verließen. Dann stieg der öffentliche Ankläger auf die Kanzel und verlas die Verbrechen der Verurteilten, wie auch die Strafen, welche sie erleiden sollten. Jeder Gefangene, dessen Urtheil an die Reihe kam, wurde durch die Diener des Officiums vor die Kanzel gebracht, damit er stehend und die Wachskerze in der Hand den Spruch vernehme.
Sobald die Urtheile aller derjenigen, deren Leben geschont werden sollte, verlesen waren, legte der Großinquisitor sein priesterliches Gewand an und erschien im Gefolge mehrerer Anderer, um den Begnadigten dadurch den Bannfluch abzunehmen, daß er mit einem kleinen Wedel Weihwasser auf sie sprengte.
Sobald dieser Theil der Ceremonie vorüber war, wurden der Reihe nach die zur Hinrichtung Bestimmten und die Bilder derjenigen, welche im Tode Rettung gefunden hatten, vor die Kanzel gebracht und ihre Urtheile verlesen. Der Schluß war bei Allen gleichlautend: »daß es die heilige Inquisition um ihrer Herzenshärtigkeit und der Menge ihrer Verbrechen willen unmöglich gefunden habe, sie zu begnadigen. Mit großem Herzeleid überantwortete man sie daher dem weltlichen Richter, daß er die Strafe der Gesetze an ihnen vollziehe. Zugleich wolle man eben diese Obrigkeit ermahnt haben, den unglücklichen Elenden Milde und Erbarmen zu erweisen, und wenn denn einmal ein Todesurtheil vollstreckt werden müsse, so solle es jedenfalls ohne Blutvergießen geschehen.«
Welcher Hohn in dieser scheinbaren Fürbitte, kein Blut zu vergießen, wenn an die Erfüllung derselben die Qual des Scheiterhaufens geknüpft ist!
Amine war die Letzte, welche vor die Kanzel geführt wurde; diese befand sich an einer der dicken Säulen des Mittelganges, dicht neben dem Throne, welchen der Großinquisitor einnahm.
»Du, Amine Vanderdecken –« rief der öffentliche Ankläger.
In diesem Augenblicke ließ sich ein ungewöhnliches Geräusch in dem Gewühle unter der Kanzel vernehmen; es war ein Ringen, mit Vorstellungen begleitet, und die Beamten erhoben ihre Stäbe, um Anstand und Schweigen zu gebieten – aber ohne Erfolg.
»Du, Amine Vanderdecken, bist angeklagt –«
Ein abermaliges heftiges Ringen und aus dem Haufen stürzte ein junger Mann hervor, der auf Amine zueilte und sie in seine Arme schloß.
»Philipp! Philipp!« rief Amine, an seine Brust sinkend.
Er hatte sie aufgefangen: und während er sie umschlang, fiel ihr die Flammenmütze vom Kopfe und rollte auf dem Marmorpflaster dahin.
»Meine Amine – mein angebetetes Weib – müssen wir so uns wiedersehen? Mein Gott, sie ist unschuldig. Zurück, ihr Männer,« fuhr er gegen die Diener der Inquisition fort, welche die Beiden auseinander reißen wollten, »Zurück, oder ihr sollt's mit eurem Leben zahlen!«
Diese Drohung an die Gerichtsdiener und dieser Trotz gegen das heilige Officium war nicht zu ertragen. Die ganze Versammlung gerieth in einen Zustand von Aufruhr, und der Feierlichkeit der Ceremonie drohte Gefahr. Der Vicekönig und seine Begleiter hatten sich von ihren Stühlen erhoben, um zu sehen, was vorging, und die Menge drängte heran. Da gab der Großinquisitor seine Befehle, und andere Gerichtsdiener eilten herbei, um den Beiden Beistand zu leisten, welche Amine vorgeführt hatten und nun im Begriffe waren, sie Philipps Armen zu entreißen. Der Kampf war furchtbar. Philipp schien mit der Kraft von zwanzig Männern begabt zu sein, und es stand mehrere Minuten an, ehe es dem Gerichtspersonal gelang, die Gatten zu trennen; aber auch dann noch setzte Philipp sein verzweifeltes Ringen fort.
Amine, die von zwei Vertrauten festgehalten wurde, schrie gleichfalls laut auf und versuchte abermals, obschon vergeblich, in die Arme ihres Gatten zu stürzen. Endlich gelang es Philipp, sich durch eine furchtbare Anstrengung loszumachen; dann aber sank er hülflos auf das Pflaster nieder. Die entsetzliche Aufregung hatte das Bersten eines Blutgefäßes herbeigeführt, und er blieb regungslos auf den Boden liegen.
»Oh Gott! oh Gott! er ist ermordet – Ungeheuer – Mörder – laßt mich ihn nur noch ein einzigesmal umarmen –« rief Amine außer sich.
Ein Priester trat nun vor – es war Pater Matthias – mit tief bekümmertem Gesichte, Er forderte einige der Umstehenden auf, Philipp Vanderdecken hinaus zu bringen, und so wurde der Unglückliche in einem Zustande von Besinnungslosigkeit, während das Blut in Strömen aus seinem Munde schoß, Aminens Blicken entnommen.
Aminens Urtheil wurde verlesen – sie hörte es nicht; ihr Gehirn war verwirrt. Man führte sie nach ihrem Sitze zurück, aber jetzt war auch all ihr Muth, ihre ganze Standhaftigkeit und Seelenstärke dahin. Während der übrigen Ceremonie erfüllte sie die Kirche mit ihrem wilden krampfhaften Schluchzen, und sowohl Bitten als Drohungen gingen an ihr verloren.
Alles war jetzt vorüber, bis auf die letzte und traurigste Scene des Dramas. Die Gefangenen, welche geschont geblieben, wurden von ihren Pathen in das Inquisitionsgebäude zurückgeführt, die Verurtheilten aber nach dem Ufer des Flusses hinuntergebracht, um den Tod zu erleiden, Die Ceremonie sollte auf einem großen, freien Platze, links von dem Zollhause, vorgenommen werden. Wie in der Kathedrale, waren auch hier für den Großinquisitor und den Vicekönig, der prunkhaft die Procession eröffnete, während eine ungeheure Volksmenge nachströmte – Throne errichtet. Dreizehn Pfähle waren aufgepflanzt, acht für die Lebenden, fünf für die Todten. Die Henker saßen auf den Scheiterhaufen oder standen daneben, ihrer Opfer harrend. Amine konnte nicht gehen; sie wurde zuerst von den Vertrauten unterstützt, dann aber nach dem ihr angewiesenen Pfahle getragen. Als man sie vor dem Scheiterhaufen niederließ, schien ihr Muth wieder neu zu erwachen; sie stieg muthig hinauf, faltete ihre Arme und lehnte sich an den Pfahl.
Die Henker begannen nun ihr Amt. Um Aminens Leib wurden Ketten geschlungen und die Holzscheite sammt den Reißbündeln um sie aufgehäuft. Ein Gleiches geschah bei den übrigen Verurtheilten, und die Beichtväter traten an die Seite der Opfer. Amine winkte unwillig diejenigen zurück, welche sich ihr näherten, als mit einemmale Pater Matthias fast athemlos aus dem Gedränge brach, durch das er sich einen Weg gebahnt hatte.
»Amine Vanderdecken – unglückliches Weib, hättest du meinem Rathe Folge geleistet, so wäre dies nicht geschehen. Jetzt ist es zu spät, aber nicht zu spät um deine Seele zu retten. Lasse ab von deinem Starrsinn – von deiner Herzenshärtigkeit. Rufe den gebenedeiten Erlöser an, damit er deinen Geist aufnehme – suche Gnade in seinen heiligen Wunden. Es ist zwar die eilfte Stunde, aber nicht zu spät. Amine,« fuhr der alte Mann unter Thränen fort, »ich bitte – ich beschwöre dich. Nimm wenigstens diese Last von Kummer meinem Herzen ab.«
»Unglückliches Weib, sagst du?« versetzte sie, »sprich lieber: unglücklicher Priester, denn Aminens Leiden werden bald vorüber sein, während du noch die Folterqual der Verdammten erleiden mußt. Unselig war der Tag, als mein Gatte dich vom Tode rettete – noch unseliger das Mitleid, das ihn bewog, dir eine Zufluchtsstätte anzubieten. Unselig war die Bekanntschaft mit dir vom ersten Tag an bis zum letzten. Ich gebe dir diese That auf dein Gewissen – wenn du noch ein Gewissen hast – aber ich möchte nicht diesen grausamen Tod gegen den Schmerz vertauschen, der sich durch dein ganzes zukünftiges Leben hinziehen wird. Verlaß mich – ich sterbe im Glauben meiner Väter und verachte eine Religion, die eine Scene, wie die gegenwärtige, genehmigt.«
»Amine Vanderdecken!« rief der Priester auf seine Kniee niederfallend und die Hände in bitterer Seelenqual ringend.
»Verlaßt mich, Vater.«
»Du hast nur noch eine Minute übrig – um der Liebe Gottes willen –«
»Ich sage Euch noch einmal, verlaßt mich – diese Minute gehört mir.«
Pater Matthias wandte sich verzweifelnd ab und Thränen strömten über die Wangen des Greises. Wie Amine sagte, kannte sein Schmerz keine Grenzen.
Der Nachrichter fragte nun die Beichtväter, ob die Schuldigen im wahren Glauben stürben. Wurde die Frage mit Ja beantwortet, so schlug man den Unglücklichen einen am Pfahl befestigten Strick um den Hals und erdrosselte sie, ehe das Feuer angezündet wurde. Alle Verurtheilten waren in dieser Weise gestorben, und der Nachrichter fragte nun Pater Matthias, ob Amine gleichfalls Ansprüche auf diese große Gnade habe. Der alte Priester antwortete nicht, sondern schüttelte nur den Kopf.
Der Nachrichter wandte sich ab. Nach einer kurzen Pause folgte ihm Pater Matthias, ergriff ihn am Arm und sagte ihm mit stotternder Stimme:
»Laßt sie nicht lange leiden.«
Der Großinquisitor gab das Signal, und sämmtliche Scheiterhaufen wurden in dem gleichen Augenblicke angezündet. Der Bitte des Priesters willfahrend, hatte der Nachrichter einen Haufen feuchtes Stroh auf Aminens Holzstoß geworfen, der einen dichten Rauch verbreitete, ehe er in Brand gerieth.
»Mutter, Mutter! Ich komme zu dir!« waren die letzten Worte, die sich von Aminens Lippen vernehmen ließen.
Die Flammen griffen bald wüthend um sich und schlugen weit über dem Pfahle zusammen, an den sie gefesselt war. Allmälig legten sie sich, und als die glimmende Asche den Boden bedeckte, sah man einige Knochenstücke von einer Kette umschlungen. Dies war Alles, was von der vormals so unvergleichlichen, hochherzigen Amine übrig blieb.