Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Neununddreißgstes Kapitel.

Kaum hatten die Soldaten ihr Geschäft beendigt und ihre Schaufeln weggeworfen, als sie unter sich zu streiten begannen. Es schien, daß dieses Geld wieder Anlaß zu Mord und Blutvergießen geben sollte.

Philipp und Krantz waren entschlossen, unverzögert in einer der Piroquen auszusegeln und die Leute mit einander zanken zu lassen, so lange es ihnen gutdünkte. Unser Held bat die Soldaten um Erlaubniß, von dem Mund- und Wasservorrathe, der in großer Menge vorhanden war, einen reichlicheren Antheil zu nehmen, indem er erklärte, daß ihm und Krantz eine lange Reise bevorstünde, während sie selbst den Abgang mit Cocosnüssen ersetzen könnten. Die Soldaten, welche an nichts dachten, als an ihren neugewonnenen Reichthum, zeigten sich willfährig. Unsere Freunde sammelten nun gleichfalls möglichst viele Cocosnüsse, um ihren eigenen Proviantvorrath zu bereichern, schifften sich gegen Mittag ein und setzten die Segel der Piroque aus, die Soldaten abermals mit gezogenen Messern zurücklassend; die Letztern waren in einem so wüthenden Streite begriffen, daß sie auf die Abreise der beiden Fremden gar nicht achteten.

»Da gibt es vermutlich wieder den nämlichen Auftritt, wie früher,« bemerkte Krantz, als das Fahrzeug rasch von dem Ufer abstieß.

»Ich zweifle nicht daran; seht nur, sie sind schon wieder mit Schlägen und Messerstichen an einander.«

»Wenn ich dem Orte einen Namen geben müßte, so würde ich ihn die »verfluchte Insel« nennen.«

»Würde es aber nicht an jeder andern ebenso zugehen, wenn so viel vorhanden ist, um die Leidenschaften der Menschen zu entflammen?«

»Allerdings; welch' ein Fluch ist nicht das Gold!«

»Und welch' ein Segen!« versetzte Krantz. »Es thut mir leid, daß Pedro bei ihnen geblieben ist.«

»Es ist ihre Bestimmung,« entgegnete Philipp; »wir wollen daher nicht mehr an sie denken. Was habt Ihr jetzt vorzuschlagen? Mit diesem Fahrzeug, so klein es auch ist, können wir sicher über's Meer segeln; auch glaube ich, daß unser Mundvorrath für mehr als einen Monat ausreicht.«

»Ich meine, wir sollten in der Fahrstraße gen Westen laufen, und so nach Goa zu kommen suchen.«

»Wenn uns nichts zustößt, so können wir jedenfalls ohne Gefahr die Straße hinauf bis nach Pulo Penang kommen und dort in Sicherheit verbleiben, bis ein Schiff vorbeisegelt.«

»Ich bin mit Euch einverstanden. Es ist der beste, wo nicht der einzige Platz, wenn wir nicht etwa nach Cochin gehen wollen, wo wir darauf zählen dürfen, stets auf Junken zu treffen, die nach Goa ausfahren.«

»Das würde übrigens zu weit aus unserem Wege liegen, und die Junken können nicht wohl an uns vorbeikommen, ohne daß wir ihrer ansichtig werden.«

Es wurde ihnen nicht schwer, ihren Kurs zu steuern; bei Tag bildeten die Inseln und bei Nacht die hellen Sterne ihren Kompaß. Allerdings verfolgten sie nicht die geradeste Richtung, da sie lieber die sicherere wählten, denn sie arbeiteten sich durch das glatte Wasser aufwärts und kamen so mehr nach Norden, als gen Westen. Sie wurden oft von den malaiischen Proas gejagt, welche die Inseln unsicher machten, verdankten aber der Geschwindigkeit der kleinen Piroque ihre Rettung. In der That wurde auch in der Regel die Verfolgung von selbst aufgegeben, sobald die Piraten entdeckten, mit was für einem kleinen Fahrzeuge sie es zu thun hatten, indem sie sich von demselben nur wenig oder gar keine Beute versprachen.

Daß Amine und Philipps Sendung das Hauptthema ihrer Gespräche bildeten, läßt sich leicht denken. Eines Morgens, als sie mit ungewöhnlich schwachem Winde zwischen den Inseln hinsegelten, bemerkte Philipp:

»Krantz, Ihr sagtet, daß Ihr Euch aus Eurem eigenen Leben gewisser Vorfälle zu erinnern wüßtet, welche im Stande seien, die geheimnißvolle Erzählung, die ich Euch anvertraute, zu bekräftigen. Wollt Ihr mir wohl sagen, auf was sich jene Worte beziehen?«

»Allerdings,« versetzte Krantz; »ich habe mir oft vorgenommen, die Sache zur Sprache zu bringen, aber stets ist einer oder der andere Umstand dazwischen getreten. Jetzt haben wir übrigens eine passende Gelegenheit; macht Euch aber darauf gefaßt, eine seltsame Geschichte zu hören – vielleicht eben so seltsam, als Eure eigene.«

»Ohne Zweifel habt Ihr schon von dem Harzgebirg sprechen hören?« fügte Krantz fragend bei.

»Nicht, daß ich mich erinnern könnte,« entgegnete Philipp. »Indeß habe ich in einem Buche darüber gelesen, in welchem gar wunderliche Dinge, die sich dort zugetragen haben sollen, berichtet werden.«

»Es ist eine wilde Gegend,« erwiderte Krantz, »und man erzählt sich davon manche wundersame Mähren; aber so seltsam sie auch klingen mögen, habe ich doch guten Grund, sie für wahr zu halten. Wie gesagt, Philipp, ich glaube vollkommen an Eure Beziehung zu einer andern Welt, an die Geschichte von Eurem Vater und an die Rechtmäßigkeit Eurer Sendung, denn ich trage die Ueberzeugung in mir, daß wir von Wesen umgeben sind, die eine ganz andere Natur haben; und daß sie Einfluß auf uns üben können, werdet auch Ihr anerkennen, sobald ich Euch namhaft mache, was sich in meiner eigenen Familie zugetragen hat. Warum so übelwollende Wesen, wie diejenigen, von denen ich zu sprechen im Begriffe bin, mit uns in Verkehr treten und, ich mochte sagen, beziehungsweise harmlose Sterbliche züchtigen dürfen, geht über mein Fassungsvermögen; indeß ist es zuverlässig, daß es ihnen wirklich zuweilen gestattet ist.«

»Das große Prinzip alles Bösen erfüllt sein böses Werk; warum sollten nicht untergeordnete Geister aus derselben Reihe ein Gleiches thun können?« fragte Philipp. »Was liegt im Grunde daran, ob unsere Heimsuchungen von der Feindschaft unserer Nebenmenschen herrühren, oder ob wir von Wesen verfolgt werden, die mächtiger und böswilliger sind, als wir selbst? Wir wissen, daß wir an unserer Erlösung zu arbeiten haben und daß wir gerichtet werden nach unserem Vermögen. Wenn es übrigens böse Wesen gibt, die eine Freude daran haben, den Menschen zu schaden, so muß es zuverlässig auch, wie Amine behauptet, gute Geister geben, die sich glücklich darin fühlen, ihnen zu dienen. Ob wir nun bloß gegen unsere Leidenschaften oder außer diesen auch gegen den verderblichen Einfluß unsichtbarer Feinde zu kämpfen haben, so gestaltet sich doch das Verhältniß stets zu unseren Gunsten, da das Gute stärker ist, als das Böse, mit dem mir ringen. Jedenfalls sind wir im Vortheil, ob wir nun in dem ersten Falle einzeln für die gute Sache streiten, oder im zweiten die himmlischen Heerschaaren auf unserer Seite haben. So stehen die Wagschaalen der göttlichen Gerechtigkeit im Gleichgewicht; der Mensch kann frei handeln, und seine eigenen guten oder schlimmen Neigungen müssen stets entscheiden, ob er siegen oder unterliegen wird.«

»Ganz richtig,« versetzte Krantz. »Doch jetzt zu meiner Geschichte.

»Mein Vater stammt nicht ursprünglich aus dem Harzgebirge – er war der Leibeigene eines reichen ungarischen Edelmanns in Siebenbürgen, aber trotz seiner sklavischen Stellung doch keineswegs arm oder ungebildet, sondern sogar sehr vermöglich, und er stand um seiner Einsicht willen in solcher Achtung, daß ihn sein Gebieter zum Verwalter gemacht hatte. Wer übrigens als Leibeigener geboren ist, muß Leibeigener bleiben, und wenn er auch noch so reich würde – und dies war die Stellung meines Vaters. Er war etwa fünf Jahre verheirathet und hatte aus seiner Ehe drei Kinder erzielt – meinen ältern Bruder Cäsar, mich (Hermann) und eine Schwester, Namens Marcella. Ihr wißt, Philipp, daß das Lateinische die Sprache ist, welche noch immer in jener Gegend gesprochen wird, und aus diesem Umstände werdet Ihr unsere hochtönenden Namen erklärlich finden. Meine Mutter war eine sehr schöne Frau, leider aber weit schöner, als tugendhaft. Der Grundherr sah und liebte sie; mein Vater wurde in irgend einem Auftrage entfernt, und während seiner Abwesenheit ergab sich meine Mutter, geschmeichelt und gewonnen durch die Aufmerksamkeiten des Edelmanns, seinen Wünschen. Es traf sich, daß mein Vater ganz unerwartet zurückkehrte und den Handel entdeckte. Der Beweis von meiner Mutter Schmach war augenfällig, denn er überraschte sie in der Gesellschaft ihres Verführers. Durch die Leidenschaftlichkeit seiner Gefühle hingerissen, ersah er die Gelegenheit, bis wieder eine Zusammenkunft zwischen Beiden stattfand, und ermordete sowohl seine Gattin, als den ehebrecherischen Grundherrn. Er wußte, daß einem Leibeigenen nicht einmal die schwere Kränkung, die er erfahren, zur Rechtfertigung dienen konnte, weshalb er in der Eile all sein verfügbares Geld sammelte, seine Pferde an den Schlitten spannte (denn es war tiefer Winter) und mitten in der Nacht mit seinen Kindern aufbrach, um zu entweichen, ehe der traurige Vorfall ruchbar wurde. Wo er auch im Vaterlande bleiben mochte und die Behörden Hand an ihn legen konnten, war keine Aussicht der Rettung für ihn zu hoffen, weshalb er seine Flucht ohne Unterlaß fortsetzte, bis er sich in dem Irrgewinde und in der Abgeschiedenheit des Harzgebirges begraben hatte. Natürlich erfuhr ich Alles, was ich Euch jetzt mittheile, erst später. Meine ältesten Rückerinnerungen knüpfen sich an eine rohe, aber doch gemächliche Hütte, in welcher ich mit Vater, Bruder und Schwester lebte. Sie lag an der Gränze einer jener ungeheuren Forsten, welche den nördlichen Theil von Deutschland bedecken – darum her einige Morgen Landes, welche mein Vater während der Sommermonate bebaute, so sich eine zwar dürftige, aber doch für unsern Unterhalt hinreichende Ernte sichernd. Zur Winterszeit blieben wir meist im Hause, denn da mein Vater der Jagd nachging, so waren wir allein, und die Wölfe streiften ohne Unterlaß draußen umher. Mein Vater hatte das Grundstück sammt der Hütte einem der rauhen Wäldler abgekauft, welche sich theils von der Jagd, theils vom Brennen der Kohlen nähren, die man in den benachbarten Minen zum Erzschmelzen verwendet. Die nächste Wohnung war ungefähr eine Stunde von uns entfernt. Ich kann mir noch jetzt die ganze Gegend gut vergegenwärtigen – die hohen Tannen, die auf den Gebirgen über uns sich himmelwärts streckten, und die weite Waldfläche unten, auf deren Gipfel wir von unserer Hütte aus niedersahen, da das Gebirg jäh in das Thal abstieg. Im Sommer war die Aussicht schön, dagegen im strengen Winter die Landschaft so verödet, wie man sich kaum eine andere denken kann.

»Ich sagte, daß sich mein Vater im Winter mit der Jagd beschäftigte. Er zog jeden Tag aus und pflegte oft die Thüre zu verschließen, damit wir die Hütte nicht verlassen mochten. Er hatte Niemand, der ihm beistand oder Sorge für uns trug – denn es war nicht leicht, eine Frauensperson aufzufinden, die in einer solchen Einöde leben mochte. Doch auch andernfalls würde mein Vater kein Weib in's Haus genommen haben, denn er hatte einen Abscheu vor dem ganzen Geschlecht, was sich auch schon aus seinem Benehmen gegen uns, seine zwei Knaben, und gegen meine arme kleine Schwester Marcella erkennen ließ. Ihr könnt Euch denken, daß wir auf eine klägliche Weise vernachlässigt wurden. Wir hatten in der That viel durchzumachen, denn wenn unser Vater auszog, so gestattete er uns aus Furcht, wir möchten zu Schaden kommen, nicht einmal Brennholz, weßhalb wir uns genöthigt sahen, in die Bärenhäute zu kriechen und uns so Wärme zu verschaffen, bis er Abends wieder zurückkehrte und zu unserer Freude Feuer anzündete. Daß mein Vater eine so unruhige Lebensweise wählte, mag sonderbar erscheinen; aber es war Thatsache, daß er nirgends Rast fand – sei es nun aus Gewissensbissen über den begangenen Mord, oder aus Schmerz über die traurige Veränderung seiner Lage. Vielleicht wirkte auch Beides zusammen – kurz, er fühlte sich nicht wohl, wenn er nicht unablässig thätig war. Kinder, die sich viel selbst überlassen bleiben, gelangen bald zu einer Nachdenksamkeit, die bei ihrem Alter nicht gewöhnlich ist. Dies war auch bei uns der Fall; während der kurzen, kalten Wintertage saßen wir schweigend bei einander und sehnten uns nach den glücklichen Stunden, wann der Schnee schmölze, die Blätter ausschlügen, die Vögel sängen und wir wieder in Freiheit gesetzt würden.

»In diesem Zustande der Verwilderung verbrachten wir unser Leben, bis mein Bruder neun, ich sieben und meine Schwester fünf Jahre alt war. Um diese Zeit ereigneten sich Umstände, welche die Grundlage zu der außerordentlichen Erzählung bilden, die ich Euch mitzutheilen im Begriffe bin.

»Eines Abends kehrte mein Vater etwas später zurück, als gewöhnlich. Er hatte keine Jagdbeute aufgetrieben, und da das Wetter sehr streng, zugleich auch der Boden viele Fuß tief mit Schnee bedeckt war, so kam er nicht nur sehr erfroren, sondern auch in bitter übler Laune nach Hause. Er brachte Holz herein, und wir alle drei halfen einander, die Asche zu einer hellen Flamme anzublasen, als er mit einem Male die arme kleine Marcella am Arm ergriff und bei Seite schleuderte. Das Kind fiel auf den Mund und blutete reichlich. Mein Bruder eilte herzu, um sie aufzuheben. An üble Behandlung gewöhnt und aus Furcht vor meinem Vater wagte sie nicht zu weinen, sondern sah nur mit einer kläglichen Miene zu ihm auf. Mein Vater rückte seinen Schemel näher an den Herd, murmelte einige Schimpfworte über die Weiber und machte sich mit dem Feuer zu schaffen, welches sowohl ich als mein Bruder verlassen hatten, sobald wir unsere Schwester so unfreundlich behandelt sahen. Eine lodernde Flamme war bald das Resultat seiner Bemühungen, aber wir drängten uns nicht wie sonst darum her. Marcella, die in einer Ecke kauerte, blutete noch immer, und wir Brüder nahmen unsere Sitze an ihrer Seite, während sich mein Vater düster und einsam über das Feuer lehnte. Wir mochten etwa eine halbe Stunde so gesessen haben, als das Geheul eines Wolfes dicht unter den Fenstern der Hütte in unsere Ohren drang. Mein Vater fuhr auf und griff nach seinem Gewehre. Das Geheul wiederholte sich; er untersuchte die Zündpfanne und verließ eilig die Wohnung, die Thüre hinter sich abschließend. Wir warteten Alle in ängstlicher Spannung, weil wir glaubten, wenn es ihm gelinge, den Wolf zu erlegen, würde er in einer besseren Stimmung zurückkehren, denn obgleich er hart gegen uns Alle, namentlich aber gegen unsere kleine Schwester war, so liebten wir ihn doch und freuten uns, ihn heiter zu sehen – was hatten wir auch sonst? Ich muß hier bemerken, daß sich vielleicht nie drei Kinder so innig liebten, wie wir uns gegenseitig. Nie gab es, wie es sonst gewöhnlich, Zank und Hader unter uns, und wenn je zuweilen zwischen mir und meinem älteren Bruder eine Mißhelligkeit sich erhob, so eilte die kleine Marcella auf uns zu, küßte uns und stellte durch ihre Bitten den Frieden wieder her. Marcella war ein liebliches Kind; ich kann mir noch jetzt ihre schönen Züge vergegenwärtigen. Ach, arme kleine Marcella!«

»So ist sie also todt?« bemerkte Philipp.

»Todt! ja, todt – aber wie sie starb! doch ich darf meiner Erzählung nicht vorgreifen, Philipp, und will fortfahren.

»Wir warteten eine Weile, aber der Knall des Gewehrs erreichte uns nicht und mein älterer Bruder sagte: ›der Vater ist dem Wolfe nachgegangen und wird sobald nicht zurückkehren. Komm, Marcella, wir wollen dir das Blut von dem Munde waschen und dann uns an dem Feuer wärmen.‹

»Wir thaten dies und blieben bis gegen Mitternacht an dem Feuer sitzen, mit jeder Minute mehr verwundert, warum unser Vater nicht zurückkehrte. Wir hatten keinen Begriff davon, daß er vielleicht in Gefahr sein konnte, sondern meinten eben, er habe den Wolf sehr weit verfolgt. ›Ich will hinaussehen, ober der Vater nicht kommt‹ sagte mein Bruder Cäsar, nach der Thüre gehend. ›Nimm dich in Acht,‹ entgegnete Marcella; ›die Wölfe könnten um den Weg sein, und wir sind nicht im Stande, sie zu tödten, Bruder.‹ Mein Bruder öffnete vorsichtig die Thüre, aber nur einige Zoll weit und blickte hinaus. – ›Ich sehe nichts‹ sagte er nach einer Weile und kehrte abermals nach dem Feuer zurück. ›Wir haben nichts zum Nachtessen gehabt,‹ sagte ich; denn mein Vater pflegte gewöhnlich zu kochen, sobald er nach Hause kam. Während seiner Abwesenheit hatten wir nichts, als die Ueberbleibsel des vorhergehenden Tages.

»›Und wenn der Vater nach seiner Jagd nach Hause kommt, Cäsar,‹ sagte Marcella, ›so wird er sich freuen, wenn er etwas zu essen kriegt; wir wollen für ihn und für uns kochen.‹ Cäsar stieg auf den Schemel und langte etwas Fleisch herunter – ich weiß nicht mehr, ob es von einem Hirsch oder von einem Bären war. Genug, wir schnitten die gewöhnliche Portion ab und richteten sie zu, wie wir es unter unseres Vaters Aufsicht zu thun pflegten. Eben waren wir beschäftigt, es in der Kachel über das Feuer zu setzen, als wir den Ton eines Horns vernahmen. Wir horchten – draußen ließ sich kein Laut mehr vernehmen, und einige Minuten später trat mein Vater ein, eine junge Frau und einen großen schwärzlichen Mann in Jägertracht hereinführend.

»Vielleicht ist's besser, daß ich gleich jetzt berichte, was mir erst viele Jahre nachher bekannt wurde. Als mein Vater die Hütte verließ, bemerkte er etwa dreißig Ellen vor sich einen großen weißen Wolf, der sich, sobald er meinen Vater sah, langsam mit Knurren immer weiter zurückzog. Mein Vater folgte ihm; das Thier ergriff keine eilige Flucht, sondern hielt sich stets in der gleichen Entfernung. Mein Vater mochte nicht Feuer geben, bis er seines Zieles gewiß war. So ging es eine Weile fort, indem der Wolf meinen Vater bald weit hinter sich zurückließ, bald wieder Halt machte und ihn herausfordernd anheulte, dann aber wieder weiter jagte.

»Voll Begier, das Thier zu erlegen (denn der weiße Wolf ist sehr selten), setzte mein Vater die Verfolgung mehrere Stunden fort, dabei immer das Gebirge hinansteigend.

»Ihr müßt wissen, Philipp, daß es in jenen Gebirgen besondere Stellen gibt, von denen man – und wie meine Erzählung beweisen wird, mit Recht – annimmt, daß sie von bösen Wesen bewohnt werden. Derartige Orte sind den Jägern wohl bekannt und werden deshalb stets von ihnen gemieden. Einer derselben – ein offener Platz in dem Tannenwalde über uns, war meinem Vater namentlich als gefährlich bezeichnet worden. Sei es nun, daß er diesen Mähren nicht glaubte oder in der Hitze seiner Jagd nicht darauf achtete – kurz, so viel ist gewiß, daß er sich durch den weißen Wolf nach jener Stelle locken ließ, wo das Thier auf einmal seine Hast zu ermäßigen schien. Mein Vater näherte sich, kam ganz dicht auf den Wolf zu, erhob sein Gewehr und war eben im Begriffe, Feuer zu geben, als das Thier plötzlich verschwand. Er dachte, der Schnee auf dem Boden müsse sein Gesicht geblendet haben, und senkte seine Waffe, um sich nach der Bestie umzusehen – aber sie war fort; wie sie über die Lichtung entkommen konnte, ohne daß er es bemerkte, vermochte er nicht zu begreifen. Aergerlich über den schlechten Erfolg seiner Jagd, war er eben im Begriffe, wieder umzukehren, als er den fernen Ton eines Hornes vernahm. Dies zu einer solchen Stunde und in einer derartigen Wildniß! In seinem Erstaunen vergaß er für einen Augenblick seine getäuschte Erwartung und blieb wie festgewurzelt an der Stelle stehen. Eine Minute später schallte das Horn zum zweitenmal und zwar in nicht großer Entfernung. Mein Vater blieb noch immer und lauschte – endlich ließ sich der Ton zum drittenmale vernehmen. Ich vergaß den Ausdruck, womit man derartige Rufe bezeichnet; es war übrigens das Signal, durch welches, wie mein Vater wohl wußte, Jemand kund that, daß er sich in den Wäldern verirrt hatte. Einige Minuten später sah mein Vater einen Mann zu Pferde, der ein Frauenzimmer hinter sich hatte, in der Lichtung anlangen und auf ihn zureiten. Zuerst rief er sich die wundersamen Geschichten von den übernatürlichen Wesen in's Gedächtniß, von denen der Sage nach diese Gebirge bewohnt werden; als aber der Reiter näher kam, überzeugte er sich, daß dieser und die Frau Sterbliche waren, wie er selbst. Der Fremde rief ihm zu: ›Freund Jäger, Ihr seid spät aus – ein Glück für uns. Wir sind weit geritten und fürchten für unser Leben, dem man mit Eifer nachstellt. Diese Gebirge haben uns in die Lage gesetzt, unsere Verfolger zu täuschen; aber wenn wir nicht ein Obdach und Erfrischung finden, wird es uns wenig nützen, da wir sonst vor Hunger und Frost umkommen müssen. Meine Tochter, die hinter mir reitet, ist jetzt schon mehr todt als lebendig. Sagt an, könnt Ihr uns in unserer Noth beistehen?‹

»›Meine Hütte ist nicht sehr weit entfernt,‹ versetzte mein Vater; ›aber ich habe Euch nur wenig zu bieten außer einem Schutze gegen das Wetter. Was es übrigens auch sein mag, Ihr seid willkommen. Darf ich fragen, woher Ihr seid?‹

»›Ja, mein Freund; es ist jetzt kein Geheimniß mehr. Wir sind aus Siebenbürgen entwichen, wo der Ehre meiner Tochter und meinem Leben gleiche Gefahr drohte!‹

»Diese Nachricht reichte zu, in dem Herzen meines Vaters Interesse zu wecken. Er erinnerte sich seiner eigenen Flucht und gedachte der verlorenen Ehre seines Weibes, wie auch des traurigen Vorfalls, der daraus entsprungen. Er bot ihnen unverweilt mit Wärme alle Hülfe an, die ihm zu Gebote stand.

»›So verliert keine Zeit, guter Mann,‹ bemerkte der Reiter. ›Meine Tochter ist halb todt vor Frost und kann es nicht viel länger in diesem bitter kalten Wetter aushalten.‹

»›Folgt mir,‹ versetzte mein Vater, auf dem Wege nach seiner Wohnung vorangehend.

»›Ich ließ mich durch die Verfolgung eines großen weißen Wolfs verlocken,‹ fuhr er fort;›er kam bis unter die Fenster meiner Hütte, sonst wäre ich nicht so spät in der Nacht noch außen gewesen.‹

»›Das Thier huschte an uns vorbei, als wir eben aus dem Wald traten,‹ sagte das Frauenzimmer mit einer Silberstimme.

»›Ich hätte beinahe mein Gewehr darnach abgefeuert,‹ versetzte der Jäger; ›nun es uns aber einen so guten Dienst geleistet hat, freut es mich, daß ich es entkommen ließ.‹

»In ungefähr anderthalb Stunden, während welcher mein Vater nach Kräften ausholte, langten sie an der Hütte an und traten, wie bereits bemerkt, in unsere Stube.

»›Wir kommen, scheint's, zu gelegener Zeit,‹ bemerkte der Jäger, den Duft des gebratenen Fleisches in die Nase ziehend, während er auf das Feuer zuging und mich nebst meinen Geschwistern musterte. ›Ihr habt junge Köche hier, mein Herr.‹

»›Freut mich, daß wir nicht zu warten brauchen,‹ versetzte mein Vater. ›Kommt, Fräulein, setzt Euch an das Feuer; Ihr könnt nach dem kalten Ritte die Wärme wohl brauchen.‹

»›Und wo kann ich mein Pferd einstellen, mein Herr?‹ fragte der Jäger.

»›Ich will Sorge dafür tragen,‹ entgegnete mein Vater, zur Thüre hinausgehend.

»Ich muß jetzt das Frauenzimmer besonders beschreiben; sie war jung, dem Anscheine nach etwa zwanzig Jahre alt, hatte ein breit mit weißem Pelzwerk besetztes Reisekleid an, und trug eine Mütze von weißem Hermelin auf dem Kopfe. Ihr Antlitz war sehr schön – wenigstens kam es mir so vor, und mein Vater hat später dasselbe erklärt. Ihr glattes, flachsgelbes Haar glänzte wie ein Spiegel, und ihr Mund, wenn gleich etwas groß, wenn er geöffnet war – zeigte die schönsten Zähne, die ich je gesehen habe. Dennoch lag Etwas in ihren funkelnden Augen, was uns Kinder fürchten machte; sie waren so unruhig und unheimlich – ich konnte mir damals keinen Grund angeben, aber doch war es mir, als ob eine gewisse Grausamkeit darin liege, und wenn sie uns heranwinkte, näherten wir uns ihr nur mit Angst und Zittern. Aber demungeachtet war sie schön, sehr schön. Sie sprach freundlich mit mir und meinem Bruder, indem sie uns auf die Köpfe pätschelte und uns liebkoste; Marcella mochte sich jedoch nicht in ihre Nähe wagen, sondern schlich fort, versteckte sich in ihrem Bette und wollte nicht auf das Nachtessen warten, nach dem sie sich doch eine Viertelstunde früher so sehr gesehnt hatte.

»Mein Vater kehrte, sobald er das Pferd in dem nahegelegenen Schuppen untergebracht hatte, wieder zurück, und das Nachtessen wurde auf den Tisch gesetzt. Als es vorüber war, bat mein Vater die junge Dame, von seinem Bette Gebrauch zu machen, da er mit ihrem Vater bei dem Feuer sitzen wolle. Nach einigem Zögern von ihrer Seite wurde das Erbieten angenommen, und nun kroch ich mit meinem Bruder zu Marcella in das andere Bett, denn wir hatten stets beisammen geschlafen.

»Wir konnten jedoch nicht zur Ruhe kommen. Es lag etwas so Ungewöhnliches nicht nur in der Erscheinung fremder Leute, sondern auch in dem Umstande, daß sie in der Hütte schlafen sollten – wir fühlten uns ganz verwirrt. Was die arme kleine Marcella betraf, so verhielt sie sich ruhig; aber ich bemerkte, daß sie die ganze Nacht durch zitterte, und bisweilen kam es mir vor, als ob sie ein Schluchzen zu unterdrücken suche. Mein Vater hatte etwas Branntwein herausgebracht, den er nur selten gebrauchte, und er und der Jäger blieben vor dem Feuer sitzen, die Zeit sich mit Trinken und Plaudern vertreibend. Unsere Ohren lauschten auf jedes Wörtchen, und unsere Neugierde wurde nicht wenig erregt.

»›Ihr kommt also aus Siebenbürgen?‹ bemerkte mein Vater.

»›Ja, mein Herr,‹ versetzte der Jäger. ›Ich war Leibeigener in dem adeligen Hause von – – Mein Gebieter wollte haben, daß ich meine Tochter seinen Wünschen preisgebe, und die Sache nahm damit ein Ende, daß ich ihm einige Zoll meines Waidmessers zu kosten gab.‹

»›Wir sind Landsleute und Leidensbrüder,‹ entgegnete mein Vater, die Hand des Jägers erfassend und sie mit Wärme drückend.

»›Wirklich? Ihr seid also auch aus diesem Lande?‹

»›Ja, und habe gleichfalls durch Flucht mein Leben retten müssen. Ach, es ist eine traurige Geschichte.‹

»›Euer Name?‹

»›Krantz.‹

»›Wie? Krantz von – –? Ich habe Eure Geschichte gehört; Ihr habt daher nicht nöthig, Euren Schmerz durch eine Wiederholung derselben zu erneuern. Willkommen, von Herzen willkommen, mein Herr – und ich darf wohl sagen – mein würdiger Vetter; denn das bin ich. Ich bin Wilfried von Barnsdorf,‹ rief der Jäger sich erhebend und meinen Vater umarmend.

»Sie füllten ihre Hornbecher bis zum Rand und stießen nach deutscher Sitte mit einander an. Die Unterhaltung wurde nun in leiserem Tone geführt und wir konnten nicht weiter daraus entnehmen, als daß unser neuer Vetter und seine Tochter wenigstens vorderhand ihren Aufenthalt in unserer Hütte nehmen sollten. Nach einer Stunde waren die beiden Männer in ihren Stühlen zurückgesunken und schienen zu schlafen.

»›Liebe Marcella, hast du gehört?‹ fragte mein Bruder in gedämpftem Tone.

›Ja,‹ versetzte Marcella flüsternd; ›ich habe Alles gehört. O Bruder, ich kann den Anblick dieser Frau nicht ertragen – es wird mir bange in ihrer Nähe.‹

»Mein Bruder gab keine Antwort und bald nachher lagen wir alle drei in tiefem Schlafe.

»Als wir am andern Morgen erwachten, fanden wir, daß die Tochter des Jägers vor uns aufgestanden war. Sie däuchte mir schöner zu sein, als je. Sie kam auf die kleine Marcella zu und liebkoste sie; das Kind aber brach in Thränen aus und schluchzte, als ob ihm das Herz brechen sollte.

»Ich will jedoch die Geschichte nicht zu weit ausspinnen. Der Jäger und seine Tochter richteten sich in der Hütte ein. Mein Vater ging täglich mit ihm auf die Jagd und ließ Christina bei uns. Sie verrichtete alle Obliegenheiten des Hauswesens, war sehr freundlich gegen uns Kinder, und allmälig verlor sich auch die Abneigung der kleinen Marcella. In meinem Vater hatte jedoch eine große Veränderung stattgefunden. Er schien seinen Groll gegen das andere Geschlecht überwunden zu haben und erwies Christina alle nur erdenklichen Aufmerksamkeiten. Oft blieb er mit ihr, nachdem ihr Vater und wir bereits im Bette waren, beim Feuer sitzen, in leisem Tone ein Gespräch unterhaltend. Ich hätte bemerken sollen, daß mein Vater und der Jäger Wilfried in einem andern Theile der Hütte schliefen, denn das Bett, welches er früher eingenommen hatte und das mit dem unsrigen in dem gleichen Gemache stand, war an Christina abgetreten worden. Die Gäste hatten ungefähr drei Wochen in der Hütte gewohnt, als eines Abends, nachdem wir Kinder zu Bette geschickt worden waren, eine Berathung abgehalten wurde. Mein Vater hatte um Christinens Hand geworben und sowohl ihre, als ihres Vaters Einwilligung erhalten. Nachdem das Jawort gegeben war, fand eine Unterredung statt, welche, soweit ich mich erinnern kann, folgendermaßen lautete:

»›Ihr sollt mein Kind haben, Herr Krantz, und meinen Segen dazu. Ich verlasse Euch dann und suche eine andere Wohnung – gleichviel, wo es auch ist.‹

»›Aber warum nicht hier bleiben, Wilfried?‹

»›Nein, nein, ich bin anderswohin berufen; begnügt Euch damit und stellt keine weitern Fragen an mich. Ihr habt mein Kind.‹

»›Ich danke Euch und werde sie gebührend in Ehren halten; aber es ist noch eine Schwierigkeit vorhanden.‹

»›Ich weiß, was Ihr sagen wollt – man hat hier in dieser wilden Gegend keinen Priester. Ebensowenig gibt es ein anderes bindendes Gesetz, und doch muß eine Ceremonie unter Euch stattfinden, um den Vater zufrieden zu stellen. Wollt Ihr einwilligen, sie nach meiner Weise zu heirathen? In diesem Falle will ich Euch unverweilt zusammengeben.‹

»›Ja,‹ lautete die Antwort meines Vaters.

»›So nehmt sie bei der Hand. Wohlan, Herr Krantz, schwört mir nach.‹

»›Ich schwöre,‹ entgegnete mein Vater.

»›Bei allen Geistern des Harzgebirges« –‹

»›Ei, warum nicht beim Himmel?‹ unterbrach ihn mein Vater.

»›Weil es mir so gefällt,‹ versetzte Wilfried. ›Wenn ich diesen Eid, der vielleicht weniger bindend ist, als ein anderer, vorziehe, so werdet Ihr doch zuverlässig nichts dagegen einzuwenden haben?‹

»›Nun, so sei es denn, weil es Euch so gefällt. Aber warum wollt Ihr mich bei Etwas schwören lassen, an was ich nicht glaube?‹

»›Das thun noch Viele, die dem Aeußeren nach Christen sind,‹ entgegnete Wilfried. ›Sagt, ob ich Euch meine Tochter geben, oder ob ich sie mit mir fortnehmen soll?‹

»›Fahrt fort,‹ erwiderte mein Vater ungeduldig.

»›Ich schwöre bei allen Geistern des Harzgebirgs und bei ihrer Macht, Gutes oder Böses zu wirken, daß ich Christina für mein angetrautes Weib nehme, daß ich sie immer schützen, pflegen und lieben will; daß sich meine Hand nie gegen sie erheben soll, um ihr ein Leides zu thun.‹

»Mein Vater sprach Wilfrieds Worte nach.

»›Und wenn ich meinen Eid breche, möge die ganze Rache der Geister auf mich und meine Kinder niederfallen! mögen sie zu Grunde gehen durch den Geier, durch den Wolf oder andere Thiere des Waldes; möge ihr Fleisch von ihren Gliedmaßen gerissen werden und ihre Gebeine in der Wildniß bleichen. Alles dieses schwöre ich.‹

»Mein Vater stockte, als er die letzten Worte wiederholte. Die kleine Marcella konnte nicht mehr an sich halten, und als er diesen Eid dennoch ablegte, brach sie in Thränen aus. Diese plötzliche Störung schien die Sprecher, namentlich aber meinen Vater außer Fassung zu bringen; er redete das Kind rauh an, das jetzt sein Schluchzen unterdrückte und das Gesichtchen in die Bettdecken begrub.

»So verhielt sich's mit der zweiten Verheirathung meines Vaters. Am nächsten Morgen stieg der Jäger Wilfried auf sein Pferd und ritt von hinnen.

»Mein Vater nahm sein Bett wieder in dem gleichen Gemache, wo das unsrige stand, und es ging so ziemlich fort, wie vor der Verheirathung, nur daß unsere neue Stiefmutter durchaus keine Liebe zu uns zeigte. In des Vaters Abwesenheit schlug sie uns oft, namentlich aber die kleine Marcella, und ihre Augen schoßen Blitze, wenn sie das schöne, liebliche Kind ansah.

»In einer Nacht weckte die Schwester mich und meinen Bruder.

»›Was gibt's?‹ fragte Cäsar.

»›Sie ist ausgegangen,‹ flüsterte Marcella.

»›Ausgegangen?‹

»›Ja, zur Thüre hinaus in ihrem Nachtkleide,‹ versetzte das Kind. ›Ich sah, wie sie aus dem Bette stieg und den Vater ansah, ob er schlafe; dann ging sie zur Thüre hinaus.‹

»Was konnte sie bewegen, ihr Bette zu verlassen, um mit so leichter Bedeckung in bitterer Winterkälte und bei dem tiefen Schnee auszugehen? dieß war uns unbegreiflich. Wir blieben wach liegen und hörten nach einer Stunde das Heulen eines Wolfes dicht unter dem Fenster.

»›Da ist ein Wolf,‹ sagte Cäsar; ›sie wird in Stücke zerrissen werden.‹

»›Oh nein!‹ rief Marcella.

»Einige Minuten nachher erschien unsere Stiefmutter wieder; sie war in ihrem Nachtanzuge, wie Marcella angegeben hatte. Nachdem sie die Thürklinke lautlos niedergelassen hatte, begab sie sich nach dem Wasserfasse, wusch sich Gesicht und Hände und schlüpfte dann wieder in das Bette, wo mein Vater lag.

»Wir zitterten, ohne zu wissen warum, beschlossen jedoch, die nächste Nacht wach zu bleiben. Aber nicht nur in der nächsten, sondern noch viele folgende Nächte stand unsere Stiefmutter zu derselben Stunde von dem Bette auf und verließ die Hütte. Nachdem sie fort war, hörten wir jedesmal das Heulen eines Wolfes unter dem Fenster, und wenn sie zurückkehrte, wusch sie sich, ehe sie sich wieder zu Bette legte. Wir bemerkten auch, daß sie sich selten zum Essen niedersetzte, und wenn sie je etwas speiste, so geschah es mit augenscheinlichem Widerwillen. Wurde aber das Fleisch heruntergenommen, um zum Mahle zubereitet zu werden, so sahen wir oft, wie sie verstohlen ein rohes Stück in den Mund steckte.

»Mein Bruder Cäsar war ein muthiger Knabe und wollte dem Vater nichts mittheilen, bis er mehr erfahren hätte. Er beschloß, ihr zu folgen und über ihr Treiben Gewißheit einzuholen. Marcella und ich, wir beide bemühten uns, ihm sein Vorhaben auszureden; er ließ sich jedoch nicht zurückhalten, sondern legte sich schon in der nächsten Nacht in seinen Kleidern zu Bette, stand, sobald die Stiefmutter die Hütte verlassen hatte, auf, nahm das Gewehr meines Vaters und ging ihr nach.

»Ihr könnt Euch denken, in welchem Zustande von Spannung Marcella und ich während seiner Abwesenheit waren. Nach einigen Minuten hörten wir den Knall eines Gewehrs. Mein Vater erwachte nicht und wir blieben vor Angst zitternd liegen. Eine Weile darauf sahen wir unsere Stiefmutter in die Hütte treten – ihr Anzug war blutig. Ich legte meine Hand auf Marcellas Mund, um zu verhindern, daß sie nicht laut aufrief, obgleich ich selbst in großer Unruhe war. Unsere Stiefmutter näherte sich dem Bett meines Vaters, um zu sehen, ob er schliefe, und ging dann nach dem Kamine, wo sie die glimmende Asche zur Flamme anblies.

»›Wer ist da?‹ rief mein Vater erwachend.

»›Bleibe ruhig liegen, mein Lieber,‹ versetzte die Stiefmutter. ›Ich bin's. Ich habe das Feuer angezündet, um etwas Wasser warm zu machen, weil ich nicht ganz wohl bin.‹

»Mein Vater wandte sich um und war bald wieder eingeschlafen; wir aber beobachteten aufmerksam die Bewegungen der Stiefmutter. Sie wechselte ihre Linnen und warf das Gewand, das sie getragen hatte, in's Feuer. Dabei bemerkten wir, daß ihr rechtes Bein stark blutete, wie von einer Schußwunde. Sie verband es, kleidete sich an und blieb bis Tagesanbruch vor dem Feuer sitzen.

»Das Herz der armen kleinen Marcella schlug hoch auf, während sie sich an meine Seite drückte – und auch das meinige pochte ungestüm. Wo war unser Bruder Cäsar? Wie konnte die Stiefmutter verwundet werden, wenn es nicht durch sein Gewehr geschehen war? Endlich stand mein Vater auf, und nun faßte ich den Muth, ihn anzureden.

»›Vater,‹ fragte ich, ›wo ist Bruder Cäsar?‹

»›Cäsar?‹ rief er; ›nun, wo mag er sein?‹

»›Barmherziger Himmel! War mir's doch, als ich in der letzten Nacht unruhig da lag, als hätte ich Jemand die Thürklinke öffnen hören,‹ bemerkte unsere Stiefmutter. ›Und mein Gott, Mann, was ist aus deinem Gewehre geworden?‹

»Mein Vater warf seine Blicke über den Kamin und entdeckte, daß sein Gewehr fehlte. Für einen Augenblick war er verwirrt; dann ergriff er ein Beil und verließ, ohne ein Wort zu verlauten, die Hütte.

»Er blieb nicht lange aus, sondern kehrte schon nach einigen Minuten zurück, die verstümmelte Leiche meines Bruders in seinen Armen tragend; er legte ihn nieder und bedeckte sein Gesicht.

»Die Stiefmutter stand auf und betrachtete die Leiche, während Marcella und ich uns schluchzend und weheklagend an der Seite des Todten niederwarfen.

»›Geht wieder zu Bette, Kinder,‹ sagte sie mit Schärfe. ›Mann,‹ fuhr sie fort, ›der Knabe muß dein Gewehr heruntergenommen haben, um einen Wolf zu schießen, und das Thier war ihm zu mächtig. Der arme Junge, er hat seine Uebereilung theuer bezahlen müssen.‹

»Mein Vater gab keine Antwort. Ich wollte sprechen – wollte ihm Alles sagen – aber Marcella, welche meine Absicht bemerkte, hielt mich am Arme und sah mich so flehentlich an, daß ich es unterließ.

»Mein Vater blieb daher im Irrthum, aber Marcella und ich, wir beide trugen – obschon wir nicht begreifen konnten, wie es zuging – die Ueberzeugung in uns, daß die Stiefmutter in irgend einer Weise bei dem Tode meines Bruders betheiligt war.

»Am nämlichen Tage ging der Vater aus, um ein Grab zu graben. Nachdem er die Leiche in die Erde gelegt hatte, häufte er Steine darüber, um es den Wölfen unmöglich zu machen, sie wieder auszuscharren. Die Erschütterung dieses Unglücks wirkte schwer auf meinen armen Vater; er ging mehrere Tage nicht auf die Jagd, obgleich er von Zeit zu Zeit bittere Flüche gegen die Wölfe ausstieß und Rache gelobte.

»Doch während dieser Zeit der Trauer von seiner Seite setzte meine Stiefmutter ihre nächtlichen Wanderungen mit derselben Regelmäßigkeit fort, wie zuvor.

»Endlich nahm mein Vater sein Gewehr herab, um sich in den Wald zu begeben; er kehrte jedoch bald wieder sehr bekümmert zurück.

»›Würdest du's wohl glauben, Christina, daß die Wölfe – Gottes Fluch über die ganze Brut – wirklich den Leichnam meines armen Knaben ausgescharrt und nichts als seine Knochen übrig gelassen haben?‹

»›So?‹ versetzte meine Stiefmutter.

»Marcella blickte mich an, und ich las in ihrem ausdrucksvollen Auge Alles, was sie sagen wollte.

»›Vater, jede Nacht heult ein Wolf unter unserem Fenster,‹ nahm ich das Wort.

»›Ist das wahr? – Warum hast du nicht früher gesprochen, Knabe? – Wenn du ihn das nächste Mal wieder hörst, so wecke mich.‹

»Ich sah, wie die Stiefmutter sich abwandte; ihre Augen schossen Feuer und sie knirschte mit den Zähnen.

»Mein Vater ging aus und bedeckte die wenigen Ueberreste meines armen Bruders, welche die Wölfe geschont hatten, mit einem noch größeren Steinhaufen. Dieß war der erste Akt des Trauerspiels.

»Der Frühling kam, der Schnee verschwand und wir durften die Hütte wieder verlassen. Ich mochte aber nie, auch nur einen Augenblick, von der Seite meiner lieben kleinen Schwester weichen, die ich seit dem Tode meines Bruders nur um so inniger liebte. Ja, ich fürchtete mich sogar, sie mit der Stiefmutter allein zu lassen, welche eine besondere Freude daran zu haben schien, das arme Kind zu mißhandeln. Mein Vater beschäftigte sich auf seinem kleinen Gute, und ich war bereits im Stande, ihm einigen Beistand zu leisten.

»Marcella pflegte bei uns auf dem Felde zu sitzen, während wir an der Arbeit waren, und die Stiefmutter blieb allein zu Hause. Ich hätte bemerken sollen, daß sie mit dem Eintritte des Frühlings von ihren nächtlichen Wanderungen abließ und daß wir nach der Zeit, in welcher ich meinen Vater aufmerksam gemacht hatte, den Wolf nicht mehr unter dem Fenster heulen hörten.

»Als ich eines Tages mit dem Vater auf dem Felde beschäftigt war und Marcella bei uns saß, kam die Stiefmutter heraus und sagte, sie wolle in den Wald gehen, um einige Kräuter zu sammeln, die der Vater brauche; Marcella solle in die Hütte gehen und auf das Essen Acht haben. Marcella ging und die Stiefmutter verschwand bald in dem Walde, eine Richtung einschlagend, welche der Hütte gerade entgegengesetzt war, so daß also ich und mein Vater so zu sagen zwischen ihr und der Schwester standen.

»Etwa eine Stunde nachher wurden wir durch einen Schrei von der Hütte her aufgeschreckt, der augenscheinlich von der kleinen Marcella herrührte.

»›Marcella hat sich verbrannt, Vater,‹ sagte ich, meinen Spaten wegwerfend.

»Mein Vater legte den seinigen gleichfalls bei Seite, und wir beide eilten nach dem Hause. Ehe wir aber die Thüre erreichen konnten, stürzte ein großer weißer Wolf heraus, der mit der größten Geschwindigkeit von hinnen floh.

»Mein Vater hatte keine Waffe; er stürzte in die Hütte und traf das arme Schwesterlein im Verscheiden. Ihr Körper war furchtbar verstümmelt, und das entströmende Blut hatte einen großen Bach auf dem Boden der Hütte gebildet. Meines Vaters erste Absicht war gewesen, sein Gewehr zu ergreifen und das Unthier zu verfolgen; der schreckliche Anblick aber gebot ihm Halt, und in Thränen ausbrechend kniete er an der Seite seines sterbenden Kindes nieder.

»Marcella konnte nur noch einige Sekunden die Augen freundlich zu uns aufschlagen und schloß sie dann für immer im Tode.

»Der Vater und ich knieeten noch immer über der Leiche der armen Schwester, als die Stiefmutter hereintrat. Sie that sehr bekümmert über das schreckliche Schauspiel, schien aber nicht, wie es doch bei den meisten Weibern der Fall ist, bei dem Anblicke des Blutes zurückzubeben.

»›Armes Kind!‹ sagte sie. ›Es muß der große weiße Wolf gewesen sein, der eben an mir vorbeikam und mich so sehr erschreckte. Sie ist ganz todt, Krantz.‹

»›Ich weiß – ich weiß es!‹ rief mein Vater in bitterem Schmerze.

»Ich dachte, mein Vater würde sich nie wieder von der Wirkung dieses zweiten Trauerspiels erholen. Er trauerte bitterlich über der Leiche seines geliebten Kindes und mochte sie mehrere Tage nicht dem Grabe anvertrauen, obgleich er durch die Stiefmutter häufig darum angegangen wurde. Endlich gab er nach und schaufelte ein Grab aus, dicht neben dem meines armen Bruders, dabei jede Vorsichtsmaßregel beobachtend, damit die Wölfe ihren Ueberresten nichts anhaben möchten.

»Ich fühlte mich wirklich recht elend, wenn ich so allein in dem Bette lag, das ich früher mit meinem Bruder und meiner Schwester getheilt hatte. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß die Stiefmutter bei ihrem beiderseitigen Tode betheiligt sei, obschon ich mir über die Art und Weise keine Rechenschaft zu geben vermochte. Aber ich fürchtete mich nicht länger vor ihr; mein kleines Herz war mit Haß und Rachsucht erfüllt.

»Die Nacht nach dem Begräbnis meiner Schwester lag ich wachend auf meinem Lager und bemerkte, daß meine Stiefmutter aufstand und die Hütte verließ. Ich wartete eine Weile, kleidete mich dann an und schaute zu der Thüre hinaus, die ich halb öffnete. Der Mond schien hell und ich konnte die Stelle sehen, wo meine Geschwister begraben waren. Da bemerkte ich nun zu meinem Entsetzen, daß die Stiefmutter eifrig beschäftigt war, die Steine von Marcellas Grab zu entfernen.

Sie war in ihrem weißen Nachtgewand und der Mond schien voll auf sie nieder. Ich bemerkte, wie sie mit den Händen grub und mit der ganzen Heftigkeit einer wilden Bestie die Steine hinter sich warf. Es stand eine Weile an, ehe ich mich besinnen und über meine weiteren Schritte einen Beschluß fassen konnte. Endlich sah ich, daß sie an der Leiche angelangt war, und dieselbe an der Seite des Grabes heraufzog; jetzt konnte ich es nicht länger ertragen; ich eilte zu meinem Vater und weckte ihn.

»›Vater, Vater!‹ rief ich; ›kleidet Euch an und holt Euer Gewehr.‹

»›Wie?‹ rief mein Vater, ›sind die Wölfe da?‹

»Er sprang aus seinem Bette, legte die Kleider an und schien in seiner Hast die Abwesenheit seines Weibes nicht zu bemerken. Sobald er bereit war, öffnete er die Thüre, ging hinaus, und ich folgte ihm.

»Man denke sich aber sein Entsetzen, als er, ganz unvorbereitet für einen solchen Anblick, an dem Grabe nicht einen Wolf entdeckte, sondern sein Weib in Nachtkleidern, die auf Händen und Knieen über der Leiche meiner Schwester hinkauerte, große Stücke Fleisch abriß und sie mit der ganzen Gier eines Wolfes verzehrte. Sie war zu eifrig beschäftigt, um unsere Annäherung gewahr zu werden. Mein Vater ließ seine Waffe sinken – ihm und mir standen die Haare zu Berg. Sein Athem ging schwer und schien dann für eine Weile ganz zu stocken. Ich las das Gewehr auf und gab es in seine Hand. Da war es, als ob die Wuth ihm plötzlich doppelte Kraft gegeben hätte; er legte seine Waffe an und mit einem lauten Schrei sank die Elende zusammen, die er an seinem Busen genährt hatte.

»›Gott im Himmel!‹ rief mein Vater, ohnmächtig zusammenbrechend, sobald er sein Gewehr abgefeuert hatte.

»Ich blieb eine Weile an seiner Seite, bis er sich wieder erholte.

»›Wo bin ich?‹ rief er. ›Was ist geschehen? – Ach! – ja, ja! ich entsinne mich jetzt. Himmel, vergib mir!‹

»Er stand auf und wir gingen nach dem Grabe. Aber nun denkt Euch auf's Neue unseren Schrecken und unser Erstaunen, als wir statt der Leiche unserer Stiefmutter, welche wir zu finden erwarteten, über den Resten meiner armen Schwester eine große, weiße Wölfin liegen sahen.

»›Der weiße Wolf!‹ rief mein Vater; ›der weiße Wolf, der mich in den Wald lockte – ich sehe jetzt Alles – ich habe mit den Geistern des Harzgebirges verkehrt.‹

»Eine Weile blieb mein Vater stumm und in tiefen Gedanken. Dann hob er die Leiche meiner Schwester sorgfältig auf, legte sie wieder in das Grab und bedeckte sie, wie zuvor. Nun aber begann er wie ein Wahnsinniger zu rasen und zertrat den Kopf des todten Thieres mit der Ferse seines Stiefels. Er ging nach der Hütte zurück, schloß die Thüre und warf sich auf das Bett. Ich that das Gleiche, denn ich war vor Schrecken ganz betäubt.

»Am andern Morgen wurden wir in aller Frühe durch ein lautes Klopfen an der Thüre geweckt, und der Jäger Wilfried stürzte herein.

»›Meine Tochter – Mensch – meine Tochter! – Wo ist meine Tochter?‹ rief er wüthend.

»›Hoffentlich, wo die Elende – wo der Teufel sein muß!‹ versetzte mein Vater auffahrend und dem Jäger in gleichem Grimme entgegentretend. ›Wo sie sein muß – in der Hölle! – Verlaß diese Hütte oder es soll dir noch schlechter gehen.‹

»›Ha – ha!‹ entgegnete der Andere; ›glaubst du, du könntest einem mächtigen Geiste des Harzgebirges etwas anhaben? Armer Sterblicher, der du eine Währwölfin heirathen mußtest.‹

»›Fort mit dir, Dämon! ich trotze dir und deiner Macht!‹

»›Du wirst sie noch fühlen. Erinnere dich deines Eides – des feierlichen Eides – nie deine Hand gegen sie zu erheben, um ihr ein Leides zu thun‹

»›Ich ging keinen Vertrag ein mit bösen Geistern.‹

»›Du thatest's. Und wenn du den Eid brächest, solle die ganze Rache der Geister auf dich niederfallen. Deine Kinder sollen zu Grunde gehen durch die Geier, den Wolf –‹

»›Hinaus, hinaus, Teufel!‹

»›Und ihre Gebeine bleichen in der Wildniß – ha, ha!‹

»Mein Vater griff, vor Wuth ganz außer sich, nach seiner Axt und schwang sie gegen Wilfrieds Kopf.

»›Alles dies schwöre ich,‹ fuhr der Jäger höhnend fort.

»Die Axt fiel nieder, aber sie fuhr durch die Gestalt des Jägers. Mein Vater verlor sein Gleichgewicht und stürzte zu Boden.

»›Sterblicher;‹ rief der Jäger, über den Körper meines Vaters wegschreitend, ›wir haben nur über diejenigen Macht, welche einen Mord begangen haben. Du hast dich eines Doppelmords schuldig gemacht – und sollst die Strafe erleiden, die sich an dein Heirathsgelübde knüpft. Zwei deiner Kinder sind schon dahin und das dritte wird nicht verschont bleiben – ja, auch dieser wird noch nachfolgen, denn dein Eid ist gehört worden. Geh' – es wäre eine Wohlthat, dich zu tödten – deine Strafe sei – daß du lebest.‹

»Mit diesen Worten verschwand der Geist. Mein Vater erhob sich vom Boden, umarmte mich zärtlich und kniete im Gebet nieder.

»Am andern Morgen verließ er die Hütte für immer. Er nahm mich mit sich und lenkte seine Schritte nach Holland, wo wir wohlbehalten anlangten. Er hatte einiges Geld bei sich, aber ehe er noch lange sich in Amsterdam aufgehalten hatte, wurde er von einem Hirnfieber befallen und starb unter tobendem Wahnsinn. Ich wurde in das Waisenhaus gebracht und nachher auf die See vor den Mast geschickt – Ihr kennt jetzt meine ganze Geschichte. Es fragt sich nun, ob ich für den Eid meines Vaters der Strafe verfallen bin. Ich bin vollkommen davon überzeugt, daß das Gespenst in einer oder der anderen Weise Wort halten wird.«

Am zweiundzwanzigsten Tage bekamen unsere Abenteurer das Hochland im Süden von Sumatra zu Gesicht. Da sie keine Schiffe bemerkten, so beschlossen sie, ihren Kurs durch die Straße zu halten und nach Pulo Penang zu laufen, welches sie, da ihr Schiff so dicht am Winde lag, in sieben oder acht Tagen zu erreichen hofften. Unter der Glut der Sonne waren ihre Gesichter so gebräunt worden, daß sie in ihren langen Bärten und ihren Moslemkleidern leicht für Eingeborene gelten konnten. Sie steuerten den ganzen Tag unter der heißen Sonnenglut und legten sich Abends nieder, um im Thau der Nacht zu schlafen, ohne daß ihre Gesundheit litt; aber einige Tage nach der Zeit, in welcher Krantz unserem Helden die Geschichte seiner Familie vertraut hatte, wurde der Erstere stille und schwermüthig. Sein gewöhnlich reger Geist war verschwunden und Philipp fragte ihn oft nach der Ursache. Als sie in die Straße einliefen, sprach unser Held von den Schritten, die er bei seiner Ankunft in Goa einzuschlagen hoffte. Krantz erwiderte jedoch mit Ernst:

»Philipp, ich habe seit einigen Tagen eine düstere Vorahnung, daß ich jene Stadt nicht sehen werde.«

»Fühlt Ihr Euch unwohl, Krantz?« fragte Philipp.

»Nein; ich bin an Körper und Geist gesund. Ich versuchte zwar, mich der Gedanken zu entschlagen, aber vergeblich. Eine warnende Stimme ruft mir unaufhörlich zu, daß ich nicht mehr lange bei Euch sein werde. Philipp, Ihr werdet mich verbinden, wenn Ihr mich über einen einzigen Punkt zufrieden stellt. Ich trage Geld bei mir, das Euch nützlich werden kann; thut mir den Gefallen, es zu nehmen und an Eurem Leib zu verbergen.«

»Welcher Unsinn, Krantz.«

»'s ist kein Unsinn, Philipp. Habt Ihr nicht auch Eure Warnungszeichen gehabt – warum sollte es bei mir nicht gleichfalls möglich sein? Ihr wißt, daß ich die Furcht nicht kenne und der Tod ist mir gleichgültig; aber ich fühle eine Ahnung, die mit jeder Stunde bestimmter zu mir spricht. Es ist irgend ein freundlicher Geist, der mir den Wink gibt, mich für eine andere Welt vorzubereiten. Sei es d'rum. Ich habe lange genug gelebt, um dieses Thal der Leiden ohne Schmerz zu verlassen, obgleich es mir – ich gebe es zu – weh thut, mich von Euch und Aminen zu trennen, die ihr die zwei einzigen Wesen seid, welche mir theuer wurden.«

»Könnte der Grund nicht in Eurer allzu großen Anstrengung und in der Erschöpfung liegen, Krantz? Bedenkt nur, die Aufregung, unter der wir seit vier Monaten gelitten haben. Ist dies nicht zureichend, um eine entsprechende Geistesbedrückung zu erzeugen? Verlaßt Euch darauf, mein lieber Freund, daß es nichts Anderes ist.«

»Ich wollte, es wäre so, aber ich glaube es nicht. Auch verbindet sich ein gewisses Gefühl von Freudigkeit mit dem Gedanken, von der Erde zu scheiden, das aus einer andern Ahnung stammt – einem Vorgefühl, das gleichfalls meinen Geist beschäftigt.«

»Und das wäre?«

»Ich kann es Euch kaum sagen, aber Amine und Ihr steht damit in Verbindung. Ich habe in meinen Träumen gesehen, wie ihr wieder zusammentraft; doch schien es mir, als ob ein Theil eurer Prüfungen absichtlich durch düstere Wolken vor meinen Blicken verhüllt werde. Ich fragte: ›Darf ich nicht sehen, was dort verborgen ist?‹ – und ein unsichtbares Wesen antwortete: ›nein, es würde dich unglücklich machen. Ehe diese Heimsuchung stattfindet, wirst du abgerufen sein.‹ Ich dankte dann dem Himmel und fügte mich voll Ergebung.«

»Das sind nur die Vorstellungen eines kranken Gehirns, Krantz. Ohne Zweifel ist es wahr, daß mir noch viele Leiden vorbehalten bleiben, aber warum sollen sie Amine treffen – oder warum solltet Ihr, jung, in der Blüthe der Gesundheit und Kraft, nicht Eure Tage im Frieden hinbringen und ein hohes Alter erreichen? Ich sehe keinen Grund, das Gegentheil zu glauben. Morgen wird Euch besser sein.«

»Vielleicht ist's so,« versetzte Krantz. »Aber dennoch müßt Ihr Nachsicht haben mit meiner Grille und das Geld nehmen. Bin ich im Irrthum und erreichen wir wohlbehalten den Ort Eurer Bestimmung, so weiß ich wohl, Philipp, daß Ihr mir's wieder zurückgebt,« bemerkte Krantz mit einem matten Lächeln – »aber Ihr vergeßt, daß unser Wasser beinahe zu Ende ist. Wir müssen nach einem Bach an der Küste spähen, um frischen Vorrath einzunehmen.«

»Ich dachte auch daran, ehe Ihr noch diesen unwillkommenen Gegenstand zur Sprache brachtet. Wir werden gut thun, uns noch vor der Dunkelheit nach Wasser umzusehen; sobald wir unsere Krüge gefüllt haben, können wir unsere Fahrt wieder aufnehmen.«

Zur Zeit, als dieses Gespräch stattfand, steuerten sie auf der Ostseite der Straße, etwa vierzig Meilen von ihrem nördlichen Ende entfernt. Das Innere der Küste war Felsgebirge, das aber langsam zu einer Niederung abstieg und sich mit Wald und Gebüsch bis an's Ufer fortsetzte. Das Land schien unbewohnt zu sein. Dicht sich an's Gestade haltend, entdeckten sie nach zweistündiger Fahrt einen frischen Strom, der in einem Wasserfalle von dem Gebirge niederrauschte und in Schlangenwindungen durch das Gebüsch glitt, bis er seinen Zoll an das Gewässer der Straße abgab.

Sie liefen auf die Mündung des Flüßleins zu, strichen die Segel und ruderten die Piroque gegen die Strömung, bis sie weit genug vorgerückt waren, um überzeugt sein zu dürfen, daß sie sich auf süßem Wasser befanden. Die Krüge waren bald gefüllt, und sie gedachten wieder in die See zu stechen, als ihnen bei dem Anblicke des schönen Ortes, und da sie ihrer langen Gefangenschaft an Bord der Piroque müde waren, der Gedanke kam, sich in dem kühlen Wasser zu baden – ein Hochgenuß, den diejenigen kaum zu würdigen wissen, welche sich nicht in einer ähnlichen Lage befunden haben. Sie warfen ihre Kleider ab und stürzten sich in den Strom, in welchem sie eine Zeitlang blieben. Krantz ging zuerst wieder heraus; er beklagte sich über ein Gefühl von Frost und begab sich nach dem Ufer, wo sie ihre Kleider abgelegt hatten. Philipp näherte sich gleichfalls dem Rande des Flusses, um ihm zu folgen.

»Ich habe jetzt eine gute Gelegenheit, Philipp,« sagte Krantz, »Euch das Geld zu geben. Ich schütte es aus meinem Gürtel und Ihr könnt es in dem Eurigen aufbewahren, ehe Ihr ihn wieder anzieht.«

Philipp stand noch immer im Wasser, das ihm bis über die Hüfte ging.

»Nun, Krantz,« entgegnete er, »wenn's denn einmal sein muß, so sei's drum, obschon mir der Gedanke gar lächerlich vorkommt; indeß, ich will Euch den Willen thun.«

Philipp stieg aus dem Wasser und setzte sich neben Krantz nieder, der bereits beschäftigt war, die Dublonen aus den Falten seines Gürtels zu schütten. Endlich sagte er:

»Ich glaube, Philipp, Ihr habt jetzt Alles. Gut, ich bin zufrieden.«

»Ich kann nicht begreifen, welche Gefahr Euch hier bedrohen könnte, ohne daß ich ihr in gleicher Weise ausgesetzt wäre,« entgegnete Philipp. »Je nun –«

Er hatte jedoch kaum diese Worte ausgesprochen, als sich ein furchtbares Gebrüll vernehmen ließ. Durch die Luft sauste es wie ein gewaltiger Wind – es erfolgte ein Stoß, der ihn auf den Rücken niederwarf, ein lauter Schrei – und ein Ringen. Philipp faßte sich wieder und bemerkte, daß die nackte Gestalt seines Freundes Krantz pfeilschnell von einem ungeheuren Tiger in das Gebüsch geschleppt wurde. Er blickte dem Ungethüm mit starren Augen nach und in wenigen Sekunden war es mit Krantz verschwunden!

»Gott im Himmel! hättest du mir doch dieß erspart!« rief Philipp, sich in bitterem Schmerze auf sein Gesicht niederwerfend. »Oh, Krantz, mein Freund – mein Bruder – nur zu gewiß war deine Ahnung. Gnädiger Gott! habe Erbarmen – doch dein Wille geschehe!«

Und Philipp brach in einen Strom von Thränen aus. Länger als eine Stunde blieb er wie festgebannt an der Stelle, ohne die Gefahr zu achten, welche ihn umgab. Endlich faßte er sich einigermaßen. Er stand auf, kleidete sich an und setzte sich dann wieder nieder – seine Augen hafteten auf den Kleidern seines Freundes und auf dem Golde, das noch immer im Sande hingestreut war.

»Er wollte mir sein Gold geben und hat mir sein Ende vorausgesagt. Ja! ja! es war seine Bestimmung und er hat sie erfüllt. Seine Gebeine werden bleichen in der Wildniß, und der gespenstige Jäger ist nebst seiner Wolfstochter gerächt.«

Die Schatten des Abends brachen nun ein und das dumpfe Heulen der wilden Thiere im Walde riefen Philipp die eigene Gefahr in's Gedächtnis. Er dachte an Amine, packte hastig die Kleider und das Geld seines Freundes zusammen, stieg in die Piroque und stieß mit Mühe vom Lande ab. Schweigend und mit schwerem Herzen hißte er das Segel, um seinen Lauf wieder aufzunehmen.

»Ja, Amine,« dachte Philipp, während er die blinkenden und funkelnden Sterne betrachtete, »ja, du hast Recht, wenn du behauptest, die Bestimmung der Menschen lasse sich vorauswissen und könne von Einigen gelesen werden. Die meinige ist leider, daß ich losgerissen werden soll von Allem, was ich auf Erden werth schätze, um einsam und freundlos zu sterben. Wenn dieß der Fall ist, dann willkommen Tod – tausendmal willkommen! Welche Erleichterung wirst du nicht für mich sein! Mit welcher Freude werde ich nicht dem Rufe folgen, der den Müden Ruhe bringt! Ich habe meine Aufgabe zu erfüllen; gebe Gott, daß es bald geschehen sein möge, und mein Leben nicht fortan durch Heimsuchungen, wie diese, verbittert werde.«

Philipp weinte abermals, denn Krantz war sein langerprobter, werthgeschätzter Freund, und seit der Zeit, als die holländische Flotte das Kap Horn zu umfahren suchte, sein Gefährte in Gefahren und Entbehrungen gewesen.

Nach sieben Tagen eines schmerzlichen Wachens und Brütens über bitteren Gedanken langte Philipp zu Pulo Penang an, wo er ein Schiff fand, das im Begriff war, nach Goa abzusegeln. Er ließ seine Piroque an die Seite desselben laufen und fand, daß es eine Brigg unter portugiesischer Flagge war, die jedoch nur zwei Portugiesen an Bord hatte, da der Rest der Mannschaft aus Eingebornen bestand. Er stellte sich als einen Engländer in portugiesischem Dienste vor, der Schiffbruch gelitten, und da er sich erbot, seine Ueberfahrt zu bezahlen, so wurde er sehr bereitwillig aufgenommen. Ein paar Tage nachher stach die Brigg in die See.

Die Reise war glücklich; nach sechs Wochen ankerten sie in der Rhede von Goa und fuhren am nächsten Tage in den Strom ein. Der portugiesische Kapitän deutete Philipp an, wo er Wohnung erhalten könne, und da er für einen der Schiffsmannschaft galt, so wurde seinem Landen keine Schwierigkeit in den Weg gelegt. In seiner neuen Wohnung begann unser Held alsbald Nachforschungen über Aminen anzustellen, indem er sie zuerst blos als eine junge Frau bezeichnete, die vor einigen Wochen in einem Schiffe angelangt sei, konnte aber keine Auskunft über sie erlangen.

»Signor,« sagte der Wirth, »morgen ist das große Auto-da-Fé; wir können nichts thun, bis dieses vorüber ist. Dann will ich sehen, wie ich Euch in Eurem Wunsche an die Hand gehen kann. Inzwischen mögt Ihr Euch die Stadt betrachten; morgen will ich Euch nach einer Stelle bringen, wo Ihr die große Procession mit ansehen könnt – und dann wollen wir versuchen, was wir thun können, um Euch in Euren Nachforschungen Beistand zu leisten.«

Philipp ging aus, besorgte sich andere Kleider, ließ sich den Bart abnehmen und spazierte dann durch die Stadt, nach jedem Fenster aufblickend, um zu sehen, ob er nicht Amine bemerken könnte. An einer Straßenecke glaubte er den Pater Matthias zu erkennen und eilte auf ihn zu; aber der Mönch hatte seine Kapuze über den Kopf gezogen und gab keine Antwort, als ihn unser Held unter dem gedachten Namen anredete.

»Ich habe mich getäuscht,« dachte Philipp; »aber ich glaubte wahrhaftig, er sei es gewesen.«

Und er hatte Recht; es war Pater Matthias, der sich also gegen ein Erkennen von Seite unseres Helden schützte.

Ermattet kehrte er endlich vor Einbruch der Nacht nach seinem Gasthofe zurück. Die Gesellschaft war zahlreich, denn auf viele Meilen weit war Alles nach Goa gekommen, um das Auto-da-Fé mit anzusehen, und Jedermann unterhielt sich über die Ceremonie.

»Ich bin auf diese große Procession begierig,« sagte Philipp zu sich selbst, als er sich auf sein Bett warf. »Es wird für eine Weile meinen Gedanken eine andere Richtung geben, denn Gott weiß, wie schmerzlich sie mir werden. Amine, theure Amine, mögen die Engel dich beschützen!«


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