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»So habe ich ihn also gesehen,« sagte Philipp nach einigen Minuten, während welcher Amine sich über ihn niederbeugte, wieder zur Besinnung kommend. »Ich habe ihn endlich gesehen, Amine. Kannst du jetzt noch zweifelhaft sein?«
»Nein, Philipp; ich zweifle nun nicht mehr,« versetzte Amine traurig; »aber ermuthige dich, Philipp,«
»Für mich bedarf ich keines Muthes – aber für dich, Amine – du weißt, daß diese Erscheinung unausbleiblich Unheil verkündet.«
»Möge es kommen,« entgegnete Amine ruhig; »ich bin lange darauf vorbereitet gewesen, und bei dir ist's der gleiche Fall.«
»Ja, soweit ich dabei betheiligt bin, aber nicht, wenn du darunter leiden sollst.«
»Du hast schon oft Schiffbruch gelitten und bist gerettet worden, warum sollte ich nicht ein Gleiches zu hoffen haben?«
»Aber die Leiden und Entbehrungen?«
»Können denen am wenigsten anhaben, welche den Muth besitzen, sie zu tragen. Ich bin nur ein Weib, schwach und gebrechlich am Körper, aber ich hoffe, es liegt Etwas in mir, dessen sich mein Philipp nicht schämen darf. Nein, du sollst kein Weheklagen, nicht den Jammer der Verzweiflung von Aminen's Lippen vernehmen, sondern sie wird dich trösten und dir beistehen, wie sie kann. Was übrigens auch kommen mag – wenn sie nicht im Stande ist, dir zu dienen, sollst du wenigstens finden, daß sie dir keine Last sein will.«
»Im Unglück wird deine Anwesenheit alle meine Thatkraft lähmen.«
»Nicht doch, sondern im Gegentheil deine Entschlossenheit erhöhen. Möge das Geschick sein Schlimmstes thun.«
»Verlaß dich darauf, Amine, das wird ehestens geschehen.«
»Sei's drum,« versetzte Amine. »Uebrigens würde es gut sein, Philipp, wenn du dich auf dem Decke zeigtest. Die Matrosen sind noch immer erschreckt und deine Abwesenheit wird bemerkt werden.«
»Du hast Recht,« sagte Philipp, indem er sich erhob, sie umarmte und dann die Kajüte verließ.
»Es ist also nur zu wahr,« dachte Amine. »Bereite dich jetzt vor auf Unglück und Tod – denn der Unheilsbote ist schon gekommen. Ich wollte, ich könnte mehr erfahren. O Mutter, Mutter, sieh nieder auf dein Kind und enthülle mir in einem Traume die geheimnißvollen Künste, die ich vergessen habe! Dann könnte ich freilich weitere Kunde einziehen – aber ich habe Philipp versprochen, wenn wir nicht getrennt werden – ja, dieser Gedanke ist schlimmer als der Tod und ich habe eine traurige Vorahnung. Mein Muth sinkt, wenn ich nur daran denke!«
Als Philipp auf dem Verdeck erschien, fand er die Matrosen des Schiffs in großer Bestürzung. Krantz selbst war verwirrt, denn er hatte nicht vergessen, wie die Erscheinung des Geisterschiffes in der Nähe des Hafens der Verödung erschien und die Schiffe in's Verderben lockte. Dieses zweite Auftauchen, das noch unheimlicher war, als das frühere, hatte ihn völlig entmannt; er lehnte in düsterem Schweigen an der Luvwand, als Philipp aus der Kajüte kam.
»Wir werden nie wieder einen Hafen erreichen, Herr,« sagte er zu dem herantretenden Philipp.
»Stille, stille; die Leute könnten Euch hören.«
»Das hat nichts zu sagen – sie sind Alle derselben Meinung,« versetzte Krantz.
»Dann haben sie jedenfalls Unrecht,« versetzte Philipp, sich gegen die Matrosen wendend, »Meine Jungen! daß uns nach dem Erscheinen dieses Schiffes ein Unfall zustoßen mag, ist sehr wahrscheinlich, denn ich habe es schon mehr als einmal gesehen und jedesmal ist etwas Unglückliches eingetroffen; aber hier stehe ich lebendig und wohl – es ist deshalb keine nothwendige Folge, daß wir nicht entkommen können, wie es bei mir schon öfters der Fall war. Wir müssen unser Bestes thun und auf den Himmel bauen. Der Sturm bricht sich schnell und in wenigen Stunden werden wir wieder schönes Wetter haben. Wie gesagt, ich bin diesem Geisterschiff schon öfters begegnet und mache mir nichts daraus, wie oft es mir in den Weg treten mag. Herr Krantz, schafft Branntwein herauf – die Leute haben hart gearbeitet und müssen erschöpft sein.«
Schon die Aussicht auf einen guten Trunk schien die Matrosen wieder zu ermuthigen; sie beeilten sich den Befehlen zu gehorchen, und die Quantität der ausgetheilten Flüssigkeit war hinreichend, auch den Furchtsamsten Muth einzuflößen, die Uebrigen aber zu veranlassen, dem alten Vanderdecken und seiner ganzen Mannschaft von Kobolden Trotz zu bieten. Am andern Morgen war das Wetter schön, die See glatt und der Utrecht setzte rüstig seine Fahrt fort. Viele Tage leichter Brisen und günstiger Winde milderten nachgerade den Schrecken, welchen die übernatürliche Erscheinung veranlaßt hatte, und obgleich man sie nicht ganz vergaß, so sprach man doch nur noch im Scherze oder mit Gleichgültigkeit davon.
Sie waren nun die Malaccastraße hinuntergelaufen und in den polynesischen Archipelagus eingedrungen. Philipp hatte Auftrag, an der kleinen Insel Boton, welche damals im Besitze der Holländer war, zu landen, um daselbst seine Wasservorräthe zu ergänzen und weitere Instruktionen einzuholen. Sie langten wohlbehalten daselbst an, verweilten zwei Tage und nahmen ihre Fahrt wieder auf, in der Absicht, zwischen Galago und Celebes durchzusteuern. Das Wetter war noch immer klar und der Wind leicht; sie setzten ihren Weg vorsichtig fort, da sie sich vor den Rissen der Krümmung, wie auch vor den Piratenschiffen in Acht zu nehmen hatten, welche schon seit Jahrhunderten jene Meere beunruhigten. Ohne Belästigung gelangten sie unter die Inseln im Norden von Galago, wo sie von einer Windstille befallen wurden und das Schiff in der Strömung nach Osten trieb. Die Windstille hielt mehrere Tage an; sie konnten nicht ankern und fanden sich endlich unter der Inselgruppe in der Nähe der Nordküste von Neu-Guinea.
Jetzt warfen sie Anker und beschlugen für die Nacht ihre Segel. Ein dünner Regen machte die Luft dunstig, und auf allen Theilen des Schiffes wurden Wachen ausgestellt, um sich gegen eine Ueberraschung von Seiten der Piraten-Proas zu wahren; denn die Strömung ging mit einer Geschwindigkeit von acht oder neun Meilen in der Stunde an dem Schiff vorbei, und wenn sich eines jener Schiffe in den Inseln barg, konnte es ganz unbemerkt auf sie zuschießen.
Um Mitternacht wurde Philipp, der in seinem Bette lag, durch eine Erschütterung des Schiffes geweckt; er dachte, es könnte eine Proa sein, die an der Seite gestreift hatte, sprang auf und eilte zur Kajüte hinaus. Auf dem Decke fand er Krantz, der durch dieselbe Ursache geweckt worden und unangekleidet heraufgekommen war – aber jetzt folgte ein zweiter Stoß und das Schiff legte sich nach dem Backbord um. Philipp erkannte daraus, daß der Utrecht an den Strand gelaufen war.
Die pechfinstere Nacht hinderte ihn, seine Umgebung zu unterscheiden; als jedoch das Loth ausgeworfen wurde, zeigte sich's, daß der Utrecht an der Küste auf einer Sandbank lag und an der tiefsten Stelle nicht mehr als vierzehn Fuß Wasser hatte; dabei war er seitwärts gestürzt, und eine starke Strömung drängte ihn immer weiter an der Bank hinauf, denn erstere lief mit der Gewalt eines Mühlwassers und fegte das Schiff mit jeder Minute auf seichteren Grund. Eine weitere Untersuchung zeigte, daß der Utrecht seinen Anker geschleppt hatte, dessen Kabel noch immer straff von dem Steuerbordbug niederlief, obschon das Schiff demungeachtet immer weiter an der Bank hinaufgefegt wurde. Man glaubte, der Anker sei am Schafte gebrochen und warf deshalb einen andern aus.
Indeß ließ sich bis zum Anbruch des Tages nichts Weiteres thun, und die Mannschaft erwartete mit Ungeduld den andern Morgen. Als die Sonne aufging, zertheilte sich auch der Nebel, und sie entdeckten, daß sie an der Küste auf einer Sandbank lagen, die zum Theil über das Wasser hervorstand und von einer ungestümen Strömung umflossen wurde. In der Entfernung von ungefähr drei Meilen befand sich eine kleine Inselgruppe, die mit Cocosbäumen bewachsen, aber dem Anscheine nach nicht bewohnt war.
»Ich fürchte, wir haben wenig Aussicht,« bemerkte Krantz gegen Philipp. »Wenn wir auch das Schiff leichter machen, wird der Anker nicht halten; wir werden weiter hinaufgefegt und es ist unmöglich, gegen die Gewalt der Strömung einen Anker auszulegen.«
»Jedenfalls müssen wir's versuchen, obschon ich zugestehe, daß unsere Lage nichts weniger als beruhigend ist. Schickt alle Mannschaft nach hinten.«
Die Matrosen erschienen düster und muthlos auf dem Hinterschiffe.
»Meine Jungen,« begann Philipp, »warum seid ihr so niedergeschlagen?«
»Es ist um uns geschehen; wir wußten wohl, daß es so kommen würde.«
»Ich hielt es selbst für wahrscheinlich, daß das Schiff verloren gehen würde, und sagte Euch dieß; aber der Verlust des Schiffs hat nicht nothwendig auch den der Mannschaft zur Folge – ja, es ist noch nicht einmal gewiß, ob nicht auch das Schiff noch gerettet werden kann, obgleich es sich gegenwärtig in einer bedenklichen Lage befindet. Was haben wir auch zu fürchten, ihr Leute? Das Wasser ist glatt, und wir haben noch hinreichend Zeit für uns. Wir können einen Floß bauen und zu den Booten unsere Zuflucht nehmen – es windet nie unter diesen Inseln, und wir haben Land dicht unter unserem Lee. Laßt uns zuerst versuchen, was wir mit dem Schiff anzufangen vermögen; können wir dies nicht retten, so ist es immer noch Zeit, für uns selbst zu sorgen,«
Den Matrosen leuchtete dies ein, und sie gingen bereitwillig an die Arbeit. Die Wasserfässer wurden losgemacht, die Pumpen in Bewegung gesetzt und Alles, was man entbehren konnte, über Bord geworfen, um das Schiff zu erleichtern; aber noch immer schleppte der Anker unter der Gewalt der Strömung und in dem schlimmen Haltegrund. Philipp und Krantz bemerkten, daß sie immer weiter an der Bank hinaufgefegt wurden.
Die Matrosen arbeiteten bis in die Nacht hinein, und nun brach eine frische Brise auf, unter der die See anschwoll. Die Wellen schlugen das Schiff gegen den harten Sand, und so ging es fort bis zum nächsten Morgen. Mit Tagesanbruch nahm die Mannschaft ihre Beschäftigung wieder auf; die Pumpen wurden auf's Neue in Bewegung gesetzt, um das eingedrungene Wasser fortzuschaffen, aber nach einiger Zeit kam Sand mit herauf. Hieraus entnahmen sie, daß eine Planke zertrümmert und ihre Bemühung vergeblich war. Die Matrosen verließen daher ihre Arbeit, aber Philipp ermuthigte sie abermals und machte sie darauf aufmerksam, daß sie sich leicht retten könnten, wenn sie jetzt einen Floß bauten, der nicht nur ihren Mundvorrath, sondern auch denjenigen Theil der Mannschaft, welche in den Booten nicht Platz fänden, aufnehmen könnte.
Nach einer kurzen Ruhe setzten sich die Leute wieder in Thätigkeit. Die Topsegel wurden gestrichen, die Raaen niedergelassen, und die Zusammensetzung des Floßes unter dem Lee des Schiffes, wo die starke Strömung gedämmt war, begonnen. Philipp, der sich des früheren Unglücks erinnerte, gab sich alle Mühe, den Floß recht fest zu machen, und construirte ihn aus zwei Theilen, die leicht auseinandergingen, denn da das Wasser und der Mundvorrath ziemlich auf die Neige gegangen waren, schien kein Grund vorhanden zu sein, eine so schwere Masse nachzuschleppen, und die Boote hatten weniger zu tauen, sobald die Umstände sie in die Lage setzten, sich von der einen Hälfte zu trennen.
Die Nacht machte den Anstrengungen der Matrosen abermals ein Ende; sie begaben sich zur Ruhe, während das Wetter fortwährend schön und der Wind leicht blieb. Am andern Mittag war der Floß fertig. Man staute Wasser und Mundvorrath hinüber, bereitete im Mittelpunkt der einen Abtheilung ein trockenes Plätzchen für Amine und nahm sämmtliches Tau- und Segelwerk, kurz Alles mit, was im Falle eines Laufens an die Küste nützlich werden konnte. Auch Musketen und Munition wurden an Bord genommen; als Alles bereit war, kamen die Matrosen aufs Hinterschiff, um Philipp darauf aufmerksam zu machen, daß noch viel Geld vorhanden sei und es eine Thorheit wäre, dieses zurückzulassen; es sei daher ihr Wunsch, so viel davon mit sich zu nehmen, als sie zu tragen vermöchten. Da diese Andeutung in einer Weise gegeben wurde, welche keine Weigerung zuließ, so fügte sich Philipp darein, obschon er sich vornahm, an dem nächsten besten Orte, wo er sein Ansehen geltend machen konnte, das Eigenthum der Compagnie wieder zurückzufordern. Während Philipp für Amine die nöthigen Vorbereitungen traf, begaben sich die Matrosen in den Raum hinunter, schafften die Dollarfässer heraus, erbrachen sie und füllten ihre Taschen, was allerdings nicht ohne Händel abging. Als endlich Jeder so viel an sich genommen hatte, als er tragen konnte, brachten sie die Beute mit ihrem übrigen Gepäcke nach dem Floße oder den betreffenden Booten. Alles war jetzt bereit – Amine wurde niedergelassen und begab sich nach ihrem Platze – die Boote nahmen das Floß, das von dem Schiffe losgemacht wurde, in's Schlepptau, und nun ging's in der Strömung dahin, die Matrosen aus aller Kraft rudernd, um ein Stranden an jenem Theile der Sandbank zu vermeiden, der über das Wasser hervorsah. Dies war die größte Gefahr, die sie zu bestehen hatten und der sie nur mit knapper Noth entrannen.
Sie zählten im Ganzen sechsundachtzig Köpfe: in den Booten waren zweiunddreißig, die Uebrigen befanden sich auf dem Floße, der gut gebaut und jetzt, da die See glatt war, hoch aus dem Wasser hervorstand. Philipp und Krantz hatten unter sich ausgemacht, daß Einer von ihnen auf dem Floß, der Andere in einem Boote bleiben sollte. Beide befanden sich jedoch auf dem ersteren, als derselbe von dem Schiffe abstieß, da sie aus der Richtung der Strömung entnehmen wollten, welchen Curs sie wohl am besten verfolgen könnten. Sie fanden, daß die Strömung, sobald sie die Bank verlassen hatte, sich gegen Süden nach Neu-Guinea wandte, und überlegten nun, ob es nicht räthlich wäre, an gedachter Insel zu landen, deren Einwohner zwar als tückisch, zugleich aber auch als feige bekannt waren. Dies führte zu einer langen Debatte, welche darauf hinauslief, daß sie vorderhand noch zuwarten und sich auf die Umstände verlassen wollten. Inzwischen ruderten die Boote westwärts, während die Strömung sie bald in eine südliche Richtung brachte.
Mit dem Einbruch der Nacht ließen die Boote die kleinen Anker, mit welchen sie sich vorgesehen hatten, fallen, und Philipp freute sich, als er fand, daß die Strömung nicht mehr so stark war, und die Anker sowohl Boote als Floß festhielten. Die Matrosen bedeckten sich mit den Segeln, die sie mitgenommen hatten, stellten eine Wache aus und versanken nach der Ermüdung des Tages bald in einen tiefen Schlaf.
»Wäre es nicht besser, wenn ich in einem der Boote bliebe?« bemerkte Krantz. »Der Fall wäre denkbar, daß uns die Bursche, um sich selbst zu retten, im Stiche ließen.«
»Ich habe bereits daran gedacht,« versetzte Philipp, »und deßhalb weder Mundvorrath noch Wasser in die Boote schaffen lassen. Schon aus diesem Grunde werden sie uns nicht verlassen.«
»Richtig, ich habe dies vergessen.«
Krantz blieb auf der Wache und Philipp zog sich zur Ruhe zurück, der er so sehr bedurfte. Amine empfing ihn mit offenen Armen. »Ich fürchte mich nicht, Philipp,« sagte sie, »sondern finde sogar ein Wohlgefallen an diesem wilden, abenteuerlichen Wechsel. Wir gehen an's Land, bauen uns unter den Cocosbäumen unsere Hütte, und es wird mir leid thun, wenn der Tag kommt, der uns Hülfe bringt und uns von unserer einsamen Insel erlöst. Was könnte ich außer dir noch wünschen?«
»Wir sind in den Händen des Allmächtigen, meine Liebe, der mit uns verfahren wird nach seinem Wohlgefallen. Wir dürfen dankbar sein, daß es nicht noch schlimmer ist. Doch jetzt zur Ruhe,« fügte Philipp bei, »denn die Wache wird bald an mich kommen.«
Die Sonne erhob sich an einem schönen blauen Himmel und über einer glatten See. Der Floß war in's Lee der obengenannten unbewohnten Inselgruppe getragen worden und durfte jetzt nicht mehr hoffen, sie wieder zu erreichen; aber am westlichen Horizonte zeigten sich die zackigen Wipfel und Stämme von Cocosnußbäumen, und in diese Richtung sollte der Floß getaut werden. Nach dem Frühstücke griffen die Matrosen wieder zu ihren Rudern, entdeckten aber jetzt eine wohlbemannte Proa, die ihnen von einer der Inseln im Winde nachsegelte. Daß das Schiff ein Seeräuber war, unterlag keinem Zweifel; aber Philipp und Krantz waren der Ansicht, sie seien kräftig genug, ihn zurückzuschlagen, wenn er einen Angriff wagen sollte. Dies wurde auch den Matrosen bedeutet, an welche man sofort Waffen vertheilte und zugleich den Befehl erließ, die Ruder niederzulegen und die Ankunft des Schiffes zu erwarten, damit die Mannschaft nicht vor einem möglichen Kampfe sich allzusehr erschöpfe.
Sobald der Pirat in Schußweite kam und seine Gegner recognoscirt hatte, stellte er sein Steuer und begann aus einer Kanone, welche auf dem Buge stand, zu feuern. Die Kartätschen verwundeten mehrere von Philipps Mannschaft, obgleich unser Held Befehl ertheilt hatte, daß sich Alles auf dem Floß und in den Booten flach niederlegen sollte. Der Pirat kam näher und sein Feuer wurde immer verderblicher, ohne daß die Mannschaft des Utrecht Gelegenheit erhielt, dasselbe zu erwidern. Endlich wurde als der einzige Ausweg des Entkommens der Vorschlag gemacht, daß die Boote den Seeräuber angreifen sollten. Philipp gab seine Zustimmung, schickte noch mehr Leute in die Boote, und Krantz übernahm das Commando, während das Floß losgemacht wurde. Kaum war jedoch dieß geschehen, als die Boote wie auf einen Gedanken umwandten und in die entgegengesetzte Richtung ruderten. Philipp hörte noch Krantz's Stimme und sah, wie sein Schwert durch die Luft blitzte – einen Augenblick später stürzte der treue Mate in die See und schwamm dem Floße zu. Es schien, daß die Leute in den Booten, um ihr Geld zu retten, unter sich eins geworden waren, davon zu rudern und den Floß seinem Schicksal zu überlassen; nur in dieser Absicht hatten sie den Vorschlag gethan, den Seeräuber anzugreifen, und sobald sie ihrer Bürde ledig waren, setzten sie ihren Plan in Vollzug. Vergeblich machte ihnen Krantz Vorstellungen und drohte ihnen sogar. Sie wollten ihn ermorden, und als er fand, daß seine Bemühungen doch nichts nützten, sprang er über Bord.
»Dann sind wir verloren, fürchte ich,« sagte Philipp: »unsere Anzahl ist so sehr gemindert, daß wir nicht hoffen dürfen, uns lange zu halten. Was meint Ihr von der Sache, Schriften?« wagte Philipp gegen den Piloten beizufügen, der in der Nähe stand.
»Verloren – aber nicht durch die Seeräuber – von dieser Seite her geschieht uns nichts. Hi! hi!«
Die Bemerkung Schriftens war richtig. Die Seeräuber wähnten, die Leute, welche zu den Booten ihre Zuflucht nahmen, hätten alles Werthvolle mit sich geführt, und jagten daher diesen nach, statt auf den Floß Feuer zu geben. Die Proa setzte ihre breiten Ruder aus, und flog wie ein Seevogel über die glatte Wasserfläche, kam an dem Floße vorbei und gewann anfangs augenscheinlich viel Raum; bald aber erschlaffte sie in ihrer Eile und gegen Abend verschwand das Piratenschiff sammt den Booten im Süden, während die dazwischen liegende Entfernung ungefähr dieselbe sein mochte, wie bei dem Beginne der Jagd. Der Floß war nun ganz dem Wind und den Wellen preisgegeben. Philipp und Krantz sammelten den Zimmermannswerkzeug, der von dem Schiffe mitgenommen war, lasen zwei Spieren des Floßes aus und trafen alle Vorbereitungen, um am andern Morgen einen Mast aufzurichten und Segel zu setzen. Mit dem Grauen des Morgens sahen sie, wie die Boote, denen der Pirat dicht nachfolgte, wieder nach dem Floße zurückruderten. Ihre Mannschaft hatte sich die ganze Nacht durch auf's Aeußerste angestrengt und war nun völlig erschöpft. Wahrscheinlich hatten sie eine Berathung abgehalten und waren eins geworden, eine Wendung zu machen und nach dem Floße zurückzukehren, da sie dort sich vertheidigen und obendrein Mundvorrath nebst Wasser finden konnten – Bedürfnisse, an denen es ihnen seit ihrem Ausreißen gänzlich gemangelt hatte. Der Himmel hatte jedoch etwas Anderes über sie beschlossen, denn die Matrosen sanken allmälig erschöpft von ihren Rudern in die Boote zurück, und das Piratenschiff folgte ihnen mit erneuertem Eifer. Die Boote wurden nach einander genommen und lieferten den Seeräubern eine reichere Beute, als sie erwartet hatten; auch braucht kaum bemerkt zu werden, daß sämmtliche Mannschaft erschlagen wurde. Alles dies fand etwa drei Meilen von dem Floße statt und Philipp erwartete, die nächste Bewegung des Piraten werde ihnen gelten; aber er war im Irrthum. Zufrieden mit ihrem Raube, ruderten die Seeräuber, die auf dem Floße nichts mehr zu finden hofften, ostwärts nach den Inseln, von denen sie hergekommen waren. So ereilte wohlverdiente Strafe diejenigen, welche in der Hoffnung, zu entkommen, ihre Begleiter verlassen hatten, während die Bemannung des Floßes, welche von dieser Desertion das Schlimmste erwartete, dadurch gerettet wurde.
Auf dem Floße befanden sich ungefähr fünfundvierzig Köpfe – Philipp, Krantz, Schriften, Amine, die zwei Maten, sechszehn Matrosen und vierundzwanzig Soldaten, die zu Amsterdam eingeschifft worden waren. Mundvorrath war für drei oder vier Wochen zur Genüge vorhanden, obschon es mit dem Wasser sehr knapp herging, da dasselbe bei gewöhnlichen Rationen kaum mehr als drei Tage ausreichen konnte. Sobald der Mast aufgerichtet und trotz dem fast fehlenden Winde die Segel gesetzt waren, bedeutete Philipp der Mannschaft die Nothwendigkeit, die Wasserrationen zu vermindern, und es wurde ausgemacht, daß nicht weiter als eine halbe Pinte für den Tag ausgetheilt werden sollte, damit der Vorrath auf zwölf Tage ausreiche.
Da der Floß aus zwei Theilen bestand, so wurde jetzt debattirt, ob es nicht besser sein würde, den kleineren den Wellen zu überlassen und sämmtliches Volk auf den andern zu schaffen. Dieser Vorschlag wurde jedoch überstimmt, da einmal trotz der Flucht der Boote die Anzahl auf dem Floße nicht vermindert worden war und außerdem das extemporirte Fahrzeug unter Segeln viel besser steuerte, wenn es länger war, als wenn es seinen Umfang verkürzte und seinen Gehalt in eine quadratartige Masse schwimmenden Holzes umwandelte. Drei Tage herrschte Windstille. Die Sonne schoß ihre glühenden Strahlen nieder, und der Mangel an Wasser wurde schmerzlich gefühlt. Diejenigen, welche in dem Branntwein Ersatz suchten, litten am meisten.
Am vierten Tage sprang eine günstige Brise auf und das Segel füllte sich. Der Wind kühlte ihre glühenden Stirnen und versengten Rucken; da außerdem der Floß mit einer Geschwindigkeit von vier Meilen in der Stunde vorwärts kam, so wurden die Leute wieder heiter und hoffnungsvoll. Das Land unter den Cocosnußbäumen ließ sich jetzt deutlicher unterscheiden, und sie hofften am nächsten Tage das Ufer zu erreichen, wo sie sich das heiß ersehnte Wasser verschaffen konnten. Sie führten die ganze Nacht über Segel, entdeckten aber am nächsten Morgen, daß sie eine starke Gegenströmung hatten und dadurch den Vortheil der steifen Brise wieder verloren; gegen Abend wandelte sich letzte in völlige Windstille um. So blieb es noch vier weitere Tage. Jeden Mittag befanden sie sich nicht zehn Meilen von dem Lande, aber am nächsten Morgen waren sie wieder zurückgefegt und mußten auf's Neue ihren Grund gewinnen.
Acht Tage waren jetzt entschwunden, und die Mannschaft, die fortwährend der glühenden Sonne ausgesetzt war, wurde jetzt unzufrieden und meuterisch. Das einemal wollten sie haben, daß der Floß getheilt werden solle, damit sie mit der andern Hälfte das Land erreichen könnten, während sie ein andermal wieder verlangten, man solle den Mundvorrath, den sie nicht mehr essen könnten, über Bord werfen, um das Fahrzeug zu erleichtern. Eine weitere Schwierigkeit lag in dem Umstand, daß sie keinen Anker besaßen, da die Boote alle derartigen Geräthe an sich genommen hatten. Philipp machte nun den Matrosen den Vorschlag, daß Jeder seine vielen Dollars in einen besondern Beutel nähe, die man dann an dem Taue befestigen könne; dieses Gewicht werde sie wahrscheinlich in den Stand setzen, den Floß eine einzige Nacht gegen die Gewalt der Strömung zu sichern, und sie könnten dann am andern Tage das Ufer erreichen. Davon wollten sie jedoch nichts wissen, denn Niemand mochte sein Geld auf's Spiel setzen. Nein, nein – die Thoren, sie wollten lieber den allerelendesten Tod sterben. Philipp und Krantz wiederholten diesen Vorschlag zu öfterenmalen, aber stets mit gleich ungünstigem Erfolge.
Diese ganze Zeit über verlor Amine ihren Muth nicht und bewies ihrem Gatten, daß sie im Unglück eben so gut zu rathen als zu trösten wisse.
»Zage nicht, Philipp,« konnte sie sagen; »wir werden doch noch unsere Hütte unter dem Schatten jener Cocosnußbäume bauen und dort einen Theil, wo nicht den Rest unsres Lebens in Frieden hinbringen; denn wer wird auch daran denken, uns in diesen öden und unbetretenen Gegenden aufzusuchen?«
Schriften verhielt sich ruhig und gut, sprach viel mit Aminen, mochte sich aber sonst mit Niemand einlassen. Ueberhaupt schien er Aminen geneigter zu sein, als je zuvor. Er wachte über sie und sorgte für ihre Bequemlichkeit; auch bemerkte Amine oft, wenn sie nach Beendigung einer Rede zu ihm aufblickte, daß sein Gesicht einen Ausdruck von Mitleid und Schwermuth trug, dessen sie ihn nie für fähig gehalten hätte.
Abermals entschwand ein Tag. Sie näherten sich wieder dem Lande – aber die Brise starb dahin, und sie wurden auf's Neue durch die Strömung zurückgetrieben. Nun erhob sich die Mannschaft und rollte, trotz der Vorstellungen ihres Kapitäns und des ersten Maten, alle Mund- und andere Vorräthe in die See, ein einziges Branntweinfaß und den Rest des Wassers ausgenommen. Dann setzten sie sich in eifriger Berathung an das obere Ende des Floßes und schauten mit düsteren, drohenden Blicken umher.
Die Nacht brach ein und Philipp fühlte sich schwer beängstigt. Abermals drang er in sie, ihr Geld als Anker benützen zu lassen, aber vergeblich. Sie hießen ihn sich entfernen, und er kehrte nach dem hintern Theile des Floßes zurück, wo Aminens Lager bereitet war. In tiefen wehmüthigen Gedanken beugte er sich über sie, denn er glaubte, sie schlafe.
»Was beunruhigt dich, Philipp?«
»Was mich beunruhigt? Ach, der Geiz und die Thorheit dieser Leute. Sie wollen lieber sterben, als dieses abscheuliche Geld auf's Spiel setzen. Sie haben Mittel, sich und uns zu retten, und wollen sie nicht in Anwendung bringen. Es ist genug Metalllast auf dem Vordertheile des Floßes, um ein Dutzend solcher schwimmender Massen festzuhalten, und doch mögen sie das Geld nicht wagen. Verwünschte Liebe zum Golde! Sie macht die Menschen zu Narren, Wahnsinnigen und Schurken. Selbst bei blos tropfenweiser Vertheilung haben wir nur noch auf zwei Tage Wasser. Betrachte ihre ausgemergelten, abgezehrten Gestalten und sieh, wie sie dennoch am Gelde haften, das sie wahrscheinlich nie brauchen können, selbst wenn sie das Land erreichen. Man möchte wahnsinnig werden!«
»Du leidest, Philipp, weil du dir selbst Alles versagst; aber ich bin vorsichtig gewesen, weil ich mir wohl dachte, daß es so kommen würde, und habe sowohl Wasser als Zwieback aufgespart. Hier sind vier Flaschen – trink, Philipp, es wird dich erleichtern.«
Philipp trank und fand auch wirklich Erleichterung, denn die Aufregung des Tages hatte schwer auf ihm gelastet.
»Dank, Amine, Dank, meine Theuerste! ich fühle mich jetzt besser. Gütiger Himmel! daß es nur auch solche Thoren geben kann, die in einer Zeit des Leidens und der Entbehrung, wie die unsrige ist, schnödes Metall höher anschlagen, als einen einzigen Tropfen Wasser!«
Die Nacht trat wieder ein. Die Sterne funkelten hell an dem mondlosen Himmel, und Philipp hatte sich um Mitternacht erhoben, um Krantz im Steuern des Floßes abzulösen. Gewöhnlich hatten die Matrosen auf allen Theilen des Floßes herumgelegen; in dieser Nacht war jedoch die Mehrzahl derselben auf der vordern Hälfte geblieben. Philipp erging sich eben in bitteren Gedanken, als er vorn ein Handgemeng und Krantz's Stimme vernahm, der laut um Hilfe rief. Er verließ das Steuer und eilte mit gezogenem Säbel vorwärts, wo er Krantz auf dem Boden liegend fand, während die Matrosen ihn festhielten. Unser Held brach sich mit dem Säbel Bahn, wurde aber endlich gleichfalls ergriffen und entwaffnet.
»Haut ab – haut ab,« riefen diejenigen, welche ihn festhielten, und nach einigen Sekunden mußte Philipp den Jammer erleben, daß der hintere Theil des Floßes, auf welchem sich Amine befand, getrennt von dem vorderen, auf den Wellen dahintriftete.
»Um aller Barmherzigkeit willen, mein Weib – meine Amine – um des Himmels willen rettet sie!« rief Philipp, der sich vergeblich loszukämpfen bemüht war.
Auch Amine war an den Rand des losgetrennten Floßes geeilt und breitete ihre Arme nach dem Gatten aus – umsonst – sie waren schon mehr als eine Kabellänge getrennt. Philipp rang noch einmal in verzweifeltem Kampfe und brach dann sinn- und bewegungslos zusammen.