Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Amine kehrte eines Nachmittages von einem Spaziergang durch die Straßen zurück; sie hatte in verschiedenen Läden des Bazars einige Einkäufe gemacht und brachte nun das Erstandene unter ihrer Mantille mit.

»Dem Himmel sei Dank, da bin ich endlich allein und unbewacht,« dachte Amine, als sie sich auf das Kanapee niederwarf – »Philipp, Philipp, wo bist du? Ich habe jetzt die Mittel und werde es bald erfahren.«

Der kleine Pedro, der Sohn der Wittwe trat in das Gemach, eilte auf Amine zu und küßte sie.

»Sage mir Pedro, wo ist deine Mutter?«

»Sie ist diesen Abend ausgegangen, um einige Freundinnen zu besuchen. Wir sind allein; ich will bei dir bleiben.«

»Recht so, mein Lieber. Sage mir, Pedro, kannst du ein Geheimniß bewahren?«

»Ja, ich will's – sage es mir.«

»Nein, ich habe dir nichts zu sagen, sondern wünsche nur, daß du etwas thust. Ich habe ein Spiel im Sinne, und du sollst Dinge in deiner Hand sehen.«

»O ja, zeige mir's, zeige mir's!«

»Wenn du mir versprichst, nichts davon auszuplaudern.«

»Nein, bei der heiligen Jungfrau, ich will nicht.«

»Dann sollst du's sehen.«

Amine zündete einige Holzkohlen in einem Becken an und setzte es zu ihren Füßen. Sie nahm dann eine Rohrfeder, etwas Dinte aus einer kleinen Flasche und eine Scheere, worauf sie mehrere Zeichen auf ein Stückchen Papier schrieb und dabei Worte sang, die ihr junger Gefährte nicht verstehen konnte. Dann warf sie Weihrauch und Koriandersamen in das Kohlenbecken, die einen starken aromatischen Rauch verbreiteten, hieß Pedro auf einen kleinen Schemel neben sich setzen und ergriff die rechte Hund des Knaben. In die innere Fläche desselben zeichnete sie eine viereckige Figur mit Charakteren an jeder Seite und goß in die Mitte ein wenig Dinte, welche einen schwarzen Spiegel von dem Umfange einer halben Krone bildete.

»Jetzt ist Alles fertig,« sagte Amine. »Gib Acht, Pedro; was siehst du in der Dinte?«

»Mein eigenes Gesicht,« versetzte der Knabe.

Sie warf noch mehr Weihrauch in das Becken, bis das Zimmer mit dichten Wolken erfüllt war, und sang wieder:

»Turschun, Tureio-schun – komm herab, komm herab!

»Erscheint, ihr Diener dieser Namen.

»Entfernt den Schleier und gebt richtige Kunde.«

Sie hatte die Zeichen auf dem Papier mit der Scheere zerschnitten, nahm jetzt eines der Stücke und warf es auf das Kohlenbecken, während sie die Hand des Knaben noch immer festhielt.

»Sage mir jetzt, Pedro, was du siehst?«

»Ich sehe einen Mann vorbeiziehen,« versetzte Pedro unruhig.

»Fürchte dich nicht, Pedro, du sollst noch mehr sehen. Ist er vorüber gegangen?«

»Ja.«

Und Amine flüsterte einige unverständliche Worte, warf die andere Hälfte des Papiers, auf welches sie die Charaktere gezeichnet hatte, auf das Kohlenbecken und fuhr gegen den Knaben fort:

»Sprich mir jetzt nach und sage: Philipp Vanderdecken erscheine!«

»Philipp Vanderdecken erscheine!« entgegnete der Knabe zitternd.

»Sage mir, was du siehst, Pedro – aber sage mir die Wahrheit,« sprach Amine ängstlich.

»Ich sehe einen Mann, der auf dem weißen Sande liegt. Dieses Spiel gefällt mir nicht.«

»Sei nicht unruhig, Pedro; du sollst sogleich Konfekt bekommen. Sage mir, was du siehst – wie ist der Mann gekleidet?«

»Er hat einen kurzen Rock – er hat weiße Hosen – er blickt umher – er nimmt etwas aus seiner Brust und küßt es.«

»Er ist's! er ist's! und er lebt! Himmel, ich danke dir. Sieh wieder hin Knabe.«

»Er steht auf – ich mag dieses Spiel nicht. Ich fürchte mich – ja wahrhaftig.«

»Du brauchst dich nicht zu fürchten.«

»O ja, ich bin – ich kann nicht,« versetzte Pedro, auf seine Knie niederfallend, »bitte, laß mich gehen.«

Pedro hatte seine Hand gedreht und die Dinte verspritzt. Der Zauber war gebrochen und Amine konnte nichts mehr erfahren. Sie suchte den Knaben durch Geschenke zu beruhigen, nahm ihm nochmals das Versprechen ab, daß er nichts ausplaudere, und verschob ihre weiteren Fragen an das Schicksal auf eine Zeit, wenn der Knabe sich von seinem Schrecken erholt haben und bereit sein würde, das Spiel wieder aufzunehmen.

»Mein Philipp lebt! Mutter – theure Mutter, ich danke dir.«

Amine ließ Pedro nicht eher aus dem Zimmer, bis er sich von seinem Schrecken ganz erholt zu haben schien. Sie schwieg einige Tage über den ganzen Vorgang, indem sie ihn nur an sein Versprechen erinnerte, der Mutter oder sonst Jemand nichts zu sagen und überhäufte ihn mit Geschenken.

Eines Nachmittags, als die Hausbesitzerin ausgegangen war, kam Pedro herein und fragte Amine, ob sie nicht das Spiel wieder vornehmen wollten.

Amine, welche begierig war, mehr zu erfahren, freute sich über das Ansinnen des Knaben und hatte bald Alles vorbereitet. Wieder füllte sich ihr Gemach mit Weihrauchwolken – abermals murmelte sie ihre Zauberformeln; der Zauberspiegel war auf der Hand des Knaben und auf's Neue rief Pedro: »Philipp Vanderdecken, erscheine!« als die Thüre aufflog und Pater Matthias nebst der Wittwe und mehreren anderen Personen hereinstürzten. Amine fuhr auf – Pedro schrie und eilte auf seine Mutter zu.

»Ich täuschte mich also nicht über das, was ich in der Hütte zu Terneuse sah,« sagte Pater Matthias, mit Blicken der Entrüstung seine Arme über die Brust kreuzend. »Fluchwürdige Zauberin, du bist entdeckt!«

Amine erwiderte seinen Blick mit Verachtung und entgegnete ruhig:

»Ihr wißt, ich gehöre nicht Eurem Glauben an. Das Lauschen scheint ein Theil Eurer Religion zu sein. Dies ist mein Gemach – es ist nicht das erstemal, daß ich Euch auffordere, es zu verlassen – ich thue es jetzt abermals – gegen Euch – und gegen diejenigen, die mit Euch gekommen sind.«

»Nehmt zuerst alle diese Zaubergeräthe fort,« sagte Pater Matthias zu seinen Begleitern.

Das Kohlenbecken und die andern Gegenstände, welche Amine benutzt hatte, wurden weggeschafft, worauf Pater Matthias mit seinen Begleitern das Gemach verließ und Amine allein zurück blieb.

Amine hatte eine Vorahnung, daß sie verloren sei. Sie wußte, daß Zauberei in den katholischen Ländern als das höchste Verbrechen galt, und war jetzt auf der That ertappt worden.

»Wohlan,« dachte sie; »es ist meine Bestimmung! so will ich denn muthig dem Schlimmsten entgegensehen.«

Um das Erscheinen des Pater Matthias und der übrigen Zeugen zu erklären, muß bemerkt werden, daß der kleine Pedro schon den Tag nach Aminens erstem Versuche sein Versprechen vergessen und seiner Mutter Alles, was vorgefallen war, erzählt hatte. Die Wittwe, erschrocken über die Aussage des Knaben, hielt sich für verpflichtet, zu dem Pater Matthias zu gehen und ihm den Bericht ihres Sohnes zu vertrauen, da sich's hier, wie sie meinte, um Zauberei handelte. Pater Matthias nahm Pedro streng in's Verhör, gewann die gleiche Ueberzeugung und beschloß, Aminen durch Zeugen zu überführen. Er machte daher den Vorschlag, der Knabe solle sich zu einem zweiten Versuche anheischig machen, belehrte ihn über seine Rolle und traf alle Voranstalten, um über Aminen in der beschriebenen Weise hereinzubrechen.

Eine halbe Stunde, nachdem sich der Priester entfernt hatte, traten zwei schwarzgekleidete Mönche in Aminens Gemach und forderten sie auf, ihnen zu folgen, da im Weigerungsfalle Gewalt angewendet würde. Amine leistete keinen Widerstand. Sie ging mit den Mönchen über den Platz – das Thor eines großen Gebäudes that sich auf – und sie wurde aufgefordert, hineinzutreten. Einige Augenblicke später befand sie sich in einem Kerker der Inquisition.


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