Eugenie Marlitt
Im Schillingshof
Eugenie Marlitt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

40.

Die ehemalige Fürstlich Trebrasche Villa lag der Stadt ziemlich nahe. Eine sehr belebte Landstraße mit nebenher laufendem schönen Promenadeweg durchschnitt den einen weit hingestreckten Zipfel des Parkes – es herrschte da steter Verkehr. Tiefer hinein wurde es stiller und stiller; man hörte die scheuen Goldfasane durch das Dickicht huschen, Rehe ästen arglos auf den Lichtungen, die Schatten der dichtgescharten, laubschwellenden Waldwipfel wurden so tief, daß eine feuchte Kühle über die Wege wehte – ein wahrer Lebensodem für die riesigen Farne, das wuchernde Immergrün und Efeugewirr, das ohne die emsig wehrende Menschenhand binnen kurzem auch die schmalen Waldpfade übersponnen haben würde. – Man mußte ziemlich lange den Schlangenwindungen dieser Pfade nachgehen, ehe man die Menschennähe wieder spürte. Da und dort schob sich wohl ein kleines Schutzhaus aus Baumrinde zwischen die Eichen- und Buchenäste, und Steinsitze blinkten durch das grüne Dämmern; aber in dem falben Sonnenschein, der neben dem die Laubwucht auseinander drängenden Dach des Schutzhauses hereinschlüpfen durfte, haschten nur schillernde Eidechsen, und auf den Steinbänken rastete kaum ein täppisch hüpfender junger Vogel, der seinen ersten Flugversuch aus dem heimischen Brutnest gemacht hatte. Dann aber sah man plötzlich durch auseinander fließendes Grün helle Steinprofile und plastisch gehobene Arme in die blauen Lüfte hineinragen; sie stiegen bergauf und winkten verkleinert und halbverloren aus dunklem Gebüsch von der Höhe herab, wo allmählich einzelne Säulen hervortraten, weiße, blendende Marmorsäulen, eine nach der anderen erstehend, bis sie, ebenmäßig aneinandergereiht, plötzlich wie die funkelnden Saiten einer Riesenharfe, von Sonnengold durchspielt, hoch über dem Waldgründunkel zu schweben schienen – das war der Säulengang des kleinen Schlosses, von dem Mercedes gesagt hatte, daß es dem niedergebrannten Vaterhaus in der südlichen Heimat gleiche.

Drüben, jenseits des Meeres, lag die Marmorpracht in rauchgeschwärzten Trümmern unter hochaufschießendem Gestrüpp und einem Netz von Lianen, die sich von den nahen Waldbäumen herübergeschaukelt und mit gierigen Armen nach dem gestürzten Menschenwerk gegriffen hatten. Hier war es auch, als kröchen Millionen grüngefiederter Netzfäden empor, um das weißschimmernde Haus zu umstricken, zu bewältigen; allein nicht ein biegsamer Ausläufer dieser Rank- und Kletterrosenmassen durfte weiter vorrücken, als Menschenwille gebot. Sie schlangen sich um das Terrassengemäuer, um sein Bronzegeländer, das goldschimmernde Drahtgeflecht hier und da freilassend – es sah aus, als stürze da eine schneeweiße, dort eine rosenfarbene Kaskade von Stufe zu Stufe. Um die Mauerecken, die Säulensockel, die Postamente der Steinbilder schlüpfte das grüne, von tausend und aber tausend buntfarbiger Blüten durchstickte Gespinst, und so stand das kleine Schloß droben wie eine Schöne, die den buntgeflammten Mantel halb von den blendenden Gliedern fallen läßt.

Früher war die Villa auch oft das Ziel der aus dem Walddunkel herüberlauschenden Spaziergänger gewesen, einzig und allein um ihrer feenhaften Schönheit willen; denn der kränkliche alte Fürst, der selten einmal über die Terrassen schlich, oder ein paar goldbetreßte Lakaien, die unter dem Portal lungerten, vermochten wohl nicht, einen Menschenfuß auch nur um einen Schritt weiter zu locken... Seitdem aber die »Amerikanerin« Herrin des Schlößchens war, wanderte mancher stundenlang auf den Parkwegen wartend auf und ab, um schließlich doch noch den Anblick der schönen Frau zu erhaschen, wenn sie langsam wandelnd zwischen den Lorbeer- und Rosenbäumen hinglitt oder die Terrassen herabkam, um sich auf ihr Pferd zu schwingen und wie ein Pfeil in den Park hineinzufliegen.

Es waren nahezu drei Jahre verflossen, seit Donna Mercedes die Besitzung gekauft hatte, und noch war der Reiz ihrer fremdartigen Erscheinung, der Ruf ihres fabelhaften Reichtums, wie ein Wunder in aller Munde, doppelt nachhaltig, weil sie wie eine geheimnisvolle Einsiedlerin streng zurückgezogen, aber sichtlich beglückt, nur mit den zwei schönen Bruderskindern und der Majorin Lucian zusammenlebte.

Die Majorin hatte ihr Wort wahr gemacht, nach dem ihres Bleibens in dem alten Klosterhause nicht länger sein werde, als die Pflicht erheische. Sie war die alleinige Erbin des gesamten Wolframschen Besitztums verblieben, da sich kein Testament ihres Bruders vorgefunden... Einige Monate nach den traurigen Ereignissen hatte sie das Klostergut verkauft. Die Lippen fest zusammengepreßt, weder rechts noch links, am wenigsten aber rückwärts blickend, war sie am letzten Tag durch den Vorderhof gegangen und hatte die Mauerpfortentür hinter sich zufallen lassen, um den Wagen zu besteigen, in dem Donna Mercedes und die Kinder ihrer harrten, um sie für immer nach der »Villa Valmaseda« abzuholen.

Zum letztenmal hatte das Rollen und Rasseln der kleinen Pforte ihr nachgeklungen, das jeden wichtigen Schritt, fast jedes Ereignis ihres Lebens begleitet, ihren Gang zur Konfirmation, zur Trauung, ihre Rückkehr aus der Welt – die Flucht des verstoßenen Sohnes, den letzten Weg des »verunglückten« Bruders. Unsäglich Schweres war ihr in dem dunklen Klosterhause auf die Schultern gelegt worden, auch die harte Züchtigung ihrer Irrtümer und Vergehen hatte sie erleiden müssen – und doch hatten Tränen in ihren Augen gezittert, denn sie hatte gewußt, daß nun auch seine Zeit gekommen war, daß der neue Besitzer beabsichtige, das zusammensinkende Mönchswerk bis auf den Grundstein niederzureißen.

Sie selbst hatte es für unmöglich gehalten, daß sie noch einmal unter völlig veränderten Verhältnissen aufleben könne; aber schon nach wenigen Monaten hatte Mercedes mit stiller Freude beobachtet, wie ihr Blick heller, der gramvolle, tiefgehende Ton ihrer Stimme weicher geworden war, wie die Augen aufstrahlten, wenn die schönen Enkel im fröhlichen Spiel mit Pirat um sie herumtollten und die Großmama, als höchste Instanz in allen Dingen, ihre Arme als schützenden Hafen bei vermeintlicher Gefahr oder Unbill ansahen.

Auch nach dem, was ihr früher über verborgene Seelenschmerzen hinweggeholfen, nach der Arbeit, hatte sie gegriffen, und trotz aller Einsprüche, aller Bitten Donna Mercedes', nun nach einem so harten, arbeitsvollen Leben zu ruhen, das Regiment über die Wirtschaft und das Dienstpersonal im Hause der jungen Dame in die Hand genommen. Alles beugte sich willig und ehrerbietig unter das Zepter der rüstigen Matrone, das streng, aber zum Gedeihen, zur Wohlfahrt aller gehandhabt wurde ... Und was sie einst in Selbstüberhebung und Eigendünkel finster zurückgewiesen, die Liebe anderer, das genoß sie jetzt in vollem Maße, und ihr so lange unterdrücktes Herz erquickte sich daran. Donna Mercedes brachte ihr die Zärtlichkeit einer Tochter entgegen, und einer draußen in der Welt, der einst als Kind unter ihren Augen drüben auf dem Rasen des Schillingshofes mit ihrem Knaben gespielt, der ihm ein treuer Freund bis in den Tod hinein gewesen, er war ihrem Herzen nahe getreten, als sei er ein Bruder dessen, der jenseits des Meeres unter der Erde schlief.

Baron Schilling hatte sich nahezu zwei Jahre in Skandinavien aufgehalten. Es hatte den Anschein gehabt, als wolle er nicht einen Atemzug deutscher Luft schöpfen, solange noch lösend an der Kette gefeilt wurde, die zwei Menschen in unglückseliger Ehe aneinander gefesselt hatte... Was die Baronin an Grimm und glühendem Rachedurst in ihrem Herzen aufgespeichert hatte, es war bei diesen widerwärtigen Auseinandersetzungen zum Austrag gekommen. Vor allem hatte sie ihm mit Aufgebot aller Mittel doch noch den Schillingshof zu entreißen gesucht und war dabei von mancher Seite her kräftig unterstützt worden, weil man den durch die Schillings »usurpierten«, ehemals klösterlichen Besitz wieder in die Hand der Kirche zurückzuleiten wünschte. Aber das war nicht geglückt. Die verbrieften Zahlungen, die Baron Schilling seit Jahren zur Tilgung der Steinbrückschen Hypothek auf seinem Vaterhause geleistet hatte, ließen sich nicht aus der Welt leugnen und waren ein fester Wall, an dem die geistlichen Bestrebungen zersplitterten.

Und nach langem, erbittertem Kampfe war endlich auch die Stunde gekommen, in der er sich sagen durfte, daß er frei sei. »Die Seele, die einst durch Habsucht und Überredungskunst irregeleitet und dem heiligsten Beruf entrissen worden, sei reuig heimgeflüchtet aus dem sündhaften Treiben der Welt,« hatte es in der letzten Zuschrift gelautet ... Mit der Baronin zugleich hatte Fräulein von Riedt den Schleier genommen, nachdem sie die große, sich selbst gestellte Aufgabe gelöst, infolge deren sie das entflohene – und geraubte »Lamm« mit all seinen weltlichen Gütern in die eigentliche Heimat zurückzuführen hatte ... Ihr, der Strengen, Unerbittlichen, der fanatisch Gläubigen winkte die Äbtissinnenglorie in nicht gar weiter Ferne, wie einmütig angenommen wurde.

Baron Schilling war schon in den ersten Tagen nach seiner Abreise mit der Majorin in Briefwechsel getreten – er wolle einen heimleitenden Faden draußen in den großen Irrgängen des Welttreibens festhalten, hatte er geschrieben. Anfänglich war die alte Frau auch eine wackere, pünktliche Berichterstatterin gewesen; aber allmählich hatten unaufschiebbare häusliche Geschäfte, auch hier und da ein Unwohlsein der Kinder, oft mehrtägige Stockungen veranlaßt, und da hatte sich dann Donna Mercedes gezwungen gesehen, die stets sehnsüchtig erwarteten Nachrichten zu geben... Es war wirklich seltsam, daß die Majorin nie die Wandlung zu bemerken schien, die sich nach und nach vollzogen hatte. Zuerst wurde ihr pünktlich jeder Brief aus Schweden oder Norwegen zum Durchlesen vorgelegt; später nahm Donna Mercedes die Gewohnheit an, halbe Seiten des Geschriebenen wegbiegend, die »Großmama« nur die auf die allgemeinen Familienverhältnisse bezüglichen Stellen lesen zu lassen, und schließlich bekam die alte Frau gar keinen der Briefe mehr zu Gesicht, und Donna Mercedes erzählte nur noch unter stetem Farbenwechsel, stockend und mit fast scheuer Stimme, was – die Großmama wissen sollte.

Inzwischen hatte Baron Schilling als Künstler neue Lorbeeren geerntet. Das durch die weibliche Rachsucht bedrohte Bild hatte großes Aufsehen gemacht und war, wie verlautete, von einem Neuyorker Nabob um einen unerhört hohen Preis angekauft worden... Er sei im Einheimsen neuer Motive bienenfleißig gewesen, hatte er einmal geschrieben und seine baldige Rückkehr in Aussicht gestellt. Allein gerade um diese Zeit war der Deutsch-Französische Krieg ausgebrochen. Mehrere Wochen waren die Nachrichten aus Skandinavien ausgeblieben, bis ein Brief aus Frankreich meldete, daß »der germanische Zorn« den Heimreisenden auf den feindlichen Boden getrieben habe, und er sich nicht gestatten dürfe, Glück in der Heimat zu genießen, während deutsche Krieger draußen kämpften.

Seit dieser Nachricht war es gewesen, als stehe eine schwarze Wolke über der Villa Valmaseda und schaue düster und dräuend in die Fenster. Man sah Donna Mercedes nur noch lächeln, wenn ein halb zerknitterter Feldpostbrief oder eine mit Bleistiftzügen bedeckte Karte einliefen. Wenn aber der Telegraph die Nachricht von einer stattgehabten Schlacht brachte, dann warf sie sich auf ihr Pferd und jagte wild hinein in die Einsamkeit, in Sturm und Wetter, oft mit triefenden Kleidern auf dem abgehetzten treuen Tier heimkehrend... Dann litt sie sichtlich Qualen der angstvollen Ungewißheit; aber ihre Lippen blieben geschlossen – niemand konnte sich rühmen, durch irgend ein verräterisch entschlüpftes Wort die Vorgänge in dieser stolzen Frauenseele belauscht zu haben.

Aber nun war auch diese bittere Zeit überwunden. Der ruhmvolle deutsche Nationalkrieg war beendet. Es wurde frühlingshell in den angstbefreiten Herzen – die Friedensbotschaft und der junge Lenz zogen, innig umschlungen, jubelnd über die deutsche Erde hin und weckten aufjauchzende Echos allerorten.

Auch über der Villa Valmaseda blaute der Himmel längst wieder. Sie hatte just ihre schönste Zeit. Im Parke sangen die Drosseln, flötete der Pirol; unter dem Laubdom der Waldpartien schwamm noch junggrünes Maienlicht, und schon brachen die Kletterrosen zu Tausenden auf. Von Licht und Farbenglanz überschüttet stand das Haus auf seinen Terrassen; die Menschen gingen mit hellen Augen umher, und es lag etwas wie Hoffnungsfreudigkeit in der Luft, wenn auch ein Schatten sich eingeschlichen hatte, der zu all dem aufsprießenden Leben in traurigem Gegensatz stand.

Vor mehreren Monaten war ein Brief aus Petersburg an Donna Mercedes eingelaufen. Lucile hatte nach fast dreijährigem Schweigen geschrieben, daß sie »merkwürdigerweise« infolge eines Katarrhes ein »ganz dummes, abscheuliches Lungenbluten« gehabt habe. Der Arzt bestehe hartnäckig darauf, daß sie – selbstverständlich nur für einige Wochen – ihren russischen Triumphzug unterbreche und sich in anderer Luft pflege und erhole, und da sei sie gesonnen, diese unfreiwilligen Ferien »diesmal« bei ihren Kindern zuzubringen. Donna Mercedes möge ihr aber Geld schicken, da sie augenblicklich nicht bei Kasse sei und verschiedene Kleinigkeiten berichtigen müsse, wenn sie loskommen wolle. –

Und sie war gekommen, »so ermüdet von der langweiligen Reise«, daß man sie aus dem Wagen in ihr Zimmer hatte tragen müssen... Diesem vollständig zerstörten Wesen gegenüber, das nur noch wenige Schritte zum Grabe hatte, verbiß die Majorin ihren unsäglichen Widerwillen und ihren heftig wieder aufgerüttelten Mutterschmerz, und auch Donna Mercedes bot alle innere Kraft auf, um geduldig, mit sanfter Güte dem letzten Willen ihres Bruders auch nach dieser Seite hin gerecht zu werden. Beide Frauen berührten mit keinem Wort die Vergangenheit; desto mehr sprach sie, »der vergötterte Liebling der ganzen zivilisierten Welt«, von ihren Triumphen, ihren Genüssen, in der unumstößlichen Überzeugung, daß sie in wenigen Wochen wieder hinausfliegen werde aus der »urlangweiligen Villa, die wie verwunschen in einer vergessenen Weltecke liege, und nicht einmal zwei, drei neue, amüsante Menschengesichter zur Teestunde herbeizulocken vermöge«.

Es war ein herrlicher Junimorgen. Man hatte die Kranke auf die völlig zugfreie zweite Terrasse getragen – denn die Füßchen, die seit drei Jahren schmetterlingshaft und Beifallsstürme erweckend über die Bühne gaukelten, waren »merkwürdigerweise« immer noch zu schwach, um die federleichte, kinderkleine Gestalt auch nur zwei Schritte weit zu tragen. Ein Zeltdach schützte sie vor dem blendenden, belästigenden Sonnenlicht. Sie lag fröstelnd auf ihrem Ruhebett, in wärmende Decken gehüllt; nur der in blaue Atlasfalten und reiche Spitzengarnierungen vergrabene Oberkörper lag frei, und auch jetzt in seiner hilflosen Zusammengesunkenheit noch kokett anmutig auf dem Polster. Schön war dieses totenbleiche Gesicht immer noch, die Lieblichkeit der Züge war selbst dem grausam verzerrenden Tod unerreichbar.

Mißmutig rührte sie mit dem Löffel in ihrer Frühstücksschokolade. »Ich weiß nicht – der Koch muß ein besonderes Vergnügen darin finden, mir meine Schokolade immer homöopathischer zu mischen – ich kann das elende Gebräu nicht trinken und bitte mir für künftig Kaffee aus,« sagte sie, die Tasse wegschiebend, kurz und herb zu der Majorin, die eben kam, um nach ihr zu sehen.

»Der Kaffee ist Ihnen streng verboten,« antwortete sie ruhig.

»Ja, ja – verboten!« antwortete die kleine Frau, den Ton ihrer Schwiegermutter ungezogen nachäffend – man sah den alten unbezwinglichen Haß in ihren grünschimmernden Augen aufglühen. »Hier in dieser trostlosen Villa wird das Wort mit unvergleichlicher Beharrlichkeit von jung und alt, hoch und niedrig mir armem Wurm gegenüber gehandhabt. Ich habe diese Plackerei satt, aber so satt – bis zum Ekel!... Und diese Herren Ärzte – daß sich Gott erbarm' – es ist einer immer dümmer als der andere! – können nicht einmal mit einem armseligen Katarrh fertig werden;« – sie hustete, und das Taschentuch, das sie danach von den Lippen wegnahm, war mit hellem Blut gefärbt – »um solch ein paar Blutstropfen schlagen sie einen Lärm, als ginge es ans Leben, an mein junges, herrliches, vielbeneidetes Leben – bah, Blödsinn!« fügte sie mit schwacher Stimme und fieberisch glänzenden Augen hinzu, während die Majorin sich anschickte, das Zelt zu verlassen.

»Ich bitte Sie, tun Sie mir den einzigen Gefallen und schließen Sie dort die Terrassentür in Mercedes' Salon – meinetwegen auch die dickseidenen Vorhänge!« rief sie ihrer Schwiegermutter nach, die sofort zurückkam. – Man konnte vom Zelt aus durch eine weit offene Glastür in ein schönes Erdgeschoßzimmer hinaufblicken, von dessen tiefer Wand sich die Gestalten eines Bildes ergreifend lebensvoll abhoben. – »Ich habe mich schon in Baron Schillings Atelier mehr als genug vor dieser greulichen, hugenottischen Frauengruppe entsetzt und ›gegrault‹« – fuhr die kleine Frau nervös ärgerlich fort – »und nun tritt sie mir auch hier, wie das aufdringliche Fatum, immer wieder vor die Augen... Mercedes ist nicht recht klug, daß sie solch schauderhafte Bilder kauft und ihren sonst ganz leidlich hübschen Salon damit verdirbt.«

Sie griff grollend in die dicken Büschel aufgeblühter, weißer Rankrosen, die seitwärts über das Bronzegitter der Terrasse herüberschaukelten, und zerpflückte sie, die Blätter im gedankenlosen Spiel über die seidene Decke hinstreuend. Dann richtete sie sich auf und warf sich eine Handvoll der weißen Kelchblätter über die dunkeln, sorgfältig geordneten Locken – sie sah aus, wie von Schneeflocken überrieselt.

Die Majorin wandte sich weg und sah über das weite, herrliche Blumenbeet und den Rasen hin, die sich zu Füßen der Terrassen ausbreiteten. Die Empörung über das bodenlos kindische Gebaren der jungen Frau schnürte ihr die Kehle zu; und doch verriet kein Zug ihres ernsten Gesichtes, daß sie diese Sterbende hasse und verachte bis in den Tod hinein – sie dachte an die Kinder, denen sie das Leben gegeben, und bezwang sich.

»Ich möchte Paula haben,« sagte die heisere, schwache, eigensinnige Stimme hinter ihr.

»Die Kleine macht mit Deborah ihren Morgenspaziergang – sie wird im Augenblick nicht herbeizuschaffen sein,« versetzte die Majorin gelassen. »Aber José höre ich eben zurückkommen.«

Gleich darauf sah man drei Reiter in den breiten Durchhau einlenken, der den Waldpark von der Villa aus in seiner ganzen Tiefe durchschnitt und einen herrlichen Ausblick auf die fern sich hinstreckende Stadt gewährte.

Ruhig, gleichsam noch in den Genuß des Morgenrittes versunken, kamen die Reitenden näher und näher – es war Donna Mercedes mit José und dessen Hauslehrer. Dem Knaben sah man nicht mehr an, daß er vor drei Jahren schon halb und halb eine Beute des Todes gewesen war. Schlank und blühend, ein Bild der Kraft und Schönheit, saß er auf seinem kleinen Pferd – der Majorin schwoll das Herz voll Stolz und Freude, als er ihr von ferne mit seinem Hütchen grüßend zuwinkte.

»Der dumme Bub' spielt sich wirklich schon auf den großen Herrn,« grollte die ärgerliche Frauenstimme unter dem Zeltdach, während die Majorin am Terrassengeländer stand und mit der Hand die Näherkommenden begrüßte. – »Aber Sie sind selber schuld, Madame; ein achtjähriger Junge gehört noch nicht aufs Pferd –«

»José ist zehn Jahre alt.«

»Mein Gott, das muß ich immer wieder hören, damit ich mir ja recht einbilde, ich sei eine alte Frau! Dazu eigne ich mich aber nicht, wirklich nicht, und wenn Sie es noch so eifrig wünschen. Ich bin jung und mädchenhaft, mag zehnmal solch ein langer, altkluger Bengel neben mir stehen und Mama' zu mir sagen! ... Und in fünf Wochen tanze ich in Berlin, allen spießbürgerlichen Anschauungen, aller doktorlichen Weisheit zum Trotz – glauben Sie, ich werde das nicht wahr machen?«

Die Frau am Geländer zuckte schweigend die Achseln, und Lucile knickte mit ihren matten, blassen Fingern nun auch ein paar Rosen sorgfältig ab, um sie in das Haar und an die Brust zu stecken. »Schau, wie Dame Mercedes kokett zu Pferde sitzt!« sagte sie, ohne den Kopf zu wenden, mit einem blinzelnden Seitenblick aus halbgeschlossenen Augen. – »Nur schade, daß das der blöde, junge Hauslehrer vor lauter Respekt nicht zu bemerken wagt! ... Wenn sie nur wüßte, wie schauderhaft ihr das blaue Reitkleid zu dem gelben Gesicht steht! Bah, sie hat nie Geschmack gehabt! ... Und in dem gräßlichen Reitkostüm steckt sie Tag für Tag – es sieht verwettert aus wie ein alter Kommißrock. ... Aber das ist jetzt so ihre Marotte – sie spielt sich auf die Einfache. Mein Gott, warum nur? Die alten Stoffe werden abgetragen bis auf den letzten Faden, und die Jungfer jammert, daß längst alle Schmucksachen, bis auf den kleinsten Manschettenknopf, weggeschlossen sind – lächerlich! ... Drüben war sie, wie alle diese protzigen Baumwollenprinzessinnen, stets aufgeputzt wie ein Schlittenpferd – die Augen taten einem weh vor lauter Brillantengeflunker... Will sie hier vielleicht auch Nonne werden, wie diese schreckliche Baronin Schilling?«

Die Majorin ging, ohne ein Wort der Erwiderung, behenden Schrittes die Terrasse entlang und stieg die breiten Mittelstufen hinab, den Heranreitenden entgegen. Sie zog einen Brief aus der Tasche und schwenkte ihn in der Luft.

Donna Mercedes trieb sofort mit einem leichten Gertenschlag ihren schönen Fuchs an und flog den anderen weit voraus. Eine tiefe Glut bedeckte ihr Gesicht, während sie hastig nach dem Briefe griff und das Kuvert aufriß. Sie überflog die ersten Zeilen, dann bückte sie sich tief zu der Majorin herab und flüsterte mit vor Bewegung fast erstickter Stimme: »Baron Schilling kommt heute abend aus Frankreich zurück!«

Unwillkürlich griff sie nach der Hand der alten Frau und hielt sie mit aufstrahlenden Augen und einem vielsagenden Druck einen Augenblick fest; dann steckte sie den Brief zu sich, wendete ihr Pferd, und mit einem freundlichen Gruß nach der mürrisch dreinschauenden kleinen Frau hinauf jagte sie auf dem nächsten, durch den Wald führenden Weg der Stadt zu.


 << zurück weiter >>