E. Marlitt
Goldelse
E. Marlitt

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1.

Den ganzen Tag über hatte es geschneit, und zwar so recht mit Muße und Gemächlichkeit, so daß die Dächer und Fenstersimse dicke, fleckenlos weiße Polster angelegt hatten. Nun brach ein früher Abend herein und mit ihm ein wilder Sturm, der heimtückisch in die niedertaumelnden Schneeflocken fuhr, wie ein Raubtier zwischen eine friedliche Taubenschar.

Mag auch das Wetter derart sein, daß der gemütliche Kleinstädter nicht einmal seinen Hund, geschweige denn seine eigenen, edlen Gliedmaßen außerhalb der vier Wände wissen will, in der großen Hauptstadt B. merkt man abends zwischen sechs und sieben Uhr keinen auffallenden Unterschied hinsichtlich der Straßenfrequenz. Die Gasflammen ersetzen die Himmelslichter, die nicht kommen wollen; um die Ecken jagen die Equipagen in so wütender Eile, daß die Fußgänger nur durch einen kühnen Sprung an die Häuser Leben und Glieder retten; dafür folgt ein Schwall kräftiger Flüche dem pelzverbrämten Kutscher und dem eleganten Wagen, hinter dessen festgeschlossenen Scheiben reizende Damen ihr blumengeschmücktes Köpfchen mühsam über die ungeheuren Wogen des umfangreichen Gazekleides heben und keine Ahnung davon haben, daß in diesem Augenblicke Feuer und Schwefel auf ihre duftenden Locken herabgewünscht werden. Wohlfrisierte Wachsköpfe, inmitten schauderhafter schwarzer und blonder Skalps, still und aufmerksam arbeitende Uhrmacher, lächelnde Kommisgesichter hinter bauschenden Stoffen und verführerischen Mantillen, und alte verkümmerte Boukett- und Kranzwinderinnen zwischen hold blühenden, frischen Blumen stehen und bewegen sich in beneidenswerter Sicherheit und wohldurchwärmter Atmosphäre hinter den Schaufenstern, die ein blendendes Licht auf die schlüpfrigen Trottoirs und den vorbeiflutenden Menschenstrom werfen, wobei blaurote Nasenspitzen, thränende Augen und verzweifelte Kopf- und Armbewegungen an allen alten und jungen Vorübereilenden sichtbar werden.

Doch halt – nicht an allen! Da tritt eben aus einem Seitengäßchen in eine der Hauptstraßen mit leichtem, elastischem Schritte eine weibliche Gestalt. Das enge, verwachsene Mäntelchen schließt sich fest an die schlanken Glieder, und der alte, zerzauste Muff wird dicht an die Brust gedrückt, wo er die Enden eines herabhängenden Schleiers festhält; unter diesem alten schwarzen Gewebe lachen zwei Mädchenaugen im Sonnenglanze frischer Jugend; sie blicken fröhlich in das Schneegetümmel, haften innig an den halbgeöffneten Centifolien und den dunklen Veilchen hinter den Glasscheiben und verbergen sich nur dann unter den langen Wimpern, wenn sich heimtückische Eissplitter unter die Schneeflocken mischen.

Wer einmal gehört hat, wie kindliche Hände, oder auch Hände, die zu einem völlig ausgewachsenen Körper und Kopfe gehören, auf dem Klavier eine wohlbekannte Melodie zuversichtlich beginnen, gleich darauf mittels einer Dissonanz den musikalischen Faden zerreißen, mit falschem Fingersatze in alle möglichen Tonarten, nur nicht in die angegebene, greifen, wobei der Lehrer den hochgehobenen, takttretenden Fuß verzweiflungsvoll sinken läßt, bis endlich die Melodie langatmend und lebensmüde wieder anhebt, um im nächsten Augenblicke durch einige leichte Takte wie über eine weite Ebene dahinzurasen – wessen Ohrennerven einmal auf dieser Folter gelegen haben, der wird begreifen, daß das junge Mädchen, welches soeben zwei Unterrichtsstunden in einem Institute beendet hat, dem Sturmwinde freudig die heiße Wange bietet, einem wackeren Gesellen von System und konsequenter Durchführung, dessen mächtiges Brausen ja in Orgel und Aeolsharfe zur wundersamen Melodie wird.

So eilt das junge Mädchen flüchtig und schwebend durch Schneefall und andringenden Menschenstrom, und ich zweifle keinen Augenblick, sie würde auf den schwimmenden Quadersteinen des Trottoirs, umbraust vom Sturme, nicht anders als auf dem Parkett eines Salons auch, dem Leser unter holdseligem Lächeln die graziöseste Verbeugung machen, wenn ich sie ihm vorstellen wollte als Fräulein Elisabeth Ferber. Diese Vorstellung kann nun freilich nicht stattfinden, und das ist mir insofern ganz erwünscht, als ich beabsichtige, den Leser mit der Vergangenheit des jungen Mädchens bekannt zu machen.

Herr Wolf von Gnadewitz war der letzte Abkömmling eines ruhmreichen Geschlechts, das seinen Ursprung zurückleiten konnte bis in zweifelhaftes Dämmerlicht noch vor jenem goldenen Zeitalter, allwo der vorüberziehende Kaufmann in irgend einem Hohlwege seine kostbaren Stoffe und Waren zu adligen Bannerfähnlein und glänzenden Turnierwämsern, wie zu junkerlichen Gelagen unfreiwilligerweise ablieferte. Aus jenen unvergeßlichen Zeiten datierte auch ein Rad in dem Wappen der Gnadewitze, auf welchem einer der Ahnherren seinen Heldengeist verhauchen mußte, weil er in Ausübung jenes ritterlichen Aneignungssystems allzuviel Krämerblut vergossen hatte.

Herr von Gnadewitz, der Letzte seines Stammes, war Kammerherr in Fürstlich X.schen Diensten, zudem Inhaber hoher Orden und verschiedener Rittergüter, wie auch Besitzer aller Charaktereigenschaften, die, seiner Ansicht nach, einem Hochgebornen zukommen, und die er »vornehm« nannte, weil dem gemeinen Manne bei der derben Hausmannskost der Moral und dem strengen Muß der Verhältnisse und Sitten jedwedes Verständnis für jene unnachahmliche Grazie und Eleganz des Lasters abgehe.

Herr Wolf von Gnadewitz war auch prachtliebend, wie sein Großvater, der das alte Schloß Gnadeck aus dem Berge in Thüringen, die Wiege seines Geschlechts, verließ, um sich drunten im Thale einen wahren Feensitz im italienischen Geschmacke aufzubauen. Sein Enkel ließ das alte Haus droben noch mehr verfallen und erweiterte und verschönerte das neue Schloß um ein beträchtliches. Ja, es schien, als hege Herr Wolf von Gnadewitz nicht den leisesten Zweifel, daß der Letzte seines Geschlechts dereinst als allerjüngstes Menschenkind beim Weltgerichte erscheinen werde; denn um alle neu angebauten Gemächer auszufüllen, durfte der alte Stamm getrost zahllose Zweige treiben. Allein, das hieß die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Herr Wolf von Gnadewitz hatte zwar einen Sohn, der schon mit zwanzig Jahren ein so vollendeter Gnadewitz war, daß selbst das glänzende Bild des Ahnherrn mit dem Rade vor ihm erbleichen mußte. Aber der junge Herr hatte eines Tages, bei Gelegenheit der ersten, großen Jagd im Herbst , einem Treiber mit der Hetzpeitsche einen furchtbaren Schlag über den Kopf versetzt, und zwar mit vollstem Rechte, wie alle eingeladenen Teilnehmer an der Jagd einmütig versicherten, denn der Tölpel hatte den Lieblingshund des Herrn dermaßen auf die Pfoten getreten, daß das Tier für den ganzen Tag untauglich geworden war. Und so kam es, daß kurze Zeit darauf Hans von Gnadewitz nicht allein auf dem Stammbaume in der großen Halle des neuen Schlosses, sondern auch wirklich und leibhaftig an einem Eichbaume des Waldes, und zwar mit einem Stricke um den Hals gefunden wurde. Der geschlagene Treiber büßte zwar, wenn auch nicht auf dem Rade, so doch unter dem Beile, diese Frevelthat; allein das machte den letzten der Gnadewitze nicht wieder lebendig, denn er war tot, unwiderruflich tot, wie die Aerzte versicherten, und so hatte das lange Lied von Raubrittertum, Trinkgelagen, Hetzjagden und Pferderennen ausgeklungen.

Nach dieser schrecklichen Katastrophe verließ Herr Wolf von Gnadewitz sofort das Schloß im Thale, wie überhaupt diese Gegend, und zog nach Schlesien auf eines seiner vielen Güter. Er nahm eine entfernte Verwandte, die Letzte einer Seitenlinie seines Geschlechts, in sein Haus, damit sie ihn pflegen solle. Es zeigte sich aber, daß diese Verwandte ein engelschönes, junges Mädchen war, bei dessen Anblick der alte Herr den eigentlichen Zweck ihres Kommens rein vergaß und schließlich meinte, sein sechzigjähriger Rücken sei noch gerade genug, um in den Hochzeitsfrack schlüpfen zu können. Zu seiner tiefsten Indignation jedoch mußte er erfahren, daß auch eine Zeit kommen könne, wo selbst ein Gnadewitz nicht mehr begehrenswert erscheine, und wütend wurde er, als das Mädchen ihm gestand, daß sie, ihre hohe Abkunft schnöde vergessend, ihr Herz einem jungen, bürgerlichen Offizier, dem Sohne eines seiner Förster geschenkt habe.

Der junge Mann besaß nichts als seinen Degen und seine männlich schöne Gestalt, aber er hatte sich eine tüchtige, wissenschaftliche Bildung angeeignet, war liebenswürdig im Umgange und von ausgezeichnetem Charakter. Als Herr von Gnadewitz die schöne Marie infolge ihrer Erklärung verstieß, da führte sie der junge Ferber glücklich als Gattin heim und hätte in den ersten zehn Jahren seiner Ehe mit keinem König tauschen mögen. Im elften würde ihn zwar ein solches Gelüst noch viel weniger angefochten haben; denn das war das Jahr 1848 – aber es brachte auch für ihn schwere Kämpfe und einen völligen Umschwung seiner Verhältnisse . . . Er kam in den kritischen Fall, zwischen zwei Pflichten wählen zu sollen. Die eine, die ihm sein Vater schon an der Wiege vorgesungen, hieß. »Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst, vor allem aber deine deutschen Brüder«; die andere dagegen, die er sich, wenn auch viel später, selbst auferlegt, gebot ihm, das Schwert für das Interesse seines Herrn zu führen. In diesem Konflikte nun siegte jenes Wiegenlied, das kräftige Wurzeln um sein Herz geschlagen hatte, vollständig – Ferber schoß nicht auf seine Brüder, aber dieser Sieg kostete ihm seinen Beruf, seine gesicherte Lebensstellung. Er nahm seinen Abschied und sank bald darauf infolge einer Erkältung gelähmt aufs Krankenlager, das er erst nach jahrelangem Siechtum wieder verließ. Hierauf siedelte er mit seiner Familie nach B. über, wo er bald eine erträgliche Stelle als Buchhalter in einem bedeutenden Handlungshause erhielt. Es war die höchste Zeit, denn das kleine Vermögen seiner Frau war bei dem Sturze eines Bankgeschäfts verloren gegangen, und nur die mehrmaligen Geldunterstützungen, die Ferbers älterer und einziger Bruder, ein Förster in Thüringen, der bedrängten Familie zukommen ließ, hatten bis jetzt den Mangel in seiner schlimmsten Gestalt ferngehalten.

Leider sollte dies Glück nicht von Dauer sein. Ferbers Chef gehörte zu den Frommen im Lande und suchte alle seine Umgebungen mit seinem Bekehrungseifer heim. Auch Ferber wurden diese Bemühungen zugewandt, stießen aber hier auf einen zwar mit ruhigem Ernste geäußerten und durch eine Fülle von Wissen motivierten, aber so entschiedenen Widerstand, daß sich das fromme Gemüt Herrn Hagens – so hieß der Kaufmann – darüber schier zu Tode entsetzte. Einem solchen Freigeiste Schutz und Brot zu geben und somit geflissentlich den Untergang des Reiches Gottes zu befördern – der Gedanke ließ ihm Tag und Nacht keine Ruhe, bis er mittels eines Entlassungsbriefes sich von dieser Last befreite und das räudige Schaf aus seiner Lämmerherde stieß.

Um jene Zeit ging auch Herr Wolf von Gnadewitz heim zu seinen Ahnen, und da er während seiner irdischen Laufbahn an dem Grundsatze seines Geschlechts, keine Beleidigung ungerächt zu lassen, streng festgehalten hatte, so konnte dies Leben wohl keinen würdigeren Abschluß und Endpunkt finden, als in dem Testamente, das er eigenhändig niederschrieb, ehe er hinunterstieg in das enge Kämmerlein von Zinn, in welchem seine Gebeine der Nachwelt aufbewahrt bleiben sollten. Dies Aktenstück männlicher Konsequenz, das einen entfernten Verwandten seiner verstorbenen Gemahlin zum Universalerben ernannte, schloß mit folgender Verfügung.

»In anbetracht des unabweislichen Anspruches, den sie an meinen Nachlaß hat, vermache ich der Anna Maria von Gnadewitz, verehelichten Ferber, das Schloß Gnadeck auf dem Berge in Thüringen. Anna Maria Ferber wird nicht verkennen, daß ich sie wohlmeinend bedenke, indem ich ihr ein Obdach anweise, das sie mit zahllosen Erinnerungen an das edle Geschlecht, dem sie einst angehörte, umgeben wird. Wohl wissend, daß über jenen alten Hallen stets Glück und Segen geschwebt hat und diese unleugbare Thatsache genau erwägend, halte ich es demnach für völlig überflüssig, diesem meinem Geschenke noch etwas beizufügen . . . Sollte jedoch Anna Maria Ferber den Wert meiner Gabe nicht einsehend, dieselbe verlassen oder auf irgend welche Art veräußern wollen, so erlischt sofort ihr Anspruch an das Erbe, und das Waisenhaus in L. tritt an ihre Stelle.«

Herr Wolf von Gnadewitz hatte sich sonach mit Hinterlassung einer beißenden Satire auf sein schwarzbehangenes Paradebett gelegt. Ferber und seine Frau hatten zwar nie das alte Schloß gesehen, allein es war weltbekannt als ein zusammensinkender Trümmerhaufen, den seit wenigstens fünfzig Jahren keine ausbessernde Hand berührt hatte, und der bei der Einrichtung des neuen Schlosses im Thale sämtlicher Hausgeräte, Wandbekleidung, ja sogar des Kupferdaches auf dem Hauptgebäude beraubt worden war. Seitdem lagen die schweren Riegel und Vorlegeschlösser eingestäubt und eingerostet vor dem mächtigen eichenen Hauptthore. Die ungeheuren Waldbäume, die sich dicht um den grauen Bau scharten, woben ungestört ihre breiten Aeste in das üppige Gestrüpp zu ihren Füßen, und bald lag das verlassene Schloß hinter der grünen, undurchdringlichen Wand, wie eine eingesargte Mumie.

Der glückliche Universalerbe, dem der fremde Besitz inmitten seines Waldes sehr lästig war, hätte gern für eine ansehnliche Summe das alte Haus zurückgekauft, allein die vorsichtig ausgedachte Klausel am Schlusse des Vermächtnisses schnitt jede Unterhandlung ohne weiteres ab.

Frau Ferber legte die ihr zugesandte Abschrift des Testamentes, auf die einige Thränen fielen, stillschweigend auf den Schreibtisch ihres Mannes und nahm dann mit doppeltem, beinahe fieberhaftem Eifer ihre Arbeit, eine Stickerei, wieder auf. Ferber hatte trotz aller Bemühungen keine Anstellung wieder erhalten und sah sich nun genötigt, durch schlecht bezahlte Uebersetzungen, und wenn es an diesen mangelte, mittels Akten- und Notenschreibens sein und seiner Familie Leben zu fristen, wobei ihn seine Frau durch den Erlös für Handarbeiten nach Kräften unterstützte.

So trübe nun auch Ferbers Lebenshimmel umzogen war, ein Stern tauchte allmählich auf unter den Wolkenmassen und schien die fehlenden äußeren Gnadenbezeigungen des wetterwendischen Glückes ersetzen zu wollen. Eine Ahnung von diesem milden Strahle, welcher dereinst in ein dunkles Leben fallen sollte, überkam Ferber schon, als er zum erstenmal an der Wiege seines erstgeborenen Töchterchens stand und in die prächtigen Augen sah, die aus dem feinen Kinderköpfchen ihn anlachten. Sämtliche Freundinnen der Frau Ferber waren einstimmig der Ansicht, der kleine Ankömmling sei ein reizendes Wesen, ein eigentümlich bevorzugtes Kind, ja es sähe so ganz und gar nicht aus, wie das gewöhnliche Menschenkind, wenn es krebsrot zum erstenmal die Welt anschreie, daß – hier brachen sie stets ab, und es steht zu vermuten, daß nur das märchenfeindliche neunzehnte Jahrhundert und die sarkastischen Mienen ihrer Ehemänner die stille, aber untrügliche Ahnung hinter ihre Lippen verschloß, es habe hier die geheimnisvolle Macht irgend einer gütigen Fee obgewaltet.

Sie hielten in corpore das kleine Weltwunder über die Taufe, stritten sich dabei, welche wohl die meiste Zärtlichkeit für das Patchen hege, und schwuren, dieser Tag werde ihnen unvergeßlich bleiben – ohne Zweifel eine zu hohe und voreilige Anforderung an ihr Erinnerungsvermögen, denn als Ferbers in mißliche Verhältnisse gerieten, da wischte der Egoismus mit hartem Finger über die Denkschrift, und siehe da, es blieb keine Spur zurück, daß sie je gewesen.

Diese alte Erfahrung, welche die kleine Elisabeth schon in ihrem neunten Lebensjahre machen mußte, beunruhigte sie übrigens sehr wenig. Die vermeintliche Fee hatte ihr zu den anderen reichen Gaben auch einen unzerstörbaren Frohsinn und sehr viel Willenskraft in die Wiege gelegt; deshalb nahm sie fortan das dürftige Vesperbrot ebenso dankbar und fröhlich aus der mütterlichen Hand, wie ehemals die unerschöpflichen Leckerbissen der zärtlichen Paten, und als am Weihnachtsabend ein lichterarmer Baum nur einige Aepfel und vergoldete Nüsse bot, da schien ihr gar nicht einzufallen, daß sich früher stets eine ehrenwerte, stattliche Gesellschaft aller möglichen guten und wünschenswerten Dinge auf seinen Zweigen eingefunden hatte.

Ferber unterrichtete seine Tochter selbst. Nie hatte sie eine Schule oder ein Institut besucht, ein Mangel, den man leider heutzutage in vielen Fällen einen Vorzug nennen möchte, wenn man bedenkt, daß manche junge Mädchen bei weitem erfahrener die Schule verlassen, als der sorgsamen Mutter lieb sein dürfte, die daheim die Reinheit der jungen Seele streng behütet und nicht ahnt, daß sie durch die täglich sich mehrenden räudigen Schafe im Schulzimmer Eindrücke empfängt, deren nachteilige Folgen sich in allen Phasen des späteren Lebens geltend machen.

Elisabeths bildsamer Geist entfaltete sich herrlich unter der Leitung der selbst so reich begabten Eltern. Sie trieb die ihr auferlegten Studien mit tiefem Ernste und dem rastlosen Drange, alles, was sie in sich aufnahm, gründlich zu wissen, damit es ein unveräußerliches, lückenloses Eigentum ihrer Seele bleibe; das war ihr strenge Gewissenssache und gehörte in das Reich der Pflichten. Der Musik aber gab sie sich mit einer Inbrunst hin, mit welcher der menschliche Geist das umfaßt, was er als seine spezielle Sendung auf der Welt erkennt. Bald hatte sie ihre Mutter, die ihre Lehrerin war, weit überflügelt, und wie sie als kleines Kind ihr Spielwinkelchen verließ, wenn sie Wolken aus des Vaters Stirn bemerkte, sich aus seinen Schoß setzte und ihm selbsterfundene goldglänzende Märchen erzählte, so beschwichtigte sie später mit wundervollen Melodieen, die wie klare Perlen in ihrer Seele aufstiegen, und die vorher noch nie ein menschliches Ohr berührt hatten, den Dämon finsteren Grames, der oft Ferbers Gemüt umnachtete. Aber nicht allein dieser Segen erwuchs aus dem seltenen Talente des jungen Mädchens. Das ausgezeichnete Klavierspiel in der Mansarde hatte die Aufmerksamkeit einiger Hausbewohner erregt. Elisabeth bekam auf diese Weise nach und nach mehrere Schülerinnen und später den Klavierunterricht in einem Institute übertragen, wodurch es ihr möglich wurde, die Nahrungssorgen der Eltern bedeutend zu mildern.

Hier nehmen wir den Gang der Erzählung wieder auf und wollen uns die Mühe nicht verdrießen lassen, dem jungen Mädchen zu folgen, das an dem stürmischen Winterabend der elterlichen Wohnung zueilte.


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