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Dreizehntes Kapitel

Der unglückselige Proviantverwalter war in diesem Moment dabei, einen herben und dürftigen Nahrungssaft von einem Mittagsmahle zu bereiten, das er ohne Behagen mit ein wenig altbackenem Brote verzehrte; und wartete in großer Spannung, welchen Ausgang jener Sturm nehmen werde, weit entfernt jedoch, zu ahnen, daß derselbe sich in so furchtbarer Weise auf sein Haupt entladen solle. Ein Wohlwollender eilte im schnellsten Laufe voraus und kam in das Haus, um ihn vor der drohenden Gefahr zu warnen. Die schon durch das Toben an die Tür gelockten Diener schauten bestürzt die Straße hinab, nach der Seite zu, von wannen sich der Lärm näherte.

Derweil sie die Warnung anhören, sehen sie den Vortrab erscheinen; in der äußersten Hast wird sie dem Hausherrn hinterbracht; während der noch überlegt, ob er und wie er entfliehen solle, kommt ein anderer und sagt ihm, daß es nicht mehr Zeit ist. Kaum haben die Diener so viel Zeit, die Tür zu verschließen. Sie verriegeln und verrammeln sie, machen geschwind die Fenster zu, wie wenn man ein schwarzes Unwetter herausziehen sieht und von einem Augenblick zum anderen den Hagel erwartet. Das anwachsende Gebrüll, das wie Donner herniederdringt, hallt in dem leeren Hofe wider; es durchdröhnt jeden Winkel des Hauses; und mitten in dem gewaltigen und verworrenen Getöse hört man immer stärker und häufiger die Steinwürfe wider die Tür krachen.

»Der Proviantverwalter! der Tyrann! der Aushungerer! Wir wollen ihn haben! lebendig oder tot!«

Der Ärmste irrte von Zimmer zu Zimmer, bleich, beklommen, die Hände ringend, sich Gott anbefehlend, und seine Leute beschwörend, standzuhalten und ihm behilflich zu sein, auf irgendeine Weise zu entkommen. Aber wie und wo hinaus? Er stieg auf den Dachboden; durch eine Öffnung zwischen dem Dachstuhl und dem Dache blickte er angstvoll auf die Straße und sah sie gedrängt voll wütender Menschen; er vernahm das Geschrei, das seinen Tod verlangte; und noch entsetzter als vorher fuhr er zurück, um den allersichersten und verborgensten Schlupfwinkel aufzusuchen. Zusammengekrümmt horchte und horchte er da, ob der verderbliche Aufruhr sich nicht stillen wollte, ob das Getümmel nicht ein wenig abnähme; da er aber statt dessen hörte, wie das Gebrüll immer wilder und tobender wurde, wie die Schläge immer rascher aufeinander folgten, so stopfte er sich, von einem neuen Furchtanfalle ergriffen, eilig die Ohren zu. Alsdann knirschte er, wie außer sich, mit den Zähnen, verzerrte das Gesicht, indem er heftig die Arme ausstreckte, und stemmte die Hände mit aller Kraft an die Tür, als ob er dem Andrange widerstehen wollte. Endlich stürzte er wie ein Verzweifelnder nieder und blieb bewußtlos fast von Sinnen, des Todes gewärtig, liegen.

Renzo befand sich diesmal im dicksten Gewühl, und zwar nicht von der Flut hineingetragen, sondern mit Überlegung hineingedrungen. Bei jenem ersten Aufruf nach Blut hatte er gefühlt, wie das seinige ganz in Aufruhr geraten war; was die Plünderung anlangte, so war er nicht recht mit sich im klaren, ob sie in diesem Falle recht oder unrecht sei; aber die Vorstellung des Gemetzels brachte in ihm einen unbedingten und unmittelbaren Abscheu hervor. Und wiewohl er zufolge der betrübenden Gelehrigkeit leidenschaftlicher Gemüter bei leidenschaftlichen Beteuerungen vieler so völlig überzeugt war, der Proviantverwalter sei ein schändlicher Aushungerer, als ob er auf das genaueste und mit Sicherheit wüßte, was der Unglückliche begangen, unterlassen und gedacht habe; so war er doch mit unter den Ersten in der entschiedenen Absicht hinzugerannt, sein möglichstes zu tun, um ihn zu retten. Mit diesem Vorhaben war er bis dicht zu der Tür vorgedrungen, die man auf hunderterleiweise bearbeitete. Einer zerschlug mit Kieselsteinen die Nägel des Schlosses, um sie entzwei zu machen. Andere kamen mit Brecheisen, Meißeln und Hämmern dazu und suchten regelmäßiger zu Werke zu gehen. Wieder andere zerstießen und zerschlugen mit spitzen Steinen, abgestumpften Messern, alten zerbrochenen Hufeisen, Nägeln, ja zerkratzten mit den Nägeln ihrer Finger, wenn nichts anderes dazu da war, die Mauer, und bemühten sich, nach und nach einzubrechen, um eine Bresche zu machen.

Die so nicht Hand anlegen konnten, feuerten durch Schreien den Mut an; behinderten aber zugleich weit mehr durch persönliches Drängen die schon von dem wilden Wetteifer der Arbeiter behinderte Arbeit; denn die Gnade des Himmels läßt eben zuweilen auch beim Bösen zu, was beim Guten nur allzuoft geschieht, daß die allereifrigsten Beförderer ein Hindernis werden.

Die obrigkeitlichen Personen, welche zuerst Nachricht von dem Aufruhr bekamen, schickten sogleich zu dem Befehlshaber des Kastells, das damals di Porta Giovia benannt wurde und forderten Hilfe an Truppen; dieser beorderte auch alsbald ein Fähnlein, abzugehen. Aber über die Benachrichtigung und den Befehl, über das Versammeln und Aufbrechen, und über den Marsch, kam das Fähnlein erst an, als die Belagerung des Hauses schon völlig im Gange war, und machten in ziemlicher Entfernung davon, wo das Gedränge aufhörte, halt. Der Offizier, der es anführte, wußte nicht, wozu er sich entschließen sollte. Eigentlich hatte er nur eine Rotte müßigen und unbewehrten Gesindels jeglichen Alters und Geschlechts vor sich. Die Aufforderungen, die an sie ergingen, sich zu zerstreuen und Platz zu machen, beantworteten sie mit einem tiefen und langen Gemurmel; keiner wich von der Stelle. Auf solchen Pöbel Feuer geben zu lassen, schien dem Offizier nicht nur eine Grausamkeit, sondern auch eine höchst mißliche Sache zu sein, eine Sache, die die Gewaltsameren anreizte, indem sie die weniger zu Fürchtenden verletzte und im übrigen war er nicht einmal dazu ermächtigt.

Diese erste Masse zu werfen und rechts und links hin auseinanderzusprengen, um gerade vorzudringen und Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, wäre wohl das beste gewesen; aber es fragte sich, ob es gelingen würde. Wer wußte, ob die Soldaten ihre geschlossene Ordnung hätten behaupten können? Und wenn sie, anstatt die Menge zu durchbrechen, mitten darin vereinzelt worden wären, so würden sie, nachdem sie sie erbittert, sich ihrer Willkür preisgegeben haben. Die Unschlüssigkeit des Anführers und die Unbeweglichkeit der Soldaten kam, ob mit Recht oder Unrecht, wie Furcht heraus. Die ihnen zunächst stehenden Einwohner begnügten sich, ihnen mit einer Miene ins Gesicht zu sehen, die da besagte, daß es ihnen zum Lachen sei; die etwas Entfernteren enthielten sich nicht, sie mit Grimassen und spöttischen Zurufungen zu verhöhnen; nur wenige bekümmerten sich irgend darum, daß sie da wären; die Verwüster fuhren fort, die Mauern einzureißen, ohne einen anderen Gedanken, als wie sie ihr Vorhaben schnell zustande brächten; die Zuschauer hörten nicht auf, sie durch Geschrei zu ermutigen.

Unter diesen stach ein elender Greis hervor und gab selbst ein Schauspiel ab, der, zwei tiefliegende, entzündete Augen weit aufreißend, seine Runzeln zu einem Lächeln teuflischen Wohlgefallens zusammenziehend, mit den über sein schmachvolles graues Haar erhobenen Händen einen Hammer, einen Strick, vier große Nägel durch die Luft schwang, mittels deren, sagte er, er den Proviantverwalter an seine Haustür nageln wolle, sobald er den Geist aufgegeben habe.

»Ei, bewahre! schämt Ihr Euch nicht,« entfuhr es Renzo, der sich über diese Worte beim Anblick so vieler anderer Gesichter, die zu verstehen gaben, daß sie sie ganz gut hießen, entsetzte, und sich doch wieder ein Herz faßte, da er auch andere sah, auf denen sich ausdrückte, derselbe Abscheu, von dem er ergriffen war. »Pfui der Schande! Wollen wir dem Henker ins Handwerk pfuschen? Einen Christen ermorden! Wie wollt Ihr, daß uns Gott Brot gebe, wenn wir solche Gottlosigkeiten begehen? Er wird uns Blitze zusenden, und kein Brot!«

»Ha, du Hund! Ha, du Vaterlandsverräter!« schrie, zu Renzo gewendet, mit der Miene eines Besessenen einer von denen, die in dem Aufruhr diese frommen Worte hatten vernehmen können.

»Warte, warte! Er ist ein Diener des Proviantverwalters, als Landmann verkleidet; er ist ein Spion; drauf, drauf!«

Hundert Stimmen erschallen ringsumher.

»Was gibt's? Wo ist er? Wer ist er? – Ein Diener des Proviantverwalters. – Ein Spion. – Der Proviantverwalter als Landmann vermummt, entwischt. – Wo steckt er? wo ist er? drauf! drauf!«

Renzo verstummt, sinkt zusammen, möchte verschwinden; einige seiner Nachbarn stehen ihm bei, sich zu verkriechen; und mit lautem, verwirrtem Geschrei suchen sie die feindlichen, mörderischen Stimmen zu übertäuben; aber was ihm mehr als alles zustatten kam, war ein: »Platz da! Platz da!« das in der Nähe erscholl; »Platz! Hier ist Hilfe; Platz, o he!«

Was war es? Es war eine lange Sprossenleiter, die einige herbeitrugen, um sie an das Haus anzulehnen und zum Fenster hineinzusteigen. Aber zum guten Glück war dieses Mittel, das die Sache leicht gemacht hätte, nicht leicht ins Werk zu setzen. Die Träger an dem einen und anderen Ende von dem Gewimmel gedrängt und gestoßen, schwankten hin und her; einer stak mit dem Kopfe zwischen zwei Sprossen, hatte die Stangen auf den Schultern und brüllte wie von einem schweren Joche niedergedrückt; ein anderer ward von einem tüchtigen Stoße der Last entledigt; die sinkende Leiter traf Köpfe, Schultern, Arme; man stelle sich vor, was die sagen mußten, die es anging. Andere erheben mit den Händen die aufgegebene Last wieder, machen sich darunter, laden sie sich auf, indem sie schreien: »Her damit, immer zu!« die verhängnisvolle Maschine wird mit Sprüngen und Wendungen geradeaus und schräge weiter gebracht. Sie langt eben recht an, um die Feinde Renzos von ihm abzulenken und auseinanderzutreiben, der die in der Verwirrung entstandene Verwirrung zu seinem Vorteil anwandte; und anfangs geduckt und gebückt, dann mit den Ellbogen um sich bohrend wie er konnte, entfernte er sich von der Stelle, wo es nicht gut sein für ihn war, mit der Absicht, sobald als er dazu imstande wäre, sich aus dem Tumulte herauszuziehen und nun wirklich den Pater Bonaventura aufzusuchen oder zu erwarten.

Da verbreitet sich mit einemmal eine an dem einen Ende begonnene Bewegung über die ganze Volksmasse, ein Ruf dringt von dorther, pflanzt sich von Mund zu Mund, von Schar zu Schar fort: »Ferrer! Ferrer!«

Überraschung, Behagen, Verdruß, Freude, Zorn brechen allerwärts hervor, wo dieser Name erschallt: einer schreit ihn aus, ein anderer will ihn überschreien; der ist für, jener wider, der segnet, jener flucht.

»Ferrer ist da! – Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr! – Ja, ja, es lebe Ferrer, der wohlfeiles Brot gibt! – Nein, nein! – Hier ist er, hier kommt er im Wagen. – Was will der? was fährt er hier herein? wir wollen niemand! – Ferrer! Ferrer hoch! der Freund der armen Leute! Er holt den Verwalter ins Gefängnis ab. – Nein, nein, wir wollen Gerechtigkeit ausüben: zurück! zurück! – Ja, ja, Ferrer! Ferrer soll kommen! ins Gefängnis mit dem Verwalter!«

Und alle erheben sich auf die Fußspitzen und blicken nach der Seite hin, von wannen die unerwartete Ankunft verkündigt wird. Da sie sich alle erhoben, so sahen sie nicht mehr und nicht weniger, als wenn sie alle mit den Fußsohlen am Boden geblieben wären; aber gleichviel, sie erheben sich alle.

In der Tat war am Rande des Getümmels, der Seite, wo die Soldaten standen, gegenüber, zu Wagen Antonio Ferrer, der Großkanzler, angelangt, der sich wahrscheinlich ein Gewissen daraus machte, durch seine Verstöße und seine Halsstarrigkeit die Veranlassung oder wenigstens Gelegenheit zu dem Aufstande gegeben zu haben, und darum jetzt versuchen wollte, ihn zu stillen und mindestens dessen furchtbarste und nicht wieder gutzumachende Folgen abzuwenden: er kam, um sich einer schlecht erworbenen Volksgunst mit Ehren wieder zu begeben.

Bei Volksempörungen sind immer eine gewisse Anzahl Menschen vorhanden, die, entweder in der Hitze der Leidenschaft, oder aus fanatischer Überzeugung, oder aus verbrecherischer Absicht, oder aus einer verworfenen Lust am Zerstören, ihr möglichstes tun, die Sachen aufs äußerste zu treiben, die grausamsten Ratschläge erteilen oder begünstigen, ein jedesmal, wenn das Feuer ein wenig nachzulassen scheint, es wieder anblasen; nichts ist ihnen jemals zu viel, sie wünschten, daß der Aufruhr weder Maß noch Ziel haben möchte. Aber als Gegensatz ist auch immer eine gewisse Anzahl anderer Menschen dabei, die vielleicht mit gleichem Eifer und mit gleicher Beharrlichkeit die entgegengesetzte Wirkung hervorzurufen bemüht sind. Manche von Freundschaft und Teilnahme an den Bedrohten angespornt; andere ohne sonstigen Antrieb als den eines frommen und unfreiwilligen Abscheus vor Blutvergießen und Grausamkeiten. Der Himmel segne sie.

Bei jeder dieser zwei einander widerstrebenden Parteien bringt, auch wenn keine vorgängigen Abreden stattfinden, die Gleichförmigkeit des Wollens eine augenblickliche Übereinstimmung im Tun und Lassen hervor. Was dann die Masse und gewissermaßen den Stoff des Tumults ausmacht, ist ein gemischter Haufen Volks, der mehr oder minder in unbestimmten Abstufungen dem einen oder anderen Äußersten zugetan ist: ein wenig leidenschaftlich, ein wenig schurkisch, ein wenig einer gewissen Gerechtigkeit, was sie darunter verstehen, zugeneigt, ein wenig lüstern, einmal eine rechte Ruchlosigkeit mit anzusehen, gleich bereit zur Grausamkeit wie zum Erbarmen, zur Anbetung wie zur Verabscheuung, je nachdem sich die Gelegenheit darbietet, das eine oder andere Gefühl entschieden zu betätigen; alle Augenblicke begierig, irgend etwas recht Arges zu erfahren, zu glauben, notgedrungen hinter irgend jemand herzuschreien, Beifall zu geben oder zu heulen. Er lebe und er sterbe, sind die Worte, die sie am liebsten von sich geben; und wem es einmal gelungen ist, sie zu überreden, daß der oder jener nicht gevierteilt zu werden verdient, der bedarf weiter nicht vieler Worte, um sie zu überzeugen, daß er würdig sei, im Triumph einhergetragen zu werden: handelnde Personen, Zuschauer, Werkzeuge, Hindernisse, je nach dem Winde; auch bereit zu schweigen, wenn ihnen niemand mehr das Wort gönnt; sich zu bescheiden, wenn keine Aufwiegler da sind; auseinander zu gehen, wenn recht viele Stimmen, ohne Widerspruch zu erleiden, geschrien haben: laßt uns gehen und nach Hause zurückkehren, indem einer den anderen fragt: was war denn eigentlich los?

Wie nun aber diese Masse eben die größte Kraft besitzt, ja die Kraft selber ist, so bietet eine jede der beiden handelnden Parteien allen Scharfsinn auf, sie auf ihre Seite zu ziehen, sich ihrer zu bemächtigen, sie sind gewissermaßen zwei einander feindliche Seelen, die um den Eingang in diesen dicken Leib, den sie in Gang bringen wollen, kämpfen. Sie lassen durch den, der es versteht, die Gerüchte verbreiten, die am geeignetsten sind, die Leidenschaften zu erregen, die Bewegungen zugunsten dieser oder jener Absicht zu leiten, lassen durch den, der es am schicklichsten einzurichten weiß, die Reden führen, die den Unwillen reizen oder schwächen, Hoffnungen oder Schrecken hervorrufen, lassen durch den rechten Mann das Geschrei erheben, das, immer lauter und lauter angestellt, zu einer und derselben Zeit die Stimmung der Mehrzahl für die eine oder andere Partei ausdrückt, bestätigt oder erschlafft.

Alle diese vielen Worte haben wir gemacht, um nun zu sagen, daß in dem Kampfe zwischen den zwei Parteien, die sich die Stimme des vor dem Hause des Proviantverwalters zusammengelaufenen Volkes streitig machten, das Erscheinen Antonio Ferrers einen großen Vorteil, fast im Nu, der menschlichen Partei verlieh, die offenbar den kürzeren zog, und wenn diese Hilfe noch ein wenig länger ausgeblieben wäre, weder mehr Kraft noch Zweck zum Kämpfen gehabt haben würde.

Der Mann war wegen jener von ihm festgesetzten Taxe, die die Käufer so sehr begünstigte, und wegen seiner heroischen Halsstarrigkeit, die allen Vernunftgründen Trotz bot, der Menge angenehm. Und die ihm schon zugeneigten Gemüter wurden jetzt um so mehr durch die mutige Zuversicht von ihm eingenommen, mit der der Greis derart ohne Bedeckung, ohne Gefolge eine ergrimmte, stürmische Menge aufsuchte, um ihr die Stirn zu bieten. Auch tat jene Kunde, daß er komme, um den Proviantverwalter nach dem Gefängnisse abzuholen, eine erstaunliche Wirkung, so daß die Wut gegen diesen, die sich nur desto heftiger erhoben haben würde, wenn irgendwer ihr hätte trotzen und etwa keine Zugeständnisse machen wollen, durch die bloße Zusage von Genugtuung, und, auf Mailändisch zu reden, mit dem Knochen im Munde, in etwas begütigen ließ, und den anderen widerstreitenden Empfindungen Raum gab, sich in einem großen Teile der Gemüter zu rühren.

Die Anhänger des Friedens standen, nachdem sie wieder zu Atem gekommen, Ferrer in hundertfacher Weise bei; indem die, welche in seiner Nähe waren, durch ihren Beifall den öffentlichen wieder und immer wieder erweckten und sich gemeinsam anstrengten, die Leute ein wenig zum Ausweichen zu bringen, um der Kutsche den Weg hindurch zu bahnen; die anderen, indem sie seine Worte, oder solche, die sie für die besten hielten, die er hätte sagen können, priesen, wiederholten oder umlaufen ließen, die beharrlich Wütenden zum Schweigen brachten und die neue Aufwallung der wankelmütigen Versammlung gegen sie wendeten.

»Wer hat was dawider, daß es heißt: ›Es lebe Ferrer!‹ He, möchtest du nicht gern, daß das Brot billig wäre? Das sind Schurken, die eine unchristliche Gerechtigkeit verlangen, und es gibt welche, die bloß deshalb mehr als die anderen lärmen, weil sie den Proviantverwalter wollen entwischen lassen. Ins Gefängnis mit dem Verwalter! Es lebe Ferrer! Platz für Ferrer!«

Und wie derer, die diese Sprache führten, immer mehr wurden, nahm die Vermessenheit der Gegenpartei um ebensoviel ab, so daß die ersteren vom Abmahnen dazu vorschritten, denen, die noch immer zertrümmerten, das Handwerk zu legen, sie zurückzustoßen, ihnen die Werkzeuge aus den Klauen zu winden.

Diese tobten, drohten auch, suchten wieder Kräfte zu gewinnen; aber die Blutsache war verloren; das vorherrschende Geschrei: »Gefängnis, Gerechtigkeit, Ferrer!« Nach einigem Wortwechsel wurden sie vertrieben; die anderen bemächtigten sich der Tür, sowohl um sie vor neuen Angriffen zu verteidigen, als auch um Ferrer daselbst den Zugang vorzubereiten; und einer von ihnen ließ denen im Hause Nachricht zuteil werden und rief ihnen zu – es fehlte nicht an Ritzen – daß Hilfe gekommen sei und daß sie den Verwalter bereit halten möchten, »ungesäumt ... nach dem Gefängnis abgeführt zu werden, hem, habt ihr verstanden!«

»Ist das der Ferrer, der die Verordnungen mitmachen hilft,« fragte unser Renzo einen neuen Nachbar, indem ihm das vidit Ferrer einfiel, das der Doktor ihm am Ende gezeigt und zu vernehmen gegeben.

»Jawohl, der Großkanzler,« wurde ihm geantwortet.

»Er ist ein Ehrenmann, nicht wahr?«

»Noch weit mehr als ein Ehrenmann! er ist ja der nämliche, der das Brot wohlfeil gemacht hatte, was sie aber nicht gewollt haben; und er kommt nun und setzt den Verwalter fest, der nicht recht und billig gehandelt hat.«

Es braucht nicht gesagt zu werden, daß Renzo ohne weiteres für Ferrer war. Er wollte ihm sogleich entgegnen: »die Sache war nicht leicht;« aber mit seinen gewissen alpinischen Brust- und Rippenstößen gelang es ihm durchzudringen und sich in erster Reihe dicht neben die Kutsche anzuschließen.

Diese war bereits etwas weiter in die Menge vorgerückt, und in dem Augenblick hielt sie infolge einer der Hemmungen still, die bei einer solchen Fahrt unvermeidlich und häufig sind. Der alte Ferrer zeigte bald an dem einen, bald an dem anderen Fensterchen der Kutschenschläge ein überaus demütiges, überaus gnädiges, überaus liebreiches Gesicht, ein Gesicht, das er nur immer für den Fall aufbewahrt hatte, wenn er sich in Gegenwart Philipps IV. befunden; indessen sah er sich gezwungen, es ebenfalls bei dieser Gelegenheit aufzubieten. Er sprach auch; aber das Lärmen und Gesumme so vieler Stimmen, die Lebehochs sogar, die man ihm brachte, ließen seine Worte nur sehr wenig und sehr wenigen verständlich werden. Er half sich also mit Gebärden, indem er bald die Spitzen der zehn Finger an die Lippen hielt, um einen Kuß darauf zu drücken, den die Hände, sofort voneinander geschieden, rechts und links hin als Danksagung für das öffentliche Wohlwollen verteilten; bald sie langsam flach ausgebreitet zu den Fensterchen hinaus bewegte und um ein wenig Platz bat; bald sie mit gefälligem Anstand senkte und um ein wenig Stillschweigen ersuchte. Hatte er dessen ein wenig erlangt, so vernahmen und wiederholten die Zunächststehenden seine Worte: »Brot, gute Zeit; ich komme, Gerechtigkeit auszuüben; ein wenig Platz, ich bitte.« Sodann zog er sich, von dem Getöse so vieler Stimmen, von dem Anblick so vieler zusammengestopfter Gesichter, so vieler auf ihn gerichteter Augen überwältigt und wie erstickt, einen Moment zurück, blies die Backen auf, stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte immerfort bei sich: » Por mi vida, que de gente!«

»Ferrer hoch! Nur nicht furchtsam. Sie sind ein Ehrenmann. Brot, Brot!«

»Ja, Brot, Brot,« erwiderte Ferrer; »in Überfluß; ich verspreche es,« und legte die Rechte aufs Herz. »Ein wenig Platz,« setzte er dann mit voller Stimme hinzu. »Ich komme, ihn gefangen zu nehmen, um ihm die gerechte Strafe zuteil werden zu lassen,« und fügte leise hinzu: » si està culpable.« Worauf er sich nach dem Kutscher vorbeugte und eilig sagte: » Adelante, Pedro, si puedes.«

Der Kutscher lächelte auch seinerseits mit Leutseligkeit der Menge zu, gleich als ob er eine hohe Person wäre, und bewegte unsäglich rücksichtsvoll langsam, langsam die Peitsche rechts und links hin, um die hinderlichen Nächsten zu vermögen, sich ein wenig zusammenzudrängen und zur Seite auszuweichen. »Ich bitte,« sagte auch er, »meine Herren, ein wenig Platz, nur ein ganz klein wenig, nur so viel, daß ich zur Not durchkomme.«

Derweil die eifrigsten Wohlgesinnten sich Mühe gaben, den so höflich erbetenen Platz zu machen, entfernten einige, vorn bei den Pferden, die Menschen mit guten Worten, die flache Hand auf die Brust gelegt, mit gewissen sanften Stößen.

»Da, da, ein wenig Platz, ihr Herren.« Andere übernahmen dasselbe Amt an den Seiten der Kutsche, damit sie weiter rollen könnte, ohne Füße zu rädern oder etwa irgendeinen schlimmen Gast zu quetschen; was, abgesehen von dem Schaden, den es den Leuten zufügte, Antonio Ferrers guten Erfolg bedeutend aufs Spiel gesetzt haben würde.

Renzo, nachdem er einige Augenblicke mit Wohlgefallen den würdevollen Greis betrachtet, den die Bangigkeit ein wenig verstört, die Beschwerde angegriffen, aber der Eifer belebt, die Hoffnung sozusagen verschönt hatte, einen Menschen aus der Todesangst zu ziehen, Renzo sage ich, gab jeden Gedanken auf, fortzugehen und beschloß, Ferrer hilfreich zu sein und ihn nicht eher zu verlassen, als bis er seine Absicht erreicht haben würde.

Gesagt, getan; er mischte sich unter die anderen, um Platz machen zu helfen, und war gewiß keiner der mindest Tätigen. Es wurde Platz: »Nur immer vorwärts,« sagte mehr als einer zu dem Kutscher, indem er zurückwich oder vorausging, um weiter vorn den Durchgang zu eröffnen.

» Adelante, presto, con juicio,« sagte auch der Herr zu ihm; und die Kutsche bewegte sich fort.

Inmitten der Grüße, die Ferrer aufs Geratewohl an das Publikum verschwendete, bezeigte er wiederholt seine Dankbarkeit mit dem Lächeln des Einverständnisses auch insbesondere denen, die er sich für ihn bemühen sah; und von diesem Lächeln fiel mehr als eins Renzo zu, der sie in Wahrheit verdiente, und dem Großkanzler an diesem Tage besser diente, als es der tüchtigste seiner Geheimschreiber würde vermocht haben. Den jungen, von dieser Begünstigung ganz betörten Gebirgsbewohner wollte es fast bedünken, als ob er mit Antonio Ferrer Freundschaft geschlossen hätte.

Einmal im Gange, setzte die Kutsche darauf mehr oder weniger langsam und nicht ohne einen und den anderen abermaligen kleinen Aufenthalt ihren Weg fort. Derselbe betrug eigentlich vielleicht nicht mehr als eine Wurfweite; aber in Betracht der Zeit, die er erforderte, hätte er wohl auch dem wie eine kleine Reise vorkommen dürfen, der nicht gerade Ferrers heiligen Eifer gehabt. Die Menschen bewegten sich vor und hinter der Kutsche her, rechts und links neben ihr hin wie Wogen rings um ein Schiff, das bei heftigem Sturme auf hoher See ist. Wilder, zwiespältiger, betäubender als das des Sturmes war dies Getöse. Ferrer, der bald nach dieser, bald nach jener Seite ausschaute und unablässig sich wendete und gestikulierte, suchte irgend etwas zu vernehmen, um nötigenfalls die Antworten danach einzurichten; er wollte sich, so gut es angehe, auf ein kleines Zwiegespräch mit dieser Gesellschaft einlassen; aber die Sache war schwierig, die schwierigste vielleicht, die ihm in den vielen Jahren seiner Großkanzlerschaft aufgestoßen war. Von Zeit zu Zeit schnappte er jedoch irgendein Wort, ja sogar eine Rede auf, die eine Gruppe auf seinem Wege wiederholte, so wie sich etwa der stärkere Knall einer Rakete in dem grenzenlosen Geprassel eines Feuerwerks vernehmen läßt.

Er, der sich bald anstrengte, in befriedigender Weise auf dies Geschrei zu antworten, bald, so laut er konnte, in die Worte ausbrach, von denen er wußte, daß sie gut aufgenommen werden würden oder die eine augenblickliche Notwendigkeit zu erheischen schien, sprach auch seinerseits die ganze Fahrt über.

»Ja, meine Herren, Brot, gute Zeit. Ich werde ihn ins Gefängnis bringen; er soll bestraft werden ... si està culpable. I, ja, ich werde es befehlen: das Brot soll wohlfeil sein. Asi es ... So ist es, will ich sagen: der König, unser Herr, will nicht, daß seine allergetreuesten Untertanen Hunger leiden sollen. Ox! ox! guardaos! tun Sie sich nicht Schaden, meine Herren. Pedro, adelante, con juicio. Gute Zeit, Überfluß. Ein wenig Platz, mit Gunst. Brot, Brot, ins Gefängnis, ins Gefängnis. Wie?« fragte er dann einen, der sich mit halbem Leibe zu dem Schlage hineingelehnt hatte, um ihm irgendeinen guten Rat, oder ein Gesuch, oder seinen Beifall oder was es sei zuzubrüllen. Aber dieser, der sich nicht einmal das Wie? aneignen konnte, war schon von einem anderen, der ihn in dringender Gefahr sah, gerädert zu werden, hinweggerissen.

Unter solcherlei Fragen und Antworten, unter unablässigen Beifallsbezeigungen, sowie auch mitunter dem Toben des Widerspruches, das hier und da vorübergehend laut wurde, war denn Ferrer am Ende, vorzüglich durch die Mitwirkung seiner wackeren Hilfsmannschaft, vor dem Hause angelangt.

Die anderen, die, wie wir gesagt haben, daselbst mit denselben guten Absichten standen, hatten inzwischen nicht nachgelassen, ein wenig mehr Platz zu machen. Sie baten, ermahnten, drohten, drängten, trieben, stießen hier- und dorthin, mit dem verdoppelten Eifer und den erneuten Kräften, die man fühlt, wenn man das ersehnte Ziel nahe bevorstehen sieht; und so mochte es ihnen denn gelingen, daß sie das Gedränge hier zerteilten und die beiden Haufen durch einen Keil abhielten, wonach zwischen der Tür und der Kutsche, die davor hielt, ein kleiner Raum entstand.

Renzo, der bald zur Bedeckung, bald als Vorläufer gedient hatte und mit der Kutsche angekommen war, konnte sich nun in eine der beiden Schranken von Gutgesinnten einreihen, die zugleich eine Gasse für die Kutsche und einen Damm gegen die zwei andrängenden Wogen des Volkes bildeten. Und indem er demnach mit seinen mächtigen Schultern die eine zurückhalten half, befand er sich auch auf einem guten Platze zum Zusehen.

Ferrer holte tief Atem, als er den kleinen freien Platz und die Tür noch geschlossen vorfand. Geschlossen will hier sagen, nicht offenstehend; im übrigen waren die Angeln schon fast ganz aus der Wand herausgerissen; die zerstoßenen, zersplitterten, klaffenden und mitten voneinandergerissenen Türflügel ließen durch ein bedeutendes Loch hindurch ein Stück von einem verdrehten, verbogenen und ziemlich abgelösten eisernen Riegel sehen, der sie sozusagen noch zusammenhielt. Ein Wohlwollender hatte sich an das Loch gestellt und hineingerufen, man solle aufmachen; ein anderer eilte hinzu, um den Kutschenschlag zu öffnen; der Greis steckte den Kopf heraus, erhob sich, und indem er mit der Rechten den Arm des braven Mannes erfaßte, stieg er heraus und setzte den Fuß auf den Kutschentritt.

Die Volksmenge auf der einen wie auf der anderen Seite richtete sich empor, um zu sehen. Tausende von Gesichtern, Tausende von emporgestreckten Bärten, die allgemeine Neugier und Erwartung rief einen Moment allgemeiner Stille hervor. Ferrer blieb so lange auf dem Kutschentritt stehen, warf einen Blick umher, grüßte die Menge mit einer Verneigung wie von einer Rednerbühne herab und rief, die linke Hand auf die Brust legend, aus: »Brot und Gerechtigkeit«; worauf er frei, aufrecht, in Amtskleidung unter Freudengeschrei herabstieg, das bis zu den Sternen empordrang.

Die drinnen hatten unterdessen die Tür geöffnet oder, besser zu sagen, den Riegel samt dem schon wackeligen Zubehör vollends gelöst. Sie sperrten sie auf, um den heißersehnten Gast einzulassen, trugen jedoch große Sorgfalt, die Öffnung dem Raum anzumessen, den seine Person einnehmen konnte. »Geschwind, geschwind,« sagte er, »macht ordentlich auf, daß ich hinein kann, und ihr haltet das Volk brav ab; laßt es mir nicht über den Hals kommen ... um des Himmels willen! Macht immer ein wenig Bahn, im Umsehen ... O weh, o weh! ihr Herren! einen Augenblick,« sagte er dann noch zu denen innerhalb. »Gemach mit der Tür, laßt mich durch; eh, meine Rippen; schont meine Rippen. Jetzt macht zu; nein, ei, ei! das Gewand, das Gewand!«

Es würde zwischen die Tür eingeklemmt geblieben sein, wenn Ferrer nicht mit vieler Gewandtheit die Schleppe nach sich gezogen hätte, die wie der Schwanz einer in ein Loch schlüpfenden verfolgten Schlange verschwand.

Die Türen wurden bestmöglichst wieder zugeschlagen und geschlossen und einstweilen von innen mit Stangen gestützt. Draußen arbeiteten sich diejenigen, welche sich zur Leibwache Ferrers eingesetzt hatten, mit Schultern und Armen, sowie mit Schreien ab, den Platz rein zu halten, und baten ihren Herrgott von Herzen, er wolle geben, daß er sich beeile.

»Geschwind, geschwind,« sagte er auch drinnen in der Halle zu den Bedienten, die um ihn herumstanden und keuchten und schrien: »Gott segne Sie! Ach, Exzellenz! o Exzellenz! hu, Exzellenz!«

»Geschwind, geschwind,« wiederholte Ferrer, »wo ist der unglückselige Mann?«

Der Proviantverwalter kam die Treppe herab, von anderen der Seinen halb gezogen, halb getragen, weiß wie ein gebleichtes Tuch. Als er seinen Helfer erblickte, atmete er tief auf; der Puls schlug ihm wieder, ein wenig Leben strömte ihm in die Beine, ein wenig Röte in die Backen, und er eilte Ferrer mit den Worten entgegen: »Ich bin in der Hand Gottes und Ihrer Exzellenz! Aber wie komme ich von hinnen? Allenthalben Volk, das mich töten will.«

» Venga con migo usted und seien Sie gutes Mutes, hier draußen steht ein Wagen; geschwind, geschwind.«

Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn nach der Tür zu, indem er ihm fortwährend Mut einsprach; aber mittlerweile sagte er in seinem Herzen: – » Aqui està el busilis! Dios nos valga

Die Tür geht auf: Ferrer tritt zuerst hinaus; der andere hinterdrein, zusammengekrümmt, an das rettende Gewand sich festhaltend, anklammernd, wie ein kleines Kind an den Rock der Mutter.

Die, welche den Platz freigehalten hatten, bildeten nun, indem sie die Hände, die Hüte erhoben, gleichwie ein Netz, eine Wolke, um den gefährlichen Anblick des Proviantverwalters der Menge zu entziehen; derselbe steigt zuerst in den Wagen und verkriecht sich darin in eine Ecke. Ferrer folgt ihm, der Schlag wird zugemacht. Die Menge spähte hindurch, wußte, erriet, was geschehen war, und brach in ein verworrenes Getöse von Beifallsbezeigungen und Verwünschungen aus.

Der Teil der Reise, der noch zurückzulegen war, konnte der schwierigste und gefährlichste scheinen. Aber die Stimme des Volkes hatte sich genugsam dahin ausgesprochen, daß der Proviantverwalter ins Gefängnis gebracht werden sollte. Und während des Anhaltens hatten viele von denen, die Ferrers Ankunft erleichtert, sich dermaßen angestrengt, einen Weg mitten durchs Gedränge zu bahnen und offen zu erhalten, daß der Wagen dies andere Mal ein wenig schneller und ohne aufgehalten zu werden fahren konnte. In dem Verhältnis, als er vorwärts kam, stürzten die beiden an den Seiten zurückgehaltenen Massen wieder aufeinander und flossen hinter ihm zusammen.

Sobald Ferrer saß, hatte er sich geneigt, um den Proviantverwalter zu ermahnen, sich im Hintergrunde wohl verborgen halten und um des Himmels willen nicht sehen zu lassen; jedoch bedurfte es der Warnung gar nicht. Er hingegen mußte sich zeigen, um die ganze Aufmerksamkeit des Publikums zu beschäftigen und auf sich zu lenken. Und auf der ganzen Fahrt, wie auf der ersten, hielt er an seine wechselnde Zuhörerschaft eine Rede, die die anhaltendste der Zeit nach, dem Sinne nach aber die unzusammenhängendste war, die jemals gehört worden. Nur unterbrach er sie einmal über das andere mit einem Wörtchen Spanisch, das er, in der Eile zu ihm gewendet, seinem niedergeduckten Gefährten ins Ohr raunte.

»Ja, ihr Herren; Brot und Gerechtigkeit: ins Kastell, ins Gefängnis, unter meiner Aufsicht. Dank, Dank, tausend Dank! Nein, nein; er soll nicht davonkommen! Por ablandarlos. Es ist nur allzu gerecht; man wird verhören, man wird zusehen. Auch ich will euch Herren wohl. Eine scharfe Züchtigung. Esto lo digo por su bien. Eine billige Taxe, eine wohlfeile Taxe und den Aushungerern ihre Strafe. Weichen Sie ein wenig aus, ich bitte. Ja, ja, ich bin ein rechtschaffener Mann, ein Freund des Volkes. Er soll bestraft werden, es ist wahr, er ist ein Schelm, ein Bösewicht. Perdon, usted. Es soll ihm übel bekommen, es soll ihm schlecht ergehen ... si està culpable. Ja, ja, wir wollen die Bäcker schon lehren, ehrlich zu Werke zu gehen. Es lebe der König und die guten Mailänder, seine getreuesten Untertanen! Er soll schon drankommen, er soll schon drankommen. Animo; estamos ya quasi afuera

Sie hatten nunmehr in der Tat das ärgste Gewühl durchmessen und waren schon nahe daran, völlig in Sicherheit zu gelangen. Hier gewahrte Ferrer, indem er anfing, seiner Lunge ein wenig Ruhe zu gönnen, die spanischen Soldaten, die keine Hilfe in der Not geworden, wiewohl sie noch zuguterletzt nicht ganz überflüssig gewesen waren, da sie, unter dem Beistande und der Anleitung einiger Bürget ein wenig mitgewirkt hatten, das Volk in Ruhe und beim endlichen Ausgange den Weg frei zu erhalten.

Sobald der Wagen nahte, bildeten sie eine Gasse und präsentierten das Gewehr vor dem Großkanzler, der auch hier eine Verbeugung rechts und eine Verbeugung links hin machte und zu dem Offizier, der näher vortrat, um ihn zu salutieren, sagte, indem er seine Worte mit einer Bewegung der rechten Hand begleitete: » Beso a usted las manos!« Worte, die der Offizier für das nahm, was sie wirklich besagen wollten, nämlich: Ihr habt mir eine schöne Hilfe geleistet! Zur Erwiderung salutierte er nochmals und zuckte die Achseln. Hier war in der Tat zu sagen: Cedant arma togae; aber Ferrer war in diesem Augenblick nicht zu Zitaten aufgelegt, und überdies würden es in den Wind gesprochene Worte gewesen sein, denn der Offizier verstand nicht Latein.

Sowie Pedro durch die beiden Reihen Mikelets, durch die so ehrerbietig erhobenen Musketen hinfuhr, kehrte ihm der alte Mut in die Brust zurück. Er kam durchaus von seiner Bestürzung wieder zu sich, erinnerte sich, wer er sei und wen er fahre; und indem er ohne weitere Umstände sein »Heda! he!« dem Volke zurief, das nun schon dünn genug stand, um auf diese Weise behandelt werden zu können und die Pferde antrieb, ließ er sie die Straße nach dem Kastell zu einschlagen.

» Levantese, levantese; estamos afuera,« sagte Ferrer zum Proviantverwalter, der, ermutigt durch das Aufhören des Geschreis, durch die rasche Bewegung der Kutsche und durch diese Worte, aufduckte, sich dehnte, sich erhob, und, nachdem er wieder ein wenig zu sich gekommen war, anhub, seinem Befreier Dank und wieder Dank und unablässig Dank zu sagen. »Ach!« rief dieser, nachdem er ihm sein Beileid wegen der Gefahr bezeigt und ihm wegen seiner Errettung Glück gewünscht hatte, und fuhr sich mit der flachen Hand über seinen kahlen Scheitel: » Que dirà de esto su excelencia, der so schon übler Laune genug wegen des verdammten Casale ist, das sich nicht ergeben will? Que dirà el conde duque, der schon die Stirn runzelt, wenn ein Blatt lauter als gewöhnlich rauscht? Que dirà el rey nuestro señor, der doch notwendigerweise etwas von einer solchen Zerstörung erfahren muß? Und wird es damit aus sein? Dios lo sabe

»Ach, was mich betrifft, ich will mich nicht mehr hineinmischen,« sagte der Proviantverwalter; »ich wasche mir die Hände; ich lege meine Stelle in die Hände Ihrer Exzellenz nieder und will künftig in einer Höhle auf einem Berge als Einsiedler leben, fern, fern von dem unmenschlichen Volke.«

» Usted wird tun, was am ersprießlichsten por el servicio de su magestad erachtet werden wird,« entgegnete der Großkanzler ernst.

»Se. Majestät wird nicht meinen Tod verlangen,« versetzte der Proviantverwalter. »In eine Höhle, in eine Höhle; weit fort von ihnen.«

Was in der Folge aus diesem seinen Vorsatze wurde, sagt unser Autor nicht, der, nachdem er den armen Mann in das Kastell begleitet hat, von seinem Tun und Lassen keine fernere Meldung tut.


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