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Alessandro Manzoni, einer der hervorragendsten Dichter des modernen Italiens, entstammt einer gräflichen Familie in Mailand, wo er am 7. März 1785 geboren wurde. Seine Mutter war die Tochter des Rechtsgelehrten Beccaria, der sich durch seine Abhandlung über »Verbrechen und Strafen« einen berühmten Namen gemacht hatte. Seine erste Erziehung genoß er bei den Somaskern in Merate und in Lugano. Nach Vollendung seiner Studien folgte er seiner Mutter, die eine enge Freundschaft mit Carlo Imbonati verband, im Jahre 1805 nach Paris. Hier trat er mit der »Gesellschaft von Auteuil«, die die letzten Vertreter der Philosophie des 18. Jahrhunderts umschloß, in engste Fühlung. Unter dem Eindruck der in diesem Kreise gepflegten freigeistigen Richtung entstanden seine ersten dichterischen Arbeiten, wie das Monti gewidmete Idyll » Adda« und die drei » Sermoni«. Den treuen Freund seiner Mutter, Carlo Imbonati, der im Jahre 1806 starb, besang er in einem tiefempfundenen Gedicht, das die Richtlinien seines Lebens enthält: Halte Körper und Seele rein, fühle und denke und begnüge dich mit wenigem. Dein Blick sei immer auf das Ziel gerichtet. Mache dich nie zum Sklaven deiner Leidenschaft, meide das Gemeine und Häßliche. Verrate nie die heilige Wahrheit. Gebrauche nie ein Wort, das dem Laster schmeichelt und die Tugend höhnt.
Hatte Manzoni bisher den Grundsätzen der Philosophie des 18. Jahrhunderts gehuldigt und sich in ihrem Geiste dichterisch betätigt, so trat nach seiner Verheiratung mit Louise Blondel, der Tochter eines Genfer Bankiers, im Jahre 1808, allmählich ein Umschwung in seiner religiösen Anschauung ein: er wandte sich dem strenggläubigen Katholizismus zu, ohne jedoch ein Fanatiker des Glaubens zu werden. Das Ergebnis dieser Seelenstimmung waren die fünf Hymnen » Inni Sacri «, in denen er die Geburt des Heilandes, die Passion, die Auferstehung, die Ausgießung des Heiligen Geistes und die Mutter Gottes besingt. Er hatte damit einen ganz neuen Ton in die religiöse Dichtung, die sich in Italien noch nicht von den starren mittelalterlichen Formen losgelöst hatte, getragen. Auch in seinem Trauerspiel » Der Graf von Carmagnola« schlug er neue Wege ein und streifte zugleich den Einfluß des klassischen französischen Dramas gänzlich ab. So wurde er der Bahnbrecher des nationalen italienischen Dramas, das sich allerdings auf der Bühne nie recht behauptet hat. Der Held des Stückes, das in Mailand und Venedig spielt, ist der Condottiere Carmagnola, einer jener abenteuerlichen Heerführer, die im Dienste der italienischen Städterepubliken standen und denen das Kriegshandwerk als der idealste Lebensberuf galt. Manzoni hatte somit einen Vorwurf gewählt, der der dichterischen Phantasie und Gestaltungskraft den weitesten Spielraum bot. Meisterhaft ist die Zeichnung der Charaktere, kraftvoll und gedankenreich die Sprache, von seiner lyrischer Grundstimmung der Chor, den er nach dem Muster der antiken Tragödie dem Drama einfügt.
Ähnliche Vorzüge hat die Tragödie » Adelchi« aufzuweisen, die zur Zeit Karls des Großen spielt. Auch hier strebt Manzoni eine getreue Wiedergabe der historischen Begebenheiten und Charaktere im Rahmen einer frei erfundenen Handlung an. Goethe, der an dem dichterischen Schaffen Manzonis das größte Interesse nahm, äußert sich über seine Dramen folgendermaßen: »Manzoni fehlt weiter nichts, als daß er selbst weiß, welch ein guter Poet er ist und welche Rechte ihm als solchem zustehen. Er hat gar zu viel Respekt vor der Geschichte und fügt aus diesem Grunde seinen Stücken immer gern einige Auseinandersetzungen hinzu, in denen er nachweist, wie treu er den Einzelheiten der Geschichte geblieben. Nun mögen seine Fakta historisch sein, aber seine Charaktere sind es doch nicht, so wenig es mein Thoas oder meine Iphigenia sind.« (Eckermann: Gespräche mit Goethe. I.)
Einen gewaltigen Eindruck auf die Zeitgenossen machte Manzonis Ode auf den Tod Napoleons » Der fünfte Mai« (1821). Es ist dies eine Schöpfung aus ehernem Guß. Was Napoleon der Welt, Frankreich, sich selbst gewesen ist, was der Titan, der das alternde Europa mit neuer Lebenskraft erfüllt hat, geleistet, was er nach seinem Sturz als Geächteter auf dem Felseneiland empfunden hat, – alles das findet in dieser Ode den abgeklärtesten Ausdruck. Kein Wunder, daß das Gedicht »Der fünfte Mai«, das eine einzige Huldigung des Genies ist, den Dichterruhm Manzonis in alle Länder trug.
In die breitesten Schichten des Volkes ist Manzoni indessen erst durch seinen historischen Roman » I promessi Sposi« (Die Verlobten), der 1825 in erster Auflage in Mailand erschien, gedrungen. Zweifellos unter dem Einfluß Walter Scotts stehend, hat er doch einen Roman von höchster Eigenart geschaffen, der vorbildlich für die romantische Schule Italiens geworden ist. Als Vorwurf behandelt er die Lebensschicksale eines jungen Paares aus dem Volke, das nicht zusammenkommen kann, weil sich der Eheschließung ein Wüstling aus der Aristokratie widersetzt. Es ist nur ein Ausschnitt aus dem Alltagsleben, eine Begebenheit, die gleichgültig und unbedeutend erscheinen mag – wie aber hat der Dichter die Handlung zu steigern und zu vertiefen verstanden! Mit welcher Schärfe hat er die Gestalten gezeichnet! Sie stehen lebendig vor uns, als wären sie aus Fleisch und Blut, als lebten sie mitten unter uns; wir leiden und empfinden mit ihnen. Da ist Lucia, das verfolgte Mädchen aus dem Volke, Renzo, der unglückliche Liebhaber, die alte Agnese, der Geistliche Abbondio, der Aristokrat Don Rodrigo, der Kapuziner Cristoforo, der Kardinal Borromeo – alles festumrissene Typen, alles Träger einer besonderen sittlichen Anschauungswelt. In ihren Empfindungen und Handlungen kennzeichnet sich die tiefe Gegensätzlichkeit der verschiedenen Stände und Klassen aus der Zeit der spanischen Herrschaft in Mailand.
Der Schauplatz des Romans ist das Italien des 17. Jahrhunderts, eine von den heftigsten Parteikämpfen durchwühlte Zeit, die gewalttätige, in der Verfolgung ihrer Ziele vor keiner Schandtat zurückschreckende Charaktere hervorbringt. Einheimische Despoten und fremde Eroberer plündern im Bunde mit der Geistlichkeit das vom tiefsten Aberglauben besessene Volk aus, das erst dann seiner Empörung Luft macht, wenn der Druck unerträglich geworden ist. Einen anderen trübseligen Hintergrund des Romans bildet die Pest, das Schreckgespenst Europas, die im Herzogtum Mailand unerhörte Opfer fordert.
Der Roman setzt wie ein Kleinstadtidyll ein, um sich von Kapitel zu Kapitel zu einem gewaltigen Epos zu steigern. Manzoni findet für alle in den Zeitumständen wurzelnde Seelenstimmungen der Menschen, die 300 Jahre vor uns gelebt und gelitten haben, einen wundervollen Ausdruck. Darin liegt der unvergängliche Wert dieses Meisterromans, daß er einen Eindruck von solcher Stärke auf uns ausübt, als hätten sich die Dinge vor unseren Augen abgespielt.
Der Stil Manzonis ist schlicht, ohne Pathos und hohle Deklamation, ganz der Art der Menschen angemessen, die er schildert. Wie in allen seinen historischen Schriften, so ist er auch hier eifrig bemüht, das Zeitkolorit zu treffen und das Charakteristische und Wesentliche scharf herauszuarbeiten. In der Kleinmalerei zeigt er sich nicht minder als Meister wie in der Charakter- und Milieuschilderung. Prachtvolle Naturbilder, mit glutvollen Farben hingesetzt, erhöhen den Reiz dieser romantischen Dichtung.
Wiederum war es Goethe, der die Bedeutung Manzonis auch als Romandichter rückhaltlos anerkannte. »Ich habe Ihnen zu verkünden«, sagt er zu Eckermann, »daß Manzonis Roman alles überflügelt, was wir in dieser Art kennen. Ich brauche Ihnen nichts weiter zu sagen, als daß das Innere, alles was aus der Seele des Dichters kommt, durchaus vollkommen ist, und daß das Äußere, als Zeichnung von Lokalitäten und dergleichen, gegen die großen inneren Eigenschaften um kein Haar zurücksteht. Das will etwas heißen. Der Eindruck beim Lesen ist derart, daß man immer von der Rührung in die Bewunderung fällt und von der Bewunderung wieder in die Rührung, so daß man aus einer von diesen beiden großen Wirkungen gar nicht herauskommt. Ich dächte, höher könnte man es nicht treiben. In diesem Roman sieht man erst recht, was Manzoni ist. Hier kommt sein vollendetes Inneres zum Vorschein, welches er bei seinen dramatischen Sachen zu entwickeln keine Gelegenheit hatte ... Manzonis innere Bildung erscheint hier auf einer solchen Höhe, daß ihm schwerlich etwas gleichkommen kann; sie beglückt uns als eine durchaus reife Frucht. Und eine Klarheit in der Behandlung und Darstellung des einzelnen wie der italienische Himmel selber!« (Gespräche mit Goethe. I. 18. Juli 1827.)
Manzoni hatte, obgleich er bei Erscheinen seines historischen Romans erst im Alter von vierzig Jahren stand, den Höhepunkt seines dichterischen Schaffens erreicht. Aus seinem späteren Schaffen kommen nur noch zwei kleinere Schriften in Betracht. 1834 veröffentlichte er in zweiter, erweiterter Auflage eine gegen die Angriffe Simondis auf die katholische Moral gerichtete Schrift » Osservazioni sulla morale cattolica «, in der er mit aller Entschiedenheit als Verteidiger des Katholizismus auftrat. Dann fügte er der dritten Auflage seines Romans 1840 einen Anhang hinzu » Storia della Colonna infame «. Hierin unterzieht er das Kriminalverfahren, das gegen die angeblichen Urheber der Pest in Mailand angestrengt war und zu deren Verurteilung und Hinrichtung führte, einer kritischen Beleuchtung und bekämpft die Auswüchse des Aberglaubens.
Nach dem Tode seiner Frau im Jahre 1833 lebte Manzoni zurückgezogen auf seinem Landgut Brusuglio bei Mailand. Eine zweite Ehe, die er im Jahre 1837 schloß, änderte in seinen äußeren Lebensbeziehungen nichts. Er lebte fortan nur noch seinen Studien und persönlichen Neigungen. Als Politiker ist er in der bewegten Zeit der italienischen Einheitskämpfe, obgleich er trotz seines strengen Katholizismus ein Anhänger der Einheitsidee war, niemals öffentlich hervorgetreten. Er hat in dieser Beziehung starke Berührungspunkte mit Goethe, der sich gleichfalls in bewegter Zeit nicht auf die Arena des politischen Kampfes begeben hatte, wenngleich er den politischen Geschehnissen das größte Interesse entgegenbrachte. Durch Ernennung zum Senator des Königreichs Sardinien, das im Jahre 1861 zum Königreich Italien erweitert wurde, ehrte die Regierung den großen italienischen Dichter. Im höheren Grade als für die politische Einheit der Nation, wirkte Manzoni für die sprachliche Einheit des neuen Italiens. In seinen letzten Lebensjahren veröffentlichte er zahlreiche Aufsätze, in denen er der Vorherrschaft des toskanischen Dialekts, dessen er sich auch in seinem berühmten Roman bedient hatte, das Wort redete.
Manzoni starb hochbetagt am 22. Mai 1873, betrauert von der ganzen Nation, die ihn in ihrer Gesamtheit ohne Unterschied der Partei und der religiösen Anschauung als einen Charakter von antiker Größe und Gradheit und als die mächtigste literarische Persönlichkeit des modernen Italiens verehrte.
Dr. Hanns Heinz Ewers