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Der König war gekleidet mit einem Aufwand wie nie zuvor, als die Schweizer kamen, ihr Bündnis zu erneuern. Auf der Reise nach der Hauptstadt hatte man sie vielfach bewirtet, besonders prachtvoll und freigebig Herr de Villeroy. In Paris aber stand das Garderegiment vom Schloß bis zu der Straße Saint-Honoré. Die Haupttreppe des Schlosses war mit Soldaten besetzt, zwei Reihen auf jeder Stufe, dazwischen stiegen die Schweizer nicht ohne Hochgefühl. Im großen Saal des Louvre sahen sie die Schotten eine doppelte Hecke bilden; hiermit wurde ihnen vor Augen geführt, daß der König von Frankreich über eigene und fremde Truppen verfügte. Sie selbst wären nicht seine einzigen Freunde.
Aber sie waren sehr alte Freunde aus Schlachten, Verträgen und gewinnreichem Verkehr. In seinem vorigen Krieg gegen Savoyen hat der König ihre Nachbarstadt Genf gerettet. Der Herzog von Montpensier mit ausgesuchter Begleitung erwartete sie, der Graf von Soissons begrüßte sie. Im Vorzimmer des Königs war der Prinz von Condé, der führte sie zu der Majestät auf ihrem Sitz. Die Majestät erhob sich, sie nahm vor ihnen den Hut ab. Der schwarz und weiße Hut trug eine Spange von Diamanten, ihr Wert war gar nicht abzuschätzen, und noch mehr Diamanten bedeckten die Schärpe. Die Schweizer hätten dem König die Hand geküßt schon wegen dieses gediegenen Reichtums, alles andere nicht gerechnet. Die rechte Hand des Königs hing seinen Schenkel entlang, und jedem Schweizer, der ihm die Rechte küßte, legte er die Linke auf die Schulter, was ihnen über die Maßen wohltat.
Ihr Wortführer war ein Fürsprech Sager von Bern. Den Dolmetsch machte der Admiral de Vic, da ein Seemann eher als andere die Dialekte der Völkerschaften versteht, oder mit viel Übung errät er den Sinn. Der König antwortete ihnen kurz, aber wunderhübsch, sie waren ganz beglückt. Bei den zahlreichen Festen, die ihnen hiernach gegeben wurden, fehlte nur der Kardinal von Paris mit der Entschuldigung, daß unter den Schweizern viele Ketzer wären. Der König lachte ihn aus. Jetzt befahl er erst recht die Ausstattung Nummer eins der Kirche Notre-Dame, die schönste Messe wurde musiziert in dem Dom zu Unserer lieben Frau. Türkische Teppiche unter den Füßen und andere, mit Lilien bestickte, worauf sie saßen, so beschworen die Bundesgenossen des Königs nochmals ihre bewährte Treue. In das Konzert hinein donnerten vom Arsenal die Kanonen des Herrn de Rosny.
Die Schweizer bekamen zu essen und zu trinken wie keine andere der fremden Abordnungen. Der Hof von Frankreich entnahm aus ihrer leiblichen Verfassung, daß nicht einmal die Ehren ihnen Keller und Küche ersetzt hätten. Sieht man die kuriosen Vettern, Gesichter rot, starkes Gesäß -- man meint, das größte Weingefäß wäre vollgepumpt von Bacchusgöttern. Daher setzte man die Schweizer an die königliche Tafel in einer langen Reihe nach Rang und Würdigkeit. Jeder von ihnen bekam ein ausgezeichnetes Gegenüber, lauter vornehme Herren. Trommeln, Pfeifen und andere Instrumente beförderten die Unterhaltung, und Gesundheiten wurden ausgebracht stundenlang, auf den König, auf die Königin, den Herrn Dauphin, auf das Bündnis, dann wieder auf die glückliche Entbindung der Königin, und derart immer fort.
Die Majestäten aßen in einem Zimmer allein, aber nach beendeter Mahlzeit zeigten sie sich ihren Gästen. Die Königin kam nur bis zu der Tür, sie wollte doch zusehen, wie oft diese Leute das Glas hoben. Der König trank mit ihnen, er bewunderte einen Eidgenossen, der den Bauch eingebunden trug, und einen Hundertjährigen ließ er erzählen von den alten Schlachten seiner entfernten Vorgänger. Fünf Stunden hielten sie durch, worauf sie voll und zufrieden ihre Wohnungen aufsuchten. Während sie schnarchten, taten die Kanonen im Arsenal es ihnen gleich.
Dies waren die Schweizer, bekannte Freunde, so gut wie zugehörig. Aber Lübeck, eine Stadt am Baltischen Meer, das Haupt des mächtigen Bundes der Hansa, entsendete um die gleiche Zeit an den Hof von Frankreich seinen Bürgermeister Reuter, den Ratsherrn West, mehrere reiche Kaufleute und erfahrene Rechtsgelehrte mit einem Gefolge berittener Wachen außer den Ratsschreibern, die auf offenen Karren den Karossen der Herren folgten. Der zugegebene Zweck waren Handelsprivilegien von Seiten Spaniens. Diese sind nachher in Madrid zugebilligt worden, besonders infolge des Besuches, den die Hanseaten zuerst dem König von Frankreich erstatteten, ein Anlaß großer Sorge für andere.
1606, Ende November, war der Aufbruch. Sie reisten und reisten, bis sie eintrafen, und wurden am neunundzwanzigsten Januar nächsten Jahres vom König Henri empfangen. Die Fremden aus Norden begegneten einem völlig umgewandelten König, kein Schmuck an seiner ernst gekleideten Person. Der Louvre selbst hat seinen Glanz gedämpft. Die Garden stehen Hecke, zur Begrüßung sind weniger Edelleute erschienen, als Mitglieder des königlichen Parlamentes und Pastoren. Die Verständigung geschieht lateinisch. Die Messe kommt schwerlich in Frage, so wenig wie ein Ohrenschmaus und andere Schwelgereien. Die neuen Gäste haben im Gegensatz zu den vorigen graue, harte Mienen, ihre Knochen sind schwer, von wenig Fleisch bedeckt; sie sprechen breit und scheinen nie zu lachen.
Mit den Kinnbärten an ihren langen Gesichtern, in ihrer schwarzen Tracht, um den Hals die umfänglichen Krausen und Ketten aus rotem Gold auf der Brust der Ratsherren -- sind das nicht die unzugänglichen Spanier von der anderen Seite des Erdteils? Der König begibt sich gemessenen Schrittes unter sie, jeden läßt er seinen Namen sagen und behält ihn wie auch die äußeren Verschiedenheiten. Jedem reicht er die Hand, er wartet keineswegs, daß sie geküßt wird. Tritt alsbald ein berechnetes Stück von ihnen fort, erteilt das Zeichen, daß der vorderste reden möge. Das ist Bürgermeister Beuter, und den höfischen Stil hat er nicht geübt. Er drückt sachlich aus, daß der Christenheit ein schrecklicher Krieg droht. Der wird den Handel vernichten, insbesondere die lübische Flotte stillegen, und der reformierte Glaube wird neue Verfolgungen kennen. Diese sind angebrochen, wie auch die Handelswege schon unsicher werden, zu Wasser und Land. Die Hansa sieht, daß alle Unruhe der Welt von den Kaiserlichen ausgeht; sie mißachten sowohl das vernünftige Bekenntnis zu Gott wie auch den friedlichen Austausch der Waren. Aus Unwissenheit, falschem Eifer, infolge der Verkennung des Rechtes auf den freien Verkehr und das freie Gewissen, das wir von unserem Schöpfer mitbekommen haben, ruchlos betreibt Habsburg den Krieg -- und der soll sein Ende sein, sprach der Mann; zum erstenmal erhob er die Stimme und die Brust, wovon seine goldene Kette klirrte.
Der König sah ihn starr an. Er wußte, daß der Mann Magnifizenz genannt wurde und war das Oberhaupt eines Gemeinwesens von weit mehr Macht als räumlichem Ausmaß. ›Er ist fernher gereist, muß bedacht haben, warum. Wenn er seine Rede schließt, wie wird ihm zu erwidern sein: wieviel? Ich will den Krieg nicht, dies zuerst.‹
Der Bürgermeister erinnerte den König an einen Vertrag, den er vor drei Jahren mit der Hansa geschlossen habe. Damals war der Gegenstand die gemeinsame Abwehr der Seeräuberei. In den nördlichen Gewässern hatten englische Freibeuter sie betrieben. Seither war das Übel abgestellt worden dank dem Bündnis der Könige von Frankreich und England. Nicht mehr die zufälligen Piraten veranlaßten heute die Städte, dem berühmten Herrscher ihre Gesandten zuschicken, sondern sein Großer Plan zur Rettung der Christenheit -- sie hatten davon gehört. Wie weit die Entfernung wäre, der Große Plan des Königs von Frankreich dringt überall hin, wenn auch kaum in den Berichten der Diplomaten, oder sie läsen sich wie ein erträumtes Gerücht. »Was ist die Absicht, und will der Herr uns mehr oder weniger anvertrauen?« fragte Reuter einfach geradheraus.
Henri sah vorerst um nach den beiden Gestalten hinter ihm, links Admiral de Vic, rechts Rosny. Sie zeigten soldatische Gesichter, unbeteiligt, außer wenn Befehle ergingen. Henri war in dieser Sache allein. Er faßte seine Beschlüsse, während er seine groß geöffneten Augen zwischen die Augen des Fremden richtete. Seine Schuhe hatten für den Empfang ungewöhnliche Absätze. Etwas anderes ließ ihn den Hergereisten an Wuchs gleich erscheinen: seine Straffheit und Biegsamkeit, der hoch getragene Kopf, die Augen, die nichts fürchteten.
Der König setzte zum Sprechen an, schloß aber nochmals den Mund. Erwartung, Stille, er überlegt, daß er das breite Latein des Bürgermeisters wohl verstanden hat -- warum eigentlich, da es französisch ausgesprochen ganz anders klänge? Plötzlich stieß er seinen alten heimischen Fluch aus: er hatte gefunden. Nimm den lateinischen Dialekt aus deinen Pyrenäen zu Hilfe. Wähle die Wendungen klassisch, wenn es geht, nur überlaß dich deiner angeborenen Zunge: die verstehen sie! Er begann.
»Ich begrüße Eure Magnifizenz. Ich erkenne, daß so viele Vertreter eures hochberühmten Bundes diese mühevolle Reise aus Freundschaft unternommen haben. Ich erwidere eure Gefühle. Ihr verabscheut den Krieg, der sich der Christenheit nähert und ergreift sie Stück um Stück. Ich will den Krieg nicht.«
Der König machte eine Pause. Auf sein Zeichen wurden Stühle herbeigetragen; die Abgesandten verharrten gleichwohl auf ihren Füßen wegen der Wichtigkeit der Eröffnungen, die bevorstehen konnten. Henri wiederholte in einem ungemeinen Klang, er mußte denken, das sei auf einmal die Stimme seiner lieben Mutter Jeanne:
»Ich will den Krieg nicht. Der Krieg soll weder eure Freiheiten vernichten, noch dies Königreich bedrohen. Erlöse uns von dem Übel, ist unser Gebet, und wird gehört werden vom Allmächtigen, da wir mächtig sind. Mein Admiral de Vic hat in den Ländern des Nordens meine eigene Sprache hören lassen: so wißt ihr, daß ich da bin und wache. Mein Gesandter de Vic hat euch gesagt, daß ich das Schwert führe nicht für den eigenen Vorteil noch für weltlichen Nutzen allein. Ich bin stark genug, und betrieben andere den Krieg, ich will ihn nicht.«
›Dreimal‹ denkt Henri, ›sag's ihnen dreimal, damit genug.‹ »Jetzt wißt, daß ich nicht nur das größte Heer und viele gute Schiffe habe. Das Beste ist mein Anhang in aller Welt. Die Staaten wie die Menschen fallen der Sache bei, die ihnen das Heil verspricht, und ich kann's halten. Von allen meinen Verbündeten nenne ich euch Holland, eine Republik wie eure, und die Schweizer Eidgenossen, ein Bund dem euren gleich.«
Er läßt den Papst weg, hat sich noch mit anderen verabredet; diesen Protestanten ist es schwerlich verborgen geblieben, aber manche Namen werden sie ebenso gern verschweigen wie er selbst. Im verstärkten Ton erwähnte er dagegen England, Venedig, die Niederlande nochmals, die Skandinaven, die protestantischen Fürsten Deutschlands, Böhmens, Ungarns. »Ihr seht, daß ich nicht müßig war« -- dies und das folgende machte er eindringlich, hielt hierbei alle gleichzeitig im Auge, die Magnifizenz und ihre Begleitung.
»Meine Verbündeten zusammen haben noch mehr Soldaten als ich; kein so gewaltiges Kriegsheer wurde in Europa je erblickt. Ich schweige noch von der Menge und Furchtbarkeit meiner Geschütze. Mein Großmeister, Herzog von Sully, soll sie euch zeigen mitsamt meinem baren Kriegsschatz -- reicht keiner leicht heran. Dies alles ist zuerst bestimmt, den Angreifer abzuschrecken und soll den Frieden erzwingen, da bis jetzt nur die unbezweifelbare Übermacht es kann.«
Er senkt die Stimme, Henri wird unvermittelt vertraut mit den Fremden, die er für verschlossen und nüchtern hält. Reden sie dennoch, ist es nur ein Beitrag zu den unglaubwürdigen Sagen, die ohnedies über ihn umgehen.
»Mein Großer Plan, ihr wohlweisen Herren begreift ihn. Er ist die Rechnung, daß ein Friede, den nur die Rüstungen erzwingen, verschwenderisch bezahlt wird. Ihr seid Kaufleute, aber auch wir verstehen uns auf die Buchführung; mein Herr Herzog von Sully gibt euch darin nichts nach. Der Friede ist seinen Preis wert, wenn nicht wir allein ihn tragen, sondern alle christlichen Staaten überein. Ich und meine Verbündeten werden alle überzeugen, wo ihr Vorteil und ihre Sicherheit sind. Nirgends sonst, als in einem Völkerbund.«
Die Gesichter verrieten ihm, daß ein erstaunliches Wort gefallen war; er hatte sich ihrer Zweifel versehen, bevor er es aussprach. Mehrere wechselten die Stellung, ein Geraune entstand hier und dort -- einer setzte sich geräuschvoll. Henri ließ die Bewegung auslaufen. Dann sagte er in der gewöhnlichen Stärke, nur ungemein gewichtig:
»Wenn nach den Worten Seiner Magnifizenz der Krieg allein die Herrschsüchtigen niederwerfen kann, dann sei es, wir müßten als erste zu den Waffen greifen. Ich weiß mir etwas Besseres, das ist das Recht. Fünfzehn Staaten der Christenheit sollen in einem Rat sitzen, der schlichtet ihre Streitigkeiten und beschließt unsere gemeinsamen Unternehmungen gegen die Ungläubigen, die den Osten Europas bedrohen. Das Haus, das Seine Magnifizenz herrschsüchtig fand, wird froh sein, daß die Armeen des Völkerbundes ihm beistehen. Dagegen bestätigt der Bund die endgültigen Grenzen der Staaten. Dies ist nicht mehr die Zeit, aufzurühren was ruht und die Länder der gesitteten Welt nach Willkür neu zu verteilen, als wären sie durch Zufall, wie sie sind. Sie sind es aber zufolge der Geschichte, die Muße gehabt hat, ihren Willen zu vollstrecken. Die religiösen Bekenntnisse sollen verbürgte Grenzen haben wie die Staaten. Ein Religionskrieg, noch einer? Ich bin der Fürst, der sie kennt«, rief Henri mit der Stimme, die er vor seinen Schlachten angewendet hatte: im Ton eines Befehls war dies die Ausgabe der Losung und Erhebung der Herzen.
»Ich kenne die Religionskriege. Daß niemand wage, bei meinen Lebzeiten noch einen zu beschwören!«
»Bei meinen Lebzeiten«, hörte er hier flüstern. Merkwürdig, der Mann, der vor Staunen hingesessen war, kam hoch, und seine drei Worte waren französisch. In seine Augen aber traten Tränen. An Henri war es, sich zu verwundern. Indessen zeigte er nichts dergleichen; das nächste sprach er väterlich, nichts konnte selbstverständlicher lauten, ein Hinweis, den die Erfahrung und das Wissen geben. Einmal hob und senkte er die Schultern, weil das Befremdliche nicht sein Großer Plan war, vielmehr, daß die einfache Wahrheit mm allein gehören sollte, und andere erfaßten sie bis jetzt nur halb.
»Fünfzehn christliche Dominationen schließen den Bund«, dies wünschte er den Kaufleuten einzuprägen, da sie zur See fuhren und die Welt unterrichten konnten. Unverbindlich, bevor die diplomatischen Schritte folgten. Ob die Welt es glauben wird? Gleichviel. Sechs erbliche Monarchien, er zählte sie auf. Sechs souveräne Herrschaften, die ihre Häupter wählen, angefangen mit dem Papst und dem Kaiser, den Beschluß machen Böhmen und Venedig. Unter den Republiken versteht der König von Frankreich, wie üblich, die Niederlande und die Schweiz, er nennt aber eine dritte, an die niemand gedacht hat: Italien, seine vereinigten Kleinstaaten. Fünfzehn christliche Dominationen schließen den Bund, und da der Völkerbund eine bewaffnete Macht haben wird, jeden Angreifer zu bestrafen, wird Friede sein. »Die innere Selbständigkeit jedes Staates und sein äußerer Bestand, freier Glaube, sicheres Recht, da habt ihr den Frieden, der seinen Preis lohnt.«
Fertig, er ließ sein Publikum aus den Augen, damit es der empfangenen Eindrücke bewußt würde. Er sprach mit den Herren de Vic und Rosny; der Abstand war genau berechnet, daß die Fremden noch zu verstehen blieben. Sie sagten untereinander, daß sie hohe Begriffe, tiefe Betrachtungen vernommen hätten, wenn auch nichts, was heute zu verwirklichen wäre. Vielleicht, daß späte Zeiten --. Aber wie spät müßte eine Zeit sein, wenn sie den ewigen Frieden erreicht. Immer werden die Völker lenkbar, die Mächtigen begehrlich bleiben. Wir sind es selbst, daß wir es gestehen, und sperrt man uns die Handelswege, dann hat man Gründe.
Der König bat Herrn de Vic, zu dolmetschen, da der Seemann die Dialekte kannte. Jemand aber sagte: »Dieser wäre stark genug, seinen Großen Plan durchzusetzen. Er hat oft gesiegt. Er muß nochmals siegen.«
»Ha!« rief der König und lachte, da er sich durchschaut fand. »Meine Kanonen nicht zu vergessen, die sollen den fünfzehn christlichen Dominationen die Ohren öffnen. Zeigt den Reisenden mein Arsenal!«
Großmeister und Admiral, er nahm beiden die Hand, in ihrer Mitte verabschiedete er die Fremden. Da hätten sie die Begleitung, die sie brauchten, und möchten ihn nur für keinen Träumer ansehen, auf Wolken geh er nicht. »Saget nicht: ein hohes Gefilde, wohin der Mann sich verirrt. Sagt nur: Sein Weg war lang, war immer schwer, er folgt ihm bis an das Ende.«
Einem einzelnen winkte er und befragte ihn, während die anderen nach dem Ausgang gewendet waren. Der einzelne hatte am Anfang vor Staunen seine Haltung verloren, nachher hatte er drei französische Worte geflüstert. Schließlich hatte er gesagt: Dieser wäre stark genug. Der König fragte:
»Ratsherr West, warum weinten Sie?«
Der Angesprochene bewegte den Kopf, um zu verneinen. Er wollte nichts mehr wissen -- hielt aber die Lider etwas zu lange gesenkt. Als er sie aufhob, beherrschte er sich wieder. Er drückte das Kinn auf die Brust, es war seine ganze Verneigung. Dann trat er rückwärts den Gang nach der Tür an, die Augen in denen des Königs. Die Antwort war er schuldig geblieben.
Der schwedische Gesandte beim Hof von Frankreich hieß Grotius und war ein Gelehrter von Weltruf. König Henri hatte ihn berufen, bevor der Gelehrte amtliche Eigenschaft bekam. Zu gewissen Zeiten pflegte er sich mit Herrn Grotius einzuschließen, unbekannt, warum. Der Hof vermutete eine protestantische Verschwörung gegen die Christenheit. Dasselbe feindselige Mißtrauen begleitete seine übrigen Handlungen, die Empfänge fremder Abordnungen wie der hanseatischen, und nicht weniger verdächtig erschienen die Rüstungen des Königs seinem eigenen Hof. Sein Ausspruch über die rheinischen Herzogtümer, die nicht habsburgisch werden sollten, niemand machte daraus eine verräterische Waffe gegen ihn wie sein Minister Villeroy.
Durch Europa hin und wider wurde die Anklage erhoben, er wäre der Angreifer, von ihm allein sei der große Krieg zu befürchten. Die Völker nicht, die glaubten es nicht. Sie sahen und mußten fühlen, wer ihre Drangsal zum Äußersten trieb mit gewaltsamen Bekehrungen, der Folter, dem Raub von Kindern und Gehöften. Die Deutschen, mit denen der Böse am schnellsten fuhr, verschafften dem König von Frankreich den Ruf des Erlösers. Er war unparteiisch, beide Bekenntnisse erwarteten von ihm ihr Recht auf den Glauben und die Sicherheit. Nun wird die Meinung der Welt von den Schriftkundigen gemacht; fragt sich, wem sie zu Willen sind. Geübt, die Wahrheit und die Lüge, beide haarscharf zu beweisen, hätte alles, was unter ihren Augen geschah, sie schwerlich zu der Redlichkeit angehalten. Indessen kennt man den Namen Grotius, diese Leuchte des Völkerrechtes soll den König von Frankreich beraten, was nach schändlichen Vorhaben nicht aussieht. Achtung, man läuft Gefahr, sich um das eigene Ansehen zu bringen.
Am Hof des Kaisers wurde gesagt:
»Mag er das Reich haben. Sei er der wahre König der Römer und lasse dem Papst nichts übrig als sein Bistum.« Das sprach man unter sich und nicht zu ihm, um ihn zu versuchen wie einst.
Unwiderstehlich ist ein bewaffneter Ruhm, der auch noch das Schwert des Geistes führt. Den Anklagen, die Europa einnehmen sollten, begegneten Zweifel und Widerspruch. Die Ungewißheit über den Großen Plan machte ihn sowohl verheißungsvoller als furchtbarer, bei denselben Menschen beides. Man war am Hof des Kaisers halbwegs bereit, die eigene Sache aufzugeben, nicht allein, seit sie angefangen hatte, die schwächere zu sein. Oder wurde sie schwächer, weil Verlockungen, die niemand begriff, heißen aber der Große Plan, sogar die Feinde des Königs Henri anzogen, daß sie schwankten.
Der Kurfürst von Sachsen ließ in seiner Gegenwart predigen über die augenscheinliche Ähnlichkeit des Königs Henri mit David, der den Goliath schlug. In der Schweiz erschien ein Buch: »Auferstehung Karls des Großen«. Die Einwohner Venedigs, wie sie da waren, stürzten jedem Franzosen nach. »Hast du ihn gesehen?« riefen sie. Noch mehr, es gab Spanier, die auf ihn hofften.
Seine damalige Lage erinnerte die Beobachter auffällig an die Anfänge seiner Laufbahn, als das Gerücht ihn bei weitem nicht zum König von Europa ausersehen hatte; es nannte ihn, wenn es hoch kam, den König von Frankreich. Auch das war er zu jener Zeit nicht wirklich, sondern gebot beinahe nur dort, wo sein Heer stand. Der König hatte für sich den Gedanken des Königreiches. Desgleichen hat er heute seinen Großen Plan -- der einige Wahrscheinlichkeit erhält, nicht, daß man ihn verstände. Die Annahme ist einfach, daß seine Heere siegen werden, da sie es gewohnt sind. Sein eigener Großmeister ist höchstens hiervon recht überzeugt. Er bringt die Gedanken seines Herrn zu Papier, da sind sie schon entstellt. Er sieht allein: ›Der König wird losschlagen, je eher, je besser, laß das übrige unsere Sorge sein. Was er mit Herrn Grotius ausheckt, was er einmal den fremden Kaufleuten anvertraut hat, und ich selbst erfahre jeden neuen Einfall, obwohl verspätet -- das ist zuletzt ein Hirngespinst. Ein König, der viel gehandelt hat, darf meinetwegen spinnen. Wir zeichnen alles sauber auf, wenn er nach einiger Verlegenheit unseren Beifall fordert. Den hat er. Das Einfachste bleibt, loszuschlagen.‹
Für den kurzgefaßten Angriff rechneten Großmeister und König auf die Niederlande. Der Krieg wurde verschoben, Rosny selbst mußte die schwere Störung zugeben, als die Generalstaaten ihren gesonderten Waffenstillstand mit Spanien schlossen. Das war der Gegenzug Habsburgs, da Europa im Begriff schien, seinem Retter in die Arme zu sinken. Der König von Frankreich verzeichnet einen Mißerfolg -- nicht bei den Völkern, die in ihn vernarrt sind, am meisten die weit entfernten. Aber die Mächte verfolgen, wie der nächstgelegene seiner Verbündeten beiseite rückt noch vor der Probe. »Sire! Ihr Sieg war außer Frage«, sagte Rosny. »Nach meiner Meinung bleibt er gesichert, ob auch Ihre anderen Verbündeten versucht wären, es zu machen wie der Prinz von Oranien.«
Der König hörte heraus, es wäre angezeigt, einen neuen Umschwung abzuwarten. Es kam keiner mehr, in seinem Innersten wüßt er's. Dein Erfolg ist auf seiner Höhe: nicht zögern, bis er ermattet! Was ist zuletzt dein Erfolg? Die eigene Bereitschaft, die hinausstrahlt. Kraft deiner Macht des Gemütes hast du gegenüber keine Fremden mehr. Freund oder Feind, es sind lauter Ergriffene. Die Macht des Gemütes ist allerdings am schwersten in die Länge zu ziehen. Verpaß den Punkt nicht! Bleib in Bewegung! Jetzt oder nie, zieh in deinen Krieg, sonst ist er schon verloren.
Henri, nach seiner Natur zumeist auf den Füßen, fing damals an zu sitzen. Sein Kabinett war nachgerade erfüllt von Gedanken, die ungerufen wiederkamen und liefen nochmals ab. Was er ungern eingestand, sein Kabinett war die Zuflucht gegen seinen Hof, von den Höfen Europas der nächste, daher der ungläubigste. Hier wurde der König bezweifelt, da man den Menschen kannte, oder vermaß sich, ihn zu beurteilen, jeder nach seiner unbedeutenden Erfahrung, die aber herkömmlich und beglaubigt war. Der König ist ein verhärteter Spieler, gealterter Schürzenjäger und ohne Religion. Er ist von einer Ruhelosigkeit des Geistes, die jeden Herrscher gefährlich machen würde; um wieviel mehr den, der nichts ernst nimmt. Er ist ein Zerstörer von Geburt auf. Hätte er sein Ende als Zwanzigjähriger in der Bartholomäusnacht gefunden, er brauchte es heute in keinem Krieg gegen ganz Europa zu suchen.
Er hat Gemeine erhöht, Große verkleinert, und als der erste, der die überlieferten Rechte mißachtet, will ein Verräter andere wegen Verrates bestrafen, richtet Marschälle hin, raubt Fürstentümer. Auf der Neuen Brücke läßt er sein eigenes Bild von dem Pöbel verehren: das sind Protestanten, seine unfehlbaren Genossen bei jeder seiner Ausschreitungen. Man denke ihn fort, gleich wäre Ruhe und Frieden. Dies Königreich ist es satt und übersatt, die Christenheit zu bedrohen und ihr Abscheu zu sein. Daß diese Herrschaft aus wäre! Die Regentschaft der Königin, nichts anderes brauchen wir. Die Ordnung der Welt und unsre eigene wären hergestellt.
So wurde in höherem Auftrage von den Kanzeln geredet. Wie hätten nicht auch die geeigneten Laien sich anstiften lassen. Man sprach derart auf den gewohnten Ecksteinen zu der vorhandenen Menge Volks -- die war aber eines anderen belehrt. Sie hatte ihre Erinnerungen an die Werke des Königs Henri, wogegen Worte nur Schall und Rauch sind. Die Leute teilten mit ihm das Gefühl für ihr Land. Der allgemeine Wohlstand war ihnen schwerlich zu verdächtigen, so wenig wie die öffentliche Duldsamkeit, da beides lange und mühselig versucht worden war. Ohne ihn hätten sie damit nicht angefangen, und er handelte für sie mit. Die gewöhnlichen Leute, Arbeiter und wer alles auf den Straßen lebte, hatten eine geheime Verbindung nach dem König Henri; waren ihrer gleichwohl nicht in jeder Stunde bewußt. Der Redner auf dem Eckstein konnte durchaus ihren Beifall genießen. Wie es einst vorkam, als der König selbst von seiner Jagd zurückkehrte und geriet in das Gedränge.
Es versperrte die Straße de la Ferronnerie, längs eines Hauses -- sein Wahrzeichen ist ein gekröntes Herz von einem Pfeil durchbohrt. Der Bestochene auf dem Eckstein bellte rauh, sein Hals war von der Krankheit angefressen. Sonst hatte er als Gerichtsschreiber die Trinkgelder der Parteien genommen, war aber nicht deswegen entlassen worden, sondern weil er die Lustseuche bekam. Jetzt verzehrte er an den Wirtstischen, was er vorher gebellt hatte, obwohl die Stimme streckenweis ausblieb. Dann hängte er die Zunge zwölf Zoll weit heraus, ließ noch ganz andere Gebärden sehen, krächzte wieder einmal und nannte den König einen lüsternen Greis. Das Geschäft betrieb er auf Kosten-des Herzogs von Epernon, desselben, der hier vorbeiritt zu Seiten des Königs. Ihn begleitete auch der Herzog von Bellegarde. Von Edelleuten umgeben folgte die Karosse der Königin; bei ihr auf dem Kissen saß die Marquise de Verneuil, da die Damen einander verstanden.
D'Epernon hatte auf dem Eckstein niemand vermutet. Übrigens war er schwerhörig und gichtisch. Als er seinen eigenen Schurken erkannte, wußte er dennoch Bescheid und spornte sein Pferd. Es half ihm nicht. Dem Schurken versagte ganz der Laut, aber eine Frau stimmte ein Lied an. Das Lied des Königs, nun es wieder erklang, sangen alle es mit, es war unvergessen. Blieb ihm selbst nichts übrig, als daß er am Zügel zog und stand. »Feuillemorte«, sagte er, »das müssen wir schon gehört haben.« -- ›Reizende Gabriele, dem Ruhm gehorchend war's, wenn blutend aus der Seele ich fortzog mit Gott Mars.‹
Das Lied geht getragen, den Psalmen ähnlich. Zwischen den Reitern, die standen, und dem unaufhaltsamen Wagen war der Abstand bald eingeholt. Die Königin in heller Wut befahl dem Kutscher: darauflos. Auszuweichen, war kein Raum; der König mußte vorwärts. Er hörte entfernter, schwächer: »Grausames Abschiedgeben, o Tag voll Schmerz, hätt ich nicht dieses Leben oder kein Herz.«
Der König ritt schnell, immer schneller; außer seinem Großstallmeister ließ er alle zurück.
»D'Epernon«, befahl die Königin dem ältlichen Kavalier, der beflissen den Kopf in ihr Fenster schob, »lassen Sie von dem unverschämten Volk einsperren, so viele man fängt.« Der Herr fragte »ha« und »he«, dann hatte er verstanden und versicherte der Majestät, daß Auftrag hierfür gegeben sei. Die Reihe war an der Marquise: sie konnte jedem das Herz brechen, was eine Person, die lebenslang die Stimme zu wechseln scheint, leicht hervorbringt. »Nicht, daß ich an mich dächte, ich bin Beleidigungen gewöhnt und Tränen sind meine Nahrung. Nur das Schicksal Eurer Majestät bewegt mich, mir bangt überaus. Ein Gebieter, der mit einer Grausamkeit handelt, wie soeben gesehen und gehört, von ihm ist allerdings das Äußerste zu befürchten. Schrecklich zu sagen, auf dem Spiel steht das Leben der Königin. Herr d'Epernon, strafen Sie mich Lügen, ich werde Ihnen auf den Knien danken.« -- »Ha? He?« fragte der Gichtische. Er krümmte sich vom Sattel mit aller Betulichkeit, die wirklich sein eigen war, nur daß er allerdings im Kopf einen Mord hatte.
Der Gefährte des Königs und seine Mätresse, in der folgenden Verschwörung machen beide die Hauptfiguren. D'Epernon ist gewarnt, der Großmeister rückt ihm näher auf den Pelz, hat Biron und Turenne erjagt, wird auch ihn nicht verfehlen -- außer man käme zuvor. Dasselbe ist beschlossen ein für allemal in dem kleinen bösen Schädel der jungen Henriette. Was immer verhängt sein sollte über Henri, es steht fest bei einem alten Fürsten, dessen letzte Vorrechte wanken, und bei einer Frau, die ihm nichts Geringeres vorwirft. Bleibt übrig, der Königin beizubringen, daß es sein muß: noch weiß sie nicht, was. Nichts übereilen, bis jetzt erschräke sie und beichtete ihrem Gemahl. Hat man sie einmal so weit, daß sie hören darf: er soll sterben -- keine Sorge, es kommt dahin, und das ausgesprochene Wort ist schon die Tat.
Dieser Wagen fuhr jetzt langsam auf das Geheiß der Königin, die keine Eile mehr hatte. Die Straßen wurden leer wegen der Stunde des Essens, es dämmerte grau. In das andere Fenster sprach zu Marie ihr Kavalier vom Dienst, Concini. Den haßte sie, weil er nicht mit ihr schlief -- liebte ihn aber, wenn er zu Pferde saß. Er war zu schön, sie konnte dagegen nicht an. Sie machte sich öffentlich zur Herrin der Turniere, die er für sie kämpfte. Es waren einfach Ringelspiele, man hätte gelacht. Der König lachte wirklich. Empfand er die Schande, von ihm erfuhr es nur Rosny.
Ein Hausknecht mit soviel schamlosem Glück wie Concini hat es schwer, das freche Gesicht ins Unschuldsvolle zu verziehen. Er tat ein übriges, während er durch das Fenster der Königin sprach, er beklagte die Lage des Königs. »Seine falschen Freunde haben ihm angeboten, mich umzubringen.«
Marie wurde für ihre Verhältnisse nicht laut. »Wenn er das wagt --«
Man hielt den Atem zurück, ob von ihr selbst das Wort käme und ohne lange Mühe wäre es heraus. Sie sagte aber:
»Dann bin ich gefaßt, daß er mich vergiftet.«
Mehr nicht; nur ein Gedanke, der ihr schwaches Gehirn längst heimgesucht hatte, schien unweigerlich festzusitzen. ›Sie ist dümmer als erlaubt‹, dachte die Marquise auf demselben Kissen wie sie. ›Mit einer Medici hielt ich's für leichter‹, meinte d'Epernon, nachdem er begriffen hatte. Der unentbehrliche Hausknecht schob einen Blumenstengel zwischen seine weißen Zähne und lächelte.
Henri saß vor der Wache des Louvre ab. Als er um den Ausgang des Torgewölbes bog, stieß einer ihn heftig an; eine Entschuldigung kam nicht, aber es war dunkel. Bellegarde, der nachfolgte, hielt den Flegel an, sagte ihm, was er wäre, und fragte, ob er den König nicht kenne. Der Irgendwer gab an, er wisse im Dunkeln, wen man erkennen müsse. Worauf er zu Boden geworfen wurde, und als er hochkam, schritt die Wache ein.
In seinem Kabinett fand Henri seinen Ersten Kammerdiener. »Sieh dir meine linke Schulter an.«
»Sire! Man sieht nichts«, sagte Herr d'Armagnac. »Wenn aber die Haut Sie juckt, müssen Sie eine gewisse Wanze zerdrücken.«
Henri erwiderte: »Alte Schlösser wie dieses sind voll von Ungeziefer, die Reinigung geschieht auf den Schlag.«
D'Armagnac seufzte. Bei sich sprach er ohne Bilder, daß sein Herr gegen seine schlechten Feinde im Nachteil sei, da seine innere Hoheit ihn entwaffnete. ›In unserer Jugend hätten wir um Haaresbreite den Herzog von Guise dahingestreckt, was ihm nachher in Wirklichkeit geschah, als er zu vornehm geworden war. Heute sind wir die Vornehmen und haben für das mindere Geschmeiß eine unzulässige Nichtachtung. Die muß sich an uns rächen. Die Kleinen ertragen nichts so schwer, wie geschont zu werden aus innerer Hoheit. Lebten wir doch in unserem niedrigen Schloß Louvre, anstatt auf unserem Großen Plan oder hohen Gefilde.‹
Derart überlegte der Alte ohne Bilder, insofern der Gegenstand sie entbehren konnte. Mit wiederholtem Seufzen ging er ab, da er bemerkte, wie sein Herr in Gedanken verfiel. Hepri hörte einfach Gesang. ›Das Lied ist erschallt auf offener Straße wie voreinst. Der Dauphin ist schon groß. Die Tote schläft schon lange. Aber der kurze Krieg und der ewige Friede, die fünfzehn Dominationen und endgültige Ordnung Europas -- wann empfing ich die Nachricht davon zuerst? Sagte, daß ich es vollbringen wollte und wollte stürzen das Reich der Finsternis? War einmal ein Feuerwerk zu Monceaux im Park. Eng an Seiten meiner teuren Herrin sah ich das Rad sein Silber sprühen, darüber plante der Schwan. Mein ganzer innerer Himmel hat damals geflammt, ich erblickte einen freien Bund von Königreichen und Republiken. Meine Sache wurde zu der Stunde, daß die Völker leben sollten, und sollten nicht statt der lebendigen Vernunft an bösen Träumen leiden in dem aufgedunsenen Bauch der universalen Macht, die sie alle verschluckt hat. Dies ist die wahre Herkunft meines Großen Plans. Nicht sehr realistisch; nüchtern wird endlich jede Erleuchtung. Jetzt bringt Herr Grotius sie in Paragraphen und Rosny rechnet sie aus.
Anfangs entzog ich mich dem Großen Plan, vergaß ihn, verbannte ihn in Gefilde, die nicht von hier sind. Er ist ohne meinen Willen vorgeschritten, ist abgewandelt in Zuständen mehrerer Art. Es ist wahr, inzwischen drängten mich Unternehmungen genug, richtige und falsche. Ich mußte Recht und Unrecht tun von Tag zu Tag. Die Handlungen sind kurz, aber endlos ihre Folgen. Mir starb meine Liebste. Viele starben, oder ich tötete sie. So wahr Biron ein Verräter war, leb ich jetzt mit lauter Verrätern in meinem Louvre, der unhaltbar geworden ist. Herr Concini macht Anstalten, einen fürstlichen Besitz für mehrere Millionen zu kaufen. Wen such ich, der ihn warnt? Mir stände es nicht zu Gesicht; die Völker und die Höfe sehen mich anders als in der Rolle eines Betrogenen, der nur noch um den äußeren Anstand bittet.
Sie sehen mich über und über gerüstet, aller Welt verbündet, und laß ich meinen Feinden die Frist, aufzuatmen, ist es meine Gnade. Ich begnadige täglich meine eigene Königin. Sie hält zu den Verschwörern, obwohl der Nachfolger ihres Onkels in Florenz durch Vertrag an mich gebunden ist. Haben alle den Vertrag mit mir, werden ihn halten oder brechen, je nachdem ich lebe oder nicht. Nun werd ich leben, weil der Große Plan die gewachsene Wirklichkeit ist: ich habe sie nicht gewählt, sie ist von Natur. Wir sterben nicht. Wer Zeit behält zu reifen, erfährt, was sein wird dereinst, und war er selbst seit hundert Jahren nicht mehr. Ich will es aber vollbringen mit Gott -- muß diese Weile noch warten, loszuschlagen. Den Concini laß ich warnen.‹
Hiermit beauftragte er alsbald die Herzogin von Sully, eine Dame, die ihm des ehrerbietigen Gehorsams von jedermann versichert schien vermöge ihrer augenfälligen Strenge und weil ihr Gatte Furcht erregte. Es kam anders. Madame de Sully wurde, um Ärgernis zu vermeiden, nicht bei dem Kavalier der Königin vorstellig; sie wendete sich an die Königin, mit aller Schonung übrigens; die Majestät dürfe nicht ins Gerede kommen. Furchtbare Wut des Kavaliers oder Sigisbée. Nicht, daß er sich zu der Dame bemühte: er beschied sie nach Schloß Louvre, als ob es schon seines wäre. In Gegenwart der Königin machte er der hoch zugeknöpften Protestantin den unflätigsten Auftritt. Alte Schraube, sie sei drollig, habe wohl Absichten auf ihn. Ihrem König könne sie erzählen, wer hier auf ihn pfeift -- wobei Concini aber sprang wie ein Wilder, auch seine Miene war von einem reißenden Tier. Er, Furcht vor dem König? Beileibe. Der König soll sich nicht rühren, oder ihm widerfährt ein Unglück.
Die Dame behielt kaltes Blut, sie schämte sich seiner läppischen Ausgelassenheit. Der Hausknecht wütete weiter, als sie schon entwichen war. Unerhört, ein Mann versucht sich aufzulehnen gegen den Ritter seiner Frau -- obendrein, was für ein Mann! Der König verkennt sich und seine Lage. Auf seinen Hintritt wird allseits gerechnet, keine Kunst, ihm nachzuhelfen. Die Regentschaft der Königin, für Eingeweihte hat sie begonnen.
Was sie anhörte. In ihrer Wut, der Wut ihres schönen Ritters, bemerkte sie gar nicht, wovon zum erstenmal offen die Rede war: ihren Gatten zu ermorden. Sie hat es nicht ernst genommen, entschied Henri, als das Ereignis ihm zugetragen wurde. Nicht von Madame de Sully, die ihre dünnen Lippen fest verschloß. Der Dauphin war es, aus seinem stillen Winkel hatte er glühend zugehört, war aber davon noch bleicher. Er schwur sich den Tod des Herrn Concini; hat's auch gehalten, als er König war.
Dauphin Louis, bei seinem Vater im Kabinett: »Sire! Man will Sie töten. Meine arme Mutter ist mit verschworen.«
Henri: »Junge, ich kenne sie neun Monate länger als du. Sie eifert und zankt, sie ist herrschsüchtig: eine Wölfin ist deine liebe Mutter nicht.«
Louis: »Der andere war ein ganzes Rudel Wölfe, die setzten durch das Zimmer überall. Mich hätten sie aufgefressen mitsamt Knochen.«
Henri: »Aber die Königin?«
Louis: »Sie gehorcht ihm, mein verehrter Herr Vater, Sie wissen es doch.«
Henri: »Sie schläft mit ihm nicht. Laß dir sagen, was die Hauptsache ist. Anders beherrscht man keine Frau.«
Louis: »Sire! Befehlen Sie mir, Ihren Mörder unschädlich zu machen.«
Henri: »Der ist nicht mein Mörder und wäre unwürdig deiner Hand.«
Louis -- bleich, früh aufgeschossen, erstickt von Tränen: »Papa, mein lieber Papa! Die anderen müssen ein schreckliches Beispiel sehen. Der Leichnam wird auf der inneren Brücke des Louvre liegen. Wer ein- oder ausgeht, wird über ihn wegsteigen.«
Genau so kommt es, zu der Zeit des Königs Louis. Hier ist sein großer Herr Vater, der ihn umarmt und ihm in das Gesicht spricht.
»Du wirst noch lange ein Kind sein. Vergiß nicht: heut haben wir uns unterredet als Männer. Feinde machen wir uns durch unsere Taten, und mit anderen Taten müssen wir sie schlagen. Das hört nie auf, ein Mord beweist nichts. Ich fürchte mehr für deine Mutter, die der Schonung bedarf: denn sie ist immer schwanger.«
Der Dauphin war nah am Aufschluchzen. Der König bedeckte ihm schnell den Mund: draußen gingen Schritte. Als die Tür geöffnet wurde, lief der König auf allen vieren um das Kabinett. Der Dauphin ritt auf ihm und lenkte seinen Hals vermittels eines Taschentuches. Wer eintrat, war der spanische Gesandte. Don Inigo de Cardenas kam nach Paris mit außerordentlichem Auftrag: die Rüstungen und Absichten des Königs von Frankreich genau zu erkunden. Bei gegebener Gelegenheit sollte er Erklärungen verlangen. Diesmal schien ihm die Lage ungeeignet.
Don Inigo war nicht nur ein stolzer Spanier, er war auch ein verlegener. Der Abstand von allen Menschen, den die Reihe seiner Ahnen ihm überliefert hatte, erhielt endlich bei ihm einen verkehrten Sinn und durfte nicht mehr Selbstvertrauen heißen. Don Inigo betrachtete von der Tür her die sonderbare Jagd, wie sie den Fußboden beherrschte. Er fühlte sich verscheucht oder fehl am Ort, und wenn nicht peinlich betroffen, dann traurig. Der König hopste doppelt hoch, bestrebt, den Dauphin abzuwerfen. Der klammerte sich an, er schrie vor Erregung und Vergnügen. Seine leibliche Länge, sein bleiches ernstes Angesicht widersprachen dem kindlichen Gemüt.
Der König hielt. Ohne daß er vom Boden aufgestanden wäre, fragte er: »Herr Gesandter, haben Sie Kinder? Ja? Dann lauf ich weiter.«
Schon setzte er seine Runde fort. Der Dauphin stotterte: »Da-das m-machen wir immer.«
Während der vorigen Unterredung mit seinem Vater hatte er niemals gestottert.
Don Inigo zog sich zurück. Er trug als ersten Eindruck davon, dieser König wäre dem Weltreich ungefährlich.
Derselbe Gesandte vergaß seinen Auftrag darum nicht. Wenn der König kein feierliches Benehmen hatte, er hatte einen Großmeister und ein Heer. Sein Gold nahm furchtbar zu, indessen das spanische zerrann. Sein Großer Plan, niemand ließ sich sehr tief darin ein, nur gerade Don Inigo durchdrang ihn aus einem kalten Abstand, der Vorurteile ausschloß. Als einziger, soviel man weiß, erriet er beinahe, daß eine Ordnung der Welt in erreichbarer Nähe wäre ohne das universale Habsburg. Eine hundertjährige Gewöhnung der Meinungen erschwerte es ihm mehr als man denkt; ja, der hochmütige Grande war sehr zu rühmen für seine geheime Verlegenheit und herabgesetztes Selbstvertrauen, die ihm den Verstand eröffneten.
Natürlich ließ er den Großen Plan beiseite, soweit er ihn überhaupt auskundschaftete. Hat ihn nie erwähnt; um so dringlicher betrieb er die völlige Entzweiung der beiden Majestäten vermittels zweier spanischer Heiraten. Die Königin war sogleich dafür eingenommen, daß ihr Dauphin der Infantin zu verloben wäre. Der König schlug es aus. Er machte keine falschen Versprechungen, er sagte offen nein. Der gestellten Bedingung bedurfte es nicht, damit Henri fest blieb. Der Vorbehalt Spaniens hieß, daß er Holland preisgäbe.
Don Inigo war hartnäckiger als ein anderer, an dem kein Wurm genagt hätte. Er setzte dem König zu, bis Henri eines Tages die Geduld verlor. Er fluchte und rief: »Wenn der König von Spanien mich noch lange ärgert, besuch ich ihn plötzlich in Madrid.«
»Sire«, erwiderte der Gesandte mit voller Würde, »Sie wären nicht der erste König von Frankreich, der dort gesessen hätte.«
Und wie gesessen! In einer Zelle, groß wie ein Hühnerstall. »Herr Gesandter«, sagte Henri viel sanfter. »Sie sind Spanier, ich Gascogner. Verlegen wir uns auf das Großsprechen, wo hören wir dann auf.«
Wegen seiner Antwort und anderer derart, wurde Don Inigo der Held des Tages; es beschämte ihn eher, als daß es ihm schmeichelte. Die Königin entdeckte, daß sie seine Verwandte wäre. Der Hof redete in den edlen kastilianischen Wendungen, die er eingeführt hatte. Die Absicht war, den König zu demütigen. Don Inigo, entschieden schwieriger als sonst diese Herren, wollte keinen Vorrang vor der Majestät. Zufällig wurde das Schwert des Königs an ihm vorbeigetragen. Er nahm es dem Diener ab, wendete es um und um, damit er es recht sähe. Küßte es. Sprach: »Ich Glücklicher habe in meinen Händen gehalten das tapfere Schwert des tapfersten Königs der Welt.«
Auch blieb er in der Hauptstadt zurück, als ein anderer Gast von hohen Graden sie heimsuchte: die Pest.
Vom Hof entflohen die meisten auf ihre Güter. Der Ruf der Seuche war von alters her wohl erhalten, die Schwarze Pest hatte immer größere Schrecken bekommen seit ihrem Erscheinen vor dreihundert Jahren. Beulenpest und Lungenpest, entweder nur die eine oder beide auf einmal, hatten, soweit man persönlich zurückdenkt, vor zehn Jahren während der Belagerung, am schwersten aber vor fünfzig gewütet. Das einzige Hospital, Gasthaus Gottes benannt, genügte sonst; nur wenn die Pest kam, packte man in jedes Bett acht Kranke. Sehr zu verwundern, daß gerade dort, wo Gott am nächsten war, die meisten erlagen. Achtundsechzigtausend bei der vorletzten Heimsuchung: alte Leute hatten sie noch gezählt. Die letzte war gnädiger verlaufen, möglichenfalls im Zusammenhang mit einer Verordnung des Erzbischofs, die Verpesteten wären zu trennen von allen anderen Kranken. Seither trug die Seuche einen Namen, der einer Entdeckung gleichkam: die Ansteckung hieß sie.
Der König weigerte sich, Paris zu verlassen trotz inständiger Forderungen der Königin, die ihrerseits von dem Paar Galigai-Concini gedrängt wurde. Als Marie nicht weiterwußte, gab sie ihrem Gemahl die ganze Schuld an der Pest. Das vorige Mal habe er sie seiner Hauptstadt zugezogen, als er diese noch nicht besaß und sie durch Aushungerung bezwingen wollte. Der Fluch wohnt ihm ein, jetzt bricht er wieder aus. Wer sich einmal zum Anathem gemacht hat, bleibt es -- behauptete Marie von Medici, die mächtige Furcht hatte. Galigai-Concini ersparten ihr keinen einzigen Sterbefall: schon seien vom Gesinde des Louvre mehrere fortgeschafft. Infolge Zuredens der beiden befahl sie, ein Schiff zu rüsten. Sie hätte die Dauer der Seuche auf dem offenen Meer verbracht. Den Dauphin hätte sie mitgenommen sowie natürlich ihre Kavaliere vom Dienst, sogar die ausgedienten. Der König mochte sich seiner geliebten Pest ergeben.
Sein Sinn war allerdings ganz auf sie gerichtet. Er dachte sie abzukürzen vermittels Luft und Feuer, zwei Elementen der Reinigung. In Schloß Louvre ließ er die Fenster offenhalten, und überall brannte viel Wacholder. Dieselben Hölzer mit ihrem starken Duft entnahm er den Wäldern zur Entgiftung der volkreichen Stadtteile. Seine besondere Sorge war, der Ansteckung die Wege abzuschneiden. Diese führten, wie er meinte, über den Rhein. Deutschland verwahrloste schnell, ob man den Vorgang schon Krieg oder vorerst anders nennt. Die Ansteckung war ein Vorbote des übrigen Unheils, das es noch entsenden sollte. Aber nahe der Grenze in Lothringen sitzt Kathrin.
Die Herzogin von Bar, Madame Schwester des Königs, seine liebe Kathrin -- er selbst hat sie gezwungen, dorthin zu heiraten. Wäre es wahr, daß in ihm der Fluch wohnt? Man verachte das vermessene Geschwätz. Wie ergeht es den Frommen? Bei ihren Bittgängen durch die Straßen, wo alle Heiligen beschworen und Sterbegebete geleiert werden, fallen im Gedränge immer einige um und sind angesteckt. Die Pestilenz ist kein Fluch, keine Strafe; sie wird unterhalten durch die Unwissenheit und den Schrecken. Keine Angst! Kathrin, du hast doch keine? Sieh, dein Bruder, der dir im Leben viel Unrecht getan hat, er holt dich hierher mit reitenden Boten, am sichersten bist du bei ihm.
Er suchte einen, dem sie voraussichtlich folgte. Er fand seinen Verwandten, den jungen Condé. Der Prinz war von Natur schweigsam, wenigstens gab er sich damals nicht anders zu erkennen. Etwas später sollte er viel Wesens machen. Bis jetzt war er traurig und geduldig, vom König empfing er dankbar eine bescheidene Pension, besaß selber gar nichts. Er war der Sohn des Vetters, der dem jungen Navarra einst versucht hatte zuvorzukommen. Dann starb er, vergiftet nach allgemeinem Urteil von der Prinzessin, seiner Frau. Sie hat nie gestanden. Ihre Haft und Anklage gehören anderen Zeiten. Jetzt lebt sie bei Hof; hat jeder seine Vergangenheit. Übrig ist, daß ihr Sohn viel schweigt und läßt in sich nicht einsehen. Henri sagte ihm: »Hol mir die Schwester. Nur wenn du es bist, wird sie verstehen, wie ernst ich es meine.«
Condé war abgereist, da befiel den Bruder die höchste Unruhe. ›Daß sie in meinen Armen wäre! Zu wenig Glück, sie hat durch mich zu wenig Glück gehabt. Vor meinem Paradebett die Verneigung war all ihr Stolz, und kann doch nicht das Ziel sein. Wir sind die einzigen, jeder für den anderen, hatten Kinderaugen, die Träume der Jugend, unser Innerstes war Liebe. Kathrin, die deine hab ich dir endlich verboten und dich fortgehen lassen mit einem Mann, der dir nichts ist: da warst du schon müde. Du warst dem Tode schon anheimgegeben, ich mußte dich halten. Ich mußte dich halten, was hab ich getan!‹
In Reue und Angst lief er täglich nach dem Hospital Gasthaus Gottes, die Kranken zu berühren. Sie glauben, daß eine Berührung des Königs sie heilt. Er überredete sich, daß es wahr sei. Er berührte harte Beulen und die roten Entzündungen, die Kohlen heißen. Wusch seine Hände, und folgte einer anderen von den zitternden Stimmen, die ihn riefen, wenn die Stimme des Menschen nicht schon ausgelöscht war mitsamt seinem Gedächtnis. ›Seh ich nur einen aufstehen und wandeln, dann kommt meine Schwester, ich halte sie, ich mache noch alles gut.‹ Einen angesteckten Mönch, der ihn vielleicht haßte, bat er, zu beten für eine Person, die auf der Reise ist, daß sie an ihre Zuflucht gelangt.
Des Nachts verließ er sein Bett. Beim Geflacker der Feuer irrte er durch das Schloß. Einmal geriet er hoch oben auf einen Flur, wo keine Fenster geöffnet, Herde für das Holz nicht errichtet waren. Es wäre völlig dunkel gewesen, er sah aber um eine entfernte Ecke viele kleine Flammen herbeitanzen, so nahe dem Boden, daß es unbegreiflich schien. Während die Erscheinung ihren Weg machte, beleuchtete sie sich selbst. Es war eine Zwergin, leicht zu erraten, welche, obwohl sie entkleidet war. Splitternackt, dafür mit roter Farbe bekleckst, und zwischen den ausgestreckten Fingern trug sie acht Lichtlein vor sich her. Henri hätte sich in das Ereignis vertieft; aber ein Mensch, der davor flüchtete, fiel ihm zu Füßen. Die Lichtlein zeigten, daß es Herr Concini war.
Diesen Menschen erkannte man schwerer wieder als die Milchschwester, seine liebe Frau. Nichts mehr von Glätte und Gefährlichkeit, keine geklebten Haare. Die gewölbte Büste und geschmeidigen Hüften, alles weggerutscht in einen Sack Fleisch, das war die Gestalt. Das Gesicht betreffend, man hat seinesgleichen an Blutleere und abscheulicher Entgeisterung der Kreatur nicht zugetraut. Was die Angst tut! Der edle Concini hielt die edle Galigai für die Pest in eigener Person. Rot, das Rot der »Kohlen«, dazu die Talglichte von schlechten Särgen: sein Schrecken läßt sich gar nicht sagen, er stieß auch nur das Geschrei eines gemarterten Katers aus.
»Sire! Ich bin der Pest begegnet. Gnade, Sire, oder ich muß sterben. Berühren Sie mich, o heilige Majestät, der Himmel schickt Sie, berühren Sie mich!« Dies jaulte, quiekte, sang der Kavalier der Königin in Tönen, die sonst nicht vorkommen. Die Königin hätte es anhören sollen bei versammeltem Hofstaat; aber gibt er nachhaltige Belehrungen? Die Pest ist keine. Ihr rot bespritztes Abbild zog nahe genug vorbei, daß ihr Lichtlein auf den Elenden tropften. Das gab ihm den Rest, die Sinne schwanden ihm. Die pestilenzialische Milchschwester machte sich aus ihren Wirkungen nichts. Ihre Augen waren verdreht, sie wandelte ohne Bewußtsein. Henri verließ diesen Ort.
Der Zustand der Hauptstadt wurde schlimm, mehr infolge ihres Entsetzens, das jeder beim anderen vermehrte. Die Ausdehnung der Krankheit nahm eher ab, da die Ärzte des Königs seine Maßnahmen befolgten. Die Lauben seines Königsplatzes wurden in weite, luftige Lazarette verwandelt. Den Kaufleuten waren sie zu vornehm gewesen, so paßten sie jetzt den Kranken. Henri zählte nicht die Stunden, die ihm dort vergingen. In den Straßen begegnete er entweder keinem, oder Vermummte hasteten vorbei mit einer überwölbten Bahre. Angelangt, empfingen ihn der freie Wind des Platzes und der Rauch aus den Holzstößen ringsum. Dieser wurde von dem Wind in die offenen Lauben geblasen, blieb aber nirgends hängen. Hindurch erblickte man die Bläue des Himmels, der wohlriechende Schwaden drehte sich um die Gebetteten, das waren tausend oder noch viel mehr. Wo die Gesichter hervortauchten, erspähte Henri in ihnen das Verlangen, zu leben. Seine eigene Sehnsucht nach der Schwester fand hier ihren besten Aufenthalt.
Diesen Tag wollte der König niemals enden mit dem Berühren seiner Kranken -- hatte gegen zweitausend berührt. Immer neue Gesichter wurden ihm in Erwartung zugewendet, geschwärzt vom Rauch, wenn es nicht die Zeichen der Pest waren. Er ermüdete nicht. ›Heut ist der Tag, Kathrin soll eintreffen. Befehl ist erteilt, daß ich es gleich erfahre. Seid gesund! Heute hat meine Berührung die Kraft, euch zu heilen, und wäret ihr von Punkten oder Linsen über und über schwarz, euer Atem schon vergiftet.‹ Er hatte den Mund nicht verbunden, er wußte sich stark und beschützt. Nah bei ihm hinter einer Wolke läutete ein Glöckchen, es verkündete das Sakrament. Der Priester sprach mit unverbundenem Mund die Worte, die für das Sterben bestimmt sind.
Als die Wolke zerging, sahen sie einander, der Pfaff und der König. Der eine von ihnen war klein und schwächlich, spitzes Gesicht, aber leuchtende Augen. Er sprach zu dem König: »Sie haben so viel Mut, als glaubten Sie an Gott.«
»Ich glaube«, sagte Henri: da gewahrte er unweit eine Gestalt, die auf dem Fleck verharrte und schwieg. Schwieg und ließ keine Hoffnung. »Condé?« fragte Henri flehentlich, aber die Entscheidung war gefallen, wie er wußte. »Condé!« Der senkte nur die Stirn. Ein Rauch zog zwischen sie.
Neben dem König wimmerte ein Kranker, der sterben wollte und keine Hilfe hatte. »Es ist ein Ketzer«, sagte der Priester. »Ich habe nach dem Pastor geschickt, der wird zu spät kommen.«
»Wir kommen«, sagte Henri. Seine Schwester, die Protestantin, hätte hier ihr letztes Lager gehabt, er wäre nicht anders hingekniet. Ließ beide Knie zu Boden, und dem Sterbenden leis in das Ohr sang er: »Lobe den Herrn, meine Seele.«
Er wußte in seinem Schloß Louvre einen einzigen Ort, wo er ungestört weinen konnte die ganze Nacht. Das war sein Paradebett, bewacht, wie es wurde, verschlossene Vorhänge, die sichere Einsamkeit. Aus seinem Kabinett betrat er den großen Saal, in dem es dunkelte; seinen Hof bemerkte er noch nicht, obwohl keiner fehlte. Was von seinem Hof übrig war, die zwanzig oder dreißig Personen, hatten das Heiligtum der Majestät aufgesucht, vielleicht, daß es die Pest von ihnen abhielt. Der König, wie er eindrang, widersprach in allem ihrem Begriff der Majestät. Er erschien übel zugerichtet, verdächtig angeschwärzt, und anstatt irgend jemand vor der Pest zu bewahren, brachte er sie wohl gar mit. Zu schweigen, daß seine Zeit vorbei, sein Leben wenig wert ist, und wie es heißt, hat die Regentschaft schon begonnen.
Die große Tür ging drüben auf. Gottlob, die Königin, an ihrer Hand den Dauphin, ließ Armleuchter vor sich her tragen. Der Hof, was von ihm übrig war, alle stürzten aus ihrem Schatten dem künftigen Glanz entgegen. Alle entboten ihre Verneigungen, gebeugten Knie und Laute der Huldigung dem Dauphin. Abgeschieden durch einen leeren Raum, ganz allein stand der König.
Der erste, sich zu besinnen, war der ernste, traurige Condé. Weder übereilt noch unentschlossen, höchst anständig verfügte er sich nach der Seite des Königs. Bellegarde und Bassompierre liefen schon, bald war Henri umringt, hat aber vorher ganz allein gestanden.
Die Königin von Navarra trat auf, als die Seuche überstanden und die Festlichkeiten bei Hof um so glänzender waren. Alle lieben Herren und Damen fanden von ihren Schlössern, die meisten feucht und armselig, den Weg zurück nach der einzigen Stätte, wo man voll das Leben genießt. Die Freuden sind geteilt zwischen Geldgewinnen und Geldausgeben. Wer Glück beim Spiel gehabt hat, erscheint auf der nächsten Schaustellung im Louvre angetan wie der helle Tag, die Morgenröte oder bestirnte Mondnacht. Manche verkauften ihr feuchtes Schloß, um hier zu glänzen.
Marguerite von Valois entschied eigenmächtig, daß ihre Verbannung lange genug gewährt hatte, achtzehn Jahre. Als Vierunddreißigjährige war sie von ihrem Gatten Henri vormals entlassen worden -- an ihm lag es nicht allein. Die letzte des ausgestorbenen Königshauses ertrug schwer, daß ein anderer, und wäre er ihr Mann, den Thron ihrer toten Brüder einnahm. Sie hat ihn gehaßt bis zu dem Grade, daß sie einen Mörder schickte. Darüber hin ist die Zeit gegangen, wer fragt nach alten Mördern, altem Haß. Kaum, daß man die vergessene Liebe noch erkennt.
Henri empfing sie, weil sie einmal da war, ohne vorherige Anmeldung, aber mit dem vollen Anspruch ihrer Person als letzte Valois und seine erste Frau. Er versuchte den kameradschaftlichen Ton, erkundigte sich nach dem Schloß Usson, ihrem Aufenthalt dieser achtzehn Jahre. Im stillen zählte er, daß sie jetzt dreiundfünfzig ist. Sieht auch so aus. »In der Auvergne ißt man gut, wie?«
»Und liebt gut«, erklärte sie mit der Kühnheit, die auf einmal alles heraufrief, die ganze Margot von einst.
Unter ihren verfetteten Wangen, der dicken Schminke, blonden Perücke, entdeckte er die Gefährtin vielen Genusses seiner Sinne. Die Bartholomäusnacht hat ihren Schatten vorausgeschickt, die Lust ging bis zum Schmerz. Diese Frau war die Göttin ihres Zeitalters, schön, prächtig und gelehrt. Kam eine Prozession geschritten, vergaß man das Allerheiligste zu grüßen: Madame Marguerite wurde angebetet. ›Das ist inzwischen aus ihr geworden‹, dachte Henri. ›Und was aus mir?‹ In seiner Bestürzung bezeugte er ihr, daß sie vorzüglich erhalten sei.
»Auch Sie sind durch Ihre verliebte Natur vor dem Altern bewahrt worden«, sagte sie, obwohl ihr Eindruck anders war. Er erschien ihr traurig, seines Glückes und Ruhmes wenig bewußt. Ihr eigenes Gemüt war nunmehr wohlgelaunt. Schreckliche Ausbrüche der Leidenschaft konnten immer noch vorfallen, wie man sehen soll. In Richtung der Bosheit hatte sie sich nicht bewegt. Hier sprach sie: »Ihr Name ist sehr mit Recht der Immerlustig, Immerverliebt. Meine Augen überzeugen mich: Sie sind der Vert galant.«
Ihre Augen waren gefühlvoll geblieben, ihre Worte freundlich gemeint. Er gab ihr die Hand, hieß sie willkommen, ja, bezeugte ihr, daß die Jugend gut gewesen sei: König und Königin von Navarra, seine kleinen Gefechte, ihr kleiner Musenhof. Sie sagte hierauf, daß sie mit der Absicht komme, eine Akademie schöner Geister um sich zu versammeln. Leider seien ihre Mittel zusammengeschmolzen.
Er ließ sich nicht bitten. Sie bekam, was sie vorläufig wünschte, eine Pension, ein Haus im Gehölz von Boulogne. Immerhin brach er kurz ab; weitere Forderungen konnten folgen, er aber fürchtete seinen Rosny, wenn noch eine Dame kräftig in die Kasse griff. Ihrerseits lächelte sie behaglich, da er seinen Ruf wahr machte: Spiel, Frauen und der Geiz.
»Jetzt will ich der Königin aufwarten«, äußerte sie. »Ich bin ihre nahe Verwandte durch meine Mutter, Madame Catherine. So mußte es wieder eine Medici sein.« Womit sie heiter abging.
Der Minister ließ über das Geld mit sich reden. Seine neue Nachgiebigkeit gegen die Ansprüche des Hofes wäre erstaunlich gewesen. Henri kannte die Gründe. Die Diplomaten des Königs hatten überall seine Sache betrieben, auch die Bündnisse mit England und Holland waren wieder einmal befestigt. Der Herzog von Cleve brauchte nur zu sterben, Habsburg lieferte für ein Unternehmen gewiß den Vorwand. Genug gezögert, wir marschieren. Der Schlag soll unversehens fallen, weshalb der Hof von Frankreich in auffälliger Art dem Vergnügen nachgeht: Spiel, Liebe und anstatt der auferlegten Sparsamkeit ein Fest ohne Ende.
Die Königin von Navarra wurde zu einer Hauptperson nach ihrem zweiten, förmlichen Empfang im Louvre. Dieser verlief anders als ihr erster, stiller Besuch, bei dem sie schlechterdings ihrem Wagen entstieg auf die Gefahr, abgewiesen zu werden. Jetzt ging der König in voller Stattlichkeit seiner einstigen Gemahlin entgegen bis zu der Mitte des neuen Hofes. Die Königin Marie von Medici erwartete die Wiedergekehrte am Fuß der Treppe, ihren Hofstaat um sich. Alle waren innerlich belustigt über die beiden Damen, ihre feierliche Begrüßung; ja, den Hof juckte es, Rumpf und Glieder in ehrfürchtige Stellungen zu bringen. Margot von einst und Henri, beide allein auf dem Schauplatz begegneten einander Aug in Auge: das wurde ernst, sie hätten nicht gedacht, wie bitter. Die Gesichter erstarrten in Huld und Förmlichkeit. Mit Blicken, die nicht auswichen, wohl aber sich absonderten, sagten sie: Ja, ich denk der vergangenen Tage. Nein, ich wünsche sie nicht zurück.
So geschehen, ging das Vergnügen an. Gespielt wurde überall, besonders im Arsenal. Madame de Rosny ließ einen Festsaal bauen. Herr de Rosny überreichte dem König für sein Spiel einen Beutel mit Goldstücken, der Gesellschaft einen kleineren. Ohnehin gewannen sie ihm alles ab, da er nebenher Sorgen hatte. Er war ein unbequemer Verlierer, vergaß aber bald den Ärger infolge seiner anderen Sorgen. Herr de Rosny ging bis zu Scherzen, die man an ihm nicht kannte. Den Ehrenfräulein der Königin stellte er zwei Kannen hin, den dunklen Wein und etwas Helles, das sie für Wasser hielten. Es war im Gegenteil der stärkere Saft. Meinten sie damit den anderen zu verdünnen, dann wußten die Mädchen nicht, wie ihnen geschah, so ausgelassen wurden sie. Ihre Tollheiten nahmen sich hübsch aus; alle trugen die gleiche Kleidung, versilbertes Leinen.
Die Königin und die Prinzessinnen feiern, sagte man wohl; es bedeutete aber jedesmal ein Gelage. Marie von Medici erschien erst auf dem Ball. An der Tafel des Königs zu essen, vermied sie; ihre Gründe mag sie für sich behalten, sie würden die gute Laune stören. Schnell zu den Bällen und Balletten. Unter König Henri erlernten die Herrschaften, nach Art der Dörfler zu tanzen, Schüttel-, Lauf- und Gebärdentänze voll Ausdruck und Gelenkigkeit. Wer Gelächter erregt, hat bei seiner Dame gewonnen. Was will das alles gegen das Gepränge einer Schau -- im Louvre, eine Treppe, der große Saal, die echten Dekorationen, die Kostüme. Nach fieberhaften Vorbereitungen und den Ränken, damit man hineinkommt, ist jeder Platz besetzt. Der König selbst gerät unter den Druck, er sieht um, wer auszuweisen wäre. Die es treffen könnte, sind schon untergetaucht.
Höchste Personen wirken mit; sie haben meistens Albernheiten zu sagen; Musik und die Folge der Auftritte sind Vorwände. Worauf es für hoch und niedrig ankommt: vom Gold und den Farben der Märchen verzaubert eine Nacht lang zu scheinen, was das ganze Leben nie erfüllen wird, ein Geriesel von Köstlichkeit, eine bunte Wolke. Die Zuschauer tun es den Darstellern gleich, der Wetteifer der Eitelkeiten erreicht Höhen, vergleichbar den bewunderten Theatermaschinen. Diese erheben in ein geträumtes Licht aus unsichtbarer Quelle weibliche Schönheiten, jede ein Stern, eine Rose, ein Juwel. Sie sind verstrickt in schaukelnde Netze, darin beugen und strecken sie ihre verführerischen Glieder. Werden gedreht, kehren ein zweites Gesicht hervor, die Maske der Keuschheit; Gewänder von Engeln umfließen die andere Seite der Erscheinung silbern und weiß. Ein höchst erregender Wechsel, endet aber damit, daß die Maschine verdunkelt wird, weg ist der Traum. Nach vorn kommt das komische Zwischenspiel. Kamele, von mehreren Menschen gebildet; andere, man begreift es nicht, reiten darauf. Ein Turm poltert über die Szene, in jedem Fenster ein säbelschwingender Türke, zum Glück wirft er Süßigkeiten unter die Leute -- indessen dicke Frauen, die ausgepolsterte Männer sind, mit akrobatischer Kunst einander niederschlagen. Alles zusammen verursacht unter Beihilfe der Zuschauer einen höllischen Lärm.
Als Abschluß der langwierigen Schau, die dennoch niemand satt bekam bis auf einen -- zum letzten Hochgenuß zog das ganze Theater auf einer Brücke durch den Saal und den Lärm. Ihr dürft sie aus der Nähe bestaunen und begehren, je nachdem es glanzvolle Herrschaften oder Kamele, Schönheiten mit feinen Gliedern oder plumpe Grotesken sind. Wer zurückdenken konnte, bemerkte, daß dergleichen, weniger vollendet, den Hof der Valois vormals beglückt hatte. Die letzte des Hauses, Madame Marguerite, war denn auch die Seele der Schau, ihr verdanken wir sie. Henri mochte die Schau nicht, erstens wegen seiner Erinnerungen.
Er ging munter mit, sogar die Brücke beschritt er, kostümiert als Gott Mars. Hoffte nur, daß niemand hierüber nachdächte, vor allem der spanische Gesandte nicht. Henri soll die Zeit füllen, bis die Stunde schlägt: mit seinem Rosny ist es ausgemacht. Er soll ablenken die Höfe Europas, besonders den seinen, damit kein Auge der Uhr folgt, wie sie vorrückt. Er empfand aber im Drang und Gewühl des Vergnügens nur den einen Wunsch: allein sein, meine Sache bedenken, Kraft sammeln, nicht müde werden, damit kein Zweifel aufkommt.
Es ist Tatsache, daß zu dieser Zeit die Jagd ihn ermüdete. Sie war von jeher seine sichere Erholung gewesen; jetzt stieg er vom Pferd in das Bett. Die Frage ist, inwiefern das Nachlassen körperlich bestimmt war. Auch das Lachen hat ihn damals angestrengt, so gern er mit seinen Freunden lustig war; und unter seine Freunde reihte er alle, die mit ihm durch das Leben gegangen waren. D'Epernon, man weiß, wie es um ihn steht, aber ein so alter Gefährte. Nun, der gichtische Taube wäre leicht zum Narren zu halten, wenn Gegenstände des Gelächters gesucht werden. Der Hof allerdings wählte lieber die ehrlichen Freunde des Königs. Marschall Roquelaure hatte in seiner Provinz eine Ehehälfte, die er niemals vorführte, man darf raten, warum. Vielleicht ein Gebrechen, die Frau ist stumm oder dumm. Die häuslichen Verhältnisse des allen Soldaten blieben für Scherze unerschöpflich; es kommt von selbst, daß diese endlich ausarten. Doch wohl nicht, weil der König zugegen ist. An dem Abend, als es geschah, war er zugegen und mußte Roquelaure abhalten, die Waffe zu ziehen. Er nahm ihn beim Arm, beide verließen die Gesellschaft.
»Ich habe etwas zu lange mitgelacht«, sagte Henri. Der Marschall brummte:
»Ich war ein Esel, daß ich keinen Spaß verstand.«
Henri: »War es Spaß, und wer sollte eigentlich getroffen werden?«
Roquelaure, erstauntes Rücken des Kopfes.
Henri: »Haben Sie mich verstanden?«
Roquelaure, entschließt sich: »D'Epernon hat hier zu viele Freunde.«
Henri: »Sagen Sie: Mitwisser.«
Roquelaure, ohne rechte Überzeugung: »Mitwisser, sag ich.«
Henri, mit Blicken nach allen Seiten: »Nicht in mein Kabinett. Eine innere Tür wäre vielleicht nur angelehnt. Roquelaure?«
»Sire, ich höre.«
»Fühlen Sie sich munter genug, um nochmals in das Feld zu ziehen?«
»Immer«, sagte der Marschall viel zu laut. Er fand die Frage des Königs verfänglich. Sollte er verabschiedet werden? Henri zog ihn hinter einen Vorsprung der Wand.
»Nehmen Sie Rücksicht auf die Königin, sie könnte wach liegen und sie ist in anderen Umständen. Seit unserer Reise nach Savoyen sind es -- einige Jahre. Haben Sie bemerkt, daß man nur zwei Drittel des Lebens genau abzählt, aber das letzte nicht mehr? Die Jugend scheint endlos, das Alter ist wie ein Tag.«
Roquelaure, im Zustande der Verteidigung: »Ich und der tapfere Crillon rechnen oft nach, was wir jede Stunde Ihres vorigen Krieges vollbracht haben. Fragen uns auch, wann es uns wieder so wohl sein wird in unserer Haut.«
Henri: »Gut für Sie und den tapferen Crillon. Aber ich. Zum Beispiel wäre es besser für mich, ich hätte die Königin von Navarra nicht wiedergesehen.«
Roquelaure, überzeugt: »Die Frauen sind ein Kreuz, das muß wahr sein und bleiben. Man soll sie zu Hause lassen, wofür ein Krieg der rechte Umstand ist.«
Henri, legt ihm die Hand auf die Schulter, steht jetzt neben ihm, spricht geradeaus in das Leere: »Werden wir selbst mit der Zeit leichter zu ertragen? Es ist schwer leugbar, daß man uns satt bekommt. Wir waren lange vornean und haben die Moden gemacht, die Mode Immerlustig, die Mode Freigeist, die Mode Volksbeglücker.«
Roquelaure: »Die Mode Tapferkeit, Nüchternheit, die Mode Frankreich, die Mode Frauenlob.«
Henri: »Die Mode Hahnrei. Genug, die Mode. Wie sie heiße, man bekommt sie satt und uns mit ihr. Herbeigerufen wird von allen das Gegenteil, ohne daß es sie glücklicher machen müßte. Meinen Sie wohl, daß mein Sohn Vendôme gut gebettet ist mit seinem italienischen Laster?«
Hier wußte der Marschall keinen Trost dem Vater, der von der reizenden Gabriele, gerade von ihr, den verkehrt, gearteten Sohn hatte.
Henri, in ganzer Gestalt abgewendet gegen die Wand: »Was weiß ich.«
Womit er wahrhaftig mehr bezeichnete als die Unterschiede, zu lieben. ›Hab ich das Recht noch auf meinen Großen Plan? Ein Unternehmen neu, hart, wirklich -- in einem Lebensalter, das vielmehr etwas Unwirkliches erhält infolge der vielfachen Wünsche, ich möchte verschwinden.‹
Roquelaure sah: schwache Stunde; er begriff mehr, als man annimmt. Nach einer kurzen Unruhe entschloß er sich, umfing die Schulter seines Herrn, der Arm zitterte ihm dabei, aber er sagte: »Navarra.« In das Ohr seines Herrn: »Mein Prinz Henri Navarra.«
Der König gab ihm die Akkolade, Umhalsung, Kuß auf beide Wangen. Nannte ihn du, wie voreinst. Sprach: »Roquelaure, von uns allen warst du der Schönste mit dem Klimperzeug, das du an dir trugst, besonders im Felde.«
»Ins Feld!« rief der Marschall. Da er seinen Herrn den Finger an die Lippe legen sah, flüsterte er: »Dort sterben wir nicht. Eher hier.«
Henri betrachtete ihn lange und tief. Die Einfachheit weiß das beste. Wir sind nie einfach genug.
Zuerst suchten beide in den Winkeln und um die Ecken, ob niemand sie belauscht habe. Dann ging Henri in sein Kabinett.
Er machte damals die Bekanntschaft des »Don Quichotte«, der Brüsseler Nachdruck von 1607. Bassompierre las vor, kam aber nicht weiter, weil er lachen mußte. Henri setzte seine große Brille auf, nahm selbst das Buch und folgte mit halber Stimme den komischen Abenteuern des Ritters von der traurigen Gestalt. In das Gelächter seines Zuhörers stimmte er ein, nur war ihm nicht recht wohl dabei. Der König von Spanien sollte von dem Roman ausnehmend belustigt worden sein. Warum lachen alle? Jemand glaubt zu kämpfen, in Wahrheit wird er gefoppt. Er trägt im Herzen eine eingebildete Herrin, ihr wirklicher Stand ist niedrig, er hat sie sich gar nicht angesehen. Er nimmt Hammel für Heere, eine Magd für göttlich und ist versessen auf Taten, deren Unsinnigkeit jedem einleuchtet, nur seinem umwölkten Gehirn nicht. Der einzige, der zu ihm hält, ist sein Knappe, ein guter Diener. Das Verständnis eines guten Dieners reicht, soweit es reicht.
›Ein Glück‹, dachte Henri und lachte herzhaft, ›daß mein Großmeister kein kurzer Dicker, sein Herr nicht lang und dürr ist. Lassen wir's dabei.‹ Er hielt sich den Bauch, Bassompierre desgleichen; der Erholung wegen griffen sie zum »Amadis von Gallien«, einem echten Ritterroman, worin die Schlachten ernst, die Damen edel sind. Übrigens wendete Henri Tag für Tag eine pünktliche halbe Stunde an das »Theater der Agrikultur«: so hieß das Werk über Landwirtschaft, das er bewunderte. Wir lernen nicht aus, am wenigsten auf unserem Gebiet. Acker und Weide, die beiden Brüste des Staates, hat Rosny gesagt. Sein König bewahrte das Wort im Herzen und haftete mit seinem Herzen hierzuland, indessen sein Plan die Welt überzog.
In seinem Geist war Europa aufgelebt zu einer Wirklichkeit, allen erkennbar, sobald der habsburgische Ehrgeiz einer universalen Monarchie niedergekämpft wäre. ›Es handelt sich wahrhaftig um mehr, als gegen Hammel und Windmühlen zu fechten. Das tut vielmehr die universale Monarchie, ein Hirngespinst auf ewig -- unser klarer Gedanke eines Bundes freier Völker wird früher oder später den Sieg haben. Was weiß ich, gilt hier nicht. Dies wissen wir. Der Beweis ist, daß wir bei weitester Sicht doch nie den Boden verlieren, sondern pflegen das nächste einfache Vorhaben gleichwie den Großen Plan, der auch nur einfach ist.‹
Henri eröffnete in Paris die königliche Bibliothek, sie soll dem Volk gehören. Er wird das Handwerksmuseum und den botanischen Garten begründen, sofern ihm Zeit gelassen ist. Auf dem Dasein eines einzigen steht viel. Er jagte nicht mehr, es ermüdete ihn. Unermüdlich ging er dafür den Ursachen des Elends nach. Das »Theater der Agrikultur«, er sah es vielmehr, als daß er es las. Die Bauern draußen führten ihm ihre Sorgen vor. Er griff ein, ihnen zu helfen -- als könnte nicht morgen Krieg sein. Die Füße auf dem Acker, das Herz hierzuland, im Geist sein einfaches, kühnes Gesicht der Zukunft: das Dasein eines einzigen trägt viel. Dies ist aber das Stück Leben, das nicht mehr nachgerechnet wird: es geht hin wie ein Tag.
Der Marquis de la Roche, königlicher Statthalter im Lande Kanada, Neufundland, Labrador, erlitt Schiffbruch; seine Mannschaft blieb fünf Jahre auf einer wüsten Insel, er selbst in einem Kahn fand endlich nach Frankreich zurück: da war er ein gebrochener Mann. Folgten andere und waren alte von der Religion oder neue von Handelskompanien. Herr de Monts bekam die Vollmachten eines Vizekönigs und trieb Pelzhandel mit königlichem Privileg, was Eifersucht erregte. Er hatte drei stark bewaffnete Kriegsschiffe gegen den Schmuggel. Er säte, baute Häuser, befestigte die Kolonie. Diese bestand aus zweiundsiebenzig Personen; der erste Winter tötete von ihnen die Hälfte. Im zweiten starben am Skorbut nur sechs.
Der König war für Herrn de Monts, als alle ihn befeindeten oder lächerlich machten: dies auf Anstiften der Pelzhändler, die es nicht verdauen konnten, daß ihr Gewerbe ein königliches Vorrecht und Geschäft des Staates sein sollte. Wohin führt das? Ein König beginnt bei gewissen Waren, bis endlich der ganze auswärtige Handel von seinem Staate selbst betrieben wird. Alle ehrbaren Leute reden alsbald von Chimären; sie lachen die Träumer aus. Wut im Innern, lachen sie den Einfall des Königs nieder, bis er nachgibt und sie können wieder die Preise bestimmen. In dieser Sache war er allein, gegen seinen Rosny, der nicht begriff, wohin sie geführt hätte; in dem Fall hätte er die Kaufleute vertreten anstatt seinen König und den sonderbaren Einfall des verstaatlichten Außenhandels.
Das eine geht, das andere nicht. Henri schickte zu zwei Malen noch drei Schiffe, voll von Arbeitern und ihren Familien, um den Anfang zu machen mit den »Christlich-Französischen Republiken« jenseits der Meere. Ein alter von der Religion begründete die Stadt Quebec. Sein Name ist Samuel de Champlain. Niemals hat Henri die sonst gewohnten Abenteurer hinübergelassen; seine gewagtesten Unternehmungen kamen ohne sie aus. Eingeborene, die seine Sprache schon erlernt hatten, sind zu ihm gereist, er hat mit ihnen gesprochen. Als Champlain die letzte Fahrt machte, ihm zu berichten von den entdeckten Seen Huron, Michigan, Ontario -- der König hätte seine Freude gehabt. War aber nicht mehr da.
Sein eigenes Haus beherbergte Arbeiter, ihre Werkstätten besuchte er oft. Einer schnitt Bilder in Holz. Henri trat ein; das Blatt, das gerade beendet war, er nahm es mit sich in sein Kabinett, hat es betrachtet, wenn er saß. Im Lauf, wie früher, ist nicht mehr alles fertigzubringen, aber wohl auch im Sitzen nicht. Dargestellt war ein Gerippe, das den Acker umgräbt. Das Skelett als Ackermann. Sind wir denn tot, wir lassen doch nicht nach, das Werk geht weiter.
Marie von Medici war damals schlecht gelaunt, höchst reizbar, ihr Zustand verschlimmerte sich bis zu einer ständigen Erbitterung. Seinem Rosny gestand Henri, daß er nicht einmal mit ihr reden könne, viel weniger finde er Erleichterung und Trost. »Komm ich nach Haus, ist ihre Miene kalt und verachtungsvoll. Möcht mit ihr küssen, herzen, lachen: umsonst, Erholung muß ich anderswo suchen.«
Gewöhnlich hatte sie mit gewissen Personen, zum Beispiel d'Epernon, vorher eine Unterhaltung abgebrochen; diese betraf allerdings ihren Gatten, aber nicht derart, daß er Vergnügen daran gehabt hätte. Neu, den meisten erstaunlich, war ihre Strenge gegen den Verkehr der Geschlechter. Eines ihrer Ehrenfräulein wollte sie aus einem solchen Anlaß kurzweg hinrichten lassen. Henri zuckte die Achseln, war aber genötigt, mit der Gestörten den Fall zu besprechen. Sie war im schwarzen spanischen Kostüm, er gestiefelt und gespornt wie vor einer Abreise. Wir befinden uns an einem gesitteten Hof, dies gab er zu bedenken. Von dem ganz unmöglichen Vorhaben der Königin zu schweigen, erregt es schon Ärgernis, bleibt auch den fremden Höfen nicht unbekannt, daß hier weibliche Spione umgehen, und im verschwiegensten Gemach ist niemand ohne Aufsicht.
»Am wenigsten Sie«, bestätigte Marie. »Ich will nicht mehr hören, daß Sie ein lüsterner Greis sind.«
»Verbieten Sie Ihren Freunden das Wort«, erwiderte er, aufrichtig bestrebt, seine Geduld zu bewahren. Sie sagte eisig:
»Der Louvre soll kein öffentliches Haus heißen.«
»Wer hat ihn dazu gemacht?« fragte er dagegen. »Madame, Sie haben fremde Sitten bei uns eingeführt. Ihre Sinnesänderung wäre löblich. Madame, jetzt übertreiben Sie im Guten.«
Da rückte Marie mit allem heraus. Das Mädchen soll hingerichtet werden. Aber vor allem: »Der spanische Gesandte durchschaut Sie.«
»Er hat lange dazu gebraucht«, meinte Henri. »Endlich hab ich ihn von meiner Friedfertigkeit überzeugt. Don Inigo sagt öffentlich: ein König, der in der Landwirtschaft, den Künsten und Gewerben so viel Erfolg hat --«
Marie: »Der verliert seinen Krieg. Das ist die Ergänzung; manchmal verschweigt er sie, manchmal spricht er sie aus.«
Bei ihr hat er sie ausgesprochen, sah Henri.
Marie, des weiteren: »Angreifen, und dann gar geschlagen werden: auf einen Helden dieses Ranges ist das arme Europa hereingefallen. Nicht mehr für lange.«
Sie mußte Atem schöpfen. In ihren schwarzen Spitzen wurde sie bleich zum Erschrecken. Der Rock und alle seine Überwürfe verdeckten ihre Umstände. Nicht allein diese machten Henri langmütig; er war voll Bedauern, weil sie mit dem Rücken gegen das Königreich, seines und ihres, schrecklich in die Irre ging. Sie ist sich selbst nicht gut, bemerkte er und war gefaßt, alles anzuhören, wenn ihr nur nichts zustieß.
Marie -- läßt von ihrer Haltung noch mehr fahren, sonst käme sie nie zu ihrer Sache. Schleudert ihre großen Hände durch die Luft, stampft, keift: »Sie sind verbraucht, hat Ihnen das noch niemand gesagt? Sie treiben es nicht mehr lange. Ihre Laster genügen allein, einen Mann aufzuzehren; aber nicht nur bei Frauen und Karten, in allen Arbeiten Himmels und der Erde, nicht zu vergessen die Hölle, haben Sie Ihre Finger. Die Unordnung, die Sie schüren, hat nunmehr Ihren Kopf erfaßt, er gehorcht Ihnen nicht mehr. Allernächstens muß Ihnen etwas zustoßen.«
›Eher ihr‹, dachte Henri. Er hielt sich bereit, den Turm von einer Frau aufzufangen, wenn er wankte. Das geschah nicht, sondern die Königin sprach auf einmal gemäßigt, während jede Regung ihres Gesichtes und Leibes ein angstvolles Lauern verriet:
»Geben Sie mir die Regentschaft!«
Da, er nicht antwortete.
»Denken Sie an Ihren Sohn. Sie werden tot sein, er verliert den Thron, oder beizeiten geben Sie mir die Regentschaft.«
Mit geduldigem Lächeln schlug Henri ihr vor, sich zu vergleichen. »Für die Regentschaft, die Sie verlangen, das Leben des Fräuleins, das Sie hinrichten wollen.«
Hier erfolgte keine Ohnmacht, aber Marie mußte hinkauern, sie konnte plötzlich ihren Leib nicht tragen. Koliken wahrscheinlich, ihre Farbe spielte ins Grünliche, ihr Geschau wurde zum Erbarmen töricht. Henri war ihr am Boden behilflich; dabei sagte er ebenso zart wie fest:
»Madame, man hat Ihnen furchtbar zugesetzt. Vergessen Sie es! Erinnern Sie sich, daß Ihnen zur Seite Ihr bester Freund ist.«
Sie kam auf die Füße. Um sein Mitleid auszunutzen, gebrauchte sie ihre ungebührliche Stimme, zu hoch und schwach für all die Leiblichkeit.
Marie, kindlich: »Wann geben Sie mir die Regentschaft?«
Henri, sanft: »Wenn ich achtzig Jahre alt bin.«
Marie, barsch wie ein Eroberer: »Die Sechzig werden Sie nicht erreichen.«
Und ging ab unter Gepolter, dem Ächzen des Fußbodens. Von der Tür her warnte sie ihn. Bosheit war das nicht. Er hörte die arme Seele, wie sie ihre Verzweiflung in Wut kleidet.
Marie: »Niemand bürgt für Ihr Leben.«
Noch desselben Tages muß sie ihre Sittenwächter abberufen haben, dem Verkehr der Geschlechter wurden in Schloß Louvre keine Grenzen mehr gesetzt. Das ließen viele sich gesagt sein, voran das Fräulein, das kürzlich hingerichtet worden wäre. Die Zustände aus den Zeiten der Vorfahrin Katharina schienen wiedergekehrt zum peinlichen Erstaunen des Königs. Indessen schwieg er, da er die Absicht merkte und sie geringschätzte. Er selbst sollte den Angriffen seiner Feinde die Flanke bieten, was wirklich eintraf. Die Kanzelredner bemächtigten sich mit neuem Mut ihres dankbaren Gegenstandes, des lüsternen Greises, der das Königreich aussaugt, es verdirbt, während nur er allein die ganze Christenheit in Unruhe erhält. Seinen Beichtvater Cotton, der auch diesmal wahrscheinlich den Hintergrund einnahm, warnte Henri in seiner Art. Er gestand zum Schein, daß sein Gewissen ihm schlage wegen des längst vergangenen Todes eines Herrn de Lionne. Dieser hatte nichts Schlimmeres begangen, als in den aufgeschlitzten Leibern von Bäuerinnen seine Füße zu wärmen. Das hat nichts von Lüsternheit; mit einem Greis, der sich wärmt, wäre man zufrieden.
»Mein Sohn«, sprach Cotton -- war schwer zu unterscheiden, ob dumm oder listig. »Achten Sie auf Ihren Ruf. Wer keinen mehr zu verlieren hat, weiß selbst nicht, wessen er noch fähig wird.«
»Mein Vater«, sagte Henri. »Für meinen Ruf verantwortlich sind gerade Sie. Melden Sie den Predigern, daß es gewagt ist, die Majestät zu beleidigen.«
Worauf es alsbald still wurde. Aber der König wurde traurig, soviel war erreicht. Drei Jahre früher hätte er gelacht. Es entscheidet, welchen Ereignissen man entgegengeht, verfolgt von einem boshaften Ruf. Er hat Europa für sich, das ist das eine. König von Europa ist er genannt worden. März 1609 stirbt der Herzog von Cleve. Die Völker blicken auf den König von Frankreich, die Höfe atmen nicht. Sein Großmeister drängt ihn, loszuschlagen. Henri besteht darauf, nach dem Völkerrecht zu handeln. Habsburg nimmt Cleve und Jülich weg, dann erst läßt er Berg mit der Stadt Düsseldorf von seinen deutschen Verbündeten besetzen. Lange wird verhandelt werden und kein Schlag fällt. Die Vorgänge werden zuletzt verwirrt sein infolge seines Zögerns. Der Grund, weshalb sein Entschluß versagt, sind die Verschwörungen im eigenen Haus.
Der Vorabend des Feldzuges wird erscheinen, der Tag nicht mehr. Als er aufbrechen will, ist der Große Plan sein innerster Antrieb; war es, bleibt es. Wäre aber kein Großer Plan, kein Völkerbund zum ewigen Frieden, aufbrechen müßte er dennoch, um seinen Thron zu verteidigen: dahin ist es inzwischen gekommen. Man wird sogar sagen, daß er den Krieg für weiter nichts als eine Schürze entfesseln will, der Immerverliebt und Vert galant, der im Alter den Sinn für das Maß verliert und schlechthin überschnappt. Soviel vermag der Ruf; Jesuit Cotton war am Ende noch schlauer als dumm.
Aus einem Fürsten, der beide, die gegebene Welt und die vorbestimmte, geistig beherrscht, macht der Ruf in dem letzten Jahr seiner Gegenwart einen überalterten Wüstling: soviel vermag der Ruf. Angefertigt ist er hier von seinem Hof, seiner Hauptstadt. In der vorletzten Stunde wird der Ruf sogar die Grenzen überspringen, ihm draußen Freunde entziehen: aber kein Volk dabei. Eine eigene, tiefe Weisheit muß die Völker leiten, wenn sie weiter an ihn glauben, besonders das seine. Der Ruf, obwohl von seinen Nächsten angefertigt, hätte ihn nicht traurig machen dürfen; er versäumte darüber die vorletzte Stunde. Er wurde für seinen Mörder reif, war es vorher nie gewesen.
In den Tagen seiner ersten Begegnung mit einer jungen, gar zu jungen Dame, genannt Charlotte de Montmorency -- wenig früher hat er einen merkwürdigen Gang vor die Stadt gemacht. Der König zu Fuß, der gichtische d'Epernon in seiner Sänfte, außer anderen Herren, spazierte man über Hügel, die auf die große Stadt den vollen Blick gewähren. Der König war laut; der Taube in der Sänfte konnte das meiste verstehen. Der König kam aus seinem Kabinett; bei allem, was er dort bedachte, hatte er einen gewissen Holzschnitt unwillkürlich vor Augen gehabt. Um so lauter ist er nachher in Gesellschaft. Als seine Hauptstadt vollends ausgebreitet lag, kehrte er ihr den Rücken, bückte sich, und biegsam wie ein Junger, streckte er den Kopf durch die gespreizten Beine. In dieser Stellung rief er:
»Ich seh nichts als Hurenhäuser.«
Ihm antwortete fröhlich sein guter Roquelaure: »Sire! Ich seh den Louvre.«
Das sollte die Laune des Königs ermutigen, es war liebevoll gemeint. Aus der Sänfte erfolgte ein Gekicher, das kein Ende fand; die Träger mußten ihrem Herrn den Buckel klopfen.
Der König blieb hiernach um ein merkliches Stück hinter seiner Begleitung zurück. Eine einzelne Person, die er nicht beachtete, hielt sich zu ihm, wenn auch beiseite in vorsichtigem Abstand. Es war einer der Dichter oder Gelehrten, die bei Hofe verkehrten, damit jeder sie ansprechen und in ihrem Lichte glänzen konnte. Der Vater ist etwa ein Strumpfwirker, der Sohn erhält Aufträge von der Majestät: ein Ballett, das man im Louvre bewundert hatte, für die Nachwelt zu geschickten Versen anzuordnen oder eines der gefiederten Geschöpfe, die im Vogelzimmer leben und sterben, aufmerksam zu beschreiben. Das kleine Wesen beginnt wie wir recht munter, gänzlich unbefangen; ergreift weiters kühn die Herrschaft über seinesgleichen, mißbraucht sie, wird bestraft, verwundet; dankt ab, sucht die Einsamkeit, schreit, wenn eine Hand es berühren will, in schrecklichen Vorgefühlen.
Indessen geht es diesmal nicht um das Vögelchen. Hier der Dichter oder Gelehrte erfreut sich seines geübten Verstandes, er wird nichts Unvorsichtiges tun und reden, obwohl die Vornehmen ihn, einzig um seiner Kunst des Wortes willen, aufgenommen haben, als wäre er vom Adel oder ein tapferer Kriegsmann. Er vermeidet, dem König auf seinem Lustwandel sehr nahezukommen, Begleiter sind unerwünscht. Was der Sohn eines Bürgers aus bescheidener Entfernung vor sich hin murmelt, will besinnlich, aber ohne Beziehung sein. Der König hat ein feines Ohr, dennoch erwartet niemand, daß er dies unbedeutende Selbstgespräch abhört.
»Das Glück ist höchst anstrengend. Nichts beansprucht uns in dem Grade, wie das Glück. Schon das meine, ein nur verhältnismäßiges Glück -- ich muß es dennoch einschränken, einzig in der freiwilligen Begrenzung behält das Glück seine scheinbare Gestalt. Nimm einmal an, ganz Europa würde deinen Ruhm, der aus nichts als Worten gemacht ist, im Munde führen; ja, bis hinüber zu den Bewohnern von Neufrankreich war er gedrungen. Was tun? Ich muß mein Glück vermehren oder entbehren. Es zieht mir, verhältnismäßig wie es ist und bleibt, dennoch böse Feinde zu, ein Messer wäre zur Hand. Mich aber verpflichtet mein Glück, immer glücklicher zu sein. Werke und Reisen anzufangen -- ihr Ende läge jenseits meines Grabes.
Der Sohn aus kleinem Haus darf den Zeitpunkt erfassen, wo man von der Bühne abtritt. Er entweicht in ein Kloster, ein Vogelzimmer, Bücherzimmer. Er schweige. Er ist nicht groß genug, um glücklich zu sein bis in das Unglück hinein. Er ist kein Prinz, auf dessen Dasein eine Welt steht und fiele mit ihm. Infelix felicitas, ihm ist sie nicht anbefohlen noch zugemutet. Wer groß wäre, hätte die Wahl nicht. Er durchmäße deine schwere Bahn, infelix felicitas.«
Nicht, daß Madame Marguerite von Valois den Ruf des Louvre oder ihren eigenen verbessert hätte. Das war ihr nicht gegeben. Zum Unterschied von Marie von Medici handelte die Königin Margot ohne Falsch; sie hatte keine schlechten Berater, außer ihren Leidenschaften: die waren von beträchtlicher Wucht geblieben. Sie bewohnte nunmehr ein Haus, das der Erzbischof ihr geliehen hatte. Dort unterhielt sie bei guter Küche ihre Akademie der schönen Geister -- einst sollte ihre Schöpfung staatliche Ehren erlangen. Ihr anderer Teil bedurfte ihrer jungen Lieblinge.
Eines. Morgens hatte sie die Messe gehört; in ihrem Wagen ihr gegenüber saß ihr hübscher Zwanzigjähriger. Als man anlangte, sprang ein Page der Königin von Navarra auf das Trittbrett und schoß den gegenwärtigen Liebling mausetot: war selber wohl der vorige. Er versuchte zu flüchten; aber so sehr entsetzt Madame Marguerite war, über ihr blutiges Kleid und den anderen Verlust, sie ließ den Mörder einfangen. Dieser wurde vor den Leichnam geführt, stieß ihn mit dem Fuß und sagte: »Er ist doch erledigt? Dann können Sie mich ruhig umlegen, froh bin ich doch.«
Dies einer Dame, deren Geduld er wirklich auf die Probe gestellt hatte. Sie schrie denn auch: »Erdrosseln soll man ihn!« Nahm ihr Strumpfband ab, die Beine waren noch immer gut, wenngleich etwas üppig. Warf es ihren Leuten zu. »Erdrosseln! Wird's bald?« Dem Befehl der Königin Margot, die aus der Fassung war, gehorchte niemand. Der Achtzehnjährige, der den Zwanzigjährigen mit viel Genugtuung abgeschafft hatte, mußte vom ordentlichen Gericht verurteilt werden. Der König unterschrieb, was blieb ihm anderes übrig. Die unzeitgemäßen Leidenschaften seiner ersten Frau wären mitsamt den Folgen ihm selbst angerechnet worden, hätte er Nachsicht geübt. Die Rachsüchtige mißbrauchte allerdings den Spruch der Richter. Unter ihrem Fenster im Ehrenhof ihres Hauses, nur drei Meter von ihr, mußte der Junge das Gerüst besteigen. Er war tapfer und hart, hat nicht um Verzeihung gebeten. Was hilft es dem gealterten Idol einer anderen Zeit, daß es mit hängenden Wangen, im offenen Morgenkleid, zusieht und sich weidet, wie der junge Kopf fällt.
Ihr früherer Gatte hat bei sich gedacht: ›Die arme Margot ist selbst das Opfer ihrer Ausschreitungen. Vorher wußte sie nicht, wie weit es mit ihr kommen würde. Mein Cotton hätte ihr raten können, nicht aus eigener Weisheit, sondern aus der sehr alten seiner Vorgänger. Hüte dich!‹ Diesen Vorsatz im Herzen, wohnte er einem Ringelspiel bei: Madame Marguerite hatte es veranstaltet. Seit ihrem Abenteuer waren Jahr und Tag vergangen, ihr machte es keine Beschwerden mehr. Henri verfolgte um so aufmerksamer, was ihre Natur des weiteren hervorbrächte: es sollt ihm eine Warnung sein.
Nun hatte Margot nichts Geringeres im Sinn, als ihm eine neue Geliebte beizulegen. Das war das Fräulein von Montmorency, Marguerite-Charlotte, geboren 1594. Das Kind stand im fünfzehnten Jahr, als die Königin Margot zum Ringelspiel einlud. Mehrere Damen sind für den gleichen Zweck auf die junge Schönheit verfallen, als wären sie verabredet gewesen. Der erste Anlaß war, daß der Dichter Voiture sie eine Morgenröte genannt hatte. Mit dem Tag, der anbricht, ist bestimmt etwas zu beginnen -- wobei niemand sich verhehlt, daß ein solches Ding, unausgewachsen und eigentlich noch ohne Gesicht, künftig erst einhalten muß, was es verspricht. Nahe besehen, ist die kleine Schönheit eine Erfindung des Dichters Voiture.
Die anderen Damen hatten eigennützige Gründe, zuerst Madame de Sourdis, die man nur von dieser Seite kennt. Sie hielt für ihren Sohn um die Hand des Fräuleins an unter Verzicht auf jede Mitgift. Dame de Sourdis besaß von ihrer Nichte Gabriele her fünfzigtausend Pfund Rente. Wenn ihr gelang, was sie vorhatte, konnten hunderttausend daraus werden. Der Vater Montmorency war in Ungnade; muß ein Connétable, den der König seinen Gevatter nennt, sich gegen ihn verschwören? Er bereute seine Einfalt; alles war ihm recht, wenn er die Gunst zurückerhielt. Die Heirat wurde beschlossen ohne Mitgift, obwohl Charlotte die reichste Erbin war.
Hier trat eine alte Prinzessin dazwischen -- will auch nicht verzichten, den Faden mitzuspinnen. Madame Diane de France, ein Überbleibsel von unehelicher Abkunft, nahm die Kleine auf, als ihr die Mutter erkrankte; durch die Sourdissche Rechnung machte sie alsbald einen Strich. Dies ist der Zeitpunkt, wo die Königin Margot zu ihrem Ringelspiel lädt. Es wird auf ihrem Grund und Boden sein.
Auch sie dachte unter anderem an sich selbst. Viel Geld ist nötig, um ein neues Schloß zu bauen; das Haus des Erzbischofs war ihr durch peinliche Erinnerungen verleidet. Überdies ist sie ungern das einzige gealterte Idol, das die zarten Knospen liebt. Hier erblüht eine für den Gefährten ihrer Jugend und soll ihn in Versuchung führen. Abgesehen aber von den Berechnungen, die jede anstellen würde, ist dies Margot von einst, eine geistvolle Humanistin mit tieferen Einsichten. Mein verflossener Gatte, so hat sie gesagt, entbehrt etwas für seine hohen Unternehmungen -- weiß ich, welche, aber sie scheinen hoch zu sein, es wäre schade, daß er seinen Ruhm nicht überbietet und unsterblich macht. Genug, ihm fehlt etwas. Ihm fehlt und er entbehrt, was ihn für alle seine Taten zuletzt befähigt hat: die Entzückung an der Frau. Komisch, daß einer sich an uns entzückt, wie wir schon sind; sich so lange entzückt, bis er ein, großer König ist.
Nicht komisch allein, hat Margot gesagt. Es ist kindlich und ist erhaben, uns ernst zu nehmen. Solang er das noch hat, ist nichts verloren und ich behalte ihn. Einen Mann behalten, heißt, ihn mit allen meinen Erinnerungen, den bösen besonders, lebendig vor mir zu haben. Darum baue ich mein Schloß gegenüber dem seinen und kann von jenseits des Flusses in sein Fenster sehen, scharfe Brillen vorausgesetzt.
Das Ringelspiel wurde ein merkwürdiger Triumph für einen, der gar nicht vorgesehen war: Herr de Bassompierre. Er besiegte den Kavalier der Königin, Concini, was Marie von Medici in helle Wut versetzte. Den König befriedigte es. Sein Bassompierre hat mittlerweile viel gewonnen an Verstand und Tugend. Die des Körpers hält mit der anderen Schritt. Der ungewisse Neugierige ist herangewachsen zu einem Bewunderer des Königs und begreift, was der König zu tragen hat, das unglückselige Glück. ›Ich habe keinen Freund zuviel‹, spricht Henri für sich, während der strahlende Held des Tages im Kreis um die Tribünen reitet.
Er läßt sein Pferd knien vor den Majestäten, schwenkt den Hut, erwartet den Befehl. Welche Dame soll er erwählen und mit ihr den Preis des Ruhmes teilen? Sehr schwierig, bei der Auswahl vornehmer Gebieterinnen. Die Königin von Navarra entscheidet, sie verweist Henri auf ein sehr junges Fräulein, das die Auszeichnung genießt, ihm genau gegenüberzusitzen. Er hat die neue Schönheit eine Stunde lang vor Augen gehabt, ohne sie zu beachten. Erstens ist er ihrem Vater nicht gnädig. Die Tochter wurde ihm vorgestellt; wann und wo, hat er schnell vergessen. Ein Kind wie andere, wahrhaftig nichts von Morgenröte. Indessen bemerkt er, daß einige Augen auf ihn gerichtet sind. Bassompierre wartet einfach; gespannt sind andere.
Nun ist für Henri weniges so leicht zu durchschauen wie dieser altgewohnte Vorgang. Eine Frau wird ihm angeboten. Ein Blick von der Seite streift seine Umgebung; die beiden Königinnen sollen verständigt werden. Dann scheint er die kleine Person dort drüben zu sehen; jetzt erst sieht er sie -- und empfängt einen Stoß, als begegnete ihm entweder ein Wunder oder ein Mordversuch. Nicht viel, ihm wären die Sinne geschwunden. Er macht alles stark übertrieben.
Der geistreiche Bassompierre kennt seinen Herrn, glaubt jedenfalls den gewünschten Befehl erhalten zu haben. Er reitet durch den Kreis, sein Pferd kniet nochmals. Der jungen Montmorency wird hervorgeholfen; jede Dame will dabeisein, wie Bassompierre die Kleine in den Sattel hebt. Die Zuschauer sind von den Plätzen gesprungen, um den neuen Stern aufgehen zu sehen. Bassompierre führt das Tier am Zügel. Das Kind droben blickt stolz und glücklich auf den Zudrang, der sie umschwärmt. Das befriedigt sie; wohin es gehen soll, vergißt sie darüber. Als man endlich anlangt, ist der König fort.
Er wird gedacht haben: ›Man versteht mich. Ich will endlich mit den Frauen verschont werden, habe gerade genug der beschwerlichen Angelegenheiten.‹ Bei seiner Freundin Margot erkannte er den Eigennutz, insofern dieser sie leitete; das andere entging ihm. Der Antrieb, zu handeln infolge seines Entzückens an einer Frau, davon wußte er an diesem Punkt nicht mehr, als wäre ein anderer vormals derart umgegangen. Dennoch nahm die Sache ihren unaufhaltsamen Fortschritt. Das erste war, daß der Connétable die Hand seiner Tochter Charlotte nicht bewilligte, sondern selbst antrug: keinem anderen als Herrn de Bassompierre; dieser hatte wenig dafür getan. »Unter dem Himmel gibt es nichts Schöneres«, konnte von der Morgenröte jeder sagen.
Was bot er eigentlich, um die reichste Erbin zu bekommen? Tapfer wie sein Schwert, durch Gewöhnung auch geistreich. Ganz ohne Vermögen, ein Soldat auf gut Glück; ist in das Licht getreten, wäre aber schnell untergetaucht, wenn der König ihn satt bekäme. Alles eins, Montmorency wollte wieder in Gnade gelangen. Sein Gefährte d'Epernon fragte ihn: »Wie lange geben Sie diesem König noch?« -- »Länger als Ihnen«, antwortete der Connétable gereizt, weil er auf den gichtbrüchigen Verschwörer zu lange gehört hatte. Hiernach speisten beide mit Roquelaure und Zamet, dem Herrn über achtzehnhunderttausend Taler, wie er sich nannte. ›Auch der wieder dabei?‹ bemerkte Henri für sich, als ihm von der Verlobung berichtet wurde. ›Allerdings ist erstaunlich, wie durch ein Leben immer dieselben Personen gehen, will sagen: der Rest des alten Bestandes.‹
Über die Vorgänge im Hause Montmorency machte Henri sich wenig Gedanken, er beglückwünschte den Auserwählten, sagte sich auch zu seiner Hochzeit an. Dazwischen trat die Gicht, die wohlbekannte Krankheit der Kriegsmänner, wenn sie älter werden. Gleichzeitig befiel sie Montmorency und den König; d'Epernon hatte sie ohnedies. Auf seinem schmerzhaften Lager ließ Henri sich vorlesen, Bassompierre wechselte mit dem jungen Gramont. Beide gehorchten der Mode, sie teilten die allgemeine Bewunderung für den Roman des Herrn d'Urfé, »L'Astrée« genannt. Darin lieben Schäfer und Schäferinnen einander ohne die Sinne, Lust und Pein des Leibes bleiben aus dem Spiel -- einem Gichtkranken mag es leidlich scheinen.
Andererseits besuchten die Damen des Hofes den König auf seinem Leidensbett. Keine, die nicht des Lobes voll gewesen wäre für die Schönheiten der jungen Charlotte. Von ihnen die seltenste sei eine umfangreiche Reinheit, oh, wie fern den höfischen Berechnungen. Beim Anblick des Wesens glaubt man an die rosarote Gegend der Schäferinnen, ihrer idyllischen Lämmer. Aus dem Munde der Königin Margot klingt dergleichen weniger angemessen. Henri antwortete ihr: »Die Kleine spielt das Lamm, vielmehr das Gänschen. Bestenfalls ist sie es bis jetzt wirklich. Kaum hätte ich sie zu meiner Mätresse gemacht, würde sie die Königin sein wollen. Das bleibt nie aus.«
Indessen können starke Schmerzen einen Mann dahin bringen, daß er nach dem unvernünftigsten Trost verlangt. Die Landschaft der Lämmer und Gänschen ist auch nur irdisch; gleichviel, von Schmerzen denken wir sie uns frei. Das Bett ist langweilig. Der Roman des Herrn d'Urfé, der es gleichfalls ist, erscheint als ein ungeahntes Abenteuer, das versucht werden sollte. Die Liebe ohne die Sinne wäre offenbar ein neues Beginnen. Was hält Feuillemorte davon?
Bellegarde, der Großstallmeister, war es schon so lange, daß er bei Hof nur noch Herr Groß hieß. In Dingen, die hier wieder vorliegen, nimmt der König den altgewohnten Berater. Als Henri ihn unter vier Augen einlud zu sprechen, erkannte der Freund seine Verantwortung, er sagte: distinguo. Er wollte unterschieden haben zwischen den Schäferinnen, von denen er nichts hielt, und einer jungen Dame von schlechthin untadeligem Äußeren. »Ein Kind«, sagte Henri. »Feuillemorte, ein Kind.«
»Und warum sollte Bassompierre das Kind allein besitzen?« fragte dagegen Feuillemorte. Die stattliche Gestalt war er geblieben, nur daß ihm jetzt ständig ein Tropfen an der Nase hing -- ein Gegenstand für Scherze, ähnlich wie die Frau des Marschalls Roquelaure.
Henri stellte im stillen fest, daß sein Feuillemorte nachließ und den gegebenen Fall nicht mehr begriff. Ein Kind besitzen, mir fällt es im Traum nicht ein. Für seinen Großstallmeister hatte er nur den einen Auftrag: Bring sie mir! Das war sein Wort. Ein anderes, vor Zeiten, hatte geheißen: Zeig sie mir! Dessen gedachte Bellegarde allein; an seinem inneren Blick sind die vergangenen Tage nochmals vorübergeflogen.
Der König wachte die ganze Nacht. Seine beiden Vorleser schliefen abwechselnd. Der Roman »L'Astrée« nahm kein Ende, die Ungeduld nach seiner eigenen Schäferei trieb den König aus dem Bett. Am Morgen nannte er die kleine Montmorency ein Gänschen, eine Gans sogar, er wollte sie gar nicht sehen. Das verhinderte ihn nicht, ihrem Verlobten Bassompierre, sobald dieser eintrat, zu gestehen, er liebe Charlotte, vor Liebe sei er völlig außer sich.
Ein Wintertag, früh acht Uhr: Der erlauchte, verehrte Monarch stützt sich auf seinen jungen, schönen Günstling, der neben dem Bett auf einem Kissen kniet. Seine Tränen benetzen den Jüngling oder fließen in seinen eigenen weißen Bart. »Wenn du sie heiratest und sie dich liebt, Bassompierre, ich müßte dich hassen. Du würdest mich hassen, wenn sie mich liebte. Kein Zerwürfnis! Zerstören wir unsere Zuneigung nicht! Ich bin entschlossen, sie an meinen Neffen, den Prinzen von Condé zu verheiraten. Sie soll zu meiner Familie gehören und der Trost meines Alters sein.«
Bassompierre, vom Schrecken starr wie er war, erinnerte sich alsbald des Vorganges bei dem Ringelspiel. ›Armer, verehrter Herr, wer es nur wagte, hätte ihn gern gebeten, den geliebten Gegenstand doch einmal zu beschreiben. Sire! Sie haben meine Braut noch gar nicht angesehen.‹ Er überlegte, daß alles die Laune eines Kranken wäre. Daher behielt er für sich, was er meinte; er drehte vielmehr an geschickten, rührenden Wendungen. »Sire! Möge diese neue Liebe Ihnen soviel Freude bringen, wie der Verlust mir Trauer vorbehält, gesetzt, ich könnte in Ansehung Eurer Majestät je traurig sein.«
Er sollte sich wundern. Den ganzen Tag schmachtete die Majestät. Als Henri nicht mehr hoffte und in dem Gäßchen beim Bett war ein Tisch aufgestellt, mit dreien seiner Edelleuten würfelte er -- da erschienen die beiden Frauen. Madame de Montmorency war eigens von ihrer Krankheit genesen. Der König saß außerhalb des Bettes, darüber hinweg unterhielt er Mutter und Tochter; fand in Wahrheit die Mutter besser. Nur, da waren die Schäferinnen des Romans »L'Astrée«; wer sieht ihnen ähnlich und verspricht das unbekannte Glück? Ob die Heirat mit Herrn de Bassompierre ihren Beifall habe, fragte er die Kleine. Sie, mit dem Gesicht der Unschuld: »Da mein Vater es so haben will.«
Der arme Verlobte stand bestürzt. Vorher hätte es doch gelautet: »Du mein alles für das ganze Leben.« Als der König noch einmal fragte, hob Charlotte einfach die Schultern. Bassompierre sah sich kalt verleugnet. Er bekam Nasenbluten, ging hinaus, zwei Tage blieb er unsichtbar. Er aß nicht, trank nicht und verlor den Schlaf. Der König erlangte ihn wieder. Was sein benachteiligter Günstling entdeckt hatte, wenn auch unter Qualen: Das ist keine gute Morgenröte, ist ohne Herz und verspricht nichts anderes als ein Luder, der alte König übersah es. Die Schönheit eines Kindes verbürgte ihm Güte. Er hätte seinen halben Kriegsschatz gegeben, in Gedanken, nicht wirklich -- für die unauffindbare Güte.
Condé ließ geschehen und nahm an, was über ihn verfügt wurde, seine Verlobung, die vervielfachte Rente, auch die Gerüchte. Der König verheiratet ihn, damit er selbst eine Mätresse bekommt. Der König wählt gerade ihn, weil er im Verdacht verkehrter Neigungen steht: wahrscheinlich wird er seine Frau nicht berühren. Dies alles ließ Condé gut sein zwei Monate lang, bis die Ehe geschlossen war. Während dieser Frist durfte der König schwärmen. Jeder Gutwillige sah, daß seine Neigung rein war gemäß den Vorschriften des Herrn d'Urfé; und daß die Verse, so viele er auf seine Flamme bestellte oder eigenhändig entwarf, schlecht waren. Sein Hofdichter Malherbe konnte es sonst besser. »Wie ist Gedenken süß an die vergangenen Freuden«, ist zweifellos richtig und eine gelungene Abkürzung menschlicher Zustände. Es paßte auf einen Mann bei Jahren, dem das Gedenken ansteht, aber weder die Verzweiflung noch die Seligkeit.
Mit seiner Meinung über dieses Mißverhältnis rückte Condé heraus, sobald er verheiratet war. Zuerst nahm er noch die zehntausend Pfund, die der König der jungen Frau schenkte, sowie für achtzehntausend Pfund Schmuck von der Königin. Willkommen war ihm die Bezahlung seiner Schulden, nebst der Rente für ein Vierteljahr. Der König hatte das Paar nach Fontainebleau berufen, hier zeigten sie, wer sie waren. Das falsche Kind, nunmehr Prinzessin des königlichen Hauses, gebrauchte nach Kräften den einen gegen den anderen, sie nährte die Eifersucht ihres jungen Gatten, sie reizte ihren bejahrten Verehrer. Eines Abends im Schein der Fackeln trat sie hinaus auf ihren Balkon mit gelösten Haaren. Der König war einer Ohnmacht nahe, ohne Verstellung diesmal. »Gott! Ist er verrückt«, sagte die kleine Unschuld.
Condé, zu Henri: »Sire! Sie werden alle Tage jünger. Sie wechseln mehrmals den Anzug, schneiden Ihren Bart jetzt anders, tragen übrigens nicht nur einen Kragen mit eingenähten Wohlgerüchen, sondern offen sichtbar die Farben meiner Frau. Sire! Es gefällt mir weder meinet- noch Ihretwegen, Sie machen uns beide lächerlich.«
Dies war sein Ton und wurde immer dreister. Er war klein und mager, mit scharfen Zügen. Die finstere Schweigsamkeit hatte er aufgegeben. Er stellte sich leicht und unklug, verstand aber wahrhaftig zu rechnen. Zweifellos hat er seine Aussichten abgeschätzt, wenn er mit seiner Frau die Flucht ergriff. Zurück bleibt ein König, dessen eingebildetes Gefühl in Raserei umschlagen wird. Dies um so eher, wenn sein Feind Habsburg dem Prinzen vom Geblüt und seiner Frau die Zuflucht gewährt. ›Das ihm, dem Sieger und großen König‹, denkt Condé. ›Der Götze Europas, eine Niederlage wie diese wird ihm nicht verziehen; er selbst erträgt sie nicht. Er wird in sein Verderben rennen, wohl vorbereitet wie es ist. Mut!‹ denkt der jugendliche Intrigant. ›Der König wird getötet werden, ein Esel, wer's nicht sieht. Dann bin ich der nächste am Thron: Habsburg wird mich daraufsetzen. Kein Widerstand im Königreich. Die Protestanten halten die Scheidung ihres Henri für ungültig und den Dauphin für unehelich.‹
Der Präsident de Thou warnte Henri. Vergebens, Henri beteuerte die Reinheit seiner Absichten. »Ihre Vergangenheit spricht gegen Sie«, mahnte de Thou. Vergebens. Henri hat an Rosny geschrieben, daß er mit dem Prinzen noch die Geduld verlieren werde. Sein Rosny hat ihm geraten Condé festzusetzen. Er hätte es bald getan, da Condé ihm seine »ägyptische Tyrannei« vorwarf: ein König des Volkes will dies am wenigsten hören. Henri sperrte dem unternehmenden Jüngling die Bezüge. Die Bastille blieb eine Drohung.
Mut! sagte Condé. Für das erste entführte er seine Frau auf sein Jagdschloß in der Picardie -- nicht mehr weit bis zur Grenze der spanischen Niederlande. In Brüssel herrschen der Erzherzog und die Infantin. Noch ist man im Bereich des ägyptischen Tyrannen, daher Vorsicht! Der Täuschung halber werden Ausflüge veranstaltet, einer nach Amiens zum Gouverneur, Herrn de Traigny. Der Prinz, die Prinzessin, auch seine Mutter dabei -- sie vergiftete einst ihren Gatten, dessen Sohn der Prinz vermeintlich nicht wäre, niemand kann wissen. Die Mutter der Kleinen gäbe sie gern dem König als Mätresse. Die Mutter des Prinzen desgleichen. Mehrere Damen wären behilflich. Die Königin Marie von Medici hat gesagt: »Für das schöne Geschäft sind dreißig Kupplerinnen da. Wenn ich wollte, war ich die einunddreißigste.« Gewiß hätte sie auch hierbei mitgewirkt, sobald es bestimmt worden wäre. Der Jesuitengeneral brauchte Marie nur wissen zu lassen: das Opfer muß gebracht werden. Diese ist die letzte vor dem Ziel.
Hubertustag, das schöne Wetter, die Ausflügler können nicht überrascht sein, einer Jagd zu begegnen. Es sind Jäger des Königs, was einigermaßen auffällt. Sie erklären der jungen Prinzessin, daß ein Oberförster aus der Gegend --. Sie hört nicht weiter, sie hat den König erkannt.
Der König trägt Livree. Er hält zwei Hunde an der Leine. Über seinem linken Auge liegt eine Binde; niemand erkennt ihn, nur seine Flamme. Sie reitet nah an ihm vorbei, sagt von oben: »Das verzeih ich Ihnen nie« -- galoppiert von dannen.
Diesmal ist kaum zu glauben, daß Henri vergessen haben sollte, wie ein kleiner alter Bauer, geschwärztes Gesicht, ein Bündel Reisig auf dem krummen Rücken, voreinst Schloß Coeuvres erreicht hat quer durch feindliche Linien. Sire! Wie sind Sie häßlich, hat Gabriele d'Estrées gesagt. Dann rührte und gewann er sie, vor ihm lagen die Jahre, die Größe und Besitz sind. Was jetzt? Er will die vergangenen Tage beschwören, er ahmt sich selbst nach. Davon weiß ein Kind nichts, sagt aber: Das verzeih ich Ihnen nie. Wie erst, wenn sie begriffe.
Übrigens ist man geschmeichelt, daß ein König seine Erscheinung unseretwegen entstellt, wir sind ein unvergleichliches Persönchen. Halten wir reinen Mund, beschloß das Persönchen oder Gänschen; der gründlich belehrte Bassompierre hatte es noch anders genannt. Indessen, die Dame des Hauses, wohin der Ausflug führte, empfahl dem Gänschen recht sehr, die Landschaft zu bewundern. Dabei fällt der Blick auf ein Fenster des Seitengebäudes: der König, die Hand auf dem Herzen, schickt Küsse. »O mein Gott, was ist denn das. Madame, Sie haben den König hier.« Madame de Traigny wollte mit der erschrockenen Kleinen hinübergehen: ein gutes Wort ist nie verschwendet. Die liebe Kleine dachte: ›Gute Worte, wenn sonst nichts, sind für später. Zuerst soll der Alte seine dicke alte Königin fortjagen mitsamt allen seinen neun Bankerten. Ich werde schon sehen, woher ich meinen echten Dauphin bekomme.‹
Der Prinz und die Prinzessin von Condé mißtrauten einander, sie vereinbarten nichts. Beide wollten den König beerben, nur jeder auf seine Art. Zum Schluß bekam keiner etwas. Die Prinzessinmutter fürchtete ein entsetzliches Aufsehen; sie verließ den Ort nicht, ohne daß sie ihrem Sohn vorher ein Licht ansteckte. Henri kehrte traurig nach Paris zurück. Jetzt oder nie, Condé entführte seine Frau mit List über die Grenze. Ihr hatte er nur von der Besichtigung eines Gutes gesprochen. Aus dem ersten spanisch-niederländischen Ort schrieb er an die Infantin und bat um den Schutz seiner Ehre und Sicherheit gegen einen ägyptischen Tyrannen. Die Dame, deren eigene Ehre von einer lebendig Begrabenen gut behütet war, empfing das verfolgte Opfer in ihrer Brüsseler Residenz. Aufgenommen und untergebracht wurde das gute Kind mit aller Auszeichnung, die seinem Range gebührte. Etwas anderes ist es um das Entkommen. Das wird fehlschlagen, sooft es versucht wird.
Der König bekam die niederschmetternde Meldung abends am Spieltisch. Zugegen waren sein Vetter Soissons, die Herzöge von Guise und Epernon, Créqui und Bassompierre, dieser dem König zunächst. Er sagte heimlich, ohne den Wunsch gehört zu werden: »Sire! wie der Prinz von Condé hätte ich nicht gehandelt, möcht auch nicht tauschen mit ihm.« Der König verlangte einzig nach Sully.
Der Großmeister war zu Bett gegangen, er wollte nicht aufstehen, man mußte ihm die Depeschen zeigen: da kam er. Der König hatte erstaunlicherweise die Königin aufgesucht, sie lag schon wieder im Wochenbett. Die Stimmung erinnerte eher an ein Sterbezimmer. Der König hörte unsinnige oder verräterische Ratschläge an. Der Minister Villeroy empfahl den diplomatischen Weg, gerade weil er der langsamste war. Präsident Jeannin kannte nur eines, Gewalt. Jeden Fürsten, der Condé aufnimmt, mit Krieg bedrohen. Und Henri will die Meinung seiner Frau wissen! Sie liegt abgewendet, ihr Gesicht sieht er nicht. Er wird spät erfahren, daß dies die Nacht war, die Marie endgültig an den Gedanken seines Todes gewöhnt hat. Hierselbst hofft er, ihr Herz zu bewegen.
Als Sully eintrat, nahm Henri ihn bei der Hand. »Unser Mann ist auf und davon, hat alles mitgenommen. Was sagen Sie dazu?«
Sully trommelte einen Marsch auf der Fensterscheibe. Henri verstand infolge gegenseitiger Gewöhnung. Unser Mann könnte schon längst im Turm sitzen, besagte der Marsch. »Was aber jetzt?« fragte Henri.
Sully riet, gar nichts zu tun. Je weniger man aus der Sache macht, was angesichts der europäischen Öffentlichkeit dringend geboten ist, um so schneller wird der Prinz wieder da sein. Schon aus Geldmangel.
Damit endete der Staatsrat, wenn es einer war. Sully hatte gesehen, was dem König in seinem Zustand vorläufig verborgen blieb: gar nichts ist zu machen -- jetzt auch der Krieg nicht. Der König hatte gezögert, solange Europa ihn als seinen Befreier erwartete. Wie dürfte er marschieren, um aus Brüssel eine Mätresse zu holen. Dennoch brachten die Umstände es dahin, daß er sich gerade diesen Anschein geben mußte. Zu dem Legaten des Papstes wird Henri sagen: Es ist ein Mißbrauch, wenn man denkt, ich handelte unter dem Antrieb einer Leidenschaft. In Frankreich gibt es schönere Frauen. Da konnte er nichts mehr ändern. Die Völker haben es nie geglaubt-, die Höfe und ihre Jesuiten stellten sich nur, als wäre es ihre Meinung. Gleichviel, man schreibt, berichtet, beredet: Anlaß für den König von Frankreich, daß er die Furie des Krieges entfesselt, ist die neue Helena.
Albrecht von Österreich regierte die spanischen Niederlande mit seiner Frau, der Infantin Isabella. Er war ein Erzherzog und verschmitzter Beamter. Sein Entschluß lautete sogleich, die Verwandten des Königs von Frankreich gegen ihn auszunutzen bis zum äußersten, einbegriffen die Anfechtung der Thronfolge und Aufstände im Königreich. Was er vorschützte, waren Zweifel über die Rechtslage sowie die Wahrung seiner Ehre. Er, ein Habsburg, dem ungeduldigen Liebhaber die Frau eines anderen zuschicken, weil der Verliebte mit seinem Heer droht! Henri ließ tatsächlich wissen, daß er an der Spitze von fünfzigtausend Mann die Prinzessin holen werde. Der Erzherzog wartete es ab. Schließlich kann es sein, daß ein begehrlicher Greis den Kopf verliert; aber es ist unwahrscheinlich. Der Erzherzog errät ungefähr, daß Henri noch lieber den Prinzen als die Prinzessin in die Hand bekäme.
Seit dem Eintreffen eines Bescheides vom König von Spanien war Condé der Anwärter auf den Thron. Der Hof der Infantin feierte das Ereignis mit acht Stunden Tafeln und Tanzen. Der Erzherzog hat niemals haltbare Gründe vorgebracht, weshalb er einen Prinzen vom Geblüt dem Haupt der Familie nicht wiedergäbe -- während ohne den Willen dieses Hauptes natürlich niemand ein Mitglied des königlichen Hauses bleiben kann, sondern wird ein aufrührerischer Untertan. Im Verlauf der Dinge verhängte der König über Condé den bürgerlichen Tod. Der ehemalige Finstere wurde hiervon quick und lebendig. Der Erzherzog empfahl ihm zu reisen, da lief er mit spanischem Geld durch ganz Deutschland; wäre in Trient von den Venezianern gefaßt worden und die hätten ihn an ihren Verbündeten ausgeliefert. Aber er entkam nach Mailand, das war so gut wie Madrid.
Bei dieser Nachricht hat Henri sich ohne Aufsehen zurückgenommen. Für den eigenen Gebrauch hat er seine letzte Liebe abgestellt: öffentlich noch nicht. Die Kleine in Brüssel ahnte es nicht; gerade war ein Versuch, sie zu entführen, von ihren Gastgebern vereitelt worden. Hannibal d'Estrées, der Bruder Gabrieles, rechtfertigte das königliche Vertrauen schlecht; Henri, der zum Empfang seiner Schönen schon aufgebrochen war, nannte ihn einen Dummkopf. Da wußte er noch nicht, daß Hannibal unschuldig an dem Mißerfolg und vor seinem Eintreffen in Brüssel das Unternehmen verraten war. Von wem, soll Henri erfahren.
Das Gänschen als neue Helena hat die ganze Zeit geschwelgt in den Hochgefühlen ihrer Wichtigkeit. Madame de Berny sprach zu ihr im Auftrag des Königs, sie möge nur bedenken: schon einmal hat der König sich scheiden lassen. »Wie ich Sie verstehe«, hat Charlotte gesagt. »Viel besser ein alter Herr, der mich über alles verehrt, als ein junger mit Anlagen wie mein Mann Madame, schreiben Sie Seiner Majestät, denn hier werden meine Briefe gelesen; versichern Sie ihm, daß ich nur eine einzige Liebe kenne: die für seine Größe, seinen Ruhm. Werd auch nach Kräften bemüht sein, ihm endlich den ganz echten Dauphin zu schenken.«
Dies bezweifelte die Gesandtin, denn das liebe Kind empfing außerdem die Huldigungen des Generals Ambrosius Spinola, des Siegers von Ostende. Rubens malte sie für ihn; der Genueser Kaufmann, dem nur wegen seines Reichtums die militärische Laufbahn von den Spaniern erlaubt wurde, beredete die Prinzessin überall. Sein wirklicher Ehrgeiz war nicht der Besitz einer beiläufigen Schönheit: der Krieg gegen Henri war es. Er wollte auf den Gipfel gelangen; dem berühmtesten Kapitän im Feld entgegenzutreten, danach brannte er. Der Erzherzog, ein vorsichtiger Beamter, verschob mit scheinbaren Zugeständnissen den Krieg, bis das andere, ihm bekannte Ereignis einträte. Tote führen keinen Krieg mehr.
Der unverdrossene Spinola wies ihm nach: Das mächtige Heer des Angreifers kann geteilt und hingehalten werden, bis die universale Monarchie ihn von allen Seiten erdrückt. Was noch die Frage gewesen wäre; der Erzherzog kannte sein Haus. Zuverlässiger ist ein Mord. Wenn aber Henri seine entfernte Schwärmerei fallenließ und nannte sie heimlich die Stallmagd Dulcinea -- vorhanden blieben der Intrigant Condé und Spinola, der die Vorgänge überstürzte mehr als Henri selbst.
Er hatte Briefe voll der Sehnsucht seines Herzens nach Brüssel geschickt. Die späteren waren trügerisch. Soll man ihn für verwirrt durch Liebe halten und um so weniger durchschauen. Indessen, was er der Kleinen weiterhin schrieb, war von den vorigen Erhebungen seiner Ungeduld kaum zu unterscheiden. Gänschen jedenfalls merkte nichts. Der Infantin las sie die Briefe des großen Königs vor, empfing auch Bewunderung genug, nur daß man sie nicht fortließ. Ihre Antworten gelangten auf dem sichersten Weg an Henri; man glaubte ihm Gift zu versetzen. »Die neue Helena bin ich genannt«, sagte Gänschen.
»Die sind Sie«, sagte die Infantin. »Und warum hintergehen Sie Ihren königlichen Anbeter mit Spinola?«
»Er ist es gewohnt, es würd ihm fehlen«, sagte Gänschen. »Darf auch ich Eure Hoheit etwas fragen? Warum haben Sie Herrn d'Estrées ganz und gar verhindert, mich zu entführen? Ich meine nicht, daß es gelingen sollte. Aber unterwegs hätten Ihre Soldaten mich den Leuten des Königs wieder entreißen können. Ein Kampf um die neue Helena, alle Höfe Europas hätten davon widerhallt.«
»Der Erzherzog ist für das stille Verfahren«, sagte die Infantin.
»Aber auch Sie verstehen keine Frau?« bat die Kleine schmeichlerisch.
»Keine Französin«, antwortete die Infantin mit einem Hochmut: die harmlose Vorstellung versagt vor ihm. Diese unbesonnene Kleine begriff nicht, was sie einsteckte.
Am Anfang des Jahres 1610 war die militärische Lage des Königs besser als je vorher. Er bekam gegen Spanien den Vertrag mit Savoyen: der Herzog hätte die südöstliche Grenze verteidigt. Moritz von Nassau und seine alten Banden wären in das Reich eingefallen, bevor es sich noch rührte. Die Stadt Hall in Schwaben sah eine Zusammenkunft der protestantischen Fürsten mit den Gesandten des Königs. Sein Rat Boississe bildete gegen den Kaiser den Fürstenbund samt freien Städten. Die Losung war, dem Reich und den Fürsten die Freiheit wiederzugeben; genommen sei sie ihnen durch das dauernde Verbleiben der kaiserlichen Würde im Hause Habsburg. Nach dem glücklichen Gelingen des Unternehmens wäre der Dauphin zum König der Römer ausgerufen.
Henri meinte etwas anderes und plante mehr. Wem ist es begreiflich zu machen. Ein Großer Plan wird einsam ersonnen, er ist die lebenslange Erwerbung des einen und ist schon seine Wirklichkeit. Wann wird er es für die anderen? Man tritt hinaus, man handelt; sogleich stößt man auf fremde Ansprüche und wird in sie verwickelt. Seine Verbündeten bestürmten den König mit ihren Streitigkeiten, Ränken, der Furcht voreinander und vor dem Kaiser. Die Aufgebote der Deutschen ergaben zusammen ein Heer von der Stärke seines eigenen, wenn man es nur zählte. Übrigens folgten die fremden Truppen der Trommel in der Hoffnung auf Beute. Das Beispiel eines uneigennützigen Feldherrn war ihnen fremd. Seine Sache, sie zu belehren, wie man für einen Glauben kämpft. Freiheits- und Gewissenskämpfer, können wir sie nochmals erziehen? Zehn Jahre seit unserem letzten Krieg. Der Große Plan kommt spät im Leben.
Natürlich vertraute er die Zweifel seinem Rosny, der sie in die Flucht schlug. Dieses Königreich, dieses Volk hat keine aufrührerischen Parteien mehr. Die Verschwörung des Hofes gegen den König -- wir wollen sie nicht leugnen, im Gegenteil beaufsichtigen wir sie. Bei den Massen fehlt den Verschwörern die Handhabe, ungeachtet ihrer bekannten Redner auf den Kanzeln und Ecksteinen. Wir täten trotzdem wohl daran, Herrn Concini still zu beseitigen, Herrn d'Epernon festzusetzen -- und mehrere Personen an ihren geheimen Unterredungen zu verhindern, wenigstens bis Krieg ist.
Mehrere Personen: Henri begriff, daß eine einzige gemeint war, die Königin. Nun stand es derart, daß nicht ihr, sondern ihm selbst die Zusammenkünfte erschwert waren. Die gegenwärtige findet in dem Arsenal statt. Sein eigenes Haus schützt den mächtigen König vor Verrätern nicht.
Das ist ein Zustand, von dem Rosny seinen Herrn gern ablenkt. Er wacht über jede Regung seines Herrn. Der Mann der Zahl und Kraft, teilt die Menschen sonst in Freund und Feind; seine Feinde fallen unter sieben Abarten. Auf den Grund des Herzens sieht er einzig seinem Herrn.
»Sire!« sprach er. »Ihre Macht ist nicht ungefüge und wird nicht herabgesetzt durch ihr Übermaß. Gerade darunter leiden Kaiser und Reich, die universale Monarchie überhaupt. Erinnern Sie sich der Zeiten, als Ihre festen Plätze verwahrlost waren? Sie besitzen jetzt die schönsten. Geschwächt hat sich der König von Spanien und, im Vertrauen, auch Ihr britannischer Verbündeter seit dem Tode der Königin. Eure Majestät ist der reichste Fürst. Wollen Sie erraten, wie viele Millionen ich für Ihren Krieg verwahre?«
»Höher«, sagte der Großmeister.
»Fünfzehn.« -- »Höher.«
»Dreißig.« -- »Noch höher. Vierzig.«
In seiner Freude versicherte Henri wiederholt, daß er nichts weniger vorhabe als eine Erweiterung seiner Grenzen. Die Eroberungen sollen unter seine Verbündeten verteilt werden. Er wird seinen Krieg führen für einen Frieden mit ewigem Bestand, für die Freiheit der Nationen, das Glück der Menschen, die Vernunft.
Er will der Schiedsrichter Europas sein, sah sein Rosny. Soweit stimmt die Rechnung. Später findet sich, ob wir nicht doch einige Eroberungen für uns behalten.
»Sire!« sprach er. »Ihren Großen Plan verbürg ich insofern, daß Sie Haus Habsburg bis hinter die Pyrenäen vertreiben.«
Dies war der freieste Punkt des hohen Gefildes, worauf ein Mann allein sich bewegt. Der König verließ das Arsenal, ohne daß der Gegenstand seiner entfernten Schwärmerei auch nur erwähnt worden wäre. Dennoch verband damals sein Gefühl das Kind in Brüssel mit dem Ziel seines Lebens. Das lebendige Ziel hat die Gestalt einer Frau, die er holen wird, und wäre es mit fünfzigtausend Begleitern. Das Gefühl brach ab, als Condé nach Mailand gelangte. Die Entführung der jungen Charlotte mißlang; List und Vermittlung, alles schlug fehl; dem eigenen Vater wurde das Kind verweigert, so dringend der Connétable bei dem Erzherzog um ihre Rückgabe vorstellig wurde aus großer Begier nach der Gnade des Königs. Da erst bemerkte Henri, wo er wirklich stand. Ein Brief der Prinzessin von Oranien, vorher übersehen und weggelegt: Henri, in seinem Kabinett allein, nimmt ihn zur Hand, er sieht endlich, daß gegen ihn die Tugend ist. Ein alter Fürst, schreibt ihm Madame d'Orange, hat nicht das Recht, ein junges Wesen zu verfolgen.
Die Tugend ermahnt ihn, abzulassen von dieser Liebe, seiner verspäteten letzten. Ihm ist von Gott verboten, seiner Leidenschaft zahllose Menschen zu opfern, zuerst die Schuldlose, die ihn kindlich verehrt. Bei dem Anrücken seiner Heere würde sie aus Brüssel entfernt und ihrem Gatten nachgeschickt werden, was sie am meisten fürchtet; er schlägt sie. An dieser Stelle hörte Henri auf zu lesen. Er weiß nunmehr: das Kind ruft ihn sehnsüchtig, aus Furcht, verjagt und mißhandelt zu werden. Sehr schwerer Anprall des Mißgeschickes; er stößt gleichzeitig an die Grenze seiner königlichen Macht und seines Rechtes, zu lieben.
Er hätte noch heftiger gelitten, wäre ihm hier nicht der Einfall gekommen, ihr Bild zu betrachten. Er besaß kein gemaltes, so lange war sie niemals in seiner Nähe gewesen. Sein inneres Auge wollte sie vor sich rufen, was aber gleichfalls vergeblich blieb. Entzieht sie sich ihm, weil es nicht sein darf? Hat er sie selten gesehen, flüchtig erfaßt, und was er liebte, war eingebildet? Als er abließ von seiner Bemühung um das innere Gesicht, erschien ihm wirklich eines -- war aber nicht die Unbekannte dort hinten, die neue Helena geheißen. In voller Wirklichkeit erblickte er die Frau, die seine teure Herrin gewesen war, und ist es noch jetzt. Gabriele erscheint, sie spricht zu ihm: Sire! Mein geliebter Herr. Sie spricht: Ist doch Ihr Großer Plan aus meinen Tagen. Ich weiß um Sie -- ich allein, da ich endlich Ihr Fleisch und Blut geworden war. Ich lieg in keiner Gruft, in Ihnen wohn ich. Wir sterben nicht.
Sie schwieg und verschwand; er aber nahm wahr, welchen Gegenstand er während des Wiedersehens vor seinen leiblichen Augen gehabt hatte: das Skelett als Ackermann, der Tote, der weiter schafft. Nun hatte er ein äußerst merkwürdiges Glück empfunden, solange Gabriele bei ihm gewesen war -- nicht als Erinnerung, vielmehr die wahre Gegenwart, der Trost und das Versprechen. Er saß, sann nach und las im Geiste den Bericht seines Mornay. »Madame de Mornay war glücklich nur bei dem Abschluß ihres ernsten Lebens. Ist es das? Sie war in dem Maße beseligt, daß sie verjüngt und schön wurde. Die Seligkeit kommt vor der Gruft. Ist es das? Sei tapfer und hartnäckig, laß nicht nach.« Henri spricht die Worte laut. Fortan steht fest: sein Ende trifft ihn früh oder spät, in der Gestalt, die es haben soll -- er geht ihm entgegen.
Ende März wurde sein Schloß Louvre unhaltbar. Sully ließ ihm in dem Arsenal ein Zimmer herrichten, dort schlief der König unter dem Schutz des Großmeisters, seiner Soldaten und Geschütze.
»Kein angemessener Zustand für den mächtigsten Fürsten Europas«, sagte er an dem letzten Abend im Monat, saß auf dem Rande des Bettes mit seinem seidenen Rock angetan und wollte lachen. Der Herzog von Sully zeigte ihm aber die strenge amtliche Miene, als wären hier tausend Zuschauer zugegen, und was sie handelten, wäre an die Welt gerichtet.
»Sire!« sprach Sully. »Der Gründe, weshalb Sie hier Zuflucht suchen müssen, sind mehrere.« In wohlgeordneter Folge benannte er sie. »Es ist zum ersten Ihr Ruf, zum zweiten der Abfall Ihrer Verbündeten. Die Verschwörung Ihres Hofes tritt an die dritte Stelle zurück -- ja, würde sogar bei der größten Bosheit Ihrer Feinde bis zu der Tat niemals vorschreiten. Was ist eine Verschwörung für sich allein. Lassen Sie mich das Beispiel des Tyrannen Dionys von Syrakus anführen: er wurde gerettet durch die Verbesserung seines Rufes, anstatt daß er ihn absichtlich selbst zugrunde gerichtet hätte.«
»Genug von dem alten Tyrannen«, verlangte Henri. »Halten wir uns an den mitlebenden.«
Sully hob die Brauen wie auch den Zeigefinger. »Der König von England, mit dem es allerdings ein Jammer ist, hat nur darauf gewartet, daß er vorwenden könnte: für eine neue Helena ziehe er nicht in den Krieg. Seine Staatssekretäre halten schon wieder große Stücke auf das europäische Gleichgewicht, was allemal das schlimmste Zeichen ist. Eure Majestät hat geruht, es diesen schwachen Menschen zu erleichtern. Sie stellten sich in Ihrer Weisheit, als war Ihre Liebe für die Prinzessin von Condé unüberwindlich, weshalb Sie die Rückgabe der Dame zu einer Bedingung des europäischen Friedens machten. Wären Sie ein anderer Fürst --«
»Der Tyrann Dionys«, schlug Henri vor.
Rosny: »Ich hätte gesagt: Hoher Herr, ein großer König von Syrakus liebt ein kleines Mädchen, solange es ihm bequem ist. Sie lieben das Kind schon längst nicht mehr. Aber Sie bestehen auf Ihrem Vorrang und königlichen Herrlichkeit. Wollen nicht nachgeben. Sind zu stolz, Ihren verderblichen Ruf zu bekämpfen.«
Henri: »Wenn einer alt geworden ist wie Dionys.«
Rosny -- auf einmal verändert, die Stimme weich, sosehr sie es sein kann: »Sire! Mein lieber Herr! Verwechseln Sie doch nicht die letzte Liebe mit dem Abschluß des Lebens. Der ist sie bei weitem nicht. Von seinen Ketten nunmehr frei, schlägt ein großes Herz nur noch für die hohen Arbeiten.«
Henri bewegte die Lippen, schloß sie, nahm einfach die Hand seines guten Dieners. Rosny bat ihn hierauf um vierzehn Tage Besinnung. Die braucht der Minister, um zu verbreiten, daß die Rolle der neuen Helena ausgespielt ist. »Inzwischen das Kalbsfell rühren, aber keinen Mann einstellen. Wir sagen, daß wir kein Geld haben. Der König von Spanien hat wirklich keines. Der Erzherzog in Brüssel fängt ohnedies an, seine Soldaten zu entlassen. Sire! Einen viel besseren Anlaß loszuschlagen, als die neue Helena war, finden Sie zu jeder Zeit in Cleve, Jülich und Berg. Sie müssen nach menschlichem Ermessen keinen Krieg an zwei Fronten führen.«
Der Krieg an zwei Fronten hatte den Großmeister sonst nie erschreckt. Der König stand vom Rande des Bettes auf, gelassen bekundete er seinen Willen.
»Sie haben vierzehn Tage, Großmeister. Keinen mehr. Soll ich meinen Krieg allein verantworten, gut: allein. Für die zwei Fronten hab ich mir zwei Harnische machen lassen. An den Fronten werden sie mich schützen: fragt sich, oh auch hier. Vierzehn Tage ist eine lange Frist. Großmeister, Sie werden sehen: die töten mich.«
Der König streckte sich aus, alsbald schlief er ein. Neben seinem Kopf hielt sein Rosny die Wache. Hätt er nur immer gewacht!
Als der König aufstand, war es der erste April zu früher Stunde. Unter starker Bedeckung kehrte er nach Schloß Louvre zurück. Die Gendarmen vom Hause des Königs verließen ihn nicht, sie umgaben sein ganzes Kabinett, die Türen, Fenster, den Schreibtisch. Dies hören, und Bestürzung erfaßte alle Verschwörer. Der König hat aus dem Arsenal eine neue Festigkeit mitgebracht, er wird uns das verdiente Schicksal bereiten. Wir kommen zu spät. Die Marquise de Verneuil suchte ihre Zuflucht bei Herrn d'Epernon; sie verhüllte sich, nahm Umwege nach seinem Haus, um zu berichten, daß sie beide verloren wären. Ein Mann im violetten Rock verließ auf den Wink des Herzogs das Zimmer. Von diesem wurde nicht geredet; der Frau Marquise sagte nicht einmal ihr böses Gewissen, wer er war.
D'Epernon fragte des öfteren »ha« und »he«, nahm übrigens die Nachrichten nicht schwer, nachdem er sie erfaßt hatte. Man hat Zeit, erklärte er. Sollte einer dem Bewußten nachstellen, was niemand weiß, der Bewußte gibt ihm schließlich die Gelegenheit. Ein Kabinett bleibt nicht immer von Soldaten voll. Ein spanischer Doktor der Theologie hat für dieses Jahr den berühmten Tod vorhergesagt. Was der Frau Marquise denn einleuchtete. Ein deutscher Mathematiker hat dem Opfer der Zahlen selbst den genauen Tag angegeben, vierzehnter Mai. Die Frau Marquise war halb beruhigt. D'Epernon sagte: Ereignisse, die nicht prophezeit wären, blieben fragwürdig. Ihr Eintritt ist aber gesichert, sobald man an sie glaubt -- besonders der erste, den es angeht.
In Wahnsinn verfiel an diesem Morgen die Milchschwester der Königin. Die eingebildete Kugel, die ihr im Halse steckte, war schlechterdings nicht mehr zu verschlucken. Zwischen ihren Erstickungen grub die Milchschwester nach Gold, mit dem sie entweichen wollte. Ihr schöner Gatte erfuhr hierbei von Verstecken, die ihm trotz allem entgangen waren. Bei jedem Sack, der hervorkam, wurde er zärtlich; sein nächster Anfall von Wut erfolgte unvermittelt. »Herrschaften wie wir! Der edle Concini, die edle Galigai -- die Flucht ergreifen vor einem König, der keiner mehr ist! Das wäre. Wo die Regentin uns aus der Hand frißt.«
»Solange sie den König haßt«, erwiderte die Zwergin. »Nachher? Genug, du mußt mit ihr schlafen.«
»Deine Schuld, daß ich es nicht durfte«, schrie er, die Faust erhoben gegen das kranke Gewürm. Sie, unter schrecklichem Würgen:
»Dummkopf, der es nicht längst besorgt hat. Jetzt mach! Daß ich dich nicht wiedersehe, bevor es geschehen ist!«
Worauf er mit weichen Hüften seine begehrte Gestalt umherdrehte, bis sie glücklich aus der Tür war.
Am frühen Nachmittag wurde Don Inigo de Cardenas dem König gemeldet. Der König hatte in seinem Kabinett die Mahlzeit eingenommen -- ohne Lust, wie die reichlichen Reste bezeugten. Um die Wände standen seine Gendarmen. Beim Eintritt des Gesandten legten sie die Gewehre an. Der Gesandte fuhr zurück, nicht, daß er erschrak. Verlegen war er. Der Gang wurde ihm ohnedies schwer. Er hatte ihn hinausgeschoben, bis der Befehl aus Madrid kein Zögern mehr zuließ. Jetzt sieht er ohne Vorbereitung, daß dieser König ein ungesittetes Benehmen annimmt. Von ihm hätte Don Inigo es zuletzt erwartet; dem Herrn mit schwankendem Selbstvertrauen war verhältnismäßig wohl gewesen in der Nähe eines ganz natürlichen Menschen. Hoheit, die noch keinen verkehrten Sinn angenommen hat, ist einfach. Jede seiner Begegnungen mit ihr hatte Don Inigo herzlich erleichtert. Plötzlich die angelegten Gewehre. Keine Wahl mehr, wie sein Auftritt zu verlaufen hat.
Der König wendete seinen Stuhl herum, wies auf einen anderen, fünf Fuß entfernten, und fragte: »Verstehen Sie Scherz?«
Zu dem Hauptmann seiner Gendarmen sagte er: »Das ist der Rechte nicht. Es wäre ihm eher peinlich. Ab, die Gewehre!«
Alle Kolben wurden auf den Boden gestoßen. Langsam verging die Minute. Der Gesandte mußte unaufgefordert beginnen.
Der Gesandte: »Ich bin hierher entsendet von dem König von Spanien, meinem Herrn, damit Eure Majestät mich wissen läßt, wozu Ihre so mächtige Armee und ob gegen ihn.«
Der König: »Hätt ich mich an ihm vergangen wie er an mir, dann dürfte er klagen.«
Der Gesandte: »Flehentlich bitte ich Eure Majestät, mir zu sagen, worin der König, mein Herr, es hat fehlen lassen.« Dies in herausforderndem Ton, je eher Don Inigo die Beschwerden des Königs von Frankreich voraussah und versucht war, ihnen beizustimmen.
Der König: »Er hat Anschläge auf meine Städte unternommen. Bestochen hat er mir Marschall Biron, den Grafen d'Auvergne und vorenthält mir jetzt den Prinzen von Condé.«
Der Gesandte: »Sire, er konnte seine Tür nicht verschließen vor einem Prinzen, der sich in seine Arme zurückgezogen hat; wie auch Sie nicht täten, wenn ein fremder Prinz bei Ihnen Zuflucht suchte.«
Der König: »Ich würde trachten, sie zu versöhnen und ihn heim in sein Land zu schicken. Überdies hat er dem Kaiser niemals Geld leihen gewollt, unterstützt aber jetzt mit viermal hunderttausend Pfund den Krieg gegen meine Freunde und Verbündeten.«
Der Gesandte: »Sie haben angesichts der ganzen Welt den holländischen Niederlanden mit Geld beigestanden. Nochmals, ich wünsche zu wissen, ob der König, mein Herr, es ist, gegen den Sie eine so mächtige Armee haben.«
Der König -- steht vom Stuhl auf: »Ich wappne meine Schultern und meine Erde, um zu verhüten, daß man mich trifft, und nehme mein Schwert zur Hand, um zu treffen, wer meinen Zorn erregt.«
Der Gesandte, auf den Füßen, er beherrscht sein Zittern: »Was soll ich dem König, meinem Herrn, nun melden?«
Der König -- wendet dem Gesandten den Rücken: »Melden Sie ihm, was Ihnen beliebt.«
Er schickte nach dem Herzog von Sully, damit dieser entscheiden möge, ob hiermit der Krieg erklärt sei. Vierzehn Tage hatte Henri ihm Frist gegeben. Soll ich meinen Krieg allein verantworten, gut: allein.
Angenommen, daß es die Kriegserklärung war, Europa gab sich alle Mühe, sie nicht zu begreifen. Sully bekam seine vierzehn Tage und um vieles mehr. Der Minister Villeroy und seinesgleichen erhielt hier Gelegenheit, die Tugend zu spielen. Um Gottes willen, nur kein Blutvergießen! Will sagen, das Blut der eigenen Partei. Die ist hierselbst eine Minderheit, wenn auch eine tätige; die Mehrheit hat sie bei den Feinden des Königs, weshalb Villeroy und seinesgleichen gegen das Blutvergießen sind. Läge es anders herum, sollte man ihn weniger weinerlich sehen. Tränen in den Augen, warnte er Herrn Pecquius, den Gesandten des abgerüsteten Erzherzogs. Alsbald ging von Brüssel der Anwurf aus: der König ist durch seine Leidenschaft vollends um den Verstand gebracht. Was der Herzog von Sully seit kurzem verbreitet, sind Ausreden. Der Streit geht wie je um die neue Helena. Dagegen sprach mehreres, sobald einer hinsah.
Erstens wurde die junge Gefangene in Brüssel durchaus nicht mehr gefeiert mit Tafeln und Tanzen. Ihre Briefe an den König mußte man fälschen; ihre Ergüsse hätten schwerlich überzeugt, seine auch nicht. Condé seinerseits fühlte sich von Brüssel verleumdet. Der Erzherzog und die Infantin wünschten allerdings, sie wären ihm niemals begegnet. Der Erzherzog, ein verschmitzter Beamter, hätte nicht geglaubt, daß seine unverdrossene Berufung auf Ehre und Richtigkeit derart enden sollte. Jetzt flogen seine Boten umher, nach Madrid um Geld, nach Rom um Vermittlung. Papst Paul der Fünfte schickte wirklich einen Außerordentlichen Legaten; aber der König von Frankreich, anstatt seinen Spruch abzuwarten, nannte ihm sogleich den Weg, den er nehmen wollte: über Lüttich nach Jülich. Für den Einmarsch in die spanischen Niederlande waren Truppen im Übermaß zusammengezogen. Das bedeutete noch nichts gegen die wirkliche Stärke des Königs und seiner Verbündeten.
Haus Österreich hatte an seiner Spitze zwei ganz mittelmäßige Herrscher, den Kaiser Rudolf, den König von Spanien, Philipp den Dritten. Ihnen diente kein Minister vom Rang eines Sully, ihre Armeen glaubten an den einen, alleinigen Feldherrn nicht. Ihre Länder waren miteinander überworfen, ihre Völker zur Auflehnung geneigt. Der Kaiser selbst hatte gegen sich seinen Bruder Mathias. Gegen die Weltmacht, die ohnmächtige, aber unerträgliche Ansprüche vertrat, stand in Wahrheit Europa, wie jeder ausrechnen konnte. 1610, Anfang Mai waren bereit sich in Bewegung zu setzen: auf seiten Italiens sechzigtausend Mann und sechsundvierzig Kanonen, französische Truppen, päpstliche, savoyische, venezianische, alle dem Franzosen Lesdiguières unterstellt. An der Grenze Spaniens zwei Armeen von je fünfundzwanzigtausend Mann auf beiden Enden der Pyrenäen. Der Herzog de la Force wurde zum Marschall ernannt am dreizehnten Mai von dem König, der nur noch diesen Tag hatte.
Die deutsche Linie des Hauses Österreich sollte anrücken sehen: über Jülich und die spanischen Niederlande fünfundzwanzigtausend Franzosen mit zwölf tausend Schweizern und Landsknechten unter dem Befehl des Königs. England, das dennoch beigetreten war, lieferte mit Schweden und Dänemark achtundzwanzigtausend Soldaten; die protestantischen Fürsten in Deutschland stellten fünfunddreißigtausend; die Vereinigten Provinzen sowie die Protestanten Ungarns, Böhmens, Österreichs je vierzehntausend. Insgesamt bot Europa auf: zweihundertachtunddreißigtausend Soldaten mit zweihundert Kanonen. Auf den Anteil Frankreichs kamen zwei Fünftel. Der Kriegsschatz der Verbündeten überschritt hundertfünfzig Millionen Pfund.
Diese Anstrengungen, die an keinen der gewohnten Kriege mehr erinnerten, wurden gemacht und ertragen, damit die unerträglich gewordene Weltmacht niedergeworfen würde -- noch vor den Schrecken, die von ihr drohten. Vor der Auflösung Europas und seiner teuren Gesittung; vor dem Umgreifen der Barbarei von der Mitte des Erdteiles her; vor dem Raub auf lange Zeiten hinaus an dem Gewissen und Recht der Völker; vor dem neuen Religionskrieg und seinen dreißig Jahren. Dieselben Anstrengungen haben eingesetzt seit Vervins, als der König über Spanien gesiegt hatte. Zwölf Jahre ist es her. Langsam wuchs und arbeitete seine Natur, bis sein Großer Plan rechtens von ihr erworben war. Langsam haben seine Diplomatie, seine Berufung und Ausstrahlung die Masse Europas an sich gezogen; haben endlich die nie erblickte Macht der Fürsten und Republiken, ihre Heere, ihr Geld vereinigt in der Hand des einen -- nach zwölf Jahren.
Etwas schwierig, zu behaupten: der König von Frankreich rüstet, damit er aus Brüssel eine Mätresse holt. Gerade diese Auffassung war im Umlauf. Es genügt, daß eine Partei sie aufrechterhält. Die Partei, deren ganzen Bestand der Haß der Völker und Menschen ausmacht, ist überall, wird überall und immer sein. Das Zeitalter mag in ein anderes übergehen, jedes spätere sich wieder verwandeln. Die Umstände werden rastlos ihr Gesicht wechseln. Die Gesinnungen werden andere Namen tragen. Was bleibt, ist: hier die Menschen und Völker, dort ihr ewiger Feind. Haben sie einen Freund, einst den König von Frankreich, Henri -- auch er ist unvergänglich, wie man wohl fühlt und niemals ganz verkannt hat. Man tötet ihn nur vorläufig. Genug, daß man ihn tötet.
Es wäre nicht erlaubt worden. Das Schicksal und die Geschichte hätten sich widersetzt. Die Tatsache ist aber, daß niemand ihn verstanden hat außer den Völkern in ihren wortlosen Herzen. Präsident Jeannin, derselbe, der zur Gewalt riet, als der König nach einem entführten Kinde seufzte -- dem Anbruch des Großen Planes sah er zu und sagte, er wäre nicht überzeugt.
Henri forderte von dem Herzog Albrecht den Durchmarsch durch die spanischen Niederlande: achten Mai 1610. Da hiermit der Würfel gefallen war, wünschte er um so dringlicher die Freundschaft der Königin zurückzugewinnen. Sie wird, wenn er im Feld steht, die Regentin des Königreiches sein. Es ist unmöglich, daß sie zuletzt eine andere Sache wählt als das Königreich. Siehst seine Freundin durch den Zwang der Lage, und tat es nicht ihr Gefühl, führt doch ihr Vorteil sie auf seine Seite. Indessen glaubte er an das Herz der Mutter. Seine eigene Liebe für seine Kinder ist unverbrüchlich, ganz aus einem Stück, der väterliche Sinn eines einfachen Mannes. Er ist doch sonst nicht einfach?
Nun kam er darüber zu, wie Marie nach dem Dauphin schlug, weil dieser ihren Hund von einem Kissen geworfen hatte, um selbst darauf zu sitzen. Ihre Erregung überschritt bei weitem den Anlaß. »Du wirst bei mir der Letzte sein«, sagte sie zu Louis, der sie dafür lange ansah, wer sie eigentlich wäre. Als sein Vater eintrat, nahm er den Anlauf, zu ihm zu flüchten. Henri sagte: »Deine Mutter meint: der letzte, den sie hätte, wenn alle sie verließen.«
Das Kind war an seinem Vater vorbei aus der Tür. Die Eltern standen wortlos, beide atmeten stärker als sonst, wußten nicht, wie beginnen.
Zu derselben Stunde schlich der Herzog von Epernon nach einer Gegend seines Palastes, die er wahrhaftig nicht aufzusuchen pflegte. Unter den Dächern, eine elende Mansarde; der Silberputzer, der hier seine Schlaf statte hatte, war heute fortgeschickt samt allem Gesinde, das in der Nähe irgend betroffen worden wäre. Der Herzog streckte den Kopf herein, vom Fußboden kam einer auf, da zum Sitzen nichts vorhanden war. Der frühere Gerichtsschreiber, jetzt Redner auf Ecksteinen, schüttelte nur den Kopf. »Noch nicht hier?« flüsterte d'Epernon. »War er uns wieder durch die Lappen gegangen mit seinem Messer und empfindlichen Gewissen!«
Was bis in den Louvre natürlich nicht schallen konnte. Die Königin lauschte indessen, ihr Mund ging von selbst auf, ihre Augen verirrten sich. Henri, der gekommen war, ihr von der Regentschaft zu sprechen, wurde gewarnt; ein Grausen ohne Ursache hat ihn berührt. Er äußerte daher nur, daß er nächstens etwas von Wichtigkeit mit ihr bereden wolle.
»Sie?« fragte Marie von Medici. Ihr Blick, der verirrt war, fand langsam zurück. Er drückte zuerst Zweifel aus: Etwas von Wichtigkeit, Sie? bedeutete ihr Blick. Sie überhaupt noch etwas? Zuerst nur Zweifel; dann schrittweis Tücke und endlich Hohn.
»Madame, gedenken Sie, wer Sie sind«, bat er eindringlich. Er vermied die Grenze, wo es ein Befehl wurde. Auch der Dauphin hatte sie lange angesehen, wer sie wäre.
»Ich gedenke der spanischen Heiraten«, bestätigte Marie. »Mein höchster Ehrgeiz, daran denk ich.«
Henri rief ihr in das Gedächtnis, daß sie mehr wäre, als sie durch spanische Heiraten jemals werden könnte. Er ersparte ihr den Vorwurf, daß sie noch als Königin von Frankreich in ihrem Bewußtsein die kleine italienische Prinzessin blieb. Gleichwohl war er hiermit auf das wirkliche Hindernis gestoßen, weshalb seine Ehe schlecht verlaufen war -- mit eingeschlossen dieses Beisammensein: es kann auch nicht gut ausgehen.
Da der Mißerfolg des Gespräches feststand, außer vielleicht, wenn man es nicht lenkte, sondern dem Zufall überließ -- sprach er: »Welch eine Prachtgestalt, Madame, und wie Sie strahlen!«
Auf einmal lächelte sie beseligt. Er hatte es getroffen, er wußte nicht wie sehr. ›Und gleich wenn du weg bist, besucht mich mein Schöner‹, dachte Marie. ›Schon wieder mein Schöner, mein Süßer immerdar. Das Kind, das ich trage, ist von ihm. Bei mir Glück und Wonne. Du magerer Hahnrei, sieh selbst zu. Geschieht dir was, ich war es nicht, bin anderswo beschäftigt. Das war mein Sehnen seit Ewigkeiten, ich schwimm in Glück und Wonne, hab's auch verdient.‹
Dies dachte die Alternde, und ihr Geschau war blöde. »Sie mustern mich, Sie finden mich abgemagert«, sagte Henri. »Das machen meine vielen Sorgen.«
»Oh! Sie haben Sorgen?« fragte Marie, den Busen geschwellt.
Henri: »Was würd es Sie kosten, mich zu erleichtern.«
Marie, schelmisch: »Jetzt rat ich ein Rätsel. Ich soll nach Brüssel schreiben.«
Henri: »Und nach Madrid.«
Marie, erstaunt: »Sogar Condé verlangen Sie zurück. Die neue Helena allein tut es nicht mehr. Was ist es denn nur mit dem Immerverliebt? Waren doch sonst ein wahrer Ausbund, Sire. Um die Flucht des Kindes zu beweinen, brachten Sie es damals fertig, sich auf mein Bett zu setzen.«
Henri: »Ich war Ihr Freund und hatte keine Freundin als nur Sie.«
Marie, gehoben: »Das beweis ich Ihnen alsbald. Auch Ihr Vorhaben, die Allerschönste aus Brüssel zu entführen, haben Sie nur einer anvertraut.«
Henri: »Ihnen.«
Marie: »Ihrer Freundin. Sie hatten die Stirn. Wen sie hinschickten, Herrn d'Estrées. Wer Ihnen in die Hände arbeitete, Madame de Berny. Nichts verschwiegen Sie Ihrer Freundin.«
Henri: »Sie wären es, die mich verriet?«
Marie -- großer Triumph: »Mein reitender Bote war vor Ihrem Hannibal zur Stelle. Ha! Der Bruder Ihrer Hure holt wieder eine.«
Henri, mit Verachtung: »Madame, Sie verbargen früher aus Grundsatz Ihr Gefühl, besonders das freundliche. Was Sie jetzt zu sagen haben, will ich gleich alles hören.«
Marie -- bohrt den Zeigefinger in ihre Schläfe: »Es wird auch Zeit, eh daß man den alten Narren absetzt und einsperrt.«
Henri schreit auf: »Sie werden dies Zimmer nicht verlassen. Sie sind verhaftet.«
Marie, immer den Zeigefinger in der Schläfe. Beinahe mild und süß: »Versuchen Sie doch, wieviel Sie noch können. Irr ich nicht, übergeben Sie Ihrer einzigen Freundin die Regentschaft -- beiläufig in fünf Tagen, worauf am sechsten die Welt noch mehr erlebt.«
Das letzte völlig mild und süß, ganz leise. Wer weiß, ob sie es wirklich gesagt hat.
Henri bezwang sich; ohne Übergang wurde er ruhig und kalt. »Madame, wir sind geschieden. Wir wissen es, aber weder dieser Hof noch die fremden Höfe sollen davon erfahren. Im Gegenteil schlag ich Ihnen vor, daß wir das äußere Einvernehmen herstellen und unsere verletzte Würde erneuern, jeder an seinem Teil. Ich verzichte nicht nur auf die Prinzessin von Condé, die ohnehin vergessen ist, sondern verpflichte mich, keine Frau mehr zu haben. Keine -- unter der Bedingung, daß Sie Herrn Concini entlassen.«
Marie von Medici begann hier ein verstohlenes Glucksen. Es nahm aber zu, bald bedurfte sie ihres Taschentuches, und Henri reichte es ihr. Der Anfall war nicht zu ersticken. Unter krampfigem Gelächter ging sie seitwärts ab.
Der Dauphin stand draußen hinter dem Geländer der großen Treppe. Er spuckte in die Tiefe, worauf er jedesmal schnell Deckung nahm. Es hatte geklatscht, der Dauphin sagte: »Getroffen. Genau auf die Glatze.«
»Wen hast du getroffen?« fragte sein Vater.
»Irgendeinen. Schlecht sind alle«, sagte der bleiche Knabe ganz ohne Freude an seinem Streich. Er nahm die Hand des Königs.
»Wohin führst du mich?« fragte der König.
»Wo wir allein sind«, war die Antwort. »Mein gnädiger Herr Vater, gewähren Sie mir eine Bitte, ich will Ihre zwei neuen Harnische sehen.«
Da wanderten sie und wanderten Hand in Hand durch verschlungene Gänge, über unbenutzte Stiegen nach Gegenden, die keiner betrat. Zu derselben Stunde suchte in dem Palast des Herzogs von Epernon ein Mann seinen Weg. Der Mann trug einen violetten Rock. Er war groß, breit und von ungemeiner Häßlichkeit. Sein rot behaarter Kopf rückte mißtrauisch auf den Schultern, um jede Ecke spähte er, bis er sie nahm. Er zählte die Türen, hielt endlich vor einer, aber zögerte lange, hineinzugehen.
Der König zog einen großen Schlüssel hervor, er öffnete die geheime Kammer, betrat sie mit dem Dauphin und sperrte sogleich wieder ab. Die Harnische waren aufgestellt wie wirkliche Gepanzerte, die Beine aus Eisen, der Helm mit geschlossenem Visier. »Alles nur«, sagte der König, »damit man sie für alte Rüstungen hält, falls einer sich herverirrte und Lust bekäme, meine Harnische unbrauchbar zu machen.«
Louis sagte: »Mein verehrter Herr Vater, Sie sollten sie am Leibe tragen bei Tag und bei Nacht. Besonders dort, woher Sie gerade kommen.«
Henri erwiderte ernst: »Ich sehe, daß du leider schon kein Kind mehr bist.«
Louis konnte kaum sprechen, so heftig zitterte sein Mund:
»Ihren Hund liebt sie mehr als mich.«
Er legte die Hand auf das Herz. »Ich habe nicht an der Tür gehorcht. Ich weiß schon zuviel. Sie werden mich allein lassen, das weiß ich. Mein großer Herr Vater, Sie haben einen schwachen Sohn. Was ich zu Ihnen spreche, ist die Furcht eines schwachen Herzens. Aber es liebt Sie.«
»Ich lebe nur noch für dich«, sagte Henri.
Sie wanderten nochmals Hand in Hand, bis sie im Freien waren, und ergingen sich lange in dem Garten zwischen den hohen Hecken. Hier sprachen sie nicht.
Als der Mörder Ravaillac endlich wagte, auf eine verabredete Art an der Tür zu kratzen und eingelassen wurde in die Mansarde des Silberputzers, wo er zwei Personen antraf -- zu der gleichen Zeit erschien bei der Königin Marie von Medici der spanische Gesandte Don Inigo de Cardenas.
Er hatte eine abwesende Miene: das machte sogleich die Gelegenheit schrecklicher, als Marie sogar unter Alpdrücken je gefürchtet hatte. Seine Fremdheit enttäuschte sie auch. Sie hatte sich geschmeichelt, man werde zuletzt ausdrücklich ihre Zustimmung erbitten, ihre Weisungen einholen. Deren bedurfte es in Wirklichkeit nicht mehr; aber war sie keine Hauptperson? Don Inigo hatte seine Gedanken dort, wo verfügt wurde: ihr erstattete er nur der Form wegen den peinlichen Besuch. In einem Ton wie von Vorgängen, die zehntausend Meilen entfernt wären, begann er:
»Der König hat Feinde. Man verrät kein Geheimnis, wenn man ausspricht, daß sein Leben bedroht scheint.« Hier wich er ab, er sprach beiseite: »Es ist für Wohlgeartete kein Ruhm, zusehen zu müssen, wie ein großer Herrscher, in seiner Vollendung niemals dagewesen --«
Der Gesandte besann sich auf sein Amt.
»Einer Meute erliegt«, schloß er wohl noch. Fortan aber hielt er sich an seinen Auftrag. War nicht anderswo, sondern in diesem Zimmer gegenwärtig bei den feierlichen Stühlen, Haufen von Kissen, dunklen Malereien, und ihm zunächst der chinesische Schreibtisch, das kostbare Geschenk des Jesuitengenerals.
»Eure Majestät, dessen bin ich versichert, teilt meine Besorgnis. Ich darf nicht sagen: meinen Abscheu. Das Schicksal, das wir befürchten, der König würde es selbst herbeigerufen haben durch die Ungeheuerlichkeit seiner Unternehmen. Der Angriff auf die Christenheit mit Gewalt und Übermacht wäre nicht einmal den reinsten Absichten erlaubt.«
»Die Absichten des Königs sind nicht rein«, sagte Marie von Medici: ihr erstes Wort.
Don Inigo legte den Kopf in den Nacken als einziges Zeichen seiner Verachtung. Von oben sprach er amtlich; er wiederholte, daß gerade aus diesen Gründen das angekündigte Ereignis ihn keineswegs mit Abscheu erfülle. Stehe doch auf der Sünde des Stolzes sogar der ewige Tod. »Die viel geringere Strafe des leiblichen Todes geht leicht mit hin.«
»Sie geht mit hin«, wiederholte Marie, hatte sich aber verfärbt.
»Etwas ganz anderes«, betonte Don Inigo, »ist meine Besorgnis, die ich mit Eurer Majestät teile. Diese betrifft keine einzelne Person, möge sie übrigens berühmt sein. Sie gilt den politischen Folgen des vorausgesetzten Ereignisses. Die große Politik der Höfe würde von gewissen Nachteilen betroffen werden, wenn nichts anderes sie vor der militärischen Niederlage gerettet hätte als ein Mord.«
Die Königin wurde höher, war ein Turm und gebieterisch.
»Sie haben ein Wort genannt -- ich darf es nicht kennen. Ich kenne es nicht. Sonst war ich verpflichtet, die Ausführung aufzuhalten, müßte ich sogar Sie selbst, Herr Gesandter, den Gendarmen des Königs übergeben.«
Don Inigo sah, daß die Königin für jeden Fall ihre Seele zu retten gedenke. Salvavi animam miam, was mit seinem Auftrag übereinstimmte. Damit sie Zeit bekäme, die gewünschte Richtung zu verfolgen, widmete er sich der Besichtigung des chinesischen Schreibtisches. Das verwickelte Möbel zeigte zahllose Behälter, ungerechnet seine Verstecke, die es nicht verriet. Von eingelegten Perlen und Perlmutter schillerte es farbig. Zwei Götzen links und rechts nickten mit ihren dicken Köpfen zu allem, was hier gesprochen wurde. In der Mitte das Türmchen hatte Glocken an jedem seiner sieben Dächer. Don Inigo hätte gewünscht, daß sie silbern läuteten, und er müßte weiter nichts mehr vernehmen noch selber von sich geben.
Das war ihm nicht beschieden, weshalb er sich aufrichtete. »Was können wir tun, um dem Ereignis vorzubeugen?« fragte er.
Der Schreibtisch trennte ihn nunmehr von der Königin. Zehn oder zwölf Schritte weiterhin erhob sie sich düster vor einem mächtigen Faltenwurf aus Purpur. Die Hände hatte sie darin vergraben; nur ihr Gesicht war weißlich abgedrückt auf einem Hintergrund, der dem Gesandten mißbehagte. ›Diese Frau ist hart und feig: eines wäre genug. Gleichwohl macht ihre Beschaffenheit sie zu meiner richtigen Mitspielerin in dieser Angelegenheit. Ich soll mich anstellen, als versuchte ich die Ermordung des Königs zu verhindern. Beim Heucheln wird sie mir helfen, und mein Bericht geht nach geschehener Tat an alle Höfe.‹
»Es ist schrecklich. Ich hab es nicht gewollt«, sagte die Königin. Ihre Stimme brach: es hätte echte Angst sein können. »Jetzt sind wir in der Lage drin«, sagte sie; dem Gesandten tat es in den Ohren weh. Der ungemeine Anlaß, diese gewöhnliche Person.
»Wie kommen wir heraus?« fragte er; hätte einen Fuhrknecht so gefragt, wenn sein Wagen festgefahren wäre.
Die Königin schreit unbeherrscht: »Meine Regentschaft! Sehen denn Sie Esel nicht, daß ich noch heute oder morgen gekrönt werden muß. Wozu die ganze Weltmacht, wenn sie es nicht begreift! Sofort ließe ich den Herzog von Sully hinrichten. Dann brauchen Sie Ihren Mord nicht mehr.«
Der Gesandte, Übelkeit in der Kehle: »Erstens ist es nicht mein Mord. Sonst sähen Eure Majestät mich wahrhaftig an dieser Stelle nicht.«
Die Stelle, auf die er hinwies, war der chinesische Schreibtisch. Einzig das geduldige Nicken der Götzen half ihm, seine Übelkeit zu verschlucken.
Der Gesandte: »Ihre Krönung wird prachtvoll sein, ein unvergleichlicher Staatsakt -- zwei Stunden lang redet man davon. Der König aber zieht in das Feld mit zwei Dritteln der europäischen Heere, damit ich nicht drei Viertel sage. Denselben König wollen Sie absetzen und seinen Minister hinrichten? Erzählen Sie es anderen.«
Die Königin heult wie mit heißem Öl begossen: »Dann geht das ja nicht. Dann sind wir verratzt.«
»Wir sind allerdings im voraus geschlagen«, bestätigte der Gesandte, in der Brust ein Gefühl der Kälte, immer bedrängt von dem Reiz, zu würgen. »Eure Majestät vergißt aber --« Er brach ab; er sollte falsch Zeugnis ablegen, seine Heuchelei erniedrigte ihn tiefer als die andere Person, die ohne Selbstachtung auskam.
Der Gesandte: »Sie vergessen die frommen Väter der Gesellschaft Jesu.«
Die Königin lachte hell auf, was ihren Leib erschütterte. Hier verspürte sie die ersten Anzeichen ihrer Umstände: diesmal waren sie ihrem Schönen und Süßen verdankt. Um so eher muß der König verschwinden, was gibt es viel zu reden. Der verlogene Mörder hinter dem Schreibtisch soll den Platz räumen. Was die da tun oder lassen, ich weiß von nichts. Ich erwarte schon wieder meinen Schönen. Mein Süßer immerdar.
Der Gesandte, unbeirrt: »Der Beichtvater Cotton hat ein unschuldiges Herz. Damit kann er den König einschläfern, bis er seine Zeit versäumt.«
Die Königin: »Sie Stückchen Schleim! Erfinden Sie andere faule Ausflüchte. Der schläfert ihn doch schon ein, daß der Alte selbst nicht mehr weiß: soll er dran glauben? Wird daran glauben müssen.«
Jetzt hatte Marie von Medici ihr Bestes getan, der Gesandte auch. Weiter kamen sie nicht. Die Königin mußte hinhocken, ihre Koliken erzwangen diesmal den stürmischen Ausweg. Der Gestank, der auf einmal das Zimmer erfüllte, brachte die bedrohliche Übelkeit des Gesandten endlich zum Überlaufen. Die Hände aufgestützt, verunreinigte er den chinesischen Schreibtisch vom Jesuitengeneral. Die beiden Götzen nickten beifällig. Sooft er würgte und spie, läuteten an dem Türmchen alle Glöcklein silberhell.
Wozu überanstrengten diese beiden Herrschaften ihre Seelen und Leiber? Gibt es doch inzwischen das Gelaß des Silberputzers, sein Strohsack duftet auch nicht nach Rosen. Kauern aber darauf als rechte Kumpane, der Herzog von Epernon, Gouverneur, Generaloberst der Infanterie, mit dem entlassenen Gerichtsschreiber, der die Lustseuche hat. Der Gichtische sagte zu dem Verseuchten: »Deine Krankheit kannst du anderen beibringen, wenn du sie beißt. Der Kerl, den wir erwarten, kennt weder Scham noch Schande. Beiß ihn, sobald er sich erfrecht.«
Der Gerichtsschreiber bellte mühselig dem Tauben in das Ohr, mehrere Töne blieben aus. »Der macht alles für Geld. Ist wie ich vom Gericht, nicht sauberer als ich, packelt auf beiden Seiten, stiehlt den Parteien die Beträge, womit er meinesgleichen schmieren soll. Zweimal hat er gesessen, für einen Mord, den ein anderer verübt hatte, dann aber wohlverdient wegen Schulden.«
Der Herzog sagte, daß der unverschämte Bruder einen Auftrag vom Himmel habe. Wer im Feuer des Kamins eine Weinrebe zur Trompete des Erzengels verwandelt sieht und bläst selbst hinein, bis Ströme von Hostien dem Instrument entfahren -- die Narren dieser Sorte sind vielleicht brauchbar, aber noch eher werden sie gefährlich. »So einer steht mit dem Teufel im Bunde, ohne selbst darum zu wissen. Zubeißen, sag ich.«
»Gnädiger Herr«, erwiderte der Verseuchte. »Man sieht, daß Sie bei Gericht nicht Bescheid wissen. Dem Teufel ist ihr Packeln dort zu verzwickt, er läßt sich mit ihnen nicht ein. Nun hat unser Mann auch die Theologie studiert. Als ich für Sie den Rechten suchte, fand ich ihn bei der Dame Escoman, einer Priesterin der Venus, aber sehr im Niedergang. Sie vermietet Zimmer. Dort saß unser Mann über Traktaten der Jesuiten. Das erste war, daß ich ihm all und jedes kaufte, soviel die Väter irgend verfaßt haben über den Königsmord. Ihn verlangte gerade danach ungemein, er hatte nur kein Geld. Darf ich den Herrn Herzog daran erinnern, daß Sie mir meine Auslagen, Kosten und Gebühren bis jetzt noch schulden.«
»Ha? He?« fragte d'Epernon. Da der eine taub war und dem anderen die beschädigte Kehle versagte, kam man in diesem Punkt nicht zusammen. Der Gerichtsschreiber brachte dennoch hervor:
»Ein gnädiger Herr vermeidet besser, daß der Auswurf der Menschheit in eine landläufige und gerichtsbekannte Verbindung gerät mit seinem erlauchten Namen.«
»Reden willst du Schwein?« Das hatte d'Epernon genau und pünktlich erfaßt. »Beim ersten Wort hast du einen Klotz im Maul und wirst auf das Rad geflochten.«
»Da wären doch immer die schriftlichen Beweise«, gab der Kumpan zu bedenken. »Die Dame Escoman hat mir Briefe zur Beförderung an hohe Personen mitgegeben, da sie etwas gerochen hatte und den König retten will. Ist diesbezüglich wie verrückt, die alte Nutte.«
Für sich allein und auf alle Fälle merkte der Herzog die Escoman vor. Seinem Kumpanen erklärte er mit all der Hoheit, die noch auf dem Strohsack des Silberputzers einem Herrn erhalten bleibt und zu Gesicht steht:
»Du selbst und der Mann, den du ausgesucht hast, tun stramm ihre Schuldigkeit. Dienst, sonst kenn ich nichts«, befahl der Generaloberst. Er riß sich zusammen, es schmerzte ihn selbst am meisten. Der Erfolg war, daß der Mörder Ravaillac, als der Gerichtsschreiber ihn einließ, den Herzog von Epernon auf den Füßen fand.
Der Gerichtsschreiber suchte bei dieser Gelegenheit nochmals die Umgegend ab, ob niemand horchte. Der Herzog beaugenscheinigte inzwischen den Mörder, der soweit entsprochen hätte. Er war groß, breit, mit Knochen wie ein Tier und mächtigen Händen. Sein unheilvolles Gesicht wäre einerseits zu begrüßen, wenn es ihn aus der Menge nicht hervorhöbe. Die Haare, der Bart -- rot sind sie nicht eigentlich, eher schwärzlich mit roten Lichtern: bei Menschen auch nicht das übliche. Bemerke man hierbei, daß ein unheilvolles Gesicht nicht von vornherein einen Mörder verbürgt. Es kann knifflig sein anstatt von dumpfer Blutgier. Es kann zu viele Spuren tragen -- Verbrechen prägen sie nicht ein, weder vorher noch im Gefolge der Tat. Spuren werden hinterlassen von Gewohnheiten, lasterhaften oder gemeinen. Ein Prozeßhengst niedersten Ranges, ein Selbstquäler und Geisterseher aus bösem Gewissen, genug, ein Schwächling in falscher Maske: unser Mann ist ungeeignet für die gerade, ehrliche Tat, nennen wir sie so.
Der Gerichtsschreiber kehrte in das Zimmer zurück, blieb aber bei der angelehnten Tür der Überwachung wegen. An den Mörder richtete er einige passende Worte -- während der Herzog von Epernon überlegt, wie vieles dafür spräche, daß er beide Kumpane alsbald dem Polizeileutnant übergibt. Der König hat an die Spitze seiner Armeen drei protestantische Generale gestellt. D'Epernon soll in Paris bleiben, ihm ahnt sogar, daß der König ihn seines Postens entheben wird. In allen Gnaden, nur wegen seiner Gicht, ein Generaloberst der Infanterie muß rüstig sein. In Wirklichkeit wird der König ihn vernichten nach seiner ersten siegreichen Schlacht, er kann nicht umhin, bei aller seiner Abneigung gegen den Henker nicht. Ich will dem Herrn meine Hinrichtung ersparen, ich liefere ihm seinen Mörder aus unter der Bedingung, daß ich eine Armee bekomme. Von dem Mörder redet die ganze Stadt und sieht ihm nach, ob er in Violett oder in Grün einhergeht.
»Meister Ravaillac«, sagte der Herzog, »Sie sind aus Angoulême. Sie halten sich, hör ich, für den Auserwählten. Freut mich.«
Ravaillac, dumpf, drohend: »Gnädiger Herr, Ihr Gedächtnis verläßt Sie. Mich haben Sie längst gekannt, bevor ich der berühmte Königsmörder wurde, nach dem die ganze Straße sich umsieht. Sie empfahlen mich den Vätern der Gesellschaft Jesu, denen ich mich denn anvertraut habe, damit ich mit meinem empfindlichen Gewissen ins reine käme. Keiner will mich verstehen. Jetzt stellt der gnädige Herr sich taub.«
D'Epernon: »Ha? He? Hör ich recht? Berühmt bist du? Gewissen willst du haben? Auf die Knie mit dir!«
Ravaillac, fällt nieder: »Ich bin ein Auswurf. Was hilft es, der Erzengel hat mich in seine Trompete blasen lassen.«
D'Epernon: »Wozu?«
Ravaillac: »Das muß ich mit mir allein ausmachen. Keiner nennt das Wort, weder der Erzengel, noch der gnädige Herr, noch der Kanonikus in Angoulême, der mir ein Herz aus Watte gab, darin ist ein Splitter vom heiligen Kreuz.«
D'Epernon: »Sagt er. Man nimmt dich nicht ernst, guter Freund. Du machst dich wichtig. Der stadtbekannte Königstöter. Abgebrannt, nichts mehr mit dir anzufangen, geh nach Haus.«
Ravaillac, zieht ein Messer: »Dann ersteche ich mich vor Ihren Augen.«
Der Gerichtsschreiber: »Ein Messer ohne Spitze. Damit will er sich erstechen.«
Ravaillac, kommt hoch: »Ihr Kleinvieh, was wißt Ihr von dem Kampf mit dem Unsichtbaren. Das Messer ist gestohlen. In dem Gasthaus war eine Stimme: Dein Messer muß gestohlen sein. Auf der Landstraße, als ich hinter einem Karren ging, befahl eine andere Stimme: Zerbrich es an dem Karren. Eine dritte Stimme, in Paris bei dem Kloster zu den Unschuldigen --«
»Unschuldigen«, wiederholte der Gerichtsschreiber.
Ravaillac: »Infolge der dritten Stimme hab ich den König, wie er vorbeikam, kläglich angerufen, um ihn zu warnen. Es wäre schlecht, ihn ungewarnt zu töten. Die Gendarmen vom Hause des Königs haben mich fortgestoßen.«
Der Gerichtsschreiber: »Warst du in Violett oder Grün? Das nächstemal trägst du gefälligst dein anderes Gewand, das dem König noch nicht begegnet ist.«
Hierbei zog auch der Gerichtsschreiber ein Messer, das hatte seine Spitze. Er stand hinter Ravaillac, auf einen Wink des gnädigen Herrn hätte er es dem Mann mit dem gefährlichen Gewissen durch den Rücken in das Herz gestoßen. Dies bleibt nach menschlichem Ermessen als einziger Ausweg, damit der Mord nicht entdeckt wird, bevor er vollführt ist.
Der Herzog lehnte wortlos ab, der Gerichtsschreiber steckte sein Messer weg -- nicht ohne Bedauern. Für diese Leiche hätte er seinen Preis gefordert. Ist dagegen der König tot, wer zahlt dann. Zum Schaden des Gerichtsschreibers hatte der gnädige Herr dasselbe überlegt. ›Sicher ist sicher‹, dachte d'Epernon. ›Der König muß fort. Vorhin überfiel mich selbst eine Regung des Gewissens. Es hat die leidige Gewohnheit, vernünftige Gründe vorzuschützen.‹ Er fragte den Mörder:
»Steht nunmehr dein Entschluß fest? Antworte klar. Gerichtsschreiber, paß an der Tür auf. Es handelt sich nicht um Theologie, sondern um Politik. Was wolltest du den König fragen bei dem Kloster zu den Unschuldigen?«
»Erstens mußte ich ihn warnen«, wiederholte Ravaillac. »Unvorbereitet darf er nicht sterben.«
D'Epernon: »Vergebene Liebesmühe. Den warnen alle umsonst. Er will es selbst.«
Ravaillac: »Sodann ihn fragen, ob es wahr ist, daß er Krieg gegen den Papst führen will.«
D'Epernon: »Frag seine Soldaten, sie freuen sich schon darauf.«
Ravaillac: »Letztens, ob wirklich die Hugenotten alle guten Katholiken hinmetzeln sollen.«
D'Epernon: »Spitz nur dein Messer wieder zu.«
Ravaillac, von Tatkraft strotzend: »Augenblicks, gnädiger Herr. Ein Kruzifix, das ich ansah, hat es mir aufgetragen.«
D'Epernon: »Halt! Wohin? Zuerst muß die Regentschaft eingesetzt, die Königin gekrönt sein. Denk an das Königreich. Der Tag nach der Krönung ist deiner.«
Ravaillac: »Wie konnte ich mich übereilen! Ist doch das Königreich mein Sinnen und Trachten. Heil der frommen Regentin, Tod dem Ketzer, der unser Unglück ist!«
Abwechselnd übten sie den Ton einer Staatshandlung, die von mittelmäßigen Schauspielern gesprochen wird.
»Sie haben das Watteherz, tapferer Ravaillac, Ihnen kann nichts geschehen. Sie machen Ihren Namen unsterblich und gehen in die Bücher der Geschichte ein.«
Da das arme Scheusal jetzt endlich die Hochachtung genoß, wovon sein abstoßendes Gesicht ihn immer ausgeschlossen hatte -- oh! sein Traum war erfüllt. Aufgereckt in ganzer Gestalt grüßte Ravaillac mit der erhobenen Hand. D'Epernon versuchte desgleichen zu erwidern, aber die Gicht, die Gicht.
Der Gerichtsschreiber ahmte die Gebärde übertrieben nach, wovon in seinem Gesicht ein Geschwür platzte, und was darin war, lief ihm in das Auge. Fluchend geleitete er den Mörder. Mitsamt seiner Seuche wollte er noch einige Zeit leben. Der gesunde Kerl wird baldigst auf das Rad geflochten.
Der Herzog von Epernon wartete, bis sie aus dem Hause wären. Ihm war bitter zumute, wegen seiner geringen Rolle, kein großer Auftritt vor der ganzen Welt, nicht viel Staat zu machen mit dem Tod eines noch so außerordentlichen Königs. Der Ruhm ist, was er ist, ein Ravaillac wird tatsächlich in die Bücher kommen. Wer wird die früheren Mörder des Königs Henri kennen, die achtzehn oder mehr, die es versucht haben? Darunter waren kühne Soldaten oder Fanatiker ohne schwächliches, listiges Gewissen. Wer erinnert sich mystischer Knaben, beinahe rein, und dachten ihren Platz in der Hölle einem größeren Sünder abzutreten, wenn sie ihn töteten. Alles vergessen, vertan. Übrig bleibt ein belangloser Prahlhans, weil er der letzte ist. Schmutzige Geschäfte, abgelebter Aberglaube, der Nachzügler vereint in sich den Abhub von hundert Jahren schlechter Gewöhnlichkeit. Heruntergekommen und unsterblich -- ist der letzte.
Escoman, eine galante Dame, ist ein volles Jahr bemüht gewesen, das Leben des Königs Henri zu retten. Er hatte viel geliebt; seine letzte, unbekannte Freundin war eine Frau, die viel geliebt hatte.
Sie war noch blond mit einiger Nachhilfe, ihre Reize bewahrten eine hinlängliche Festigkeit. Manchen Knaben gefiel sie, man ging ihretwegen zu Wucherern. Von Unmündigen zu leben, ist schwer. Sie bestimmte ihre Wohnung für die Zusammenkünfte anderer Frauen mit ihren gelegentlichen Gefährten. Das Geschäft ging gegen Morgen, wenn die Tanz- und Spielsäle zumachen, und aus verschiedenen Gründen sind die Paare obdachlos. Escoman kam meistens allein nach Haus; hatte sie aber das Glück, für ihr eigenes Schlafzimmer zwei zahlende Gäste mitzubringen, dann saß sie solange, als stattliche Dame hergerichtet, in ihrer Küche. Sie beklagte nichts. Sie fand im allgemeinen das Leben richtig geordnet.
Die Gunst des Zufalls konnte noch weitergehen. Man klopfte, wenn der Tag schon aufging, an der Haustür. Escoman rief hinunter, man möge warten. Eiligst weckte sie ihren Mieter, den Inhaber des zweiten Schlafgemaches, damit er aus seinem Bett in die Küche übersiedelte. Der Mann, der voriges Jahr bei ihr wohnte, ließ sich nicht bitten. Er war gefügig, gefällig, er las viel lieber, als daß er schlief. Er nahm seine Bücher mit. Während die Besucher sein Lager benutzten, war der Mieter ernsten Dingen zugewendet. Die Gesellschaft einer weiblichen Person mit aufgedeckten Reizen lenkte ihn niemals ab. Die Vorgänge in ihrer Wohnung beschäftigten ihn keineswegs. Escoman mit ihrer Erfahrung unterschied eine gespielte Gleichgültigkeit von der echten; die seine bezweifelte sie nicht. Der Mann war besonders groß und kräftig; dennoch ist diese Art eher keusch als die Kleinen, Schwachen. Da er für ihre Angelegenheiten keine Teilnahme zeigte, wurde sie neugierig auf die seinen.
Während er abwesend war, untersuchte sie die Gegenstände seiner eifrigen Studien. Es waren vor allem die Schriften eines gewissen Mariana, societatis Jesu. Latein verstand sie nicht; als beide wieder nächtlich in der Küche saßen, stellte sie vorsichtige Fragen. Er antwortete bereitwillig, es schien sein lange verhaltenes Bedürfnis, sich mitzuteilen. Alles, was er las, handelte von unserem Recht, den Tyrannen zu töten. Escoman ihrerseits war dieses Rechtes nicht bewußt, glaubte auch nicht, daß ein frommer Vater es uns verleihen kann. Den Tyrannen aber kannte sie mit Namen; die Prediger hatten ihn oft ausgesprochen. Ägyptischer Tyrann, sagten sie drolligerweise, obwohl sie den König von Frankreich meinten. Dieser bewies im Gegenteil seinen Freisinn, er bestrafte sie nicht. Escoman war für die Freiheit, eingenommen, da auch ihr Gewerbe sie fordert -- mit mehr Berechtigung, schien ihr, als das Geschäft der gehässigen Kanzelredner oder Schreier auf den Ecksteinen. Die Verwandtschaft der galanten Dame waren Bauern. Einem ihrer Brüder hatte der König eine Kuh ersetzt; dem Vetter, der einst ihr Verlobter gewesen war, hat er mit barem Geld ausgeholfen.
Sie hielt den König für gut. Deswegen war ihr Mieter nicht schlecht. Sein Fehler ist, daß er die üblichen Streitigkeiten zu den seinen macht, als ob sie ihn angingen und nicht weit jenseits seiner mittelmäßigen Natur lägen. Die galante Dame hat ihn sogleich durchschaut und mehrfach versucht, ihn zu den Frauen zu bekehren -- leider vergebens. Wäre sein blutreicher Körper richtig in Anspruch genommen worden, sie war versichert, daß alsbald sein Geist die unzukömmliche Besessenheit abgelegt hätte. Er kündigte ihr aber sein Zimmer, erklärte auch, warum. Er wollte nach seiner Heimat reisen, um seinen übernatürlichen Auftrag den Vätern zu beichten. Sie sollten sein Vorhaben gutheißen. Er brauchte Bestätigung; seine Mietsfrau war nicht die einzige, der er sich anvertraut hatte. Straßenweit zeigte man auf ihn: der wird den König töten. Man sagte es mit Achselzucken, warum wohl gerade der? Sprach davon aber nur insgeheim, denn wer weiß, man würde hineinverwickelt.
Escoman war stolz, in einem Hause zu verkehren, wo manchmal der König erschien: bei dem reichen Zamet. Dieser verwendete gern die galanten Damen als den Schmuck und Anreiz seiner Spielsäle, solange eine durchschnittliche Gesellschaft versammelt war. Bei dem Eintreffen hoher Herrschaften, geschweige der Majestät, verschwanden Personen wie Escoman hinten hinaus. Ihr ist es nie in den Sinn gekommen, dem König vor sein Angesicht zu treten. Sie hat sich sehr vielen, unermüdlich, furchtlos, ohne der Gefahr auch nur zu achten, hat sie sich überall angenähert, wo jemand ihr helfen könnte, das Leben des Königs zu retten. Ihm selbst hat sie weder aufgepaßt noch einen ihrer zahllosen Briefe an ihn gerichtet, so heilig war er ihr.
Sie eröffnete, was sie wußte, dem früheren Schuster, der ursprünglich ihresgleichen war. Zamet betrat schnell mit ihr das verschwiegene Gemach, worin einst Gabriele d'Estrées geruht, noch ein wenig geruht hatte, bevor die Schrecken ihres Endes einsetzten. Der Schuster und die galante Dame seufzten zusammen über den König. »Jetzt kommt auch sein Stündlein«, flüsterte der reiche Mann. Die arme Frau in ihrem gläsernen Glitzerzeug glühte von leidenschaftlicher Zuversicht.
»Er wird es erfahren und sich vorsehen. Nur der Zugang zu ihm! Zamet, du mußt mit ihm reden.«
»Escoman, du hältst mich für stärker, als ich bin. Ein Wort zuviel, und sie besorgen es mir selbst.«
»Zamet, was fürchtest du? Er ist der König, du hast seinen Schutz, wenn du ihm sagst, daß sein Mörder wieder hier ist.«
»Escoman, erstens ist der König nicht mehr derselbe. Er ist höchst reizbar infolge seiner schweren Sorgen. Nimm hinzu: er wollte immer geliebt werden. Jetzt überwältigt ihn der Haß, ein Leben unter soviel Haß, ich kenn ihn lange: er hängt daran nicht.«
»Zamet, ich liebe ihn. Wir beide lieben ihn. Jeder, der weiß, daß sein Mörder wieder hier ist, wird ihm aus Liebe die Wahrheit sagen.«
»Escoman, wie viele haben ihm wirklich die Wahrheit hinterbracht, nachdem du sie ihnen mitgeteilt hattest? Bedurften gewisse Personen auch nur der Aufklärung?«
»Zamet, das hätte ich dir nicht zugetraut. Du läßt durchblicken, daß die Königin von dem Mord weiß und ihn mit verantwortet.«
»Escoman, schweig um Christi willen, oder ich müßte dich zu unserer Sicherheit in meinen untersten Keller einsperren.«
»Zamet, bei deinen Geldsäcken. Aber sind sie noch dort? Mehrere Kostbarkeiten find ich in deinem Hause nicht mehr. Denkst du schon an deine Flucht?«
»Escoman, sieh nur das Erlaubte, überhöre, was verboten ist. Die Königin kennt sich nicht vor Rachsucht, weil ihr Concini von den Richtern des Königs verprügelt und den Tag über in Haft behalten worden ist für seine Frechheit; der König freut sich. Das besiegelt sein Geschick.«
»Zamet, die Königin ist von einer ihrer Frauen unterrichtet worden, daß ich ihr zum Heil des Königs das Allerwichtigste sagen muß. Die Königin hat eingewilligt, wie nicht anders zu erwarten. Morgen läßt sie mich vor.«
»Escoman, heut ist die Königin auf das Land verreist.«
»Zamet, wenn du es nicht wärest, der das sagt. Nein und nein, die Königin wird morgen zurück sein. Ich hatte ihr angeboten, sie könnte Briefe auffangen, die morgen nach Spanien abgehen.«
»Escoman, ich bitte dich, entschuldige mich. Ich wäre zu einem Opfer bereit, wenn du über alles, was in diesem Zimmer gesprochen wurde, tiefes Schweigen bewahrtest.«
»Zamet, dein Geld macht mich nicht glücklich. Es hilft dir selbst nicht.«
»Escoman, ich denke schon die ganze Weile an eine Person, die dich anhören würde. Deine Absichten begegnen wahrscheinlich den ihren, was nicht bedeutet, daß sie gegen das Schicksal mehr vermag als du. Aber du sollst sie in meinem Hause antreffen -- ich sage nicht wann, noch welche Person. Du mußt sie herausfinden. Jetzt in allem Ernst: ich bitte dich, entschuldige mich.«
Die galante Dame kannte einen Jungen aus dem Ministerium, der für sie die Briefe stahl. Es waren zwei Jungen; aber der erste, der ihr von den furchtbaren Briefen erzählt hatte, damit seine Umarmung wertvoller würde, lehnte nachher ab, sie zu beschaffen. Auf alle ihre brennenden Vorstellungen wegen des grauenhaften Verbrechens, das er aufhalten möge, erwiderte dieser beamtete Jüngling: »Brot schmeckt süß -- überall, liebe Dame.«
Sein Freund, den sie nicht beachtet hatte, steckte ihr im Gewühl der Straße etwas zu, sah dabei weg, war schon untergetaucht. Als sie nachher das Päckchen öffnete, fiel sie auf ihr Bett, ihr Herz wollte zerspringen vor übermäßiger Freude. Sie sah den König gerettet. Aber sie sah nicht, wie. Der unverhoffte Erfolg, an den sie nur mit Mühe glaubte und betastete immer die Briefe: für das folgende machte er sie ratloser als vorher. Wäre sie in das Arsenal zu Herrn de Sully geeilt? Natürlich hatte sie ihm längst geschrieben, hatte ebenso gewiß keine Antwort bekommen. Jetzt ihm die Briefe zeigen, die gestohlen sind? Sie hielt ihn für einen grausamen Herrn; sie schob es auf.
Sie nähte die Briefe in ihr Unterkleid, ging zu den Jesuiten nach der Straße Saint-Antoine und verlangte den Vater Cotton. Woran sie nicht dachte: wenn der Mörder des Königs stadtbekannt war, seine Retterin blieb auch nicht im Dunkeln. Sie wurde grob angefahren, Cotton verhielt sich unsichtbar. Der Vater Prokurator empfing sie, ließ sie reden, aber von den eingenähten Briefen schwieg sie wenigstens. Ihren bewegten Bericht empfing er wie die gleichgültigste Sache. Eiskalt wollte er sie hierauf entlassen; in Frieden sollte sie gehen auch noch. Das gab ihr den Rest, sie brach aus. »Den König laßt ihr sterben und du Hund willst weiterleben?«
Sie schlug dem ehrwürdigen Vater in das Gesicht, wovon er auf einmal sanft und umgänglich wurde. Was sie vorhabe, wollte er wissen. Escoman: »Auf den Eckstein steigen. Das Volk gegen euch hetzen, ihr Mörder. Mörder!« schrie sie hinter den dicken Mauern, die nichts hinausließen.
»Beruhige dich, meine Tochter. Ich selbst will nach Fontainebleau zum König reisen.«
»Ist es auch wahr?« fragte sie, war aber nur zu sehr geneigt, ihm zu glauben. Es ist unmöglich, daß Menschen entsetzlicher sind als reißende Tiere. Man muß nur ihr schwaches Herz beschleunigen, wäre es mit Ohrfeigen.
So ging sie denn, ohne zu bemerken, daß einer ihr folgte auf Schritt und Tritt, den ganzen Tag. Ein anderer eilte von dem Hause der Gesellschaft Jesu nach dem des Herzogs von Epernon. Es war den achten Mai. Der König befand sich nicht in Fontainebleau, zu dieser Stunde wandelte er mit dem Dauphin hinter den hohen Hecken seines Gartens, während die Königin und der Gesandte verschiedene Geschäfte verrichteten. Zwei Straßen schneiden einander, Escoman stieß auf ihren früheren Mieter.
Er ließ die Überraschte nicht erst zu Wort kommen; als hätte er sie gestern gesehen, fuhr er fort, wo er damals aufgehört hatte. Seine große Tat sei allernächstens angesetzt, er habe den Auftrag, er habe die Macht. Sein zartes Gewissen stimme endlich zu. Dies, seitdem er in seiner Heimat seine fromme Mutter erblickt hatte, wie sie das Abendmahl empfing. Ihm, dem Königsmörder, war die heilige Kommunion versagt. Seiner Mutter in ihrem Zustand völliger Sündenlosigkeit hatte er sein Verbrechen überschrieben, es ist aus der Welt, er muß auch die Hölle nicht fürchten. Wenn doch, findet er dort die berühmten Gestalten seinesgleichen.
Sie erwiderte, daß er allerdings gelernt zu haben scheine, wie man in faulen Prozessen einem anderen die Schuld zuschiebt. »Aber hüte dich! Du wirst erfahren, daß jemand dir zuvorgekommen ist.«
»Doch nicht du? Überall sagt man, daß du inzwischen verrückt geworden bist.« Hiermit ließ er sie stehen. Ihr Gesicht war auf einmal von Tränen überschwemmt. Eine Sänfte wurde leer vorbeigetragen. Sie stieg ein und nannte ihr Haus. Sie machte sich schön und prächtig, wie sie nur konnte; diesen Abend wollte sie bei Zamet sein.
Auch die Königin von Navarra dachte heute an die Spieltische des Finanzmannes. Er hatte sie wissen lassen: wenn es ihr für die Partie an Geld fehle, er werde die Ehre haben, einen Beutel vor sie hinzulegen. Das war das wenigste, obwohl sie ihre Mittel, wie gewöhnlich, vor der Zeit erschöpft hatte, und fand zu dem König, ihrem einstigen Gemahl, durchaus keinen Zugang mehr. Indessen weiß sie: beschlossen ist sein Tod.
Oh! Sie weiß es wie andere auch. Was so vielfach bekannt ist, wird wahrscheinlich nicht bis zur Ausführung gelangen. Als sie selbst vormals dem König einen Mörder zuschickte, hat sie heimliche Maßnahmen getroffen, aber mißlungen ist es doch. Durch große Gnade ist er erhalten geblieben. Daß nur auch diesmal der Anschlag fehlginge! Ihren Hausgeistlichen ließ sie Messen lesen für das Heil eines Lebenden, den sie mit Namen nicht nannte. Sie sprach währenddessen innig: »Herr, noch diesmal! Das eine Mal noch!« Margot in ihrem Herzen betete, daß sie nach dem Aussterben ihres ganzen Hauses den Gefährten ihrer Jugend behalten möge, nicht verwaist sein möge bis auf den letzten. Den Zwanzigjährigen, den sie kürzlich aus der Provinz verschrieben hat, sie schickt ihn fort. Ihr Sinnen und Trachten betrifft Henri allein.
›Er läßt mit sich nicht sprechen. Was sollt er mir auch glauben nach dem Anschlag, den ich selbst schon gegen ihn unternommen habe. Margot, diese Ohnmacht! Henri, mein Freund, erkennst du deine Feinde nicht? Kann doch jeder sie dir herzählen, aber man schweigt, es ist die Verschwörung des Schweigens, und ich, die reden will! Schreib ich ihm nun, daß die Königin seine Frau --. Er weiß es. Wenn einer nur glauben wollte, was er weiß. Übrigens bekäme er meinen Brief nicht. Er umgibt sich mit seinen Gendarmen vom Hause des Königs. Früher schützte ihn sein Wille, zu leben. Er wollte es äußerst. Henri, dich erkenn ich nicht mehr.
Sie werden nicht wagen, ihn zu töten. Die ganze Stadt ist im Geheimnis, sie leidet die Untat nicht, der Aufruhr bräche aus. Den Mörder zeigt man mit Fingern. Auch treibt eine Frau sich umher, die will dem König das Leben retten. Ich geh vor. Das Recht, das mein letztes ist, darf keine mir nehmen. Warum klopft sie überall an, findet aber zu mir nicht.‹
Madame Marguerite von Valois fuhr nach dem Hause der galanten Dame Escoman. Diese war bei Zamet, wie man ihr sagte. Sie nahm denselben Weg, wurde mit ausgesuchten Ehren empfangen und in den Saal der hohen Gäste geleitet von dem Hausherrn, der ihr den Beutel reichte. Ihre Partner waren die Herren d'Epernon und de Montbazon -- als vierte eine Dame, die man nicht kannte. Der Herzog von Epernon benachrichtigte die Königin von Navarra leise, daß sie eine Fremde und sehr reich wäre. Vielleicht hatte er dies von dem Hausherrn und glaubte es. Den Beutel, aus dem die Fremde das Gold schöpfte, fand Margot dem ihren ähnlich. D'Epernon, der auf Seiten der Königin spielte, beging Fehler über Fehler, vor der Fremden häufte sich der Gewinn. Plötzlich wollte sie aufstehen, da verstellte der Gichtische ihr mit beiden Beinen den Ausgang; er forderte Vergeltung. Die Leute um ihre Barschaft erleichtern, dann abhauen, das fehlte noch.
Escoman setzte sich wieder hin. Escoman und Margot faßten sich ernstlich in das Auge, da erkannten sie einander. Escoman sah: diese ist die hohe Person, die mir helfen will. Sogleich wird sie den beiden Kavalieren befehlen, uns zu verlassen; wir sprechen das Wort, der König ist gerettet. Margot bemerkte: die galante Dame von wohlerhaltenen Formen, wie man sie kennen will, ist dies nicht -- ist aber die Rechte. Sie hat ihre Fleischlichkeit eingebüßt, die Wangen sind hohl. Um so weniger blickt sie als eine Geschlagene, vielmehr entflammt. ›Die gibt mir das Beispiel, nicht nachzulassen trotz Verhöhnung, Müdigkeit, Gefahr.‹ Margot öffnete den Mund -- genau hier sprach der Hausherr sie an. Er stand weit übergeneigt, dem Boden nahe, nur Margot auf ihrem Platz fand sein Gesicht; sie verglich den alltäglichen Zamet mit diesem vernichteten. Er stammelte:
»Madame, verzeihen Sie die Unterbrechung Ihrer Partie. Ihre Partnerin sucht eine gewisse Person, und diese ist eingetroffen.«
»Ich weiß es am besten«, sagte Madame Marguerite von Valois. »Wir sind da«, sagte sie, Auge in Auge mit Escoman.
»Die erwartete Person steht draußen«, brachte Zamet schwach hervor.
»Ha? He?« machte der Taube.
Escoman sprang auf, sie riß Herrn de Montbazon mitsamt seinem Stuhl aus dem Weg und flüchtete -- die Fülle der Säle verschlang sie alsbald.
Montbazon fragte, die Adern angeschwollen: »D'Epernon, warum hab ich mit der Fremden alles Gold gewonnen und sie läßt es im Stich?«
Anstatt einer Antwort lachte der Verräter sein heimliches Kichern, er raffte den Gewinn zusammen, alles schob er vor Madame Marguerite hin. »Kann sein, sie braucht es nicht mehr«, sagte er schließlich. Margot warf ihm mit vollen Händen das Gold ins Gesicht; eilends brach sie auf, der Verschwundenen nach. Die blieb für immer verschwunden.
Escoman wollte durch die Schauküche entkommen: dort wartete der Polizeileutnant. Sie rannte ihn um, lief aber mitten in andere Gestalten, die warfen dicke Tücher über ihren Kopf, sie wurde eingeschnürt.
Aus ihrem Gefängnis hat sie fertiggebracht, noch immer Warnungen und Rufe zu erlassen; den einen übernahm der Apotheker der Königin. Marie von Medici hat ihn vernommen. Ihre kostbaren Papiere, Escoman erreichte mit ihnen den Minister Sully. Der hat sie dem König nicht vorenthalten, nachdem er allerdings die gefährlichen Namen daraus entfernt hatte. Der erste gehört der Königin: nun ist ihre Krönung unvermeidlich. Der König reitet durch die Straßen von seinen Gendarmen beschützt. Wenige Tage, er zieht in das Feld. Kein Grund, ihm vorher sein Kommen und Gehen noch mehr zu verleiden.
Vom Schicksal ausersehen, die schriftlichen Beweise aus dem Gefängnis der Retterin zu tragen, war das Fräulein de Gournay, Adoptivtochter des Herrn Michel de Montaigne. Dieselben Begegnungen lebenslang, jetzt versammelt man sich, Henri, um Ihr Ende. Der Weiseste Ihrer Toten schickt die letzte, vergebliche Meldung.
Die Gendarmen vom Hause des Königs waren eine neue Truppe, sie bestanden noch kein Jahr, erst, seitdem der König in seiner Hauptstadt sein Leben bedroht wußte. Ihre Standarte war aus weißer Seide golden bestickt mit einem Blitz als Zeichen und dieser Inschrift: »Quae jubet iratus Jupiter.« Überall, wo Jupiter in seinem Zorn es befiehlt -- sind die Gendarmen vom Hause des Königs. Sein Zorn, die Drohung mit dem Blitz, die Hauptstadt erkannte ihren König Henri nicht wieder. Ihre Straßen hatten ihn lange unbegleitet gesehen, zu Pferd oder zu Fuß. Er fragte die Leute aus. Wer ihn am Mantel zog, den hatte er unter seinem Blick gehalten. Ein Messer war einer Hand entfallen, der König war weitergegangen.
In einem Hof des Louvre wurde ein Maibaum gepflanzt, stürzte aber dreimal um. Der König sagte: »Ein deutscher Fürst würde daraus ein schlimmes Vorzeichen machen, seine Untertanen würden fest glauben, daß er sterben soll. Ich verliere meine Zeit nicht an Aberglauben.« Der Arzt Labrosse ließ ihn vor dem Tag des vierzehnten Mai warnen, er bot dem König an, seinen Mörder im voraus zu beschreiben. Ein Kunststück wäre es nicht gewesen. Henri zuckte die Achseln. Er besichtigte seine Regimenter, die alten Hugenotten, die Kämpfer von Ivry, die französischen Garden des tapferen Crillon, seine Schweizer. Täglich schickte er Truppen nach den Grenzen des Königreiches. Er selbst war gesonnen, sie als der letzte zu überschreiten, auf die Gefahr, daß er's versäumte. Der König flieht keine Menschen, gesetzt, er könnte sein Geschick fliehen. »Fröhlich meinem Geschick entgegen«, hat er gesagt.
Er ließ niemand an seine Person außer Soldaten. Als Abschluß des Tagewerkes blieb ihm sein Großmeister, ihr Kriegsrat im Arsenal. Alles, was diese beiden aufzeichneten von Entwürfen und Befehlen, wurde dort verwahrt, bis es unter die Verantwortung der Befehlshaber gelangte. In dem Kabinett des Königs wäre nichts gefunden worden, er betrat es selten. Einmal allein in seinem Kabinett, vereinsamte er tief -- er fürchtete sogar, für immer. Der schwere Tritt seiner Gendarmen hinter den Türen half nicht mehr, was kann ein äußeres Aufgebot gegen das Versagen eines Innern.
›Nicht alles ist falsch. Man sagt uns in das Gesicht: Verbraucht. Man spricht, flüstert, verschweigt: Greis, begehrlich, überlebt, dem neuen Zeitalter nicht gewachsen. Wir wären ihm sogar überlegen und auch anderen Zeitaltern noch, das wissen wir. Unsere Belehrungen waren von allen Stufen, so viele der Mensch empfangen kann jetzt und künftig. Es sind der Zweifel und der gute Wille. Es sind die Erschlaffungen, Strafen, Erhebungen, Siege, das Übermaß und die Bescheidung. Nichts zu verachten, war uns eingepflanzt, wie wären wir zuletzt der einfache Mann geworden. Die Nachwelt wie auch die Wahrheit verlangen nach dem einfachen Mann, der vorher heikle Wege gehen mußte. Heut aber? Hier aber? Der Tritt der Gendarmen beweist allein, daß wir da sind. Wir werden nicht mehr lang verweilen.
Man verbrenne seine Kraft nicht vor der Stunde der Nacht. Der Herr naht, und die Seinen schlafen. Herr, was sollt ich aber tun, Dich frei von Schuld zu erwarten. Du strafst mich mit dem, wodurch ich gefehlt habe. Ich mußte nur weniger lieben, spielen und die Menschen gestalten, so war ich nicht müde über meine Jahre. Wollt ich Dich fragen: wie reimt das? Die Sinne sollen dumm geblieben sein, indessen der Geist erregbar genug ist, um endlich einen Großen Plan zu fassen? Du würdest mir raten, Herr, mich vollends zu bescheiden, ob ich Dich anginge mit Fluchen oder Beten. Ich lasse Dich denn. Du magst mich nachher segnen.‹
»Wär es schon soweit«, sagte Henri, da betrachtet er das Skelett als Ackermann. Es war gegen Morgen, eine letzte Kerze flackerte vor dem Bild, bevor auch sie erlosch. »Wär es soweit«, sagt Henri.
Am dreizehnten war die vorgesehene Krönung der Königin Marie von Medici, Regentin des Königreiches. In Saint-Denis, nach dem Ablauf der Handlung, stellte Henri der Menge, die zugegen war, den Dauphin als ihren König vor. Wie immer zu den Zeiten des Königs Henri, gehörte der Schauplatz dem ganzen Zudrang ohne Unterschied, alle Stände, das Volk, soviel herausgewandert war. Bei den Gemeinen entstand die erste Bewegung, als Henri vor sich hin den Dauphin schob und laut sprach: »Das ist euer König.« Die gemeinen Leute oder auch die ehrbaren begriffen nicht. Die Vornehmen dachten: Er will gesagt haben, daß die Regentschaft vorbeigeht. Er und seine Nachkommen bleiben. Dies wurde bestätigt durch die Regentin selbst. Vorher war der Dom nicht weit, nicht hoch genug gewesen für ihren Prunk und Stolz. Auf einmal weinte sie.
Ihre Freude ist zweifellos in Tränen übergelaufen, weil sie wußte: der neue König Louis, für den sie regieren wird, besteigt den Thron schon bald. Da wenige unterrichtet waren, erstaunte man wohl. Ein König, der oft auf kriegerischen Reisen nach vorgesetzten Zielen ist, scheint diesmal abzudanken und aufzubrechen mit unbekannter Bestimmung. Nun wird es dem einzelnen schwer, sehr lange gefaßt zu bleiben auf Ereignisse, die den einen oder anderen Namen führen: schrecklich ist jeder. Eine Masse erträgt es ganz und gar nicht. König Henri ist der Mann des Volkes, nur will es seiner sicher sein. Nicht ungestraft läßt man ein Volk um das teuerste Leben zittern. Hier in dem Dom sahen viele nach dem Mörder umher. Sie hätten ihn zerrissen, der Spuk wäre aus gewesen. Um der öffentlichen Ruhe und Erleichterung willen war man zufrieden, daß der König wenigstens nicht fortzog aus dem Königreich, ohne daß er seine Nachfolge bestellte. Die Krönung der Regentin endete mit einem großen Aufatmen, ihr selbst kam es am wenigsten erwartet. In all ihrem Triumph hatte sie reichlich gezittert und Krämpfe verspürt. Noch zehn Minuten länger durfte er nicht dauern.
Als Marie von Medici, die Krone auf dem Kopf, in den Louvre zurückkehrte: wer bespritzte sie vom Balkon herab mit Wasser? »Madame Regentin«, nannte er sie dabei. Wütend rief sie ihm zu: »Der Immerlustig, jetzt kann er zu seiner Löwin gehen.« Das war eine Sängerin, ihr Gesang übertraf alles, drei Nachtigallen sollten vor Gram gestorben sein. Überdies erfuhr Marie, daß sie eigentlich die Regentschaft nicht haben sollte; sie wurde nur ein Mitglied des Rates, die anderen Stimmen galten nicht weniger als ihre. Vorauszusehen war, daß die Stimme des Herzogs von Sully schwerer wog. Ihm hat Henri gestanden, daß er von der Krönung der Königin das äußerste Unglück befürchtete. Das konnte er wohl sagen.
Der letzte, der ihn an diesem Dreizehnten warnte, war sein Sohn Vendôme, der Sohn Gabrieles. Henri nahm freundlich den Arm des dicken jungen Menschen; er führte ihn durch den großen Saal, den alsbald alle räumten. Der Hofstaat verhielt sich düster, sogar wer dem König ergeben war. Aus bloßer Gedrücktheit versäumte man, zu horchen. »Was verlangst du?« fragte Henri den Sohn Gabrieles. »Sieh, deine Mutter, meine teure Herrin, hat alle Voraussagungen geglaubt. Ich teilte ihre Ängste bis in den Traum hinein. Zuletzt starb sie nicht vergiftet, sondern ihres natürlichen Todes. Für ihn hatte sie sich heimlich reif gefühlt. Wir machen nur zum Schein den Wettlauf mit dem Mörder. Die Schnelleren sind wir gewiß.«
»Sire! Mit Freuden verstehe ich, daß Sie sicher sind, allen Anschlägen zu entgehen. Aber diese Nacht zum Vierzehnten ist die verhängnisvolle« -- hierbei beharrte Cäsar.
Henri hat sie gut verbracht; die Königin mußte des öfteren ihr Bett verlassen. Am Morgen des Vierzehnten betete er länger als sonst. Der Tritt seiner Gendarmen störte ihn, er war versucht, sie fortzuschicken. Die Königin trat bei ihm ein, was nicht mehr ihre Gewohnheit war. Sie berichtete von einem Alpdrücken, ihn habe sie als Leiche an ihrer Seite gefühlt.
»War ich eine böse Leiche?« fragte er etwas zu schroff: sie erschrak, sie war erkannt. Ihr Alpdruck hatte sie im Wachen heimgesucht. Wahrträume quälen keinen, der zuviel weiß und davon ohne Schlaf ist. Henri sagte:
»Unbesorgt, Madame, um mein Leben! Drei Tage, dann reit ich in das Feld, nehme meine Garden und Gendarmen mit.«
Die Königin schwankte, sie suchte nach einem Halt; den Arm ihres Gatten umfaßte sie nicht. »Drei Tage nur?« wiederholte sie. Ihr Verhalten konnte von der Sorge um sein Leben herrühren -- gesetzt, daß keine andere Befürchtung es bestimmte. Wie leicht kommt man zu spät, wenn für ein spannend.es Vorhaben nur drei Tage bleiben.
Sie war hier uneinig mit sich selbst. Plötzlich bat sie Henri, er möge diesen ganzen Tag zu Hause bleiben. Sein Sohn Vendôme lasse es ihm sagen. So stand es mit ihr: sie war gedrängt, ihn aus der Gefahr zu halten, wollte es nicht getan haben, tat es dennoch, schob aber einen anderen vor. Henri wendete ein, daß die verhängnisvolle Nacht vorüber sei. Marie: »Der Tag heute ist in Wahrheit verhängnisvoll -- sagt Ihr Sohn Vendôme, und hat es von dem Arzt Labrosse, den Sie hätten anhören sollen.«
Henri denkt für sich: ›Hätt ich ihn nun angehört, er wollte mir den Mörder beschreiben. Wohin hätte die Spur zuletzt geführt? Die Königin tut mir leid, sie ist eine arme Frau.‹ Er reichte ihr die Hand. Unserem Leben, das er noch mehr bedauerte, konnte er die Hand nicht geben. Als sie die ihre hineingelegt hatte, war sie am Niedergleiten. Einmal auf den Knien, würde sie gestanden haben. Das wollte er nicht, er hielt sie bei den Armen aufrecht. »Madame«, sprach er, »Sie sollen sich nicht vorwerfen müssen, daß Sie mich veranlaßt haben, aus Furcht zu Hause zu bleiben. Aber ich will allerdings ausruhen.«
Nach dem Mittagessen war er eine Weile recht lustig. Da niemand mit ihm lachen mochte, wurde er plötzlich müde, ohne daß es ihn schläferte. Er lag und fragte jeden, der eintrat, nach der Uhr. Seine Gendarmen und Diener kamen und gingen. Einer antwortete: »Vier Uhr«, und vertraulich, wie die Niederen mit ihm sprachen: »Sie sollten Luft schöpfen, Herr.«
»Du hast recht, meinen Wagen«, befahl der König. Vor sein Lager trat jetzt sein alter Erster Kammerdiener, Herr d'Armagnac; er spreizte die Beine, die Arme, mit seinem Leibe widersetzte er sich dem Aufbruch. »Herr! Sind Sie ermüdet und wollen nicht zu Pferd steigen, dann empfangen Sie lieber in dem großen Hof die Bauern, die gekommen sind und Sie erwarten.«
»Du hast recht«, sagte Henri auch dazu. »Das wird mich erfrischen.«
Drunten erkannte er alsbald, welche Bauern es waren: dieselben, an deren Tisch er einst gesessen hatte auf einer sumpfigen Wiese. War mit einem Fieber bei ihnen eingetroffen und ungnädig mit ihnen verfahren, weil sie einen unnützen Wanst für sechs essen ließen, sie selbst aber darbten. Diesmal fuhren sie einen Kasten herbei: Geflügel hätte darin sein können. Durch die Zwischenräume der Latten sah man aber ein menschliches Wesen kauern; auf Fragen antwortete es mit Lauten, die niemals vernommen waren.
Der König bemerkte unter den Männern einen in schmutzfarbener Wolle; der zeigte nunmehr Verkrümmungen, als das Ergebnis von Jahren und Jahrzehnten derselben Griffe, Lasten und eines einförmigen Zwanges in Haltung und Gang. Vormals war er wohlgestaltet gewesen wie ein Edelmann, hatte sich auch vermessen, mit einem Edelmann um sein Mädchen zu kämpfen. Das täte er nicht mehr. Auf das Geheiß des Königs sagte er aus, daß in dem Hühnerkäfig sein eigener Bruder sitze, Jules Simon. War immer fleißig gewesen bei dem Graben im Acker, bis die Lepra ihm den Mund wegfraß und seine Augen blind wurden.
»Dahin ist es gekommen?« sprach Henri. »Muß immer jemand euch auffressen, früher der Mann, der für sechs aß.« Er bedachte: ›Wollte ich sie fragen, ob sie des Sonntags ein Huhn im Topf haben, gewiß antworteten sie mit ja. Denn ich soll ihren Leprakranken ernähren.‹ Sein Erster Kammerdiener mußte nachzählen, wieviel Geld zur Hand wäre. »Vierundsiebzig Taler«, sagte d'Armagnac, und Henri: »Gib sie ihnen.«
Da knieten alle hin aus Ergriffenheit über eine Summe, von der jeder gelebt hätte; sie sollte aber einem nur helfen, zu sterben. Der Älteste, seine weißen Haare bedeckten ihm die knotigen Schultern, er war nach seinem Aussehen siebzig Jahre alt, der König zog zwanzig davon ab -- der Fünfzigjährige sprach: »Unser guter Herr König, auf einer Jagd im Vorbeireiten sahen Sie mein Haus, daß es einstürzen wollte. Da gaben Sie Weisung, es aufzurichten, bezahlten sogleich dreißig Pfund und noch vierzig Groschen für das Essen.«
»Ha!« rief der König. »Hab ich bei dir gegessen. Welchen Tag und was?«
»Am Sonntag; ein Huhn.«
Henri lacht auf, sein letztes fröhliches Lachen. Er winkt, will gehen, bleibt mit angesetztem Fuß auf der Stelle. Grausames Abschiedgeben, o Tag voll Schmerz. Der große Hof war von seinen Gendarmen umstellt. Ihr Hauptmann trat herbei, er meldete den befohlenen Wagen. Die Herren, die mitfahren sollten, wären bereit.
›Was hab ich befohlen, wen bestellt?‹ Aber er widerrief nichts. Herr d'Armagnac forderte, jugendlich, wie er irgend vermochte: »Sire! Nehmen Sie mich mit.«
»Nicht einmal meine Gendarmen«, entschied Henri. »Was würden meine Bauern sagen. Dies Volk und ich. Wo ist die Königin?«
Er kehrte noch einmal in die Zimmer zurück. Marie von Medici war nicht aufzufinden.
Als er schon fortging, trat ein einarmiger Offizier ihm in den Weg. »Sire! Vor Montmélian bekam ich eine Kugel. Ich bin entlassen und verschuldet, noch heute soll ich eingesperrt werden. Ersparen Sie Ihrem Soldaten das Unglück und die Schande.«
Der König: »Ich will Ihre Schulden bezahlen.«
Der Offizier: »Das können Sie nicht tun. Nur um meine Freiheit bitte ich.«
Der König: »Freund, ich lege deine Schulden zu den meinen und zahle für uns beide. D'Armagnac, geh in den alten Hof auf das Finanzamt, sag ihnen, wie ich's haben will. Bis ich zurückkomme, unterschreibe ich die Verfügung.«
Der Offizier: »Sire! Dann war ich schon verhaftet, Sie müßten mich herausholen.«
Der König: »Die sollen Sie nicht finden, Kapitän. Wo sind Sie die nächste Stunde am sichersten?«
D'Armagnac, sehr leise: »In Ihrem Wagen, Sire!«
Der König sieht ihn an, er ist erbleicht. Er tritt von einem Fuß auf den anderen; zuletzt: »Kommen Sie mit mir, Kapitän!«
Durch die langen Gänge von Schloß Louvre zog ein entfernter Schrei, als der König mit seinem Offizier dahineilte -- Heulen der Angst und der Freude, ein irrsinniger Überschwang, die zerrissene Natur. D'Armagnac hastete hinter dem König, er meinte, das wäre die Königin, jetzt hätte sie von sich hören gelassen. Henri erkannte die Stimme richtig: die Marquise de Verneuil -- auch einmal gewesen, recht leibhaft dagewesen; bleibt jetzt aber als eine Stimme zurück.
Auf seinem Wege wurde der König noch mehrmals angehalten. Vitry, Kapitän der Garden, bat dringend, ihn begleiten zu dürfen. Wegen des feierlichen Einzuges der Königin, den man erwartete, seien die Straßen unglaublich voll von Fremden und Unbekannten. »Sie wollen sich bei mir einschmeicheln«, beschied der König ihn; »Sie bleiben viel lieber bei den Damen.« Auf der Treppe von seinem Kabinett nach dem Ausgang begegnete ihm die Herzogin von Mercœur, Marschall de Bois-Dauphin, auch einer seiner Söhne, Anjou. Er hatte eine Anrede für jeden, dachte aber an seine Worte nicht. Er dachte: ›Wohin eigentlich? Warum nur?‹
Herrn de Praslin, wieder ein Gardekapitän, der ihm seinen Schutz anbot, antwortete er nicht mehr freundlich -- vergewisserte sich aber von der Seite seines einarmigen Offiziers. Der war zur Stelle und war verwandelt, gestraffte Miene, die Haltung angespannt. Er hatte verstanden. ›Was gibt es zu verstehen?‹ fragte Henri bei sich. Der Anblick seiner Mitreisenden konnte vielmehr beruhigen. Sie warteten neben dem sehr umfangreichen Gefährt und unterhielten sich von dem Wetter. Da sind die alten Kameraden Lavardin und Roquelaure, an ihnen ist kein Falsch. De la Force ist gestern Marschall geworden, er brennt darauf, nach den Pyrenäen abzugehen. Noch drei vertraute Gestalten, und als letzte d'Epernon, ihn weiß man lieber hier als anderswo.
Der König nahm an seine rechte Seite: d'Epernon, Lavardin, Roquelaure, links setzte er die Herren de Montbazon und de la Force; das macht mit dem König sechs Personen, ein-' geengt auf der vorderen Bank der weitläufigen Karosse, die alsbald knarrte und schwankte. Gegenüber war Platz für zwei oder drei. Ein dritter versuchte einzusteigen, der einarmige Offizier. »Wer sind Sie?« schnob der Marquis de Mirebeau, er stieß den Mann vor die Brust. »Sire! Vorsicht mit Unbekannten«, sagte Roquelaure. Der König wollte sprechen, da reichte sein Nachbar Montbazon ihm einen Brief und jemand befahl die Abfahrt, vielleicht sein anderer Nachbar, d'Epernon. Als die Pferde anzogen, wurde der Einarmige umgeworfen. Er kam hoch, lief dem Wagen nach, endlich gelang ihm der Sprung auf den Kutschhock. Der König ließ hiernach den Mantel des Wagens auf allen Seiten öffnen. Er gab vor, daß er zu betrachten wünsche, wie für den Einzug der Königin die Stadt geschmückt wäre. Der einarmige Offizier saß nach ihm umgewendet.
»Welcher Tag ist heute?« fragte Henri plötzlich. »Der Fünfzehnte«, wurde geantwortet. »Nein, der Vierzehnte«, verbesserte ein anderer. »Zwischen dem Dreizehnten und Vierzehnten«, erinnerte Henri sich leise. Mehrere Diener liefen mit dem langsamen Gefährt, während in Höhe der Pferde die Stallmeister ritten. Einer fragte anstatt des Kutschers, wohin es gehen sollte. »Nur hinaus«, befahl der König. Sooft der Kutscher um bestimmte Weisungen bitten ließ, nannte der König ein Gebäude, eine Kirche. Im Sinn hatte Henri das Arsenal, das verrät er nicht. Man könnte dem Wagen zuvorkommen.
Die Straße de la Ferronnerie ist schmal, volkreich, für Fuhrwerke schwierig, aber sie müssen hindurch. Sie ist die Fortsetzung der Straße Saint-Honoré. Wo die eine in die andere mündet, bemerkte Henri einen Herrn de Montigny. Einst hatte er diesem gewöhnlichen Höfling anvertraut, daß er tot sein möchte. Hat bekannt, daß er die Einsamkeit, die wahre Stille des Gemütes suchen würde. Hat aber verbessert und gebilligt: »Die Fürsten haben auf diesem Meer keinen andern Hafen als das Grab, und in voller Tätigkeit müssen sie sterben.« Hier, bei der Einfahrt in die Straße, die nicht fern seinem Hafen ist, ruft er: »Ihr Diener, Montigny, Ihr Diener!«
Die Straße wurde bei dem Nahen der königlichen Karosse von einer Menge Volkes eingenommen weit über den üblichen Verkehr. Die Leute drückten einander gegen die Mauer des Klosters zu den Unschuldigen, als wäre der Paß nicht genug verengt durch die Läden und Buden am Fuß der Mauer. Alle entblößten die Köpfe, blickten ratlos wie Verirrte, und schwiegen, schwiegen. Vor dem Haus zum Salamander entstand ein völlige Sperre durch zwei Lastfuhren, eine mit Heu, die andere mit Wein. Der Kutscher der Karosse mußte ohne viel Beistand das Hindernis überwinden, die meisten Stallmeister und Läufer umgingen es, sie benutzten als Durchgang den Friedhof des Klosters. Wenige von ihnen halfen die Lastfuhren aus dem Weg zu räumen. Ein Aufenthalt, kein gleich günstiger wird kommen, gesetzt, daß jemand seit Schloß Louvre dem Wagen gefolgt wäre und paßte auf seine Gelegenheit. Der einarmige Offizier dort vorn sitzt nach dem König hingewendet, ihm entgeht kein Haar, das sich bewegt, viel weniger ein Mensch.
Vorbei. Die Lastfuhren sind zur Rechten beseitigt, links streift die Karosse an ihnen vorbei -- behutsam, um nicht anzustoßen. Der König erhebt das Gesicht gegen ein Haus, er ruft, man weiß nicht was, der Kutscher meint wohl, er solle achtgeben. Alle Insassen des Wagens sehen hinauf. Über dem Gewölbe ist das Wahrzeichen: gekröntes Herz vom Pfeil durchbohrt.
Der einarmige Offizier erschrickt, er hat sich vergessen. Wachen sollt er, da sein mit Aug und Hand! Zu spät, sieht er alsbald: es ist geschehen. Er springt zu Boden, will über den Mörder her. Dem wird schon das Gesicht mit einem Degenknauf bearbeitet. Der Herzog von Epernon ruft: »Achtung! Den Königsmörder nicht töten!«
Der Einarmige wird von seiner Wut gelähmt -- war er denn unnütz, ein verdorbener Wächter, geprüft und zu leicht befunden, den einzigen Tag seines Lebens, der zählen wird. Wozu jetzt reden, obwohl er nach dem Augenschein und seinem Gewissen bezeugen könnte, was für alle bis jetzt in der Wirrsal und im wüsten Schauder liegt. Der Mörder ist hinter dem Wagen hervorgekrochen, während der König hinaufsah: gekröntes Herz vom Pfeil durchbohrt. Hinaufgesehen haben alle, nur einer nicht, der Herzog von Epernon -- der den Mörder erwartete. Der König, während seine Augen erhoben waren, hielt den Arm um den Hals des Verräters, er hatte ihm einen Brief zu lesen gegeben: das dient dem Herzog, den Kopf zu rücken, ob sein Mann kommt. Seinen anderen Arm stützte der König auf die Schulter des Herrn de Montbazon. Von dieser Seite stieß der Mörder; infolge der Haltung des Königs verletzte er ihn zuerst nur äußerlich.
Der König hat den Arm von der Schulter des Herrn de Montbazon genommen. »Ich bin verwundet«, hat er gesagt, und empfing in die Brust, die jetzt ungeschützt, frei dargeboten wurde, den zweiten Stoß. Der war der rechte, endgültige, er drang in die Lunge und zerschnitt die Aorta. Der dritte, verspätete traf einfach den Ärmel des Herrn de Montbazon. Dieser hat entsetzt gefragt: »Sire! Was ist denn?« Der König, schwach, aber deutlich: »Es ist nichts.« Noch einmal, das letzte: »Es ist nichts« -- da schoß ihm das Blut aus dem Mund, und de la Force schrie auf: »Sire! Denken Sie an Gott!«
Die Begleiter des Königs, bis auf de la Force, verließen ihn, sie richteten alle ihre Tätigkeit auf seinen Mörder. Das blutige Messer war ihm entrissen, aber er kämpfte mit den nackten Händen, ungeheuer starken Werkzeugen, gegen ein Gewühl von Körpern, die an ihm zerrten, ohne daß sie ihn umwarfen. Die Diener und ein Herr de la Pierre bändigten ihn zuletzt: da kam Montigny hinzu, Ihr Diener, Montigny, Ihr Diener; er empfahl den nahen Palast Retz, um den Mörder vorläufig zu verwahren. Die Reisegesellschaft mit vielen anderen zog dorthin als Bedeckung des Mörders.
Marschall de la Force blieb in dem Wagen allein mit dem sterbenden König. Über ihn breitete er seinen Mantel, in die Straße hinaus rief er: »Der König ist nur verwundet.« Zurückgeblieben war auch Herr de Gurson, der erste zur Stelle, der mit dem Knauf seines Degens dem Mörder die Nase zerschlagen hatte. De la Force trug ihm auf, die Straße zu räumen und die Pferde zu wenden. Was mit der Hilfe von Gutwilligen endlich gelang. Man umdrängte keineswegs dieses Gefährt, woraus hervor das Blut zu Boden tropfte. Schaudervoll und geschlagen stieß man einander rückwärts, gegen die Mauer, in die Gewölbe. Kein Wort fiel.
De la Force ließ den Mantel des Wagens auf allen Seiten vorlegen. Er und Gurson geleiteten den König, der hingestreckt war, die Augen geschlossen, mit gelb verfärbtem Angesicht. Durch die Straße Saint-Honoré führten sie ihn zurück nach seinem Schloß Louvre. Sie hatten ihm wenig nahegestanden; ihr letztes Verdienst um ihn tun sie redlich. Noch einmal rief de la Force hinaus: »Der König ist nur verwundet« -- inzwischen aber rinnt aus dem Inneren der Karosse über ihre hohen Stufen zu der Straße hinab mehr von dem Blut. Volk, es ist das Blut deine Königs Henri. Sie schwiegen, schwiegen. Die Karosse wankte, knarrte, setzte sich schneller in Lauf; hinter ihr blieb die dunkle Spur. Am Wege verstummen die Zuschauer der himmlischen Ratschlüsse und weltlichen Verwirklichungen. Sie nehmen bisher nur Kenntnis, das Gemüt voll Schrecken und Mitleid. Was wird daraus? Man weiß es nicht -- abgesehen von einem einzelnen Vorgang.
Der Herzog von Epernon hatte andere den Mörder überwältigen lassen, heftige Bewegungen sind nicht seine Sache. Mit Zurufen war er dabeigewesen, besonders, daß man sich hüte, den Königsmörder vorschnell zu töten. Als man diesen abführte, wäre d'Epernon hinterdreingehinkt. Das Watteherz, dies fällt ihm gerade ein, hätte unseren Freund unsichtbar machen sollen, wie sonst üblich. Ein Herz aus Watte von den Vätern, mit einem Splitter darin oder keinem Splitter, gleichviel: unsichtbar, das konnte er verlangen. Aber erledigt. Den König haben wir gehabt. Erledigt. Hier fand er sich dem einarmigen Offizier gegenüber; ohne weiteres begriff er, daß er in der Gewalt des Feindes war.
Anzusehen ist der Feind unerbittlich. Er hat bei dem Ereignis seinen Hut verloren, seine Haare stehen eisengrau aufwärts. Die Nüstern sind unnatürlich geöffnet, der Mund ist verkrampft, unter den vorgerückten Brauen flammen seine Blicke kalt. Mit seiner einzigen Hand schlägt der entlassene Hauptmann dem Generalobersten den Hut weg. Aus den Ecken seiner Augen prüfte d'Epernon noch schnell die Umstände: nichts zu hoffen von dem Volk an den Rändern der Straße. Da klatscht ihm auch schon der Auswurf des Hauptmannes in das Gesicht, ein zäher Fetzen, und bleibt hängen.
Der Hauptmann raucht wohl die Pfeife, sein Schleim ist so schwarz wie dick, jetzt klebt er dem Herzog von Epernon überall, auf Stirn, Augenlidern, den Wangen und Lippen. Die einzige Faust des Hauptmannes wird unter das Kinn des Schurken gedrückt. Das ist die Sprache, die geführt wird. Kein Wort, aber man begreift. Der Herzog von Epernon gehorcht dem Befehl, er humpelt in Richtung von Schloß Louvre, ein mühevoller Weg, am Boden die dunklen Spuren. Ihnen wäre er ausgewichen; die Faust gebietet: Tritt hinein! Dies Blut sollst du hintragen an deinen Füßen.
Von der Mauer, aus den Gewölben sind Gestalten vorgesprungen, jede für sich; haben auch ihre Fäuste geballt hinaufgehoben. D'Epernon hat anfangs versucht, sein bespienes Gesicht zu verstecken. Er ist belehrt worden, immer sprachlos, daß er es hinhalten und preisgeben muß. Gegen das Ende seiner Bahn hat er selbst nur den einen Gedanken gehabt: hinhalten und preisgeben, wer er ist. Der Hof soll ihn erkennen, die Königin vor ihm davonlaufen. Der König lebt nicht mehr, dennoch verheißt er seinem Verräter: hierfür wird er erwachen, ihn will er ansehen. Der eine gezeichnet vom Wahnsinn und der äußersten Schande, der andere im Zorn verfinstert, eisengrau und hart, so trafen sie bei der Wache des Louvre ein.
Die Soldaten waren herausgetreten, sie stießen die Kolben ihrer Gewehre auf den Boden. Sie verhielten sich stumm nach der Weise des Volkes in den Straßen und blickten darein, jeder wie der einarmige Hauptmann. Dieser tat am Fuß der großen Treppe den letzten Schritt; noch folgte er mit den Augen dem Herzog von Epernon, wie er hinanstieg, den Kopf hoch, das Gesicht, wie es war, zur Verfügung eines jeden, der hineinspeien wollte. Hiernach ging der entlassene und verschuldete Offizier in den alten Hof auf das Finanzamt.
Er sagte, daß eine Verfügung des Königs im Auftrag sei, und wäre der König von seiner Ausfahrt zurück, wollt er sie unterfertigen. Die Schreiber -- vorher hatten sie nichts getan als herumstehen und wispern, auf einmal beeiferten sich alle. Baten den Herrn, niederzusitzen. Schickten einen Boten mit dem Papier. Versicherten dem Herrn: nur eine kurze Weile, seine Schuld ist getilgt. Er glaubte es nicht, sondern erwartete, verhaftet und abgeführt zu werden -- in ein tiefes, lebenslanges Gefängnis, wohin man nicht für Schulden gelangt. Der Oberste des Amtes erschien aber selbst. Der tapfere Kapitän hat bezahlt. Der Offizier, den unser König liebte, ist frei.
Henri ist noch einmal zur Besinnung gekommen, vielmehr ist der Schatten seines einstigen Bewußtseins zurückgekehrt, als man ihn aus dem Wagen hob. Es geschah unterhalb des Aufganges zum Zimmer der Königin. Man hat sogleich versucht, ihn mit Wein zu beleben. Herr de Cérisy, Leutnant in seiner Garde, hob ihm den Kopf, wobei der König mehrmals die Lider bewegte. Dann blieben sie geschlossen. Entfernt und ungefähr hat er bei jedem Öffnen der Augen eine Erinnerung gehabt. Die erste: ›Das Arsenal, ich wollte zu Rosny, man hat mich mißverstanden.‹
Die zweite Erinnerung, entfernt und ungefähr: ›Gabriele, teure Herrin, dein Mund haucht mir deinen Atem ein. O bleibe.‹ Die dritte Erinnerung hätte gelautet: ›Wir sterben nicht.‹ Nur ist das nicht der Gedanke, den ein Lebender geformt und gerüstet hatte, damit er für Zeit und Nachwelt den Mut fände. Ein anderer hat ihn gedacht, nicht dieser, der erlischt. Dennoch geistert mit dem dritten Rühren der Lider -- hinter den großen Augen, die sogleich für immer zufallen werden, geistert als letztes: ›Wir sterben nicht.‹
Sie trugen den Körper in das Kabinett des Königs, sie legten ihn auf das Ruhebett. Das Zimmer war alsbald überfüllt; die meisten erspähten nur kurz ein blutiges Hemd, eine Stirn, die tief verfärbt war, eine Brust vom Blut angeschwollen, die geschlossenen Augen, den aufgegangenen Mund. Man sagte ihnen, der König sei am Leben, und da niemand hier es anders wissen wollte,, war dieser Körper für eine Weile der König. Zunächst der Leiche befanden sich der Erste Arzt, der damals Petit hieß, und der Erzbischof von Embrun, seine mächtige Kathedrale steht in den Alpen. Nicht der Priester, aber der Arzt wagte zu dem Toten zu sprechen, er möge Jesus, den Sohn Davids, um Erbarmen bitten.
Endlich, die Stille des überfüllten Zimmers war unerträglich geworden, hat jemand den offenen Mund mit dem Orden des Königs zugedeckt. Damit ist eingestanden, daß er nicht mehr atmet. Die Bewegung fuhr in die gestaute Masse, daß es sie auseinanderriß. Als Marie von Medici hereinstürzte, lag die Aussicht auf die Reste für sie frei. »Der König ist tot! Der König ist tot!« schrie sie von Sinnen. Der Kanzler, ein Rechtsgelehrter der strengen Art, wies die Majestät zurecht. »Die Könige sterben in Frankreich nicht«, sagte er; hatte den Dauphin mitgebracht und zeigte ihn ihr. »Der König lebt, Madame!« Sie war enttäuscht und eigentlich empört. Ihr Concini hatte bei ihr die Tür aufgerissen und hineingerufen: »È ammazzato. Den sind wir los.«
Der Dauphin verließ sogleich das Zimmer. Er hat allerdings dem Toten die Hand geküßt, sich verneigt und bekreuzigt, aber alles dies auf der Flucht. Er weinte nicht, denn seine Mutter weinte. Er haßte in dem Zimmer jeden: an dem Mord sind alle beteiligt. Was er jetzt sehen und glauben muß, seine Sorge, die er selbst für kindisch oder schwächlich hielt, hat ihn längst davon benachrichtigt. ›Mein gnädiger Herr Vater, gewähren Sie mir eine Bitte. Mein verehrter Herr Vater, Sie werden mich allein lassen. Mein großer Herr Vater, Sie haben einen schwachen Sohn.‹
Gegen Mitternacht wurde der Körper in weiße Seide gekleidet. Den Tag nachher öffnete ihn die Fakultät und entnahm die inneren Organe, damit sie nach Saint-Denis gebracht würden. Das Herz war den Jesuiten versprochen; indessen ergaben die Umstände und Anzeichen, daß es besser wäre für andere wie für die Väter, sie geduldeten sich. Der balsamierte Leichnam wurde ausgestellt, das war nicht wohl zu vermeiden; wer möchte verdächtig werden, als wäre der Leichnam sein Werk. Das Zimmer verbindet das Kabinett des Königs mit der großen Galerie. Man gelangt ohne Zutun dorthin, gesetzt, man dränge in Schloß Louvre aus der Straße ein und wäre selbst die Straße.
Der Wille des Königs Henri herrscht bis jetzt. Das Volk soll bei ihm ein und aus gehen zu allen seinen hohen Zeiten: wenn er ein Fest begeht; oder die Majestät erscheint und beglaubigt vor Freund, Feind und Fremd ihren Rang; oder Henri hat gesiegt, hat überwunden. Möglich, daß alle drei Fälle hier vorliegen. Seine Hauptstadt jedenfalls benutzt sein Haus, das Zimmer, wo ein Bett, bezogen mit gekräuseltem Goldstoff, ihn den Bücken darbietet. Das ist zwischen zwei Fenstern, die auf den Boden reichen, vorüber zieht drunten der Fluß.
Die Ausstellung hat bis zehnten Juni gewährt, drei Wochen, genug für reichliche Mengen Volkes, aus den Provinzen herzuströmen. Seine Hauptstadt und sein Königreich benutzen sein Haus als das ihre. Bis in die entferntesten Säle lagern die Seinen. Sie halten bei seiner ausgeleerten Hülle die Wacht, die verboten war und versäumt ist, solange sie ihn hatten. Es ist die Wahrheit, daß damals Schloß Louvre von dem Volk des Königs Henri besetzt war: der Hof verdrängt, die Königin entschwunden nach Gegenden, entlegener, als die früher aufgesuchten, wenn man sich gegen sein Leben verschwor. Seine Soldaten wurden alsbald zum Volk wie alle, sie bewachten und verteidigten niemand als nur ihn. Nun ist er vergangen.
Einer aus Tausenden konnte auf den Tisch springen und sturmrufen. Er konnte aussprechen, was alle fühlten: Unser König Henri und wir waren eins. Er hat geherrscht mit uns, und wir in ihm. Er wollte uns besser haben, und daß wir es besser hätten. Von unserem Blut ist er gewesen, gerade darum hat man es vergossen.
Nun ist er vergangen. Wenn damals sein Volk über seine Hülle vergebens wachte, auch seine Rechtsgelehrten dabei, seine Handwerker, Seefahrer, Gewissenskämpfer, Freiheitskämpfer -- ein kräftiger Bauer kann auf den Tisch springen, hat wenig gefehlt. Einer, der das halbe Weißbrot gegessen hat, Henri die andere Hälfte, und haben den Krug mit Wein zusammen ausgetrunken«. Nun ist er vergangen, wir bleiben dahinten, wir sind traurig. Im Leben des Volkes das Gewohnte ist die Traurigkeit, demnächst die Ergebung -- bis zu den Stürmen ist weit. Die Ausstellung des vorigen Königs, die Besetzung des Schlosses, das nicht mehr seines ist, wird glücklich vorübergehen. Der Hof wird aufatmen, nachdem die finstere Masse abgezogen ist mit all ihrer tödlichen Betrübnis.
Am letzten Tag hat der Dauphin Louis, als König der Dreizehnte seines Namens, ein großes Ärgernis erregt, worüber seine Frau Mutter ihn handgreiflich belehren will nach wiederhergestellter Ruhe und Ordnung. Er ist eigenmächtig und allein unter das Volk gegangen, ein scheuer Knabe, von Natur geneigt, die Menschen zu fürchten und zu verachten, ob einzeln oder in Massen. Auf der Schwelle des Zimmers, wo der Schein und die Hülle seines Vaters ruhen, ist er hingekniet, hat den Weg zu ihm auf den Knien beschritten und hat vor seinem Bett den Boden geküßt. Der war aber schmutzig von den Füßen der Leute; weshalb der Vorgang offenbar gegen den Sinn des neuen Königs verstößt. Eines erklärt ihn. Sein Vater hat Louis oft an der Hand geführt: er tut es diesmal zuletzt.
Der Herzog von Sully hat bei manchen Furcht erregt, obwohl ihm selbst der Tod seines Herrn zuerst sehr bange machte für seine Sicherheit: er hatte dem König zu gut gedient. Im ersten Schrecken entwich er aus dem Arsenal heimlich, er wollte weder aufgespürt noch erkannt sein. Als er in den Straßen die Gesichter, sehr viele Gesichter, alle vom gleichen Ausdruck, betrachtet hatte, setzte er sich an die Spitze seiner berittenen Garde. Mit ihr erschien er in Schloß Louvre, verlangte kurzweg die Königin zu sehen, erfuhr aber glaubhaft, daß sie beträchtlich angegriffen, ja, ganz verstört war. Das leuchtete ihm ein, da nur einer von ihnen ohne Angst und Schrecken sein konnte: er oder sie.
Später hat sie ihn niemals offen angefeindet. Eine Weile behielt er seine Macht oder die äußere Form seiner Macht, damit scheinbar der große König in seinem großen Minister noch fortlebte. Dies wegen des Volkes und seiner bedrohlichen Traurigkeit -- bis beide allmählich entkräftet und nach Hause entlassen werden können, der Diener des Königs, das arme Volk. Marie von Medici hat sich, sobald es anging, dem Reichtum hingegeben, dem festlichen Genuß ihrer Dummheit und Glanz ihrer leeren Herrschaft. Rubens, der das malte, empfand es lästig: eine Figur wie diese als Mittelpunkt seines üblichen Aufwandes himmlischer Fleischlichkeit.
Das Herz des Königs Henri ist dort, wo er es versprochen hatte, endlich eingetroffen. Inzwischen war es viel umhergekommen; es ist den Provinzen gezeigt worden. Auf den Knien eines Jesuiten lag es und fuhr heran. Tief niedergedrückte Volksmengen haben sein Herz von selbst heranfahren und wieder abziehen gesehen; mußten nicht gegen die Hauptstadt rücken, es zu holen. Gleichviel. Sie werden nie wieder vergessen, daß sie das eine Mal ihren König gehabt haben. Sein Herz schlug für einiges mehr als sie: für seinen eigenen Vorrang, für die Größe Frankreichs und den Frieden der Welt. Die ersten waren sie bei ihm doch, am nächsten seinem Herzen, wenn sie arm waren.
Der einzige König lebt bis heute bei den Armen.
Seul roi de qui le pauvre ait gardé la mémoire.