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Zwei kleine Kanonen schossen harmlos wie Spielzeug zum blauen Himmel an. Über dem Park schwebten Rauchwölkchen, aber schnell vergingen sie in der lieblichen Luft. Die Damen auf der breiten Freitreppe des Schlosses wurden deshalb nicht abgehalten, zu lachen und schön zu tun, stellten einen weißen Arm in ein rotes Kissen, fächelten sich, und den Hals wendeten sie mit geübter Anmut nach Kavalieren, die eine Stufe höher saßen. Wenn seine Schlankheit es dem Herrn erlaubte, beugte er ein Knie und verharrte dergestalt hinter seiner Dame, solange das Schauspiel währte.
Beim Zeichen der Böllerschüsse waren Hecken, Lauben, grüne Säle auf einmal bevölkert von Hirten, Hirtinnen und ländlichen Gottheiten. Musiker, die man nicht sah, nur hörte, spielten eine ernste Pastorale. Die vorgeführten Gestalten, wie sie aus der Natur entsprungen waren und das ursprüngliche Leben darstellten, blieben dennoch gemessen nach der Kunst, setzten ihre Füße, daß es richtig war, wiegten und drehten ihre Schultern zufolge der Regel; ja, der kleine Faun stieß seine Hörnchen nach der jungen Schäferin im Takt, indessen sie ihre Aufschreie dem Ton der Hoboen anpaßte.
Es war schön und dauerte wohl eine Stunde, da alles wiederholt werden mußte. Die Schloßfrau inmitten der vordersten Reihe klatschte in die Hände, ihr reizendes Gesicht war vom Vergnügen gerötet. Neben ihr der König rief: »Noch einmal!« So lief das Spiel noch einmal ab. Zuletzt waren die Hirten in rosenfarbener und gelber Seide sämtlich Sieger, jeder über einen Waldgott in nachgemachtem Fell mit Spitzen, den der Hirt anmutig auf den Rücken legte. Dann hob er das eroberte Mädchen vom Boden, trug es am Ende seiner ausgestreckten Arme, und mit seiner schönen Beute drehte er einen Wirbel. Nichts als silbernen Staub sah man anstatt eines weiblichen Körpers droben blitzen vom Sonnenstrahl, das war aber die Schäferin. Ihr Freund loderte unter ihr als Flamme. Sechs Paare, sechs dieser bewegten Flammen und brennenden Wolken wirbelten so lange, bis ein sehr dringlicher Beifall die Tänzer erinnerte, daß sie anhalten dürften.
Jetzt ließ ein jeder eine jede zum Boden hinab, und alle zwölf, Hand in Hand, verbeugten sich vor den Herrschaften, lächelten auch scheinbar mühelos, als hätte es alles nichts gekostet. In Wahrheit wankten sie wohl ein wenig, ihren Blicken war anzumerken, daß sie noch nicht wieder sehen konnten. Der jüngsten der Tänzerinnen rutschte ihr Kranz aus Narzissen bis auf die Nase, sie wußte sich nicht zu helfen. Da ging nun die Schloßfrau zu ihr, schnell genug, daß nichts dazwischen kam -- legte der Kleinen den Kranz zurecht und küßte sie in das heiße Gesicht.
Der König führte seine teure Herrin an der Hand zurück, daher war nur beifälliges Gemurmel statthaft an Stelle der Mißbilligung, die Gabriele und ihre übereilte Gebärde eigentlich herausforderten. Übrigens traten die Hirten und Hirtinnen weg, den Schluß vollführten die Waldgötter mit lächerlichen Bocksprüngen. Zuerst setzten sie einer über den anderen, dann über niedrige Hecken, endlich nahmen sie die höchsten, und fort war alles, vernehmlich wurde das Rauschen der Wipfel. Hiernach forderte die verborgene Musik zu einem Gang auf, er war zierlich und getragen, genau in seiner Art bewegte sich die Gesellschaft zum Schloß hinein und um den ganzen Festsaal an die gedeckten Tafeln. Der König hatte einen kleinen Tisch allein für sich und die Marquise. Ihre Gäste saßen an dem größeren, der gebaut war wie ein Galgen; mehrere Edelleute versäumten nicht, den dicken Mayenne hierauf hinzuweisen. Sein Hunger, wenn sonst nichts, machte ihn unempfänglich für den Scherz. An seiner Seite führte den Vorsitz die dunkelhaarige Schwester der blonden Schloßfrau.
Diana d'Estrées, jetzt Marschallin von Balagny, hatte nicht gerade Glück gehabt. Die Stadt Cambrai, wo ihr Gatte befahl, war von den Spaniern überrascht und eingenommen. Nun liegt Cambrai im Artois, fast schon in Flandern, dem König gehört es einmal und einmal wieder nicht. Von seinem Ruhm kommt nichts abhanden, wenn er Cambrai verliert: der Sieger über Spanien bleibt er. Die Welt weiß nur von seinen Siegen und gar nichts von Cambrai. Er ist ein großer König, der erste und einzige nach der katholischen Majestät Don Philipps, dessen Verfall und abnehmender Name das Werk des Königs von Frankreich sind: dies für das ganze Europa, das es so haben will und das man dabei lassen soll. Nadelstiche werden besser nicht beachtet, dem Besiegten selbst ist ihre Nutzlosigkeit bewußt. Feste wie das heutige möchte er stören, kann auch weiter nichts wollen; in diesem Königreich tritt er niemals mehr auf, als ob es seines wäre. ›Mein ist es, ich hab dafür bezahlt‹, dachte Henri.
Dies bedachte er bei allem, was er an der festlichen Tafel sonst tat: Gerichte verzehren, der teuren Herrin in das hübsche Ohr galante Worte sprechen, das Glas heben gegen Mayenne, den unterworfenen Feind. Er ließ einen Hofmann, Herrn de Sigongne, berichten, was der ersonnen und mit seinen Schauspielern eingeübt hatte, ein allegorisches Stück, Personen aus den Sagen der Alten, aber alles zum Ruhm des Königs von Frankreich.
Noch denselben Abend wird es aufgeführt werden hier in dem Saal, obwohl schon am Morgen großes Ballett war. Die Gesellschaft, die Schloßfrau und nicht weniger der König sind nach Augenweide begierig, sie bekommen nie genug vom schönen Schein und der gefälligen Bedeutung. Die Wirklichkeit hat leider keinen heiteren Sinn, sie muß im vollen Ernst bestanden werden. Tage erschienen und vergingen, an denen Henri nur wünschte, daß sie ihm leichthin vertrieben würden; war der Gefahren müde und nur des Vergnügens nicht.
Bei Tische wurde gemeldet, Calais wäre gefallen. Keine Stadt mehr, auf die allenfalls für eine Zeit verzichtet wird: diesmal war es Calais, einer der Schlüssel des Königreiches. Bei Tische trat zuerst Schweigen ein. Man verstummte, die einen vor Überraschung, andere, weil sie erschraken, in heimliche Gedanken fielen, und manche, die ein finsteres Gesicht annahmen, freuten sich. Sieh da, der Kardinal von Österreich mit einer deutschen Armee tut unvermerkt den Schlag auf Calais, die Stadt und Seefestung gegenüber England. Wie steht es danach mit dem Königreich und der neuen Herrschaft? An seiner Küste hat es nunmehr Spanien, drüben aber, die Königin verleugnet ihren alten Freund, den entlaufenen Protestanten. Wird hier bald schlecht tafeln sein. Eine Marquise, deren Stand und Name ganz anders heißen sollten, nicht mehr lange empfängt ihr käuflicher Schoß unsere Renten, nachdem ihr Kumpan, Herr de Rosny, uns darum erleichtert hat. Die Schuld hat aber der König, jetzt kommt sie über ihn.
Gefühle der Art lagen nahe bereit; der Fall von Calais drängte sie bis auf die Lippen, einige verschlossen ihren Mund mit der Hand. Sahen dabei nach Mayenne aus, was der sich dachte. Mayenne hat ungeheuer seinen Bauch gepflegt, er hätte gewünscht, ihn hinauszutragen. Die Nachricht kam ihm ungelegen; bei begonnener Verdauung sollte er überprüfen müssen, ob seine Unterwerfung verfrüht und ein Fehler gewesen war. Er glaubte es nicht, erstens um seiner Verdauung willen, ferner, weil er nicht gern umsonst der Besiegte war. Der Kardinal von Österreich war ihm peinlich, wie er es auch äußerte. Mayenne brach das Schweigen als erster, er murrte in sein Glas, das die Worte hohl und verstärkt zurückgab: »So ein Dünner. Mickrig zum Umblasen. Der schafft's auch nicht.« Hiermit kippte er das Glas.
Das war die Sprache eines Kenners -- hatte selbst erprobt, ob mit diesem König fertig zu werden ist. Daher wendeten alle, die vorher Mayenne belauscht hatten, das Gesicht nach dem König. Henri war darauf gefaßt; seine Heiterkeit, mochte sie entwichen sein, während niemand achtgab, jetzt hielt er sie fest. Er sagte über den Tisch, der wie ein Galgen gebaut war: »Geschehn ist geschehn, Calais ist weg. Deswegen keine Schwachheit. Ich hab im Krieg mehr erlebt. Jetzt ist der Feind an der Reihe, dann kommen wir wieder daran. Gott hat mich nie verlassen, so oft ich ihn aus dem Herzen bat. Nun denn, ehren wir das Andenken der Toten -- dann aber Vergeltung mit Zins und Zinseszins.«
Dies seine Worte. Übrigens blieb er noch eine Weile sitzen, gab auch jemandem einen Wink und Auftrag. Als er »Zins und Zinseszins« gesagt hatte, fielen die Blicke von selbst auf Herrn de Rosny, den Großgeldeintreiber des Königs. Sein unbewegtes Gesicht erschien fürchterlich; jeder aus der Gesellschaft fragte im stillen, wieviel ihn selbst der Fall von Calais noch kosten sollte. Mit seiner kalten Stimme, ohne jemand anzusehen, sagte Rosny:
»Der Kardinal von Österreich nahm nicht gleich Calais. Zuerst bekam er Cambrai.«
Die Marschallin, Schwester der Marquise, fuhr auf, sie hätte zornig erwidert. Die steinerne Haltung des Herrn de Rosny erlaubte es nicht; vielmehr nötigte sie die arme Diana, ihren Teller zu betrachten, und dasselbe taten alle anderen. Sie hätten sonst leicht verraten, was sie dachten: die Familie der teuren Herrin und sie selbst, die sind es. Bereichern sich, und die Städte des Königreiches liefern sie dem Feind aus.
Inzwischen wurde dem König gebracht, wonach er geschickt hatte. Ein Bildnis der Königin von England, er dreht und wendet es, bis alle sich überzeugt haben, wen es darstellt: die Sechzigjährige, straff und unermüdet. Ihr gehen keine Städte verloren, während sie tafelt und Ballette genießt. Der König führt das Bild an die Lippen, er küßt es, wie alle meinen. In Wahrheit berührte sein Mund es nicht, sondern hinter dem Rahmen, der seine Augen verdeckte, gingen diese zu seiner Gefährtin, sie allein teilte mit ihm den kleineren Tisch. Gabriele begriff, daß er sie trösten wollte, hörte aber auf seine Schwüre diesmal nicht, mochten sie nun geflüstert oder ganz lautlos sein. Sie war erbleicht. Feinde umher. Zu dieser Stunde kann auch ihr lieber Herr sie vor dem Haß nicht schützen. Da lehnte sie öffentlich ihre erhobenen Hände aneinander, wie bloß zum Beten im Kämmerlein. Neigte sich über den Rand des Bildes -- und nicht die große Elisabeth, nur das Holz, das ihre nachgeahmte Form umspannte, empfing von Gabriele den demütigen Kuß.
Trotz allem durfte Herr de Sigongne sein sinnreiches Schauspiel noch diesen Abend vorführen. Mit hoher Bewunderung wurde es aufgenommen -- wie denn auch nicht. Sein Held war ein König, so sieghaft, gelehrt und wohlgestaltet, daß Gott Mars zuletzt nicht anders konnte, er überantwortete ihm die leibhaftige Venus, und diese Göttin versprach ihm schöne, mutige Söhne. So geschehen, gab es zum Nachtessen die kleinen Austern, die dem König sonst gefielen, und auch diesmal tat er, als schmeckten sie ihm. Wenigstens brauchte er nicht zu sprechen -- konnte überlegen, daß es noch einige Zeit geboten wäre, den Müden und Gleichgültigen zu machen. Der Krieg war nicht zu Ende, er wußte es seit heute, gesetzt, daß der Ruhm der Welt ihn bis jetzt hätte beirren können. Eine doppelte Gefahr rückte an, wenn er Calais von der See her zurückeroberte, was am nächsten lag, und die Königin von England hätte gewiß geholfen. Ebenso wahrscheinlich aber gab sie nachher Calais nicht mehr heraus, und er hatte nur die Wahl, ob an seiner Küste das hartnäckige England sitzen sollte anstatt Spaniens, das seine letzten schwachen Streiche führte.
Andererseits kam dem König der Verdacht, schon heute war es eigentlich ein neuer Feind, der im Lande stände. Der Kardinal von Österreich, seine deutschen Fürsten, ihre Truppen: vom alten Feind eine andere Front. Habsburg hat mehrere, es ist das Weltreich, eine Hydra. ›Hab ich den einen Kopf erstickt, zwölf züngeln gegen mich. Ich muß das ganze Ungeheuer töten. Ich muß es aufnehmen mit dem römischen Kaiser, der universalen Monarchie und allen ihren Provinzen; sogar Spanien ist von ihnen nur die eine, der Weltbeherrscher Philipp war ein Beauftragter, und ihrer sind mehr. Ich allein, wie es nun gewollt und alles gemacht ist, steh gegen die ganze Hydra, die aber die Christenheit heißt.‹
Die Zumutung entsetzte ihn. Einige Pulsschläge vorher hatte er nicht gewußt, sie würde an ihn gestellt werden. Stellte sie jetzt selbst, und es war das erstemal. Ein großes Unglück stieß ihm zu: das war sein eigener Gedanke -- der früheste: Einblick in seine letzte Sendung, und die ging über die Kraft.
Er erhob sich vom Tische, er hätte sich ganz allein zurückgezogen, wo es dunkel wäre und niemand etwas wahrnähme von seinem großen Schrecken und dem hereingebrochenen Ereignis. Seine Gefährtin berührte aber angstvoll seinen Arm. Er sah sie an und bemerkte: sein Erschrecken wurde geteilt von der Gefährtin -- die es nicht ermaß und den Grund nicht ahnte. Dennoch litt sie mit ihm und war nachgerade ein Stück von ihm durch Blut und Sinne bis an ihr Ende. Daher zog er sie an sich und verschwand mit ihr in der Nacht des Gartens.
Sie erstiegen die vorgeschobene Terrasse unter ihrem Schlafzimmer, dort hörte niemand sie. Gabriele flüsterte: »Vielgeliebter Herr, wir haben Feinde. Damit Sie den Kardinal von Österreich besiegen können, will ich alles, was ich besitze, verkaufen und den Erlös in Ihre Kriegskasse legen.«
»Meine teure Liebe«, antwortete Henri. »Mein unvergleichlicher Besitz bist du allein. Laß uns die Feinde vergessen: leicht könnten es ihrer zu viele werden, wenn man sie ruft.«
Geheimnisvolle Andeutung, Gabriele verstand weder, noch fragte sie, beide wurden still, als wäre nunmehr die Zeit für Liebkosungen. Diese erlitten einen unnützen Aufschub durch dasselbe Unglück, das vermittels eines Gedankens an Henri herangetreten war. Er wollte es von sich weisen, es sollte ihm nicht mehr begegnen. Nur leider, die Abweisung selbst erforderte ein inneres Zwiegespräch mit der empfangenen Sendung. Über die Kraft oder nicht, sie war empfangen.
Er dachte: von Jugend auf seien ihm Mühen und Kämpfe von dem einen Spanien geschickt worden, gegen wen immer er ritt, welche Kugel jemals vor ihm einschlug, wie viele Städte er gewann und Menschen an sich brachte, bis sie zusammen sein Königreich ergaben. ›Das halbe Leben und mehr hat es gekostet. Endlich will ich Ruhe haben und die Arbeiten des Friedens tun. Wahrhaftig, die Pyrenäen sind hoch genug, ohne daß ich den Ossa über den Pelikon stürzen muß. Nach mir der neue Feind oder von dem alten Untier die nachgewachsenen Köpfe. Ich hab meinen Teil‹ -- wobei er seinen Fluch ausstieß, dies sogar laut vernehmlich.
Gabriele wurde mit erregt von seinem inneren Gespräch, das sie doch nicht kannte; sie sagte: »Sire! Bin ich in Wirklichkeit Ihr Unglück? Es fällt Calais, und mich haßt man. Herr de Rosny gibt mir die Schuld.«
»Meine teure Liebe«, sprach ihr Herr nah an ihren Lippen, aber er atmete zornig. »Dafür soll Herr de Rosny schon morgen zurückkehren in das Arsenal, wohin er gehört. Wir bleiben und verbringen den Tag in deinem reinlichen Meierhof, bei deinen vierzig wohlgepflegten Kühen, auf dem saftigen Gras. Um dich her werden alle Damen ihre ländlichen Kleider ausbreiten. Du bist die Mitte und bist mein Glück.«
»Teurer Herr«, sagte sie, »ich erwarte von dir nochmals ein Kind.«
Hierbei schloß sie die Augen, obwohl es dunkel war; fühlte indessen, wie ihm das Herz vor Freude klopfte. Seinen heftigen Atem hörte sie nicht mehr, empfing seine Lippen auf ihren, und die tiefe Stille ihrer gemeinsamen Liebkosung wurde gemessen von den Pulsen der beiden.
Bis drunten im Garten ein Schlag und Zischen folgten, da schoß himmelan ein feuriger Schweif, beschrieb seinen gelassenen Bogen, sank ab, tropfte Funken und erlosch. Ah! verlautete es währenddessen von den Stimmen aller, die sich ergingen in der Gartennacht, oder auf der Freitreppe und an den Fenstern spähten sie nach der Begebenheit, was daraus würde.
Nun weiß man natürlich, wie es kommt. Nach der ersten, vereinzelten werden scharenweis die Raketen aufsteigen, und das geschah wie vorgesehen, die Höhen waren während eines Hin- und Wegsehens durchrauscht von Flammen in Gestalt von Springbrunnen, Strahlen, Garben oder Kugeln, die leuchteten oder zerplatzten blau, weiß und rot. Auf dem Rande der Hecken schwang zuletzt ein Rad, es entsandte silbernen Regen -- weithin sprühte der glitzernde Trug, zu schön, als daß fortan hier eine irdische Gegend sein könnte. Aus der Nacht gehoben, verwandelt, schwebt der Garten, ein Aufenthalt für Feen. Der Schwan! Über diesem Reich der Glücklichen, ah! in Lüften ruht ein Schwan, schimmert, regt die Flügel, ruht -- und vergeht klingend mit dem wunderbaren Klang, den sie haben sollen, wenn sie sterben.
Auf einmal war Dunkelheit wie vorher, und man rieb sich die Augen. Ein Feuerwerk, sonst nichts, man lacht nachher, weil man mit eigener Zustimmung getäuscht und bezaubert worden ist. Indessen es aber abbrennt, steigen in dem oder jenem kühne Gedanken auf und wären sonst am Grunde geblieben. Erheben sich zu seinem inneren Himmel, der davon wunderbar anzusehen ist. Henri erblickte das Feuerwerk in sich selbst, sein ganzer Himmel flammte. Freudig über die Natur hinaus ergriff er die bewußte Sendung -- hatte sie gerade vorher abgewiesen. Jetzt sagte er, daß er es vollbringen wollte und wollte stürzen das Reich der Finsternis.
›Sie oder ich, von meinem Untergang lassen sie nicht. Sie betreiben aber mit meinem Untergang einen größeren, den der Freiheit, Vernunft und Menschlichkeit. Überwältigt hat ihre universale Monarchie und Weltherrschaft viele Glieder der Christenheit, die wird davon zum Ungeheuer, ein unförmlicher Leib und giftige Köpfe. Meine Sache ist, daß die Völker leben sollen, und sollen nicht statt der lebendigen Vernunft an bösen Träumen leiden in dem aufgedunsenen Bauch der universalen Macht, die sie alle verschluckt hat. Ich bin gemacht, um zu retten, so viele von ihnen noch die Wahl haben und wollen mit mir den engen Pfad gehen.‹
Hier sprühte draußen das Rad sein Silber, und darüber plante der Schwan, ›Gleichviel‹, denkt Henri. ›Nichts ist sicher, warum das böse Ende. Mich sollen sie nicht bekommen: haben dies Königreich verfehlt. Ich will denn in Gottes Namen einen freien Bund gründen mit den Königreichen und Republiken, die bis jetzt verschont sind und die Stirn erheben dürfen gegen Habsburg.‹
Draußen fielen die Funken, bevor es dunkel wurde. ›Was ist zuletzt Habsburg?‹ denkt Henri. ›Ein Kaiser, den seine Mönche in derselben Finsternis halten wie alle seine Völker. Dazu der Angesteckte über den Bergen, der hat besonders groß getan. Ihre Personen bekrieg ich nicht, und ihr Land: -- genau gerechnet zeigt keine Weltkugel, wo ihr Land liegt. Es liegt im argen. Mein Reich beginnt an der Grenze, wo die Menschen weniger dumm und nicht mehr ganz unglücklich sind. Mit Gott, erobern wir's!‹
Das erste, was er hiernach zu seiner Gefährtin Gabriele sprach:
»Madame, wahrhaftig, mein Rosny, welch eine tüchtige Mittelmäßigkeit!«
Ein freier Bund von Königreichen und Republiken, seinem besten Diener kam er niemals in den Sinn, da mochten feurige Strahlen durch die Lüfte rauschen und Schwäne darin ruhen.
»So hab ich nicht Schuld am Fall von Calais?« fragte Gabriele. Er sagte:
»Calais, der Kardinal von Österreich, Sie selbst und ich: die Zusammenhänge sind unendlich. Einer mag sie ahnen, solange das Feuerwerk währt, und dann nicht mehr.« Er sprach es müde.
»Wir wollen hineingehen«, verlangte sie, und er geleitete seine teure Herrin in ihr gemeinsames Gemach, das schönste des Hauses. Er schüttelte den Kopf, als sah er das Bett zum erstenmal. Es hatte Matratzen aus weißer Seide, die Kopfkissen waren mit Silber derart bestickt, daß ein H und ein G sich umschlangen. Am unteren Ende lag zurückgeschoben die Prunkdecke, die war Damast, Karmesin und goldene Streifen. Von dem Baldachin hingen die gelben Vorhänge aus Genueser Samt. Ein Bett wie dieses hatte den armen König früher nicht aufgenommen. Seine Liebste bemerkte, daß er zögerte.
»Geliebter Herr, Sie denken wie ich, daß wir alles verkaufen müßten, um Ihre Kriegskasse zu füllen.«
»Ich habe leider viel gewagtere Träume gehabt«, antwortete Henri. »Hielt sie für den wahren Sinn der Dinge, solang das Feuerwerk abbrannte. Wahrhaftig gelangte ich währenddessen in ein hohes Gefilde -- weiß nicht mehr, wieso ich dorthin abirrte. Wir sind hier unten, tun immer nur das nächste, dabei bleibt es, und das allernächste ist, daß ich dich liebe.«
Die nächste Sorge war, wie gewöhnlich, Geld zu erlangen; nur artete sie diesmal in eine wahre Angst aus. Jeden Tag konnte das Verhängnis hereinbrechen und für Spanien, das nur noch zuckte, wäre mit voller Macht das Römische Reich aufgetreten. Feindliche Heere, die das Königreich niemals erblickt hatte, barbarische Völkerschaften aus dem Osten des Erdteiles, krumme Säbel, kleine wilde Pferde, Menschen mit gelber Haut und schiefen Augen, das alles hätte diese Felder zerstampft, diese Städte in Brand gesteckt. Niemand sah den Schrecken voraus und malte ihn sich aus, als nur der König. Er machte sich davon in seinen Nächten einen Greuel in übertriebenen Farben: dies, weil er die Sorge allein trug. Seinen Leuten blieb alles fern, seinem Pariser Parlament, das die Ballette der Marquise überzahlt zu haben meinte -- und sogar seinem Rosny, er fand den König überreizt.
Wenn der König Zahlen nannte, die stimmten selten; dieses Gebiet hätte er meiden sollen, nach Ansicht seines guten Dieners. Acht Finanzräte, außer Rosny, verzehren heute nicht mehr anderthalb Millionen Taler, wie der König sich einbildet, Rosny paßt auf. So einfach sind Kriegskosten nicht einzutreiben, daß man acht Personen ihren Mehrgewinn abnimmt. Überhaupt wollte Rosny an die Zunahme der Ordnung auf der Welt glauben, da er in seinem Bezirk dafür tat, was vernünftig war. Noch weniger wären die Parlamentarier, deren Verhältnisse endlich geregelt waren, auf die Vorstellungen des Königs eingegangen. Krumme Säbel, kleine wilde Pferde, Menschen mit gelber Haut und schiefen Augen, hier kann das nicht vorkommen. Schließlich herrscht Gesittung.
Und wer gibt ihr mit viel Müh und Arbeit den Anschein, als ob sie herrschte? So hätte der König seinen Freunden, den Rechtsgelehrten erwidern können. Er schwieg aber -- wollte die Gefahr durch das Aussprechen nicht größer machen und seine schlechten Nächte nicht anderen bereiten. Mit seiner teuren Herrin begab er sich nach Rouen; sie sollte mitkommen; er selbst hatte mehreres vor. Nach einem Einzug in die Stadt, der kühl verlief, wartete er nicht unnütz: er hielt der Ständeschaft seiner Provinz Normandie die Rede, die er lange besonnen hatte. Dies geschah in dem Kapitelsaal der Abtei Saint-Ouen, einer hoch angesehenen Stätte: ein König, der hier das Urteil einer nationalen Vertretung herausforderte, und dies zum erstenmal, durfte keinen Mißerfolg haben.
Bevor er auftrat, war die Versammlung vollzählig und konnte vermerken, welchen Anteil jeder Stand aufwies: neun Bischöfe, neunzehn große Herren, aber zweiunddreißig Bürgerliche mitsamt Handwerkern und Bauern. Keine große Ständeschaft, aber von einer Zusammensetzung, die nie gesehen war, und dieser König hat sie gewollt -- beim erstenmal, daß er sich den Abgeordneten des Volkes stellt. Vorsichtig, in der Art von Normannen, redeten sie hin und her über seine Art, die ihnen neu war und ungewohnt blieb, soviel sie mit ihm zu tun gehabt hatten und er mit ihnen. War ein Ketzer und verdächtiger Abenteurer aus dem Süden gewesen, als er ihre Stadt hart bestürmte, zuletzt aber kaufte er sie: das hatten sie klug und achtbar gefunden. Andererseits gedachten sie seines persönlichen Verhaltens, damals genügte es keineswegs ihren Ansprüchen an die Würde und Zurückhaltung eines Herrschers, noch nicht gerechnet, was Majestät heißt und ihm völlig abgeht. Darf ein König seine Geliebte mitbringen, wenn er das vernünftige, regnerische Rouen erobert, und sogar jetzt nochmals bei seinem Einzug? Man hatte denn der Marquise das Brot und den Wein nicht dargereicht, obwohl sie hier in der Abtei die beste Wohnung bezog. Jedem nach Verdienst. Übrigens waren seit der Anwesenheit des Paares die Straßen beleuchtet, wenn auch nur auf höheren Befehl, warum das Geld nicht lieber sparen.
Aufstehn, aufstehn, der König! Er betritt den Saal, umgeben, wie er irgend kann, zwölf Herren wohl gezählt, einer höher und mächtiger als der andere: fehlt auch der Legat des Papstes nicht. Setz dich unter den Baldachin, kleiner Mann von irgendwo, der jetzt groß ist, und bedurfte einer ungeahnten Wendigkeit, nächst dem bekannten leichten Herzen, das nun einmal verdächtig bleibt. Aber wie? Die vermißte Majestät, da ist sie dennoch, sie erklärt sich sogleich. Er steht erhöht, spricht zu ihnen von oben, braucht alltägliche Worte, einen natürlichen Ton -- dennoch, in dem Ton und den Worten erscheint die Majestät. Sie ist fremdartig. Man könnte nicht sagen, daß sie aus anderen Gegenden kommt, eher aus einem Wesen ganz für sich, und dieser Mann, wie man wohl weiß, gebraucht sie nicht immer. Aber er hat sie.
Henri hielt in den Händen einige Blätter, schob sie bequem ineinander wie ein Kartenspiel -- traf gleichwohl mit jedem zufälligen Blick das Wort, das er suchte. Die Buchstaben waren übergroß, er hatte sich vorgesehen, hatte eigenhändig die Sätze aufgeschrieben, damit keiner fehlging und jeder saß. Redete jetzt, als ob der Ausdruck nichts verschlüge, so genau er in Wirklichkeit geprobt war. Er sagte: »Wenn ich als Redner glänzen wollte --« Dabei glänzte er zusehends. »Mein Begehren geht nach zwei ruhmreichen Titeln. Heißen will ich Befreier und Wiederhersteller dieses Staates.«
Zuerst schob er alles Erreichte auf seine treuen Beamten, seinen tapferen, hochherzigen Adel; plötzlich war er es selbst. »Ich habe Frankreich davor bewahrt, daß es verlorenging; bewahren wir es nunmehr vor dem neuen Verderben!« Womit er alle einbezogen hatte, so viele hier vertreten waren, die Mehrheit aus den arbeitenden Klassen. Sie sollten ihm helfen -- nicht einfach durch ihren Gehorsam: er verlangte ihr Vertrauen, ihren Rat erbat er. Dies war merkwürdig und neu. »Meine lieben Untertanen«, nannte er sie allerdings, wollte sie aber nicht gerufen haben, wie seine Vorgänger getan hatten, damit sie ja sagten zu allem, was er beschloß. »Ich hab euch versammelt, um bei euch Rat zu holen und ihn zu befolgen. Kurz, in eure Hände, unter eure Vormundschaft begebe ich mich.«
Dies Wort! Das geräuschvolle Atmen der Versammlung bei dem Wort »Vormundschaft«, im Manuskript war es vorgesehen mit mehreren leeren Zeilen. Ein zufälliger Blick des Redners auf das letzte der Blätter und seine ausgedehnten Schriftzüge: da sprach der König in voller Größe und Majestät.
»Solche Lust wandelt sonst wohl nicht die Könige an, die Graubärte nicht und nicht die Sieger. Leicht und ehrenvoll wird alles dem, der euch liebt wie ich, und will Befreier heißen.«
Setzte sich, ließ sie hinsitzen und die Pause vergehen, gelassen angelehnt, als hätte er niemals gehobene Bekenntnisse gemacht, nur zu einfachen Leuten einfach geredet. Drunten steckten sie die Köpfe zusammen, bis einer sich räusperte, aufkam und Worte vorbrachte: die Sekretäre verstanden sie schlecht. Der Bauer sprach den ländlichen Dialekt, außerdem war er sowohl befangen als bewegt. Er versprach dem König, für seinen Teil wollt er ihm von jedem Pfund einen Groschen geben, und dies, sooft er ein Stück Vieh oder einen Sack mit Korn verkaufte. Andere, die weiter sahen und sich geläufiger ausdrückten, fügten das Ihre hinzu. Deswegen glaubte doch niemand, daß sehr viel Geld herausfallen würde. Sonst hätte jeder von ihnen, der reich war, gleich sein halbes Vermögen opfern müssen. Wer wenig, aber etwas besaß, verlangte das von den Großen nicht. Geschehen war dies eine. Sie hatten den König in seiner Demut und in seiner Majestät gesehen. Sie mißtrauten ihm nicht mehr.
Er stieg von seiner Bühne und verschwand rückwärts, die Zuschauer wußten so schnell nicht, wohin und wie. Der Eindruck, den er ihnen gemacht hatte, gewann dadurch an Unbegreiflichkeit. Sie mißtrauten ihm wohl nicht mehr -- nicht alle, und wenigstens vorläufig nicht. Das Fremde behielt er, möglich, daß es ihm seit seinem neuesten Auftreten sogar zustatten kam. Die Normannen besprachen vorsichtig, was nach allem von ihm zu halten wäre. Sie standen weiter im Saal umher, etwas unschlüssig, nicht abgeneigt, Belehrungen entgegenzunehmen von solchen, die den merkwürdigen König besser kennen mußten. Das waren seine Leute, mit denen er sich bei der Vorstellung umgeben hatte: mehrere waren von ihm ausgesucht und sollten die Normannen belehren. Auf die konnte er sich verlassen; weniger auf die anderen, freiwillig Zurückgebliebenen.
Henri, hinter dem Vorhang, durch den er abgegangen war, flüsterte mit Gabriele.
»Wie hab ich gesprochen?«
»Glänzend. Das kann außer Ihnen niemand. Nur, warum Vormundschaft? Sie haben das Wort gut gebracht, ich mußte weinen. Aber wollen Sie wirklich Vormünder haben, anstatt Untertanen?«
Er fluchte leise, weil sie ihn nicht verstanden hatte. Nahm ihre Hand und legte sie auf seinen Degen. »Mit dem zur Seite«, sagte er.
Dann bat er seine Gefährtin, wegen ihrer beschwerlichen Umstände möge sie ruhig im Sessel bleiben, indes er selbst am Vorhang horchte. Zuerst vernahm er Stimmen aus dem dritten Stand, sie klangen schleppend, aber Spott und Widerstand fehlten ganz. Der Dialekt verhinderte nicht, daß er die Gesinnung erriet. Wenn der Feind jetzt wieder einfiel, mochten es beiläufig Spanier, Deutsche oder sogar Engländer sein, ihren eigenen König zogen sie vor. Sie hätten gar keinen Kriegsherrn gewollt, und den Krieg überhaupt nicht. Schlimmstenfalls hielten sie es doch mit einem König, der nach dem Augenschein ihr Mann war -- hatte ihnen schon gute Gesetze gemacht und fragte sie nun selbst, wieviel sie zu steuern gedächten! »Ist es dann zu wenig, kann er uns immer noch seine Gendarmen schicken«, bemerkte ein Bauer, der den Satz von der Vormundschaft richtig auslegte.
Ein Bürger erklärte, der Augenschein wäre meistens zuverlässig, und persönlich sehe er jedem Kunden an, ob er zahlen werde. Ein unehrlicher Mensch ist entweder zu nachgiebig oder zu dreist! »Der König hat bei allem, was er sagte, das richtige Gesicht gehabt.«
Diese kaufmännische Ansicht wurde von einem der Rechtsgelehrten bestätigt. War es der Präsident des Parlaments von Paris oder anderswo, Henri hinter seinem Vorhang unterschied nicht genau, er hörte vieles gleichzeitig. »Auf dem Gesicht erscheint sichtbar alles, Freude und Angst«, äußerte der Präsident, den gemeinen Leuten zugewendet, damit sie ihren Nutzen daraus zögen.
Für die normannischen Herren, Bischöfe und Edelleute wiederholte er es in der Sprache Juvenals.
Deprendas animi tormenta --
Einer der einheimischen Herren erwiderte überaus vorsichtig: Wenn es ausgemacht wäre, daß die Kunst des tragischen Schauspielers seinem Gesicht den Ausdruck beliebiger Gefühle beibringen kann, die Griechen hätten ihn darum bekanntlich nicht weniger geachtet.
»Verdammt«, murmelte Henri, »der hält mich für einen Komödianten.«
Die Handwerker und Viehzüchter beruhigten ihn wieder, für sie war entscheidend, daß er es zu etwas Rechtem gebracht hatte. »Das vorige Mal, als er bei uns auftauchte, war er ein Schlucker. Jetzt -- der Aufzug und die Pracht! Der verdient Geld, unter dem läßt sich leben.«
Hier ging durch die Leute ein Schauder der Ehrfurcht. Den Schauder benutzte der Marschall de Matignon, den Henri ausgesucht hatte, damit er nachhülfe.
»Gute Leute«, sagte der Marschall. »Womit der König euch alle und noch ganz andere Nummern in die Tasche steckt, das ist eine Sache ohne jeden Vergleich, sie kommt nicht vor, außer durch eine seltene Verleihung von Gott. Es ist die Majestät.«
Je weniger sie dieses Geheimnis erfaßten, um so mehr wirkte es auf sie ein. Ihre zunehmende Geneigtheit, von der gewohnten Nüchternheit abzuweichen, wurde ermutigt durch das Wort »Majestät«; denn sie hatten dergleichen bei ihm wirklich gefühlt, und nur benannt hatten sie es vorher nicht. Nachgerade hätten sie fünf gerade sein lassen, und als Matignon ihnen weiter erzählte, daß der große Mann noch niemand in seine Nähe, sein Vertrauen gezogen habe gleich ihnen, da wurden diese nördlichen Menschen endlich laut. Sie redeten durcheinander, sie priesen ihre Tapferkeit und Bereitschaft hinzugeben, was sie besaßen, und nicht mehr den Groschen vom Pfund: das halbe Pfund und darüber. Auf einmal kannten sie die Ausdrücke »großer Mann«, »Majestät« -- ja, »Geliebter des Volkes«, auch dies Wort fiel.
Henri hinter dem Vorhang hörte es heraus; in allem Gewirr der Stimmen, dies Wort entging ihm nicht. Das erste war, daß er erschrak und die Stirne neigte. Sogleich richtete er sie um so höher auf; er sprach: »Gewonnen«. In Gedanken setzte er hinzu: ›So lange es dauert. Gib, o Herr, daß es vorhält, bis ihre Begeisterung meine anderen Provinzen erfaßt hat, und die sind leichter zu erwärmen als diese. Ich weiß, warum ich hier begonnen habe. Mein ganzes Volk und Königreich soll früh aufgestanden und zum Empfang bereit sein, wenn von Osten die kleinen wilden Pferde und krummen Säbel anstürmen.‹
Im Saal schlug der Staatssekretär Herr de Villeroy stark auf den Tisch, wo die Protokolle angefertigt wurden. Er verkündete, alle Gemeinen, die hier getagt hätten, die Majestät erhöbe sie zu Adligen. Die Stille wurde hierüber sehr tief und wollte nicht weichen -- bis einem Landmann, vielleicht aus Bestürzung, etwas Unanständiges entfuhr, und dies mit voller Kraft. »Die Majestät mag verzeihen, aber irgendwo muß das Gemeine heraus«, sagte der Landmann zur großen und allgemeinen Belustigung.
Am wenigsten hingenommen von der Majestät und ihrem durchschlagenden Erfolg waren begreiflicherweise seine eigenen, mitgebrachten Herren, voran die geistlichen. Einer der beiden Kardinäle erinnerte den anderen an einen Vers des Horaz, der bedeutet: Er läßt beiseite, was er ohnedies hat, und bemüht sich um solche, die ihn nicht wollen.
»Transvolat in medio posita, et fugentia captat« -- in reinster italienischer Aussprache führte der Kardinal den Vers an. Das Latein des anderen hatte französische Färbung.
»Nil adeo magnum --«
Dafür reimte er den Lukrez auch gleich in der Volkssprache.
»Nichts ist so groß und anfangs so verehrt,
Daß man ihm schließlich nicht den Rücken kehrt.«
Diese Kenner blinzelten einander zu, wohingegen der Legat des Papstes: er war allerdings hergereist, hatte gewiß erwartet, den König unrettbar absinken zu sehen. Jetzt war er selbst erschlagen, er jammerte vor sich hin; sein Gedächtnis für die Klassiker stand indes hinter dem der vorigen nicht zurück.
»Weiß nicht, warum lassen meine säubern
Lämmchen sich von seinem Blick bezaubern.«
So übersetzte er die Stelle im Vergil:
Nescio quis teneros oculus mihi fascinat agnos -- und geradezu mit weichen Knien verließ der Legat diese Stätte. Nach ihm brachen alle auf.
Ein normannischer Herr sagte unter der Tür zu einem der hohen Richter: »Sogar mir fällt ein altes Wort ein. Fortis imaginatio generat casum. Wer eine Sache lebhaft im Sinn hat, macht Wirklichkeit aus ihr.«
Der Rechtsgelehrte erwiderte ihm noch in der Tür: »Mein Herr, Sie haben das Wesen unseres Königs ausgezeichnet verstanden.«
Da sie als letzte über die Schwelle traten, hatte Henri sie deutlich gehört. Er streckte den Kopf aus dem Vorhang um ihnen nachzusehen, und bemerkte, daß der Normanne den langen, hohlen Rücken und die helle Haut wie sein Rosny hatte. Natürlich ist nicht jeder eine Figur von der Kathedrale. Auch in der Nüchternheit und steinernen Strenge gibt es Fälle geringeren Grades. Das Vollkommene im Nördlichen, mein Rosny bringt es mir, hat auf mich sein Sach gestellt, und das gilt bei ihnen, solang ich dauere. »Gewonnen«, sprach er nochmals. »Gerade die gewinn ich.«
»Teure Herrin!« rief er -- war mit wenigen langen Schritten bei ihr und hielt sie in seinen Armen, ihren Kopf aus blondem Gold, die Fleischtöne gleich Rosen und Lilien, die Augen vom Grau dieser Meere.
»Dich zu gewinnen, hätt ich noch länger gedient«, sprach er ihr in den reizenden Mund; sie vernahm es mit einem Glück, einem Stolz, daß sie lachte, ihn auslachte. Er faßte sie sacht an wegen ihres hoffnungsvollen Zustandes.
Sieben Tage danach gebar die Liebste des Königs ein Mädchen. Sehr schön, so nannte Henri die Kleine, er ließ sie taufen feierlich wie ein Kind Frankreichs. Ihre Namen waren Catherine-Henriette, er selbst und seine Schwester gaben sie der Tochter Gabrieles. Madame Schwester des Königs konnte ihr Patenkind nicht in Person aus der Taufe heben, da sie Protestantin war und blieb. Indessen hatte sie das Recht, am Bett der Wöchnerin zu sitzen als beste Freundin, die Gabriele bei Hofe gefunden hatte, und fand sonst keine.
Madame Schwester des Königs beschrieb der Mutter die wohlgelungene Körperbildung ihrer Tochter; sie legte fromme Begeisterung hinein, da eine untadelige Leiblichkeit schon das Neugeborene der himmlischen Gnade versichert und ihm eine glückliche Erdenzeit vorausgesagt. Ihr eigenes Leben, obwohl sie jetzt Madame Schwester des Königs hieß, hatte keine Hoffnung mehr, glücklich auszugehen; Catherine war aber geneigt, den Ursprung ihres Mißgeschickes in dem Übel ihres Fußes zu erblicken. Sie verriet ihre eigene Meinung nie, allen zeigte sie Hoheit, im alternden Gesicht viel kindliche Hoheit. Gabriele allein kannte sie anders, vor ihr wurde Kathrin innig bis zur Andacht. Ihrem lieben Bruder schenkte diese Frau schöne, gesunde Kinder, eines nach dem anderen. War ausersehen und begnadet. An dem Bett der Wöchnerin saß Madame Schwester des Königs wahrhaftig nicht einer Gefälligkeit und Gunst wegen, sondern um zu verehren.
Nach den wohlgelungenen Gliedern des Täuflings beschrieb sie das Kissen, auf dem er zu derselben Stunde lag und wurde als Kostbarkeit durch die Kirche Saint-Ouen getragen. Herren und Damen im Glanz nahmen das Kissen mit dem Kind Frankreichs einander aus den Armen, so viele es berühren durften. Von dem bestickten Kissen hing ein silberner Stoff und geschwänzter Hermelin, sechs Ellen lang, aber den Vorzug, diese Schleppe zu halten, genoß das Fräulein von Guise.
»Alle hassen mich sehr«, flüsterte Gabriele. Sie verriet ihre Sorge, weil sie noch geschwächt war. Gleichwohl fühlte sie, die Schwester ihres Herrn dürfte die Wahrheit hören. »Madame, wird unser Herr mich heiraten?« flüsterte sie.
»Du mußt nicht zweifeln«, sagte Kathrin, kniete hin und streichelte der jungen Mutter die linke Hand, dieselbe, an der ihr lieber Bruder diese Frau zum Altar führen sollte. »Du hast Freundinnen, die eine bin ich.«
»Gäb es denn noch eine andere?« fragte Gabriele, vor Erstaunen richtete sie den Kopf und Nacken auf.
»Die Prinzessin von Oranien wünscht wie ich, daß der König zu seiner Königin die Rechte macht.«
»Die Rechte war ich? Nach der Meinung einer strengen und frommen Dame, die gewiß dort hinten in ihren Niederlanden über mich nur Nachteiliges erfährt?«
Stehend, damit ihre Rede eindringlich und nachhaltig wäre, sprach Madame Schwester:
»Die Prinzessin von Oranien ist von meiner Religion. Wir Protestanten glauben an die Freiheit der Gewissen und die Wahl der Herzen. Der König, mein Bruder, hat die einzige, die er haben und behalten will bis zum Ende -- in seinem Königreich hat er sie gefunden.«
Mehr sagte sie nicht, es war genug für lange. Daher verließ sie gleich nachher das Zimmer, verbot auch den Frauen Gabrieles, bei ihr einzutreten, da sie ruhen müsse.
Gabriele lag und machte sich über die Neuigkeiten die ersten Gedanken, soweit ihr Kopf, der noch blutleer war, es zuließ. Freiheit der Gewissen -- sie begriff den Sinn nicht, nur, daß er ihr günstig war. Zwei Protestantinnen, und sonst niemand, standen ihr zur Seite; sie wollten, die Königin von Frankreich möchte aus diesem Lande sein. Keine Prinzessin eines fremden, noch so großen Hauses, Infantin, Erzherzogin, reiche Fürstin. Nicht das viele Geld und die mächtige Verwandtschaft, worauf Herr de Rosny immerfort bedacht war und suchte in ganz Europa nach der Verbindung, die für den König die nützlichste wäre.
Davon hatte Gabriele seither gewußt. Die kalte Rechnung des guten Dieners, der Haß aller, die auf sie und ihre Herkunft herabblickten, beides war ihr geläufig und leider kein Geheimnis. Einzig die Liebe des Königs und die »Wahl der Herzen« erlaubte ihr, harte und grausame Tatsachen dennoch gedämpft durch rosige Schleier anzusehen. Sie fürchtete die Infantinnen, empfing aber die innere Warnung erst in neuester Zeit -- seitdem ihr lieber Herr die krummen Säbel aus dem Osten erwartete. Ja, ohne sein Gefühl für die Gefahren hätte das ihre gar nicht gesprochen; jetzt war sie von seinem Fleisch und Blut ein Teil vermöge ihrer Kinder. Das zweite Kind hatte sie ihrem Herrn geboren, da schienen die Gefahren still zu stehen: schritten allerdings nur heut und morgen nicht fort; ihr ahnte wohl, nachher ginge alles weiter.
Gabriele wendet das Gesicht aus dem Licht, um weniger beschwerlich zu denken. ›Ich habe zwei Freundinnen, die sind von der Religion. Wie denn, von der Religion bin ich nicht. Um den König sind keine Protestanten, nur Herr de Rosny, der mich haßt. Was will da werden? Was meinte wohl Madame Schwester? Keine Antwort zu finden, nicht jetzt, und niemals wird sie leicht sein. Schlaf ein, träum unschuldig von deinem Hochzeitskleid.‹
Gabriele ist in ein großes Spiel von Gewalten geraten, ist darin befangen, ohne um das meiste recht zu wissen, fühlt nur: dies Spiel ist nicht geheuer. Die Bälle fliegen für einen zu hohen Einsatz; der könnte wohl sie selbst sein. Die Spieler zielen, fangen und verfehlen; der letzte greift alle Bälle, er trägt den Einsatz fort. Der König spielt so gut, wird er ihn nicht gewinnen? Hat allerdings den bekannten Todessprung getan, womit im voraus vieles entschieden ist. Auch über das Spiel um Gabriele? Sie ist eingeschlafen, unschuldig träumt sie von ihrem Hochzeitskleid.
Henri, Gabriele und der Hof verließen Rouen und kehrten nach Paris zurück, als Karneval war. Merkwürdig ausgelassen verlief dieser Karneval; darin erschien aber die erste Folge des ehrlichen Spiels von Rouen, das der König gewonnen hatte. Auch Paris gab sich besiegt. Die Vornehmen und sogar die ehrbaren Leute stiegen herab zu den Vergnügungen des gemeinen Volkes, weil sie meinten: der König hat eine Schwäche für das gemeine Volk und seine Sitten. Herren und Damen trieben es wie die Menge, auf dem Jahrmarkt und den überfüllten Straßen tauchten die Kavaliere in das Gewühl von Ausrufern, Schülern, Sänftenträgern, und hätten deren Gleichen früher nur von ihren Lakaien prügeln lassen bei der ersten Unverschämtheit. Jetzt riefen sie selbst den Umgang und Streit hervor, steckten manche Schläge ein, ja, ein Advokat, von dem man es am wenigsten erwartet hätte, verlor in einer Kneipe seinen Hut.
Die Damen vergaßen ihre gute Erziehung, beim Rummel betraten sie die Buden, wo Mißgeburten gezeigt wurden. Noch mehr, sie machten die Bekanntschaft öffentlicher Frauen von der niederen Art. Es soll vorgekommen sein, daß die Dame mit der Dirne dasselbe Haus aufsuchte, allerdings unter der Maske, und wird diese sogar äußersten Falles nicht vom Gesicht genommen haben. Gabriele, die darüber unterrichtet war, drehte beim nächsten Empfang dieser Dame den Rücken, obwohl sie gegen alle die Höflichkeit selbst war. Ihr nützte es nicht, ihren eigenen Ruf konnte nichts verbessern, weder guter Anstand noch das einmalige Zeichen von Ungeduld.
Auf den König, die Marquise d'Estrées und den Kardinal von Österreich, der Calais weggenommen hatte, wurde in diesem Karneval ein Vierzeiler gemacht, und alle Pariser sagten ihn her.
»Der große Henri wollt es schaffen
Und war dem Spanier auf der Spur.
Jetzt reißt er aus vor einem Pfaffen
Und hängt am Hintern einer Hur.«
Gabriele gedachte der befreundeten, guten Stadt Rouen, dort hätten sie solche Verse weder gereimt noch herumgesprochen. Sie wünschte ihre Verbreitung aufzuhalten, sie bezahlte sogar einige handfeste Kerle, die dagegen einschreiten sollten. Umsonst, eines Abends, als beide allein waren, verriet Henri, daß er die Verse kannte. Inmitten der zärtlichsten Beschäftigung sagte auch er sie her.
Als Antwort wehrte Gabriele ihn ungehalten ab. Sie bat ihn ernst, er möge das Spielen lassen: auch das Ballspiel, so hübsch er es konnte, so gern sie ihm zusah, es kostete schließlich viel Geld; aber besonders die Karten, die würden ihn in die Hände von Wucherern bringen. Sie wußte, wen sie zuerst im Sinn hatte: einen Menschen namens Zamet. Sein Haus war zugleich Spielhölle, Leihbank, Bordell, und dorthin ging der König.
Da es noch das beste schien, ihn zu begleiten, wenigstens nach dem berühmten Jahrmarkt Saint-Germain, nahm Gabriele mehrere Damen mit, ihre Tante de Sourdis und Madame de Sagonne. Diese war klatschhaft; Gabriele rechnete darauf, daß alles sogleich zur Kenntnis des Hofes kam. Daher ließ sie den König um einen Ring handeln, von dem König verlangte der Portugiese einen unvernünftigen Preis. Gabriele verzichtete. Aber so wenig wie die Sittenstrenge nützte ihr die Enthaltsamkeit. Wer unfreundliche Erklärungen braucht, ist nie darum verlegen.
Am Faschingsdienstag war großer Ball bei Madame Schwester zu Ehren Gabrieles. Die Tuilerien, die Catherine bewohnte, strahlten vom Licht, es blieb kein einziges dunkles Gelaß, kein heimlicher Winkel. Versammelt um die Schwester des Königs und seine teure Herrin, zeigten alle Damen des Hofes dasselbe Kostüm aus meergrüner Seide: meergrün, weil es die Farbe der blonden Gabriele war, und Seide aus den Werkstätten des Königs. Alle trugen Masken; um die eine von der anderen zu unterscheiden, mußte man die Verhältnisse ihres Körpers genau kennen oder mit der Dame verabredet sein.
Die Musik erklang von oben, leis und würdevoll, nur ernste Tänze waren vorgesehen, und gewisse Fräulein flüsterten, es würde langweilig werden. Indessen fiel die Verspätung der Herren auf, und dann, daß alle gleichzeitig kamen. Ihr Einzug war sonderbar, denn einige hockten am Boden, warfen in schwieriger Art die Füße voran und tanzten dergestalt um den Saal, wobei sie klapperten. Andere schritten aufrecht zwischen ihnen, sie waren gewachsen vermittels verborgener Stelzen und der hohen Mützen, die astrologische Bilder aufwiesen. Geklappert wurde auch von diesen, und zwar mit Becken und hölzernen Messern. Der langen Gewandung der Aufrechten war anzusehen, daß sie Zauberer sein wollten. Gleichwohl hatten sie auch von Barbieren etwas, während den Hocktänzern zum Bader überhaupt nichts fehlte. Sogar Blutegel oder etwas, das so aussah, zogen sie aus ihren Taschen.
Die Damen betrachteten anfangs nur befremdet, was hier vorging, die umständliche Runde ihrer Herren, die entstellt waren nicht nur durch Larven und ausschweifende Nasen. Die Vermischung von Zauberei mit Bartschaben, die man vorführte -- und wie, teils waren es Stümpfe, die hopsten, teils hochgetragene Köpfe im Zeichen der Gestirne, jene an den Boden gebunden, diese über ihn entrückt, kein richtiger Mensch dabei, lauter Figuren, die eine Schlange tanzten, das Ganze ein aufgezogenes Spielwerk: wahrhaftig, den Damen wurde es nicht geheuer. »Sind das denn auch unsere Herren?« fragten sie, solange das Ding sich drehte. Gerade darum begannen mehrere zu kichern, und endlich lachten viele unbändig. Zwei oder drei ließen ihr Gelächter in einen Anfall ausarten, sie bogen sich über einen Stuhl und schrien.
Ihr Verhalten sowie der ganze Vorgang zog die Hausleute an. Sogar die Torwächter und Soldaten, die drunten auf die Neugierigen paßten, verließen ihren Platz, jeder in der Annahme, ein anderer würde sein Amt versehen. Der andere dachte ebenso, daher waren endlich alle droben. Sie drückten sich entlang einer Galerie, durch deren offene Türen sie den Saal begafften. Jetzt folgten die Neugierigen, auf die niemand mehr aufpaßte, und bald war dieser ganze Umgang angefüllt mit fremden Zuschauern. Die Soldaten, die auch nicht hierher gehörten, versäumten es, das Volk zu vertreiben. Wegen der Enge, die sie selbst verursachten, drängten die Leute einander bis in den Saal, wo der Hof sein Barbier-Ballett aufführte. Die Herrschaften hatten oft genug zu der Straße gefunden. Jetzt erwiderte die Straße den Besuch.
Unter denen von der Straße war ein wirklicher Barbier. Eine Nase aus Pappe mit Auswüchsen trug er gleichfalls. Die Nase und sein Stand verliehen ihm, wie er meinte, das Recht mitzutanzen in dem Ballett, da es zu seinen Ehren stattfand. Er hockte hin wie die anderen Barbiere, klapperte mit seinen Geräten, die echt waren, und wollte die Füße werfen nach der Kunst. Die hatte er nicht erlernt, daher stieß er den um, der vor ihm tanzte, und dem Rückwärtigen fiel er in die Arme. Der Fall des vorderen Barbiers riß einen der Zauberer mit, er glitt auf seinen Stelzen aus und bedeckte nach seiner unnatürlichen Länge mehrere der Hocktänzer. Schon kam der nächste Zauberer ins Schwanken. Vor Schrecken und Erwartung kreischten sowohl die Damen als das Volk. Niemals hat man erfahren, wo der Schrecken und wo die Erwartung größer war.
Indessen lag der echte Barbier in den Armen des falschen, und dieser erkannte die Echtheit des anderen: er roch sie. So sagte er denn:
»Dreckskerl, willst du dir einen Taler verdienen?«
»Das glaub ich!« sagte der echte.
»Du siehst die grüne Person, die sich hinter der gläsernen Tür versteckt. Die sollst du abscheren, ratzekahl abscheren, wie die Straßenpolizei es mit solchen Mädchen macht«, erklärte der falsche. Der echte erwiderte:
»Sie könnte aber eine Dame sein. Das ist zu gefährlich für einen Taler, es kostet ein Goldstück.«
»Meinetwegen ein Goldstück« -- der falsche Barbier ließ es ihn sehen. »Merke dir, daß die Person eine Perücke trägt, du sollst alles zum Schein machen. Es ist ein verabredeter Scherz. Halte dich bereit, bis du gebraucht wirst.«
Hier waren die Figuren des gestörten Balletts endlich auseinandergewickelt, die Barbiere standen in natürlicher Größe auf ihren Füßen, die Zauberer ohne Stelzen. Die Damen zeigten lebhafte Besorgnis um ihre Herren, ob sie bei dem Unfall zu Schaden gekommen wären. Jede suchte den ihren, fand ihn übrigens leichter heraus als er sie. Gabriele d'Estrées ergriff im Gewühl den Arm des Königs, schon längst hatte sie ihn als den mittleren der sieben Zauberer erkannt. »Sire! Fort aus dem Gewühl. Liebster Herr, denken Sie an Jean Chastel und sein Messer.«
Damit zog sie ihn in eines der umliegenden Kabinette, dort blies sie sogleich die Kerzen aus, so viele sie mit dem Atem erreichen konnte. Niemals ließ sie ihren Herrn von der Hand, deckte ihn mit ihrer Gestalt, damit er unsichtbar wäre, und sie flüsterte ihm zu:
»Das hätten Sie nicht tun dürfen.«
»Teure Herrin, an der Aufführung bin ich unschuldig. Sie wissen, daß ich einen Zauberer machen wollte, das war alles. Der Barbier ist von selbst hinzugekommen. Das Ballett der Zauberer und Barbiere, obwohl höchst sorgfältig eingeübt, ist doch nur ein Zufall und Versehen, ich versichere und schwör es dir«, Henri küßte ihr reizendes Kinn. Über den schönen Mund hingen die Spitzen der Larve.
Merkwürdig still wurde es währenddessen im Saal. Diese beiden sahen um, entdeckten aber das Geschehene nicht. Eine verstellte, komische Stimme fiel durch ihr Meckern auf. »Soldaten, gehorcht mir, ich bin ein Herr vom Hof. Ihr sollt die grüne Person festnehmen, sie ist mir fortgelaufen und hat meine Edelsteine mitgenommen.«
Eine heisere Stimme rief dagegen: »Ganz recht hat das Mädchen getan, daß sie sich und mich schadlos hielt. Denn auch meinen Kuppellohn sind Sie alter Geizhals mir schuldig geblieben.«
Die grüne Person, wie sie genannt wurde, verlegte sich auf ein Geschimpf: an der Heiserkeit erkannte man, daß es echt war. Die Sprache der Straße ließ sich nachahmen, nur ihr Ton nicht. Kurz, eine komische Szene wurde gespielt -- von einem herbeigeholten Mädchen und zwei Herren, denen sowohl der König als seine Liebste nach der Sprechweise ihre richtigen Namen geben konnten.
»Das ist Herr de Roquelaure«, sagte Henri.
»Das ist Herr de Varennes«, sagte Gabriele. Noch leiser sagte sie: »Wie schrecklich!«
Denn ihr ahnte, bevor der König es begriff, daß sie beleidigt werden sollte. Herr die Roquelaure ist ein Gefährte des Königs aus seiner frühen Zeit, sein Altersgenosse, hat auch die leichten Sitten von damals behalten. Mich haßt er nicht. Er ist ein Protestant. Aber er lacht gern -- und um komisch zu sein, verrät er mich hier an meine Feinde, ob er es weiß oder nicht.
»Die beiden Dummköpfe!« Henri wollte vortreten. Gabriele hielt ihn zurück.
»Was fällt meinem Roquelaure ein?« fragte er. »Und Varennes? Der hat einstmals den Boten zwischen mir und Ihnen gemacht. Dafür ist aus einem Koch ein reicher Mann geworden. Jetzt spielt er den Kuppler, als ob er keiner wäre. Helf Gott, ich hab es mit Verrückten zu tun.«
»Weniger verrückt als Sie meinen«, murmelte Gabriele, und an seiner Brust wurde sie schwer. Da sah er, daß in der Larve ihre Augen mit Tränen überzogen waren. »Meine Schöne«, murmelte er. »Mein Herz.« Vor dem hereingebrochenen Jammer fühlte er sich hilflos. Dort drüben gab man vor, zu scherzen. Nun ist es niemals gut, Dinge, die leicht aussehen, schwerzunehmen, wenngleich sie es wären.
Gabriele flüsterte dringend: »Dies Kabinett hat einen geheimen Ausgang. Wer die Stelle in der Wand nur wüßte! Fort von hier, mein liebster Herr!«
So schnell war aber der Kunstgriff nicht zu finden, da man ihn einmal nicht innehatte. Henri kam zwischen dem Abklopfen der Tafeln nach vorn -- setzte mehrmals den Fuß an, um dareinzufahren, wo sie ihre komische Szene weitertrieben; denn ihm entging nicht, wie anzüglich, frech und giftig sie gemeint war. Zwei Wachsoldaten übernahmen gleichfalls Rollen, und während der Kuppler sich zur Wehr setzte, rief der vorgebliche Herr vom Hof unaufhörlich nach einem Barbier samt dem Schermesser. Das Mädchen vermaß sich indessen, mit heiserem Gekreisch, eines gewissen Schutzes, gegen den die Beteiligten machtlos wären. Kurz, es wurde höchste Zeit -- höchste Zeit wird es, jeder Satz macht gewisser, daß sie mich und meine teure Herrin meinen.
Er sah nach Gabriele um: sie lehnte gegen die Wand, ihre Hand tastete daran fieberhaft. Gleichwohl erwartete sie die Rettung nicht mehr von dem geheimen Ausgang. Er selbst sollte sie schützen, wie auch sein Wille und heftiges Begehren war. Daß ich dreinfahren und mich mit offenem Gesicht zeigen dürfte!
Das hätte er getan, nur daß ein anderer ihm zuvorkam. Auch der war als Zauberer verkleidet, hatte übrigens das Körpermaß und die schnellen Bewegungen des Königs, ja sogar seinen Griff erkannten die Gaffer, als er sie an den Schultern auseinanderriß. Den Barbier packte er, daß ihm sein geschwungenes Messer entfiel, und warf ihn zu Boden. Der Kuppler de Varennes bekam einen Tritt in das Gesäß, die beiden Soldaten machten von selbst kehrt. Blieb allein Herr de Roquelaure, der immer noch meckern wollte wie ein Bock. Die Lust verging ihm, als der neue Mitspieler die Maske abriß.
Es war der Graf von Soissons: welch eine Überraschung für die meisten. Er hatte einigermaßen die Gestalt und wenn man wollte auch das Gesicht seines königlichen Vetters; man sehe nur davon ab, daß er ohne Witz und Hoheit ist. Beides ersetzte Soissons unter Umständen wie diese durch eine grobe Furchtbarkeit der Züge, der Zorn rötete sein Gesicht von der Stirn bis zum Hals. Er trug keinen Bart, sonst hätten einige vor Schrecken noch immer gemeint, es wäre der König.
Als der gute Vetter alle Feinde der grünen Person in die Flucht geschlagen hatte, nahm er ihre Fingerspitzen, wie wenn er eine wirkliche Dame angefaßt hätte. Wer weiß, welche Dummheiten er noch plante. Nun war das Mädchen von der Straße nicht nüchtern. Leider hatten sträfliche Verschwörer sie zu Hofe gebracht, ohne Rücksicht auf ihren Zustand. Diesen verschlimmerte ihre jähe Wut sowie die allgemeine Aufmerksamkeit -- so daß sie ihr Äußerstes tat und ihren Schädel dem guten Soissons in den Magen rannte, obwohl er ihren Kavalier vorstellte. Der Barbier, unter seinem Bemühen, sie abzuscheren, hatte ihre Perücke gelockert, wilden Bewegungen hielt das Gebilde nicht stand. Es geschah, daß es der Person vom Kopf fiel, und die Person war kahl, durchaus kahl. Sie selbst bemerkte es erst infolge des Jubels, der auf einmal aufkam, beim Hof und bei den Leuten. Zuerst erstarrte sie, dann suchte sie Opfer ihrer Rache, fand sich auf freiem Feld allein, und heulend hetzte sie nach dem Hintergrund.
Kläglich war es, beschämend überaus, ganz gleich, wer man war, vom Hof oder von der Straße. Zu Hilfe allen Beleidigten konnte nur noch der König kommen, und das tat er. Mit Madame d'Estrées, seiner teuren Herrin, trat er aus einem der umliegenden Kabinette; sie hielten einander die Hände, ihre Gesichter waren unbedeckt. Der König sprach laut für alle.
»Das war ein Spaß, den ich befohlen habe, von Anfang bis Ende. Ich danke der liebenswürdigen Dame, die das betrunkene und abgeschorene Mädchen gespielt hat, ist aber nüchtern, hat die herrlichste Mähne, und ich schenk ihr einen schönen Edelstein.«
Bei den Leuten erregte die Rede große Freude, und der Hof atmete auf. Herr de Roquelaure, dem ein Licht aufgegangen war, näherte sich dem König, er wäre auf die Knie gefallen. Seine Majestät erlaubte es nicht, sondern lobte seinen guten Einfall und die komische Szene.
»Ziehen Sie sich zurück, mein Freund, und schließen Sie hinter sich die Tür. Madame ist vom Lachen ermüdet, sie bedarf einer kurzen Ruhe.«
Da die Zeit verging, wagte man das Kabinett zu öffnen. Der König und Madame d'Estrées hatten es verlassen, nicht zu begreifen, wie.
Er brachte sie in ihr Haus, das an den Louvre grenzte.
»Sire! Gehen Sie nicht fort. Ich bin allein.«
Henri: »Teure Herrin, bald sind wir ganz vereint.«
Gabriele: »Sie denken nicht, was Sie sprechen. Sie denken, daß ich verhaßt bin. Denn das haben Sie gesehen.«
Henri: »Und ich? Wir sind gleichzeitig hoch berühmt und wehrlos. Je mehr wir das eine sind, um so mehr auch das andere.«
Gabriele: »Haben wir nicht Freunde?«
Henri: »Die verschlimmern unsre Sache, wie mein Vetter Soissons die komische Szene.«
Gabriele: »Mein hoher Herr! Mit der komischen Szene endet dieser Tag noch nicht.«
Sie drückte ihren Kopf in ein weiches Kissen, damit sie selbst nicht hörte, was sie sprach. So wartete sie, bis er fort war.
In seinem einsamen Louvre legte er sich zu Bett. Es war elf Uhr, er hatte den Ball beizeiten verlassen. Noch war er nicht vollends eingeschlafen, da trat Herr d'Armagnac bei ihm ein.
»Sire! Amiens.«
An dem Wort erstickte d'Armagnac und brachte kein zweites vor. Schon war Henri auf die Füße gesprungen: Die Festung Amiens überrascht, weggenommen, vierzig Kanonen weg, und nichts, kein Fluß, kein Heer verlegt den Weg nach Paris. Er kann kommen.
»Er ist verloren«, sagte Henri, der im Nachthemd war. Sein Erster Kammerdiener fragte zitternd, wer.
»Der Kardinal von Österreich.«
Rosny in seinem Arsenal wurde geweckt und zum König befohlen. Der König ging rastlos durch sein kleines Zimmer, es lag hinter dem Kabinett mit den Vögeln. Die brennenden Kerzen täuschten die Vögel nicht, sie duckten sich ohne Laut. Der König war stumm, er hielt den Kopf gesenkt, zog die Pantoffeln nach, und sein Schlafrock schleppte. Mehrere seiner Edelleute lehnten stocksteif an den Wänden. Kein Wort, kein Laut. Herrn de Rosny, als er eintrat, ahnte Unheil.
»Ha! Freund! Ein Unglück«, rief der König ihm wirklich entgegen.
Als der gute Diener erfuhr, Amiens wär's, und weggenommen wären Stadt und Festung -- er begriff es nicht. »Wer hat das getan? Wie ist es geschehen?«
»Die Spanier. Am hellen Tage«, sagte der König. »Und das kommt, weil die Städte meine Garnisonen nicht aufnehmen wollen. Jetzt muß ich nochmals in den Krieg ziehen -- sogleich, bei Tagesanbruch. Gegen die Spanier«, wiederholte er und betonte es, damit niemand erriete, was er in Wahrheit befürchtete und voraussah: er bekäme es mit dem Heiligen Römischen Reich zu tun.
Ein Verstand wie der seine denkt richtig, aber er denkt zu schnell. ›Die deutschen Fürsten, von deren Glauben ich früher war, jetzt werden sie mir nicht beistehen‹, das meint er mit Recht. ›Diesmal geht es für mich um alles.‹ So ist es, war übrigens immer für ihn um alles gegangen. Der Kardinal von Österreich, ein Feldherr des Heiligen Römischen Reiches: gewiß, und ihrer ziehen gegen dich noch viele. Das Reich selbst aber setzt sich erst in Bewegung, wenn wieder mehr als zwanzig Jahre um sind. Du wirst nicht zugegen sein, Henri. Dein Teil an der Lenkung des Geschickes wird sein, daß du diese zwanzig Jahre gewinnst. Nach dir, der große Krieg, sein langes Elend. Von deinem Königreich wirst du ihn fernhalten, obwohl leiblich nicht zugegen. Noch dein Schatten hält ihn fern, da du richtig gedacht hattest, wenn auch zu schnell. Sire! Nur selten denkt einer in der Zukunft und handelt in der Zeit.
Der gute Diener Rosny handelte und dachte ausschließlich in der Zeit, das war sehr gut. Hätte sein Herr ihm hier von dem Römischen Reich gesprochen, würde Rosny bei sich Larifari gesagt haben, während sein Gesicht wie Stein blieb. Der König verlangte einfach Geld und Kanonen für Amiens. Damit kam er an den Rechten, Rosny hatte vorgesorgt ohne Befehl, wenigstens für das zweite. Schlechter stand es um das Geld, das aber allem anderen vorgeht. Zu dieser Stunde hätte es da sein müssen und wär auch. Man denke an die ausgefallenen Abgaben, Erleichterungen der Bauern, Darlehen für das Handwerk, man berechne den Rückkauf der Städte.
Die drängende Stunde gebot Herrn de Rosny, ohne Schonung zu reden. Wieviel haben die Bauten des Königs gekostet, wieviel seine Festlichkeiten, seine Neigung zum Spiel. Läge doch auf diesem Tisch nur das Geld, das die teure Herrin verschlungen hat! Drei Tische trügen es nicht. Er hatte kaum geendet, und im Zimmer stand sie selbst. Das Unglück war ihr gemeldet, während sie in Ängsten schlaflos lag. Sie hatte ihr voriges Kleid angelegt, sogar die Larve, und war zu ihrem Herrn geeilt, wollte die schwere Stunde mit ihm teilen, suchte auch Schutz bei ihm.
Henri nahm sie bei der Hand, als eine Unbekannte mit verhülltem Gesicht führte er sie vor Herrn de Rosny hin, sie neigte anmutig den Kopf, und Henri sagte: hier wäre die schöne Dame in Meergrün, die ihm zum Kriegführen das Geld anschaffen werde. Schon ließ er sich von d'Armagnac das Kostüm des Zauberers überziehen, band die Maske vor, und sie gingen aus. Ihr Gefolge vermehrte sich um viele der Gäste, die bei Madame Schwester getanzt hatten. Die Nacht war vorgeschritten, die Straße noch immer voll und laut. Henri hatte niemals so viele Bettler gezählt; seine Lage machte ihn hellsichtig, die Grenze zwischen dem Übermut und Elend wurde auf einmal furchtbar schroff.
Der König tat diesen Weg zu Fuß, damit das Volk ihn sähe und an das Unglück nicht glaubte; so erreichte der nächtliche Zug die Straße de la Cerisaie und eine leere Mauer -- wäre nichts dahinter vermutet worden. Indessen kannte jeder den eingehegten Garten, das verschwiegene Haus; auch der König ließ schon längst kein Geheimnis an seinen Besuchen beim Schuster Zamet. Da nun die eiserne Pforte aufging, stürzten Diener mit Fackeln durch den Garten, nahmen Aufstellung und beleuchteten ihn sprunghaft. Es war ein Garten im italienischen Geschmack, mehr Säulen als Bäume, mehr Stein als Rasen, anstatt grüner Säle enthielt er Tempel, und diese waren als geborstene Ruinen gebaut. Die niedere Front des Hauses zeigte keine Handbreit ohne Verzierung, sie war ein einziges Juwel aus Marmor verschiedener Farben. Der Hausherr, nicht weniger kostbar angetan, erwartete den König am Fuß der kleinen Freitreppe, er begrüßte die Majestät derart, daß alle seine gespreizten Finger über den steinernen Boden streiften.
Die Marquise zwischen dem König und dem Schuster, der jetzt ein reicher Geldverleiher war, nur zur Erinnerung an seine Anfänge hieß er Schuster: so betrat dies wichtige Dreigespann die warmen kleinen Säle. Alle drei nährten gegeneinander viele Absichten. Die kleinen Säle hatten nicht nur eine erwärmte Luft, sie verwöhnten das Auge mit ihrer gesiebten Beleuchtung und sanften Herrlichkeit. Auch der Nase wurde geschmeichelt durch Zerstäuber, die man nicht sah. Bei Zamet rochen alle Menschen gut, am erfreulichsten aber waren die Düfte einer offenen Musterküche, wo die Herde fauchten und weiße Köche arbeiteten zur Schau.
Das Dreigespann, von dem jeder mit dem anderen ein Geschäft hatte, machte langsam die Runde. Zwei trugen Larven, niemand war gehalten, sie zu erkennen, an den kleinen Tischen wurde ohne Unterbrechung getafelt oder gespielt. Wo nicht Schüsseln kreisten, fielen Karten. Henri entdeckte einen freien Platz bei den Primespielern. Ihm gefiel die Prime fast noch mehr als das Brelan: daher hatte der schlaue Zamet, Florentiner, Moriske, man weiß nicht, die Schritte des Königs dorthin gelenkt, und der leere Stuhl war vorgesehen.
»Zamet«, sagte Henri in seiner Ungeduld, den Stuhl einzunehmen, »die Frau Marquise wird Ihnen die Ehre eines Gespräches unter vier Augen gewähren.«
»Ich weiß mich darüber kaum zu fassen«, stotterte der kleine Fremde, die Augen kugelrund in dem Gesicht, das schwärzlich, eingedrückt und breiter als hoch war. Hüften hatte er wie eine Frau.
»Dann benehmen Sie sich in dieser Sache, als ob Sie ein Edelmann wären«, sagte Henri. Er wollte schon wegtreten, wies aber auf mehrere aus seinem Gefolge. »Barbiere hab ich mitgebracht. Trotzdem sind Sie der einzige, der hier alle einseift. Merken Sie wohl auf: ich als Zauberer kann auch was.«
Hiermit eilte er zu seinem Platz am Spieltisch. Zamet sah der schönen Maske gerad in die Augen; um sie beide war ein Kreis frei. Kalt fragte er: »Wieviel?«
»Sebastian, Sie sind ein schöner Mann«, hauchte Gabriele, girrte, lachte perlengleich und bog den Kopf rückwärts, damit er den Anblick ihres reizenden Kinnes habe. Da sie ihn berückt sah, ging sie schroff zum Befehl über.
»Fünf Säcke Gold«, befahl sie, hatte auf einmal die Stimme tief wie Glocken, wenn leis angeschlagen wird, und schnell vorgebeugt drückte sie den Kleinen nieder -- einfach, weil sie Gabriele, die teure Herrin war. Ihm wurde es wirklich, als versänke er unter seine eigenen Marmorplatten. Vor Schrecken nannte er sie Hoheit.
»Hoheit mögen zuerst erlauben, daß ich Atem schöpfe«, dies würgte er aus seinem kurzen Hals und wollte sich davonmachen. Sie schlug den Fächer zu und raunte:
»Eine geheime Nachricht. Der König hat über die Spanier gesiegt.«
Dann wendete sie selbst den Rücken.
Gabriele wählte einen der Tische, wo gegessen wurde. Von allen ihren Aufregungen hatte sie endlich einen Heißhunger. Keine der anderen Masken erkannte sie oder tat dergleichen. Gabriele schwatzte wie sie, trank auch ein Glas, da sie wohl wußte, nachher wäre der heißeste Kampf. Hinter ihr flüsterte jemand:
»Kommen Sie!«
Gabriele sah über ihre Schulter, sie wartete, wer das wäre.
»Sagonne«, flüsterte die Maske in dem meergrünen Kleid, das alle Damen vom Hof trugen. Gabriele folgte bis zu einer Tür, dahinter war die Beleuchtung noch sparsamer gesiebt, das Zimmer schien leer. Die Schwelle betrat sie nicht. Ihre Begleiterin sagte schnell und heimlich:
»Gehen Sie nicht hinein.«
Sagte es, als schon entschieden war, daß Gabriele sich hütete. Darauf wurde ihre Zunge geläufig.
»Seinesgleichen ist alles zuzutrauen, wie würde denn ein Schuster so reich. Dem vorigen König hat er weiche italienische Schuhe gemacht, die unersetzlich sind für empfindliche Füße. Dann lieh er den Edelleuten Geld, die Zinsen stiegen, niemand bei Hof, der nicht in seine Schuld geriet. Der vorige König hatte zuletzt gar nichts mehr, Zamet aber schaffte alle Schätze des Königreiches in die Weite. Nur was wir Frauen ihm abnehmen, bleibt im Lande. Für uns hat Schuster Zamet eine Schwäche, Madame.«
»Sagonne« -- hiermit unterbrach Gabriele die Rede. »Ich will hören, was Zamet Ihnen aufgetragen hat, oder gar nichts.«
Die Dame stotterte, dann beschloß sie, entrüstet aufzuschreien. Da Gabriele aber schneller als der Schrei war, konnte Dame Sagonne der Entschwundenen nur nacheilen. Gabriele richtete es ein, daß Henri sie kommen sah. An seinem Spieltisch zeigte er allen, die zusahen, seine helle Freude, denn vor ihm lagen Haufen Gold, seine Mitspieler aber boten den Anblick geschlagener Menschen. Als er seine teure Herrin kommen sah, schloß er in seiner Larve das linke Auge: es bedeutete mehr als nur sein Vergnügen am Gewinnen. Er hatte ihr Verfahren mit Sagonne bemerkt. In genau bemessenem Abstand hielt Gabriele an; bis hierher kann ihr lieber Herr noch hören, was Sagonne sagen wird. Die Vermittlerin des Schusters wird leise reden und auf das Gewirr der Stimmen ringsum vertrauen. Wer hätte ein so feines Ohr, daß er unterscheidet, was ihn selbst betrifft. Gabriele kennt die Gabe ihres Herrn, dem nichts entgehen wird.
Madame de Sagonne, eine zarte Person mit einer scharfen Nase, die verdeckt war, einem dünnen Mund, der freilag -- ihr fehlte es an Atem vor großer Bestürzung, oder weil sie die Bestürzung nachahmte. »Hoheit«, sagte plötzlich auch sie, mochte es gerad erst von dem Schuster gelernt haben.
»Hoheit! Für die fünf Säcke, die er dem König leiht, wollte er zehn zurück haben. Ich habe mich widersetzt, ich schrie wie ein Papagei, Sie haben mich nicht schreien gehört?«
»Ihre Stimme war schwach«, sagte Gabriele. »Ein halber Sack war gewiß für Sie bestimmt.«
»Und ein ganzer für Sie«, zischte Sagonne. Die Geduldigste war sie nicht, nur auf das Geld bedacht wie jede. Schuster Zamet hätte keine Anfängerin nehmen sollen für dies Geschäft. Gabriele sagte ruhig:
»So würde ich den König um fünfzigtausend Taler kürzen. Das ist nicht mein Wille.«
Sagonne hatte ihre Besonnenheit zurück. »Sie sind reich« -- beugte leicht das Knie und schwärmte: »Sie können unserem Herrn und Gebieter noch mehr als Ihre Schönheit darbringen. Aber glauben Sie mir, daß auch ich das Meine tue. Schon hatte ich die unverschämte Forderung des Schusters von zehn Säcken auf sieben herabgedrückt.«
»Das geht -- beinahe«, entschied Gabriele. Sagonne sprach hinter ihrem Fächer.
»Warten Sie das Ende ab. Jemand rief ihn beiseite. Als der Schuster wiederkam, wußte er, Amiens wäre gefallen, und er keuchte vor Zorn, jetzt wären es ganz bestimmt zehn Säcke, würden morgen wahrscheinlich zwölf sein.«
Gabriele war sehr erschrocken, wie es um ihren lieben Herrn jetzt stände. Sie brauchte etwas zu lange, bis sie das nächste vorbringen konnte. Dies bemerkte Henri besonders, gerade ihr entgeistertes Verstummen vernahm er; die Tränen rannen ihm unter der Larve, während er Goldstücke raffte und zu dem Haufen schob.
Mit einer Selbstbeherrschung, die ihn entzückte, sprach Gabriele:
»Sagonne, entschuldigen Sie mich. Sie haben diesmal wie meine Freundin gehandelt. Jetzt bitte ich Sie: sagen Sie Herrn Sebastian Zamet, daß ich mich mit ihm unterreden will. Ich gehe sogar in das wenig beleuchtete Zimmer.«
»Aber er nicht«, erwiderte die Dame. »Er fürchtet Sie mehr als den König. Was er bietet, muß man nehmen oder kriegt nichts.«
»Tun Sie, wie ich will.«
Der Ton Gabrieles ließ Ungehorsam nicht zu, Madame de Sagonne machte den Weg, wenn auch unentschlossen und mit mehreren Aufenthalten. Ihr Benehmen war natürlich: so verhält sich ein Vermittler, der nicht wünscht, daß die Parteien selbst zusammenkommen. Aber es warnte den aufmerksamen Henri, daß Gefahr bestände. Sogleich winkte er seinem alten Gefährten Roquelaure, und Herr de Roquelaure konnte nicht eifrig genug das Ohr hinhalten. Er hoffte, jetzt ließe sich wiedergutmachen, was er aus Leichtsinn verschuldet hatte mit der komischen Szene.
Nach empfangenem Auftrag ging er und drückte sich so heimlich er konnte in das verdächtige Zimmer -- hinter den geschlossenen Flügel seiner Tür; der andere stand offen. Gabriele, der Madame de Sagonne ein Zeichen gab, wollte hinein; vor der Schwelle rief jemand sie ab: kein anderer als der Hausherr selbst. Er bat die Frau Marquise, hier zu bleiben, unter der Gesellschaft, wo allerdings Trubel herrschte. Wenn sie dennoch belauscht würden, mit der teuren Herrin der Majestät könnte ein Mann wie er unmöglich Geheimnisse haben. Und er lehnte sich an die halbe Tür, deren andere Seite Herr de Roquelaure besetzt hielt. Den schlauen Zamet fange sonst jemand, der König wird ihn nicht bekommen.
Gabriele sprach:
»Sebastian Zamet, ich sehe, daß ich geirrt habe. Sie sind mehr als ein Geldverleiher, dessen Herkunft und Geschäft keine adelige Denkungsart zuließen. Ihnen schenk ich reinen Wein ein. Ja, der König ist in mißlichen Umständen. Amiens hat er verloren. Aber den Krieg wird er gewinnen. Ich weiß, was ich sage, und wär andernfalls nicht bereit, wie ich es bin, Ihnen alles, was ich besitze, zu verpfänden.«
Da er schwieg und runde Augen voll Bewunderung hatte, fing sie nochmals an.
»Ich habe meine Nachrichten vom Krieg, solche können Sie nicht haben. Daher überlasse ich Ihnen Monceaux, das Schloß und ganze Gebiet, das einmal ein Herzogtum sein wird, als Pfand und Sicherheit für fünf Säcke Gold.«
Zamet hatte schon überlegt und entschieden, als sie noch sprach. Diese Frau verstand ihr Geschäft, soviel war gewiß. Mit Empfindsamkeit bringt keine es dahin, daß ihre verfallene, fragwürdige Verwandtschaft wieder hochkommt, und sie selbst, was wird noch aus ihr? Das Wort von dem Herzogtum bewegte ihn wie kein anderes. Er staunte über die kalte Selbstgewißheit der Frau und dachte, sie wäre seinesgleichen oder überträfe ihn sogar. Dieser Eindruck, so verfehlt er war, hinderte ihn an den gebotenen Maßnahmen der kaufmännischen Vorsicht. ›Welche Botschaft hatte sie aus dem Krieg erlangt? Woraufhin wagte sie ihren ganzen Besitz an den so zweifelhaften Sieg des Königs?‹
Sie setzte auf ihn, weil sie ihn liebte. Wäre seine Niederlage viel gewisser gewesen, einzig gewiß war ihre Liebe. Längst erwiderte sie ihrem Herrn und darüber hinaus, was er ihr darbrachte aus dem Herzen: auch Monceaux, Schloß und Gebiet, war sein. Es zu begreifen, überschritt das Vermögen eines Zamet. Herr de Roquelaure, hinter der Tür, bewahrte jedes Wort der teuren Herrin für seinen König auf.
Zamet sagte zu Gabriele d'Estrées:
»Ihr Besitz ist keine fünf Säcke Gold wert, ich gebe aber sechs. Nicht Ihnen, ich will Ihr Pfand nicht. Dem König geb ich sie, in der Zuversicht auf seine Größe. Nach dem Sieg wird er dessen gedenken.«
»Das wird er«, verhieß Gabriele. Sie berührte die Hand des Schusters mit dem Fächer, was er als bedeutende Auszeichnung empfing und sah ihr versonnen nach, wie sie da hinging. Das Geld, das er auslieh, mischte ihn in die Schicksale der Menschen ein. Oft war es sein Vorteil, über sie nachzudenken.
An einem der Spieltische blieb sie stehen und verlor, dreimal. Zamet mußte sich eines Gefühles von Kälte erwehren. Als sie bei dem König anlangte, nahm er ihr die Maske ab, zeigte auch sein eigenes Gesicht und sagte: »Das sind wir«, worauf er seine Liebste vor den Leuten umfing und küßte. Seine Mitspieler, die alles an ihn verloren hatten, saßen vor dem Haufen Gold wie wächserne Puppen, Henri aber zerstörte den schönen Haufen; höchst angenehm klang und rann das Gold, und er sprach:
»Meine Herren, teilen Sie sich alles. Ich habe Sie meistens bemogelt; Sie sind mir bestimmt darauf gekommen und ließen es sich gefallen, weil Sie mich kannten, obwohl Sie mich nicht kennen durften. Wenn ich indessen verloren hätte, vielleicht wär es von schlechter Bedeutung gewesen. Ihr müßt wissen«, er erhob die Stimme, »daß es kaum noch zwei Stunden sind, bis ich mit euch allen in den Krieg ziehe.«
Da war die ganze Gesellschaft auf den Füßen und rief: »Es lebe der König!«
Dieser König verließ eine Gesellschaft selten ohne einen letzten Witz. Herhalten mußte Herr de Varennes, einst Koch, dann Liebesbote, zuletzt Edelmann, und an der komischen Szene, womit die teure Herrin gekränkt werden sollte, trug er die meiste Schuld. »Eine weiße Schürze und Mütze für Herrn de Varennes«, befahl der König. »Er soll mir einen Eierkuchen backen.«
Alsbald schnob und fauchte der Herd in der offenen Musterküche, wo zur Schau gearbeitet wurde. Herr de Varennes, weiß angetan, mit einer Mütze so hoch wie er, bereitete einen Eierkuchen, das war kein gewöhnlicher, übrigens erfand er ihn zu derselben Frist, denn es ging um seine Ehre. Er schnitt ein Stück Orangenschale hinein, auch etwas Ingwer, und mehrere Liköre spritzte er mit Schwung in das Gericht -- eine Flamme erhob sich daraus, fiel nieder, und der köstliche Duft versetzte alle Zuschauer in Entzücken. Sie belagerten die Küche; aber die ergriffensten Bewunderer des Meisters waren die Köche selbst, ihr Oberhaupt und seine Gehilfen. Im Zuge geleiteten sie Herrn de Varennes, als er die goldene Schüssel auf fünf Fingerspitzen forttrug zu dem Tisch, woran der König saß.
Herr de Varennes ließ sich auf das Knie, alle Köche knieten hinter ihm, von seiner Hand nahm der König die Schüssel, kostete das Gericht und nannte es sehr gut. Hier klatschte die ganze Gesellschaft in die Hände. Herr de Varennes stand auf und hatte seinen Ruhm zurück. Einige sagten ihm: »Mein Herr, ein solches Ding mißrät wohl auch. Der König hätte Sie trotzdem gelobt. Dieser König macht sich gern lustig, aber niemanden demütigt er.« Der Meinung war nach all dem auch de Varennes.
Der König und die Marquise verließen das italienische Haus des Schusters Zamet. Dieser verabschiedete sich von ihnen derart, daß seine zehn Fingerspitzen über den steinernen Boden seines Gartens streiften -- während seine Diener die Fackeln schwangen und Säulen oder geborstene Tempel vor- und zurücktaumelten ins Licht und in die Finsternis. Auf der Straße warteten die Pferde sowie die Sänfte. Neben dieser ritt Henri, er sprach hinein.
»Teure Herrin, mir ist keine Ruhe mehr vergönnt, Sie aber sollen schlafen. Ich bringe Sie zu meiner Schwester Kathrin und laß Ihnen hundert Wachen zu Ihrem Schutz.«
»Wären es auch tausend: mein geliebter Herr, reisen Sie nicht ohne mich! Hier bin ich nicht sicher.«
Unterwegs war es dunkel, aber er hielt ihre Hand, und fühlte an ihrer Hand, wie sehr sie sich ängstigte.
»Es geschieht, was Sie wollen«, sagte er sogleich. »Ich will dasselbe.« Da hörte er sie erleichtert seufzen. »Mein Herz«, sagte er in das Innere, das er nicht sah. Er hörte:
»Man soll nicht wissen, wo ich bin. Ich will Ihnen in aller Stille voranfahren.«
»Die künftige Königin flieht nicht«, erwiderte er, und er bestimmte: »Sie fahren unter der Bedeckung von zwei Regimentern, und mit Ihnen fahren die sechs Säcke, die ich Ihnen allein verdanke.«
Zur gleichen Stunde hatte Schuster Zamet die letzten Spieler, die nicht aufhören konnten, von seinen Knechten an die Luft setzen lassen. Das Haus war endlich leer, seine gesamte Dienerschaft sperrte er eigenhändig ein; dann stieg er hinab in seinen untersten Keller, er allein kannte den Zugang. Sechs schwere Säcke schleppte er, einen nach dem anderen, bis an die Oberwelt. Die Laterne hielt er mit den Zähnen. Er hatte schwache Schultern, breite Hüften, und auf den gewundenen Treppen seiner drei Keller brach er mehrmals zusammen; aber er schleppte.
Als alles oben war, setzte er sich auf seine Säcke, in Schweiß gebadet und nicht ohne Furcht um sein Leben. Sein Gespräch mit der hohen Dame war belauscht worden. Bevor nun die Leute des Königs die Säcke abholten, konnten Räuber sie mitnehmen, nachdem sie ihn erschlagen hatten. Er hatte alles Licht verlöscht bis auf seine Laterne, die er mit seinem Rücken verstellte, und vor die Haustür hatte er sowohl Ketten als eiserne Stangen gelegt. Während der peinlichen Erwartung kamen ihm Gedanken -- ach, nichts mehr von der vorigen Genugtuung über sein adeliges Verhalten, keine Spur der Zuversicht in die Größe des Königs. ›Der siegt nicht‹, dachte Schuster Zamet.
›Darf auch nicht siegen‹, dachte er. ›Ich mache einen schweren Fehler. Der florentinische Gesandte, dessen Vertrauter ich bin, wird nach Haus berichten, daß ich die spanische Sache verraten habe. Womit er übertreibt, ich dien ihr schon. Wie sollt ich nicht Habsburg dienen, in seinen Ländern arbeitet mein Geld. Sie werden es hier noch spüren, wie mächtig Habsburg und mein Geld sind. Warum hab ich mich nur hinreißen lassen und adelig gehandelt. Niederträchtige Geschäfte macht man, oder gar keine. Herr, o Herr, gib, daß es diesmal noch gut geht!‹
Da Minuten verstrichen waren, er hielt sie aber für Stunden, verlegte Schuster Zamet sich aufs Beten.
In sein Geplapper hinein wurde draußen ein verabredetes Wort gerufen. Es waren die Leute des Königs.
Die Regimenter, die der Masse des Heeres voran nach Norden marschierten, wurden befehligt von Marschall Biron, dem Sohn. Dieser Mann ohne Feingefühl, gegen die teure Herrin des Königs verhielt er sich musterhaft. Er war dickköpfig und sollte aus bloßer Verstocktheit noch zum Verbrecher werden. Klein war er nicht, blieb immer der Sohn eines eigenartigen Vaters und hätte den König mit seiner Truppe wohl überfallen, gesetzt, die Dinge lägen derart. Niemals wäre er davon abgewichen, Madame d'Estrées zu ehren und zu beschützen.
Voran Kanonen, dann Fußvolk, darin eingeschlossen ein eiserner Kasten auf Rädern, sie fuhren die sechs Säcke Gold. Die Reiterei, in ihrer Mitte die zweite Kostbarkeit, ein Reisewagen. Dann wieder Infanterie, dann wieder Bombardiere -- derart bewegte sich diese Heeresschlange den ersten Tag bis Pontoise. Biron wäre auch nachts marschiert; einzig das unschätzbare Wesen, das er bewachte, ließ ihn haltmachen, so beteuerte er oder gab es vor. Gegen Abend war er immer öfter an ihren Wagen herangeritten und hatte nach ihrem Befinden gefragt. Sie wünschte in ihrem Wagen zu schlafen und die Nacht hindurch zu reisen. Dennoch wurde ihr das Zelt errichtet.
Der Morgen erhellte, daß der vordere Teil der Heeresschlange fehlte. War aufgebrochen, die Provinz Ile de France hinter sich zu bringen und mit ehestem die Provinz Picardie zu erreichen. Gabriele hatte verschlafen, da keine ihrer Frauen sie aufweckte. Sie erschrak sehr, als sie den Marschall verlangte und statt seiner ein Briefchen bekam. Es war galant und besagte, daß ihm zu seinem großen Ärger und Gram nicht länger vergönnt sei, die Reise der Allerschönsten anzuführen. Mußte leider vom Weg ab die Garnisonen einsammeln und mitnehmen. Daß nur die anbetungswürdige Dame ohne Sorge sei Wegen der Treue ihrer Truppe. Alle Mann hoch würden sie sich für den teuersten Schatz des Königs in Stücke hacken lassen. Die allergnädigste Frau, bat Marschall Biron zum Schluß, möge nicht eilen, sondern verweilen. Nächstens würden mehrere Herren zu ihr stoßen. Über der neuen Begleitung doch seiner nicht zu vergessen, ersuchte sie ihr gehorsamer Biron.
Sie forschte vergebens, wer beim Heer erwartet würde. Ungeachtet der plumpen Huldigung des Marschalls versprach sie sich von einem Aufenthalt nichts Gutes. Der König konnte, während sie schlief, an ihr vorbeigaloppiert sein, in dunkler Nacht und allein, um sie früher einzuholen; aber weil ein Gehölz die Lichter des Lagers abhielt, war er vorbeigaloppiert. Hatte sie nun ihn nicht und war er nicht bei ihr, dann fürchtete sie auch schon Feinde, die hinter ihr wären und sie fangen wollten. Sie kannte zuviel Haß; brauchte nur die Augen zu schließen, dann sah sie Gesichter: ach! ihr Tod stand darin beschlossen. Es hatte aber Zeit damit, bis jetzt griff sie vor. Aus Paris kam sie als eine andere. Fortan ist ihre Mitgift die Furcht, wird nie ganz zerstreut, zuweilen schwillt sie an, und nur mit der Hand des Königs in ihrer Hand kann Gabriele gestillten Gemüts und sicher sein.
Sie befahl den Aufbruch, erlaubte auch nicht, daß übernachtet würde, sondern nach dem Essen und kurzer Ruhe mußte der Marsch weitergehen. So machte sie mit der Truppe bis nächsten Abend die Strecke vom Fluß Oise zu dem Fluß La Somme, wo Amiens liegt und das Heer des Königs stand. Wie denn, er selbst wäre nicht hier, war abgezweigt, hätte sie allein gelassen? Nach Tagen der schlimmsten Unruhe schrieb er ihr, daß er einen Handstreich auf die Stadt Arras versucht habe, umsonst übrigens; aber er greife lieber an, als daß er's dem Feind erlaube, und Furcht -- nur er selbst wollte Furcht verbreiten dadurch, daß er überall zugleich wäre.
Das beschämte die Frau sehr. Ihr Herr war guten Mutes, wo es um sein Königreich ging, für sie nur um ihr weniges Leben. Sie beschloß, als Königin zu handeln und gesinnt zu sein. Zu derselben Stunde erschienen die Herren, die Marschall Biron ihr angekündigt hatte. Es waren große Herren, besonders der Herzog von Bouillon, daneben sein Freund de la Trémoïlle: beide Protestanten. Ihr erster Schritt war zu Gabriele d'Estrées. Beide glaubten, daß auch sie von der Religion wäre. Der Meinung waren sie, weil sie wußten: der Hof haßt Gabriele, und ihre Freundin ist Madame Schwester des Königs.
Das Zelt hielt die Mitte des Heerlagers auf einem Hügel zunächst dem Fluß. Der protestantische Fürst hatte sein eigenes Regiment herangeführt, mit ihm umstellte er den Hügel. Marschall Biron erfuhr davon zu spät. Das Zelt war außen Leder, sein Inneres mit Geweben gelb und silbern ausgeschlagen. Oben wehte der Wimpel des Königs, sein Weiß und seine Lilien. Die Frau des Königs wollte auf keinem niedrigen Kissen ruhen, nahm vielmehr den höchsten Sitz ein, und so empfing sie diese Herren.
Turenne, jetzt Herzog von Bouillon, war stattlich geworden seit der frühen Zeit, als er den jungen König von Navarra begleitet hatte auf seiner Flucht nach langer Gefangenschaft im Louvre und auf seinem ersten freien Ritt durch das Königreich, das Henri dereinst gewinnen sollte. Damals versammelte Henri seine Ersten -- es war in waldiger Gegend auf einer Lichtung. Die Schatten des Himmels ordnen sich zeitweilig, so daß sie über die vordere Ansicht fallen und auch den Hintergrund bedecken. In bestrahlter Mitte, breit flutendem Licht, winkt Henri einen nach dem andern zu sich. Mit jedem steht er einmal allein, umhalst ihn oder schüttelt ihm beide Schultern oder drückt seinen Arm. Es sind seine Ersten. Wäre er wissend, dann erkennte er in den einzelnen Gesichtern ihre künftige Bedeutung, sähe im voraus ihren letzten Blick und wäre ebensooft erschüttert als entsetzt.
Turenne, jetzt Herzog von Bouillon, damals nur ein Fant, war vor seinen König von Navarra hingekniet, falls es knien heißt, locker den Boden zu berühren und schon einen Sprung in die Luft zu tun vor lauter Leichtigkeit. Hier in das Zelt trat ein Mann von ansehnlichem Umfang der Person, mit einem stolzen Gesicht, das gewohnt ist, auf Kniende herabzusehen. Der dient nicht, ist selbst ein Herr und hält es mit dem König von Frankreich nur, sofern der ihm nützt, sonst aber mit anderen. Schuster Zamet ist nicht durch Erbschaft der Herzog von Bouillon geworden: der Unterschied sei festgehalten. Auch desselben unentwegten Selbstgefühles darf Schuster Zamet sich nicht rühmen. Gleichwohl, aus kleinen Leuten werden große.
Turenne und hinter ihm de la Trémoïlle verbeugten sich nach Gebühr vor der künftigen Königin von Frankreich. Damit nicht genug, erklärte der Herzog von Bouillon ihr mit Kopfnicken und einem Blick des Einverständnisses, daß er sie anerkenne und die Kunst, im Leben vorwärtszukommen, beherrsche sie beiläufig wie er selbst. ›Oder wie Schuster Zamet‹, dachte hierzu Gabriele, der die beiden mißfielen. Herr de la Trémoïlle äußerte geradheraus, was sein Freund nur zu verstehen gab.
»Madame, das müßte Ihre Familie sehen: der Wimpel des Königs auf Ihrem Zelt. Respekt, Respekt. Daß die Frau Mutter es nicht erlebt hat!«
Anzüglich und geschmacklos, Herrn de la Trémoïlle war die Rede erlaubt, weil er komisch war. Dies ohne sein Dazutun; er bewegte keine Miene. Seine Länge und Hagerkeit, die schiefe Nase falsch angesetzt, der gewaltige Bart, besonders die Augen wie Kohle und zu eng beisammen, all und jedes sprach für eine besonders düstere Persönlichkeit. Kaum öffnete der Mann den Mund, war es damit aus. Man erwartete eine tiefe, furchtbare Stimme, es kam aber das Genäsel und Gequäke eines Spaßmachers vom Jahrmarkt. Die Bildung seines Mundes und wohl auch ein Gebrechen der Nase verboten es dem Herrn de la Trémoïlle, wie ein Edelmann zu sprechen. Er machte aus der Not eine Tugend und verhielt sich im ganzen nach der Beschaffenheit eines einzelnen seiner Organe.
Gabriele, mit Menschen jetzt schon erfahren, begriff sogleich, welch ein gefährliches Werkzeug die Stimme dieses Menschen wäre für Verstellung und Niedertracht aller Arten. Das hinderte nicht, daß sie über Herrn de la Trémoïlle lachte, sooft er den Mund auftat.
»Da fällt mir ein: wir suchen den allerhöchsten Herrn«, sagte de la Trémoïlle, wobei er die Glieder zum Klettern bewegte, da der Gesuchte hoch oben weilte.
Gabriele lachte herablassend; der Spaß war leider unpassend, mit jedem Wort wurd er es wahrscheinlich mehr. Wäre nicht dies zu befürchten gewesen, wie gern hätte sie sich wieder einmal kindlich belustigt.
Herr de Turenne beruhigte ihr Mißtrauen, er rühmte den König. Wo immer der König auf seiner Reise vorbeikam, belebte er den Mut der Bevölkerung, stärkte ihren Widerstand und sicherte die Städte gegen den Feind. Daher natürlich mancher Aufenthalt. ›Die Frau Marquise muß Geduld mit ihm haben‹, setzte er hinzu und meinte hiermit vieles: auch die Heirat Gabrieles, auch ihre Krönung. Sie verstand seinen bedeutsamen Blick und hielt ihn aus. Als ihre Hand ihn das zweitemal aufgefordert hatte, geruhte der stolze Fürst, einen Stuhl zu nehmen. Der Stuhl war niedriger als der Sitz der künftigen Königin.
»Ich stehe«, sagte dagegen Herr de la Trémoïlle. »Will auch nicht niedersitzen, solange mein Herr und Gebieter wegen der Unbequemlichkeit zu Bett liegen muß.«
»Der König ist krank?« Sie hätte sich nicht verraten dürfen, kam aber vor Schrecken im Sessel auf, die Hände um beide Armlehnen. Da die Fremden jetzt wußten, daß Gabriele ohne Nachricht war, sahen sie schnell einander an, worauf Herr de la Trémoïlle zu quäken begann.
»Die Nieren. Die Nieren drücken ihn, so steht es mit dem Herrn. Die Verrichtung wird ihm schwer.« Der Komiker wendete seine vordere Seite gegen die Wand, wahrhaftig wollte er die Verrichtung vornehmen. »Au weh!« stöhnte er. »Geht nicht. Indessen ist dies Organ für schönere Zwecke geschaffen.« Der düstere Spaßmacher fuhr herum, der Dame ins Gesicht quäkte er: »Und daran fehlt es bei dem König nicht, wie allgemein bekannt.«
»Nein«, erwiderte sie ruhig. »Daran fehlt es nicht. Auch das andere ist in bester Ordnung. Sie, mein Herr, lügen.«
»Wir wollen es hoffen«, sagte Turenne anstatt seines Freundes, der einfach auf seine schiefe Nase schielte. »Das Gerücht wird falsch sein. Andererseits erinnert es uns, daß die Krankheiten eines Königs seinen wichtigen Entschlüssen zuvorkommen können.«
Gabriele hörte und wartete. »Seiner teuren Herrin hat er den Thron versprochen -- oft und oft«, betonte Turenne, »darin irr ich schwerlich. Allerdings nicht öfter, als er uns Protestanten unsere Rechte und Freiheiten zugesagt hat, und erfüllt hat er noch nichts, weder uns noch Ihnen, Madame.«
»Ich vertrau ihm«, sagte Gabriele. »Vertrauen Sie dem König, er erfüllt alles zur rechten Zeit.«
Turenne: »Die rechte Zeit ist jetzt. Denn er will Amiens zurückholen und eines sehr bösen Feindes ledig werden. Ein Fürst wie ich gebietet aus eigener Hoheit, und Verbündete jenseits der Grenze hab ich, die sind von meiner Religion. Ich kann dem König ein Aufgebot von Truppen zuführen oder keine und werde wählen nach meiner Schuldigkeit gegen mich selbst und die Religion.«
Gabriele: »Mehr gegen sich selbst, so scheint mir.«
Turenne: »Madame, verstehen Sie Ihren Vorteil so schlecht, wie Sie vorgeben? Um unserer Religion zu helfen, helfen Sie sich zuerst!«
Gabriele: »Was verlangen Sie von mir?«
Turenne: »Daß Sie dem König vertraulich zureden und nicht nachlassen, bis er ein Edikt verordnet, wodurch im ganzen Königreich die Protestanten den Katholischen gleichgestellt werden. Sollen ihren Gottesdienst halten überall, da gegen bleibt in ihren festen Plätzen die Messe verboten.«
Gabriele: »Das hat er nie versprochen.«
Turenne: »Aber handeln wird er jetzt, wie die Not ihm gebietet.«
Gabriele: »Er wird nicht, denn die Not sieht aus wie Sie und trägt Ihren Namen, Herzog von Bouillon.«
Turenne: »Heut oder nie erreich ich, daß der König meine Hoheit anerkennt und mein Gebiet unabhängig wird von seiner Macht. Pflücke den Tag.«
›Wenn du Verräter nur diesen Tag hast, ich habe ihrer viele‹, dachte Gabriele -- beschloß aber hier, aus ihrem wahren Innern nichts mehr hervorzubringen, sondern leere Worte zu machen und den andern kommen zu lassen.
»Schön und gut«, sagte sie. »Nun ich. Wo bleibt in der Rechnung meine Sache?«
Er nickte gnädig: »Wir fangen an, uns zu verstehn. Madame, Sie wollen den Thron von Frankreich besteigen. Es gibt viele, die Sie eher töten werden, als Sie hinaufzulassen.«
Gabriele entgegnete fest: »Keiner meiner Feinde ist stärker als das Glück des Königs. Hier vor Amiens entscheidet das Kriegsglück meine Sache.«
»Und über das Glück entscheiden wir.«
Turenne betrachtete die schöne Frau, als ob er sich ernstlich die Mühe nähme, ihr Schicksal zu bedenken.
»Sie drehen im Kreis, Madame.« Er legte den Kopf von einer Seite auf die andere, um sie besser zu sehen. »Es ist schade um Sie. Verkennen Sie nicht länger Ihre Partei, das sind die Protestanten. Sie haben Freunde, die bereit sind, die Hand unter Ihren Fuß zu halten, damit Sie sich aufschwingen können.«
Dies führte Herr de la Trémoïlle sogleich vor. Er kniete hin, nahm behutsam einen Fuß Gabrieles und setzte ihn auf die ausgestreckte Fläche seiner Hand. Sie ließ es geschehen, vergaß auch vorläufig ihre Absicht, kalt zu bleiben. »Ist es wahr?« fragte sie angelegentlich.
Der Hausnarr im Bart hob ihren Fuß von dem Teller der Hand bis auf die Spitzen der Finger. Von hier ließ er ihn fallen, und ihre Sohle traf seinen gebeugten Schädel, eine Platte erstreckte sich darüber.
Der stolze Turenne wies hin, er sagte nur: »Wie Sie es sehen, Madame.«
Jetzt tat sie geschmeichelt und überzeugt, hatte aber erkannt, daß diese Freunde gefährlich waren. Herrn de la Trémoïlle bat sie, seine unbequeme Stellung zu verlassen. Was er meinte, habe er unverkennbar ausgedrückt.
»Die Protestanten helfen mir hinauf, und ich ihnen. Stürz ich dann ab, trifft es sie selbst, und mehr als ein Kopf könnte fallen.« Sie zeigte auf den Glatzkopf.
Die beiden schwiegen verdutzt; so weit waren sie noch nicht in ihrer Voraussicht gegangen. Es war aber eine Anzeige, an die sie denken sollten.
»Unser Bündnis birgt Gefahren für jeden von uns«, sagte sie. »Ohne Umschweife, wir verraten den König.«
»Dasselbe tut er selbst, an uns und Ihnen«, sagte Turenne, wobei er aufstand. Seine Verbeugung war lässig, sein Abgang nicht ernst gemeint. Er kehrte zurück, näher an Gabriele als zuvor, sprach auch hinter der vorgehaltenen Hand, wie Schuster Zamet.
»Madame, unser Risiko übernehmen wir. Wie hoch schätzen Sie Ihr eigenes ein? Zehntausend Pfund jährlich, so will ich es berechnen. Sie bekommen diese Pension von der Partei der Protestanten, und ein reicher Fürst bürgt Ihnen für pünktliche Zahlung.«
Gabriele wußte nicht gleich, wie ausweichen. Der Spaßmacher half ihr. Er machte einen Marktschreier, dessen Stimme er schon hatte. »Acht und einen halben Groschen zum ersten, wer bietet mehr?«
»Man muß mehr bieten«, bestätigte Gabriele. Sie verabschiedete die beiden mit einer Bewegung, die unwiderruflich war; wendete das Gesicht ab und rief nach ihren Frauen.
Am Fuß des Hügels nahm Turenne sein Regiment wieder mit.
»Sie haben recht, nichts dazulassen«, stieß Herr de la Trémoïlle durch seine außerordentliche Nase. »Diese Person wird ihrem Hahnrei kein Wort sagen. Ich habe eine Ahnung, daß sie ihn liebt, wie Penelope den Ulysses.«
»Ich habe eine Ahnung, daß sie auf das Geld bedacht ist, wie nur noch Herr de Rosny«, erklärte Herr de Turenne.
Beide sahen um nach dem erhöhten Zelt mit dem Wimpel des Königs.
Als er eintreffen sollte, kam seine teure Herrin, ihm zu Pferd entgegen. Im Sattel umarmten sie einander. Ihr Gespräch aber bei diesem Ritt hatte nichts von dem Gefühl.
»Sire!« begann Gabriele. »Sie sollen wissen, daß der Herzog von Bouillon und andere protestantische Herren entweder für Sie kämpfen oder abziehen wollen, je nach Ihrem Verhalten.«
»Sie wollen mehr Macht unter dem gewöhnlichen Vorwand, ihre Religion verlange mehr Freiheit. Seien Sie unbesorgt, mein teuerstes Gut! Ich bin entschlossen, die Religion zu befreien, ihre Parteigänger aber, die sich mehr Macht nehmen, will ich einsperren.«
»Sire, mein geliebter Herr, seien Sie auf Ihrer Hut, vor denen von der Religion und vor mir. Das ist meine Partei und will Sie nötigen, mich zu Ihrer Königin zu machen.«
Er sah sie an, die Augen aufgerissen von Bewunderung und Erstaunen. So wies sie ihre Partei zurück und vertraute nur ihm. Ihr reizendes Gesicht war nicht bemüht, ihm ihre Scham und Erregung vorzuenthalten.
»Was noch mehr, mein teuerstes Gut?«
Sie schwieg, bis das Lager erreicht war. In ihrem Zelt gestand sie:
»Sire, mein geliebter Herr, ich sollte gegen Sie mit Geld verpflichtet werden.«
»Lohnte es?« fragte er, und da sie die Höhe des Angebotes genannt hatte, riet er ihr, es anzunehmen. »Wenn eine Kasse schon wieder zur Neige geht, ist alles willkommen.«
Sie holte aber einen Sack hervor, stellte ihn auf den höchsten Sitz im Zelt und führte ihren Herrn davor hin.
»Ich habe mein Eigentum verpfändet. Schuster Zamet gab mir diesen Sack. Mehr bin ich nicht wert. Wie ich bin, gehör ich Ihnen bis in den Tod, mein Herr und mein Herz.«
Dies war ihr Geständnis, er hatte keines dem gleich vorher bekommen. Da sie sogar niedersinken wollte, umfing er sie fest. Stieß von dem hohen Sitz den Sack, der klirrte, und hinauf hob er die Frau.
Sein Rosny brachte ihm gleichfalls Geld zum Kriegführen, nur ging es anders vor sich. Jeden Monat, solange die Belagerung von Amiens und dieser Feldzug währten, erschien Herr de Rosny mit einem der großartigen Geleite, auf die er hielt, und hatte nochmals hundertfünfzigtausend Taler herausgeschlagen: von den Mitgliedern des Parlaments, von reichen Herren, wohlhabenden Bürgern, besonders aber von den Steuerpächtern. Diesen drohte er mit der Untersuchung durch eine Justizkammer, sofort verglichen sie sich. Der großartige Zug mit zahlreicher Bedeckung des Schatzes konnte abgehen, Kanonen, Fußvolk, wieder Geschütze, Herr de Rosny in einem Viereck entfalteter Fahnen, vor ihm Kanonen, die Kasse hinter ihm, und er der Herr über beides. Er war leicht gepanzert, trug um den Hals die zarten Spitzen einer Dame, und seine goldene Schärpe wurde auf der Schulter von einer Klammer geschlossen, die funkelte groß und blitzte weithin.
Dem König berichtete er von den Versuchen, ihn zu bestechen. Er selbst war gegen sie gewappnet, andere weniger. Die eigene Tante der teuren Herrin, Madame de Sourdis, hatte Geschmeide eingesteckt von einem Finanzmann, der übrigens dreist genug gewesen war, auch bei Madame de Rosny einen Diamanten im Wert von sechstausend Talern liegenzulassen. Das sollte er nicht noch einmal wagen. Herr de Rosny hatte es dem Verderber der Geldmoral alsbald abgewöhnt. Was verdankte der König, vom Geld ganz abgesehen, seinem treuen Diener nicht. Wie war er ohne ihn durchgekommen. Herr de Rosny schloß Verträge mit Schlächtern und ernährte zwanzigtausend Mann. Herr de Rosny errichtete bei den Heeren, was sie nie vorher gekannt hatten, musterhafte Ambulanzen und rettete ungezählte Verwundete.
Damit er nicht überhandnähme, mußte Henri seinen unvergleichlichen Diener daran erinnern, daß der König selbst nicht mehr am Leben wäre ohne die Tat eines einfachen Soldaten. Sein Landsmann, ein Gascogner, wer weiß wie unter die Verteidiger der Festung geraten -- von der Mauer herab hat er gerufen? »He! Müller von Barbaste.« So nannten sie ihn in seiner alten Heimat. »Vorsicht! Mieze kriegt gleich Junge«, rief der Gascogner in seiner Sprache, die hier nur Henri verstand. So erfuhr er, daß er auf einer Mine stand, die hätte ihn zerrissen, war er nicht fortgesprungen.
Da er lebte und zu Pferd saß, bekam er endlich auch Amiens. Mehr als drei Monate kostete die Arbeit, nicht gerechnet seine Reisen nach Paris, wo er Reden wie Blitz und Donner halten mußte, sonst versagte seine Hauptstadt. Der Kardinal-Erzherzog Albrecht von Österreich wurde zuerst geschlagen, dann fiel Amiens. Er wurde geschlagen und aus dem Königreich vertrieben, um es niemals wieder zu erblicken: dies durch die erworbene Kunst eines Feldherrn, der wie ein Parma gelernt hatte, den gewagtesten Schlachten auszuweichen. Sondern er verbrauchte den Gegner in Gräben, auf Schanzen, mit Minen und Gegenminen. Als für den Kardinal die Hilfe aus Niederland ankam, war er selbst schon zu schwach, ließ sich schlagen und zog ab. Die Hilfe war gering gewesen. Warum gering? Henri hat, lang ist es her, in seinen Gedanken den Punkt berührt, da das ganze Römische Reich sich gegen ihn in Bewegung setzen wird. Der Punkt ist überschritten.
Nichts ist geschehen, als daß er eine seiner Städte zurückgenommen und dem alten Don Philipp eine Niederlage beigebracht hat: es wird die letzte sein, der Alte will Frieden schließen. Der Friede, sechsundzwanzig Jahre bestand er kaum oder gar nicht, bald umging, bald brach man ihn. Jetzt soll er zu Papier gebracht werden, was ihn unverletzlich machen wird, die mächtigsten Heere vermöchten es nicht. Er wird besiegelt werden: in das brennende Wachs fließt die Ehre der Könige ein. Er wird beschworen werden, dabei steht Gott.
Was heilig und endgültig sein soll, verlangt Weile. Bis die Gesandten mit ihren Aufträgen und Vollmachten unterwegs sind und die Verhandlungen beginnen können: König Henri erwartet sie in Unruhe. Läßt Habsburg seinen alten Philipp, lange genug Weltbeherrscher, wirklich allein? Bis sie unterwegs und da sind, stündlich empfängt er über sie Bericht, täglich handelt er, damit sein Sieg die entschiedene Tatsache wird, und ihn zu bestreiten, bleibt nichts übrig.
Noch in seinem Lager vor Amiens ernannte er Rosny zum Großmeister der Artillerie. Dies nicht ohne Nötigung von seiten des besten Dieners. Seine Verdienste ließen dem König keinen Ausweg mehr, auch seine strenge Miene nicht, so oft Herr de Rosny erwähnte, daß er nach allem ohne Amt und Titel wäre: ein Generalintendant der Finanzen, der nicht so hieß, aber Großmeister war nach wie vor Herr Jean d'Estrées, ein unnützer Greis, wennschon der eigene Vater der teuren Herrin. Diese war es zufrieden, daß der König ihrem Vater die Großmeisterei abkaufte. Viel Geld, und kam auch wieder an die bekannte Familie; das ergab einen neuen Vorwurf des besten Dieners gegen Gabriele. Sie hatte seine Gesinnung zu mildern gehofft. Nein, ihre Nachgiebigkeit stimmte Herrn de Rosny ihr feindlicher, und dasselbe hätte ihr Widerstand getan.
Der König aber erhob vor Amiens seine Liebste zur Herzogin von Beaufort. Das war die Beglaubigung seines Sieges und war das öffentliche Zeugnis, daß seiner Liebsten zum Thron nichts fehlte als der letzte Schritt. Sein Glück deshalb war reiner als das ihre. Um sie her wuchsen fortwährend die Gefahren an; sie spürte ein böses Tasten nach ihr. Keinen Tag mehr durfte sie ohne den König sein, und mocht ihm doch ihre Furcht nicht zeigen. Er hat seine Zeit der Freude, des schnellen, leichten Aufstieges zur Größe, zum Besitz. Auch damit, o arme Schönheit, steht es nicht einwandfrei wie du denkst. Er hütet sich wie du und sucht mit Umsicht seinen Weg. Aber wahr ist: er hat gesiegt, diese Weile kann niemand ihm an.
Henri schrieb: »Tapferer Crillon, häng Dich auf, daß Du Montag nicht dabei warst. So schön trifft sich's vielleicht nie wieder, glaube mir, Dich hab ich hergewünscht. Der Kardinal kam bei uns an mit rotem Kopf, aber als er sich davonmachte, war er abgeschwollen. In Amiens bleib ich nicht, muß ein Ding unternehmen.«
Gabriele schrieb: »Madame, meine große Freundin! Ihr lieber Bruder, mein teurer Herr, ist auf Erden der mächtigste König. War es möglich, daß seine Hauptstadt mich verkennt, und sogar an seinem Hof ginge ein Name um, wahrhaftig, den Schimpf verdien ich nicht. Madame, ich lasse nicht ab und will den König durchaus besänftigen wegen des Grafen von Soissons, dem er zürnt. Unser Freund war schlecht beraten, als er seine Truppen von den Königlichen fortnahm, und vor der Schlacht zog er ab mitsamt dem Herzog von Bouillon, der ein schlechter Protestant ist. Sonst war er treu wie Sie. Hiernach, Madame, sagen Sie mir, wenn es Ihnen beliebt: Wie wollen Sie mich aufnehmen, und sind Sie meine große Freundin?«
Kathrin schrieb -- setzte aber erschrocken die Feder ab. Beinahe wäre herausgeflossen: »Herzogin von Schweinsheim«, der Name, der überall zu hören war, und die Leute fanden ihn geistreich. Nicht allen war Gabriele gleich verhaßt. Die einen sprachen nach, was ihnen witzig schien oder was in Mode war. Andere sahen keinen Grund, sich selbst Feinde zuzuziehen, wenn sie die Partei der Unbeliebten nahmen. Die nüchternsten vermieden den anstößigen Namen. Madame de Sagonne begnügte sich, ein Gesicht zu schneiden, wenn auf Gabriele die Rede kam; auch das Gesicht wurde schnell zurückgenommen. Es ist noch weit bis zur Hatz und dem Halali. Im Gegenteil, wer nüchtern ist, sieht für die teure Herrin eine nächste Erhöhung voraus. Die Hälfte des letzten Schrittes wird sie tun, und nur den ganzen nicht. Man vermeide, voreilig die Beziehungen zu trüben!
Kathrin schrieb: »Frau Herzogin von Beaufort, meine liebe Freundin. Ich bin mit Ihnen so zufrieden, daß ich Ihre Rückkehr kaum erwarten kann, um Sie auf beide Wangen zu küssen. Sie haben bei meinem lieben Bruder, dem König, gehandelt und ihn beraten, als hätt ich es selbst getan. Sie rühmen sich nicht, aber ich kenne Ihren Auftritt mit Herrn de Bouillon. Weiß auch, daß gerade nach dem Abzug des schlechten Protestanten der König einen besseren zu sich berufen hat. Ich spreche von Herrn de Mornay: seine neue Gunst bei unserem Herrn ist Ihr Werk. Liebste, Sie wissen es nicht. Denn Sie sind reinen Herzens und berechnen nicht, wenn Sie der Religion dienen. Wir aber wollen für Sie beides: beten und berechnen. Ich vertraue Ihnen an, daß die Prinzessin von Oranien hier ist und still in meinem Hause lebt. Sie hat so viel Leiden und Kampf bestanden, daß ich in ihrer Gegenwart meine Fehler bedauere, lägen sie auch in meiner Natur und wären unverlierbar. Den Grafen von Soissons sehe ich nicht während der Zeit; er bereut sehr, daß er vor Amiens mit seinen Truppen den König verlassen hat. Wir sind schwach. Aber Madame d'Orange, die stark und fromm ist, nennt meine Freundin Gabriele eine tugendhafte und gute Christin.«
Henri schrieb: »Herr Du Plessis! Der König von Spanien will mit mir Frieden machen, tut auch gut daran. Ich hab ihn geschlagen mit zwanzigtausend meiner Truppen, davon viertausend Engländer, dank der Freundschaft der Königin Elisabeth. War doch gut, daß ich jemand hatte, Herr de Mornay, der besaß ihr Vertrauen wie er meines besitzt, und könnt uns wieder zusammenbringen. Zum Zeugnis meines Vertrauens schicke ich Sie jetzt in meine Provinz Bretagne, damit Sie Herrn de Mercœur zum Verhandeln bewegen. Er ist in schlechter Lage, seine Leute fallen ab. Jetzt kann er von mir noch Geld erlangen für die Herausgabe meiner Provinz: nach meinem Frieden mit Spanien nichts mehr, sondern ich komme mit der Armee. Zeigen Sie Ihre Kunst, Sie waren immer mein Diplomat -- haben auch schon erraten, wie ich es mit der Religion meine und allernächstens beweisen will. Als jemand mich in die Lippe stach, habt ihr alle es für eine Warnung angesehen. Wollen wir's glauben, besonders, da es nicht die einzige geblieben ist; sondern so vernünftig ich immer denken und handeln mag, gewisse Erscheinungen, die mir begegnen, widersprechen der Vernunft. Ich zog in meine Stadt Amiens ein, da stand an meinem Weg ein Galgen und hing daran ein längst Gerichteter. Man hatte ihn aber, mir zu Ehren, neu bekleidet mit einem weißen Hemd. Verwester Leib, und angetan, als wenn die Toten auferstehen. Ich behielt mein Gesicht. Anders mein Marschall Biron: so stark er ist, der Gehenkte setzte ihm heftiger zu. Er mußte sein Pferd nach einem Haus lenken, fiel im Sattel gegen die Mauer und die Sinne schwanden ihm.«
Mornay ist nun selbst ein Wiedererstandener, einige erschrecken vor ihm wie Biron vor dem Gerichteten im frischen Hemd. Mercœur, der letzte aus dem Hause Lothringen, der in einem Teil des Königreiches noch die Macht hat, gibt sie auf: erstens weil er muß, und spanische Landungen an der bretonischen Küste, so viel er damit droht, er weiß am besten, daß er sie vergebens erwarten würde. Aber Mercœur wird die Macht schneller fahren lassen als nötig, wenn vor ihm Mornay stehen wird. Noch hat Mercœur ihn in seinem Schlosse nicht, er erwartet die Ankunft des Königlichen Gesandten.
Dieser Mornay hat aus dem kleinen Navarra einen großen König gemacht -- sofern Henri es nicht selbst besorgt hätte. Das zuzugeben ist ein Lothringen am wenigsten geneigt. Eher rät er auf die Außerordentlichkeit eines Mornay. Hat der fertiggebracht, die Königin von England zurückzugewinnen nach ihrer zornigen Abkehr von dem treulosen Glaubensgenossen -- welche Beschwörungen wird er noch vornehmen an Verlorenen und Toten. Eh daß man es denkt, entsteigen ihren Gräbern der Admiral von Coligny, die Ermordeten der Bartholomäusnacht, die gefallenen Hugenotten der alten Schlachten. Warum nicht, waren doch die Überlebenden ebenso gewiß im Boden versunken, mit den Protestanten schien es aus für immer. Ein bekehrter Ketzer wie dieser König, die Seinen darf er am wenigsten zu sich rufen.
Hat aber jetzt diesen Mornay gerufen, das ist der Anfang. Der bekehrte Ketzer geht zweifellos damit um, die Protestanten einzusetzen in Rechte: vor ihm hätten sie selbst sich so viele nicht angemaßt. Wer will ihn hindern, er ist Sieger über Spanien. Zuerst wird er die Ketzerei groß einsetzen, dann erst gewährt er der Katholischen Majestät den Frieden.
Der Herzog von Mercœur betrachtete alles, was geschah, als schlechthin ungeheuer, gegen die Ordnung und die heiligen Vorrechte, übrigens hielt er es für mehr oder weniger unbegreiflich, wenn nicht dämonisch. Ein König stürzt vieles um und siegt immer. Ehrwürdige Einrichtungen, er beseitigt sie, die größten Familien, zuletzt Haus Lothringen, er geht über sie hinweg: über meinen Bruder Guise, den Liebling des Volkes, meinen dicken Bruder Mayenne, jetzt endlich über mich, der ich auf diesem entferntesten Vorsprung des Festlandes sitze und infolge meiner langen Dauer schon geglaubt hatte, ich wäre ewig wie der Ozean oder wie die Weltmacht. Die Weltmacht stellt sich nunmehr als vergänglich heraus, ich selbst muß anfangen, mich zu bezweifeln, und daher wird bald auch der Ozean sich zurückziehen. Dies Schloß wird auf dem Trockenen sitzen.
Noch stürmten die Wellen mit ihrem gewohnten Getöse die Felsen, die das Schloß trugen, und flossen durch eiserne Gitter bis in seine untersten Verliese. Der Herr hier oben öffnete das Fenster; das Lärmen seines Meeres war ihm angenehm, es sollte ihn mahnen, wer er war, wenn jetzt der Protestant mit königlichem Geleit in dieses Zimmer trat. Der Herzog hatte sich vorgesehen. So viel Geleit der Gesandte mitbrachte, so viele sollten von seinen eigenen Leuten links und rechts durch die Türen dringen. Der Herr des Meeres war eigen geworden, nicht gerechnet, daß er der Bruder der Furie Montpensier war. Indessen bemerkte er, wie sein Hofmarschall ihm von draußen ein Zeichen gab, worauf er bis auf einen schmalen Spalt die Tür schloß. Mercœur fuhr um; im Saal stand nur einer, der Protestant.
Der Protestant blickte ruhig, während der Herr aus großem Hause, obwohl vom Licht abgewendet, mit den Lidern schlug. Schnell war er gefaßt, hatte den Mann dennoch begutachtet und winkte ihm, näher zu treten. Mornay wartete, bis der Herzog saß; dann wendete er den angewiesenen Stuhl derart, daß er nicht das Licht in den Augen haben sollte. Der Herzog war genötigt, ihm nachzurücken, so begegnete jeder dem Gesicht des anderen auf der gleichen Höhe des Saales ohne erkennbaren Nachteil. Mercœur denkt: ›Es bleibt noch das Getöse der Wellen, an die er nicht gewöhnt ist. Die Flut setzt ihn in Nachteil.‹ Ließ den Protestanten eine Weile sprechen, worauf er die Hand an das Ohr legte und Mornay alsbald seine Rede abbrach.
Er wartete. Das Fenster wurde nicht geschlossen. Mornay betrachtete Mercœur wie dieser ihn. Erwartet man Menschenscheu von einem, der sein Leben mit Reisen an die Höfe Europas verbracht hat und die größte Königin wurde vor ihm, in denkwürdiger Stunde, eine Frau wie alle? Menschenscheu von dem, der Gott fürchtet! Seine Stirn hat sich noch erweitert, da der Haarwuchs zurückweicht; nachgerade ist sie größer als das übrige Gesicht, zeigt aber keine Falte, sondern empfängt den Schein des Himmels auf glatter Fläche. Der Gott des Herrn Du Plessis de Mornay liebt die gefurchten Stirnen nicht. Auf dem Schädel ist viel zusammengekämmt, noch immer sind um beide Ohren die Locken gewunden, wie alte Protestanten sie aus den Zeiten ihres Ruhmes aufbewahren. König Henri trug sie einstmals.
Der Mann hat schwarz und weißes Gefieder wie alle diese Raben. Vornehm dabei. Gewählte Stoffe, punktierter Überwurf, am Hals ein Ausschnitt -- hiermit kommt zum Vorschein, daß in das Wams ein Kreuz gewirkt ist, schwarz in schwarz, vornehm, leise, aber das Kreuz. ›Was kann man tun? Sie sind hochmütig, und leider gibt es Lagen, die sogar einem Fürsten verbieten, ihren Hochmut zu bestrafen. Zum Beispiel, sie durch den Fußboden dieses Saales in das unterste Verlies zu stürzen. Die Flut wird es inzwischen so hoch erfüllt haben, daß von einem aufrechten Mann nur gerade der Kopf hervorsähe‹ -- denkt der Fürst bei dem einsamen Getöse, das ihn eigen gemacht hat.
Wüßte man, ob der Protestant lächelt. Stirn und Augen zeigen unantastbaren Ernst; um so beunruhigender die dünne Rinne, wie sie die Wange hinabläuft und führt vielleicht ein verdächtiges Lächeln mit. Die Rinne läuft von der Nase, deren Spitze gerötet ist, bis zu dem grauen Quast am Kinn: der paßt genau in die Lücke der weißen Halskrause. Wüßte man, ob die Rötung der Nase vom Schnupfen oder Wein kommt, besonders aber, ob der Protestant lächelt. Da haben wir die Drohung mit Zauberei. Der Herzog von Mercœur fühlte sich bis in das Innerste erkannt, ihn täuschten einige abergläubische Vorstellungen von den geistlichen Eigenschaften der Protestanten. Mit ihnen allen war etwas nicht geheuer. Diesen nun nannte man ihren Papst.
Da das Fenster nicht geschlossen wurde, begann Herr de Mornay seine Rede von vorn. Er meinte einfach, daß der bedrängte Gegner es ihm so schwer wie möglich machte. Natürlich kann ein geübter Sprecher nach vielen Erfolgen auf den stürmischen Konzilen seiner Glaubensgenossen auch gegen das Lärmen des Meeres durchdringen, dies, ohne die Stimme anzustrengen, mit seiner bloßen Kunst. Herr de Mercœur wurde bald davon überzeugt, übrigens hatte ihm nicht hieran gelegen. Etwas früher oder später mußte er nachgeben und seine Herrschaft abtreten; kam höchstens auf den Preis an. Etwas anderes beunruhigte ihn mehr.
»Haben Sie nicht einen Sondergott?« fragte der große Herr, der auf diesem äußersten Vorsprung des Festlandes gealtert war.
Mornay erwiderte ohne Erstaunen:
»Mein Gott ist der einzig Lebendige.«
»Gibt er sich Ihnen zu erkennen?« fragte Mercœur.
»Er ist es, der mir heut und immer meine ganze Kraft verleiht«, erklärte Mornay. Sachlich und ohne Herausforderung behauptete er, daß er nie anders als durch die Wahrheit gesiegt habe, durch sie aber unfehlbar, selbst über einen mächtigen Gegner, der sie nicht besaß. Das Gesicht des letzten Lothringen, der noch mächtig war, schien ihm ungläubig: das kränkte Mornay sehr, es tat ihm leid für den Ungläubigen selbst. Weshalb er aus seinen eigenen geistlichen Schriften die besten Gründe aufführte; hatte so ausführlich vorher nicht gesprochen. Zuletzt fügte er zeitliche Tatsachen den ewigen bei. Der Bürgerkrieg im Königreich sei von je die Gelegenheit ehrgeiziger Fremder gewesen, allenfalls eine Verführung für halbe Franzosen -- wie Haus Lothringen, hörte Mercœur, obwohl kein Name fiel. Daher ging sein ganzes Innere auf einmal in Wut über. Sie hätte nicht dermaßen um sich gegriffen, war aber vorbereitet worden durch seine abergläubische Furcht vor dem Protestanten. ›Ins Verlies mit ihm‹, forderte seine Wut, während er im Gegenteil ein geglättetes Gesicht zeigte. Dabei war er nahe daran, den verborgenen Mechanismus zu berühren und den Boden zu öffnen.
Mornay, des reinsten Herzens, glaubte bei dem Feinde der Religion und des Königs eine vollkommene Wirkung erzielt zu haben, sie wäre geistlich und weltlich, den Vorteil hätten Gott und der Friede des Staates. Schon zeigte Herr de Mercœur ihm ein verändertes Gesicht ohne Unruhe und geheime Erbitterung. Jetzt betrachtete der Herr ihn wie ein Freund, so sanftmütig, so geläutert, meinte Mornay -- indes Mercœur im verderbten Geist seinen qualvollen Tod genoß, ein stundenlanges Ertrinken im überschwemmten Verlies.
Nur des einen wollte er vorher ganz sicher sein: »Tut Ihr Gott noch immer Wunder? Haben die Wunder mit der Bibel aufgehört, oder setzt er sie bei Ihnen fort?«
»Die Güte des Herrn währet ewiglich«, sagte der Protestant. Das erstemal hier im Saal verneigte er die Stirn, die Absicht war, einen Bußfertigen zu trösten.
Die Miene des Herzogs verdunkelte sich sofort. ›Der wär imstand und entkäme sogar aus dem Verlies. Ein Engel könnt ihm das Gitter öffnen‹, bedachte er und verzichtete darauf, den Mechanismus zu berühren. Übrigens, was Herrn de Mercœur nicht gleich einfiel, hatte Mornay in aller Reinheit seines Herzens den Stuhl zum Sitzen derart gedreht, daß der Herzog ihm nachgerückt war. Dieser hätte sich einfach mitversenkt.
An diesem Tage verhandelten sie nicht weiter, und in der folgenden Zeit erhob der Herzog von Mercœur mehr Schwierigkeiten als vorher beabsichtigt. Er faßte neue Hoffnung. Die Stadt Vervins liegt auf der entgegengesetzten Seite des Königreiches im Herzogtum Guise, wo Haus Lothringen seine Ursprünge hat. In Vervins sollten die Spanier sich endgültig besiegt geben und unterschreiben, daß dies Königreich niemals in allen künftigen Jahrhunderten mehr ihres wäre noch mit dem Willen Gottes sein könnte. Mercœur empfing die schnellsten Nachrichten, sie bestätigten ihm, Haus Habsburg habe noch zähere Diplomaten als Generale.
Daher zerfiel er mit sich selbst aus Zorn, weil er vor dem Protestanten Mornay, eigentlich aber vor dem Ketzer Henri, eines Nachmittages den Mut verloren hatte, und wagte damals nicht, den einen von ihnen zu versenken. Erstens war dieser ein Gesandter des andern, überdies vielleicht mit noch höheren Vollmachten ausgestattet. ›Höhere Vollmachten! Wir werden doch sehen. In Vervins wenigstens ist der Gott dieser Leute noch nicht geoffenbart, trifft auch keine Anstalten‹ -- bedachte der Herzog von Mercœur jetzt. ›Den Protestanten hätte ich allerdings versenken sollen‹; hierauf kam er hartnäckig zurück, da er im einsamen Brausen der Elemente eigen geworden war.
Gegen Ende Oktober befand Mornay sich in Angers. Marschall Brissac, Humanist und Fliegenfänger, hatte in diese Stadt mehrere Herren berufen, damit sie guthießen, was er wegen der bevorstehenden Ankunft des Königs verfügte. Der König sollte nach seiner Provinz Bretagne über Saumur und Angers reisen. Gouverneur von Saumur war Herr de Mornay, in Angers befehligte der Marschall eine königliche Garnison. Um so schlimmer, was dem königlichen Gouverneur in der Stadt des Königs, Angers, zustieß, beinahe unter den Augen des Marschalls, der mit dem Täter sogar verwandt war.
Ein Herr de Saint Phal trat Herrn de Mornay, Gouverneur von Saumur, entgegen. Es war in Angers auf offener Straße, Mornay unterredete sich mit einem Rat vom Gericht. Er hatte bei sich einen Stallmeister, auch seinen Haushofmeister, sonst nur noch einen Sekretär und einen Pagen. Saint Phal wurde beschützt von zehn Bewaffneten, die er zunächst nicht sehen ließ. Er brachte eine Beschwerde vor den Gouverneur von Saumur wegen einiger aufgefangener Briefe, die der Gouverneur hatte öffnen lassen. Die Beschwerde war herausfordernd, Mornay in seiner Erklärung blieb maßvoll. Er hatte die Briefe geöffnet, da sie bei einer verdächtigen Person gefunden waren. Als er den Namen des Herrn de Saint Phal darunter las, hatte er sie weiterbefördert. Worüber Mornay sein Befremden äußerte: der Vorfall war fünf Monate alt.
Die auffallende Feststellung beruhigte den anderen Edelmann nicht, er wurde um so streitsüchtiger und verweigerte überhaupt die Annahme von Erklärungen. »Dann nicht«, mußte Mornay endlich sagen. »Rechenschaft schulde ich nur dem König. Sie, Herr, können einen Ehrenhandel jederzeit mit mir austragen.«
Saint Phal, als wäre dies das erwartete Stichwort gewesen, zog aus seinem Mantel einen Stock, auch seine zehn Bewaffneten traten hervor. Unter ihrem Schutz konnte der Attentäter sein Pferd besteigen und entkommen. Mornay, schon bei Jahren, rollte zu Boden von dem Schlag, der seinen Kopf getroffen hatte.
Große Erregung erfaßte die westlichen Provinzen. Man glaubte an keinen persönlichen Streit der beiden Herren. Sondern der sogenannte Papst der Protestanten sollte durch einen vorbedachten Hinterhalt außer Gefecht gesetzt werden: dann wagte der König schwerlich die Reise und ließ die Hand davon, den Protestanten ihre Verfassung zu geben. Sonst wäre alles bis zum Abschluß vorbereitet; auf ihren kirchlichen Konzilen und politischen Versammlungen hat diese Religion und Partei dem König ihre Bedingungen vorgeschrieben; es sind die äußersten, und Mornay hat sie bei ihm durchgesetzt. Der Schlag auf den Kopf kommt in letzter Stunde, damit dem Königreich die furchtbarste Gewalt erspart bleibt von Seiten der Partei des Umsturzes.
Ihrerseits beteuerten die Glaubensgefährten des Geschlagenen einander, daß es aus wäre mit Zugeständnissen, so viele sie bis jetzt gemacht hätten. Übrigblieben ihnen nur die festen Plätze und ein neuer Kampf. Dies war die Lage, während Mornay, noch recht elend, einen Brief des Königs empfing: die Beleidigung träfe ihn selbst, als König und als Ihr Freund. »Als König werd ich uns Recht verschaffen. War ich nur der Freund, zog ich vom Leder.«
Es waren Worte der Empörung und einer Ungeduld, kaum noch zu bändigen. Das Leben schreitet rasch vor; soeben aber winkt eine sichtbare Höhe als Rechtfertigung dieses Lebens und Reiches, plötzlich stockt die Bewegung, wie in Vervins so in der Bretagne; auch der Friede mit denen von der Religion entfernt sich wieder infolge des Schlages auf einen Kopf.
Marschall Brissac bekam Befehl, seinen Schwager Saint Phal dem Polizeileutnant des Königs auszuliefern, »ohne die Sache in die Länge zu ziehen oder zu erschweren, unter welchem Vorwand es immer wäre, denn was geschehen ist, geht mir zu Herzen, es rührt an meine Autorität und den königlichen Dienst.«
Dass gerade wußte Fliegenfänger Brissac am besten; daher trat er zu dem Sessel des kranken Mornay mit einem Vergnügen, innig wie diesmal war es ihm selten beschieden worden.
»Unser Herr leidet noch mehr als Sie, verehrter Freund«, sagte Brissac mit dem Gesicht eines Apostels von Meisterhand gemalt. Man sah den treuen Bart, der nicht da war, die Augen aber hielt er wie ein. Märtyrer nach der höchsten Wolke gerichtet.
»Ich erbiete mich«, sprach der Heilige, »selbst ins Gefängnis zu gehen, damit Ihre Kränkung gerächt und dem König willfahrt wird. Lieber mein eigenes Opfer, als kraftlos zuzusehen.«
»Sie sind nicht kraftlos«, sagte Mornay. »Sie sind ein Heuchler. Ihren Schwager haben Sie vor dem König versteckt. Seine Zuflucht ist eine Stadt des Herrn de Mercœur. Mit diesem zetteln Sie schnell noch ein Ding an, obwohl es nächstens für ihn aus ist, und Sie hätten es gar nicht nötig.«
»Was bin ich?« fragte Brissac und schauderte vor Entsetzen. »Das glauben Sie nicht. Sehen Sie mich an und wagen Sie das Wort zu wiederholen.«
Mornay wiederholte es nicht, seine Verachtung überwog den Zorn. Brissac inzwischen brachte es fertig, bleich wie ein Sterbender zu werden, sein Blick brach, um sein Haupt erschien die Dornenkrone. Mornay betrachtete den Vorgang widerwillig. Brissac dachte bei sich: ›Jetzt mach ich dir aber mit einem Ruck einen Gottseibeiuns, daß du protestantischer Rabe vom Ast fällst und bist tot. Soll ich mal?‹ Nicht ohne Mühe unterdrückte er die Versuchung.
›Wozu beachten wir einen Verlorenen‹, sprach Mornay zu seiner Seele. Denn der Heuchler und Gesichterschneider ließ ihm unter allen Menschen die geringste Hoffnung. Seit dem Anschlag, der gegen ihn verübt war, dachte er auch über Herrn de Mercœur anders. Sich selbst beschuldigte er des leichtfertigen Irrtums, weil er jeden seinesgleichen immer für erziehbar halte, und heute mehr als in seiner Jugend, was offenbar unserer Schwächung durch die Jahre entspricht. Seine Meinung war dennoch, daß der gewaltige Herzog dem Ebenbilde Gottes näher käme, als ein wesenloses Nichts. Dies gebärdete sich hier vor ihm.
Mornay strich das menschliche Nichts, er redete fortan zu einem leblosen Gegenstand. Nannte die Bedingungen, unter denen er die erlittene Beleidigung vergessen wollte: eine Genugtuung in so feierlicher Form, daß sie allgemein in die Augen springt. Herr de Saint Phal soll vor ihm ein Knie auf den Boden setzen. Dies hören, und Marschall Brissac vergaß sich, er hatte eine ehrliche Regung.
»Das wäre!« sagte er. »Reisen Sie nur gefälligst zu ihm, er wird sich anständig entschuldigen, wenn auch nicht in dieser ungewöhnlichen Form. Wer sind Sie denn selbst?«
»Beauftragter des Königs -- den wir hier erwarten, und er wird deinen Saint Phal zu finden und zu bestrafen wissen.«
»Das fragt sich«, meinte Brissac. »Vergessen Sie nicht, daß ich ihm seine Hauptstadt ausliefern mußte, sonst hätte er sie niemals bekommen.«
Mornay wendete sich mit dem, was zu sagen übrig war, an die Wand. Er sehe nun wohl, wie sehr der König im Recht sei, daß er den schuldigen Gehorsam und königlichen Dienst verteidigte zugleich mit der Ehre eines Edelmannes. Übrigens möge Marschall Brissac den Fall hinziehen, solang er könne. Zum Schluß sitzt darum doch Saint Phal hinter Schloß und Riegel. Darauf gibt Mornay sich selbst das Wort.
Brissac ging stumm ab; die Unversöhnlichkeit eines Protestanten ist furchtbar wie sein Glaubenseifer. Ein Stockschlag, den sie heimtragen, beschwört nichts Geringeres herauf als den berühmten »Zorn des Herrn«. Man wird ihnen eine Lehre geben. Dieser Mornay soll an der Nase geführt und lächerlich gemacht werden. Um so besser, wenn auch der König seinen Teil abkriegt. Wird bedenklich werden und seine Protestanten warten lassen auf das Edikt.
Allerdings war es schwer über die Maßen. Mornay, kaum daß er das Zimmer verließ, mußte seiner Kirche erklären und an das Herz legen, daß sie um Gottes willen nicht mehr verlangte vom König, als er ohne eigenen Schaden zugestehen konnte. »Und wenn er stirbt?« fragte ein Pastor Béraud, der im Auftrag der Kirchenversammlung zu dem Gouverneur nach Saumur kam.
Mornay senkte die Stirn, erhob sie und antwortete ruhig:
»Solang er lebt, genügt das Edikt, wie er es vorhat.«
Nachher, davon schwieg er, dachte er: ›Laßt die Toten ihre Toten begraben. Wir sollen unter Lebenden hartnäckig bedacht auf den Glauben und unsere Ehre sein. Er wußte zu gut, was es gekostet hatte, diese Stunde des Lebens herbeizuführen; endlich ist meinem König erlaubt, uns das Edikt zu geben. Laßt die Toten ihre Toten begraben.‹ Wenn Mornay dies Wort der Schrift gebrauchte, meinte er es als frommer Mann und auch im Sinne der Staatskunst.
Er reiste mit Madame de Mornay nach Paris. Beide wurden ohne Verzug empfangen, Madame de Mornay im Hause der Schwester des Königs, wo mit ihr zwei andere Damen erschienen, die Herzogin von Beaufort und die Prinzessin von Oranien. Der König ließ Herrn de Mornay vor, obwohl er kurz danach den Legaten des Papstes bei sich erwartete.
Als Henri seinen Philipp Mornay eintreten sah, konnte er ihn nicht sogleich umarmen, wie er es gewünscht hätte: diese Gestalt war ihm fremd. Das Unglück allein und nicht die Jahre geben einem Menschen dies neue Gesicht.
»Philipp«, sagte Henri. »Ich will anhören, so viel und so lange Sie mir klagen. Sie sind furchtbar beleidigt worden und ich mit Ihnen. Dafür ist endlich der Tag erschienen, da ich die Religion einsetzen kann in ihr Recht.«
»Sire! Gewiß«, sagte Mornay mit schwacher Stimme. »Sie halten Ihr Wort und schenken der Religion dieselben Freiheiten und Rechte, die sie schon besessen hatte vor bald einem Menschenalter.«
»Mehr, als eine Bartholomäusnacht euch gekostet hat, kann ich euch nicht wiederbringen«, gestand Henri. Philipp gestand: »Ich weiß es.«
Beide bewegten die Hand in der Weise des Verzichtes. Nach dieser Pause machte der Diplomat einen ehrerbietigen Vorschlag. Seine Glaubensgenossen verlangten sechs Vertreter in der Ediktskammer des Parlamentes. »Was bei sechzehn Mitgliedern keine Mehrheit ergäbe«, wendete Henri ein.
»Darum bitten wir Eure Majestät, Sie mögen die zehn Katholiken selbst ernennen. Sire! Sie allein sind unsere Sicherheit.«
»Nicht eure festen Plätze, und auch nicht das Edikt?«
»Sie ganz allein.«
Henri fragte nicht weiter, jetzt umarmte er seinen Philipp Mornay, hatte ihn so fest und lange wohl niemals an seiner Brust gehalten. Ins Ohr sagte er ihm:
»Wir beide müßten unsterblich sein.«
In das andere Ohr, nach dem Kuß auf die zweite Wange sprach der König:
»Sonst wird auch mein Edikt nach uns zum leeren Blatt Papier.«
»Wir sollten es im voraus nicht wissen«, verriet Mornay ihm. »Ich hätt in meinem Eifer für die Religion vergessen, daß unsere Taten uns kaum überleben. Dann fordert man, hat nie genug und will die Freiheit der Gewissen zum ewigen Gesetz erheben. Sie verfällt aber mit uns selbst, und die nächsten müssen sie neu erobern. So will es der Herr der Geschicke.«
»Womit hat er es Ihnen anvertraut?« fragte Henri -- tat einen Schritt rückwärts und betrachtete die Gestalt: bei ihrem Eintreten war sie fremd gewesen. Auf einmal wurde Mornay stark, wurde eindringlich.
»Sire! Ein Schlag über den Kopf, und ist immer noch nicht gerächt.«
Henri: »Soll gerächt werden. Ich versprech es.«
Mornay: »Ich beklage mich, daß Sie die Zeit versäumen, und meine Feinde dürfen mich auslachen.«
Henri: »Freund, das unvollkommene Edikt verschmerzen Sie eher als den Schlag.«
Mornay: »Sire! Der Schlag trifft meine Ehre.«
Henri: »Sie sind zu Boden gerollt, die Religion steht auf.«
Mornay: »Ohne Ehre kein Gewinn. Bleibt ohnedies von unseren Werken nichts, wir hätten sie denn in Ehren getan: davon lebt unser Name fort.«
Keine Antwort. Henri bedenkt, wie oft gerade dieser für ihn gelogen und betrogen hat -- in aller Unschuld und dennoch nach dem Gesetz der Welt. ›Das eine geht, das andere nicht. Ich gelange auf meine vorgesetzte Höhe mit der inneren Festigkeit, die meine Ehre ist. Der gerade Weg wär mehr als Ehre, wär ein Wunder. Ich weiche Mördern aus und Schläge auf den Kopf vergeß ich. Rache nehmen -- kostet viel von dem, was sie nachher Größe nennen. Rache nehmen --‹
»Herr de Mornay, Sie sind ein Edelmann, längst bevor Sie weise sind. Ich sehe es wohl. Haben Sie nicht begriffen, daß unsere Rache keinen andern so sehr demütigen kann wie uns selbst?«
Mornay, ein frommer Protestant, sagte:
»Sire! Herr de Saint Phal muß in das Gefängnis gesetzt werden und muß mir abbitten.«
»Gut«, sagte Henri. »Sie sollen Ihren Willen haben.«
Hiermit entließ er seinen alten Gefährten. Drunten rollte der Wagen des Legaten an.
Henri ging dem Legaten nicht bis zur Tür und Treppe entgegen, auf der entgegengesetzten Seite verließ er das Zimmer. Nebenan war ein Ausblick nach den Tuilerien in die Fenster seiner Schwester. Das Fenster, das er meinte, war leicht verhängt, er erkannte darauf die Schatten, und waren ihrer vier. ›Die Damen zittern um mich‹, dachte er. ›Sie sind versammelt und beten für mich, daß ich fest bleibe. Kathrin, keine Sorge, diesmal bin ich der Herr. Prinzessin von Oranien, meine Stunde ist da, und wär in meinem Königreich kein Mörder, der heute gegen mich das Messer kehren darf: es führe ihm von selbst in den eigenen Leib.‹
Er nahm lange Schritte, eher waren es Sprünge, damit er noch vor dem Legaten im Zimmer wäre; ließ aber hinter sich die Tür geöffnet, vier Schatten sollten zugegen sein bei dem, was jetzt kam. ›Madame de Mornay‹, dachte er, ›beten Sie weniger für mich als für Ihren Gatten, der rachsüchtig ist, aber dem Legaten des Papstes wird er im Bogen ausweichen, weil er versucht wäre, ihm aus Klugheit den Ring zu küssen.‹
Draußen traten die Wachen auf, schon wurde die Tür bewegt. Henri dachte: ›Gabriele, meine teure Herrin! Sieh mir zu! Besteh ich diese Probe, dann hast auch du gesiegt. Bete mit den drei Protestantinnen, daß du Königin wirst.‹
Da war der Legat über die Schwelle getreten. Weiter rührte er den Fuß nicht. Wo er stand, erwartete er den König, daß der König ihm den Ring küßte. Das Gefolge des Legaten war zahlreich, aus der Tiefe der Treppe stieg es auf wie eine beglänzte Wolke. Farbige Kleidungsstücke geistlicher und militärischer Art, auch Knaben dabei, die Wolke folgte dem Legaten etwas zu großartig. Er selbst stellte bis jetzt einen gebückten Greis und demütigen Menschen dar, erhob die Hand mit dem Ring auch nur zaghaft, als wär es eigentlich viel verlangt. Der König küßte ihm aber den Ring mit Inbrunst, worauf er rückwärts bis in die Mitte ging. Dort war es an ihm, zu warten. Das Gefolge, lautlos in seiner Eigenschaft als Wolke, entwich, die Tür wurde leise zugemacht. Der Legat hätte umsehen wollen. War er wirklich allein mit diesem König?
Es ist weder angenehm noch recht geheuer, in die Zelle eines Verurteilten zu treten, besonders nicht für einen älteren Lebensfreund, der ungemein neugierig auf alle Umtriebe des Lebens ist, aber von seinem Ende gar nichts hält. Nun sagt Malvezzi in Brüssel, daß der König von Frankreich sterben muß. Der Legat denkt: ›Die Tür ist nachgerade wohl geschlossen, es bleibt nur übrig, den bewußten Weg zu machen.‹ Den machte er, immer den Blick auf dem König, um den es ihm leid tat und inniger leid mit jedem Schritt. Gerade ein Empörer, Ketzer, unbekehrbarer Verderber des Glaubens und der göttlichen Ordnung hat in den höchsten Fällen ein Gesicht und Gepräge: kein wohlgestalter Knabe oder unbescholtener Christ erreichen sie. Schade darum. Malvezzi, Legat in Brüssel, betreibt seinen Tod seit fünf Jahren. Das ist barbarisch, obwohl es gerecht ist, denn dieser König arbeitet an seinem Untergang selbst. Der andere Legat stößt nur einen, der schon fallen soll. ›Ich möcht ihn aufhalten.‹
Der Legat setzte sich, und dann erst der König. Der Legat beglückwünschte den König zu seinem Sieg über den Kardinal von Österreich.
»Über Spanien«, sagte Henri schnell. »Über Habsburg.«
Der Legat ließ sich Zeit, bevor er fragte:
»Über die Christenheit?«
»Ich bin ein christlicher König«, sagte Henri. »Der Papst weiß es; die Bürgschaften, die ich ihm anbiete, kosten mich die Frucht meiner Siege. Ich schließe Frieden, könnte aber den Krieg über den Rhein tragen.«
»Wenn Sie es könnten, täten Sie's. Nur zu froh, daß Sie Frieden bekommen mit Ihren weltlichen Feinden, greifen Sie die Kirche an.«
»Davor sei Gott«, beteuerte Henri.
»Bürgschaften --« Der Legat stellte die Hand vor den König hin, ihn zu warnen. »Gewähren Sie nur Ihren Protestanten keine, besonders die ersten nicht. Das führt weiter als Sie wollen und als Ihr Wohl verträgt. Sie sind hoch gestiegen, ein Sieger und großer König. Seien Sie wahrhaft überlegen, erkennen Sie die Grenzen Ihrer Macht!«
»Feierliche Worte«, sagte Henri, »für eine viel zu kleine Sache. In Rom hab ich zu verstehen gegeben, daß meine Protestanten nichts bekommen sollen als ein Blatt Papier. Erwarten auch nicht mehr, die Armen. Am besten unterrichtet ist der tapfere Mornay, der Ihnen den Ring geküßt hat. Ihm hab ich es selbst gesagt. Die kennen mich. Warum glaubt nur Rom mir nicht?«
»Weil Rom Sie besser kennt.«
Dieser Antwort des Legaten folgte ein schweres Schweigen. Der König stand auf, er durchmaß das Zimmer mehrfach, seine Schritte wurden immer langsamer. Drüben bei der geöffneten Tür ließ er jedesmal den Fuß in der Schwebe, damit er im Hause seiner Schwester das Fenster sähe. Von den vier Schatten hielten drei ganz still, voll Aufmerksamkeit für die Regungen des letzten.
Dort im Zimmer ging es nun derart zu, daß jede der vier Frauen einmal das Wort nahm, um ihr Herz zu bekennen. Sie umgaben einen Tisch, auf dem ein Buch lag. Zu Anfang waren sie übereingekommen, der König habe seine schwere Stunde, und daß sie ihm über den Raum hinweg beistehen wollten. Bekennen wir, wer wir sind. Die Wahrheit allein kann helfen uns und ihm. Seien wir wahr. Er wird es fühlen und wird handeln als ein Bekenner.
Madame de Mornay, im Rang die Letzte, sollte deshalb vorangehen. Sie erschrak, sagte: »Ich bin nicht würdig«, und legte die Hand auf das Buch, um ihren Geist zu stärken. Sie war knochig gebaut, schwarz gekleidet, ihre Haare versteckte sie unter der Haube. Ohne ihre Schuld bemerkte man dennoch, daß sie rötlich gewesen waren. Die großporige Haut der Fünfzigjährigen zeigte ein lebloses Weiß. Auf der ausgestreckten Hand lagen die Adern bläulich gewölbt. Von demselben blassen Blau waren die Augen, diese aber blickten der inneren Sammlung wegen über die anderen drei Damen hinweg. Wenn Madame de Mornay drüben den König erkannt hatte, vergaß sie es doch sogleich, dies durch eigenen Willensbeschluß.
»Ich bin eine Christin«, sprach sie, und schon die wenigen Worte klangen nach der Seele. Diese Frau hatte eine undankbare Stimme, ihr Gesicht war zu lang, war faltenlos gealtert wie das ihres Gatten, die redenden Lippen erschienen trocken und nicht weich. Die drei Damen stellten alles fest; unleugbar blieb dennoch der ernste Wohlklang aus einem Inneren, das sich erschloß samt Schwächen und Gebrechen.
»Aber ich bin nicht so sehr Christin durch den Glauben als durch meine Sünden. Ich war eitel, und meine Frömmigkeit war weltlich, falsch war sie, wie die Locken, die ich ansteckte. Als die Pastoren es mir verboten, empörte ich mich, anstatt zu danken Dem, der sie mir schickte. Das Leiden, mit dem Er es bei mir versuchte« -- Sie vermied den Namen des Herrn. »Im Grunde hat auch das Leiden mich nicht besser gemacht. Wir sind unverbesserlich, sind vorbestimmt, viel zu sündigen oder wenig, gar nicht oder bis zur ewigen Verdammnis.«
Sie schlug die Augen nieder; da es aber unfreiwillig geschehen war, suchte sie alsbald wieder das Fenster drüben.
»Ich besaß die besondere Gabe, andere zu überreden. Herr de Mornay ließ mich Einfluß nehmen auf Personen, deren Mißtrauen er fürchten mußte. Ich hatte manche Erfolge und blieb gerade darum nicht rein. Der Geschickte kann es nicht. Wer wären wir, daß wir um weltlicher Vorteile willen andere zur Verzweiflung treiben. Ich weiß von einem Fürsten, der durch mich alles verlor und in das Exil geriet. Ich, die dem Exil entronnen war! Ich griff in eine Macht ein, dieselbe Macht, die mich erlösen, aber deshalb niemand verderben wollte. Daran dachte ich nicht, indessen verschlimmerte sich mein Herzklopfen, konnte auch niemals geheilt werden von keiner guten Quelle keines Berges, ob ich in ihr badete oder sie trank. Denn mein Herzklopfen war die Warnung des Gewissens, wie ich endlich wohl weiß, da es dringlich geworden ist bis zur großen Angst.«
Der bewegte Schatten drüben war der König. Madame de Mornay sah mit Bedauern zu, wie er seine Geschicklichkeit verschwendete, denn das tun wir unverdrossen -- sollten aber schlechthin gerade sein, und wenn Geradheit tödlich wäre. Siehe, Herrn de Mornay hat seine Fertigkeit, die Menschen umzuwenden, zuerst stolz, dann sogar rachsüchtig gemacht. Er wenigstens ist gerettet durch seine Tugend, die abgeschlossen im Geist wohnt und kann durch weltliche Handlungen nie abnehmen. Eins ist handeln: er aber betrachtet auch. Er schreibt als erster die religiösen Betrachtungen eines Laien. Darin widersteht er dem Sinn der Welt, betrügt weder Menschen noch Den, der uns ansieht, und hat Stunden am Tisch, vor dem Papier, da ist er frei, da wird er der beste, der er sein kann.
Sie öffnete das Buch, auf dem ihre Hand lag. »Der Traktat über die Eucharistie«, sagte sie.
»Wie!« rief überaus lebendig die Prinzessin von Oranien. Sie hatte lange genug stillgehalten, obwohl sie sich nicht langweilte. Sie langweilte sich weder mit Menschen noch allein.
»Das wäre der Traktat! Aber in ganz Europa warten wir alle auf ihn. Hier liegt das Buch. Warum dann nicht in unseren Händen?«
Madame Schwester des Königs fragte:
»Ist es wahr, daß dieses Buch die Messe vernichtet, so daß der Papst selbst keine mehr wird lesen wollen?«
»Sie wird weiter gelesen werden«, antwortete die andere Protestantin; mehr erklärte sie nicht. Zu der Prinzessin von Oranien gewendet:
»Madame d'Orange«, sagte sie dieser kleinen, rundlichen Frau mit sehr klaren Augen, grauen Haaren und Hautfarben gleich der Jüngsten. »Sie sind von allen Christinnen die erprobteste. Sie sind von einem Duft der Ehrbarkeit umgeben, zu Ihnen kann mein letztes Geständnis nicht eindringen, und wären Sie aus unbegreiflicher Güte noch so willig. Dies Buch soll nicht bekannt werden, bevor der König das Edikt erlassen hat. Das Edikt zuvor: denn nach dem Buch bekämen wir's nicht mehr. Das Buch wird uns unrecht tun; die Wahrheit bekennen, es schadet leider.«
»Nein«, rief die Prinzessin. Der bleichen, geängsteten Frau versicherte die blühende, heitere: »Wir sind die Glücklichen, denen allein die Wahrheit hilft. Fällt alles ab, laß fahren dahin, wir bleiben. Sind wir doch hier versammelt, damit wir dem König beistehen, wie wir nun sind und uns bekennen, daß er es drüben hören kann in seinem Geist. Dessen zum Beweis ist bei uns seine Liebste und soll Königin sein.«
Ihre sehr klaren Augen ruhten auf Gabriele, die errötete, und ein leises, tiefes Schluchzen ergriff die Arme. Sie fühlte sich verwaist unter diesen Protestantinnen, das waren aber ihre einzigen. Viele der Reden blieben ihr unverständlich. Selbstprüfungen und Bekenntnisse waren ihre Sache nicht, sie erschreckten sie. Dennoch, unter dem Blick, den Madame d'Orange nun einmal auf ihr ruhen ließ, brachte sie leise vor, daß sie es versuchen wollte, und auch sie wäre geständig.
»Mein liebes Kind, zuerst die Augen trocknen. Bekennen sollen wir mit trockenen Augen.« Die Prinzessin unterbrach Gabriele weniger mit dem Wort als durch ihr Lächeln. Es war dies Lächeln ganz ihr eigen. Es war streng vernünftig, eine Vernunft, die zu Herzen ging. Gabriele fand Madame d'Orange engelgleich. Sie fühlte, vernünftig bis zu diesem Lächeln wären Wesen anderer Herkunft als der unseren. Daher stand sie im Begriff, einer schnellen Regung zu folgen: sie hätte der Prinzessin von Oranien die Hand geküßt. Die Prinzessin kam ihr zuvor, legte zum Schutz Gabrieles den Arm um sie, und das Zeichen zu sprechen, sie gab es der Schwester des Königs.
Henri saß wieder zum Legaten hin, überließ ihm auch, was er sagen wollte. ›Kennt Rom mich vielleicht besser als ich selbst? Fang an.‹ Und der Legat begann eine Rede. Die Stimme kam sanft und voll aus einem schmalen Körper. Sein welkes Gesicht war längst gewöhnt, undurchsichtig zu bleiben; der ausdrucksvolle Wechsel der Mienen hatte die Stärke des Mannes nie ausgemacht. Indessen sprachen seine Augen mit. Erkenntnis hatten sie nicht viel zu geben, eher eine lebendige Begierde, die gewissen Menschenarten schamlos erschien, und man hätte fortgesehen. Aber er war der Legat des Papstes.
Der König wirft kurze Worte dazwischen, an der Rede verändern sie nichts. Es sind Beteuerungen und Verwahrungen. »Treuester Sohn des Heiligen Vaters. Nur ein Blatt Papier. Friede der Welt. Sicherer Bau der Christenheit.« Der Legat bleibt unbeirrt und warnt um so deutlicher.
»Sie geben Anlaß zu dem Verdacht, daß Sie in ganz Europa den Protestantismus zu Ihrer Sache machen wollen. Dies nicht um eines Glaubens willen, nur für Ihren eigenen Ruhm. Das Römische Reich zerfiele darüber, auch die Heilige Kirche müßte stürzen, damit Sie der Herr der Welt werden. Da dies im Plan der Dinge nicht liegen kann und Sie es wissen, lassen Sie sich warnen. Bereinigen Sie alle Anlässe für den Verdacht.«
Auf einen Einwurf des Königs:
»Wer den Verdacht geschöpft hat? Ganz klar bis jetzt nur ich, ein Priester, der zu schweigen versteht. Andere hassen Sie, ohne daß sie viel untersuchten, weshalb. Ich nicht, das sehen Sie wohl, ich hasse Sie nicht. Ich bemühe mich um Sie. Ihre eigene Beichte leg ich Ihnen ab. Eines Tages standen Sie an dem obersten Rande des Tores Saint-Denis und sahen die Spanier abziehen -- nicht wie besiegte Feinde. Viele Sieger sind hochgeklettert, um sich besser zu weiden. Sie aber frohlockten, bis der Schwindel Sie erfaßte über den gelungenen Bruch in der Ordnung der Welt. Sie nennen es Ihr Königreich: ich weiß, die Worte haben immer recht, die mutigsten stellen sich ein, sooft es geraten wäre, ein gutes Stück zurückzustecken. Ihr Königreich ist keines wie die anderen, Sie verwandeln es in eine Nation. Das sind nicht mehr die Stände, die im Grunde ohne Grenzen von jeher über die Länder der Christenheit verliefen. Sie machen die Stände gleich und nennen es Freiheit. Ich war auch in Rouen dabei; denn ich begleitete Sie. Damals hielten Sie eine Ständeversammlung Ihrer Provinz Normandie, dem untersten Stand aber gaben Sie die Mehrheit. Gerade diesen verführten Sie, boten ihm Ihre eigene Macht an und empfingen dafür sein Geld, was alles Freiheit heißt. Desgleichen heißt ein empörtes, vereinzeltes Königreich um so bewegteren Herzens Ihr Königreich.«
Die Einwürfe des Königs: Er hat in der Welt auch Freunde. Er liebt sein Volk, es liebt ihn. Seine Bauern durften keine Knechte, seine Gewerbe nicht unbeschäftigt bleiben. Vorgefunden hat er das Gegenteil von Ordnung, den Verfall.
Der Legat:
»Der Verfall ist zeitlich und stört die ewige Ordnung keineswegs. Was ihr Gefahr bringt, ist das öffentliche Mißtrauen. Hier bricht ein König als ein fremdes Element in die alte Gemeinschaft der universalen Monarchie. Das Universum traut ihm nicht. Frieden, er wird ihn weder halten können, noch wird er ihm gewährt. Das Beispiel der Freiheit und selbstherrlichen Nation ist höchst verderblich. Des Beispiels muß man sich erwehren, oder um alle war es geschehen. Freunde -- Sie haben nur Freunde, die Ihr Beispiel nicht fürchten müssen, sonst hätten Sie keine. Die einen sind Republiken, die anderen protestantisch, und mehrere vereinigen beides. Verlassen Sie sich auf Holland und die Schweiz. Das arme Venedig bewundert Sie. In England müßte eine alte Königin um Ihretwillen über die menschliche Grenze hinaus leben. Und Sie selbst?«
»Und ich selbst?« wiederholt Henri.
Der Legat:
»Nach Ihrem Hintritt, und der kann nahe sein, verfällt das Edikt, das Sie Ihren Protestanten bis jetzt nur versprechen. Noch in der letzten Stunde will ich hoffen: Sie machen nicht Ernst. Um Ih-ret-wil-len.«
»Um meinetwillen«, wiederholt Henri.
»Denn für Sie fürchte ich.«
Ein Schweigen voll Bedeutung und Blick von Aug zu Auge. Henri denkt: ›Dieser Pfaffe, der übrigens mit Knaben umgeht, weiß viel, aber nicht genug.‹
»Die Zeit meiner Mörder ist vorbei«, sagt er gelassen.
Der Legat wird auf einmal demütig. Er bittet:
»Sehen Sie mich doch nur an. Ich bin kein Freund des Todes -- wie manche, die ich kenne.«
Henri sagt: »In meinem Volk finden Sie heute keinen Mörder für mich.«
»Heute«, wiederholt der Legat.
»Sprechen wir uns denn in zehn Jahren wieder.«
Das hätte Henri nicht äußern dürfen; der Legat ist alt, will daran nicht erinnert sein. Hier beendet er die Unterredung.
Im Stehen verbrachten sie noch eine abgemessene Weile mit den Lobsprüchen des Legaten, Versicherungen des Königs und allen Förmlichkeiten des Abschieds, Begleitung bis nahe der Tür, Umkehr, nochmaliges Geleit. Merkwürdig war der Rückweg nach der Mitte, eine bescheidene Weigerung des Legaten, daß der König ihn bis zur Schwelle brächte. Da nun das Tiefgehende und Gefährliche beendet schien, nahm der Legat zuletzt Gelegenheit, etwas Leichtes hinzureden, oder sollte es Leichtigkeit vortäuschen und für hingeredet gelten.
»Sie brauchen Geld, ganz begreiflicherweise. Ein König, der alle gleichmachen will, tut am besten daran, alle reich zu machen. Unglücklicherweise sind die Geldmächte drüben bei der universalen Monarchie. Hier haben Sie nur sehr bescheidene Finanzleute wie diesen Zamet. Er ist ein Untergebener des Hauses Medici, einverstanden? Ihnen bleibt nichts verborgen.«
»Was wäre dagegen zu unternehmen?« fragte der König; begann auch aufzuschneiden, da doch alles eins ist, wenn man miteinander fertig ist. »Um an die Kasse des Großherzogs von Toscana heranzukommen, hab ich die Wahl. Entweder ein Bündnis oder einen Überfall.«
Er wußte indessen, daß es etwas drittes gäbe. Der Legat erwähnte es denn auch in einem Ton, als müßte es nicht gesagt werden.
»Der Großherzog von Toscana ist nicht nur der größte Bankier: er hat auch eine Nichte -- mit sämtlichen Vorzügen der Prinzessinnen aus dem Hause Medici.«
»Kenn ich«, warf Henri ein. »Die vorzüglichste von ihnen hat mich hier gefangengehalten lange Jahre, und kein Tag, daß sie mich nicht abschätzte wie einen Braten, ob er mürbe wäre. Das wünsch ich mir noch einmal.«
»Sie scherzen« -- der Legat lächelte dennoch kaum, er wunderte sich. »Ein großer König wäre einst ein Braten gewesen? Ich will es im Busen verschließen. Was Sie aber Gefangenschaft nennen, es sind zuweilen Rosenketten.«
Der Legat hatte die Tür in der Hand, war der Schnellere gewesen, man hätte es ihm nicht zugetraut. Er ging, bevor es zu neuen Höflichkeiten kam. Die gewaltig bunte Wolke seines Gefolges entrückte das Greislein augenblicks.
Der König denkt: ›Alles in allem, die Unterredung hat mir besser gefallen, als was mein Mornay oder die Tugend mir brachte.‹
Der Legat in seiner Wolke denkt: ›Der Mann ist ein Märtyrer. Wenn ich eine neue Legende der Heiligen zu schreiben hätte -- Was hatten denn unsere Märtyrer, unsere Heiligen? Todesfurcht, ohne die man kein Märtyrer ist. Aber heilig macht nur der Gedanke -- der unmögliche, der abstoßende, widerwärtige und infame Gedanke, der die universale Ordnung angreift und will sie stürzen. Wohl bekomm es den Anwesenden, ich werde abwesend sein. Der Mann auch.‹
Henri hat mit eigener Hand die Tür geschlossen, eine Weile irrt er hin und her, gerät in das Zimmer drüben mit der Aussicht auf das Fenster und die vier Schatten. Bis jetzt wird er ihrer nicht bewußt; ihm geht im Kopf um, daß der Legat ihn begleitet hat lang und allerwege. ›War er heimlich zugegen bei dem Feuerwerk, als es abbrannte, und ich brannte einen Traum ab? Hätt ihn selbst vergessen, er aber kennt ihn.‹
Er lachte in sich hinein. ›Betrogen ist der feine Priester doch. Sie sehen zu tief, sie argwöhnen zuviel. Ich will nicht Papst und Kaiser stürzen, besonders nicht aus Überzeugung. Die hohen Gedanken bewohnen ein hohes Gefilde, ich betrete es nicht. Sie finden ihren Weg allein, indes ich handle hier unten und tu das nächste. Mein allernächstes ist, daß ich meine teure Herrin heirate, und sie soll die Königin sein.‹
Jetzt hielt er sich die Seiten. ›Ist es doch schrecklich zum Lachen, wie einer es anstellen muß, daß er endlich in das Ehebett kommt. Das Edikt, weil ihre Partei die Protestanten sind. Früher im Gegenteil der Todessprung, denn damals hofften wir auf die Gefälligkeit der Kirche und die Liebe unseres katholischen Volkes. Kam zwar nichts in Sicht als nur wieder das Messer, das nie trifft.‹
Da er nun allein war, häufig geschah es ihm nicht, ließ er sich zu Boden, lag auf dem Bauch und seufzte, um vor Gelächter nicht zu schreien. ›Komiker, sei tragisch! Großer Tragöde, mach dich lächerlich! Alles für eine Frau. Die Weltgeschichte im Schlafzimmer. Eine Neuigkeit, es auszusprechen.‹
Ausgesprochen, war es nicht mehr wahr. Gib wohl acht, Gabriele ist hier sehr in Frage gestellt. Sie hat den König begeistert, ihn über Hindernisse getragen, Todessprung und Edikt, dazwischen einige Schlachten, die Gewinnung vieler Menschen, groß Macht und List, nicht gerechnet alle redliche Arbeit. War sie dagegen als Kind gestorben, wie ständ es? Bliebe noch immer das Königreich und dieser Mann -- der nicht mehr lacht, sondern drückt sein Gesicht in beide Hände. Liegt am Boden hingestreckt und muß überaus leiden, da er das erstemal im Leben an der Liebe zweifelt. Und hätte der Liebe nicht. Er hielt ganz still, ihm saß im Nacken ein bösartiger Krüppel von tausend Jahren, der zerdrückte ihm das Genick mit der flachen Hand, einer breiten Schaufel von scheußlicher Stärke. Und hätte der Liebe nicht.
Henri erschauderte dermaßen, daß der Tausendjährige das Gleichgewicht verlor. Henri sprang auf die Füße. Dem Unsichtbaren, der von ihm abgerutscht war, befahl er:
»Keine Medici!«
Das war so stark befohlen, daß die Tür aufging und seine Leute sich zeigten. Er sagte:
»Vor mir her soll der Hof, der ganze Hof soll hinübergehen zu Madame Schwester des Königs und soll aufwarten der Herzogin von Beaufort.«
An dem Tisch der Protestantinnen sprach Madame Schwester des Königs:
»Ich kenne die Sünde nicht, obwohl ich außerhalb der Ehe lebe. Gott weiß wohl, warum Er es erlaubt. Der Welt begegne ich mit Hochmut, eh daß sie mich richtet, und überlaß es Ihm. Er hat gewollt, daß ich getreu der Religion bleibe: komme denn alles, wie es muß. Von meinem Liebsten ertrag ich Mißhandlungen, solche der Seele -- und sogar andere.«
Hier errötete Kathrin, sah aber in die Runde, was sie dazu meinten. Nun fanden sie es recht. Wenn Madame Schwester des Königs ihnen des näheren erzählen wollte, wie der Graf von Soissons sie betrog oder sie schlug und aus dem Bett warf, diese frommen Frauen würden alles gutheißen. Denn der Treue im Glauben entspricht die demütige Beständigkeit einer Liebe. Betrachte dies gealterte Kindergesicht: es verlangt weder Mitleid noch Bewunderung; es kennt die Sünde nicht. Aber es kennt das Opfer.
Noch spricht Kathrin; hat eine sehr reine Stimme und spricht:
»Der König, mein Bruder, will, daß ich einen anderen heirate. Es wäre mein Unglück. Daß er uns nur das Edikt gibt! War manches damit beglichen, auch mein Unglück. Wenn aber noch etwas zum Ausgleich fehlte, so soll er die Herzogin von Beaufort zu sich erheben, die schenkt ihm schöne Kinder. Die Heirat des Königs mit ihr will ich, das Edikt will ich -- und hab auch schon bekannt.«
Madame Schwester des Königs gab der Dame, die sie genannt hatte, selbst das Zeichen. Diese hatte Mut gefaßt bei den Worten ihrer besten Freundin. Sie atmete ruhig.
Gabriele:
»Das hat Madame Schwester des Königs recht gesagt: Ich will unserem Herrn schöne Kinder geben. Nicht nur schöne, auch viele. Ich will die Mutter eines Geschlechts von Königen sein. Da ich nach dem Thron strebe, muß ich hassen, wer mir hinderlich ist, und besonders haß ich die Königin von Navarra. Dennoch könnt ich ihr leichter verzeihen, wenn sie einen Mörder gegen mich selbst ausschickte als gegen meinen Liebsten. Versuch ich auch, des Bekennens wegen mich noch so schlecht zu machen: zuletzt bleibt allein, daß ich ihn liebe.«
Hier waren alle gerührt. Kathrin neigte schnell ihr beglücktes Gesicht gegen Gabriele, die Prinzessin von Oranien streichelte ihre Schulter, indes die arme Mornay die beiden gefalteten Hände aufhob. Gabriele bat diese guten Wesen, noch zu warten; sie sprach:
»Ihr wißt nicht, was es heißt, schlecht und nichtswürdig zu sein. Die künftige Königin darf euch davon nicht berichten. Will schweigen zur Ehre meines Herrn. Dennoch gibt es einen Hochmut, Ehrgeiz, Eigennutz, die leer und falsch sind. Und hätte der Liebe nicht, so sagt ihr Protestanten wohl. So viele ihr hier versammelt seid, habt ihr gewiß nie begriffen, was es heißt: Und hätte der Liebe nicht. Eine, die es weiß, erschrickt vor ihrer Vergangenheit, denn die gehört einer Fremden mit gestörtem Geist. Mein vollsinniges Leben, ich besitz es erst, seit einer da ist, für den ich sogar sterben mag. Den hab ich gewonnen und bin ihm ergeben, gleichviel -- oh versteht mich, gleichviel ob er groß ist, ob er mich heiratet.«
»Die Zeit ist nahe«, sagte die Prinzessin von Oranien. Aber Gabriele:
»Madame d'Orange, fürchten Sie von mir nicht allzuviel der christlichen Entsagung. Ich bin gesonnen, mein Ziel zu erreichen und auch die Mittel, die meine Vergangenheit mich lehrte, ich habe sie nicht vergessen. Der Hof soll merken, warum er mir einen Namen des Hasses beilegt.«
›Herzogin von Schweinsheim‹, dachten die Damen sofort. Merkwürdig, sie dachten es nicht wie einen Schimpf. Aus dieser Frau, die auf einmal von ihnen abgesondert schien, hörten sie die Majestät reden, sie sprach von der Rippe des Königs her, sein Fleisch, sein Blut. Niemand neigte ihr ein beglücktes Gesicht entgegen, auch ihre Person berührte niemand.
Die Prinzessin von Oranien begann ungebeten sich auszusprechen.
»Ich gehe durch die Ereignisse als immer gleiche: das ist ein großer Mangel. Wir sollen mit Gebrechen behaftet sein, damit wir sie heilen können durch unsere Erkenntnis und Willenskraft. Ich hatte gar nichts abzulegen, weder Hochmut noch Ehrgeiz und Eigennutz. Aus der verarmten Witwe des Herrn de Teligny, eines Opfers der Bartholomäusnacht, wurde die Frau Wilhelms von Oranien, der jede reiche Prinzessin hätte bekommen können. Er wählte die ärmste, indessen ihn schon seine Mörder umringten. Sein Sohn aus erster Ehe, Moritz, verteidigte Holland nach seinem Vater. Anders als Wilhelm, will dieser das Land nicht frei sehen, sondern es selbst beherrschen, anstatt des spanischen Joches. Ich bin für Barneveldt, für Recht und Freiheit, gegen meinen Stiefsohn Moritz, gegen meinen Vorteil, da mein eigenes junges Kind der Erbe des Thrones wäre. Und das alles kostet mich nichts: da liegt der Fehler. Ich kämpfe nicht, mich lenkt ein heiterer Starrsinn, den man aus Irrtum tugendhaft nennt.«
Die Sprecherin heftete ihren Blick, der zu klar war, auf die Herzogin von Beaufort.
»Ich glaube, daß die Dunkelheiten der Seele nicht zu kennen, Gleichgültigkeit verrät, und niemals irren, bei unserem Herrn im Himmel heißt es Lauheit. Ich verachte den Tod, aber mir wird es nicht, wird mir nicht angerechnet werden. Ich stürbe nicht aus Liebe. Nicht aus Liebe, sondern durch den christlichen Starrsinn, der mein Erbe ist. Ich war die liebste Tochter meines Vaters, des Admirals Coligny.«
Dieser Name blieb ihr letztes Wort. Als sie ihn aussprach, kam die kleine rundliche Frau halbwegs vom Sitz hoch. Die anderen drei Damen erhoben sich mit ihr, zuletzt Gabriele. Plötzlich verneigte sich vor ihr ein Edelmann, den sie nicht hatte eintreten gesehen. Erwartete gerade diesen nicht und noch weniger, daß er gerade ihr seinen Stolz darbrächte. Es war Herr de Rosny. Er sagte:
»Madame, der König ist auf dem Weg hierher. Er hat befohlen, daß wir Ihnen aufwarten sollen. Der Hof ist schon versammelt und bittet Sie, ihm zu erscheinen.«
Herrn de Rosny vor sich her wie ihren Marschall, je zwei und zwei gingen die Damen nach dem großen Festsaal. Entstiegen der inneren Versunkenheit ihrer Bekenntnisse, und alsbald empfing sie viel Lärmen der eitlen Welt. Gabriele hielt an, wenig fehlte, daß sie umkehrte, so stürmisch begegnete ihr diese Huldigung, die erste des ganzen Hofes. Händeklatschen und Jubel, während man andererseits unter dem Scharren der Füße und Rauschen der Verbeugungen von ihr fort und bis zum Hintergrund drängte. Hundert Damen und Herren dort hinten eingeengt, sie selbst in leerer Mitte -- und daß sie weniger verlassen wäre in ihrem beängstigenden Glück, ergriff sie Madame d'Orange am Arm. Madame Schwester des Königs trat ihr zur Linken.
Madame de Mornay war entflohen. Draußen sagte sie zu dem König, der die Treppe heraufkam:
»Sire! Die Herzogin ist Ihrer Hilfe bedürftig, o eilen Sie! Daß Sie doch immer zur rechten Zeit kämen, wenn Ihre Liebste in Gefahr des Lebens ist!«
Henri fing zu laufen an. Die Tür des Saales erreicht, sah er -- was denn? Keine Bedrängnis seines teuren Gutes, sondern seine geliebte Herrin triumphierte. Sein Herz schlug hoch auf. Es grüßte den Sieg der reizenden Gabriele und seinen eigenen.
Dieser Saal mit umlaufender Galerie und angrenzenden Kabinetten hat, wie lang ist es her, das Ballett der Zauberer und Barbiere eingefaßt. Die komische Szene hat hierselbst gespielt. ›Ich und du, wir mußten ein Versteck suchen, waren ohnmächtig gegen die Beleidigung und endlich froh, durch den geheimen Ausgang zu entkommen. Stand recht verdächtig damals um uns beide. Seither -- mein Aufstieg und deiner. Endlich bin ich der wirkliche Sieger über Spanien, und sogar gegen den Legaten des Papstes habe ich mich gehalten. Jetzt, jetzt weiß ich mich stark genug, mein Edikt zumachen. Heute, heut ist dein Tag, meine teure Herrin. Auf der Stelle könnt ich den Priester zwingen, uns zu trauen, dich und mich, und bist meine Königin.‹
Er dachte es im Rausch. Andere überlegten dasselbe mit ruhigem Verstand. Zwei Damen, etwas abseits des Gedränges, flüsterten miteinander.
Die Prinzessin von Conti: »Wie sie bleich ist! Madame d'Orange sollte sie fester stützen, man kann fürchten, daß sie fällt.«
Die Prinzessin von Conde, aus dem Haus Bourbon: »Man fürchtet noch mehr. Wenn das Glück meines Vetters nur anhält. Er müßte sehr groß sein für eine solche Heirat.«
Die Prinzessin von Conti: »Ist er nicht schon jetzt groß genug, um uns alle herauszufordern? Seine geliebte Hure tritt vor den ganzen Hof zwischen den zwei Protestantinnen. Ich glaube, daß sie selbst eine ist, sonst begriffe sie, was ihr droht, und fiele beizeiten in Ohnmacht.«
Die Prinzessin von Condé: »Allerdings ist sie bleich. Aber ihre Blässe kann ebensowohl Stolz anzeigen als Furcht. Wenn es bei Hof eine einzige reine Frau gibt, ist es Madame d'Orange. Diese nun spricht gut von Gabriele d'Estrées, ihrer neuen Tugend, der standhaften Liebe, die sie würdig machen soll, Königin zu sein.«
»Um so schlimmer für ihre Sicherheit«, schloß die erste Dame, und die zweite stimmte zu.
Händeklatschen, entzückte Zurufe -- während ein Herr, der bei Hof erst kürzlich eingeführt war, alle anderen überragte, da er auf einem Stuhl stand. »Ich irre mich wohl«, sagte dieser Herr de Bassompierre in die Enge hinunter: »Was ich erblicke, kann nicht Wirklichkeit sein, oder jemand lebt nicht mehr lange.«
Von unten wurde gefragt: »Wen würden Sie wählen?«
»Das ist doch klar«, antwortete der Herr auf dem Stuhl. »Der König muß leben. So schade es um diese schöne Frau ist, das Messer träfe sonst ihn.«
Madame de Sagonne, von unten:
»Sie sind hier neu, Sie Ärmster, und ahnen nicht, daß unsere nächste Zukunft vom Sternbild der Venus regiert wird.«
Auch die Minister Villeroy und Rosny waren im Gedränge befangen. Jeder hatte sich nach dem äußersten Hintergrund abschieben lassen, dort begegneten sie einander.
»Sieh da, lieber Freund.«
»Sieh da.«
»Es scheint, daß wir beide darin übereinstimmen, man sollte von dem Begebnis nichts gesehen haben«, sagte der Minister des Äußeren, den der Minister der Finanzen als einen Verräter kannte. Daher entgegnete Rosny:
»Es lohnt sich kaum, den Vorgang zu bemerken. Wär ohne Nutzen für den Hof von Madrid, darüber unterrichtet zu werden. Was hier geschieht, hat keinen folgenden Tag. Der König selbst wird alles vergessen haben, sobald er wieder Geld braucht. Sein Großschatzmeister, seine Geliebte, nur die Dummköpfe dieses Hofes können zweifeln, wer der Stärkere ist. Larifari, wozu denn Mord und Tod, wenn eine Kasse sicherer zuschlägt als ein Beil.«
Hiernach ließ Herr de Rosny die Menge eindringen zwischen ihm und Herrn de Villeroy, den er als einen Verräter kannte. Seine Worte, ob er selbst ihnen mehr oder weniger glaubte, gesprochen waren sie in der Meinung, Gabriele des Lebens zu versichern. Er liebte sie nicht, war auch nicht barmherzig. Um so mehr hatte er Würde, und mochte kein anderer die schwierigen Anfänge dieser großen Herrschaft genau bewahren, Herr de Rosny wenigstens faßte sie in drei Namen: der König, ich und die Herzogin von Beaufort. Die Frau indessen soll über diesen Rang und Titel niemals hinausgelangen: das wird seine Sorge sein.
Gabriele hielt nachgerade eine Ewigkeit dem Hof und ihrem eigenen Ruhme stand -- nach der Uhr waren es nur Minuten. Sie seufzte auf, als ihr lieber Herr sie bei der Hand nahm und durch den Saal führte. Sofort geriet das Gedränge in Bewegung, die Damen und Herren bildeten gelöste Reihen am Wege der Majestät, damit sie angesprochen würden. Sie achteten auf die Lippen des Königs, aber nicht weniger auf den köstlichen Mund seiner Herrin, da er diese an schwebender Hand vor sich her führte. Der breite und flache Reifen ihres Rockes erlaubte ihm, sie voranzulassen, sie darzubieten als sein Kleinod, und das tat er unweigerlich. Hatte hier ganz das Gesicht des Herrn, ohne Nachsicht und Geduld, wie sie bemerkten.
Daher begegnete Gabriele überall den Mienen der Ergebenheit. Ihre Wangen bekamen die schönen Farben zurück. Sie selbst anstatt des Königs redete die Leute an. Es war die Berührung ihrer Fingerspitzen mit seinen, davon hatte sie ihre ganze Geistesgegenwart und sprach das Rechte. An den ersten war sie noch stumm entlanggegangen. Vor Herrn de Sancy, Generalobersten der Schweizer, blieb sie stehen.
»Herr de Sancy, der König und ich haben beschlossen, nach der Bretagne zu reisen. Ich erlaube Ihnen, uns zu begleiten.«
Dasselbe sagte sie mehreren, besonders Herrn de Bouillon, der es angezeigt fand, seinen Abfall vor Amiens in Vergessenheit zu bringen. Daher nahm er ehrfurchtsvoll hin, daß die Dame, der er damals Geld angeboten hatte, ihn jetzt zur Reise nicht einlud, sondern befahl.
Gegen das Ende ihres Ganges traf Gabriele in das Gesicht des Herrn de Rosny. Beide hochgewachsen und blond, die Haut und die Augen von verwandter Färbung: Bruder und Schwester, wenn man gewollt hätte. Aber niemand wollte es, die Zuschauer nicht, denn sie waren gewöhnt an eine reizende d'Estrées und einen steinernen Mann, der abstieß. Am wenigsten hielten die beiden selbst von ihrer Verbundenheit. Gabriele trug den Kopf höher, sie sagte hochmütiger als zu jedem früheren:
»Sie werden Ihr Arsenal verlassen müssen und in meinem Gefolge reisen, Herr de Rosny.«
Er wurde über und über rot, seine Stimme erstickte, bevor er die Antwort herausbrachte.
»Ich erwarte den Befehl meines Herrn.«
»Die Frau Herzogin bittet um Ihre Begleitung«, sagte Henri, und seine Fingerspitzen belehrten die Schöne, daß sie es wiederholen müsse.
Das tat sie. Aber es war zu spät.
Die Reise nach seiner Provinz Bretagne gelang dem König in friedlicher Art, obwohl er zwölftausend Mann Fußtruppen mit sich führte, die Pferde und Geschütze nicht gerechnet. Dies Geleit, recht ansehnlich für einen einfachen Besuch, war ihm von seinem Großmeister der Artillerie angeraten worden. Ihn ließ Henri aussprechen, was er selbst wußte, aber nicht zugeben mochte: er hätte ohne die bewaffnete Drohung seine Provinz noch immer nicht bekommen. Ein anderer Umstand war von ihm nicht vorgesehen: der schnelle Aufbruch. Herr de Rosny bestand darauf, hatte auch den guten Grund, daß der Herzog von Mercœur seine Ausflüchte und Winkelzüge nur fallenlassen würde, wenn er sich unvorbereitet genötigt sähe.
Das war der Grund, den Rosny nannte. Sein ungenannter betraf die teure Herrin, die am bestimmten Tag nicht mitreisen konnte: das erwartete Kind ermüdete sie zu sehr. Nein, Herr de Rosny reiste nicht in ihrem Gefolge, wie sie gemeint hatte. Er brach auf, sie lag darnieder. Drei Tage später folgte sie. Als nun Gabriele in kleinen Strecken die Stadt Angers erreichte, war Henri mit seinem großen Geleit schon längst darüber hinaus. Wo immer er nahte, öffneten die Städte seiner Provinz Bretagne ihm die Tore, und aus der ganzen Halbinsel, die steil vom Festland absteht, ritten Edelleute eilends heran, den König zu empfangen. Herr de Mercœur auf seinen Klippen hatte die Gewalt des ungezügelten Meeres dennoch überschätzt. König Henri holt ihn aus seiner Festung von Stürmen, es ist das Frühjahr, sie wüten über das gewohnte Maß; der Herr der Stürme, den sie eigen gemacht haben, muß sich gleichwohl in das Land bequemen, wo alsbald von seiner Macht das meiste abhanden kommt, und muß den Vertrag schließen.
Dies ist kein gesonderter Vertrag über die Abtretung seiner Herrschaft. Vielmehr ist die Rückkehr einer großen Provinz in die Gewalt des Königs wie zufällig mitbedingt durch ein Abkommen, das für noch bedeutender gelten soll: es ist ein Ehevertrag. Die Tochter des Herzogs und der Herzogin von Mercœur wird verheiratet mit Cäsar Vendôme, dem Sohn des Königs von Frankreich und der Dame Gabriele d'Estrées. Dies gilt als die Hauptsache, wenn nicht für jeden, um so gewisser für Gabriele. Darum hat ihr Herz dieser Reise entgegengeschlagen. Aufenthalte und Hindernisse erbittern sie bis zu Handlungen, die außerhalb ihrer bekannten Art liegen; wer hat sie erwartet von einer Schönheit, die in sich selber ruht.
Die Herzogin von Mercœur, Marie von Luxemburg aus dem Hause Penthièvre, diese große Dame fand eine d'Estrées tief unter ihrem Stande. War auch der Sohn Cäsar nicht aus einem doppelten Ehebruch hervorgegangen, sie verachtete die Verbindung, die sie eingehen sollte. Ein König von Frankreich schien ihr als Verwandter unerwünscht, wenn er wie dieser seinen Weg zum Thron unter Mühen und aus eigener Kraft gemacht hatte. Und wer verbürgt seine Zukunft und Nachfolge? Sie wäre sofort umstritten, gesetzt, das Messer träfe endlich. Dann hätte man seinen Bankert als Eidam. Madame de Mercœur, für Ränke ohnehin geschaffen, beging ihrer viele und boshafte. Gabriele beschloß, ein Ende zu machen. Als die Herzogin vor Angers erschien, nichts anderes im Sinn als eine neue Verschleppung der Sache: Gabriele ließ alle Tore schließen. Die große Dame mußte umkehren und ihre Demütigung in Geduld verzehren, bis der König käme und ihr hülfe, in Gnaden aufgenommen zu werden. Denn es geht um Gnade, man erkennt es manchmal erst, wenn ein Tor zufällt.
Henri war bis hinauf nach Rennes gereist, die Stände der Provinz Bretagne hielten dort ihre Versammlung. Da er noch einige Tage seine Liebste nicht sehen sollte, schrieb er ihr Briefe wie zur Zeit seiner Werbung. Wahrhaftig, sie glichen denen, die er einst nach Schloß Coeuvres schickte, und mehrere fing damals der Feind ab. Hätte auch den kleinen alten Bauern mit geschwärztem Gesicht leicht greifen können. Henri denkt: ›Sieben Jahre vergangen, und immer ich und du. Ist es denn wahr, was du mir vorhältst und was ich dir abstreite: du wärst es jetzt, die mehr liebt? Tausendmal liebtest du mich mehr als ich dich? Soviel ist davon richtig: dein Gesicht ist aufgeblüht und gereift wie dein Herz. Du wolltest nicht mehr, leben ohne mich, das glaub ich wohl, denn das war ein rückläufiges Leben. Ich aber, teuerstes Gut, bin nicht anders daran und bin nicht freier als du. Bin mit dir aufgestiegen und zum Besitz gelangt -- durch dich, so fühl ich es und sehe mich nichts besitzen, was nicht du wärest. Mein Königreich vergleich ich deinem Schoß -- der mich früher oft betrog, jetzt aber ist er mein. Und wenn deine Schönheit verfiele, von dir könnt ich nicht los. Es war einmal, daß ich meine Liebe zurücknahm, ich Ärmster, der jetzt reich ist.‹
Nichts hiervon in seinen Briefen, die noch immer von La Varennes überbracht wurden. Sondern er wahrte den Ton von ehedem, der leicht und keck war mit Anspielungen auf die Waffen, die seine Herrin selbst gewählt hätte, und mit ihnen wollten sie baldigst ihren Wettstreit entscheiden. Dies schrieb der König, wenn die Reden zu langweilig wurden in der Ständeversammlung seiner Provinz Bretagne, der letzten seines Königreiches, die er an sich nahm. Sein Bart war weiß und seine Haare blond.
Er verschwieg auch die sonderbaren Begebnisse, die gerad immer in seine vernünftigsten Taten fielen und so auch hier. Sie hätten die Umstände einer Frau, die natürlich und lebendig sind, verletzen können, und dem Kind wären Merkmale geblieben von den Begegnungen seines Vaters mit der Unnatur. Da sein Geschäft bei den Ständen beendet war, verweilte er einen Tag und eine Nacht in Saumur, der Stadt seines Philipp Mornay, des alten Gefährten, der im Weltlichen nie anders als klar und zuverlässig erwiesen war. Ob inzwischen das Grübeln nach theologischen Geheimnissen seinen Sinn für die Wirklichkeit geschwächt hatte, jedenfalls sah er überall Herrn de Saint Phal.
»Was haben Sie?« fragte Henri. Der abgemagerte, eingeschrumpfte Mornay antwortete mit der Stimme eines Abwesenden:
»Er hat in das Fenster geblickt. Er verhöhnt mich. Ich bin beleidigt und werde verhöhnt.«
»Freund, kommen Sie zu sich!« verlangte Henri. »Sie sind in Ihrem festen Schloß, haben es selbst befestigt. Wie kam er hinein, davon zu schweigen, daß es kein Entweichen gäbe.«
»Für einen, der mit dem Teufel im Bunde steht« -- das Gesicht des Ruhelosen verwandelte sich, es entfernte sich ganz. »Für ihn sind Mauern nicht da, nicht aufgezogene Brücken.«
»Und welches Versteck sollt er schnell genug erreichen?« fragte Henri.
»Dieses«, flüsterte Mornay geheim, sein ausgestreckter Finger zitterte, traf aber ohne Zögern einen Punkt der großen Landkarte, gegenüber an der Wand.
Henri bedachte nur noch, wie er hinausgelangte. »Schnell!« rief er. »Setzen wir ihm nach!«
Dem Gequälten sanken die Arme, er wurde kleiner und klagte hilflos.
»Der Böse benachrichtigt ihn, sooft ich mich aufmache zu seiner Verfolgung. Sire! Ich hab Ihr Wort. Fangen Sie ihn!«
»Sie haben mein Wort«, bekräftigte Henri und war aus der Tür.
Er saß auf, hinter ihm war Gefolge genug, um einer ganzen Bande habhaft zu werden. Die Reiter hielten auf den Wald zu, wo ein Haus im Wasser die Zuflucht des Herrn de Saint Phal sein sollte. Indessen lenkte die Spur eines Hirsches den König vom Weg ab. Er und die Seinen kamen auseinander. Im Dickicht mußte Henri vom Pferd steigen, die Rufe der Jäger antworteten den seinen aus ungewissen Richtungen, und es wurde Abend.
Durch bloßen Zufall traf er im Dunkeln auf drei der Herren, einer war der Gerichtspräsident de Thou. Schon ältlich, begleitete dieser, der Verhandlung mit Mercœur wegen, den König auf seiner Reise. Im Eifer nach dem Hirsch war er gestürzt und hinkte. Der König entschied, daß er selbst ihn nicht verlassen wollte, dies entgegen den feierlichen Bitten des Präsidenten, der König möchte nach der Stadt zurückkehren.
»Wie das? Wir sind verirrt«, sagte Henri. Währenddessen war ein anderer auf einen Baum gestiegen und meldete hinunter, daß er ein Licht sehe. Als sie die Stelle erreichten, was langsam vonstatten ging infolge der Beschwerden des Herrn de Thou, da war es das einsame Haus im Wasser. Sie ritten hindurch, die Tür war unverschlossen und alle Zimmer leer. In dem einen brannte das Licht, es beschien ein gemachtes Bett.
»Es ist klar«, versicherte Bellegarde. »Der Mensch, den wir suchen, ist hier gewesen. Er wollte schlafen gehen, wir haben ihn überrascht, er kann nicht weit sein.«
»Dann hol ihn zurück, Feuillemorte«, befahl Henri und sah aus, als wär er überzeugt.
Der Großstallmeister mit dem dritten Herrn verursachte zuerst in dem dunklen Haus ein übermäßiges Gepolter, ihnen war schwerlich recht geheuer. Hierauf entfernten sie sich durch das Wasser, das aufklatschte. Der König verlangte inzwischen, daß Herr de Thou sich niederlegte; in allen Zimmern war kein Bett bemerkt worden außer diesem. Der Gerichtspräsident weigerte sich; es wäre für den König. Infolge starker Schmerzen nahm er den knappen Rand des Lagers ein, wollte aber bei Gegenwart der Majestät den Schuh vom verletzten Fuß nicht abziehen. Henri saß in dem einzigen Sessel vor dem Kamin, einiges Holz lag aufgeschichtet. Er zündete Tannenzapfen an, entfachte das Feuer und starrte hinein mit großen Augen. Ohne seinen Willen bedachte er, wozu er nach seiner Provinz Bretagne gereist war: mächtiger Staatshandlungen wegen, am Ende langer Vorbereitungen voll Besonnenheit und Geduld. Hier fand er sich nun auf der Jagd nach einem bloßen Wahn -- seiner war es nicht. Er entkam aber um so weniger dieser Nacht aus den Wäldern und einem öden Haus, worin dennoch ein Licht brannte. Wären jetzt Mörder eingedrungen, er hatte bei sich einen Kranken und allerdings sein eigenes Gewehr. Sieh, wie gebrechlich unsere Vernunft ist. Meine unheimlichen Begebnisse, ruf ich sie nicht herbei, und sie wären Warnungen meiner unvollkommenen Natur an sich selbst? Weich nie von deinem Wissen ab, tu unentwegt, was in dich gelegt und dir aufgetragen ist: hier säßest du nicht, und entgingest künftig noch ärgerer Zauberei.
Dies war aus dem Flackern der Flamme zu erfahren, wenn man die Brauen hoch genug hinaufzieht. Zögere nicht länger, sei fest, zu deiner Königin mach die eine! Da sieht er das Feuer ihren Namen schreiben, und die Flamme singt ihn.
Bellegarde und sein Freund trafen wieder ein, lautlos diesmal, denn sie hatten ihre Füße bis übers Knie entblößt, um durch den Teich zu waten. Sie behaupteten, Herr de Saint Phal wäre vor ihnen her von einem knackenden Busch zu dem nächsten gesprungen, bis ein Erdloch ihn verschlang. Henri bat sie einfach, den armen Präsidenten, der vor Erschöpfung auf das Bett gefallen war und schon schlief, möchten sie entkleiden und bedecken. Hiernach führten sie den König zu einem Zimmer, das keinen eigenen Eingang hatte, aber am Boden lag Stroh. Sie ließen die Tür geöffnet und lehnten sich draußen jeder an einen der Pfosten. Nur über sie hinweg konnte man bei dem König eindringen.
Henri fiel sogleich in tiefen Schlaf. Seine beiden Beschützer regten unter ihren Mänteln hier und da die Beine, damit der eine vom anderen versichert wäre, er wachte. Zuletzt aber rührte keiner mehr ein Glied -- bis ein dringliches Hilferufen sie aus ihren Träumen riß. Anfangs meinten sie noch, sie wären im Wald und hingestürzt über Saint Phal, der schrie. Allmählich besannen sie sich auf Herrn de Thou.
Dieser bekam es in seinem Zimmer mit einem geistesgestörten Mädchen zu tun. Da die Ärmste in der Stadt nur Unbill erlitt, hatte sie das verlassene Haus zu ihrem Aufenthalt erwählt -- war bei dem Eindringen der Unbekannten wohl geflüchtet, aber das wußte sie schon nicht mehr. Sie kehrte zu ihrer gewohnten Stätte zurück, zog im Dunkeln ihre nassen Kleider aus, das Licht war längst erloschen, und hängte sie über den Sessel beim Kamin, worin noch Glut war. Als sie ihr Hemd ein wenig getrocknet fand, legte sie sich quer auf das Bett, zu Füßen des Schlafenden, schlief auch selbst alsbald. Nun wollte Herr de Thou sich umdrehen; hierbei stieß er die Wahnsinnige vom Bett herunter, dies mit einer Bewegung, die ihn sehr schmerzte, so daß er erwachte.
De Thou öffnet den Vorhang des Bettes, das Fenster schickt einen bleichen Schein, darin kommt und geht die weiße Gestalt. Es kann keine Einbildung sein: jetzt naht sie und betrachtet ihn. »Wer bist du?« fragt der Präsident. »Ich bin die Himmelskönigin«, antwortet die Gestalt. Dem Präsidenten war eigentlich bewußt, daß dies Unsinn und bloßer Unfug wäre. Dennoch ergriff ihn abergläubische Angst, und er rief nach Hilfe. Die Herren erlösten ihn und verwahrten die Irre.
Henri hatte weitergeschlafen, von dem Begebnis erfuhr er erst beim hellen Morgen, als sie zu viert nach der Stadt ritten. Er sagte nur, daß er an der Stelle des Präsidenten sich sehr gefürchtet haben würde, worauf er in Schweigen verfiel. Er gedachte aber seiner nächtlichen Selbstprüfung vor der Flamme, die schrieb und sang. Nicht lange nachher beim Gottesdienst zu Ostern, angestimmt wurde Regina Coeli Laetare, da stand der König auf, mit den Augen suchte er in der Kirche nach Herrn de Thou.
Dies waren die weniger begreiflichen Vorfälle, gesetzt, man hätte ihren Sinn nicht dennoch gefühlt. Von ihnen stand nichts in den Briefen an Gabriele. Henri auf seinem Rückweg zu ihr begegnete der Herzogin von Mercœur: so viel Unterwürfigkeit und schöne Versprechungen hatte er von keiner stolzen Person bis jetzt empfangen. Er faßte um so mehr Mißtrauen, da er noch nicht wußte, daß seine teure Herrin die Dame gezähmt hatte. Er lud sie ein, nach Angers mitzukommen. Das Schloß dortselbst hat viele starke Türme, sechzehn oder mehr zählte die Herzogin von Mercœur und besorgte, in einem könnte sie festgesetzt werden. Die breite Mauer ringsum starrte von den Wachen ihrer Feindin.
Bevor man anlangte, kam die Herzogin von Beaufort hervor; sie konnte nicht schnell genug die Dame umarmen, bat sie auch, mit in ihre Sänfte zu steigen. Henri bewunderte, wie gut Gabriele gelernt hatte, entgegen ihren Gefühlen zu handeln und ihr Ziel im Auge zu behalten. Noch höher stieg der Wert dieser schönen Frau als eines besonnenen Wesens, da endlich den einunddreißigsten März der große Vertrag unterzeichnet wurde: ein Staatsvertrag, verblümt durch einen Ehevertrag.
Im Schloß zu Angers verlas der königliche Notar Meister Guillot den Akt, und so lang dieser war, die glänzende Versammlung hatte nicht Ohren genug, ihn anzuhören. Der Herzog und die Herzogin von Mercœur gaben ihrer Tochter Franziska, die den Herzog Cäsar von Vendôme heiratete, an Geld und Edelgestein die Fülle: indessen war alles zahlbar aus den ungeheuren Beträgen Geldes, die der Herzog von Mercœur vom König erhielt dafür, daß er ihm seine Provinz Bretagne zurückgab.
Hier konnten viele der Anwesenden ihre Eindrücke nicht länger beherrschen. So genau sie gewußt hatten, was verhandelt und beschlossen war --
»So genau wir es wußten«, sagte der Kardinal de Joyeuse zu dem Protestanten Bouillon, »wir glaubten es nicht. Haus Lothringen begibt sich seiner letzten Macht. Dieser kleine Navarra ist endlich der unumschränkte Herr über das ganze Königreich.«
»Ausgenommen mein Herzogtum Bouillon«, antwortete der frühere Herr de Turenne, der es geerbt hatte und dachte, sich gegen den König zu erhalten, was ihm zum Verhängnis werden sollte.
Meister Guillot verlas, daß die Gouverneure und Richter der Provinz Bretagne vom König in ihren Ämtern belassen würden. An dieser Stelle keuchte einer vor Zorn: Herr de Rosny mit steinernem Gesicht, aber im Innern voll Abscheu. Bekannte Schurken und Verräter blieben, was sie waren, anstatt gerichtet zu werden; er hatte es nicht verhindern können. Die königliche Rechtsgewalt demütigte sich; ihr Verteidiger Rosny nannte bei sich den König schwach. Der Unbeugsame begriff nicht, daß die Gewalt sich beugen kann. Der Heiratsvertrag als Vorwand für den ernsten Staatsvertrag, Rosny sagte dazu Larifari und schob alles auf den Ehrgeiz der teuren Herrin, die den König beschwatzt habe.
Ein Herr de Bassompierre, bei Hof erst kürzlich eingeführt, fragte: was denn Madame Schwester des Königs mit der Sache zu tun habe. Sie war allerdings herbeigerufen und ihre Billigung war eingeholt worden. »Jetzt wird alles klar«, erkannte der Neuling. »Der König ist gewillt, den Protestanten das Edikt zu geben. Was hier geschieht, ist der Schritt vorher.«
Auf einmal hörte man die Stimme des Notars nicht mehr, tiefe Stille legte sich über die Versammlung, dann aber rauschten zwei Kleider. Das eine aus fliederfarbener Seide, das andere grün mit viel Silber, Madame Schwester des Königs, die Herzogin von Beaufort. Zwischen ihnen der König: so traten diese drei in die Mitte vor den Tisch, worauf der Vertrag gebreitet lag. Von drüben bewegten sich erst beim zweiten Aufruf der Herzog und die Herzogin von Mercœur. Andere, die mit unterzeichnen sollten, nahmen Aufstellung, aber ein freier Platz blieb. Stufen führten hinan, sie wurden beschritten von zwei Kindern, die angetan waren als Dame und Herr. Schritten gemessen, hielten ihre kleinen Gestalten dort oben würdevoll, und von allen Gesichtern die ernstesten waren ihre.
Da lächelten einige, die steif dareingeblickt hatten. Mehrere Frauen entzückten sich laut, und vielfach wurde aufgeatmet. Henri folgte den Mienen der beiden Mercœur, die er um ihren Besitz und Macht brachte. Vorher hatten sie den Ausdruck von ertappten Verbrechern gezeigt, wechselten oft die Farbe, die Augen des Mannes röteten sich, die Frau hustete, um nicht zu weinen oder aufzuschreien. Da nun die Kinder auf ihrer Erhöhung standen, verwandelte auch dieses Paar sein ganzes Gehaben. Es begriff seinen Anteil. Unsere Tochter wird die nächste am Thron sein. Das andere Kind wird ihn mit ihr besteigen. Der König muß die Mutter heiraten. Daß er sie unverweilt heiratete!
Der König unterschrieb zuerst, dann reichte er die Feder der Herzogin von Beaufort. Ihr zitterte aber die Hand, das machte die Freude. Alle Hälse wurden länger, damit man dies sähe. Die schönste Hand im Königreich vollführte den Namenszug, der ihr höchster im Leben war. Sie legte die Feder hin und wartete gespannt. Ihr lieber Herr lächelte ihr zu, sie dürfe unbesorgt sein. Kaum hat Madame Schwester des Königs ihr Zeichen hingesetzt, schon stürzen die beiden Mercœur sich auf das Pergament. Philipp Emanuel von Lothringen Herzog von Mercœur, Marie von Luxemburg Herzogin von Mercœur: Gabriele liest es mit glänzenden Augen, ihr Glück macht sie schwindlig. Sie flüchtet ihr Glück, das schwer ist, an die Schulter des Liebsten, und er küßt ihr das erhitzte Gesicht.
Die Zeugen nahmen einer vom andern den Gänsekiel, besonders Herr Antoine d'Estrées, Vater der Heldin des Tages und wahrhaftig keine zweifelhafte Persönlichkeit mehr. Ohne Zeit zu verlieren, wurde hierauf das Verlöbnis der Kinder feierlich begangen; der Kardinal von Joyeuse weihte es, Hof und Gesandte wohnten bei. Ein zweites Mal indessen läßt man sich durch den Anblick nicht rühren und beirren, wenn Kinder mitwirken bei einer Handlung, die ihres Alters nicht ist. Vielmehr wurde ein Satz des Vertrages hier gegenwärtig. Als der Notar ihn laut und deutlich verlesen hatte, war er allen entgangen, oder sie taten, als wäre er entbehrlich. Sollte später von den künftigen Gatten einer die Heirat nicht zu vollziehen wünschen, hatte er einfach eine Absage zu bezahlen -- nicht einmal teuer für reiche Familien.
»Im Grund ist nichts geschehen«, sagte erstaunt der Großstallmeister Bellegarde. »Vierzehn Jahre, bis das Pärchen reif ist.«
»War meine Nichte, die Herzogin von Beaufort, nicht schon ein wenig früher reif?« erwiderte seine Nachbarin.
Bellegarde fand mit dem Blick die reizende Gabriele, ohne daß er sie gesucht hatte, und damit er nicht ihre Augen träfe, schlug er seine nieder. Sein Herz klopfte von Erinnerungen. »Zeig sie mir!« hörte er bei sich eine Stimme. ›Mit dem Wort hat für mich das Glück geendet‹, meinte er hier, obwohl es ihm sonst im Leben wohl erging. ›Hätt ich das Wort nicht herausgefordert damals, hier gab es keinen Königssohn zu verloben. Ein Wort, und mit dem Glück entfernt sich die Jugend.‹
»Was ihr bestimmt war, ist sie geworden«, sagte er leise.
»Und wir ahnten es nicht«, erwiderte mit einem Seufzer Madame de Sourdis -- wollte selbst vergessen haben, was alles sie einst ins Werk gesetzt hatte, damit die Bestimmung Gabrieles erfüllt wurde.
Bellegarde betrachtete die Kinder, die verlobt wurden. Der kleine Vendôme war zu schnell entwickelt, groß und dick, er gefiel ihm nicht. Dennoch ließ er sich nochmals rühren, er allein. ›Armer Junge‹, sprach er bei sich, ›Im Grunde ist nichts geschehen. Man kennt das Ende vom Lied nicht.‹
Die Festlichkeiten zu Ehren des großen Vertrages, so viel Volk herbeilief, um zu staunen, in einem enttäuschten sie. Die schönste Frau blieb ihnen fern. Ihr Zustand erlaubte kein öffentliches Auftreten mehr. Sobald der König sie begleiten konnte, reisten diese beiden nach der Stadt Nantes, dort gebar seine teure Herrin ihm den zweiten Sohn, Alexander. Nach einem Cäsar ein Alexander, und erhielt den Titel Monsieur wie ein Kind Frankreichs.
Burg und Stadt Nantes waren gerade erst den Königlichen ausgeliefert. Da er nach seiner Ankunft sogleich seinen Alexander Monsieur bekommen hatte, unterschrieb König Henri das Edikt von Nantes -- hingerissen vom Vaterglück. So sah es aus und wurde kaum bezweifelt. Aber kurz vorher ging der große Vertrag, wobei das Verlöbnis zweier Kinder die Zurücknahme seiner letzten Provinz einschloß und verkleinerte -- dies wohl überlegt. Wer aufgeschrien hätte, blieb still, fragt sich nur immer, wie lange. Jetzt sind wir angelangt in einem anderen Saal, unterschrieben wird das Edikt von Nantes.
»Jetzt sind wir angelangt«, sprachen untereinander die katholischen Herren. »Hierher hat dieser König uns haben wollen. Die Besiegten sind wir.«
Der Kardinal von Joyeuse: »Er gibt Gewissensfreiheit. Heute erfüllt sich sein Tag. Ist er nun der Hugenott, der er war? Oder glaubt er seither gar nichts?«
Der Connétable von Montmorency: »Mich nennt er seinen Gevatter. Aber ich kenn ihn nicht.«
Der Kardinal: »Einst bei Coutras schlug und tötete er meine beiden Brüder. Sein Freund kann ich nicht sein. Ich bewundere seine Hartnäckigkeit.«
Der Connétable: »Wollen wir die Größe dieses Königreiches? Nur um den Preis der Gewissensfreiheit schließen wir in Vervins den Frieden als Sieger. Was er sonst meint, weiß ich nicht.«
Der Kardinal: »Gewissensfreiheit: wer als Christ dächte anstatt weltlich wie unsere heilige Kirche, der gäbe sie selbst. Indessen müssen wir weltlich denken, um zu bestehen.«
Der Connétable: »Er will bestehen, das ist gewiß. Er nennt sein Edikt unumstößlich.«
Der Kardinal: »Es ist aber unumstößlich nicht mehr und nicht weniger als er selbst.« Hier drehte der Kardinal die offene Hand um, den Rücken nach oben. Der Connétable verstand, daß ein Gestürzter am Boden läge.
»Wir sind die Besiegten«, sagten die Katholiken, wenn sie nicht vorzogen, es nur zu denken. »Der König gibt die Ketzerei frei, aber wenn das alles wäre. Eure festen Plätze, ihr Protestanten behaltet sie. Wo sind unsere festen Plätze?« fragten sie einen aus der anderen Partei, der wegen der Enge des Saales von den Seinen fort und bis in ihre Nähe vorgeschoben war. Sonst hatte man oft vergessen, welchem Glauben dies und jenes Gesicht gehörte. Heute trennten sich die Religionen.
»Ihr sollt in vielen katholischen Städten euren Gottesdienst ausüben dürfen: wir bei euch nicht. Ihr sollt alle bürgerlichen Rechte haben, Beamte sollt ihr sein, Richter sogar.«
»Seid ihr es nicht?« entgegnete über mehrere hinweg Agrippa d'Aubigné. »Wer hat dem König sein Blut hingegeben, und leben wir noch, liegt's nicht an uns. Andere kenn ich, die waren eifrig dabei, diesen Staat zugrunde zu richten Arm in Arm mit den Spaniern. Da jetzt unser König der Herr ist dank unseren gewonnenen Schlachten, wer verlangt alle Ämter und die Staatskasse für sich allein? Die ihn verraten hatten und täten es wieder.«
Das Wort »verraten« sprach Agrippa etwas zu gehoben; übrigens stritt man, aber dämpfte die Stimme: der König erließ sein Edikt. Für das Wort »verraten« würden die Herren, denen Agrippa es zurief, ihm gern eine Lehre erteilt haben. Der kurze Wuchs des mutigen Agrippa verhinderte es, da man ihn hinter den längeren Protestanten nicht entdeckte, und diese stießen ihn rückwärts, damit er verschwände.
Bei den Protestanten sagte Marschall de Roquelaure zu Herrn Philipp Du Plessis-Mornay: »Sie blicken darein wie Bitterwasser. Ist dies nicht der fröhliche Tag?«
»So nannten wir den Tag von Coutras«, sagte Mornay. »Damals waren wir das Heer der Armen. Das Heer der Verfolgten um der Gerechtigkeit willen.«
Roquelaure: »Unser König hatte hohle Wangen, ich seh ihn noch.«
Mornay: »Sie brauchen sich nur hinzuwenden, seine Wangen sind hohl geblieben, seine Schlacht geht weiter.« Mornay hätte gern hinzugesetzt: Und ich hab es mit Herrn de Saint Phal zu tun auf Tod und Leben. Schlimmer: wenn mein Traktat über die Messe erscheinen wird, verlier ich die Gnade des Königs. Der Marschall unterbrach ihn.
Roquelaure: »Der König erfüllt uns heute sein Wort, aber auch nur gerade das. Wir hätten im Staat die Ersten sein sollen, jetzt bekommen wir die Rechte der Geduldeten und keine Bürgschaft, daß es vorhält. Zwanzig Jahre gekämpft zu haben für die Gewissensfreiheit!«
Mornay: »Die ist errungen unumstößlich. Der König spricht wahr.« Mornay dachte aber: ›Es ist die Gewissensfreiheit ein inneres Gut. Werden Zeiten kommen, da wir sie allein bewahren können im Herzen und in der Verbannung.‹
Zwischen den beiden Protestanten entstand ein merkwürdiges Schweigen, es war gemacht aus Einblicken, die gewöhnlich stumm sind. Roquelaure äußerte zuletzt dennoch:
»Einst hatte er das Königreich nicht und war nicht groß. Er und wir brachen trockenes Brot und beteten: Alle Heiden umgeben mich, aber im Namen des Herrn will ich sie zerhauen. Wer ist jetzt zerhauen? Wär auch umsonst. Die Erfüllungen lohnen nicht« -- sprach mit verlegenem Gesicht Herr de Roquelaure, der bei Hof bekannt war durch seine Lachlust und leichtfertigen Spott.
Philipp Mornay, ein Mensch voll Qual, erwiderte, ohne daß sie einander ansahen:
»Man darf nicht altern. Einen haben wir, der altert nicht.« Er wendete Brust und Gesicht nach seinem Herrn, ihn hat er erwählt in seiner Jugend.
König Henri, auf den Stufen, unter dem Baldachin, verkündet sein Edikt. Läßt keinen Notar es lesen; spricht es auswendig als seinen Willen und freies Belieben. Wer den richtigen Ton einhält zwischen Befehl und Gnade, könnte beim Anhören der eigenen Stimme vergessen, was er in Wirklichkeit hier wiedergibt unter dem Baldachin: ein unvollkommenes Ergebnis, entstellt und aufgehalten bis in die letzte Stunde. ›Verhandlungen und Zugeständnisse zum Schein; Streit, Abbruch, neue Fühlung der Parteien, vorn die schönen Reden, hinten die bösen Ränke, der Eigensinn, Haß und die eingefleischte Sucht nach Vorteil: viel ist meinem Edikt vorhergegangen. Auch meine zwanzig Jahre Kampf. Als kleiner König von Navarra, höchst ungewiß meines Lebens und des Thrones von Frankreich, hab ich vor Augen diesen fernen Tag gehabt. Dies war ein mäßiges Auftreten unter dem gewohnten Baldachin und das Edikt wäre nichts: dennoch ist das Königreich mehr als Geld und Gut, mehr als die gemeine Macht über euch Menschen. Endlich weiß ich mich stark genug euch zu sagen: Ihr sollt frei sein zu glauben und zu denken. Daß doch einer hier wäre und mich hörte, dessen Augen und Ohren schon mit Erde gefüllt sind. Herr Michel de Montaigne, wir sprachen zueinander einst am Meeresstrand. Was weiß ich? war Ihr Wort. Wir tranken Wein in einem zerschossenen Haus, wir sangen den Horaz, Sie und Ihr geringster Schüler, der jetzt unter dem Baldachin steht und sein Edikt verkündet. Sie würden sich freuen. Ich freue mich.‹
Er war der einzige, Genugtuung zu empfinden, und bemerkte es wohl. Keine der Parteien war zufrieden, sie nahmen nur hin, was er ihnen beschied, weil er endlich stark genug war: die Gewissensfreiheit -- mitsamt ihren Folgen. Zu seinem erhöhten Platz starrten sie von allen Seiten, als wäre die Majestät allein genug, um die Veränderungen der Gesellschaft hervorzubringen, und Wechselfälle des Kriegs und Friedens lägen keine vor diesem Tag. Henri denkt: ›Die Mühen sind lang, der Erfolg ist zweifelhaft, die Freude kurz. Seien wir kurz und kommen zum Schluß, bevor sie recht erstaunt sind. Das Verlöbnis der Kinder, die Geburt meines Sohnes, das feiern wir, und aus lauter Vaterglück mach ich euch alle gleich, den Herren nehm ich ihre Provinzen, ihre Macht. Die Religionen unterscheiden euch nicht länger im Staat und demnächst kaum die Stände. Hört nicht zu genau hin, wir machen's kurz.‹
»Ich teile die Protestanten meines Königreiches in zehn Gebiete, deren jedes über sich selbst bestimmen soll durch seine Vertreter: zwei Pastoren, vier Bürger und Bauern, vier Edelleute. Ihre Anliegen und Unstimmigkeiten entscheide ich selbst.«
Der König hat gesprochen. Er nimmt von seinem Kanzler, dem alten Cheverny, das Pergament, unterschreibt es und grüßt die Versammlung zum Abschied. ›Das haben sie dahin‹, denkt Henri. ›Nachher die Milde und der Ausgleich, damit sie sich gewöhnen.‹
Die meisten hatten einfach die Majestät angestarrt. Einige, die begriffen hatten, erklärten einander:
»Vier Edelleute gegen sechs vom dritten Stande. Bei den Protestanten fängt er an.«
»Das ist die Herrschaft der Gemeinen.«
»Wenn es nicht die Allmacht der Majestät ist.«
Henri war unter der Tür, da wurde gerufen:
»Der große König lebe!«
Er ging aber hinaus, als meinten sie einen anderen.