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Das heilige Öl, um einen König von Frankreich zu salben und zu weihen, wurde in Reims aufbewahrt; aber diese Stadt gehörte bis jetzt der Liga. Auch die Hauptstadt war noch immer in der Hand des Feindes. Dringend darauf bedacht, nach Paris hineinzugelangen, mußte Henri vorher durchaus gesalbt und gekrönt sein. Wenn er selbst diese Verpflichtung unterschätzt hätte, alle anderen hatten es mit ihr höchst wichtig; daher wurde nach einem heiligen Öl gesucht. Das Beste, das sich vorfand, war mit dem Andenken des heiligen Martin verbunden: dies entschied bei Henri. Er kannte von seinem Königreich, um das er lange gekämpft hatte, jeden Fußbreit, er wußte, weil er selbst gegen sie geritten war, in jeder Ortschaft ihren Schutzherrn: am häufigsten kam Martin vor. Gut, wir bleiben bei Martin -- und statt Reims nehmen wir die Stadt Chartres mit ihrer allgemein verehrten Kathedrale. Kein guter Katholik wird die feierliche Handlung für gering ansehen, wenn die Kathedrale von Chartres ihr Schauplatz ist.
Nun erinnerte Henri sich wohl, daß schon in Saint-Denis, als er abschwor und den wahren Glauben annahm, allgemeiner Beifall geherrscht hatte, und es war viel Volk aus Paris, mit dem er sich festlich vereinigte, wonach allerdings ein Mörder auftrat. Vielmehr war der Mörder von vornherein zur Stelle gewesen; er unterschied sich nicht wesentlich von dem Volk, in dem er verborgen war und das dem König hingegeben schien mit Herz und Hand. Nein, Irrtum, man sticht, wie man singt und kniet. Die Gelegenheiten wechseln, der Geist der Menschen ist vielfach. Unsere Schuld, unsere große Schuld, daß wir die guten Leute, wie man sie nennt, nicht anhalten konnten, immer gut zu sein. Freudigkeit, Mäßigung und Milde wären der vernünftigen Wesen allein würdig. Das Reich soll erst erfunden werden, worin sie herrschen. Um so unerläßlicher sind die feierlichen Handlungen, da sie die Sittigung der Zuchtlosen begünstigen. ›Wiederhol ich sie häufig‹, dachte Henri, ›vielleicht, daß endlich sogar meinen Mördern die Tränen der Sittigung in die Wimpern treten, obwohl dies ungewiß ist. Ich kann nur mit dem Beispiel vorangehen. Nicht töten, sondern leben helfen. Das wäre erst die Macht des Königs, wäre wahrhaftig die Macht‹ -- erkannte er, nicht das erstemal, denn die Richtung war ihm mitgegeben, vermochte aber auch aus einem so gehobenen Anlaß seiner Erkenntnis der Macht nicht nachzuhängen bis an ihr fernes Ende: es gab zuviel zu tun.
Die feierliche Handlung von Chartres war von Grund her aufzubauen; alles fehlte, die handelnden Personen wie die Gegenstände, die in Händen gehalten werden sollten. Krone, Zepter und das übrige Zubehör, die Aufständischen hatten es, je nach seiner Beschaffenheit, eingeschmolzen, zerbrochen, zerrissen oder einfach geraubt. Die Würdenträger, die zufolge ihrem Amt die Berufenen gewesen wären, standen entweder auf Seiten des Feindes oder befanden sich in seiner Gewalt, besonders die Bischöfe. Einige weltliche Herren entschuldigten sich, weil sie der königlichen Macht mißtrauten. Paris bleibt spanisch, wozu dann feierliche Handlungen. Zum Glück gibt es immer Getreue, die kurzweg die nächste Arbeit anfassen, wie zum Beispiel die Justizhand mit den beiden Eidesfingern, das heldenmäßige Schwert und die gewirkten Stoffe, groß genug, um die Mauern einer Kirche zu verkleiden. Das wurde in Eile angefertigt oder beschafft; andere Komparsen ersetzten die ausgebliebenen, mit ihnen wurde der Vorgang erprobt, damit keiner aus der Rolle fiele; und am Morgen der feierlichen Handlung standen zwei Edelleute um drei Uhr auf: die Kathedrale mußte fertig werden.
Der König hatte den ganzen vorigen Tag voll ausgefüllt, um Predigten zu hören, worin die Bedeutung der feierlichen Handlung ihm erklärt wurde; um zu beichten und zu beten. Am siebenundzwanzigsten Februar früh geleiteten ihn zu der feierlichen Handlung zwei Bischöfe und mehrere Große, unter denen er den Ersten vorstellte. Er trug eine Gewandung, die er nie für möglich gehalten hätte: ein umfänglicher Überwurf, Leinen versilbert, darunter ein langes Hemd, karminrote Seide. Sah aus wie eine Erscheinung jenseits der Zeiten, aber seine Damen hatten es so gewollt, seine liebe Schwester, seine treue Herrin, und dahinter eigentlich die Dame de Sourdis, da ihr Freund, der Kanzler de Cheverny, auf hohe Form hielt. Der Kanzler und mehrere andere Herren seines Ranges folgten dem König auf dem Fuß, darunter der Großstallmeister, Herzog von Bellegarde. Henri unterschied den Schritt seines alten Freundes Feuillemorte von denen der anderen, hätte sich gern umgewendet und ihm zugelacht; seine sonderbare Tracht, um nur sie zu erwähnen, verbot es ihm. Übrigens war er auch in dieser Kathedrale wieder den Blicken einer Menge ausgesetzt, Herolde und ein großer Pomp von sichtbaren Zeichen der Macht, sogar ein Connétable mit entblößtem Schwert betraten vor ihm die Fliesen des Schiffes. Danach folgte er selbst ganz allein, mit einer Feierlichkeit, die niemand ganz verstand, am wenigsten er selbst, und zweifelte: ›Ist sie großartig? Ist sie am Ende drollig?‹
Die Herolde begannen Namen zu rufen, die altüberlieferten zwölf Namen, wie die Großen des Königreiches sie einst getragen hatten. Natürlich antwortete den Herolden kein Herzog von Aquitanien, weil es längst keinen mehr gab, und konnte nicht wohl zur Stelle sein, sonst hätte er ein vergessenes Maskenkostüm vorgeführt, wie Henri selbst. Sondern seinen guten Soissons, den Geliebten seiner Schwester, hörte Henri antworten, und des weiteren antwortete jeder, der hier war, für einen Abwesenden: der war entweder hundert Jahre tot oder er hatte sich von der feierlichen Handlung gedrückt. Da nun der Bischof von Chartres an Stelle des Erzbischofs von Reims den König salbte mit dem heiligen Öl, das aber nicht das echte war, kitzelte es den Gesalbten, und um nicht zu lachen, hustete er. Dies in der frömmsten Haltung, die Stirne hingeneigt; nur in seinem geheimen Sinn verständigte er sich mit der reizenden Gabriele dort oben auf ihrer Galerie -- oder glaubte doch, die reizende Gabriele sähe dem ganzen Aufwand mit ähnlichen Gefühlen zu, wie er selbst. ›Bemerkst du wohl Feuillemorte, und weißt du noch, meine schöne Liebe, wie er unter dem Bett lag und ich warf ihm Süßigkeiten hinunter? Hier machte er den Feierlichen.‹
Indessen, die reizende Gabriele kannte auf ihrer hohen Galerie im Mittelschiff keine einzige Erinnerung der Art und wurde davon nicht angewandelt. Ihr lieber Herr hatte wieder einmal alle gebotenen Schwüre abgelegt, besonders den gegen die Ketzer; jetzt setzte der Bischof ihm die Krone auf -- wahrhaftig, die Krone, und ihr lieber Herr war gekrönt. Sie hätte es in ihrer tiefsten Seele nie geglaubt. Hör, Gabriele d'Estrées, wie sie rufen: Der König soll leben! Das Tedeum stimmen sie an um seinetwillen -- und er war doch in anderer Gestalt der kleine Alte mit geschwärztem Gesicht, der sich zu Fuß nach Schloß Cœuvres geschlichen hatte und du sagtest ihm: Sire! Sind Sie häßlich. Hierauf hieltest du ihn lange zum besten, betrogst ihn fleißig, ließest dich erst allmählich gewinnen, da er an seinem reisenden Hof als der große Mann galt. Was war das schon für ein Hof, dessen Aufenthalt wechselte je nach dem Kriegsglück. Du mußtest dich geschickt verhalten zwischen Pastoren und Prälaten; deine Sache war die Bereicherung deiner Familie, Herr d'Estrées stahl und du schütztest ihn, Herr de Rosny wurde dein Feind infolge deines Familiensinnes. Du arbeitetest für die Bekehrung deines Ketzers, anfangs leis und heimlich, nach empfangenem Auftrag: da liebtest du noch immer den anderen und wärest beinahe fortgelaufen. Erst ganz am Ende, in einer Nacht der Tränen und unbegreiflichen Erscheinungen, entdecktest du, von wem du unter deinem Herzen das Kind trügest und wer im Ernst dein lieber Herr war. So ist es gekommen, reizende Gabriele, daß du oben im Schiff der Kirche vor Stolz und Freude hebst, ja, dein Blick erblindet durch übermäßige Seligkeit, da dein Herr die Krone empfängt.
Wie man irren kann. Henri hütete sich, zu seiner teuren Herrin hinaufzuspähen; er befürchtete, sie würde husten müssen wie er selbst infolge der Versuchung, zu lachen. Feierliche Handlungen gewinnen nicht durch Wiederholung, sofern einer das Falsche verspürt und der Komödie bewußt ist. Henri hat seinen ganzen Ernst verbraucht im Kampf um sein Gewissen, während seiner schwierigen Meditation und durch den Todessprung. Ist geschehen, wir fragen nicht mehr, wozu. Wenn es um der Macht willen wäre, die durchschauen wir, haben uns lange genug bis in ihre Nähe hinaufgearbeitet. Der Herold ruft einen Toten auf, es antwortet einer, der am Leben ist. Der Bischof, den man eben hat, erhebt die Ampulle, die von den erhältlichen noch die beste war. Alsdann senkt sich auf einen Kopf, der nicht glaubt, sondern zweifelt, die Krone: sollte ehrwürdig sein, kommt aber frisch aus der Werkstatt. Soweit die Macht, wie sie dargestellt aussieht. Ein Sonnenstrahl läßt das Schwert blitzen, der Marschall de Matignon hält es steil vor sich hin, es soll das Schwert des Connétable sein. Nun ist Matignon in Wirklichkeit kein Connétable, aber er macht galante Verse sowohl lateinisch als in der Volkssprache: wahrscheinlich hält er schon welche bereit, in dem Augenblick, als das furchtbare Schwert blitzt. Soweit diese Macht.
Henri indessen gedenkt einer anderen, die er im Herzen trägt, und Macht über die Herzen wäre sie eigentlich. Die feierliche Handlung mißfällt ihm; er sieht nicht, wie sie der Sittigung der Zuchtlosen dienen könnte. Allerdings fühlt er hier auch nicht die Gegenwart des Mörders -- was erstens eine große Erleichterung ist; es könnte dennoch bedeuten, daß Salbung, Krönung und die Wucht des heutigen Vorganges seine Person für einige Zeit unverletzlich machen. Der Rechtsgelehrte hat mit seinem bitteren Wort zuletzt geirrt. Zweitens, da die Lebensgefahr sich von ihm entfernt, wird dieser König ernst, er bekommt den Ernst zurück, und der war vorher liegengeblieben in einem buckligen Wirtshaus, wo ein Narr agierte, oder auch in einer Badstube, beim Auftreten desselben Narren. Ganz anders, wenn der König seinen treuen Rosny betrachtet.
Während der Dauer der Zeremonie kehrte Henri immer wieder zu dem Gesicht des Barons zurück, und mehrmals erschrak er: der war der einzige Echte hier. Den hätten sie von der Front der Kathedrale herabnehmen können: er würde auch dort seinen Mann stehen, als Steinfigur mit einfachen, großen Zügen, und nichts bewegte sie. Der Protestant hörte den König die Vernichtung der Ketzer beschwören, sein Angesicht blieb fest. Er war zugegen, er wirkte mit und stand seinen Mann, indessen sein Inneres sprach: ›Larifari.‹ Das sprach für ihn allein die kahle Schlichtheit des Hugenotten, es war seine Ansicht von der feierlichen Handlung. ›Tand, Weiberfang, dem Herrn ein Greuel‹, hätte die innere Stimme gerufen, wenn der Baron sie hätte etwas melden lassen. Der weltkluge Rosny verurteilte die störende Stimme, zu schweigen, und was er wirklich äußerte durch Gestalt und Miene, war treu und fest der Diener seines Königs. Henri, mit Männern ohnedies erfahren, kannte seinen Rosny; aber hier, inmitten der feierlichen Handlung, wurde ihm gewiß, daß der sein Mann für immer wäre.
Nicht lange danach berief er ihn in seinen Rat. Weiter besorgte Rosny es selbst, daß er der Herzog von Sully wurde, allmächtig in den Finanzen des Königreiches, Großmeister einer Artillerie, derengleichen nicht war gesehen worden, und praktisch der Arm des Königs -- solange sein großer König da war, und keine Minute länger. Dem hat er sich verschrieben und seine Sache auf ihn gestellt, ungeachtet innerer Stimmen eines alten Hugenotten. So viel ich dir bin, so viel sollst du mir sein. Der Anfang eines Aufstieges, hier lag er, einbegriffen in eine feierliche Handlung, als Henri immer wieder zu dem Gesicht des Barons zurückkehrte, und mehrmals erschrak er. Denn er blickte in das Gesicht der Pflicht und des steinernen Ernstes trotz heimlichem Larifari. Henri dachte: ›Ein mittlerer Mann, um nicht zu sagen eine Mittelmäßigkeit. Könnt er mein Beispiel sein!‹ So dachte Henri, weil Einfachheit ihm damals sehr zu wünschen schien. Sie ist aber das schwerste, außer, man wäre Rosny.
Der König verließ die Kathedrale königlicher als er gekommen war. Schritt und Haltung schienen seither erhaben geworden; die unwahrscheinliche Gewandung, er trug sie glaubhaft. Dank einem solchen Mittelpunkt wurde der Pomp des Aufzuges gewaltig, vergleichsweise war er vorher schlottrig gewesen. Die Menge Volkes schwieg am Wege, und sie kniete. Hierauf allerdings zog Henri sich zum Mittagessen um -- wies Herrn d'Armagnac ab, als dieser ihm das Weißseidene hinhielt, er wollte bequem sein wie alltäglich. Im Festsaal saß er unter einem Baldachin, was seine Eßlust nicht verringerte; saß an seinem Tisch allein, überblickte rechts die Tafel der geistlichen, links die Tafel der weltlichen Herren, alle eifrig dabei, sich zu sättigen: darin waren sie wie er. Sie sollten nach der Annahme auch sonst seinesgleichen sein, er der Erste von ihnen, und alle zusammen das Königreich. Das war nicht seine Meinung; er hielt es für angemaßt und fand andererseits, daß es nicht genug wäre. Ließ wieder einmal die Tür öffnen und alles Volk herein. Er fürchtete kein Gedränge, nur die Herren beschwerten sich.
Bald stellte er die gute Laune wieder her. Den Edelleuten, die ihn bedienten, sagte er, Don Philipp, der Weltbeherrscher, habe sich die Krankheit geholt. War das ein Staunen über die Katholische Majestät, ihre sonderbare Verirrung nach so langer Enthaltsamkeit. Eine einzige Sünde, schon ist er bestraft. Wenn ein jeder galante König gleich hineinfallen wollte. Da wendeten alle, rechts und links, mit einem Ruck ihre ganzen Personen gegen den Tisch, der quer stand, nach dem König unter seinem Baldachin. Der König lachte, somit durften alle lachen. War das eine Belustigung über die Katholische Majestät von Spanien und ihr possenhaftes Mißgeschick. Manche der Herren nahmen die Geschichte für einen Witz, wenn auch für einen gewagten: diese jubelten am längsten. Es gab hohe Herren, geistliche besonders, die Augen gingen ihnen über und sie klatschten nach dem König hin in ihre erhobenen Hände als Zeichen der Anerkennung. Unvergleichlich öfter, als der von Spanien, hat dieser König die Krankheit herausgefordert und sie dennoch nicht bekommen. Aber obendrein zerstört sie jetzt seinen Feind. So viel Glück verdient Beifall.
Mehrere wurden nachdenklich, ihnen verging das Lachen. Wer so viel Glück hat, ist zu fürchten. Ein Doppelspiel auf seine Kosten könnte schlimm ausgehen, und sofern einer, der hier mittafelt, zu den Spaniern in Paris noch Beziehungen unterhielte, wäre es für ihn Zeit, sie zu lösen. Die Spanier werden in Paris nicht bleiben, wenn ihr Herrscher sich angesteckt hat. Den Wink gibt das Glück: man beachte ihn. Jemand sagte laut, daß nicht nur der Weltbeherrscher, nein, sein Weltreich die Krankheit habe, infolge derer es faule und Glied für Glied von ihm abfalle. Dies wurde die ganzen Tische entlang wiederholt und äußerst lebhaft besprochen. Inzwischen waren schon vom Wein und den Speisen die Gesichter rot, die Stimmen stark geworden. Dieses Herren essen hätte vermöge der spanischen Nachrichten das Ansehen eines Gelages angenommen, der König wünschte es abzubrechen: wer gewandt genug war, bemerkte es. Gewandt war der Kardinal Du Perron, derselbe, der für Henri das Kissen hingebreitet hatte, als er seinen falschen Glauben abschwur.
Du Perron reichte dem König die Fingerschale, verneigte sich und bat um die Erlaubnis, ein Lied zu singen -- ungewöhnlich für einen Kirchenfürsten, daher horchte man auf. Der Kardinal sang dem König in das Ohr: es war nicht viel, es schien sehr zart, der König bekam feuchte Augen. An den oberen Enden der beiden Tafeln erlauschte man diese wenigen Worte: »Die Lippen sind Korallen, die Zähne Elfenbein. Verführerisches Doppelkinn!« Da nun der König weinte, begriffen zuerst die Näheren, dann die Ferneren, wem das Lied galt. Einer nach dem andern erhob sich, zuletzt standen alle stumm hingewendet und huldigten dem Glück des Königs, vorher hatten sie nur Beifall geklatscht.
Das Gleichnis seines Glückes hieß Gabriele: dessen wurden sie meistens gewahr, die Beschränktesten wenigstens infolge der guten Mahlzeit; Andere verglichen den Schatz, der sein war, mit der beklemmenden Nachricht aus Spanien. Vereinzelte dachten tiefer, sie erkannten diese Verwandlung des Unbeständigen, in seiner Treu und Festigkeit vermuteten sie den Beschluß, seßhaft zu sein und zu besitzen. Was er besitzen sollte in dieser Welt, konnte nicht wenig sein. Er war streitbar bis an den Rand der Größe. Der Streitbarkeit fehlt nur der Besitz, damit sie Größe heißt. Dies wenigstens ist die Meinung der Vernünftigen: der Vernünftigste von allen, Herr de Rosny, verband den Gedanken der Größe ganz unbedingt mit dem des Besitzes. Daher nahm er sich, entgegen seiner Natur und Bestimmung, hier dennoch vor, mit Madame de Liancourt seinen Frieden zu machen.
Eine starke Mahlzeit war abgeleistet, aber schon am frühen Abend stand eine zweite bevor, diese mit den Damen. Andere schliefen inzwischen oder ergingen sich in Gesprächen. Was Henri betrifft, er spielte Ball, mit schweren, langen Bällen aus Leder, anstrengend zu werfen für Leute mit gefülltem Magen, und wo sie aufschlagen, hinterlassen sie mindestens Beulen. Verheerend ist ein Treffer gegen den gefüllten Magen, weshalb einer der Herren alsbald den Rasen deckte und andere sich noch vorher besiegt gaben. Henri wollte durchaus weiterspielen, und da es ihm an Edelleuten fehlte, rief er Bürger, die zusahen. Wer von ihnen der Beste im Ballspiel wäre, fragte er, und zu ihrem Erstaunen benannte er sie gleich selbst, denn er schätzte ihre Körper ein. Die Auserwählten waren ein Fleischhauer, ein Faßbinder, zwei Bäcker und ein Gauch, dieser versehentlich unter die ehrsamen Leute geraten; im Ballspiel verdiente er nun einmal Ehren und Gewicht. Sonst will niemand viel gemein haben mit einem Seiltänzer, Gaukler und vorbehaltenen Henkerswild. Nur das Spiel macht alle gleich, und vorübergehend wurde vermöge seiner fachlichen Ausbildung etwas Ordentliches aus dem Gauch.
Der König warf mit seinen langen Bällen zuerst einen der Bäcker aus dem Spiel. Nahezu eine Stunde hielten die anderen aus, bis auf einmal Fleischhauer, Faßbinder und der zweite Bäcker genug hatten; alle drei machten kehrt und hinkten von dannen. »An uns!« sagte der König zu dem Gaukler -- und von jetzt an schleuderten sie einander die Bälle zu, nicht wie Wurfgeschosse, sondern mit einer unnatürlichen Leichtigkeit, als zauberten sie. Flogen von Ort zu Ort wie Merkur, streckten nur die Hand aus, und ungebeten begaben die Bälle sich hinein, nicht einer, sondern drei, vier, fünf und schienen luftig wie Seifenblasen. Das war eine Augenweide und ungemeine Darbietung. Dichtes Volk stand angesammelt umher, weltliche wie geistliche Herren vergaßen ihre Verdauung, und alle sahen zu, wie der König wunderschön spielte mit dem Gauch.
Indessen gebärdeten diese beiden sich bedeutend geisterhafter als sie waren, was sich bald genug herausstellte. Man verwechsle die Wirklichkeit nicht mit der Kunst. Sie schwitzten dennoch, und als ihnen das Wasser von der Stirn in die Augen lief, so daß jeder beinahe seinen Ball verfehlt hätte, da zogen sie, beide zur gleichen Zeit, ihr Wams aus -- an einem Februartag gegen Abend, und man sah sie in Hemdsärmeln, den König und seinen Spielgefährten. Man sah noch etwas mehr. Der Seiltänzer und Gaukler trug ein gutes Hemd, aber dem König klaffte es im Rücken auseinander. War alt, mürbe, und der heftigen Bewegung hatte es nicht standgehalten.
Henri verstand noch nicht, was im Umkreis geraunt und gewispert wurde. Er hörte Murren, er unterschied Seufzer, aber endlich wagte jemand auszusprechen: »Sire! Ihr Hemd hat ein Loch.« Als es heraus war, ging die peinliche Überraschung sofort in Fröhlichkeit über. Zuerst lachte der König selbst, während er andererseits bemüht war, einen großen Zorn hervorzukehren. »D'Armagnac!« rief er, und da der Erste Kammerdiener sich meldete, fragte Henri: »Hab ich denn nicht sechs Hemden?« -- »Ach«, erwiderte d'Armagnac, »es sind noch drei.«
»Schlimm genug, daß man mich nackt laufen läßt. So sieht ein König aus, der den Städten ihre Abgabe erläßt und kauft sie zurück von den Gouverneuren der Liga, die sie mit Steuern platterdings erdrosselten. Den Bauern aber schenk ich ihre Höfe, nachdem ich sie einzeln erobert habe. Da langt es wohl für den Ornat zur Krönung, wenn auch für kein Hemd.«
Dies gesagt, ging er ohne weiteres ab -- was im rechten Augenblick geschah, denn den Ton seiner Rede bewahrten alle im Ohr. Er hatte kühn und groß gesprochen. Das Loch im Hemd war zu einem Opfer an das Königreich geworden, es vermehrte den Ruhm des Königs. Ein wirklicher König. Alle sahen ihn in ihrem Geiste nochmals durch die Kathedrale schreiten, mit der unwahrscheinlichen Gewandung, die er glaubhaft trug -- sie verglichen, und fanden sogar erhabener, wie er dort abging in seinem zerrissenen Hemd.
Henri legte seine besten Sachen an, denn das große Bankett, das folgen sollte, war mit den Damen, an ihrer Spitze als Gastgeberin seine treue Herrin Gabriele. Der große Saal des erzbischöflichen Palastes zu Chartres wurde von zahllosen Kerzen beleuchtet in Tönen aus warmem Gold. Bündel von Kerzen in glitzernden Kronleuchtern, vor Wandspiegeln und auf der Tafel umgaben die beglänzte Menge der Gäste mit einem Schein, der jedem schmeichelte und ihn hervorhob. Das ging so weit, daß unter den Frauen an dieser Tafel nur Schönheiten saßen, und Männer, die schon gelebt hatten, wurden angenehm verjüngt, frische Wangen und eine helle Stirn. Alle erhielten durch das gesammelte Kerzenlicht den Anschein des Adels und einer verschwenderischen Gesittung; sie selbst erkannten einander kaum wieder, solch ein ungewöhnlich gut beleuchteter Saal war dies. Auf die Tafel und sonst nichts hatte man allen Glanz und Schimmer vereinigt, indessen außerhalb des geselligen Bezirkes die festen Formen alsbald aufgelöst wurden und ein ungewisses Wehen, wie Nebel mit schwachem Mondlicht darin, bis unter der Decke schwamm.
Der König und Madame de Liancourt saßen einander gegenüber wie Hausherr und Hausfrau. Zu beiden Seiten Gabrieles waren Edelleute aneinandergereiht. Henri hatte zu seiner Linken Madame Catherine von Bourbon, seine liebe Schwester; es folgten die Prinzessinnen und Herzoginnen von Conti, Nemours, Rohan und Retz. Rechts von ihm kam als erste die Prinzessin von Condé, die Verwandte seines Hauses; ihr schlossen sich an die Damen von Nivernois und von Nevers. Diese Namen zählte er selbst im stillen her, denn es waren große Namen seines Königreiches, und ihre Trägerinnen befanden sich hier, als ob es sein müßte; er aber wußte, was es gekostet hatte. Noch immer hielt der Gatte der einen oder anderen zu seinen Feinden, wenn auch nur des Anscheins wegen, und befehligte zum Schein in Paris, während seine Frau schon mit dem König tafelte. Solch ein Tafeln geht nicht ohne vorherige Machenschaften, die weitläufiger sind als die längste Speisenfolge. Diese schöne Tafel steht am Ende von viel Schweiß, viel Nacht, viel Blut. Wüßte man auch nur, daß sie am Ende steht!
Dies bedachte Henri und zählte seine Nachbarinnen, deren jede teuer war, sie selbst konnten nicht bemessen, wie sehr. Zugleich unterhielt er sie munter, als säßen sie einfach hier, weil es sein müßte. Mehrmals fiel zwischen ihm und Madame de Liancourt ein Blick, der besagte: So weit wären wir. Der Blick gab zu verstehen: Es hätte anders kommen können. Der Blick bedeutete ihm und ihr: Ich danke dir. Ich liebe dich.
Henri sah seine Gabriele schöner als je zuvor, da er sie gleichzeitig mit Stolz und mit Rührung betrachtete. Die Pracht ihrer Kleidung wäre herausfordernd gewesen; den Damen wurde es schwer, von ihr das Auge zu lassen. Wie schmiegsam dieser Samt, welch eine unnennbare Farbe, Altgold, Herbstlaub, milder Sonnenschein, und die großen Ärmel spanischer Art. Wer sah schon einmal ein Kleid, das an Vollkommenheit dem Tag und dem Abend gleichkommt. Nun trägt die Freundin des Königs den Kopf auf einer zart gefältelten Halskrause, um so greller wird ihr goldblondes Haar bestrahlt von einer Sonnenscheibe aus Diamanten und bricht davon selbst in herausfordernden Glanz aus. Gewiß, die Damen würden nur widerwillig bewundern, so sehr das Bild sie anzieht; sie wären innerlich aufgelehnt und nicht weit entfernt, zu wünschen, daß diese Sonne unterginge.
Aber Gabriele rührte sie. Ihr Zustand der Erwartung lieh ihr gerade heute ein Gesicht: nicht nur ihren Herrn ließ es erbeben in Güte und in Furcht. Es war so blaß, es war so schmal, kaum der flachste Streifen übrig von dem besungenen Doppelkinn, und durchsichtig die Haut, wie Perlen sind. Die Augen allein waren vergrößert, ihr armer Fieberglanz brachte in Vergessenheit und machte verzeihlich, daß ihr weißer Busen perlengleich schimmerte, und daß auf ihm ein Gefunkel war von getriebenem Gold mit Rubinen und wirklichen Perlen. Die Edelleute zu ihren Seiten wurden leise, aber viel mitfühlender schlugen die Herzen der Damen, die über den Tisch geneigt der Schwangeren gute Worte gaben. Madame Catherine, die Schwester, paßte auf, wann die Hausfrau eine Weisung hätte erteilen müssen, und winkte die Schüsseln und Kannen herbei statt ihrer. Einer ihrer entfernteren Nachbarn, es war Herr de Rosny, sprang vom Stuhl und eilte, damit er vor dem Bedienten ankäme und einen Löffel aufhöbe: der unsicheren Hand Gabrieles war er entfallen.
Da das Fest sich dieser Art verwandelt hatte, und aus dem Bankett für den gekrönten König war eine Huldigung an seine teure Herrin geworden -- Henri besann sich nicht lange, er verkündete laut, daß er bei dem Papst die Auflösung seiner Ehe betreiben wolle, um Madame de Liancourt zu heiraten. Das geistliche Gericht sollte diese wohl scheiden von einem Gatten, der selbst zugab, daß er einen Huftritt abbekommen hatte. Da gelacht wurde, nahm er es für die allgemeine Zustimmung -- ging noch weiter und sagte, seine teure Herrin werde bald den Rang und Titel einer Marquise führen. Damit nicht genug, gegen die Frau Marquise erhob er sein Glas und sah sie an, so lange und ernst mit aufgerissenen Augen, gewölbten Brauen, daß jeder begriff: ihr Weg führt höher. Die Erhöhung der reizenden Gabriele ist nicht beendet, eh daß sie nicht ihm zur Seite den Thron des Königreiches schmückt. Sie soll unsere Königin sein.
Die allgemeine Zustimmung bestand nicht. Er nahm sie auch nur an, solange er glücklich und gerührt war. Übrigens weiß jeder, wie sie sich eine Königin von Frankreich denken: sie darf vor allem keine von hier sein, man darf sie vorher nicht gekannt haben und durch sie nicht ausgestochen sein -- wovon keineswegs die Damen allein sich getroffen fühlen. Herr de Rosny leistet von diesem ersten Augenblick an denselben gründlichen Widerstand, dessen Gabriele sich von allen anderen zu versehen haben wird, solange sie lebt und über den König herrscht. Indessen, hier wird Gabriele von der Feindschaft noch verschont. Sie wird nicht immer leben, vielleicht übersteht sie das Kindbett nicht, ihr Aussehen verspricht wenig Gutes, es stimmt für sie milde. Vor allem kennt man den König und seine Heiratsversprechungen. Wenn er sie weiterhin stumm abgelegt hätte wie bis heute, wären sie allenfalls zu fürchten. Ausgesprochen, schon gebrochen. Genug, die schöne d'Estrées steckt in keiner guten Haut, weder so noch so.
Daher empfing Gabriele große Beweise des Mitgefühls und der Verehrung, als nach dem Beispiel des Königs auch die Gesellschaft vom Tisch aufstand. Henri führte die Prinzessinnen von Bourbon und Condé zu ihr: diese umarmten und küßten sie. Von allen andern Frauen war keine, die, endlich vor ihr Angesicht gelangt, ihr nicht versichert hätte, daß es reizender wäre als je. Jede meinte es überdies redlich, sie empfanden weder Abneigung noch Neid, sondern die Verwandtschaft mit der Frau wegen ihres Zustandes; dazu die menschliche Verwandtschaft, weil der Versammlung zu ihren Ehren möglichenfalls ein unsichtbarer Gast beigesellt war, und seinetwegen erschauerten sie. Wer lobte nicht die prachtvolle Schönheit, die mit ihrer Dauer prunkt wie ein Kunstwerk. Vor der Schönheit, die verdächtig ist, im Bunde zu sein mit dem Tod, neigt man sich.
Zuletzt wurde die Tür geöffnet, dahinter war sogleich die Treppe. Einige der Edelleute nahmen von den Dienern die Halter mit den vielen Kerzen, beiderseits besetzte jeder eine Stufe. Dem gefeierten Paar voran gingen die Prinzessinnen des königlichen Hauses, mit Abstand folgten ihm die anderen Damen und Herren. Inmitten führte Henri seine Gabriele an schwebender Hand, ihnen wurde geleuchtet, sie stiegen. ›Die feierliche Handlung!‹ so fühlte Henri, jung und begnadet. Die feierliche Handlung erlitt einen Zwischenfall, aber eher war es eine Verstärkung. Eine Schwäche überkam die Leidende, ihr Liebster mußte sie umschlingen und ihr weiterhelfen. Man blieb hinter ihnen zurück, die letzten Lichter ließen sie unter sich, tauchten oberhalb in ein ungewisses Weben, wie Nebel mit schwachem Mondlicht darin, und entschwanden, als wären sie aufgelöst.
Paris war reif und überreif, den König einzulassen. Nicht einmal der Herzog von Feria, der drinnen noch immer befahl an Stelle der katholischen Majestät, auch er konnte nicht glauben, daß eine spanische Partei nach wie vor da wäre. Höchstens war zu rechnen mit der Hartnäckigkeit einzelner Unbelehrbarer und der Angst einer größeren Zahl, die nicht hofften, ihnen könnte verziehen werden. Die Führer der Liga, mitsamt Mayenne, hatten sich selbst und ihr bewegliches Eigentum für alle Fälle in Sicherheit gebracht. Keiner der Sechzehn, die den Bezirken der Hauptstadt vorstanden, hatte versäumt, den König seiner heimlichen Treue zu versichern; jener Schneider war nur der erste gewesen, zu der Zeit, als die Feinde des Königs seinen hohen Richter aufhängten. Aus mit Greueln! Kanzelredner, die Greuel predigten, hatten beim Volk kein Glück mehr, eher liefen sie selbst Gefahr. Dies Volk war mittlerweile begeistert für Nachsicht und Verständigung -- neigte sogar zu Gewalthandlungen, um seine Güte durchzusetzen. Daher kamen Aufstände vor; wurden wohl niedergeschlagen, aber mehr der Form wegen. Welcher Machthaber, der es zur Not noch ist, wird abdanken und verduften, solange er hierorts die Waffen hat -- wenn auch nur die Waffen, und kaum noch die Arme. Der spanische Befehlshaber verfügte über viertausend Mann fremder Truppen, die hielten wenigstens die Wälle und die Tore.
Der König wird nicht einfach hineinkommen. Mit den viertausend wäre fertig zu werden -- nicht aber mit der Güte des Volkes, das auf einen guten König wartet. Der König hat ihnen erlaubt, Vorräte zu holen von außerhalb und zu essen; wie dürfte er jetzt ihre Häuser beschießen und inmitten eines Gemetzels seine Hauptstadt überwältigen. Ihm ist es nicht erlaubt. Er muß gemäß seiner Volkstümlichkeit handeln und ist angehalten, die Macht zu ergreifen als der volkstümlichste Mann. Henri verbrachte hier mehrere Wochen mit der absichtsvollen Steigerung des Begriffes, den die Leute von seiner Umgänglichkeit hatten. Nihil est tam populare quam bonitas. Er verirrte sich wieder einmal beim Jagen, was immer nützliche Gelegenheiten herbeiführt, kam nachts zwei Uhr ganz allein an ein Haus -- nun, es war keine Räuberhöhle. Es gehörte einem seiner Finanzbeamten, was ihm nicht ganz verborgen war: er wußte in seinem Königreich Bescheid. Das Fräulein aber, das ihn empfing, erkannte ihn nicht; er sagte ihr einfach, wer er war, aß einfach etwas Butter, streckte sich vor dem Kamin aus anstatt im Bett, und am Morgen wollte er vor allem andern die Messe hören: drei Meilen weit mußte der Priester geholt werden. Kann ein König so schlicht, ein gewesener Ketzer so gut bekehrt sein!
Manche wollten es nicht wahrhaben, zum Beispiel ein Schweinehändler, mit dem er zu Tische saß -- hatte sich auch wieder verirrt. Die Leute an dieser ländlichen Wirtstafel merkten ihm nicht an, wer er war, oder vielleicht taten sie dumm; wenn ein König die List anwendet, der Bauer ist schlauer. Genug, der Schweinehändler getraute es sich und sagte ihm anzügliche Dinge, unter dem Vorwand, daß er ihn nicht kannte. Da blieb dem König nur übrig, es mit dem großen Auftreten zu schaffen. Er sah aus dem Fenster, gleich trabten einige seiner Herren heran und hielten: hatten den verirrten König gewiß gesucht. Die Dörfler aber: Ja, was denn gar! Der König wär's, dem wir die Wahrheit gesagt haben? Und er verträgt sie. Schlägt dem Schweinehändler auf die Schulter, gibt ihm eine gute Antwort, und nichts geschieht dem Mann. Diese Dörfler sprachen hiernach untereinander von Paris, und daß die Stadtleute mit dem König keine Erfahrung hätten: sonst ließen sie ihn ein. Hilft doch alles nichts gegen den wendigen Mann.
Besonders eine maskierte Dame wurde hierüber von Henri selbst belehrt. Sie kam eigens aus Paris nach Saint-Denis, wo er wieder wohnte; sie berichtete ihm vertraulich, was drinnen zu seinen Diensten vorgehe: dies so leise, daß die Zuhörer nebenan bei geöffneter Tür kein Sterbenswort verstanden. Außer Leuten des Königs waren hier Gäste aus Paris wie zufällig heut eingetroffen. Nicht einer im benachbarten Zimmer ließ sich völlig täuschen über die maskierte Dame. Jeder fragte: »Das will eine wohlgesinnte Bürgersfrau sein? Erstens, was weiß sie dann viel, und weiter, der König, der das Messer fürchtet, spricht heimlich mit einer Person, die ihm sogar ihr Gesicht vorenthält? Höchst unwahrscheinlich, muß man sagen.« Jetzt ertönte aber die Stimme des Königs, und die hatte nichts Vertrauliches; sie sollte gehört werden, wenn möglich bis nach Paris hinein. Sein Auftrag an die maskierte Dame war, daß sie seinen guten Freunden drinnen zu wissen gäbe: er stehe hier mit starken Kräften und denke nicht zu weichen, bis er hineinkäme, und zwar ohne Gewalt. Daß sie nur dem Herzog von Mayenne nichts glaubten. Friedlich sei allein ihr rechtmäßiger König, und wolle sich den Frieden mit seiner Hauptstadt etwas kosten lassen. Er erinnerte die maskierte Dame an alle die anderen Städte, die ihm zu ihrem Glück das Tor geöffnet hatten. Zehn Jahre lang sollten seine Pariser ihm nichts zahlen -- wie denn, adeln wollte er alle ihre städtischen Körperschaften; seine guten Freunde, die für ihn arbeiteten, sollten auf immer glücklich und zufrieden sein. »Wer mich verraten hat, den soll nur Gott richten.«
Dies alles trug er der maskierten Dame vor, als wäre nicht sie allein mit ihm in diesem Zimmer, sondern ein ganzes Volk, dem zu mißtrauen er sich weigerte, ob es ihm das wahre Gesicht zeigte oder nicht. Hiernach entließ er sie, ohne daß sie die Larve hinaufgeschoben hätte. Sie ging aus der Tür und in ihrem großen Mantel, der sie ganz verhüllte, zwischen den Herren hindurch. Diese folgten ihr, bis sie ihren Wagen bestieg. Zwei von ihnen blieben abseits, vermieden, in den Wagen zu spähen, verständigten sich auch mit keinem Blick. Der eine war Agrippa d'Aubigné, der andere ein Herr de Saint-Luc, in königlichen Diensten.
Währenddessen traf ein bestaubter Reiter ein, gerade überraschte er noch den Abgang der maskierten Dame, die das Vertrauen des Königs empfangen hatte. Der Mann mit dem Lederkoller meinte wohl, es gebühre auch ihm. Er machte keine Umstände. Inmitten des leeren Saales stand der König, nicht stolz, nicht hochgemut, sah zu Boden und hob den Kopf erst, als er die schweren Stiefel stampfen hörte.
»Pastor Damours!« sagte er. »Sie hätte ich erwarten müssen, genau in diesem Augenblick.«
»Sire! Ihnen soll geschehen, was Sie sich eigentlich wünschen. Zu Ihnen spricht eine harte Stimme aus alter Zeit.«
»Im rechten Augenblick«, sagte Henri.
»Sire! Das seh ich wohl, da eine Person entwich und zeigte ihr Gesicht nicht. Nur Sie haben es gesehen, und wissen allein, ob es der Teufel war.« -- »Mit ihm laß ich mich nicht ein. Lieber sterben. Lieber alle Macht verlieren.«
Der Pastor schlug im Stehen auf seine beiden Knie, er lachte rauh. »Die Macht! Für die Macht haben Sie die Religion abgeschworen: was heißt da noch sterben. Für die Macht spielen Sie jetzt eine listige Komödie auf Schritt und Tritt. Von Ihren Schlauheiten reden die Leute, lachen manchmal in einer gewissen Art -- ich wollte nicht, daß über mich die Rede und das Lachen umgingen.«
»Hab ich keinen Erfolg, Pastor?«
»Das ist es gerade. Sie fangen die Menschen ein. Ich möchte keinen Weißling so angeln.«
Auf einmal warf der Mann sich in die Brust, nahm den Hut ab, was er bisher versäumt hatte, und sang -- wahrhaftig, begann zu singen, wie einst in der Schlacht.
»O Gott, so zeige Dich doch nur,
Und plötzlich wird sich keine Spur
Vom Feind mehr blicken lassen.«
Das dröhnte im Saal. Pastor Damours hob den rechten Arm, setzte auch den Fuß an. Nochmals in die Schlacht, nochmals den alten Hugenotten voran, ihre Toten marschieren bei ihnen mit, alle stimmen ein, der Psalm -- der Psalm der Entscheidung steigt, der Feind erschrickt und wankt. Sieg der Gewissenskämpfer.
»Wenn er denn ab sein Lager bricht,
Vergehn vor Deinem Angesicht
Sie alle, die uns hassen.«
Das dröhnte im Saal. Der König winkte, da war es zu Ende. Der Pastor senkte nicht nur den Arm, das Kinn fiel ihm auf die Brust. Er hatte sich vergessen. Jetzt vergaß aber Henri die Gegenwart, diese beiden verstummten, sie versanken in den inneren Anblick ihrer vorigen Taten, die waren gerad und schlicht.
Dann nahm Henri die Hand des Mannes und sprach. »Ihr Haar und Bart sind weiß geworden, und sehen Sie meine an. Sie haben nicht nur Ihr hartes, haben ein Gesicht voll Gram. Jetzt zeig ich Ihnen meines offen. Ist es lustig? Dennoch, Ihnen gesteh ich's, ist die Machtergreifung stellenweis ein Jux.« Er wiederholte: »Ein Jux« -- und schnell weiter: »Die Menschen verdienen, daß derart die Macht ergriffen wird. Die Macht will so ergriffen sein.«
»Und Sie sind dafür der Rechte«, schloß der Alte. Der König erwiderte ihm sanftmütig:
»Jeder handelt nach seinem Auftrag. Darum laß ich Sie ausreden, Pastor Damours.«
»Sie müssen den Zorn des Herrn wohl ausreden lassen«, sagte der Alte heftig, ihm schwollen die Adern.
»Das muß ich.« Immer noch sanftmütig; aber es war Zeit für den anderen, seinen Ton zu ändern. Das tat er wirklich, sein Blut floß von den Schläfen ab.
»Dem armen Menschen Gabriel Damours verzeihe Eure Majestät, daß er vor Sie hintritt.«
Da breitete Henri beide Arme aus. »Ich kenn euch wieder. So will ich euch haben: der Zorn des Herrn allerwegen vor euch her, und unwandelbar euer treues Herz.«
Erwartete mit ausgebreiteten Armen. Es war der Augenblick für alle seine Protestanten. Die Vorwürfe können noch bereinigt werden, er will, daß es wahr sei. In Mißtrauen leben, alles erwogen schadet es den Königen mehr, als es ihnen dient. Wenn nur auch alte Freunde so dächten, nachdem sie verraten und ihres Vorranges verlustig sind. In die ausgebreiteten Arme stürzte sich niemand. Henri senkte sie, sprach aber noch dies:
»Pastor, was ich tun muß, ist auch für euch getan. Ihr sollt euer Recht bekommen, wenn ich die Macht habe.«
»Sire! Verzeihen Sie dem armen Gabriel Damours: er glaubt Ihnen nicht.«
Henri seufzte. Er bat nachgiebig. »Dann hören Sie eine lustige Geschichte von der maskierten Dame. Die ist bestimmt wahr, denn Rühmens kann ich von ihr nicht machen.«
Aber der Pastor zog sich schon gegen die Tür zurück. »Was wollt ihr dann?« rief Henri dorthin. »Daß ich meine Hauptstadt mit Kanonen niederlege? Daß ich durch Gewalt alle zu der Religion bekehre? Krieg soll ich führen und unmenschlich handeln, solang ich lebe?«
»Sire! Verabschieden Sie den armen Gabriel Damours.« Das klang nicht mehr nach Vorwurf noch Zorn des Herrn, bei weitem nicht. Wer dort hinten, mit viel Abstand zwischen ihm und dem König die Tür in der Hand hielt, schien kleiner geworden, und nicht allein durch Abstand, mehr durch den Verfall der Gestalt.
»Ich will Ihnen beichten, Gabriel Damours«, sagte drüben der König.
»Sire! Nicht ich, einzig Ihr Gewissen soll die Wahrheit kennen.« Hart gesprochen, dabei schwach. Henri verstand es nur, weil er sich eigentlich dasselbe sagte. Er wendete das Gesicht weg. Als er wieder hinsah, war er allein.
Jetzt nahm er Stellung, in Front gegen die Wand, und durchdrang sich ganz mit der Wahrheit, daß dies der Abschied von seinen Protestanten gewesen war. Oh! Kein Abschied fürs Leben, er wollte ihnen schon zeigen, wie er's meinte, wer er geblieben war. Bei dem Stand der Dinge aber glaubte ihm keiner -- die anderen nicht williger als dieser. ›Und sei auf deiner Hut vor Verrätern!‹ so ermahnte Henri sich selbst. ›Niemand eignet sich dafür wie die alten Freunde.‹ Er sah die Wand an und ging alle durch, wer ihn verraten würde. Merkwürdig, das Bild Mornays erschien, und seiner war er doch sicher. Mornay oder die Tugend -- wird ihm weiterhin dienen in aller Pflicht und Gerechtigkeit. Verlang nur nicht, er sollte dich billigen bei deiner Machtergreifung und sollt um deinetwillen auch nur ein Quentchen weniger tugendhaft sein. Das kränkte den König sehr, da Verrat und Verräter ihm zu dieser Zeit bequem und sein Umgang waren. Er sah den sokratischen Kopf seines Mornay nicht gern erscheinen -- wischte ihn weg und ließ einen anderen kommen.
»Kein Freund, wir sind allein bei dem witzigen und bitteren Geschäft der Machtergreifung. Aber Kumpane und Spießgesellen, die haben wir. Lassen uns maskierte Damen zuführen -- nur gut, daß der Pastor nicht wissen wollte, wer die Maske war, der Streich soll immer verborgen bleiben. Wer dächte denn wohl, daß sie die eigene Tochter des Gouverneurs von Paris ist, und mit ihrem Vater bändele ich insgeheim. Was aus den Menschen wird, hab ihn früher für ehrlich gehalten. Mir gefällt die Tugend Mornays nicht. Ebensowenig gefällt mir, daß Brissac verrät. Schon sein Vorgänger hat sich mit mir verdächtig gemacht. Mayenne setzte ihn ab, ernannte den Grafen Brissac, eigens wegen seiner Einfalt. Wenn das Einfalt heißt, bin ich selbst nicht tiefer und geheimer als ein kleines Kind. Wahrhaftig, der Mann verführt mich, meine Hauptstadt mit Betrug zu nehmen: ich mag ihn nicht.«
Dies alles sprach Henri in die Wand hinein -- war aber eher gewohnt, seine Sache im Umhergehen zu betrachten, schnelle lange Schritte und um die Stirn den Wind. An der Tür wurde gekratzt, was ihn erschreckte in seiner beklommenen Heimlichkeit. Dann traten zwei muntere Boten ein: unmöglich, ihnen anders zu begegnen, als sie selbst sich gaben. Der erste, sein guter Agrippa, war sichtlich geladen mit Neuigkeiten und nur schwer imstande, sie zurückzuhalten. Der junge Herr de Saint-Luc konnte warten; seine ausgeprägte Selbstzufriedenheit erlaubte es ihm. Er befleißigte sich der besten Formen, legte Anmut und sogar Schlichtheit in seine ganz ergebene Aufwartung vor dem König, worauf er Herrn d'Aubigné den Platz überließ.
»Wir haben uns verspätet«, sagte Agrippa, »weil wir alle Zuhörer versorgen und beseitigen mußten: sie wären nach der Abreise der maskierten Dame nicht mehr von Nutzen gewesen.«
»Eher unerwünscht«, bestätigte Henri. »Seit ihrer Abreise hatte ich einen anderen Besuch -- ein kurz und guter Auftritt, aber nicht für dritte Personen bestimmt.«
Agrippa fragte mit keinem Wort nach dem Besuch. »Sire! Sie ahnen nicht, wer die Maske war.«
»Ihr hattet mir für ihre Unschädlichkeit gebürgt. Ich bin nicht neugierig.«
»Was würden Sie sagen, Sire, wenn jemand Ihnen erzählte, daß ich in Paris war?«
»Du? Unmöglich.«
»Wie ich hier stehe. Allerdings sah ich aus wie eine alte Bäuerin und gelangte auf einem Wagen mit Kohl durch das Tor.«
»Erstaunlich. Und du hast den Gouverneur gesehen?«
»Er hat mir auf dem Markt meine Zwiebeln abgekauft, Brissac wie er leibt und lebt. Dabei sind wir übereingekommen, zur größeren Sicherheit der königlichen Person und Sache sollte Madame de Saint-Luc, ja, die eigene Tochter des Gouverneurs Brissac sollte zu Ihnen herausfahren und Ihre Aufträge entgegennehmen. Ist das eine Überraschung?«
»Ich kann mich nicht fassen vor Staunen«, sagte Henri, dem Brissac selbst die Ankunft der Madame de Saint-Luc gemeldet hatte. Denn jeder muß vor dem anderen immer noch ein Geheimnis behalten. Je verwickelter die Rolle, um so besser scheint sie ihm. ›Totus mundus exercet histrionem, warum nicht auch ich. Meinem Agrippa würde die Eroberung von Paris keinen Spaß machen, hätte er nicht die Bäuerin spielen können. Die Schmerzen des armen Gabriel Damours, ihm fallen sie gar nicht ein vor lauter Theatersucht -- und wer weiß, in welche Rolle der arme Gabriel Damours sich selbst versetzt hat. Sein Auftreten war biblisch.‹
Dies nebenbei. Seine Gedanken hinderten Henri nicht, seinen alten Gefährten auszufragen, und zwar so kindlich genau, daß der junge Herr hinter Agrippa sich auf die Lippe biß, um nicht zu lachen. Vielmehr, er tat so, damit der König deutlich erkennen sollte: erstens, Herr de Saint-Luc ist dem Mann der älteren Generation weit überlegen, teilt aber mit dem König die zarte Absicht, ihn zu schonen. Henri sah das Gesichtsspiel des Herrn nicht gern; daher fragte er jetzt ihn: »Madame de Saint-Luc war trefflich vermummt, Sie selbst können sie nicht erkannt haben?«
Wenn der König erwartet hatte, der junge Herr würde seinerseits mit einer eitlen Klugheit glänzen wollen, oh, da irrte er.
»Sehr wohl, Sire«, bestätigte Saint-Luc, »ich habe sie nicht erkannt.«
»Sie lügen«, sagte Henri. »Sie lügen, um etwas vor uns« -- mit Blick auf Agrippa -- »voraus zu haben, und wär's nur die Bescheidenheit.«
»Sire! Sie sind Moralist.«
»Gerad heute«, sagte Henri. »Darum will ich wissen, warum Herr de Brissac den Verräter macht. Nun? Sie kennen Ihren Schwiegervater wahrscheinlich von anderen Seiten als ich: er muß einige haben. Mir zeigte er ein einfaches Gesicht am vorigen Hof und sammelte Bilder. Ich war mit dem König, meinem Vorgänger, verbündet, Brissac hätte gleich mir bleiben können, wäre auch klug genug gewesen, richtig zu wählen. Mußte er zu den Spaniern übergehen, wenn es darauf hinauslaufen sollte, daß er sie jetzt betrügt und an mich verrät?«
»Eure Majestät ehrt mich absonderlich, da Sie mir Aufschlüsse geben, die, falsch angewendet, Ihrer Sache schaden könnten.«
Endlich eine kluge und freie Antwort, sie stimmte Henri bereitwilliger. Beiseite warf er hin: »Brissac kann nicht zurück, hat sich zu weit mit mir eingelassen.« Dann traf er den jungen Mann in die Augen und erwartete seine Erklärungen. Der räusperte, sah sich nach Hilfe um, gestand aber, es wäre nur ein Stuhl, den er benötigte. »Um nachzudenken, muß ich sitzen.«
»Ich muß umherlaufen. Aber nicht ich, Sie sollen nachdenken: setzen wir uns«, bestimmte Henri.
Auch Agrippa ergriff einen Sitz, sehr erstaunt, was hier eigentlich ernst oder sogar feierlich genommen wurde. ›Brissac? Unsoldatische Haltung, verschmitzte Einfalt, kauft der falschen Bäuerin ihr Gemüse ab, feilscht, geht weiter, kehrt um, und jedesmal fallen ein paar geheime Worte. Zum Lachen das alles, wenn überhaupt des Erwähnens wert.‹
»Herr de Brissac ist ein ernster Fall für jeden Moralisten«, behauptete dagegen der junge Saint-Luc, sowohl eifrig als selbstzufrieden, da er sich hier zuständig fühlte. »Als ich mich um seine Tochter bewarb, führte er das Fräulein ins Zimmer -- maskiert, wie sie auch Ihnen erschienen ist. Ich erkannte trotzdem, daß nicht sie es war, sondern eine andere. Er glaubt, daß niemand wirklich unterscheidet, was er sieht: nur er, der Kenner von Bildern.«
»Der Ernst des Falles ist zugegeben«, sagte Henri.
»Er hat unzählige Bilder studiert, nicht gerechnet die Bücher.«
»Er hält sich unsoldatisch«, ergänzte Agrippa.
»Mehr als das.« Saint-Luc bewegte die Hände suchend, etwas Unsichtbares legte er auseinander. Dabei fiel auf, daß er einen seiner Handschuhe, den linken, anbehalten hatte.
»Herr de Brissac sammelte die schönen Gegenstände nicht einfach, um sie an die Wand zu hängen oder in Fächer zu stellen: er bereicherte unermüdlich seinen Geist um verschiedene Gestalten und Beleuchtungen. Er übt sie ein. Er lebt sie.«
»Bis von ihm selbst nichts mehr übrig ist.« Henri hatte begriffen. Saint-Luc ging noch weiter.
»Er macht nicht den Verräter. Sire! Er ist es durch Pflege und vermöge angelegentlicher Kunst.«
»Nennt er sich auch einen Humanisten?« fragte Agrippa d'Aubigné und fuhr vom Stuhl auf. »Wir unserseits waren es auf ehrliche Art. Ich dichtete meine Verse im Reiten und Dreinschlagen. Himmlische Gesichte hatte ich, wenn ich als rechter Erdenwurm mit nackten Füßen die Schanzen aufwarf für eine Schlacht des streitbaren Humanisten, dem ich diente.«
Henri sprach ins Leere: »Das ist die eine Art. Bliebe die andere, vielfältigere; sie macht ungewiß und nimmt dem Mann das Gesicht.« Zu Saint-Luc zurückgekehrt, lachte er kurz auf. »Soll sie gut sein, die Methode des Grafen Brissac, Bilder zu sammeln und die Alten zu lesen, da sie ihn dahin bringt, mir mit viel Witz meine Hauptstadt auszuliefern. Hat der Spanier Feria ihn in keinem Verdacht?«
»Wie könnte er? Herr de Brissac selbst hat dem Herzog von Feria vorgeschlagen, mehrere Tore zu vermauern, behufs leichterer Verteidigung der Umfassung. Feria ist kein Soldat, er übersieht, daß von vermauerten Toren die Wachen abgezogen werden, so daß Eure Majestät gerade dort eindringen sollen. Es versteht sich, daß die Öffnungen in Wirklichkeit nur mit Erde gefüllt sein werden.«
»Das wird vor der Zeit aufkommen.«
»Wenn mein verschmitzter Schwiegervater nicht im Bunde wäre mit dem Vorsteher der Kaufmannschaft, den Schöffen und aller Welt. Es geht so weit, daß man fragt, wer noch betrogen wird, außer Feria, der sich beglückwünscht wegen der Einfalt seines Gouverneurs.«
»Wird jeder wissen, was er verdienen will bei dem Geschäft.«
»Herr de Brissac erwartet von der Gnade Eurer Majestät, daß Sie ihn zum Marschall von Frankreich machen.«
»Ein Jux«, sagte Henri, zuerst mit ernster Miene. Er sagte das Wort nochmals, da ergriff ihn mit ungewohnter Kraft die widerwärtige Komik der Dinge. Ein Mann, der gekämpft hat alle seine Lebenstage: das war er selbst. Hat mit eigener Hand die Waffen geführt, bewahrt hat er mit eigenem Sinn die Festigkeit -- alle seine Lebenstage. Um sein Gewissen und Königreich hat er gekämpft alle seine Lebenstage; war alles umsonst, ohne den Bilderfex und Verräter aus Narrheit. Die Komik überfiel den König, aber er erstickte sie, obwohl er blau im Gesicht wurde. Das Gelächter, das er hätte anschlagen sollen, war ihm zu schlecht.
Er verließ seinen Sitz und trat vor ein Fenster. Saint-Luc wartete die Minute, bevor er auf leisen Sohlen folgte, er verstand sich nun einmal auf die Bewegungen der Seelen. Er nahm die Freiheit, zu sprechen; damit er aber der Unterlegene wäre, sprach er schrecklich geziert und stieß mit der Zunge an. Der König verachtete ihn auch wirklich, nur freute es ihn nicht, wenn das der Zweck sein sollte. Er wiederholte, ohne den Kopf zu wenden, was ihm berichtet wurde:
»Der gute Mann läßt seine Schärpe sticken, ich höre. Der Erzengel Gabriel, sehr sinnreich und passend, Gabriel auf weißer Seide. Die verehrt mir mein Marschall am Tage meines Einzuges -- wer weiß, wann«, schloß er, wegen der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Inszenierung.
»Wir haben den Vierzehnten. Es wird in einer Woche sein«, lispelte Herr de Saint-Luc. Henri, es hören, er warf sich herum.
»Sie wissen mehr, als Ihnen zukommt, außer, Sie hätten den Gouverneur gesehen. Waren Sie verkleidet in Paris?«
»Keineswegs. Indessen sind hier zur Verfügung Eurer Majestät aufgezeichnet alle Einzelheiten des Komplotts.« Womit der Junge aus seinem Handschuh, dem linken, den er anbehalten hatte, ein Papier zog. Henri entriß es ihm. »Wer hat es Ihnen gegeben?«
»Brissac selbst.«
»Dann ist er hier.«
»Oder war hier -- mit Erlaubnis des Herzogs von Feria übrigens. Er kam mit zwei Notaren, um dringende Familienangelegenheiten mit mir abzuhandeln. Ich verließ die Herren, sobald ich das Papier hatte.« Dies ohne die vorige Verlegenheit gesprochen, und ebensowenig wurde die Absicht, zu verblüffen, herausgehört. Ein junger Mann, der stets das Rechte trifft: kein Grund, sich länger mit ihm aufzuhalten.
»Mein Pferd!« rief Henri aus dem Fenster.
»Sire! Sie werden ihn nicht finden.«
Henri war schon draußen, saß im Sattel und jagte den Weg nach Paris. Bald schaukelte vor ihm her ein übermäßig großer Wagen, nahm die ganze Breite ein, nicht an ihm vorbei zu gelangen. Es blieb nur übrig, durch den Wald zu reiten und zwischen zwei Bäumen zu halten, bis das Gefährt schwerfällig näher kam. Vorn hatte es Fenster genug, daß Henri die Notare sah: ihrer waren drei. Schwarz gekleidet mit spitzen Hüten einer wie der andere, trockene Gesichter, alle schon alt und von den Anstrengungen der Reise ermüdet, so daß nicht einer von ihnen gesonnen schien, ungebetene Reiter zu beachten. Vielmehr schlossen sie die Augen, öffneten die Münder und waren um so weniger voneinander zu unterscheiden. Henri wollte rufen, ließ es gleichwohl, und so wäre der Spuk vorbeigeholpert. Im letzten Augenblick regte einer der drei Notare die Hand -- kehrte die hohle Hand langsam, ganz langsam hervor, bewegte sie nach der Nase dessen, der ihm gegenüber döste, und hasch, er hat die Fliege. Ei, die Freude auf dem einfältig verzwickten Gesicht.
Die Fliege gefangen von einer Nase weg, und der König, dem er seine Hauptstadt ausliefern wird, sieht zu. Jetzt wußte Henri genug, gerade darum ließ er den Wagen weiterziehen. Er bedachte ernstlich, ob der Mann bei Trost wäre.
›Sie geben sich eine unfaßbare Mühe, um weder einfach noch vernünftig zu sein.‹ Dies beschäftigte ihn, als er im Schritt zurückritt. Nun hatte er wohl in seinem Gedächtnis ein gut Teil erkrankter Vernunft von Menschen gesammelt, angefangen bei der Bartholomäusnacht und immer so zu. Sein Amt war, eben dies zu ändern, und hätte nicht gewußt, weshalb sonst König sein. ›Sie werden fortfahren, dir's schwer zu machen, Henri. Fliegen fangen, als Erkennungszeichen, und dir maskierte Damen schicken behufs geheimer Verständigung: du mußt mithalten.‹
Alles geschah wie verabredet. Umsichtiger als Brissac konnte niemand sein. Er sagte den Spaniern, sie möchten ihm nur vertrauen und ganz still bleiben, damit die Verräter nichts merkten. Es gäbe Verräter in der Stadt, müßten sie wissen, und diese könnten leicht merken, daß Brissac vorhabe, sie zu fassen. So ließen die stolzen Spanier aus Nichtachtung dem Schicksal seinen Lauf.
Henri arbeitete seinem Mitspieler vorzüglich in die Hände. Allerdings hätte er ihn versehentlich gefangengenommen. Um vier Uhr morgens, den Zweiundzwanzigsten, wurde Brissac schwach, weil von den Königlichen nichts zu sehen war. Es lag nur an einem dichten Nebel, und sobald Brissac die Umfassung verließ, traf er auf sie. Glücklicherweise befehligte an dieser Stelle sein Schwiegersohn, Herr de Saint-Luc, so kam kein Irrtum vor.
Die beiden verschlossenen Tore waren frei gemacht, und gerade begann das Geläute der Morgenglocken, da drang der König in seine Hauptstadt ein. Seine Edelleute konnten nicht mehr warten: in voller Bewaffnung nahmen sie springend die letzten Hindernisse. Er selbst stützte eine Hand in die Seite, trug den Kopf ein wenig schief und gab sich den Anschein, als käme er nach einigen Stunden von der Jagd zurück. Er war aber achtzehn Jahre fort gewesen.
Der erste, auf den er stieß, war ein Brissac mit Engelsgesicht. Eine solche Reinheit der Züge und der Gesinnung kommt nicht leicht vor, und Menschengesichter tragen sie selten eingeprägt. Das Knie gebeugt bis auf den schmutzigen Boden, die Augen blau hinaufgewendet, bot Brissac dem König eine weiße Schärpe dar. Der König legte ihm sogleich seine eigene über die Brust, umarmte ihn und nannte ihn »Herr Marschall«.
Hierfür dankte Brissac ihm mit einem guten Rat: der war, doch lieber die Rüstung anzuziehen. Man kann nicht wissen. Es ist sehr hübsch, im einfachen Wams unter das Volk zu gehen, wie Seine Majestät es wohl zu tun wünschte. Henri erschrak. Das Messer, er hatte es vergessen. Nein, Brissac meinte den Volksauflauf, das künstliche Gedränge und Gemenge, das in einer so großen Stadt leicht veranstaltet wird und gefährlich werden kann, auch ein König geht dabei verloren, er fällt in die Hand seiner Feinde.
Henri antwortete, daß sie ihn gewiß nicht fangen sollten. Das war auch ihr Begehren nicht. »Vögel wie mich will niemand im Käfig haben.« Aber er fügte sich und betrat seine Hauptstadt gepanzert unter dem Mantel. Anstatt des Hutes mit dem schönen weißen Busch, der Frieden versprochen hätte, trug er den eisernen Helm. Dieser Aufzug dämpfte sein Hochgefühl, wenn nicht schon der Regen und die leeren Straßen es taten.
Niemand war draußen in der Morgenfrühe, wenige an den Fenstern; die königlichen Truppen, die sich geteilt hatten, zerstreuten unterwegs einige Spanier, machten dreißig Landsknechte nieder oder warfen sie ins Wasser: das war fast alles. Herrn de Saint-Luc und seiner Abteilung begegneten Bürger, die ein festes Gebäude verteidigen wollten; der König auf seinem Weg erfuhr nichts derart. Er schickte zum Herzog von Feria: der sollte wissen, daß er die Stadt zu verlassen habe, und damit gut. Ein zweiter Bote ging nach der Kirche Notre-Dame, zu melden, es käme der König.
Als die Pariser erwachten und aufstanden, wollten sie es nicht glauben, obwohl sie es von Haus zu Haus weitergaben: der König ist in der Stadt. Sie erschraken sehr. Ihr erster Gedanke war Brandschatzung und Gemetzel: dies, obwohl viele ihn in Saint-Denis, als er abschwur, oder auch bei seiner Krönung in Chartres von nahem angeblickt und sich ihm ergeben hatten mit Herz und Hand. Hilft nichts. Etwas anderes ist ein Festtag unter Gepränge, etwas anderes die Stunde des Siegers, die natürlich blutig sein wird.
Ihm lag dergleichen nicht im Sinn, und mit der Angst des Volkes rechnete er nicht. Der neue Marschall Brissac war es, er entsendete Gendarmen auf besonders hohen Pferden, und weittragende Stimmen mußten sie haben, um erstens Gnade und Verzeihung auszurufen, sodann aber, daß der König schon überall in der Stadt die Macht habe. Die Pariser sollten ruhig in ihren Häusern bleiben. Hierauf kamen sie im Gegenteil hervor, begrüßten die weißen Schärpen der Franzosen, die Trompeten des Königs, und ihn selbst trugen sie auf ihren Schultern in die Kathedrale.
Es läuteten alle Glocken von Notre-Dame, jede in ihrem eigenen Ton, nach dem man sie erkannte und benannte. Vor dem König einher gingen hundert französische Edelleute, so mußte es wohl der rechte König sein. Aber dieselbe alte Kirche hatte noch kürzlich Umzüge gesehen des Sinnes, daß die heilige Genoveva ihre Stadt Paris vor ihm bewahren möge. Dessen gedachten andere, der Erzpriester, der die verabredete Ansprache hielt, und der Kardinal, der unsichtbar blieb. Wer es alsbald vergessen hatte, war das Volk: nicht die einzelnen, die seine Menge bildeten; jeder für sich bewahrte im Gedächtnis manches. Das Volk aber, wie wenn nichts wäre, quoll ein, feierte, war beglückt und war fromm.
Der König mußte sprechen, er ließ auf sich beruhen, was nicht in den Augenblick gehörte; dennoch, sein Kopf war benommen. Vorher hatte er klarer gewußt, wie die Dinge verlaufen würden, und hatte den Vorgang in seinem Geiste heller angeschaut. Er antwortete dem Erzpriester: »Ich will mein Volk schützen und erleichtern, dafür geb ich mein Leben bis auf den letzten Tropfen Blut!« Beteuerte auch seinen katholischen Glauben, dessen nahm er zu Zeugen sowohl Gott als die Jungfrau. Aber sein Kopf blieb benommen. Er hatte das Gefühl, daß er nicht dabei wäre, und auch die anderen wären es nur zum Schein. Was wirklich vorging, war ihm zu wenig. Das kam, er hatte zu lange darauf gewartet.
›Paris, ich habe Paris, man gibt zu, daß ich es habe. In jener Kapelle das Bild stellt mich selbst als Teufel dar. Ich sehe es, man bemerkt, daß ich es sehe, man räumt es fort.‹ Er kniete im Chor hin und hörte die Messe. Als er nachher draußen den gepflasterten Platz betrat, vergaß er eine Minute lang die Gegenwart und vor seinem inneren Blick erschien ein hölzernes Gerüst mit Teppichen behangen, es hatte an dieser selben Stelle gestanden in unvordenklichen Zeiten. Darauf war er getraut worden mit der Prinzessin von Valois.
Er erkannte, an der Front der Kirche gemessen, die Höhe des Gerüstes. Frei dargeboten mit der Blüte des Königreiches blickte er damals aus heiteren Lüften hernieder auf festliches Volk, als war ein leichtes Leben seines und könnt ihm nicht fehlen. Dann begann erst die Schule des Unglücks, er lernte die Blässe des Gedankens und wurde vertraut mit den Mühen des Lebens. ›Jetzt -- Paris. Und was besagte das jetzt? Daß ich mich mühen soll wie je, noch mehr erkennen, aus jedem Unglück ein Verdienst machen soll, und Paris -- ich hab es zu erobern, so lang ich lebe.‹
Die Minute, die er mit sich allein verbracht hatte auf dem Vorplatz von Notre-Dame, diese kurze Abwesenheit des Königs hatte genügt, damit seine Soldaten das Volk vertrieben bis an die entfernten Ränder der Straßen. Er erschrak, als er zurückkehrte. »Ich sehe wohl«, sagte der König, »daß dies arme Volk tyrannisiert worden ist« -- wodurch er bemüht war, seinen eigenen, langen Kampf nachträglich mit diesem Volk zu teilen. Er befahl, die Leute sollten ihm wieder nahe kommen dürfen. »Sie sind heißhungrig nach dem Anblick eines Königs«, meinte er und äußerte es, um geltend zu machen, was er für alle getan und erlitten hatte.
Er nahm sich wichtig, wie es unvermeidlich ist an solchen Tagen. Schon heute früh in der halbdunklen Straße hätte er sich bald an einem Soldaten vergriffen, nur weil der Soldat ein Brot fassen wollte ohne Bezahlung. Er kannte es nicht anders. Der König aber war in seinem Paris. Plündern, in seinem Paris! Nicht einmal den Bäcker hätte es gewundert. In dem Eckhaus stand ein Mann am Fenster, behielt den Hut oben und musterte den König frech. Er glaubte wohl, daß er nichts zu verlieren habe und wäre ohnedies auf einer schwarzen Liste. Die Leute des Königs wollten hin, ihn holen, der König verbot es ihnen, und man fand, daß er die ordentliche Übung verletzte.
Auf seinem Gang von Notre-Dame nach Schloß Louvre rührte den König jeder Hochruf; aber heimlich wehrte er sich gegen die unziemliche Harmlosigkeit der Rufer und wurde von ihr gereizt. Öffentlich maßen seine Schritte die Hauptstadt, die endlich in seiner Macht war -- er wußte durchaus, daß er sie ihr beweisen mußte, und hätte im geringsten nicht zulassen dürfen, daß hier ein Häuflein und dort ein Häuflein einmal Hoch rief. Die tausendfache Zahl aber tat in der Küche und im Laden dasselbe wie sonst, und höchstens sagten sie zwischen dem Geschäft: »Gibt der König sehr an, weil er jetzt in Paris ist? Wird schon zur Ruhe kommen.«
In einer Landstadt namens Eauze tafelte, zu den unvordenklichen Zeiten, ein junger König von Navarra auf dem Marktplatz mit arm und reich, die mehr oder weniger erwartet hatten, er würde sie niedermachen, weil sie ihm das Tor nicht freiwillig geöffnet hatten. Indessen aß er mit ihnen. Durch ihn erfuhren sie eine Neuigkeit, mit Namen »Menschlichkeit«, und erstaunten ungemein. Da wir lebenslang die gleichen sind, hätte Henri seine Hauptstadt, so groß sie war, auf einmal umarmen und auf beide Wangen küssen wollen. Zwischen Eauze und Paris stand nun auf der ganzen Strecke, durch die Jahrzehnte, eine doppelte Reihe Gepanzerter: das waren die Erfahrungen, und daher reizte den König jedes Hoch, obwohl es ihn rührte, hier zwischen Notre-Dame und Louvre. Im Grunde war er gefaßt auf Gewalttaten -- die nicht ausblieben.
Ein Pfarrer, mit der Partisane bewaffnet, rief das Volk gegen ihn auf. Ein alter Totschläger, noch aus der Bartholomäusnacht, kam vor Tollheit zu Fall, wobei sein Holzbein und seine Flinte zerbrachen. Aus den Fenstern legten sie auf die Leute des Königs an. Auch dem Versuch, eine Barrikade zu bauen, wohnte Henri bei wie einem echten Stück Wirklichkeit und hätte anders zuletzt seinen Weg verloren. An den Anschlägen seiner Feinde erkannte er ihn und kam glücklich nach Schloß Louvre. Saß zu Tisch in der großen Galerie, das Mahl war bereit, alle Höflinge und Diener zur Stelle, das sah aus und begab sich, als hätte man ihn erwartet achtzehn Jahre lang. Er aß und ließ sich nichts kümmern, vermied es, umherzusehen; nur seinen Befehl wiederholte er: um drei Uhr hätten die Spanier abzuziehen, wenn ihnen ihr Leben lieb wäre.
Der Herzog von Feria, Statthalter der Katholischen Majestät, sah es noch immer nicht ein: bis jetzt hielt er Teile der äußeren Stadt. Henri ließ ihm harte Worte sagen, und Feria, kein Militär, fügte sich denn. Er gab etwas früher nach als der Pariser Anhang Philipps, die Bezieher seiner achtzigtausend Taler, die aber verausgabt waren, und auch der Glaube an den Weltbeherrscher ging zu Ende. Außerhalb des Mittelpunktes, der fest in der Hand des Königs war von Notre-Dame bis Louvre -- draußen wälzte die ehemalige Liga ihre mäßig großen Trümmer. Das waren Wütende jeden Grades und Standes, sie schwangen Waffen, zeigten furchtbare Gesichter -- sollten eine Stunde später lächerlich erscheinen; hier aber waren sie noch furchtbar und sogar achtungswürdig, da sie eine verlorene Sache über die Zeit hinaus behaupteten.
Was geschah? Eine Volksmenge, waffenlos, begegnete ihnen auf ihrem eigenen Gebiet. Es waren meistens Kinder, die riefen hell: »Es lebe der König!« Davon stockte ihr wütender Marsch. Den Kindern folgten berittene Herolde mit Trompeten: sie verkündeten Frieden und Vergebung. Nach diesen kamen richterliche Beamte; die waren es zuletzt, vor denen die Wütenden die Waffen streckten. Sie sahen sich um, fanden nichts mehr zu tun, da man ihnen entgegenkam wie anderen Menschen auch und die Hand darbot. Manche blieben stecken mit all ihrem Lebensgefühl, sie konnten ihre Gewohnheiten so schnell nicht beilegen; was wird auf einmal aus Wut, Gewalt und noch so hanebüchener Ansicht der Welt, wenn Kinder und Rechtsgelehrte zur rechten Zeit den Mut der Friedlichkeit sichtbar dartun. Mehrere Wütende verunglückten tödlich an dieser Stelle infolge ihres zu schnellen Übertrittes vom Wahnsinn zur Vernunft.
König Henri wünschte von allem, was heute geschah, und das war nicht wenig -- nur eins wünschte er angelegentlich bis zum äußersten und wollte unbedingt dabei sein. Er erstieg das Tor Saint-Denis und trat an ein Fenster. Drei Uhr, sie kommen. Warum kommen die Spanier noch immer nicht! Das macht, sie setzen die Füße leise und tragen den Hut in der Hand. Niemand spricht, gesenkt sind alle Augen. Diese Sterblichen waren die stolzesten, und wenn nicht ihre Personen, ihr Reich hatten sie für unsterblich gehalten. Mochten sie schon Städte verloren haben, aus keiner waren sie bis jetzt abgezogen wie hier, ohne Kampf, einfach nur, weil ihre Zeit vorbei war, und waren aufgegeben von ihrem eigenen Herrn.
Der Regen schüttete auf sie herab. Sie beugten ihre Rücken nicht; auf Karren führten sie ihre Habe fort, die gering war, da sie nie gestohlen hatten. Ihre vielen Kinder trippelten ahnungsvoll mit, ihre Hunde ließen die Ohren hängen. Eine Frau auf dem Karren rief: »Zeigt mir den König!« Sah ihn lange an, erhob die Stimme und rief: »Guter König, großer König, ich bete zu Gott um dein Glück.« So stolz war die spanische Frau. Ein streng verschlossener Wagen trug den Legaten des Papstes fort. Der König winkte hinterher: hier begriff er selbst noch nicht, warum seine ironische Handbewegung steckenblieb. Der Herzog von Feria, ernst und hager, verließ seine Karosse, um den Formen, die dem Besiegten auferlegt sind, zu genügen. Er verneigte sich edel, bewegte die Beine steif abgemessen und war an Henri vorbei, eh der ein Wort fand. Spanische Soldaten schlossen den Wagen des Herzogs wieder ein. Der Rest der Truppen waren Neapolitaner, deutsche Landsknechte und Wallonen, ein verkürzter Auszug des Weltreiches. Die letzten Kompanieführer wendeten straff nach ihm die Köpfe, als der König ihnen noch auftrug: »Grüßt euren Herrn, aber kommt nicht wieder!« Leiser, zu seiner Umgebung sagte er: »Ich wünsch ihm gute Besserung.« Worüber gelacht wurde.
Henri bezwang seine Freude, sie wäre ausgeartet, er mißtraute sich. ›Wenn unser Leben ein Ziel hat -- wir wissen nicht welches, erreicht wird es nie. Gleichviel, wir stehen auf dem Tor, und die Spanier verduften.‹ Er fühlte mit großer Wonne seine feuchten Füße. ›Die Spanier werden in sumpfigen Schuhen ihren weiten Weg machen. War wohl liebliches Wetter, als ihr heraufreistet von da unten, und nahmt mein Königreich und saßet in meiner Hauptstadt? Ich war ein Kind, da ich erstmals hörte, daß es Feinde gäbe, und meine wäret ihr. Seht meinen grauen Bart, ihr habt mir's schwer gemacht. Schwer nur, wenn ich es bedächte; aber ein braver Feind erhält mich unbedenklich und fröhlich das halbe Leben lang. Heute hab ich den Preis bekommen -- für zehnmal mehr Arbeit als andere, aber ich hab ihn. Zieht weiter, gehabt euch, brave Feinde!‹
Sein Blick verwirrte sich, beim Abstieg nahm er eine falsche Stufe. Im Louvre warteten Geschäfte, er sagte: »Ich bin vor Freude betrunken. Was redet ihr?« Lange lief er wortlos durch die Galerie, stockte plötzlich, stolzierte mit steifen Knien und senkte einen eingebildeten Hut. Ja, den edlen, traurigen Gruß des Herzogs von Feria zog er ins Lächerliche. Man erkannte und mißbilligte es. Er aber blieb den Rest des Tages dabei, daß er nicht wisse, wo er sei. »Herr Kanzler«, sagte er zu dem Freunde der Dame de Sourdis, »soll ich glauben, daß ich dort bin, wo ich bin?«
Er kam zu sich, als einige hochgestellte Mitglieder der Liga es zu eilig hatten, ihm aufzuwarten. Er antwortete schroff und drehte den Rücken; man schloß vorschnell, daß jeder den Lohn haben werde, den er verdiente. Nun, die zornige Regung des Königs gehörte noch in den Abschnitt seiner ungebundenen Freude. Wenige Stunden später hatte Henri gewisse Unterwerfungen angenommen, die nicht ehrlich gemeint sein konnten; die Stadtältesten brachten ihm Met und Lichte sowie die Versicherung ihrer Armut, worauf er wenigstens ihre Herzen rühmte. Vor allem schickte er Reiter dem Legaten des Papstes nach, damit er zurückkehrte. Was der Legat gewollt hätte, wär's auch ein Kniefall, von dem getreuesten Sohn der Kirche konnte er jede Selbstverleugnung sämtlicher Gliedmaßen und das schlechthin Unglaubliche haben.
Der Priester in dem streng verschlossenen Wagen fuhr indessen weiter. Ob die jagenden Boten des Königs ihn ereilten, an diesem Abend wurde davon nichts gemeldet in Schloß Louvre. Das Schloß steht inmitten der Hauptstadt, heute hat der König die Macht ergriffen. Morgen werden der ganzen Welt die Ohren dröhnen, das Gerücht fliegt in diesen Nachtstunden auf allen ihren Straßen; morgen ist das Gedächtnis der Lebenden von der Größe des Königs erfüllt, da der erlangte Preis seiner Mühen sie alle auffrischt. Nichts widerstände seinem Namen, er wäre auf Erden der meistgerühmte -- aber unter dem fallenden Regen, die grundlosen Straßen hin, die alle nach Rom führen, bewegt sich, immer entfernter, ein streng verschlossener Wagen.
König Henri in seinem Louvre sah ihn vor Augen, klein wie ein Insekt, wenn auch deutlich gezeichnet. Und dieses kriechende Tierchen wird schneller sein als Fama, die geflügelt ist. Überall wird es schon zur Stelle sein, wenn der Name des Königs eintrifft. Sooft an den Höfen und bei den Völkern gesprochen wird: ›Der König von Frankreich sitzt in seiner Hauptstadt, er hat die Macht ergriffen‹, werden dieselben Stimmen entgegnen: ›Rom verwirft ihn.‹ -- ›Dann wird nichts geschehen sein, und ich bin in Wahrheit nicht hier, wo ich bin.‹ Er sagte gewohnheitsmäßig zu eintreffenden Besuchern: »Ich freue mich unsinnig, weil ich bin, wo ich bin«; aber das war hingesprochen.
Die unwillkürliche Bewegung seiner Schulter zeigte immer mehreren, daß sie unerwünscht wären, und sie verschwanden nach und nach. Der König hätte nicht zu sagen gewußt, durch welchen Saal oder Kabinett seines Schlosses Louvre er gerade hin- und zurückirrte. Manchmal blieb er stehen, er griff sich an den Kopf, als fiele ihm etwas ganz Neues ein; war aber immer dasselbe. ›Den Wagen hab ich durchgelassen und ihm noch nachgewinkt. Die Handbewegung blieb mir stecken: jetzt weiß ich erst warum.‹ -- »Was bringt ihr?« rief er aufgeschreckt, da mehrere Unerwartete vor ihm standen -- behielt auch recht mit seiner Eingebung, sie wären Unglücksraben. Sie erzählten, daß ein vorlauter Kapuziner totgeschlagen war in seinem Kloster, weil er den Mönchen geraten hatte, sie sollten den König anerkennen. Henri versuchte über eine solche Kleinigkeit die Achseln zu zucken.
Aber wie er es anstellte, ihm kamen Tränen. »Sehr schön von meinen Feinden«, sagte er den Zuträgern wohl, »sehr schön, daß sie sich selbst auf das Rad liefern: so ersparen sie es mir.« Worauf auch diese Herren seiner Schulter ansahen, daß sie gehen mußten. Er rief einen Edelmann zurück und trug ihm auf, zu den Damen Guise und Montpensier zu eilen: sie waren seine Feindinnen, jetzt zitterten sie gewiß vor seiner Rache. Sie möchten getrost und seiner Freundschaft versichert sein, dies ließ er bestellen. Zuletzt blieb er so gut wie allein. »D'Armagnac, wohin sind alle die Leute?« Der Erste Kammerdiener kam aus einem verschwiegenen Winkel hervor, zuerst schritt er in alle Richtungen, fand auch bestätigt, daß niemand mehr da war. Dann äußerte er sich in längerer Rede -- darum, weil er seinen Herrn schon längst beaufsichtigte; hatte es jederzeit getan und kannte auch den genauen Verlauf des heutigen Tages, an dem sein Herr die Macht ergriffen hatte.
»Sire! Alle die fremden Personen sind wieder gegangen und sogar Ihre Edelleute haben das Schloß geräumt aus mehreren Gründen, ich sehe davon drei. Zum ersten haben Sie niemand aufgehalten oder eingeladen zu bleiben, ganz im Gegenteil. Zweitens haben Sie sich heute sehr gefreut, in einer ungemeinen Art, die meisten halten mit Ihrer Freude nicht Schritt. Die Spanier, wohl. Es sind die einzigen, die Ihnen völlig gerecht werden, darum sind sie auch ins Weite gezogen, als rechte, ausgemachte Feinde Eurer Majestät. Die Hiergebliebenen dagegen dürfen Ihre Feinde nicht mehr vorstellen, das käme gegenwärtig ungelegen. Sie sind angehalten, augenblicks Ihre guten Freunde und Untertanen zu werden: nicht einfach aus Furcht vor Strafe, was denkbar wäre und der menschlichen Natur entspräche. Sondern straflos und dank Ihrer unbegreiflichen Milde, Sire, sollen lauter Verräter, Mörder, gewaltige Hetzer und Lügenmeister auf einmal klein beigeben und ihr Herz umkehren. Sire! Sie sind der erste, zu begreifen, daß keiner das will, gesetzt, er könnte es. Da haben Sie den zweiten der Gründe, weshalb diese Säle leer sind.«
»Und der dritte?« fragte Henri, da d'Armagnac aufhörte zu reden und sich zu schaffen machte. »Es gab doch drei?«
»Es gibt noch einen«, wiederholte der Edelmann langsam, bis er Feuer geschlagen und einige Wachskerzen angezündet hatte. »Gut, daß Ihre ehrenwerten Stadtältesten die Lichte mitgebracht haben. Sire! Jetzt sehen Sie sich um. Sie haben den ganzen Tag noch nicht umhergeblickt in Ihrem Schloß Louvre.«
Das tat Henri und bemerkte endlich, daß alles ausgeräumt war. Hatte er nicht inmitten seiner verwirrten und mehrdeutigen Freude schon längst die Empfindung gehabt, als wäre er nicht wirklich, wo er war? Der Louvre -- aber ausgeräumt: von solcher Beschaffenheit erwies sich sein Aufenthalt vermittels einiger Kerzen, die er selbst und Herr d'Armagnac durch hallende Galerien und die Treppen hinauf und hinab trugen. In dem Zimmer der alten Königin Katharina von Medici, genannt Madame Catherine, fiel sein erster Blick auf die Truhe, wo Margot, seine Margot, zu hocken pflegte, in große Lederbände vergraben. Alsbald erkannte er, daß die Truhe nur eine Vorspiegelung des Kerzenscheins und seiner Erinnerung gewesen war, und die Wirklichkeit war ein leerer Fleck.
Tot, wie die meisten einstigen Bewohner, waren ihre Gelasse. In dieses hier traten eines alten Tages zwei Schwarzgekleidete, breiteten auf den Tisch ein Blatt mit der Abbildung eines offenen Schädels, die Mutter des jungen Henri aber war soeben an Gift gestorben, und die Verdächtige saß ihm gegenüber. Kein Tisch mehr, und daher auch das übrige nicht. Die stärkste Vergangenheit verblaßt, wenn Tisch und Truhe fehlen. Indessen blicken wir in ein anderes Zimmer: dort tragen den hohen Kamin noch immer die steinernen Figuren des Mars und der Ceres, von einem Meister, Goujon genannt. Durch ihren Anblick kehrt wieder, was hier einst gespielt hat. Aus einer geisterhaften Versenkung steigt hervor der Spieltisch mitsamt der unheimlichen Kartenpartie. Blut war damals unversiegbar unter den Karten hervorgeronnen, als ein Zeichen für die Spieler, die denn auch sämtlich dahingeschieden sind, und unauffindlich wie ihre Karten ist nunmehr ihr Blut.
Zwischen diesen Wandteppichen, die jetzt fehlen, ist Karl der Neunte schreiend einhergestapft, dieses Fenster, von seinen Behängen derzeit entkleidet, hat er zugeworfen, damit er das Mordgeschrei nicht hörte. Vor seiner Bartholomäusnacht flüchtete er in den Irrsinn. Er stellte sich tobsüchtig auf dem ganzen Gang durch das Schloß, der ein Gang durch die Unterwelt war. Leichen unabsehbar -- ›Freund und Feind, wo seid ihr? Wohin ist Margot geraten? Wenn die umgestürzten Sessel fort sind, und keine Stickerei, sie war gelb und veilchenfarben, bedeckt an dieser Stelle die beiden jungen Leichen, wie sie dort übereinander lagen -- dann ist wohl alles nicht wahr gewesen? Keine Dekoration, keine Handlung, und die Geschichte wankt mit der ausgeräumten Stätte. Ich freue mich und kann nicht glauben, daß ich bin, wo ich bin‹ -- die Formel lief in dem Kopf des Einsamen ab, während er, seine Lichtstumpfe vor sich her, langsamer, immer stiller wanderte oder genau genommen die Wände hinschlich.
Sein einziger lebender Gefährte war zu dem alten Hof hinabgestiegen, genannt der Brunnenschacht des Louvre, damit er in den Küchen nach dem Gesinde aussähe und vielleicht ein Nachtessen fände. Von unten rief er von Zeit zu Zeit ermutigende Worte, da d'Armagnac von dem gegenwärtigen Zustand seines Herrn nichts Gutes hielt, und wünschte nur, er könnte ihm Wein mitbringen. Henri war tatsächlich nahe daran, Gesichte zu haben. In der großen Galerie verspürte er einen heftigen Luftzug. Fenster, die vorher nicht geöffnet waren, zeigten ihm in ihren bleichen Rahmen menschliche Schattenrisse: er unterschied Herren und Damen der vorigen Hofgesellschaft, sie drängten sich einer über den anderen nach der Sicht auf die Raben. Ein Schwarm der Vögel sank rauschend nieder in den Brunnenschacht des Louvre; Geruch, der ihnen wohlgefällig war, hatte sie versammelt, und bei eingetretener Dunkelheit machten sie sich an ihre Beute.
Die Erscheinung wurde zerstreut, da d'Armagnac heraufrief, er glaube weit hinten einen Spalt mit Licht gefunden zu haben. Irrte er sich aber, dann werde er Soldaten von der Torwache ausschicken, damit sein Herr nicht nüchtern bleiben müsse an einem Abend wie heute. »Nur ein wenig Geduld, Sire!« Nein, die Geduld war von den Seelenkräften des Herrn im Augenblick die unterste. Plötzlich fuhr er herum, schleichende Schritte nahten -- unhörbar eigentlich, sogar für ein Gehör wie seines; aber ihn benachrichtigte ein Sinn: er glaubte, derselbe Sinn für die Wiederkehr, der ihm die vorige Hofgesellschaft gezeigt hatte. Nun müssen die Geister bestanden werden, als wären sie Lebende. Wer sie merken ließe, daß er sie für etwas anderes hält, gegen den würden sie ausarten. Er hob seinen Lichtstumpf sehr hoch und erwartete festen Fußes, was kommen wollte.
Es war eine gebückte Gestalt, nicht unähnlich der des neuen Marschalls Brissac; während der Dauer eines Schrittes beging Henri die Verwechslung. Aber gerade mit diesem Schritt trat die Gestalt in den schwachen Lichtschein und zeigte ein fremdes Gesicht, mehr als fremd, wahrscheinlich von hier überhaupt nicht mehr. Die Augen waren erloschen, der Umriß verschwamm, zwischen weißen Haaren lag ein anderes, gehaltloses Weiß: man hätte mit der Hand nicht hineinfassen dürfen, dann wäre alles weg gewesen. Was auch wieder schade gewesen wäre. »Ich heiße Olivier«, sagte eine schattenhafte Stimme. Henri bemerkte, daß die Gestalt sich noch mehr krümmte und daß sie zweifellos Furcht hatte. Nun ist Furcht das letzte, was Geister jemals zu erkennen gegeben hätten. Wovor in der Tat sollten sie noch zittern. Die Gestalt, die sich Olivier genannt hatte, zitterte.
»Mach daß du fortkommst«, rief Henri, nicht so sehr aus Zorn, als um die Erscheinung zu prüfen. Sie antwortete dann wirklich:
»Ich kann nicht. Ich bin in dieses Schloß gebannt.«
»Das tut mir leid«, sagte Henri, schroff wie vorher, wenn auch in Ungewißheit wegen der Mächte, die jemanden in den ausgeräumten Louvre gebannt haben mochten. »Wie lange bist du schon hier?«
»Unendliche Zeiten«, wurde gehaucht. »Die kurzen vergnügten Jahre des Lebens und dann die unendlichen der Vergeltung.«
»Drücke dich bestimmter aus«, verlangte Henri, dem recht unheimlich wurde. »Soll durchaus etwas überbracht werden, dann will ich, daß es verständlich sei.«
Die Erscheinung Olivier tat hier einen Kniefall -- zwar einen sachten und geräuschlosen; indessen war die Bewegung nun einmal nicht gespenstisch, das stand jetzt außer Frage; sondern ein elender Mensch sank in seiner körperlichen Haltung um eine Stufe tiefer, alsbald wimmerte er auch. »Sire!« wimmerte er. »Verschonen Sie mein armseliges Alter. Sie hätten nichts davon, daß Sie mich aufhängen ließen. Die Möbel kämen nicht zurück. Ich büße schwer und lange, daß ich ein ungetreuer Verwalter Ihres Louvre war.«
Henri hatte begriffen, das genügte, ihn zu befriedigen. »Du hast hier ausgeräumt«, stellte er fest. »Gut. Du hast gestohlen, hast beiseite geschafft; das ist eine Tatsache, an die ich mich halten will. Fehlt nur noch die nähere Auskunft, wie es zuging, und besonders, warum man einen Falotten wie dich über dies Schloß der Könige von Frankreich setzen konnte.«
»Heute frag auch ich so«, antwortete aus der Höhe seines Knies das Stück Ungemach. »Als ich indessen den Auftrag empfing, war man allseits einverstanden mit der Wahl eines würdigen Mannes, der seinen eigenen Besitz stets ordentlich verwaltet hatte. Niemand dachte anders, als daß er auch die Krone Frankreich vor Schaden bewahren würde. Ich selbst hätte darauf geschworen. Sire! Ich war nichts weniger als ein Falott, habe nur leider erlebt, wie man es wird.«
»Das wäre?«
»Es sind mehrere Gründe.«
»Drei wahrscheinlich.«
»Wahrhaftig, drei, Sire! Woher wissen Sie?«
Der Mensch unterbrach sich, um besser zu wimmern. Worauf er flehend die Handflächen zeigte. »Ich kann nicht noch länger eine Fußspitze und ein Knie als Stütze meines Körpers gebrauchen, was eine künstliche Stellung ist, ich aber bin so gut wie verhungert. Jahrelang hat die Furcht vor dem Strick mich in dieses verlassene Schloß und seine tiefsten Keller gebannt. Meistens wage ich kein Licht zu brennen, mit Rücksicht auf einen sichtbaren Spalt, und nach einiger Nahrung schleiche ich nur des Nachts.« Zugleich machte er vor, wie er schlich: auf Händen und Füßen, es sah recht hündisch aus. Von dieser tiefsten Stufe her sagte er:
»Als ich aber einstmals hier einzog, schritt ich gewaltig aufrecht, hatte hinter mir ein Regiment von Dienern, und Reichtümer ohnegleichen waren mir Untertan. Auf diesem Geviert stand ein Tisch aus purem Gold, seine Füße prangten mit Zehen aus Rubinen. In diesem Gebreite die Teppiche zeigten mit fünftausend Perlen eingewirkt die Hochzeit des Samson und der Dalila sowie die Großtaten des Heliogabal.« Bei seinen Worten kroch der ehemalige Gebieter des Hauses nach den bewußten Stellen auf allen vieren, und zwar überraschend geläufig; es wurde anschaulich, daß er sich schon längst nicht anders fortbewegte.
»Genug!« befahl Henri. »Aufgestanden!« Eine weiße Mähne wurde am Boden geschüttelt wie die eines Pudels, aber der alte Geselle kam hoch, wenn auch schwankend. »Alter Geselle«, sagte Henri und gebrauchte, einen ermunternden Ton. »Vertrau mir deine Geheimnisse!«
Denn er hoffte, der Wahnsinnige hätte von den verschwundenen Schätzen dennoch einige untergebracht in Löchern und schwer zugänglichen Hintergründen des Louvre; Henri wurde erinnert, daß er mehrere Schlupfwinkel selbst entdecken mußte, zu der Zeit, als es hier für ihn um Tod und Leben ging. Der Wahnsinnige sprach indessen etwas anderes, völlig Unerwartetes. »Sire! Ich betraf Sie im Dunkeln allein, als ich Ihrem Edelmann auswich, da er mein Licht schon gefunden hatte. Gewiß hatten Sie im Dunkeln alte Bekannte gesehen. Der vorige Hof war zurückgekehrt. Die Luft sättigte sich mit den Düften der Damen und Herren, beigemischt waren die Wohlgerüche der Küche. Große Fackeln warfen rotes Licht auf die strotzende Pracht der Säle und Kabinette.«
»So weit ging es nicht«, murmelte Henri, betroffen und vom Grauen nochmals berührt, wenn auch zu seinem Ärger.
»Für mich kam es dahin«, sagte der alte Geselle, versuchte auch ein schwaches Gelächter. »Ich fühlte mich stets und ständig unter den wachsamen Augen von Unsichtbaren, die es nicht immer blieben. Ich mußte büßen, daß ich der Vergangenheit kundig und ein Humanist war. Damals hätte ich entweichen und mein Amt als Verwalter zurückgeben sollen. Was tat ich anstatt dessen? Ich gab Feste, ich tafelte großartig mit anderen Reichen meiner Gattung, Schmarotzer waren zugelassen, sofern sie die alte Hofgesellschaft glaubhaft genug darstellten. Besonders verfügte ich über schöne, kostbare Damen, lauter Juwelen von Damen, und verschlangen dann wirklich mein Vermögen.«
»Das war leicht vorauszusehen, alter Geselle«, warf Henri ein.
»Wäre ich aber eine einzige Nacht allein im Schloß geblieben«, flüsterte der Wahnsinnige, »die Unsichtbaren, die überall zugegen waren und plötzlich ein Gesicht hervorstreckten, hätten mir unzweifelhaft den Hals umgedreht.«
»Du vertrugst den Aufenthalt nicht«, bemerkte Henri. »Und zweitens?«
»Das zweite waren die Zeitläufte. Ganz Paris verfiel der Ausschweifung durch schwere Wirren, während Eure Majestät den Sieger machten in Ihren berühmten Schlachten, und gefiel es Ihnen gerade, belagerten Sie die Stadt und hungerten uns aus. Wer kein Geld mehr zu verschleudern hatte, vergoß Blut. Ich verschweige, ob nicht auch hierselbst, bei andauernden Orgien --«
»Genug!« befahl Henri noch einmal. »Weiter! Allmählich drängte es, daß du den Platz räumtest.«
Die armselige Gestalt bückte sich tief genug, daß die weißen Haare über das ganze Gesicht fielen. »Indessen war ich sowohl verzweifelt als hochmütig. Sire! Hören Sie von einem kundigen Humanisten, daß die Verzweiflung hochmütig macht und der Hochmut an die Verzweiflung grenzt. Ich wollte das Ende der begonnenen Dinge sehen, das war meine Versuchung; ich bin noch heute stolz auf sie, denn sie ist ausgegangen, wie es einem ehemals großen und mächtigen Mann gebührt, nachdem er seine Lust gebüßt und das Schloß der Könige von Frankreich ratzekahl ausgeräumt hat.«
Henri faßte zusammen. »Das erste war, daß du nicht hierher gehörtest, zum zweiten verübtest du, was zu deiner Zeit irgend üblich wurde, sogar die Menschenfresserei. Endlich maßtest du dir die Neugier auf den Tod an. Du sollst ihm jetzt begegnen.«
Hier ertönte die Stimme eines Lebendigen, es war Herr d'Armagnac. Er sprach von draußen, unter einem der Fenster, zu dem er halbwegs hinaufgeklettert war; nur mit den Augen reichte er bis herein. Hatte doch erforschen gewollt, mit wem sein Herr im Dunkeln verhandelte. Der letzte Lichtstumpf flackerte, auf dem nackten Boden geklebt. D'Armagnac hatte vieles gehört. »Sire!« sagte er. »Werfen Sie mir den Falotten heraus, damit ihm das Seine besorgt wird.«
Die Gestalt, die sich anfangs Olivier genannt hatte, schien nachgerade von nichts Irdischem zu wissen, ausgenommen ihre eigenen, vertieften Angelegenheiten. Sie hatte die Worte des Königs so wenig wie den Zuruf seines Edelmannes beachtet. »Jetzt laufe ich wie ein Hund«, hauchte sie, wie für sich allein, ließ sich tatsächlich auf die Hände und machte höchst geläufig eine Runde. Richtete sich auf, so weit ihr dies noch gegeben war, und beinahe mit der Kraft eines Menschen sagte die Gestalt: »Der Hund, das ist die unendliche Vergeltung, vorher waren die kurzen, vergnügten Jahre des Lebens. Unmittelbar vor dem Hund bewundere man gefälligst den Hauptkerl und Hahn im Korbe: hier steht er. Als ich nun die ehrwürdigen Reichtümer der Könige ausräumte und zu Geld machte, oh! wie meine teuren Damen es mir abnahmen. Wie sie stolz waren auf die ehrwürdige Herkunft meiner Mittel und mich dafür liebten, mit dem Herzen liebten.«
»Alle?« fragte Henri, voll widerwilliger Teilnahme.
»Alle. Und war ihrer eine stattliche Zahl, zweistellig, die zweite Ziffer das Vierfache der ersten.«
Was noch niemals geschehen, das weiße, unfeste Gesicht verlegte sich darauf, zu blinzeln, und unter dem Geblinzel erschien ein kleines Funkeln: Henri hatte es bei dem vorigen seiner Mörder bemerkt. Übrigens war er vorbereitet auf die Zahl, dieselbe, die ihm nachgesagt wurde in Anbetracht seiner Geliebten. Die und keine andere sollte alsbald aus dem Munde des Wahnsinnigen fallen; nein, dieser ist nicht wahnsinnig genug, daß er es versäumen möchte, den König selbst in seine Angelegenheiten zu ziehen, damit er sie beschönigt und in letzter Stunde rettet.
»Achtundzwanzig«, hauchte der Hund und Haupthahn, falsche Prinz, Vampyr, ungetreue Vogt und gespenstische Falott. Da ergriff Henri ihn ohne alle Umstände am Kragen, setzte ihn aus dem Fenster und ließ ihn fallen. Herr d'Armagnac fing das Päckchen auf, trug es auch gleich an seinen Bestimmungsort. Sein vereinzelter Schritt entfernte sich.
Der letzte Lichtstumpf war herabgebrannt, zerlief, erlosch; der König aber, der heute die Macht ergriffen hatte, entbehrte an diesem Punkt noch mehr den Stuhl, der nicht da war. Es war ein strenger Tag gewesen, und die letzte seiner Stunden hielt Henri für die strengste. Die beendete Begegnung hatte ihm zugesetzt; sie war die dunkelste, sie war gewiß auch die sinnreichste. Oder fehlte ihr der gesunde Sinn, anzüglich blieb sie, und der Wahnsinnige, der sich, o wie anzüglich, einen Humanisten nennt, zieht nicht ganz umsonst den König in seine verfahrene Sache. ›Schließlich habe ich eine Frau, die allein mehr kostet, als wenn die berühmte Zahl der Geliebten voll wäre. Ich besitze drei Hemden. Meine Hauptstadt habe ich für zehn Jahre von allen Steuern, Zins und Abgaben befreit, wodurch es mir nicht leichter gemacht ist, den Rest meines Königreiches zusammenzukaufen. Die Gewerbe zur Blüte bringen, anstatt des Krieges, der das wichtigste Geschäft war! Noch seh ich nicht, wie jeder meiner Untertanen, wär's dann und wann, ein Huhn im Topf haben sollte.‹
Er trat unter das Fenster, das endlich, aus zerteiltem Gewölk, vom Licht des Mondes gestreift wurde. ›Arbeit‹, so besann er, ›für mehr als einen Mann. Den zweiten weiß ich noch, der mit mir arbeiten wird, dann keinen rechten mehr. Dies Königreich verlangt alles auf einmal und muß als das erste des Abendlandes dastehen an meinem Todestag. Haltet euch gut, König Henri und sein treuer Diener Rosny, solange ihr da seid. Was kommt nach mir? Ich bin verheiratet und habe keinen Erben. Meine teure Herrin, gib mir den Sohn, damit ich im Besitz meines Königreiches bin.‹ -- »Kann's nie besitzen ohne dich und deinen Leib.« Das letzte sprach er nicht mehr in sich hinein, er schickte es zum Mond hinauf, vertraulich, wie auch sein Licht war.
Von hier ab richtete der König, der heute die Macht ergriffen hatte, seine Gedanken an das Gestirn, worin aber nach seiner augenblicklichen Meinung die reizende Gabriele wohnte. Hatte er selbst sie doch einquartiert in einem gesittet schimmernden Palast nicht weit von hier: so nah erscheint nunmehr das sanfte Gestirn. ›Kränze von Wachskerzen werden in Ihren Sälen leuchten zu dieser Frist, Madame. Ich stehe, lausch und atme Ihren Abglanz, Marquise.‹
Bei einer Schwärmerei dieses Grades betraf ihn der Erste Kammerdiener, der sogleich Ordnung machte mit Eröffnungen greifbarer Art. Vor allem war es ihm gelungen, für den König ein Schlafzimmer aufzufinden, und er zeigte es ihm. Henri ließ hinter sich eine größere Anzahl von Treppen und Gängen, auf die er nicht achtete. Ihm war auch gleichgültig, was d'Armagnac draußen sonst noch besorgt hatte. Dieser begann selbst, während er seinem Herrn die Schuhe auszog.
»Der sogenannte Olivier liegt in Ketten und schwerer Verwahrung.«
»Verwahrt wäre er hier im Louvre schon längst gewesen«, meinte Henri, der gähnte. D'Armagnac berichtete nicht ohne Strenge: »Der Erste Präsident Ihres Parlamentes ist aus seinem Bett herbeigeeilt und hat ihn verhört. Der Delinquent ist geständig aller Verbrechen, sie bilden eine Liste, für die es mehrerer Schreiber bedarf. Bei Tagesanbruch wird ihm der Prozeß gemacht.«
»So eilig. Wo soll er hängen? Und was tust du mit meinen Schuhen, daß du nur immer zerrst?«
»Auf der Brücke zum Louvre soll er hängen, damit Paris mit Augen sieht: so straft der König. Sire! Ihre Schuhe werde ich aufschneiden müssen. Sie rühren sich nicht. Sind voll vom feuchten Schmutz der ganzen Stadt und festgesogen an Ihren Füßen.«
»Der dichteste Regen fiel, als die Spanier abzogen. Laß mir die Schuh an den Füßen, damit ich der Spanier im Schlaf gedenke. Das Urteil gegen Olivier unterschreib ich nicht.«
»Sire! Sie werden vom Volk nicht geliebt werden, es sei denn, daß der Hund, Hahn oder Falott, der Ihre Möbel verkauft hat, auf der Brücke des Louvre hängt.«
Unversehens schnitt d'Armagnac das verhärtete Leder auf, und als er die Füße seines Herrn befreit hatte, erwärmte er sie in seinen Händen. Hierbei erhob er das Gesicht zu ihm, und Henri bemerkte, daß dieser d'Armagnac nicht derselbe wie vor zwanzig Jahren war. Der hätte nicht gesagt: »Sire! Sie werden vom Volk nicht geliebt werden.« Wäre darum im geringsten nicht besorgt gewesen -- erstens, weil er es nicht für fraglich gehalten hätte, und besonders, weil der kühne Fechter jener Zeiten den Fragen gemeinhin nicht nachhing. Er traf pünktlich ein, wenn sein Herr in leibliche Verlegenheiten geriet, und den Herzog von Guise, einen vergötterten Liebling des Volkes, hätte d'Armagnac haargenau in zwei Teile gespalten, wie er nach seinem gelungenen Dazwischentreten bekanntgab in großartiger Rede; der Herzog erbleichte nachträglich.
»Alter Freund«, sagte Henri besorgt. »Was wird aus dir?«
Das Gesicht des Edelmannes zeigte eine Sanftmut, sie ging bis zur Zaghaftigkeit.
»Früher hättest du meine Volkstümlichkeit nicht von der Errichtung eines Galgens abhängig gemacht.« -- ›Er wird alt‹, meinte der Herr, ohne daß er es aussprach. ›Das Selbstvertrauen soll dann abnehmen‹, dachte er.
»Erkennen Sie dies Zimmer wieder?« fragte d'Armagnac plötzlich. Überrascht sah Henri um. Eine Kammer von gewöhnlichen Maßen, das kärgliche Lager aus Latten mit Stroh: nur sonderbar, daß oberhalb, an der schadhaften Decke, die Überreste eines Himmels hingen. Hatten durch die langen Jahrzehnte gehaftet und gehalten über der Stelle, wo einst der junge König von Navarra mit seiner Frau im Ehebett lag, seine vierzig Edelleute um das Bett her; hatte es aber zu früh verlassen. Noch war die Nacht, die eine Mordnacht sein sollte bis in den hellen Tag.
»Warum bin ich hier?« fragte der König, der heute die Macht ergriffen hatte. »Ich will davon nicht wissen. Hängt euren Dieb auf der Brücke, damit meine Hauptstadt sieht: die Gespenster sind ausgetrieben. Mir soll keines mehr begegnen. Ich will im Louvre wohnen wie in einem neuen Schloß, kein Wort von dem alten, nie wieder die Erinnerung. Hab auch ein neues Volk, das vom gewesenen schweigt, wie ich selbst, unverbrüchlich. Ich will arbeiten mit meinem neuen Volk. Das Gespenst hängt, und weg damit. Mein Volk wird mich lieben, weil ich mit ihm arbeite.«
Ein sonderbares Paar besuchte diesen Morgen die Werkstatt des Gerbers Gérôme, ein offenes Gewölbe zwischen Straße und Hof in sehr verkehrsreicher Gegend. Der kleinere Mann war der König, der länger gewachsene sein treuer Diener, Rosny genannt: so viel erfuhr die Straße gleich bei ihrem Auftreten. Einige Soldaten räumten die Mitte und riefen: »Platz! Der König!«
Das Drollige begann, als der König den alten Handwerker fragte: »Guter Mann, wie ist es? Kannst du einen Gesellen brauchen?« Der Gerber in seiner Überraschung sagte ja, und schon stand der König in Hemdsärmeln, die er bis zu den Schultern aufrollte; dergestalt machte er sich frischweg an das Geschäft, weil er es dem Meister abgesehen hatte. Dabei beging er Fehler, besonders ließ er das Leder fortschwimmen in dem Abfluß, der durch den Hof und bis in ein Loch lief. In das Loch waren mehrere Stücke Leder gestürzt, bevor der alte Gerber den Schaden bemerkte. Zuerst besann er sich, ob der Vorfall ehrfürchtig in Anbetracht der königlichen Person oder im Gegenteil nach Art des Meisters zu behandeln wäre. Dann entschloß er sich tatsächlich als Meister, nicht als Untertan vorzugehen, und kurzum, der Schaden müßte ihm ersetzt werden.
Im Eingang drängten Zuschauer. Der tüchtige Geschäftsmann dachte nicht anders, als daß er zum wenigsten so viele Goldstücke aus dem König herausholen werde, als Häute in das Loch geschwemmt waren. Mußte aber entdecken, daß jemand hier ihm überlegen in Geldsachen war: der Edelmann und ansehnliche Diener. Dieser Herr de Rosny drückte den Preis hartnäckig, bis er dem Wert der Ware beiläufig gleichkam. Der erstaunte Gerber kratzte sich den Kopf, während die Leute von der Straße ihn auslachten. Der König, der so lange wortlos zugefaßt hatte, winkte, damit es still würde, und nahm das Wort, wobei er sich reinigte und anzog.
»Gute Leute, ich habe mich hier in einem Handwerk versucht und will zugeben: viel war es nicht mit meiner Arbeit, aller Anfang ist schwer; übrigens solltet ihr von mir nicht sehen, wie Leder in bewährter Weise hergestellt wird. Vielmehr wollte ich euch vor Augen führen, warum unser heimisches Leder, einstmals in Europa hochgeschätzt, jetzt nicht mehr verlangt wird. Das rührt daher, daß nach dem ewigen Bürgerkrieg mit seiner Unordnung und Arbeitslosigkeit nur noch so schlechte Gerbergesellen vorkommen, wie ich selbst einer bin. Mein Meister Gérôme stellt keine mehr ein, sie ließen ihm nur die Felle fortschwimmen. Stimmt es, Meister?«
»Sire! Ihre Rede ist Gold«, sagte der Mann, denn er hatte überlegt, daß nunmehr zur Ehrfurcht überzugehen wäre. »Woher mag ein Herr wie Sie diese gemeinen Dinge wissen?«
Henri kannte sie durch seinen guten Diener, der sie herausgefunden hatte, niemand ahnte, wie. Die Begabung des Soldaten Rosny für alles Wirtschaftliche war ungemein; sein König hatte beschlossen, sie nützlich zu verwenden; daher die Besuche des sonderbaren Paares in den verkehrsreichen Straßen. Unvermerkt streifte der König seinen Diener mit einem Zwinkern; dann wendete er sich nochmals an die Leute. »Kinder!« sprach er sie jetzt an.
»Kinder, der gute Ruf unseres Gewerbes: bedenkt ihn! Wollt ihr harte Taler in den Strumpf stecken, ja?«
Sie sagten ja -- noch etwas zögernd. Der König fragte weiter.
»Gut essen, Kinder, das habt ihr gern. Sonntags ein Huhn im Topf.«
Jetzt erhoben sie schon die Stimmen, um ihr Einverständnis zu bezeugen. Zwei arme Frauen riefen, der König sollte leben.
»Und mein Volk soll essen«, antwortete er ihnen. »Habt ihr Söhne?« fragte er weiter. »Wie alt? Was tun sie?«
Er erfuhr, daß die jungen Leute gar nichts taten, denn das Gewerbe liegt darnieder.
»Weil eure Söhne nichts lernen. Wo sind sie? Her mit ihnen!« befahl der König, und da die Knaben natürlich unter den Gaffern waren, wo denn sonst, die Straße, in der einer geboren ist, verläßt er nicht so leicht -- übergab der König sie alsbald dem Meister. Wobei er ihnen mit der Hand durch die Haare strich. Hierüber und über nichts anderes weinten die beiden Mütter. Andere Frauen stimmten ein, und der Vorgang wäre ausschließlich moralisch und gefühlvoll gewesen, hätten nicht Rosny und der Gerber nochmals hartnäckig gehandelt wegen des Lehrgeldes. Endlich zahlte der Diener des Königs es dem Meister aus, und zwar mit Schwung, wobei die Steine auf seinen Fingern glänzten. Der König erinnerte den Meister noch, daß die Jungen gehörig Weißbrot und Wein bekämen; wären sie aber für die Arbeit entschieden ungeschickt, dann verfalle die Hälfte des Lehrgeldes; den Rest sollte der Meister in den Louvre zurückbringen.
Die Genauigkeit des Königs befriedigte die Leute mehr als seine Großherzigkeit. Daher ließen sie ihn auf die Straße und räumten die Mitte, ohne Einschreiten der Soldaten. Nun geschah es, daß an diesem wohlberechneten Punkt eine Sänfte die Straße entlangkam; Federn schwankten auf ihrem bemalten und lackierten Verdeck, und vor dem Haus des Gerbers wurde sie hingestellt. »Ist dies die Straße de la Ferronnerie?« fragte die Dame, die darin saß, einen ihrer Träger. Da war auch schon Herr de Rosny bei der Sänfte, er flüsterte dringlich: »Madame, um Gottes willen, schweigen Sie. Der bloße Zufall führt Sie her, so haben wir es ausgemacht.«
»Verzeihen Sie. Mein Kopf! Ich vergesse meine Rolle«, sagte Gabriele, sah auch blaß und müde aus. Herr de Rosny sprach ihren nächsten Satz lieber selbst, damit er nicht durcheinander käme. »Oh! Wie erstaunlich, in einer so großen Stadt findet man sich, als ob es nur die eine Straße gäbe.«
Dies war das Stichwort für Henri, der es nicht verpaßte. Gleichzeitig läuteten die Glocken der nächsten Kirchen zu Mittag. »Madame«, sprach der König, den Hut in der Hand, »gerade war ich auf dem Weg nach Hause, damit wir zusammen das Brot brechen, wie alle anständigen Leute zu dieser Stunde.« Hierbei murmelte das Volk beifällig, weil seine Sitten eingehalten wurden. Als die Sänfte schon aufgehoben werden sollte, äußerte Gabriele noch schnell eine Bemerkung; übrigens störte sie beträchtlich die vorgesehene Anordnung.
»Sire! Das Haus, aus dem Sie getreten sind, hat ein merkwürdiges Schild.«
Henri sah um. Die Mauer oberhalb des Gewölbes trug das Wahrzeichen: Gekröntes Herz von einem Pfeil durchbohrt.
Henri erschrickt, weiß nicht warum, er fühlt den kalten Schauder nach seinem Herzen greifen. Gekrönt und durchbohrt. Zu Gabriele gewendet spricht er: »Madame! Es gibt ein Herz, dem Sie dasselbe Schicksal bereiten: gekrönt, durchbohrt.«
Er sagte es leise, für sie allein. Berührte die Spitzen ihrer Finger, die sie herausstreckte, und geleitete die Dame in ihrer Sänfte durch das beifällig murmelnde Volk. Rosny folgte, das Gesicht ohne anderen Ausdruck als den der stolzen Zuverlässigkeit. Hinter der Maske dachte er: ›Larifari.‹ Das hatte sie nötig -- obwohl seine Meinung von der schönen d'Estrées ohnedies nicht mehr zu ändern war, und die lautete: sie war dumm. Indessen, über ihren Mangel an Geist wie über ihre noch gefährlicheren Seiten war er bereit, hinwegzusehen und vorerst mit ihr zusammenzuhalten. Das ist unumgänglich für das Personal eines neuen Reiches, wenn an die beginnende Herrschaft geglaubt werden soll, so daß sie für den Sinn der Leute die feste Gestalt bekommt.
So gingen sie, die Sänfte mit ihren Trägern, der König, sein guter Diener -- gingen unter dem Schutz weniger Wachen durch das volkreiche Paris, das sie noch unlängst nicht ungeschoren vorbeigelassen hätte. Rosny achtete, Straße um Straße, auf alles, was gesprochen wurde. Henri tat, als hörte er nichts und wäre mit seiner Dame beschäftigt. Er versäumte aber das wenigste. Jemand in der Menge fragte vorlaut: »Wer ist die schöne Person?« Darauf antwortete ein grober Soldat, der ihn aus dem Weg stieß: »Es ist die Hure des Königs« -- was der Soldat am Ende nicht abschätzig meinte, er brauchte die Bezeichnung, die er kannte. Immerhin war es der eigene Wächter des Königs, man lachte, und bevor das Gelächter unheilvoll werden konnte, stimmte Henri mit ein. Auf die Weise blieb es unschuldig.
Er wollte, daß alles unschuldig bleibe. Der Übergang von der bisherigen Gesetzlosigkeit zu der Macht des Rechtes sollte vor sich gehen, als geschähe nichts. Er war aber im Gegenteil davon durchdrungen, daß es in diesen Tagen um alles ging, sowohl für ihn wie für das Königreich, und was man jetzt laufen ließ wie es wollte, war nie mehr einzuholen. Er war König dem Namen nach schon das fünfte Jahr. ›Woher nahm ich so viel Geduld‹, dachte er bei sich. Eine innere Spannung war eingetreten, als würde er erwartet, überall gleichzeitig, und von jeder Minute hinge das Heil ab. Davon ließ er nichts merken, weder die Leute auf der Straße und an seinem neu möblierten Hof noch seinen Geheimen Rat. War einfach, mild und guter Laune, und gerade infolgedessen sollte er nachher das heftige Fieber bekommen -- dasselbe, das ihm für seine großen Anstrengungen und die erreichten Wendungen des Lebens jedesmal die Quittung erteilte. Noch mischte sein Körper insgeheim die Krankheit zusammen, war ihm nichts anzumerken -- es wäre denn unter den vielen, die ihn vor Augen hatten, ein nachdenklicher Beobachter gewesen. Der hätte wenigstens nachher etwas erraten. Als Seine Majestät darniederlag, an einem später vorgesehenen Zeitpunkt, und in die Bettdecke hinein leise sang, was nur seine Schwester und der Erste Kammerdiener hörten, hugenottische Psalmen waren es -- da hätte man sagen können: Halt! So war das. Manches Sonderbare erklärt sich hiermit.
Sein gewöhnlicher Begleiter, Rosny, behielt für Betrachtungen solcher Art nichts übrig; ein bis jetzt ausstehendes königliches Fieber sah er gewiß nicht kommen. Ökonomie und Ballistik im Verein beanspruchten ihn, nicht gerechnet die Sorge um sein eigenes Fortkommen. Gouverneur der Stadt Mantes war alles, wohin er es bis jetzt gebracht hatte. Sein gnädiger, aber vorsichtiger Herr führte den Protestanten keineswegs in das Finanzkollegium ein; die Mitglieder, lauter Katholiken, hätten seine Ernennung als das Anzeichen einer Umwälzung aufgefaßt. Dies weniger aus Besorgnis für die Religion, sondern um ihrer überzähligen Einnahmen willen. Der Diebstahl an den Einkünften des Königreiches war für das Heer der Finanzbeamten bis zu ihren höchsten Spitzen solange das Natürliche, Erlaubte gewesen. Auf einmal sagte ihnen ein feines Gefühl, daß die Machtergreifung des Königs Henri ihre Gebräuche in Frage stellte, wenn noch nicht bedrohte.
Der König ließ ihnen Warnungen zukommen, zuerst nur in scherzhafter Art, bei den volkstümlichen Anlässen, die ihm niemals fehlten. Er versagte sich noch immer nicht, mit gewöhnlichen Leuten zu verkehren, reiste in Geschäften irgendwohin, gewann beim Ballspiel den Einwohnern ihr Geld ab und verwahrte es in seinem Hut. »Das halt ich fest«, rief er, »und niemand soll mich darum erleichtern, es geht nicht durch die Hände meiner Finanzbeamten.« Was diesen alsbald zu Ohren kam. Dennoch fürchteten sie wenig von seiten des Königs, der in guter Laune ein Wort zuviel sprach: sie spürten die Gefahr aus einer anderen Richtung herannahen.
In einem Hause, das Arsenal genannt, saß einer und rechnete ihnen alles nach. Soviel wußten sie. Aus dem entlegenen Haus drang kein Wort, oder es war das Flüstern ihrer Spione. Der Mann in seinem wohlbewachten Arbeitszimmer stellte lange Reihen von Zahlen auf; sie bewiesen, wie die Preise gestiegen waren, als noch die Mengen spanischen Goldes hereinflossen. Die Löhne waren niemals nachgekommen, und seit dem Austrocknen der Ströme von Pistolen, was blieb? Teures Leben; für die wenigen, denen es anschlug, das beste Leben, oder gar keines für die Mehrzahl. Daher viele Selbstmörder und andererseits unsichere Straßen. Beides, die Versündigung am eigenen Leib wie auch die kriminellen Raubüberfälle, erklärt man gewöhnlich durch einreißende Mißachtung der Religion und offene Auflehnung gegen den geordneten Staat.
Der lautlose Arbeiter in dem Hause, das Arsenal genannt, erforschte andere Ursachen, ihr Bekanntwerden war vielen unerwünscht. Gern hätten sie ihn aus dem Haus geholt. Bis zum Gewässer der Seine sind hundert Schritt; es wäre von Vorteil, den Mann mitsamt seinen Zahlenreihen bei dunkler Nacht hineinzutauchen, gründlich genug, daß er nie wieder heraufsteigt. Leider ist der Fachmann der Wirtschaft zugleich ein Artillerist. Seine Denkschriften für den König betreffen Industrie und Landwirtschaft, aber ebensowohl die Verbesserung der Geschütze. Im Hof seines Hauses stehen Kanonen mitsamt ihrer Bedienung, daher ist er nicht leicht zu fangen. Reitet niemals ohne Wachen aus, besonders wenn er dem König seine Denkschriften bringt. Gewiß bedeutet es Hoffart, das Geleit und der Schmuck, in dem er glänzt. Vor allem aber weiß er, woran er ist mit den ehrbaren Benutzern dieses Staates, die gut an ihm verdienen. Alles spricht dafür, daß er seinen Herrn zu den gewagtesten Maßnahmen drängt.
Das gerade nicht. Niemand verstand diesen Rosny, obwohl alle ihn immer bei der Arbeit gesehen hatten. Was war er viel, worin bestand sein Anspruch? Mit großen Mengen Pulvers einen Turm sprengen konnte jeder. Wenn ein Gouverneur zu kaufen war, bekam der Unterhändler ohne viel Witz die Stadt Rouen, nicht aber die Großmeisterei der Artillerie. Die gehörte dem Vater der teuren Herrin, einem Tropf, der täglich verrückter wurde. Herr de Rosny verzieh es bekanntlich nicht. Jeder wußte, daß er nicht nur mit der teuren Herrin wie Katz und Hund stand: im Herzensgrund, gesetzt, daß der Mann mit dem steinernen Gesicht einen Herzensgrund gehabt hätte, haßte er auch seinen König, daran war kein Zweifel. Herr de Villeroy versicherte es im Vertrauen, und so kam es herum. Herr de Rosny haßt den König, er fürchtet nur mit Recht, getötet zu werden, wenn er ihn verließe. Andererseits ist seine Geldgier erstaunlich; mit Versprechungen und einer Anzahlung, die wir ihm nach seinem vorzeitigen Tode wieder abnehmen, bringen wir ihn leicht auf unsere Seite. Das ist eigentlich sein Ansinnen an uns; einzig um uns zu erpressen, fertigt der Spitzbube seine Denkschriften an.
Herr de Villeroy, der Rosny gröblich mißverstand, dachte sich überhaupt die Welt voll Spitzbuben; er würde aus eigener Erfahrung nicht begriffen haben, wie man anders zu etwas käme. Er hatte nach- und durcheinander den König an die Liga und diese an den König verraten -- ohne die besondere Gabe der Kunst und Verstellung, die etwa den Humanisten und Fliegenfänger Brissac vermocht hätte, eine geschickte Szene hinzulegen und zu betrügen, gleichviel wen, einzig um der Schönheit willen. Dies war nicht die Art des Herrn de Villeroy, eines weit derberen Schuftes. Henri, der mit Männern Bescheid wußte, berief ihn am ersten Tag in seinen Finanzrat. Dort stahl Villeroy, hatte alle Hände voll zu tun und verfiel auf die ärgsten Übungen nicht, als da gewesen wären: den König entführen, ihn in eine der bis jetzt aufrührerischen Provinzen schaffen und einen Handel um sein Leben und Sterben eröffnen. Zahlten die großen Rebellen mehr, dann kam er um. Oder er selbst, so blieb er erhalten.
Über Herrn de Villeroy und seinesgleichen reichlich belehrt, überließ Henri sie vorerst ihrer Selbstbereicherung, was nicht hinderte, daß er sie warnte, immer scherzhaft, immer volkstümlich, auch wenn er die Warnung nicht mehr dem Gerücht anvertraute, sondern sie selbst überbrachte. Herr de Villeroy hat einen herrlichen Landsitz, der König kehrt ein, es ist ein zufälliger, bescheidener Ausflug, zwölf oder fünfzehn Herren, aber weder Dienerschaft noch Gepäck, und sie haben Hunger. Der König geht geradeswegs in den Kuhstall, eine gute Frau ist beim Melken. »Sire, guter Herr«, sagt sie.
»Das bin ich für alle, die redlich arbeiten wie du«, spricht er und läßt sich Milch einschenken. Alle Edelleute mitsamt dem König setzen sich zu Tisch bei dem reichen Villeroy, und kein anderes Gericht darf aufgetragen werden außer den Schalen mit Milch. Das macht den reichen Villeroy nicht verlegen. Der König ist romantisch, er schwärmt für Natur. »Dies Wirtshaus wäre zu teuer, wenn man mehr äße«, redet er nach dem Verschlingen der Milch, denn er muß reden und man soll lachen. Herr de Villeroy lacht mit den anderen. Dieser muntere Vogel ist noch nicht der König, der ihn fangen wird. An Ludwig den Elften und seinen Henker darf man nicht denken. Die Zahlenreihen eines Rosny werden den Draufgänger und Kavalleristen bloß langweilen. Der Artillerist wird dem Kavalleristen in den Ohren liegen mit wirtschaftlichen Maßnahmen, die Volk und ehrbare Leute gegen ihn aufbringen, wenn er sie ausführt. Kosten ihn unbedingt das Königreich, äußerte Villeroy nachher im Finanzrat, wo er Anklang fand. Die neue Herrschaft hält von selbst nicht, wozu sie abkürzen, bis zu ihrem Sturz schuldet sie uns viel Geld.
Herr de Rosny aber ritt in den Louvre. Dies waren immer noch die ersten Tage der neuen Herrschaft, Aprilwetter, ein Regenschauer fiel auf den Edelmann. Er schätzte gute Kleider; der Hut darf durch Nässe nicht formlos, die Krause nicht aufgeweicht werden: wohin käme es mit den Diamanten, die diese Gegenstände sowie den Mantel des Herrn verzieren. Vor der alten Sankt-Michaels-Brücke, die unter dem vollen Guß lag, lenkte Herr de Rosny sein Pferd in ein Torgewölbe; seine Leute mochten draußen bleiben. Da wohnte er nun einem Auftritt bei, leider war es kein ungewöhnlicher. Ein Mensch schickte sich an, in den Fluß zu springen. Seine Vorbereitungen waren unverkennbar; die verödete Brücke gab ihn den Blicken preis, sofern die Häuser diesseits und jenseits nur einige Zuschauer bargen. Dies war nicht der Fall, oder sie scheuten die geöffnete Wolke, oder der Vorgang war ihnen nachgerade geläufig. Der Mensch entledigte sich seiner Schuhe, wozu wohl, es schienen nur noch Teile von Schuhen zu sein. Auch sein Wams warf er voran ins Wasser, ein Kleidungsstück, mehr Loch als Stoff. Darunter war er nackt, eine traurige Leiblichkeit, Herr de Rosny fand sie wenig erhaltenswert. Er hätte dennoch seinen Leuten gewinkt, indessen hißte die kraftlose Gestalt sich auf die Brustwehr, rutschte hinüber und brauchte sich einfach fallen zu lassen, niemand wäre zeitig bei ihm angelangt.
Doch. Von drüben, in der Schnelligkeit war nicht zu erfassen, woher, flog jemand sozusagen durch die Luft herbei, solche Sätze nahm er. Hatte den Fuß des Selbstmörders gefaßt und riß ihn zurück. Der Mensch schrie auf, der rauhe Stein, über den er gezogen wurde, zerriß ihm die Haut. Blutend, gedemütigt, wütend stand er vor seinem Retter, erhob gegen ihn die Faust -- ließ sie plötzlich sinken und brach in die Knie. Sein Retter war der König.
Die emailleblauen Augen des Herrn de Rosny konnten diesmal nicht weit genug aufgemacht werden. Er sah ungern, was er sah, während er doch fühlte, daß er nicht der einzige Zuschauer, die Ufer nicht hätten leer sein sollen. Eine Volksmenge gehörte zu dem Auftritt, den der König und der Gerettete gaben. Herr de Rosny war überzeugt, oder nahezu, daß hier mit verteilten Rollen gespielt wurde, wenn auch die Anordnung weniger genau war als letzthin bei dem Gerber. Außerdem hatte das schlechte Wetter das Publikum vertrieben. Immerhin kam einiges zusammen, da die Wolke droben verweht wurde und nur noch tropfte. Herr de Rosny sah den König seinen Mantel abnehmen -- wahrhaftig, dem nackten Menschen legte er ihn um.
Herr de Rosny versicherte sich durch einen Blick in die Runde, daß wenigstens dieser Zug nicht unbemerkt geblieben war; dann fand er es geboten, seinen eigenen Platz in der Handlung einzunehmen. Er führte sein Pferd auf die Brücke, untertänigst bot er es dem König an: so hätte er es sonst seinem Herrn niemals, aber beiläufig dem heiligen Martin angeboten, falls er ihn gekannt hätte. Henri lachte denn auch herzlich, er sagte: »Sehen Sie den Mantel an! Ist er viel besser als das fortgeschwommene Wams? Geben Sie dem Menschen Geld! Wenn ich keine Arbeit für ihn habe, muß ich ihn ernähren. Schicken Sie einen Ihrer Leute mit ihm in das Krankenhaus, daß man ihn aufnimmt.«
Gut damit und aufgesessen. Die Szene war kurz gewesen, aber jedes Wort traf. Wer von den Zuschauern nicht verstand und mitging, war die Szene nicht wert. Der Gerettete verbeugte sich höflich und sprach seinen letzten Satz. »Sire!« sprach er nicht ohne Wohllaut. »Ich werde sterben. Meinesgleichen soll nicht von Eurer Majestät erhalten werden, wenn weder Tuch noch Leder hergestellt wird und auch die Feldarbeiten liegenbleiben. Da ich Theologie studiert habe, werde ich in der anderen Welt zu melden wissen von der großen tatkräftigen Liebe unseres Königs Henri.«
Hiermit ging er ab, begleitet von einem Soldaten, und hatte vor allem Volk, inzwischen war es zur Menge angewachsen, die wichtigste Rolle infolge seines nahen Verhältnisses zu der anderen Welt. Gern hätte man ihm Aufträge dorthin mitgegeben. Der König wurde durch ihn zu einer Nebenperson von Rang, die aber nicht bestimmt ist, die Herzen zu packen. Er mochte sein Pferd in Trab setzen, man wich aus, da der Schlamm spritzte, und gab ihm nichts kund, weder Zu- noch Abneigung. Er ließ das Tier um so flotter traben, es war der Schimmel des Herrn de Rosny, der um eine halbe Pferdelänge hinter ihm das Tier des abgesessenen Soldaten traben ließ. Das kleine Getrappel, sechs oder sieben Reiter mit ihren Monturen, war ohne viel Aufsehen alsbald angelangt in Schloß Louvre. Da Rosny um Gehör bat, führte Henri ihn in ein großes, leeres Zimmer; es ging auf den Fluß hinaus, es ließ Wind und Sonne ein, Aprilsonne, die richtig hervorbrach. Henri sagte im Umhergehen:
»Dies soll leer bleiben, bis meine Möbel aus meinem Schloß in Pau hier aufgestellt werden, und in keinem anderen will ich wohnen. Denn es sind meine Möbel in Pau die schönsten und besten, die mir in den Schlössern des Königreiches mein Leben lang zu Gesicht gekommen.«
Rosny, so begrenzt die Gebiete seines Wissens waren, hier begriff oder ahnte er. Sein Herr wollte die gewichtigeren Umstände, in die er jetzt gestellt war, verbinden mit den leichteren von einst. Brauchte er Ermutigung? Sollte die ererbte Einrichtung seines mütterlichen Hauses ihm vor Augen halten, wie hoch er gestiegen war?
»Sire!« begann der gute Diener. »Die Machtergreifung eines Prinzen vom Geblüt leuchtet jedem ein. Der echte König muß nicht mit Ketten und Ringen bedeckt sein wie ein Edelmann, der noch nicht einmal Amt und Titel besitzt. Verlassen Sie dennoch ihren Louvre nicht ohne die Bedeckung einiger Personen, die aussehen wie ich! Dann dürfen Sie selbst, wenn es sein muß, einen alten Mantel tragen, um ihn denen zu schenken, die nackt sind.«
Henri war erstaunt über die Rede, nicht wegen ihrer Kühnheit, sondern sie enthielt Voraussetzungen, die fehlgingen. Er hatte nicht in Wirklichkeit ohne alle Begleitung das Ufer und die Sankt-Michaels-Brücke aufgesucht, weil ein Selbstmörder darauf wartete, von ihm gerettet zu werden. Anstatt einer Antwort erzählte er das folgende.
»Gestern ritt ich ganz allein die Straße nach Saint-Germain. Wollt ansehen, ob wirklich die Feldarbeit liegenbleibt und meine Bauern wegen zu großer Bedrückung lieber unter die Räuber gehen. Da hab ich es nun erlebt und wurde von Räubern angehalten. Ihr Anführer war kein Bauer, ein Apotheker war's. Ich fragt ihn, ob er sein Geschäft auf der Landstraße treibe und lauere den Reisenden auf, um ihnen Klistiere zu geben. Die Bande mußte lachen, schon hatt ich halb gewonnen. Als ich meine Taschen nach außen wendete, dürft ich weiterziehen.«
Rosny war, wie man es nehmen wollte, erschrocken, entrüstet, erschüttert: jedenfalls behielt er das ungerührte Gesicht. Nur währte sein Schweigen um eine Ahnung zu lange. Als der König von einem schnellen Gang durch das Zimmer zurückkehrte und ihn musterte, holte Rosny nicht ohne Überstürzung seine Denkschrift hervor.
Henri stand auf dem Fleck, etwas Ungewöhnliches bei ihm, und sah in die Blätter, woraus Rosny las und las. Wenn Zahlenreihen kamen, zog Henri sie mit dem Finger nach -- nicht nur, daß seine Augen und hochgezogenen Brauen ihnen folgten. Sie kamen zu den sechstausend arbeitslosen Tuchmachern. »Sie haben die Zahl richtig errechnet«, sagte Henri, und da es Herrn de Rosny die Rede verschlug:
»Mir hat sie jemand auf der Sankt-Michaels-Brücke verraten -- ein Theologe, der in der Not zum Tuchmacher wurde, aber da gab es erst recht nichts zu essen, hungerten schon sechstausend. Die Pariser Färbereien bearbeiteten früher sechsmalhunderttausend Stück Tuch im Jahr, jetzt nur noch den sechsten Teil. Haben Sie die Ziffern, Rosny? Gut, hier sind sie verzeichnet. Sie rechnen gut. Ich höre gut, besonders wenn ein Student, der Tuchmacher werden wollte, der anderen Welt schon ganz nahe war und mir über die diesseitige berichtet. Ich und Sie, mein Freund, sind zwei brauchbare Arbeiter. Übrig bleibt uns, zu ermitteln, was wir tun müssen, damit alles anders wird.«
»Eure Majestät weiß es«, sagte Rosny ohne Demut oder Schmeichelei, damit er nicht als ein Höfling dastände. »Sie haben von den Dingen eine frühe und glänzende Kenntnis, ich kann mich ihrer nicht rühmen.« Worauf er im Gegenteil sein Programm entwickelte, zuerst im Hinblick auf die Landwirtschaft. Er verlangte die Säuberung der Straßen von Räubern.
»Meinem Apotheker habe ich sie versprochen«, warf Henri hin.
»Sire! Wie schon bemerkt, ich bringe nichts Neues. Räuber sind auch die Wilddiebe. Man muß einige hängen, als Warnung für alles Bauernpack, das auf den königlichen Domänen jagt.«
»Und was tu ich mit den Edelleuten, Herr de Rosny, deren Pferde und Hunde den Bauern die Ernte zertreten?« fragte Henri und war der Antwort nicht sicher, man sah es seinem schief geneigten Gesicht an.
»Sire! Die Jagd ist ein altes Vorrecht des Adels. Ihre Landedelleute haben nicht viel mehr als das und sollen Ihnen Offiziere geben.«
»Man muß gerecht sein«, sagte Henri. Es konnte das eine und das andere heißen. Das folgende betonte er stark, setzte auch den Kopf wieder gerade. »Den Bauern erdrücken die Lasten.«
»Hier«, entgegnete Rosny nur, blätterte und hielt dem König die Seite hin. Henri erbleichte, als er hineinsah. »So genau wußte ich es nicht«, murmelte er. »Es steht schlimm.«
»Sire! Das ist nichts Neues. Aber neu ist, daß jetzt ein König erfahren und mutig ist. Hat dasselbe, was er tun soll, in seinem kleinen Königreich Navarra ehedem gewagt, und es war Krieg.«
»Krieg soll nicht mehr sein«, entschied Henri. »Ich will nicht Krieg mit meinen Untertanen. Lieber kauf ich meine Provinzen, und sollt ich betteln gehen in England, in Holland. Rouen und Paris haben mich Kaufgeld gekostet, Sie wissen wieviel, und ob's noch lange so geht.«
»Allerdings« -- Rosny nickte, er schickte einen Blick durch das kahle Zimmer, das den Eindruck des Vorläufigen und der Gefährdung nur verstärken konnte.
Henri für seinen Teil warf alle Bedenken über die Achsel. »Was sonst auch kommen will, die Lasten der Bauern müssen um ein Drittel erleichtert werden.«
Wortlos zeigte der Rechner ihm den fertigen, wohlgeordneten Plan, der die bäuerlichen Abgaben schrittweis abbaute. Henri las und sprach: »Nicht ganz ein Drittel. Aber gestaffelt auf Jahre hinaus. Damit gewinn ich mein Landvolk nicht.«
Noch eine Seite legte sich wie von selbst um. Die inneren Zölle waren hier aufgestellt, sie schlossen die Provinzen voneinander ab und erdrosselten den Handel der Produkte. Von allen Zahlenreihen war hier die dichteste. Henri schlug sich auf den Schenkel.
»Das ist das Neue. Da faß ich zu. Herr de Rosny, Sie sind mein Mann.«
Dies Wort wurde gehört. Die Tür war aufgegangen, darunter erschien die teure Herrin; der gute Diener mißbilligte die Störung, so tief er sich verneigte. Henri indessen eilte ihr entgegen. Ernst und Sorge verließen ihn augenblicks, er führte sie festlich herein. »Teure Herrin«, sagte er, »niemals waren Sie willkommener.«
»Sire! Herr de Rosny ist Ihr Mann«, wiederholte sie. Ihr kränkliches Lächeln tat ihm weh bis in das Herz, und ebenso tief beglückte es ihn.
»Er hat bei Ihnen wichtige Geschäfte. Ich wollte Sie nur sehen.«
Darauf erwiderte er förmlich: »Madame, wo Sie erscheinen, vergißt jeder, was er sagen wollte, sogar Herr de Rosny.«
»Sire!« rief Herr de Rosny. »Dessen hätte ich mich selbst gerühmt, wenn Sie mir Zeit ließen. Einen Stuhl für Madame!« rief er, und bevor einer gebracht werden konnte, holte er ihn. Bei seiner Rückkehr in das Zimmer stockte er und war versucht, sich abzuwenden. Der König hatte ein Knie gebeugt, hatte den Fuß der teuren Herrin darauf gestellt und streichelte ihn. Der kluge Rosny begriff, daß er auch dies gutheißen mußte. Er trug den Stuhl herbei, und Gabriele ließ sich nieder. An ihrer hingereichten Hand stand der König auf. Als ob nichts gewesen wäre, sprach er wie vorher:
»Das ist das Neue, Herr de Rosny. Das Getreide hat keinen sicheren Preis, solange die Provinzen durch Zölle voneinander getrennt sind. Ich schaffe sie ab. In der einen wird gehungert, in der nächsten bekommt der Bauer seinen Überfluß nicht bezahlt. Ich schaffe sie ab. Mein Wille ist, daß im ganzen Königreich die Waren frei verkehren.«
Rosny öffnete den Mund, aber Henri winkte ab. »Verkehr, wollen Sie sagen. Es gibt keinen. Ich richt ihn ein. Auf Landstraßen und in Querwegen sollen Fuhren laufen überall, früh und spät, mit Pferdewechsel jede zwölf oder fünfzehn Meilen.« Er klopfte auf den Deckel der Denkschrift, die Rosny geschlossen hatte, als wäre sie nunmehr überflüssig.
»Steht darin«, sagte er beifällig.
»Sire! Es steht darin, aber auf einem späteren Blatt, Sie haben es nicht gesehen. Ihr Geist ist beflügelt. Die Feder meines Schreibers schleicht.«
»Wie finden Sie uns, Madame?« fragte Henri. Gabriele stützte ihre Wange mit einem Finger ihrer schönen Hand, und sie schwieg.
»Da machen wir uns Arbeit für zehn Jahre. Gott weiß, ob wir das Ende sehen sollen«, sagte er, und auffallenderweise bekreuzigte er sich. »Aber wir fangen an«, rief er fröhlich. »Gleich heute, wenn wir die ersten tausend Taler beisammen hätten, das alles zu bezahlen.«
»Sire! Ihre Finanzen können verbessert werden«, sprach Herr de Rosny ruhig und sicher. Henri und Gabriele, beide waren aufmerksam.
»Wenn Eure Majestät kein Geld und nicht einmal Hemden besitzt, der Grund ist die allgemeine Unordnung, Unregelmäßigkeiten jeder Art, Unterschleife und Vergeudung ohne Ende, Freigebigkeiten ohne Aufsicht.« Was er noch weiter aufzählte, entbehrte immer mehr der Ruhe des Gemütes. »Die ganze Stufenleiter der Mißwirtschaft, die Verwaltung Ihres Schatzes hat sie durchlaufen, vom einfachen Betrug bis zu den schamlosen Vergebungen der öffentlichen Einkünfte an mächtige Personen, die ich nennen kann, zu nennen gewillt bin und ausdrücklich verzeichnet habe.« Scharf klopfte er auf den Deckel. »Will auch nicht ruhen, bis sie erniedrigt und bestraft sind.«
Hier beachteten sowohl Gabriele als Henri seine Augen, sie waren dunkel und stürmisch geworden. Die merkwürdig genau abgezeichneten Farben des Gesichtes flossen zusammen von einem inneren Wogen. Das geschah sonst nicht, soviel sie wußten. Sie erblickten einen Rosny, der alltägliche war es nicht, aber es mochte der wahre sein. Gabriele bekam Furcht, sie fühlte: der wird mir nie verzeihen. Henri war betroffen und höchst aufmerksam auf seinen guten Diener. Er bemerkte, schlüssiger als je vorher, daß Treu und Glauben nichts Geringes sind und in ihrer Vollkommenheit vom Manne nicht nebenbei geübt werden. Sondern sind eine Leidenschaft. ›Der Ritter von Stein, den ich mir herabgenommen habe von der Front einer Kathedrale, jetzt hat er Leben, und was für eines. Ließe ich ihn, er würde wüten. Seine ungeheure Rechtlichkeit könnt ihn leicht das Leben kosten, das geht ihn an. Mir aber schadet sie zuletzt mehr als alle Diebe zusammen. Vorsicht mit dem Mann von Stein!‹
»Mein Freund«, sagte Henri. »Ihr Treu und Glauben sind mir wohl bekannt, viel besser als all Ihre Zahlenreihen, und will großen Gebrauch davon machen für mich und mein Königreich. Arbeit ist Ihnen gewiß für all Ihre Lebtage. Soviel Geld können Sie aus meinen Finanzämtern niemals herausholen, wie dort hängenbleibt.«
»Ich kann es«, behauptete Rosny ehrerbietig und ganz beruhigt, hatte auch wieder blaue Augen und mädchenhafte Wangen.
»Wie denn?«
»Mit dem Einsatz meiner Person.«
Mehr erklärte er nicht, aber ihm glaubte man es.
Henri: »Nun gut. Zeigen Sie mir Ihr nächstes Feld, und wen Sie schlagen wollen.«
Rosny: »Viele, und gerade dort, wo sie sich im Recht glauben; denn der ärgste Mißbrauch geschieht Rechtens. Die Salzsteuer ist verpachtet. Kaum ein Viertel davon gelangt in die Staatskasse. Alles andere bereichert einige Herren und Damen. Haben die Anteile unter sich vergeben, aber nicht einmal wirklich eingezahlt. Sire! Was Sie schwerlich ahnen: dabei ist sogar der Generalintendant Ihrer Finanzämter, Herr d'O.«
»Nichts als nur ein O« -- Henri lächelte rätselhaft, mit Blick auf Gabriele. »Ein alter Junge, ganz Bauch, oder war doch Bauch. Jetzt wird er weggetrocknet sein.«
Gabriele sprach: »Wissen Sie denn nicht, Herr de Rosny? Er liegt im Sterben.«
Nein. Der Mann aus dem Arsenal erfuhr eine Neuigkeit. Er hatte die Tage mit Rechnen verbracht. Hielt sich aber beim Staunen nicht auf, er schlug vor:
»Enteignen wir ihn, sobald er tot ist. Seinesgleichen verliert mit dem Leben auch die Spießgesellen, die ihm beistehen.«
»Das ist zu überlegen«, sagte Henri, der entschlossen war, es noch eine ganze Weile zu überlegen. »Sie sehen indessen, Herr de Rosny, daß wir nicht voreilig anderen die Arbeit abnehmen sollen, und so dem Tod nicht.«
Hierüber verstummte die Figur von der Kathedrale, der Mann aus dem Arsenal. Henri ließ das Schweigen andauern. Gabriele war's, ihre Stimme erhob den reinen Glockenklang.
»Sire!« sprach Gabriele d'Estrées. »Ich erbitte eine Gunst. An die Stelle dessen, der sterben wird, setzen Sie Herrn de Rosny.«
Mehr sagte sie nicht, sondern wartete. Herr de Rosny war ihr Freund nicht, sie wußte es leider. Aber der König hat zu ihm gesagt: »Sie sind mein Mann«, und am Anfang der neuen Herrschaft müssen ihre Träger zusammenhalten. Sind ohnehin nur drei bis jetzt, die drei in dem kahlen Zimmer. Die Augen der Frau wurden überaus beredt, sie bedeuteten den Diener des Königs: Wir sind aufeinander angewiesen. Ich helfe dir. Hilf du mir!
Der ungerührte Rosny dachte: ›Larifari. Du, meine Schöne, wirst niemals Königin. Ich aber arbeite und komm an mein Ziel, so weit ich bis dahin haben mag.‹
Henri äußerte nichts -- oder äußerte viel. Er nahm die Hand seiner teuren Herrin und küßte sie.
Der Tag begann erbaulich. Der König hörte die Messe in der Kirche gleich hinter dem Louvre, deren Glocke der größte Brummer von Paris war. Sie hatte einst tüchtig gebrummt, als der Admiral Coligny -- ruhig hiervon. Der König betete andächtig, da wurde ihm zugeflüstert, der Kardinal Pellevé sei gestorben. Dieser war Präsident der Ständeversammlung und Wahlmacher für Spanien gewesen. Seit der Machtergreifung des Königs lag er in Raserei, er hatte geschrien: »Fangen soll man ihn! Fangen soll man ihn!« -- bis er jetzt tot war. Bevor der König die Kirche verließ, befahl er, daß für den Kardinal gebetet werde. Er dachte hinzuzusetzen: ›Und für die Seele des Herrn Ad --‹. Nicht einmal sein Gedanke führte den Namen zu Ende.
Auf dem kurzen Rückweg nahmen seine Herren sich die Freiheit, ihm seine Milde und Nachsicht vorzuhalten. An Feinden muß man Rache üben: es wird erwartet und vermißt. Man schätzt den nicht hoch ein, der sich nicht rächt. Der König hat hundertundvierzig Personen verbannt, teils aus dem Königreich, manche nur aus der Hauptstadt. Keine einzige Hinrichtung, Wer soll das achten, wen kann es abschrecken. Herr de Turenne, ein mächtiger Protestant, voraussichtlicher Erbe des Herzogtumes Bouillon, eines Grenzlandes im Osten, Turenne warnte Henri dringend vor Verrätern, hatte auch Grund, da er später selbst verraten sollte wie noch andere. Henri antwortete ihm und zugleich seinen Katholiken:
»Wenn ihr, und alle die reden wie ihr, jeden Tag euer Vaterunser aufrichtig sprächet, dann würdet ihr anders reden. Ich bekenne, daß alle meine Siege von Gott kommen; ich bin ihrer unwürdig; aber da Er mir verzeiht, muß ich die Fehler meines Volkes vergessen, muß noch gnädiger und barmherziger zu ihm sein als bisher.«
Der Tag begann erbaulich. Überdies war es ein Sonntag mit erster Frühlingssonne. Alle Arbeit ruht, gearbeitet wird höchstens im Arsenal. Henri ließ seiner Kusine, der Herzogin von Montpensier, seinen Besuch anmelden. Es war acht Uhr; um zehn wollte er kommen. Nicht, daß dieses sein Beginnen noch ganz und gar erbaulich gewesen wäre. Er hatte zuweilen mit einer Heiterkeit, die nicht von Schärfe frei war, der Furie der Liga gedacht: auch die rief wahrscheinlich, daß man ihn fangen solle. Rief es nur noch durch ihr Haus, nicht auf die Straße hinaus. Den Studenten, die sie bewundert hatten, konnte sie den Königsmord nicht mehr von ihrem Balkon herab anempfehlen. Durfte keinen kleinen schmutzigen Mönch verführen durch ihre mächtige Schönheit, so daß er mit einem Messer zum König ging und es ihm in den Leib stieß. Henri vergaß keineswegs, daß sie eben dies an seinem Vorgänger getan hatte.
Er sah voraus, daß sein Besuch mißbilligt werden würde, weshalb die Herren, die ihn begleiten sollten, erst ganz zuletzt davon erfuhren. Ihm selbst machte sein Vorhaben einerseits Unbehagen; sein Freund, der vorige König, hätte nicht hinblicken dürfen von dort, wo er jetzt war. Anders betrachtet, fand er den Weg zu der Furie sowohl barmherzig als klug. Das Haus Guise, den Thron wird es nie mehr besteigen: soll es denn verschont und versöhnt werden wie alle seine Untertanen. Dennoch, was ihn hinzog, bis er nicht mehr widerstand, war Heiterkeit mit Schärfe. Die ehemalige Furie in ihrer Ohnmacht, und auch Angst wird sie haben, wie denn nicht, obwohl er ihr gleich am Abend seiner Ankunft hat bestellen lassen, sie möge nichts befürchten -- genug, sie muß komisch sein. Das war es, das gab den Ausschlag, und gerad heute. Er gönnte sich ein Sonntagsvergnügen, meinte es aber daneben erbaulich.
Die Herzogin, was Henri nicht vermutete, war inzwischen wahnsinnig geworden -- oh! nicht offen, nicht vor der Welt oder angesichts des wenigen, das ihr von der Welt noch übrigblieb. Kam jemand, war sie die stolze Dame wie je; nur, daß fast niemand sich mit ihr verdächtig machen mochte: dies schon einige Zeit vor dem Einzug des Königs und vollends seither. Ihre Säle standen leer, man verleugnete die Feindin des neuen Herrn, um bei ihr nicht betroffen zu werden, wenn seine Leute sie abholten. Früher oder später war der Fall zu erwarten. Der eine greift nach seinem Opfer sofort, ein anderer genießt seine Rache langsam. Sehr haltbar befestigt muß man bei der neuen Herrschaft sein, um den Umgang mit der Ausgestoßenen wagen zu können.
Als der Herzogin von Montpensier der Besuch des Königs für zehn Uhr gemeldet wurde, schlug es achteinhalb. Der merkwürdige Auftrag war lange von Mund zu Mund gegangen, bis jemand ihn ausführte. Madame de Montpensier schickte ohne Besinnen zu Madame de Nemours. Sie rief eine Hilfe an, die ihr sicher schien. Madame de Nemours war haltbar befestigt, eine der Ersten unter den Damen, auf die der König sich etwas einbildete. Zaunkönig, so hatte die alte Katharina von Medici zu ihrer Zeit ihren kleinen Gefangenen genannt. Der ist inzwischen so weit herangewachsen, daß er einen Hof großer Damen um sich versammelt. ›Bedarf ihrer dringend‹ -- dachte seine Feindin. ›Hat keine Königin, die Geliebte aber lacht ihn aus und betrügt ihn. Gegen Madame de Nemours erlaubt der Kleine sich nichts. Sie wird kommen und mich beschützen. Im Grunde wird er gegen mich nichts wagen.‹
Dies war ihre letzte klare Überlegung. In ihrem Ankleidezimmer rief sie plötzlich nach Ambroisé Paré, dem Arzt, der lange tot war. Er hatte sie einst zur Ader gelassen, als sie drei Stunden ohnmächtig lag infolge ihres stürmischen Hasses, der zweideutig war und sie gerade darum entsetzte. »Navarra«, wie sie den König nannte, um nicht »Frankreich« zu sagen, aber ihr verwirrtes Gefühl sprach »Henri«, hatte den Prior ihres Mönches von Pferden zerreißen lassen; er hatte den König, seinen Vorgänger, gerächt. »Ist er schon da?« fragte damals die Dame den Chirurgen, der sie wiedererweckte, hatte noch nicht ihre volle Besinnung, aber einen Ton, ein Gesicht, daß der Greis zurückwich. So flüchteten jetzt ihre Kammerfrauen in die Ecken, als sie aufsprang und nach dem Toten rief.
Madame de Montpensier behielt es einigermaßen in der Hand, wahnsinnig zu sein oder nicht. Gewöhnlich enthüllte sie sich weder einem Arzt noch ihren Frauen. Sie war einsam, war verlassen; der Herzog, der dem König diente, blieb ihr absichtlich fern, und ihre Jahre waren von selbst die zweideutigsten. Fehlte allein der Mann, der ihr half, zu sein, was sie wollte: von Sinnen, und der nahte ihr heute. Durch das Zimmer stürzend, schwenkte sie ihr Rabenhaar, weiße Strähnen flogen mit, und sie preßte den unbändigen Busen. Sie war von hohem Wuchs, festem Fleisch und starken Knochen. Hielt sie auf eine der Ecken zu? Alsbald ließ die Frau, die dort verkrochen war, ihre schwachen Glieder zu Boden fallen, und so schielten diese Geschöpfe, mit Zittern und Beben unter den Möbelstücken hervor nach einem Gewitter der Hölle. ›Die Verdammten!‹ hätte jeder gedacht. So ächzen sie. Das ist ihr Geschrei.
Die Unselige beschwor Tote, deren Aufenthalt sie vermöge ihres Wahnsinns jetzt schon teilte: ihren Mönch, seinen Prior, beide fesselte ihr wilder Geist an Pflöcke für die Ewigkeit und ließ die Pferde ihre Glieder nach zwei Richtungen zerren. Es waren aber Glieder, die sie in toller Freude mit dem Namen Henri rief, worauf sie noch viel schrecklichere Laute der Qual ausstieß. Es fühlte ihr eigenes Fleisch, was sie über einen anderen verhängte, und sie erlebte ohne Barmherzigkeit ihre eigene Hinrichtung, wie manchen im Traum geschieht. Diese wachte, wenn sie träumte. Als es vorbei war, fand sie sich auf einem Sitz wieder, erschöpft, von Kälte geschüttelt, und verlangte dringend nach einem Dolchstoß. Wer ihn ihr beibrächte, befahl sie inständig. Ihre Frauen ließen sie an Salzen riechen; darauf erinnerte sie sich, daß sie geträumt habe, dasselbe wie schon oft. Der Traum der eigenen Hinrichtung wiederholt sich, wenn einer erst damit angefangen hat. Was hinzukam und zugrunde lag, ließ sie vernünftigerweise beiseite.
Sie wollte frisiert werden, es sollte schnell gehen, nach einer langsamen Dienerin schlug sie. Ein Page, der vor der Tür schon wartete, lief weg; aber die Herzogin hatte ihn bemerkt, und so erfuhr sie, Madame de Nemours sei angekommen. »Fertig«, befahl sie. »Keine Schminke weiter. Ich will mich nicht jung machen.« Ihre Jahre sollten ihr im Gesicht stehen: es war der sicherste Schutz, nicht nur vor dem Gefängnis, wahrscheinlich auch gegen neue Abschweifungen. Auf dem Gang hinunter in die Säle wurde ihr überdies klar, daß sie sich aussprechen und Madame de Nemours ins Vertrauen ziehen mußte, um gewappnet zu sein. Tatsächlich erzählte sie der Dame als erstes den Traum ihrer Hinrichtung: gerade heute habe er sie wieder heimgesucht.
Madame de Nemours wurde neugierig, besonders da Madame de Montpensier ihr seit kurzem stark zu verfallen schien. Sie forschte nach den dunklen Umständen des Traumes und ob der König darin vorkäme. Die Herzogin leugnete hartnäckig, aber ihre Freundin, die ihr in die Augen sah, glaubte kein Wort. »Er stirbt mit Ihnen, wenn Sie träumen. Sagen Sie es ihm doch. Er glaubt an Vorzeichen und wird um seiner selbst willen wünschen, daß Sie lange, lange leben.« Statt ihrer Rede meinte sie vielmehr: ›Schrecklich. Diese Frau denkt noch immer an Mord, dabei hat sie selbst große Furcht, getötet zu werden. Ich muß den König warnen.‹ Gerade schlug es zehn, und aus dem Vorzimmer, das aber das dritte von hier war, hörte man die Ankunft seiner Edelleute.
Er ließ sie dort zurück, allein und eilig nahte er, an hohen Fenstern vorbei, eine sonnig flimmernde Strecke; seine Abspiegelung im Boden nahte ebenso genau und nur verkehrt. Da am Ende des Weges zwei Frauen ihm entgegensahen, setzte er die Hand an die Hüfte, mit der anderen schob er den Hut zurück, um sie besser zu erkennen. Seine Ärmel wie auch die Strumpfhosen waren oben weit gebauscht, die Gestalt wirkte um so schlanker. Gewölbte Brust, leichtes Spiel der Muskeln beim Ausschreiten, das war ein fester, eigentlich knabenhafter Mann -- tritt ein wie zu Hause, begrüßt die liebe Verwandte, als kam er von einer kleinen Reise. Bevor die Damen aufstehen konnten, saß er schon bei ihnen, fragte und lachte. Aus den Winkeln seiner Augen sprach die Ironie mit; die war an ihm das älteste, da sie auch traurig war.
Ob die Damen sehr verwundert wären, ihn in Paris zu sehen, so fragte er geflissentlich alle beide, und weiter, ob man sie bestohlen habe. Nein? Aber auch ihr Krämer sollte ihnen berichten, daß alle ihn bezahlten, sogar das letzte Gesindel, das mit den Truppen eingerückt war. »Was sagen Sie dazu, liebe Kusine?«
Madame de Montpensier antwortete: »Sire! Sie sind ein sehr großer König, gnädig, mild und hochgesinnt.« -- ›Der richtet mich in meinen Träumen hin‹, dachte sie enttäuscht und versprach sich selbst, nie wieder zu träumen. Er nahm an, daß sie Furcht habe, und spielte eine Weile mit ihr. Herrn de Brissac, der ihm seine Hauptstadt ausgeliefert hatte, wünschte sie sicherlich das Schlimmste? Sie versicherte dagegen, daß sie gewollt hätte, anstatt des Marschalls wäre ihr eigener Bruder Mayenne es gewesen. Lustig rief er, darauf hätte er zu lange warten müssen.
Im Verlauf der Rede und Gegenrede wuchs die Dame, ihr Stolz erhob sich gegen ihn, je einfacher er sich gab. Entweder er weiß nichts von allem, was eine Frau tut, was sie träumt. Er kennt nur Staatsaktionen und wird klein vor ihrer Leidenschaft, die sie verschwendet hat und bereut. Oder geht er dennoch auf ihr Verderben aus, dann darf er nicht länger damit spielen. »Sire!« sagte sie kalt. »Ein Sieger erfüllt niemals, was man von ihm erwartet.«
Er besann sich nicht. »Sonst stände ein Schafott vor jedem Hause«, rief er hitzig, hätte nicht gedacht, ihm würde so heiß werden.
Die Herzogin fiel im Sessel zusammen, sie hatte die Augen geschlossen. Henri entfernte sich um einen Schritt, dann noch um mehrere, er wäre fortgegangen. Madame de Nemours hielt ihn auf. »Sehen Sie denn nicht, daß sie krank und alt ist?« flüsterte sie ihm zu. Plötzlich ergriff sie seine Hand.
»Aber Sie sind erblaßt, und Ihre Hand glüht. Ihnen selbst ist nicht wohl.«
»Mir ist nicht wohl«, wiederholte er. »Aber ich habe mich niemals völlig daran gewöhnt, daß ich Feinde habe, außer auf dem Schlachtfeld.«
Madame de Nemours sagte mütterlich, eine Matrone, die einen Athleten bewundert: »Wie wären Sie denn groß, ohne all Ihre Feinde!«
Da fluchte er, den Fluch, der ihm eigen war, selbst erfunden, ohne Sinn für alle anderen, und er rief: »Soll doch jeder in sich selbst nachsehen, dort fänd er genug zu bekämpfen. Mich könnt er bei meiner Arbeit lassen, ich will mehr tun, als nur auf Mörder passen.«
Um solche Dinge zu äußern, war er nicht hergekommen, ihm selbst fiel es auf. Er führte eine Hand, die zitterte, an die Schläfe. Sah nach Madame de Montpensier: sie hat sich von ihrer Schwäche erholt, richtet ihre schwarzen Augen groß auf ihn. »Liebe Kusine«, Henri spricht vertraulich wie am Anfang. »Mir ist warm. Eine kleine Erfrischung, wenn es Ihnen behebt. Nur ein wenig Eingemachtes.«
Die Herzogin steht wortlos auf und geht zur Tür. Er will verhindern, daß sie sich bemüht. Madame de Nemours sagt: »Sire! Sie wird nicht wiederkommen, sondern sich bei Ihnen entschuldigen lassen.«
Aber sie kam in Begleitung eines Dieners, der das Verlangte hinstellte. Es war ein Topf mit Aprikosen; sie tauchte den Löffel hinein, wonach sie ihn zum Munde führte. Henri fing ihre Hand ab. »Tante, Sie denken doch nicht!« Infolge seines Erschreckens nannte er sie seine Tante, da sie es wirklich war.
»Wie?« erwiderte sie. »Hab ich nicht genug getan, um verdächtig zu sein?«
»Sie sind's nicht« -- hierbei verschlang er schon einen Bissen. Madame de Nemours hatte versucht, ihn ungeschickt anzustoßen, damit das Kompott zu Boden fiele. Sie hielt für möglich, daß es vergiftet wäre: sie wurde fahl, als der König es schluckte. Er dachte: ›Hat die Furie etwas daruntergemischt? Dann war sie bereit, es selbst einzunehmen. Geschehn ist geschehn. Ich bin nicht in der Laune, Furcht zu haben.‹ Hierbei aß er weiter.
Madame de Montpensier sagte plötzlich: »Ach! Man muß Ihr Diener sein.« Folgte ein verhaltenes, äußerst qualvolles Schluchzen. Henri war erleichtert -- nahm Abschied von diesen beiden Damen, sie hatten ihm eine heiße Stunde bereitet, und die liebe Kusine lud er nach Schloß Louvre ein. Wenn er seinen feierlichen Einzug in seine Hauptstadt nachholte, sie sollte dabeisein. Wann das wäre, fragte Madame de Nemours. »Nachdem meine teure Herrin mir einen Sohn geschenkt hat«, sagte er, schon über die Schulter. Das Gesicht brannte ihm merkwürdig.
Eine der Zurückgebliebenen sagte zu der anderen: »Wahrhaftig, das Kind ist von ihm.«
»Sie hatten gezweifelt«, bemerkte die andere.
Mittags aß er kaum, was durchaus gegen seine Natur schien, wollte dann aber ausreiten. Bellegarde mußte mitkommen. Unter den übrigen war ein Herr de Lionne, hübsch, jung, ein allgemeiner Liebling vermöge seiner guten Sitten. Herr de Lionne besaß die Kunst, Menschen derart einzunehmen, daß sie von sich selbst entzückt waren, besonders die Frauen. Sie fühlten, wieviel Verständnis und Zartsinn er aufwendete, nicht nur um ihnen zu gefallen, sondern damit sie glücklich wären. Ein seltener Kavalier, er tat keiner weh, nicht daß sie wüßten.
Henri hatte ihn gern dabei, eigentlich des Großstallmeisters wegen, damit sein alter Feuillemorte auf Schritt und Tritt zu sehen bekäme, daß es Beliebtere gäbe, und die beste Zeit des Rivalen sei auch bald vorüber. Dies, weil Henri seinen Mitbewerber bei der reizenden Gabriele noch immer fürchtete -- ungeachtet ihrer Ergebenheit, der er nicht blind vertraute, und ihrer Umstände, die sie noch weiblicher machten.
Sie ritten durch den Ort Boulogne, die Herren hatten unreifen Flieder gebrochen und boten ihn vom Sattel herab den Mädchen an. Die jungen Bäuerinnen lachten ermunternd, wichen aber der Gelegenheit aus, auf das Pferd gehoben zu werden. Nur eine nahm den Zweig mit geschlossenen Blüten, lachte nicht mehr und saß auf, bei Herrn de Lionne. »Feuillemorte!« rief Henri. »Da sehen wir, wie es war, als man hübsch und noch nicht gelb im Gesicht war.«
»Sire! Die Zeiten hab ich längst vergessen«, versicherte Bellegarde, und indessen gelangten sie auf freies Feld. Mehrere Hütten, mit Stroh gedeckt, standen umher; die Bauern waren sonntäglich vor der einen versammelt. Der lange Tisch hatte zwei Bretter auf drei Pflöcken. Die Gläser waren leer, aber die Stimmen gehoben. Sie sangen, ließen auch nicht nach, als die Herren absaßen. »Heda!« rief der Großstallmeister des Königs. »Wollt ihr Lümmel unsere Pferde umherführen!«
Sie sahen um, mehrere antworteten ohne viel Ehrfurcht. »Hier sind wir zu Haus«, sagte einer.
Der nächste: »Bis eure Eintreiber uns auch noch das Dach über dem Kopf wegnehmen.«
Der König saß unbeachtet mitten unter ihnen. Er fluchte, seinen Fluch, den sie im Lande kannten: da blickten einige ihn an. »Gebt es nicht her!« rief er. »Sonst nehmen sie mir zuletzt mein eigenes Dach.« Alle schwiegen, sie drehten auf dem Tisch ihre knotigen Hände ineinander, die Faust in den Teller; auch ihre Rücken, ihre Schultern drückten Stummheit aus. Die älteren unter ihrer schmutzfarbenen Wolle zeigten Verkrümmungen, die waren das Ergebnis von Jahren und Jahrzehnten derselben Griffe, Lasten und eines einförmigen Zwanges in Haltung und Gang.
Die nach dem König den Kopf nicht gewendet hatten, betrachteten ihn abwechselnd aus den Winkeln der Augen, und dann wieder ihre eigenen unruhigen Fäuste. Die Augen gingen hin und her, manche Köpfe wackelten vor- und rückwärts: es befriedigte nicht ganz unseren Anspruch an das echte Leben, es konnten künstliche Zerrbilder und Erscheinungen des Fiebers sein. Der König stand auf, er suchte Kühlung unter einem Nußbaum. Mehrere seiner Herren mit Bellegarde stellten sich bei ihm auf, da die Lage ihnen unsicher schien. Hier rettete Herr de Lionne sie, immer angenommen, daß sie dessen bedurft hätte.
Er verließ drüben einen Busch in Gesellschaft des hübschen Mädchens, das ihm aufgesessen war. Unleugbar entstiegen sie den Büschen; Herr de Lionne aber führte die junge Bäuerin an den erhobenen Fingerspitzen, wie eine Dame vom Hof, und so nahten sie mit übereinstimmendem Lächeln dem Tisch und dem jüngsten der Männer, die ihn zahlreich umgaben. Dieser Junge war noch ganz unverkrümmt, war wohlgestaltet wie ein Edelmann, wenn auch nicht geschmeidig durch Fechten und Ballspiel, sondern schwerer und etwas zu langsam. Seine Nachteile traten hervor, als er sich auf Herrn de Lionne stürzen wollte: er wurde mühelos aufgehalten von dem Herrn, der auf einmal eiserne Kräfte bewies. Verlor aber darum weder Anmut noch einnehmende Sitten. Er hob den Hut vor dem Bauernjungen, der auf die Bank zurückgeplumpst war. Er sagte, daß er die Ehre habe, ihm sein Mädchen zu bringen, höchst besorgt wie er sei, daß keiner Frau auf der Landstraße eine schlimme Begegnung widerfahre.
Alte Leute, die daneben saßen, nickten beifällig. Dem Jungen, der dennoch die Zähne zeigte, bot Herr de Lionne zum Scherz einen Faustkampf an -- begann diesen im voraus mit Stößen, in die Luft, was ein unwiderstehlicher Anblick war, heiter, frisch, sehr gutartig. Jetzt wurde ihm zugelacht; den Erfolg benutzte Herr de Lionne, den jungen Bauern kurzweg zu umarmen, was dieser zuließ. Die öffentliche Meinung hätte ihn verpflichtet, die Umarmung zu erwidern, es unterblieb nur infolge seiner Langsamkeit.
Henri sagte zu seinem Großstallmeister: »Feuillemorte, trotz allem bist du mir lieber. Der dort ist der erste ganz untadelige Mensch, den ich sehe. Und da ich ihn sehe, wird mir angst.«
Ein Bauer, der schon bei Jahren schien, hatte die steifen Beine aus der Bank gezogen. Er stellte sich auf, den König zu begutachten. Ihm selbst waren die Schultern nach vorn gedrückt, die Arme und knotigen Hände hingen über der Erde, und er hatte das traurige Gesicht eines Sechzigjährigen, der niemals wirklich froh zu leben gewesen war. Der König fragte den Bauern: »Wie alt bist du?«
»Herr«, antwortete der Bauer. »Nach Ihrem Alter hab ich einen Ihrer Leute gefragt, wir zählen genau die gleichen Jahre.«
»Und noch anderes zählen wir beide«, sagte der König. »Dieselben Spuren von Unbilden, will ich meinen. Unsere Gesichter, meines und deines, in ihnen steht viel Müh und Arbeit.«
Der Bauer schwieg und blinzelte, bevor er sagte: »Das ist wahr.«
Er besann sich, wollte sprechen, aber zögerte. Der König ließ ihm Zeit. Er hatte weit geöffnete Augen, die Brauen hinaufgezogen, so wartete er.
»Sire! Kommen Sie«, verlangte der Bauer. »Es geht nur bis zu dem Bach.«
Herrn de Bellegarde, der folgen wollte, winkte der König dazubleiben; er selbst schritt aus. Der Bauer führte ihn zu einer Stelle am Ufer, hier war das Gewässer glatt wie ein Spiegel. Der König neigte das Gesicht darüber; es brannte sehr, er hätte es gern hineingetaucht. Indessen schwoll es an, schien in dem Spiegel zusehends anzuschwellen, obwohl er erriet, das wäre Täuschung und in Wahrheit wäre das Übel seit einigem unterwegs. Der Bauer hatte jetzt einen tiefen, eingeweihten Blick. Er sprach: »Sire! Reiten Sie alsbald nach Ihrem Königsschloß. Denn Sie sollen sterben oder leben, wie Gott es beschließt.«
»Besser ist für mich und für dich, daß ich lebe«, sagte Henri und versuchte zu lachen. Sein Gesicht wollte sich nicht fügen; das war von den Eindrücken des Tages der ärgerlichste. Gleichzeitig hörte er schnarchen, ein Schnarchen aus vollem Bauch: auch das wurde sogleich zum Ärgernis. »Was ist es?« Der Bauer erklärte: »Das ist der Mann, der für sechs ißt.«
Henri begriff nicht. Er sah bei dem Bauern zum erstenmal ein fröhliches Lächeln. »Wie?« fragte er. »Du freust dich über den, der für sechs ißt, aber du selbst hast nicht für einen!«
Statt jeder Antwort zeigte der Bauer dem König einen Grashügel: dahinter hob und senkte sich ein gewaltiger Bauch. Der Bauer stieg hinüber, er rüttelte den Schnarcher. »Gevatter!« rief er. »Gevatter Freßsack! Auf! Der König will dich bewundern.«
Lange währte es, bis der Mann hochkam. Er bot zur Schau die ungeheuersten Körperteile und ein Gesicht wie ein Oger. Gleich über den dicken Brauen setzte der Schädel an. Das Maul und die Backentaschen enthielten Raum für ganze Pfunde von Nahrung, die Augen waren vom Fett geschlossen. Die gesamte Masse Fleisches wankte vor Schläfrigkeit.
Der König fragte: »Ist es wahr? Du kannst für sechs essen?« Ein Grunzen erfolgte.
Der Bauer beteuerte: »Er kann. Er hat alles verzehrt, was er besaß, jetzt ernähren wir anderen ihn. Unverzüglich wird er für sechs essen. Lauf, Gevatter! Zeig's dem König.«
Die Masse setzte sich in Bewegung, der Grasboden bebte unter ihrem Getrampel. Die Bauern an dem langen Tisch empfingen ihn mit Ausbrüchen der Freude, einige sangen endlich wieder. Da sie aber hörten, der Mann wäre bereit, nochmals für sechs zu essen, schleppten sie augenblicks zusammen, was sie in ihren Hütten hatten. Ehe man umsehen konnte, lagen die langen Bretter von Schinken, Speck, Eiern voll, daß es sie bog, und die leeren Gläser verschwanden hinter mächtigen Krügen. Hierauf umringten die mageren, durch Arbeit verkrümmten Gestalten die Fleischmasse und schoben sie, damit sie sich an den Tisch setzte. Der König indessen gab ein Zeichen, seine Herren vertrieben die Lümmel, und der König fuhr den Wanst hart an.
»So frißt du meine Bauern auf. Für sechs essen, das kannst du. Arbeitest du auch für sechs?«
Der Wanst antwortete mit Grunzen, daß er gewiß arbeite nach seinem Alter und seiner Kraft. Das Verdauen ist eine schwere Arbeit, die verlangt man von ihm, denn er muß für sechs essen.
Der König gab noch ein Zeichen, da legten mehrere seiner Herren mit ihren Reitpeitschen gegen den Fleischberg aus und trieben ihn im Kreis umher. Wie der laufen konnte, wenn es sein mußte! Die Bauern grölten vor Gelächter, aber der König meinte es ernst. Hochrot, mit seinem verquollenen Gesicht schrie er auf sie ein, daß sein Königreich nicht ausreichte, solche unnützen Fresser zu stopfen. »Wenn ich viele wie dich hätte«, rief er dem Dicken entgegen, da der Dicke unter Hieben vorbeilief, »hängen würd ich euch. Ihr Schurken hättet bald mein Königreich ausgehungert.«
In all seinem Zorn wurde ihm plötzlich kalt, es schüttelte ihn, und er dachte, es wären die aufsteigenden Nebel. Er befahl noch den Bauern, bevor er zu Pferd stieg: sie sollten den Tisch selbst leer essen; erkannte aber an ihren Gesichtern, daß sie es nicht tun würden. Sondern sie gäben weiter alles, was sie sich abgeizten, ihrem gefräßigen Ungeheuer, das ihr Stolz war. Ungeduldig sprengte der König davon. »Ist dir kalt, Feuillemorte?«
»Sire! Die Füße sind uns allen erstarrt auf der feuchten Wiese.«
Die meisten der Herren fanden ihre Tiere nicht schnell genug wieder, erst lange nach dem König und seinem Großstallmeister ritten sie ab. Der letzte war Herr de Lionne. Er wartete, bis alle anderen fort waren. Vom Gebüsch gedeckt, sah er nach den Bauern um; die waren noch ganz verdutzt durch die Zumutung des Königs, sie sollten selbst essen. Herr de Lionne hob auf das Pferd dasselbe Mädchen, mit dem er gekommen war, und zuerst führte er das Pferd am Zügel, damit es sanft und leise ginge.
Angelangt in Schloß Louvre mußte Henri zugeben, daß er krank war. Er sah nicht mehr klar und wußte, daß er unzusammenhängend sprechen würde, wenn er spräche. Er legte sich nieder, die Ärzte verrichteten an ihm, was sein mußte, wodurch die gesteigerte Erregbarkeit umgewandelt wurde in Teilnahmlosigkeit. Als es Nacht war, betrat Bellegarde das Zimmer, sogleich begann er, verstört und außer sich:
»Sire! Herr de Lionne --«
»Ein zu untadeliger Mensch«, flüsterte Henri. »Mir wurde angst.«
»Sire! Mit Recht. Denn etwas abseits der Landstraße hat er einem Mädchen den Bauch aufgeschlitzt und in den offenen Leib seine Füße gestellt, um sie zu wärmen.«
»Das fehlte heute noch«, flüsterte Henri. Um Empörung zu äußern, gebrach es ihm gerade an Kraft. Beschwerlich fügte er hinzu:
»Meinem Gericht zu übergeben, wird öffentlich gevierteilt.«
»Sire! Ein Edelmann«, sagte Bellegarde zu laut, hob auch beide Arme bis über den Kopf, wegen des unbegreiflichen Entscheides.
»Bist du keiner?« fragte König Henri ohne Ton, aber mit aufgerissenen Augen. Bellegarde senkte die seinen und verschwand in der Stille.
Wenig später besuchte den Kranken seine liebe Schwester, Madame Catherine von Bourbon. Sie war aufgeweckt worden, die Ärzte hatten den Zustand ihres lieben Bruders gefährlich genannt. Als sie sein Gesicht sah, brachen ihre Tränen hervor, denn sie erkannte es nicht. Aber der Erste Kammerdiener, Herr d'Armagnac, wies vom Fußende des Bettes auf seinen Herrn, der die Lippen bewegte. Die Schwester neigte das Ohr hin, ahnte mehr als daß sie hörte, kniete nieder und sang leise mit ihm den Psalm. Der Tag endete, wie er begonnen hatte, erbaulich.
Viel schneller als vorgesehen, war die Krankheit bewältigt, schon nach sieben und einem halben Tag -- da sie nichts anderes gewesen war als das Zeugnis, das der Körper dem Geist ausstellte über eine neue Wendung und Schicksalsstunde. Dann behielt Henri aber kaum einen Monat, um Kräfte zu sammeln, und mußte alsbald ins Feld ziehen. Aus den Niederlanden war ein spanisches Heer eingefallen, diesmal unter einem Grafen Mansfeld; aber wirklicher Führer der Unternehmungen gegen das Königreich blieb noch immer Mayenne aus dem Hause Guise, und hatte auf seiner Seite die meisten von seinesgleichen. Der König ist in Paris; den größten Eindruck macht überall, daß er seine Hauptstadt hat. Eine Stadt und Provinz nach der anderen unterwirft sich ihm einfach deshalb, manche Gouverneure tun es gegen bar. Übrig sind die Großen, die an der Schwäche des Königreiches und dem Elend beider, des Königs und seines Volkes, zu viel verdienen. Die können es nicht lassen. Zu ihrem Glück ist nach wie vor der König vom Abendmahl ausgeschlossen. Bis der Papst ihn anerkennt, was sobald nicht geschehen soll, bleibt die Auflehnung gegen ihn ein gutes Werk.
Der König belagerte den starken Platz Laon, und gleichzeitig schlug er Feldschlachten gegen die eingefallene Armee, die Don Philipp schickte, obwohl er angesteckt war. Sie können es nicht lassen, eh sie nicht ganz verfault sind. Mut denn! Henri bewies seine Frische vollauf. Zwischen den Mühen und Gefahren schrieb er der reizenden Gabriele die gegenwärtigsten Briefe, nie hatte sie deren gleichen von ihm bekommen. Sie faßte sogar den Verdacht, daß er sie ebenso gern und gut aus der Ferne liebte; sie wurde eifersüchtig auf seine Sehnsucht und ihr eigenes Bild, die ihn begleiteten. Der Sohn, dessen Geburt nahe war, hieß im voraus Cäsar, denn er war ein Kind des Krieges, wenn nicht noch anderer umwälzenden Ereignisse. Der Vater dort hinten trug ihn schon auf Armen, als die Mutter ihrer schweren Stunde noch entgegensah. Diese Briefe umgaben sie mit seiner Person, derart, daß kein Gedanke des Unheils an sie herankonnte. So gebar sie ihm seinen Cäsar.
Als die gute Botschaft bei ihm anlangte, ein schöner Tag im Juni war's, Henri war die vorige Nacht über alle Abhänge des Berges von Laon geklettert, wo er die Festung angreifen könnte: da wusch er den Schmutz der Arbeit von Händen und Füßen und ritt nach einer Meierei im Walde. Die kannte er von Kind auf, sie gehörte zu den auswärtigen Domänen seines kleinen alten Landes Navarra. Er hatte dort einstmals Erdbeeren in Sahne gegessen und wollte sie wieder schmecken, das Glück eines Kindes im Herzen. Jetzt hießen sie alle Cäsar, das Glück, das Kind und sein eigenes Herz.
Nach der Ruhe am Nachmittag war er, wie als Junge, auf einen Pflaumenbaum gestiegen, da holten sie ihn. Unweit von hier flögen andere Pflaumen durch die Lüfte. Feindliche Reiterei sei gesichtet und könnte ihm leicht einen Imbiß zugedacht haben, der wäre schwer verdaulich. Aufs Pferd, aufs Pferd -- und da er vor Laon eintraf, kam er dennoch nur zurecht, seinen Marschall Biron fallen zu sehen. Da lag der Mann, war seit alten Zeiten hart und hager gewesen, jetzt aber schlaff und wehrlos, wie wenn der Tod herantritt. Den erkennt Henri unfehlbar beim Soldaten; weiß sogleich, wo er sich noch abweisen läßt, wo nicht mehr. Hebt Kopf und Schultern seines Biron vom Erdboden, der ihn nächstens decken wird. Sie sehen einander in die Augen, letzter Ernst des Abschieds und Endpunktes. Wir waren Feinde: darum seither unsere feste Treue. Vergiß mich nicht, du kannst mich nicht vergessen. Auch du nicht, an dem Ort, wohin du gerufen wirst. Auf Wiedersehn. Nein doch. Womit wohl sähen wir uns wieder -- da diese Augen jetzt in Staub zergehn. Henri blickte dringlich hinein, bis sie erstarrten und gebrochen waren.
An einem Tage hat er seinen Cäsar empfangen, seinen Biron verloren. Deutlich fühlt er den Wechsel und Wandel, gegen dessen Ansturm wir uns erhalten, und müssen standhaft sein. Ihr Söhne rückt nach. Ich zieh euch an mich, ihr befestigt mich. Biron hinterläßt einen Sohn beim Heer, der König rief ihn zu sich.
»Marschall Biron«, sprach er den Sohn an; so erfuhr dieser, daß er seinem Vater folgte. Hatte es nicht anders erwartet, obwohl er unterwürfig dankte, und beim Anblick der königlichen Tränen brach er selbst, wie auf Befehl, in ein wüstes Heulen aus. Der Mensch war von ungewöhnlichem Umfang der Muskeln und sonst auch nicht hager, nur hart. Seine Treue sollte der König dereinst kennenlernen. Vorläufig betätigte er einen Schmerz, der eigentlich nicht der angemessene war bei einem gewaltigen Mann von fünfunddreißig Jahren -- so lange, bis der König, der genug hatte, von seinen Bezügen als Marschall von Frankreich anfing. Da verlegte Sohn Biron sich auf den Handel. Er unterstützte seine Ansprüche mit allen Gründen, die erreichbar waren. »Sie haben Feinde«, hielt er dem König vor. »Ich kann jeden anderen Mann mit meinen Armen erdrücken. Wie, wenn ich Ihnen gegenüber stände! Sire, Sie können von Glück sagen.« War das nur plump und schlecht erzogen? War es auch hinterhältig?
Der König wollte nichts hören außer dem Stolz einer wohlgelungenen Natur auf ihre hervorragende Leiblichkeit. Als Biron ferner seine mächtige Verwandtschaft anrief, empfand der König dies sogar als Mahnung. Denn er selbst, König Henri, war berufen und gewillt, die Sippen und Rotten der Mächtigen zu sprengen und weitaus zu verkleinern, zum Besten seines Volkes und Königreiches. Sohn Biron wußte davon nichts, Henri sah ihn sich an. Der runde Kopf mit dem tief angesetzten Haarwuchs erinnerte ihn an den Bauern, der für sechs aß, eine Bekanntschaft, die er im Fieber gemacht hatte. War aber, trotz finsterer Sturheit, der Kopf eines Edelmannes und Sohnes des alten Gefährten. Henri liebte in diesem Menschen den Vater, umarmte ihn und gewährte ihm, was er wollte.
Im Juli ergab sich die Festung Laon dem König, weil sie mußte; aber Amiens und mehrere andere Städte hatten die Gelegenheit erwartet und taten desgleichen. Da die Spanier oder was so hieß, wieder einmal vertrieben waren, kehrte der König zurück in seine Hauptstadt und in die Arme der reizenden Gabriele. Neben ihrem Bett stand eine Wiege, es war eine merkwürdige Überraschung. Henri hatte seinen Sohn im Geist wohl an sich gedrückt. Hier erblickte er ihn wirklich -- ein Ausruf des Erstaunens war alles, und der Vater griff schnell nach einem Stuhl, ihm wäre schwach geworden, vor Freude zweifellos, vor Freude. Und recht bedacht, auch darum, weil der kräftige, gesunde Junge sein war, und sollte ihm die Zukunft und das Fortleben über seine eigene Zeit hinaus sichern, was beides vorher unverbürgt war. Daher das nachträgliche Erschrecken des Vaters.
Er bedachte über der Wiege, daß er solange allein und eigentlich ohne Aussicht seine viel und großen Mühen hinter sich gebracht hatte -- und leicht war alles auszulöschen gewesen: eine Kugel genügte. ›Jetzt nicht mehr. In Zukunft sind wir zwei.‹ Dies wiederholte er sich oft, sprach es endlich hörbar, indessen die Mutter geduldig auf ihn lauschte: war doch sie selbst der Schoß seines Glückes, so sehr sein Glück ihr Verständnis überstieg. Er dachte, während er vor sich hin sprach: ›Groß und stark. Mir kann nichts mehr an‹ -- während er wenige Worte fallen ließ, bedachte er im Fluge sein ganzes Leben, besonders die Jugend. Die Königin, seine Mutter, hatte ihn frühzeitig abgehärtet. Er selbst, der Sohn einer Kranken, war nicht gleich groß und stark gewesen, sie hatte ihn wetterfest gemacht. Davon hatte er gezehrt, wenn er im Feld auf dem nackten Erdboden schlief, und ritt dem Feind entgegen, immer Feinden entgegen, viele Male um das Königreich. Schlachten, Belagerungen, das Blut, der Schlamm, sie gleiten, sie fallen, ich steh. Und du, mein Sohn?
Entgegen aller eigenen Erfahrung versprach der Vater seinem kräftigen Jungen, daß er es leicht haben sollte, weder Feinde noch Hindernisse, vielmehr Frieden, Freude, ein befestigtes Königreich, ein Volk, das uns liebt. ›Das schaff ich, mein Sohn, und gewinn uns die Liebe des Volkes.‹ Hob das Kind aus der Wiege, küßte es und reichte es der Mutter, damit auch sie es küßte. Hierbei beteuerte er, daß sie alsbald heiraten sollten. Das erste wäre, unverzüglich wär's: ihre Scheidung von Herrn de Liancourt; dann seine eigene von der Prinzessin von Valois. Der Papst wird müssen. Was will er machen, wenn der König von Frankreich und Sieger über Spanien droht, wieder Protestant zu werden.
Der Papst hebt den Bann auf, eigenhändig reicht er den Gesandten des Königs das Abendmahl. Er scheidet den König, verbindet ihn mit seiner teuren Herrin und befiehlt allen Gläubigen, ihm zu gehorchen. Das alles liegt im Ungewissen, ist aber hier so gut wie geschehen. Denn der König hat einen Sohn, trägt ihn auf Händen: davon wird vieles leicht und fügt sich geläufig. Solch eine glückliche Nacht war dies, und war ein Rausch -- nicht einmal in den Armen der reizenden Gabriele hat er ihn nachher wiedergefunden.
Nun muß aber die reizende Gabriele zuerst genesen. Ein Gesuch an das geistliche Gericht zu Amiens, dem sie mit Herrn de Liancourt unterstand, mehr geschah nicht, bis ihre ganze Schönheit hergestellt wäre und sie mit dem König einzöge. Geboten war, daß er seine Hauptstadt in Besitz nahm, nicht mehr heimlich zur frühesten Morgenstunde, sondern förmlich und durch große Majestät. Ihm drängte es nicht, was er im Ernst errungen hatte, als Schau und Apparat noch einmal vorzuführen. Aber mit ihm einziehen sollte die teure Herrin: daher sein ganzer Eifer, der Hof bemerkte es wohl.
Niemand widersprach, und kaum daß geflüstert wurde bei Hof und in der Stadt; beide waren verblüfft durch die Kühnheit des Königs. Mit seiner Geliebten denkt er sich auszustellen vor uns und den gemeinen Leuten. Bis zu den anderen Höfen und Nationen soll die Kenntnis dringen, daß der König an seinem Triumph diese Gefährtin beteiligt hat und beschlossen hat, sie an seine Seite zu ziehen. Die erste Stufe zum Thron, die schöne d'Estrées hat sie betreten, als sie dem König den Sohn schenkte. Man bedenke, daß seit fünfzig Jahren kein König von Frankreich seine Männlichkeit bewiesen hat! Die zweite Stufe, die schöne d'Estrées hebt schon den Fuß nach ihr. Vorsicht und Abwehr! Daß alle zusammenhalten, sonst bekommen sie wahrhaftig eine Königin vom Blut dieses Landes und Volkes.
So war die Meinung. Im Grunde entging ihr niemand -- auch nicht Gabriele selbst. Ihr war beklommen, besonders am Tage vor dem Einzug, ihr lieber Herr hatte den fünfzehnten September bestimmt. Den vierzehnten verließ ihre Tante de Sourdis sie so wenig als möglich. Dame de Sourdis persönlich legte ihr an, was sie morgen tragen sollte, das Kleid, den Schmuck, einen Glanz und Reichtum für Fürstinnen, sonst aber unerhört.
»Keine Frau unseres Standes war jemals angetan wie du«, sagte die Tante. Die Nichte sagte:
»Mir ist angst.« Ein großes Schmuckstück entfiel ihr.
»Dumme Gans«, sagte die Tante.
Auch sie war reizbar, denn merkwürdig, nunmehr befand Dame de Sourdis sich selbst in gesegneten Umständen: vielleicht von ihrem bleichen Freunde de Cheverny, aber noch andere kamen in Frage. Eigentlich beneidete sie die Nichte um den königlichen Aufwand -- sah zugleich mit Gabriele in den großen Spiegel und schätzte, daß ihre eigene Haut von noch grellerer Weiße wäre. Blendend hätte das Kleid aus schwarzer Seide die Farbe ihres Körpers gehoben. Glitzernd bestickt hing es über dem breiten und flachen Korb, der um die Gestalt her schaukelte, höchst verführerische Wellen beschrieb und schöne Gliedmaßen gegenwärtiger machte, anstatt sie zu verdecken. Die Dame war überzeugt, daß auch die ihren das Kunststück vertragen hätten. Aus der vorderen, sehr weiten Öffnung schimmerte der Rock, war vielfach silbern übersponnen und vollends bedeckt mit Perlen in langen Kränzen, mit großen Sternen von Edelgestein. Die Tante verspürte Lust, der Nichte in das Genick zu schlagen. Sie war nur die erste der vielen, die morgen vor Begierde erröten, vor Neid erblassen sollten.
Wenigstens suchte sie Gabriele noch unsicherer zu machen, als die Schöne schon war. »Du solltest zur rechten Zeit unpäßlich werden, meine Schöne«, sagte sie. »Ein solches Übermaß der Verschwendung gibt man der Schaulust nicht preis. Es ist gefährlich, nicht nur für dich, sondern für uns alle. Herr de Rosny wird nachrechnen, wieviel an Geldeswert dein ganzer Umfang darstellt. Dem König hat man seine Pferde zurückgebracht aus Mangel an Futter. Halt eins zum andern!«
Gabriele durchschaute Madame de Sourdis. Bei aller inneren Bedrängnis sprach sie zuversichtlich: »Ich und Herr de Rosny sind aufeinander angewiesen. Er wird mir helfen, wie ich ihm.« Und obwohl ihre Tante fortfuhr, zu warnen, beschloß Gabriele, noch heute abend wollte sie bei dem König durchsetzen, daß er Herrn de Rosny in den Finanzrat einführte.
Nun bestieg aber der König desselben Abends mit ihr eine Kutsche, was niemand wissen durfte, und die Namen der Reisenden sollten unbekannt sein. Die Fahrt dieses Paares ging nur bis Saint-Germain. Bei ihrer Ankunft stand das alte Schloß schwarz im Brand der Sonne. Der vorige Hof hatte es einst bewohnt, und dieselben Zeichen von schwärzlichem Lodern hatten einen kleinen Knaben empfangen: mit seiner Mutter Jeanne war er hergereist fern und fremd. Gerade von hier soll morgen groß eingezogen werden in die Hauptstadt des Königreiches. »Ihre Hand, Madame, wir sind zu Hause. Werden überall, wo wir den Fuß hinsetzen, bei uns zu Hause sein.«
Dies sprach er beim Verlassen der Kutsche, da er wohl fühlte, ihr wäre nicht geheuer. Das erste Königsschloß, darin sie schlafen soll. Ihr ist nicht geheuer, sie teilt die Meinung aller, daß es vermessen wäre. Der allgemeine Begriff vom Königtum ist abergläubisch; nie wird dem König Henri verziehen werden, daß seiner anders ist. Er will begütigen, die edle, beschränkte Stirn der Frau, die ihm den Sohn geboren hat, er umfaßt sie mit seinen Händen. Gabriele schloß aber die Augen, ihr Zittern nahm zu, und mit geschlossenen Augen bat sie, daß er sie allein ließe in dieser Nacht.
Daraus hätte er viel lernen können, zog aber dann groß ein und fand alles gut. Abend war, das Licht der Fackeln wehte durch die engen Straßen über das Gewimmel des Volkes hinauf zu den geschmückten Häusern. Noch an den Giebeln und Balken hingen Menschen. Vom Boden und aus den Lüften rief es, er solle leben. Der König soll leben, und das ist er, auf seinem Apfelschimmel und die Brust in grauer Seide, starrend von Gold. Diesmal trägt er den Hut mit dem weißen Busch, denn Friede besteht, dies Volk und sein König sind eines.
Nun hatte er die ganzen Garnisonen von Mantes und Saint-Denis um und vor sich mitsamt den Stadtältesten und Schöffen, die allenfalls für Geiseln gelten konnten; so mußte wohl Friede sein und der König leben. Indessen hatte einstmals eine Raserei von Begeisterung ein anderes Pferd bestürmt, darauf saß ein silberner Ritter, silbern und blond mit nichts im Sinn als Tod. Gemetzel, Verrat, viele Jahre der fanatischen Wirrnisse, bis der geliebte Held dieser Stadt endlich selbst durch Mord fiel. Denken wir an den seligen Herzog von Guise nicht: die Liebe des Volkes wäre heute vergleichsweise schwach, sie könnt uns traurig machen. Wir tun fröhlich Dienst. Besonders um die Liebe des Volkes will fröhlich gedient sein.
Statt eines mörderischen Lieblings der Massen bieten wir dem öffentlichen Anblick die schönste Frau in Zeit und Ewigkeit. Ihre Sänfte ging allem voran, dem König, seinen Truppen, Edelleuten, Stadtherren, Würdenträgern. Vorn, mit Abstand, ging die Sänfte, zwei rot aufgeschirrte Maultiere trugen sie, umgeben war sie von einer Kompanie Schützen. Die Vorhänge aus rotem Damast waren zurückgeschlagen; wer wollte, ließ sich rühren von dem schüchternen Lächeln der Frau. Die ist nicht stolz, sagten die einen. Sie hat dem König einen Sohn geschenkt. Wie wäre sie denn das unzüchtige Geschöpf der Hölle, von dem man gehört hat. Die anderen entgegneten: Ihr Kleid ist zu reich, das darf nicht sein. Man sehe die Gesichter der Weiber. Wer müßte eine sein, um standzuhalten all dem Neid. Sie tut's, wurde erwidert. Der König will es. Sie ist sein Schmuck, sein Stolz, und seine Ehre ist sie.
Das letzte sprachen die Rechtsgelehrten seines Parlaments, während er selbst mit seinem ganzen Zuge nach der Kirche Notre-Dame lenkte. Er grüßte, so viele ihm zuriefen und jeden, der herandrängte, ihn und seine Herrin zu betrachten. Sein Hut mit weißem Busch, er hielt ihn öfter in der Faust als auf dem Kopf. Drei sehr schöne Frauen in Trauer standen an einem Fenster, die grüßte er tief. Seine Humanisten im gepflasterten Vorhof von Unserer Lieben Frau sprachen: Hat er uns dennoch zum Sieg geführt, und dies ist unsere Zeit. Sahen aber wohl, daß sie inzwischen grau geworden waren wie auch ihr König. Sie sprachen: Macht und Besitz kommen spät, damit sie um so besser genützt werden. Hiermit gingen alle ihm entgegen, mehr als hundert in roten Roben.
Nach dem Tedeum wurde derselbe Zug noch einmal gebildet, zog aber nicht mehr die Menge der Zuschauer an wie vorher. Es war acht Uhr und hohe Zeit, zur Nacht zu essen. Der König erreichte seinen Louvre so gut wie allein. Schon vorher waren alle abgeschwenkt, jeder nach seiner Seite. Als er seine Mahlzeit aufgetragen bekam, fror ihn. Das alte Schloß ist kalt. Die Gegenwart seiner teuren Herrin könnte es erwärmen. Eine öffentliche Staatshandlung, die erste, an der Gabriele teilgenommen hatte, verbot natürlich diesen beiden, daß sie den Abend beisammen wären. Friert es nicht auch die Geliebte in ihrem Hause? Jeder von ihnen ist einsam, und was denkt sie über ihren großen Auftritt vor dem Volk von Paris?
Es wäre gut, einander zu sagen, ob wirklich alles glücklich verlaufen ist, und wenn nicht, warum. Sie wird die wahren Regungen um sich her so gut erfaßt haben wie er selbst. ›Sogar im Rücken verspürt unsereins die Meinung der Leute -- und gerade im Rücken, wenn man an ihnen vorbei ist, und ihr Lebehoch haben sie gerufen. Soviel an mir lag, hab ich getan‹, darüber war Henri beruhigt. ›Mein Apfelschimmel tänzelte, als ich die drei Frauen in Trauer grüßte. Mein Sitz war weder steif, als wär ich die spanische Majestät, noch ritt ich wie ein kleiner Hauptmann. Die drei Frauen antworteten mir holdselig. Aber der Anblick meiner Herrin muß sie bis zu Tränen beglückt haben, es wäre sonst nicht natürlich, die Frauen sowohl als die Männer.‹
»War sie nicht schön?« fragte er leise in den Tisch hinein, ohne umzusehen, welcher seiner Edelleute ihn gerade bediente. Nun war es an dieser Stelle der tapfere Crillon, ein Mann, bedeckt mit Narben aus ungezählten Gefechten und der Treuesten einer. Hatte vor Laon seinen Mann gestellt und als Lohn ausbedungen, daß er heut abend dem König einschenken dürfte. Das tat er und antwortete:
»Sire! Ja, sie war zu schön.«
Henri wendete den Kopf. »Tapferer Crillon, setz dich zu mir.«
Die anderen Herren nahmen es für ein Zeichen fortzutreten. »Sag mir jetzt, was du ihr vorwirfst.«
»Herr, ich bete sie an«, bekannte der Soldat. »Weil ich der Ihre bin, verehr ich Ihre Liebste, mir macht es kein Kopfzerbrechen. Die Leute, wie sie einmal sind, nahmen Anstoß an dem Taschentuch, das man in ihrer Hand bemerkte: es soll zwanzig Taler kosten, solch ein Tuch zu sticken. Und wenn es hundert kostete! Es ist die Liebste meines Königs.«
»Trink mit mir, tapferer Crillon. Was redet man noch?«
»Sire! Vielerlei und meistens Unsinn.«
»Heraus mit der Sprache.«
»Ich bin nur ein Haudegen wie andere, geh unscheinbar durch das Volk, da hör ich sagen, Sie hätten die Pension Ihrer Liebsten von vier- auf fünfhundert Taler monatlich erhöht und ihr ein Landgut gekauft, indes Sie selbst nur Schulden hätten. Mir verschlägt es nichts. Wo Kriegsmänner sind, gibt's Wucherer. Eure Majestät haben fürs Geld Ihren Gondi, Ihren Zamet, lauter ausländische Spitzbuben, die Sie auspressen -- sagt das Volk. Daher müssen Sie selbst das Volk besteuern, sagt es. Ungerecht besteuern, behauptet es.«
Henri sprach -- nicht mehr für den tapferen Crillon, den er dabei ein Glas trinken ließ, oder waren es mehrere.
»Die Armen! Sie sind mit mir noch böse. Wollen bis jetzt nicht zugeben, daß ich ihnen das Leben keineswegen schwerer mache, sondern nach Kräften erleichtere ich es ihnen. Werden aber zu mir kommen mit ihrer Liebe, hab ich erst alles gut gemacht nach meinen Absichten und wie es ausgerechnet wird im Arsenal.«
Der Soldat an seinem Tisch hörte »Arsenal« und brummte.
»Den im Arsenal halten die Leute für den Schlimmsten. Kann auch ein Soldat sich auf die Finanzen verlegen!«
»Ist das alles?« fragte Henri wieder seinen Kriegsgefährten. Dem erröteten auf Stirn und Wangen die Narben -- nicht infolge der getrunkenen Gläser, davon vertrug er mehr, im Gegenteil erlaubte nur der Wein ihm, eine Rede vorzubringen: die hätte sonst gewiß gestockt.
»Sire!« sagte der tapfere Crillon. »Wären Sie doch ein Hugenott geblieben!«
»Dir wenigstens habe ich schon als Ketzer gefallen« -- Henri klopfte ihm die Schulter und lachte.
»Meinetwegen dürften Sie der Großtürke sein.« Der Soldat wurde leise, er wurde schamhaft. »Ich nenne Sie weder Verräter noch Heuchler; das tun aber die Prediger auf den Kanzeln und die Mönche, die in alle Häuser gehen. Die Leute denken meistens, Sie hätten überhaupt keine Religion.«
Noch leiser als der andere, unhörbar in den Tisch hinein sagte Henri: »Das denk ich oft selbst. Was weiß ich.«
Der tapfere Crillon: »Die Meinung ist, daß Sie sich bekehrt haben einzig um des Nutzens willen, damit der Papst Sie anerkennt. Besonders soll er Ihre Ehe scheiden, dann heiraten Sie Ihre Liebste.«
Hier stieß Henri seinen Fluch aus. »Das tu ich.«
»Ja. Wenn er will. Und so müssen wir zusehen, wie Sie demütig sind vor dem Herrn Papst. Unser König war sonst vor niemand klein.«
Henri: »Der ist der Stellvertreter Gottes.«
Der tapfere Crillon: »Und wer ist Gott? Ein Gott der Mönche, die umgehen und munkeln, Sie wären der Antichrist? Ihr Geschick war Ihnen aufgespart und werde Sie ereilen.«
Henri: »Das geht um?« Er wußte wohl, daß es umgehe; nur hätte er nicht geglaubt, die Zeit wäre gekommen, daß ein Getreuer es ihm hinterbringen müßte.
Bei dem Kriegsgefährten brach offener Zorn aus, er verstieg sich zu großen Kühnheiten.
»Sire! Geschieden oder nicht, hätten Sie Ihre Liebste heiraten sollen, und heute groß einziehen mit Ihrer Königin. Wollen die Leute ihn sehen, dann zeigen Sie ihnen den Antichrist. Keine Bange, die hätten gekuscht. Nicht der König wäre demütig: der Papst in Rom wär's ein für alle Male und tät Ihnen den Willen, samt Pfarrern, Mönchen und der ganzen Gemeinde. Amen.«
»Tapferer Crillon, jetzt gehen wir schlafen«, schloß Henri.
Der König ließ die alten Pläne eines verstorbenen Baumeisters hervorsuchen; nach ihnen vergrößerte er sein Schloß Louvre, während er es bewohnte. Allmählich beschäftigte er zweitausend Arbeiter, die alle Gebäude mit Lärm erfüllten. Der König sollte aber im Verlauf der Arbeiten noch oft auf Reisen gehen. Seine Reisen waren Feldzüge, die er so nannte.
Er versah die südliche Gartenfront mit Ornamenten: ein H und ein G umwanden einander. Sogleich unternahm er auch die große Galerie vom Louvre nach den Tuilerien, und diesen Endpunkt besserte er reich aus. In Jahren und Jahren wird er den weiten Umfang des Palastes dahinführen, über den Flügel, der nach der Göttin Flora heißt, und zurück bis zu dem reichen Endpunkt. Wenn alles dereinst vollendet dasteht, wird auch seine Zeit schon um sein. So hat er auf Lebensdauer im eigenen Haus das Unfertige, die Unruhe, die fröhliche Arbeit und die Sorge um ihre Kosten.
Er begann mit einem Haus, und zum Schluß war vieles umgebaut, man bemerkte dann: das Königreich. Solange dies vor sich geht, überblickt man es nicht, die Gefühle sind ungewiß. Den Nutzen für alle begleitet immer das Mißtrauen und kommt längst vor dem Dank. Sollen aber wenige etwas verlieren -- ihr ungerechtes Übermaß an Macht, Geld, Landbesitz und Einfluß, unfehlbar kommt die Verwandlung in den Ruf der öffentlichen Plage. Dafür ist gesorgt. Die großen Herren, die von diesem König aus ihren Gebieten hinausgesetzt wurden, hatten natürlich jeder ganze Scharen von Kunden. Deren jeder einzelne lebte mißbräuchlich vom Volk, vergleichbar der Gestalt des Mannes, den Henri im Fieber erblickt hatte, der für sechs aß, und die verhungerten Bauern kannten es nicht anders.
Rosny, später Herzog von Sully, erst spät, der König beeilt sich nicht, denn dieser Mann von der Front der Kathedrale ist sein bester Diener und macht ihm die meisten Feinde -- nun, Herr de Rosny gelangt zunächst wirklich in den Finanzrat. Gabriele d'Estrées ist es, die seine Ernennung erreicht hat, und der König selbst bezeugt dies Herrn de Rosny. Daher einige Nachsicht und ein zugedrücktes Auge des Rates für die Geldbedürfnisse der teuren Herrin und ihrer weitverzweigten Familie.
Der königliche Rat Herr de Rosny setzte, wie er versprochen hatte, seine Person ein. Ließ sich vom König die Nachprüfung der Finanzämter im ganzen Königreich anvertrauen -- unter Umgehung aller älteren Mitglieder des Kollegiums. Schon deshalb viel Haß, und jetzt erst die Kontrolle. Kein Amt, aus dem Rosny nicht Geld holte nach Aufdeckung der verwickelten Unterschleife und Abbruch der frechen Vergeudung -- dies, wenn nötig, mit Gewalt. Denn der königliche Rat kam in bewaffneter Begleitung, wurde auch selbst aus einem Rat alsbald ein Soldat. Und er ist Protestant, bleibt es hartnäckig und bietet all denen, die ihre Beute an ihn verloren haben, die Gelegenheit, vom Glauben zu reden. Eure Religion wird verfolgt! Dies hörte das Landvolk von allen Seiten. Jetzt ackert ihr wieder, liefert aber euren Gewinn an uns Amtspersonen nicht ab, das ist Sünde. Frei von Versteigerungen, füttert ihr euer Vieh wie schon lange nicht, und auch die Straße ist frei, keine Zölle mehr. Das Gericht der Provinz, das über sie dennoch Zölle verhängt, wird abgesetzt. Das ist Gewalt, zwei Ketzer verüben sie. Habt acht auf euer Heil!
Das taten sie und machten sogar Aufstände; entgegen dem Augenschein glaubten sie, es geh ihnen schlechter. Soviel erreicht ein Gerede, das unaufhörlich die Menschen berieselt, wie der Odel die Felder. Das Gerede war, daß gedeckt von dem offenen Ketzer Rosny ein anderer, schlecht bekehrter, jetzt König genannt, die Religion zerstören wollte und wär Antichrist.
König Henri lachte. Ihm gehe es auch nicht besser, und wär er ein Bauer, er stände wahrhaftig auf. Übrigens bedrängten ihn sogar Gutgläubige, damit er Rosny unschädlich mache. Ja, im stillen war er versucht, seinen Rosny zur Ruhe zu setzen, gedachte aber der Festigkeit, deren er immer bedurft hatte; mit dem Alter wird sie strenger, mit der Zeit noch gefahrenreicher. Seinen Rosny belohnte er vielmehr, weil der keine Bestechungen annahm. Das Geld der großen Räuber, Herr de Rosny verachtete es aus Überzeugung; aber gern ließ er sich von seinem Herrn für seine Ehrlichkeit entschädigen. Die Säckel, die der Lohn seines braven Dienstes waren, die sammelte er so nüchtern wie vor Zeiten, als man die eroberten Städte noch plünderte und er seinen Anteil davontrug. Hatte übrigens Rückfälle und riet seinem König, einen großen Herrn doch lieber aufzuhängen, anstatt gutes Geld an ihn zu wenden, damit er seine Provinz räumte. »Dummkopf«, mußte König Henri ihm sagen. »Krieg gegen einen meiner Untertanen kommt mich teurer zu stehen, als wenn ich ihn kaufe.«
Wankelmut und Mißtrauen, dies beides war bisher die Ernte, die der König einnahm, abgesehen von den baren Erträgnissen der Rosnyschen Reisen. Ähnlich erging es ihm mit den Läden in seinem Schloß Louvre. Zu ebener Erde errichtete er Läden, hier arbeiteten sowohl Handwerker als Künstler, er machte keinen Unterschied. Wollte, daß alles Volk und die Fremden an bevorzugter Stelle betrachteten, wie die Gewerbe seines Königreiches den Aufschwung nahmen. Er ging weiter und begann in seiner Hauptstadt die Anlage des Königsplatzes: lange Bogengänge rund um ein riesiges Wasserbecken, künftig sollte dort den Beschauern dargeboten werden, worauf der König stolz war, sein Werk, die Seidenindustrie. Die führte er ein, er pflegte sie.
Nun wird erst nach ihm von anderen sein Königsplatz benutzt werden, und nur für veraltetes Gepränge, nicht aber im Dienst des Gewerbes. So erging es dem Gelände der Industrie, weil auch der größte Fleiß dieses Königs nicht ausreichte für alle Dienste, die er allein verrichten mußte zu seiner schnell ablaufenden Zeit. Außerdem mißtraute seine Hauptstadt den Neuerungen, genau wie das Landvolk; sie zog aus ihnen dieselbe Lehre, der König wäre denn doch gegen die Religion. Bürgersleute besuchten mit ihrem Anhang das unfertige Gelände; ihnen und ihren Sachen war es dereinst zugedacht. Das mißfiel ihnen, sie standen umher und bezweifelten den rechten Glauben des Königs. Die Arbeiten des städtischen Volkes finden nach göttlicher Vorschrift in der Enge statt. Ein luftiges Gebreite, Bogenhallen und inmitten ein Wasserbecken, das ist für Herren gut. Mögen sie Ringelspiel und Lanzenstechen hier treiben, wie es mit der Einwilligung des Himmels schon immer war.
Wird auch wieder so kommen, wartet nur. König Henri erregt schon Anstoß genug mit seinen Läden, die er im Louvre wirklich einräumt und besetzt. Das Geklapper des Handwerks, die Bedienung von Kunden, das Aus und Ein im Arbeitskleid: alles unter dem gleichen Dach mit der Majestät. War es erlaubt und sollt nicht Lästerung sein? Gut, der König baut. Gut, sein erstes war gewesen, daß er den Gärtner Lenôtre große Blumenbeete anlegen und viel hohe Gänge aus gestutzten Hecken errichten ließ. Verschwendete die Einkünfte, die sein Finanzrat Rosny herauspreßte, an ausländische Bäume, Pinien, Orangengebüsch und Sykomoren; schloß alles ab und erging sich allein in seinen grünenden Sälen. So ist es königlich. Ärgerlich ist sein Aufenthalt bei den Läden, die Einmischung in das gemeine Treiben. Da können Zwischenfälle nicht ausbleiben: ein König darf hinein nicht verwickelt werden, am wenigsten dieser, um den es locker bestellt ist.
In dem Laden eines Steinmetzen wurde eine Frau fallsüchtig. Viele haben es gesehen: das hohe Übel brach bei ihr aus infolge des Anblicks eines Kreuzes, das ein Heiliger, aus Stein gemeißelt, ihr entgegenhielt. Den Teufel, der in sie gefahren war, litt es nicht, er wollte heraus. Ein Priester wurde geholt, sprach über der Besessenen alle kräftigen Worte, die hier geboten waren, und der böse Geist hätte auch sicher die Flucht ergriffen. Die Frau schlug furchtbar um sich, ihr Geschrei war das von Dämonen. Kommt der König mit seiner Wache. »Was geht da vor?« ruft er und fährt dem Teufel unsanft ins Gesicht. Alle haben es gesehen: das Gesicht der Hölle tritt durch die Ohrfeige grauenhaft hervor, es schäumt, die Frau ist am Ersticken. Inzwischen trifft ein Arzt ein, der König hat ihn herbefohlen. Der Arzt schlägt dem heimgesuchten Leib die Ader, als ob das erlaubt wäre. Er entkleidet die Person zur Hälfte, umwickelt, alles unter Anwendung von Zwang, ihre Schultern und den Kopf mit Tüchern, die in kaltes Wasser getaucht sind. Da wird draußen das Allerheiligste vorbeigetragen, und obwohl die Frau unter dem nassen Leinen nichts sehen kann, brüllt sie auf, gräßlich wie nie vorher.
Der König hat unrecht. Er verläßt den Laden zwischen dem feindlichen Schweigen der Menge. Zu seinem Glück begleitet ihn die Wache. Der Mißbrauch der Besessenen, die dann übrigens aufstand und ihrer Wege ging, wird ihm sobald nicht verziehen. Eine solche Heilung gilt nicht. Die Läden in Schloß Louvre, der Königsplatz und viel anderes mehr, seine Brücken, mit denen er die Teile von Paris erst zu einer einzigen Stadt machte, nichts gilt. Noch nicht. Der König verzeiht -- er verzeiht aller Welt, seinen Feinden von der Liga, die ihn gehängt hätten, den großen Herren, die er hängen könnte, anstatt sie abzufinden. Laufen läßt er die Bauern, obwohl ihr Elend sie bis vor kurzem zu Straßen räubern machte; und nicht einmal den Protestanten, seinen früheren Glaubensgenossen, geschieht etwas. In Paris ist nicht mehr hingerichtet worden seit dem Einzug dieses Königs, das gefällt den Leuten nicht. Noch nicht.
Eines Tages wurden dennoch auf dem Grèveplatz die lieb gewohnten Vorbereitungen getroffen, die Henkersknechte schlugen das Gerüst auf, sie schmierten das Rad, damit es den Patienten glatter drehte, während der Henker ihm die Glieder zerbrach. Zu allem Überfluß standen vier schwarze Pferde bereit, ihn viermal auseinanderzureißen. Die Häuser, oben breiter als unten, sahen aus ihren Giebeln neugierig herab, was da werden sollte. Die Leute im Gedränge rissen die Augen auf, unter ihren hohen Filzen und eckig zugeschnittenen Haaren bekamen sie spitze Nasen vor übermäßiger Gespanntheit. Sie wollten es bis jetzt nicht glauben, und hörten doch das Armesünderglöckchen schrill anschlagen. Aber das Unwahrscheinliche ereignete sich wirklich: von Soldaten in die Mitte genommen, erschien ein Edelmann.
Er ging unbehindert, da von selbst eine freie Bahn entstand, man wich beiseite. Seine Schritte waren sogar anmutig, nicht überstürzt und auch nicht langsam, den Kopf hielt er gewinnend und zeigte ein reizendes junges Gesicht. Die Blicke der Frauen hingen an ihm, und er erwiderte sie mit einer zarten Dringlichkeit, die unbegreiflich schien in seinem Zustand und angesichts seiner begangenen Taten. Den Frauen, in die er seine Augen senkte, klopfte das Herz vor Angst -- sie wußten aber nicht, war es Grausen oder sorgten sie sich um ihn. Zwei Frauen in mittleren Jahren und von derber Beschaffenheit machten den Anfang zu lautem Einspruch, sogleich erhoben andere ihre Stimmen. Ein Herr mit so liebenswürdigem Blick darf nicht auf das Rad geflochten werden! Ein Herr von so sanften Sitten hat nichts verbrochen und am wenigsten den Greuel, dessentwegen er gevierteilt werden soll!
Einige Männer werden von ihren Gattinnen als Feiglinge gescholten, daraufhin murrten sie unbeholfen gegen das Gericht des Königs und ihn selbst. Ein Drang und Schub nach dem Gerüst setzte ein und durchlief den Körper der Menge. Nicht viel fehlte, daß die vordersten am Gerüst Herrn de Lionne den Soldaten entrissen hätten, bevor diese ihn dem Henker ablieferten. Das gelang schließlich nur, weil der Henker hinkniete und betete. Da glaubte man, der Ausführer der hohen Werke schräke selbst zurück; übrigens würde alsbald ein Bote des Königs erscheinen, den Edelmann zu befreien. Anstatt dessen ergriffen ihn die Henkersknechte, aber auf der Treppe zum Blutgericht stand plötzlich ein junger Bauer, der sprach in das bestürzte Schweigen, seine Stimme klang bald hoch, bald tief vor Wut und Haß. »Mein Mädchen war es. Ihr hat er seine Füße in den offenen Leib gesetzt.«
Dies machte, daß mehrere Frauen schrill aufheulten in demselben Ton wie das eilende Glöckchen. Denn sie hatten es gewußt und hatten nur verweigert, es zu glauben, solange der hübsche Edelmann dermaßen gewinnend auftrat. Das konnte er nicht mehr, sondern wurde schon festgebunden, die Arme waren bis hinter den Kopf gestreckt, die Beine vom Knie abwärts hingen über das flache Rad -- indessen aber dem jungen Bauern andere Zeugen folgten. Jetzt wurde ruchbar und umhergesprochen, zaghaft, entsetzt, wild, daß der Bube denselben Greuel schon öfter, besonders auf seinen eigenen Besitzungen, vollführt hatte. Nur aus Furcht vor seinem Stand und Einfluß war niemals ein Kriminalfall aufgeworfen worden. Bedenken hatten die Ämter zurückgehalten, die Bauern aber ihre alte Knechtschaft.
War es faßbar, daß es anders kommt? Die Köpfe wurden gereckt: noch immer kein rettender Bote -- sondern der Henker dreht das Rad, er schwingt den Stab aus Eisen. Da streicht ein Seufzer über den ganzen Platz. Diese große Menge Volkes auf dem Grèveplatz zu Paris atmet vereint ihre ungeheure Spannung aus. So ist wahrhaftig die Neuheit eingetreten, und zu Tod gebracht nach gemeinem Gesetz für Diebe und Mörder wird ein Herr. Nicht mit dem Schwert enthauptet wie seinesgleichen und keineswegs als Strafe für einen Anschlag gegen die Majestät. Sondern gerädert und gevierteilt zur Vergeltung seiner Untaten an armen Leuten. Ein Mann, der vorher auf Geheiß seiner Frau gemurrt hatte, bekam ein Gesicht wie Feuer, er rief erbittert: »Der König soll leben!«
Volkes Stimme, die ihm diesmal geneigt war, drang in derselben Stunde nicht bis zu Henri. Er ging allein und mit langen Schritten durch die grünenden Säle seines abgeschlossenen Gartens; sein Gedanke war: ›Möchte der Mensch es überstanden haben!‹ Das Armesünderglöckchen zeigte ihm den Beginn der Hinrichtung an, da blieb er stehen und trocknete seine Stirn. Sein Gedanke war: ›Wahnsinnige gibt es allerwege. Ich kannte solche, die ihr Haß, und andere, die ihre Liebe um den Verstand brachte. Sie töten für das Zeitliche und für das Ewige, um den Himmel, den sie erwerben wollen, um die Frauen, die sie begehren. Der Himmel und die Frauen, beide geben uns das Leben, sind aber Ursache, weshalb wir töten. Manche werden zu Propheten, wie die Prediger, die meinen Tod vorauswissen und mir schreiben. Einige nehmen Zaubereien mit meiner Wachsbüste vor, damit ich sterbe. Gedenk ich meines Fiebers, meiner Tante Montpensier und des Mannes, der für sechs aß; erinnere ich mich an Herrn d'Estrées, der stahl aus Narretei, oder des Fliegenfängers Brissac, oder des zwecklosen Feldherrn Parma, des unbelehrbaren Mayenne; hab ich vor Augen nur meinen nüchternen Rosny, der doch das Geld wie seine Ehre achtet: -- helf Gott, ich hab's mit Verrückten zu tun. Ihre leeren Ansprüche, trügerischen Taten und Sucht nach Blut, ich soll noch viel davon erfahren. Treffen sie mich zuletzt -- treffen sie mich, dann sehen sie aus vernünftigen Augen darein und haben um ihren Wahnsinn nie gewußt.‹
Das Armesünderglöckchen schlug ein letztes Mal und schwieg. Henri beugte die Stirn, zuinnerst bat er für Herrn de Lionne: ›Sei ihm gnädig, Herr. Er hat die Frauen zu sehr geliebt.‹ Der Sinn des Beters aber umfing mit den Knien des Herrn zugleich seine teure Herrin: die sollt ihn behüten vor allem Äußersten und Abscheulichen, vor Ausartung, vor Erniedrigung. Immer drohen sie, da unsere Vernunft schmal wandelt zwischen Abgründen, die sie verlocken und rufen. Bei dir den Frieden, die Sicherheit bei dir!
Die Jesuiten wollten ihm einen Beichtvater bestellen, und er hielt sie hin. Er fühlte durchaus, daß sie ihm gefährlicher wurden, je länger er ihnen auswich. Aber er konnte die Demut nicht weitertreiben; seine Franzosen beider Bekenntnisse wußten ihm dessen nicht Dank. In Rom nur immer den getreuen Sohn und armen Bittsteller machen und noch verhöhnt werden -- was er verdient fand und antwortete wohl mit Flüchen, aber einzig Herr d'Armagnac hörte sie. Kaum, daß er eine Messe zu versäumen wagt und wären seine Geschäfte noch so dringlich. Er versuchte, sich zu entschuldigen. »Ich arbeite für das öffentliche Wohl, anstatt die Messe zu hören. So scheint mir's, ich verließe Gott und ginge doch zu ihm hin« -- indessen wurde die Ausrede von den Prälaten nur gerade durchgelassen. Und das waren noch die Bequemen.
Die ganz frische Kampftruppe der Jesuiten ließ nichts durch, vergaß nichts. Der Hof war gegen sie aufgebracht, das Parlament von Paris machte ihnen den Prozeß, weil diese Väter die weltliche Majestät der Könige nicht, wie jetzt in Europa üblich, zu den Göttern erhoben, sehr im Gegenteil. Henri, der einzige, der hierüber ihre Meinung teilte, gab dem Prozeß den mildesten Abschluß. Ganz anders handelten diese Väter. Sie hielten Milde und das Übersehen ihrer Feinde für ein Verbrechen, sogar für das einzige, dessen sie nicht schuldig werden durften. Der Fall des Königs von Frankreich wurde sowohl hierzulande als auch in Spanien von ihnen geprüft. Ihre streitbaren Bücher vermehrten sich zu dieser Zeit um mehrere Kapitel -- Schluß und letztes Gebot war unfehlbar der Tyrannenmord.
Seine eigenen geistlichen Truppen, seine Hugenotten -- Henri sparte sie auf, mochte er ihrer künftig benötigen oder nicht. Das kann eintreten. Arques und Ivry sind keine ewig vergangenen Schlachten, so gern wir sie vergessen machten. In Schloß Louvre stehen insgeheim einige gepackte Koffer -- sollen bis an das Ende dieser Regierung immer zur Hand sein. Will's Gott, so brauchen wir weder die Koffer noch unsere Hugenotten; sind auch gesonnen und voll Zuversicht, dem Geschick den Weg zu verlegen. Ein König und Vater seines Volkes kennt keine Lieblinge, seinem Herzen zunächst darf niemand sein. Die im Weinberg nur die letzte Stunde gearbeitet haben, werden so hoch belohnt wie die ersten. Mit seinen ersten verfuhr Henri sogar strenger als mit den spät eingetroffenen.
Philipp Mornay hörte beizeiten eine innere Stimme, daß er seinem König fortan eine Verlegenheit wäre. Niemals hatte er über seine Sendung in England berichten dürfen wie früher, vertraulich von Mund zu Mund. Er übergab dem König eine Denkschrift, darin versicherte er ihn der unverbrüchlichen Freundschaft Elisabeths. Kurz nachher berief sie all ihre Hilfstruppen aus Frankreich ab. Da entwich Mornay schweigend nach seiner Stadt Saumur; er war ihr Gouverneur schon seit dem vorigen König. Er tat noch etwas mehr: er befestigte die Stadt an der Loire. Verfaßte theologische Schriften nach seiner Gewohnheit -- dies nebenher. Dem König unterbreitete er den fertigen Plan der gallikanischen Staatskirche, dies aus der sicheren Entfernung. Hinzugefügt waren Beteuerungen, daß von seiner Seite nichts verändert sei, seine Ergebenheit bleibe unwandelbar. Übrigens halte er den Glaubenswechsel des Königs für eine kurze, Verfinsterung. Befestigte sich aber in Saumur, und den Rufen des Königs, nach Paris zu kommen, begegnete er mit Ausflüchten. Schließlich reiste er, sein Mißtrauen hielt der alten Liebe nicht stand.
Turenne, der andere große Protestant, begab sich niemals wieder freiwillig in die Macht des Königs, er mußte nachher mit List gefangen werden von dem verläßlichen Rosny, der dafür ein Herzog, wurde. Als Turenne das Ländchen Bouillon geerbt hatte, befestigte er sich nicht nur, wie Mornay in Saumur: er spielte den unabhängigen Fürsten nach dem Beispiel der Herren, die es anderswo in dieser Art noch trieben. König Henri ist bestimmt, protestantische Empörer kennenzulernen nach den gewohnten anderen. Viele von der Religion, die zu schwach waren, gegen ihn aufzustehen, vernahmen doch, wie er sie verhöhnt haben sollte. Ein Arzt war katholisch geworden, der König lachte seine Protestanten aus. »Eure Religion muß sehr krank sein, die Ärzte geben sie auf.«
Er scherzte auf ihre Kosten und verlangte, daß sie seine tiefere Meinung erraten sollten; aber das konnten sie nicht. Begriffen am wenigsten, daß er sie aufsparte -- nicht für den Kampf, den der Himmel verhüte, oder sonst laß er es unsere Sorge sein. Sondern Henri ging darauf aus, sein altes Bekenntnis dem der Mehrheit gleichzusetzen im öffentlichen Recht und in der Geltung. Es wird ein weiter Weg sein; seine ersten Schritte sind Demütigungen vor dem Papst, das Hinhalten der Jesuiten, die Strenge gegen seine Freunde, ein leichtfertiger Scherz. Er hat das Ziel im Auge, kein anderer sieht es, er selbst muß davon still sein. Wenn er »die Religion« in seinem Königreich dereinst gesichert und völlig befreit hat, das wird seine eigene Rechtfertigung und wird ein Glanzpunkt seiner Herrschaft sein. Sehr groß muß er werden, bis er das kann.
Sein bester Diener, Rosny, was weiß er im Grunde. Oder Agrippa, der ihn liebt wie keiner. Rosny hat sich dem Staat verschrieben und daher dem König. Er ist eine Gestalt von Stein; wer dem Aufstieg des Königs hinderlich ist, muß hinweg, auch die teure Herrin Gabriele: es bleibt dabei, trotz zeitweiligem Augenzudrücken. Um so weniger bekümmert den besten Diener der Fortfall seiner eigenen Glaubensbrüder. Jedem nach Verdienst. Er selbst steht fest in seinem Harnisch; läßt sich auch malen als Gepanzerter, hängt das Bildnis in das Arsenal, wo er rechnet und Verordnungen schreibt. Seine eigene Laufbahn ist voll von ritterlichen Abenteuern gewesen, bisher ergäbe sie einen Roman -- den Rosny gewiß nicht schreiben wird, sondern er sammelt fortan Unterlagen für sein Buch über die Wirtschaft des Königreiches. Aus mit der Romantik, gesetzt, daß Rosny jemals anders gewesen wäre als nüchtern unter romantischen Umständen.
Romantisch blieb Agrippa, dem es von selbst gegeben war. Herr d'Aubigné stieß einmal mit Herrn de Rosny hart zusammen -- in der Art alter Freunde, die im Grunde vertrauen, daß keiner den anderen verrät, daher gehen sie im Streit bis zu Geständnissen. Agrippa verlangte: »Kein Wort gegen die schöne und reizende Frau, die den König begeistert über ihn selbst hinaus. Ohne die teure Herrin sähen wir sein Genie nicht die Vielfalt und Kraft erreichen. Wir selbst könnten auch nichts dazu gewinnen, und besonders Sie, Herr de Rosny, wären der mittelmäßige Offizier geblieben -- der Sie eigentlich sind«, sprach Agrippa beiseite.
Rosny gestand in seinem kalten Zorn: »Recht und gut. Indessen, die teure Herrin betrügt den König mit Herrn de Bellegarde, von dem sie auch den Sohn des Königs hat.«
»Schlagen wir uns, Herr!« forderte der hitzige kleine Mann. Sein Gegner belegte ihn von oben mit einem drückenden Blick aus blauer Emaille.
»Bevor ich Sie absteche«, äußerte Herr de Rosny, »beschreiben Sie nur schnell den schönen und reizenden Gegenstand unseres Streites in Versen, die mittelmäßig sein werden -- wie Sie als Offizier und Dichter sind«, sprach auch er beiseite.
Agrippa war zu stolz, um sein Talent zu verteidigen. Dichten und sich schlagen, darüber redet man nicht. Aber er sagte -- und wuchs dergestalt, daß beide den Eindruck haften, er sähe jetzt herab: »Der König bekommt Schmähschriften zugesteckt. Ich möchte der nicht sein, der's übernimmt.«
»Wovon reden Sie«, sagte Rosny, nicht im Ton der Frage, sondern mit Geringschätzung. Er hatte feste Begriffe von seinen Pflichten. Der Raufbold, Phantast und Habenichts Agrippa war keiner Wirklichkeit jemals bewußt geworden, aber Pflicht ist für einen Rosny dasselbe wie das Erfassen der Wirklichkeit.
Rosny versetzte des weiteren: »Ihr Feld sind die Worte, gleichgültig, welchen Sinn sie haben, sobald sie nur klingen. Wenn mir recht ist, dürfen Sie sich vor der Majestät nicht blicken lassen, denn Sie haben geschwatzt. Haben hingeschwatzt, daß an dem Elend des Volkes die teure Herrin schuld sei. Die Dame bezieht allerdings mehr Geld als Sie. Übrigens steht dieselbe Anklage in den Schmähschriften, und es muß ein Mann der Pflicht sein, der sie dem König selbst zu lesen gibt, anstatt unverantwortlich zu witzeln hinter seinem Rücken.«
Agrippa hatte nur eins gehört. »Ich darf mich vor ihm nicht blicken lassen? Ich?«
»Oder es ist um Sie geschehen. Er tötet Sie, das ist sein Wort.«
Agrippa war schon draußen, saß auf und ritt Galopp nach Schloß Louvre. Auch Henri traf gerade ein. »Sire! Ich komme, damit Sie Ihr Wort einlösen und mich töten.«
Die Antwort war, daß Henri seinen Agrippa umhalste. Brust an Brust verbargen beide ihre Tränen. Der König führte den alten Gefährten in das nahe Haus Gabrieles, sie selbst war nicht zugegen. Aus der Wiege nahm er seinen Cäsar und legte ihn Herrn d'Aubigné in den Arm.
»Sire! Ihr Ebenbild«, sagte der Gute trotz dem Augenschein, da der Junge groß, blond, helläugig und in allem nach der Mutter war.
Henri sagte: »Du siehst es. Er ist mein und ich nenn ihn Cäsar.«
»Ein ehrgeiziger Name«, sagte Agrippa. »Der große Julius Cäsar hat in seinem Reich die Klassen abgeschafft: alle lagen fortan gleich tief unter dem Souverän. Die Nationen um das Mittelmeer wurden durch ihn geeint. Das heißt für Nationen, daß sie einem einzigen Herrscher gehorchen.«
»Und gerade darum aufhören, Sklaven zu sein«, sagte Henri schnell. Er ging sogleich weiter.
»Dieses Kind ahnt nichts von solchen Absichten hinter seinen Augen, die noch die früheste Reinheit oder Leere haben. Und was wird ihm und seiner Herkunft schon jetzt nachgesagt! Rate mir doch!«
Der Gute riet mit Wärme:
»Herr, lachen Sie über das Gerede, die Schmähschriften, und auch über den dummen Witz, den ein armer Hund verbricht, weil seine Pension nicht ausreicht.«
»Wir erhöhen sie -- ein anderes Mal« -- Henri nahm seinen Cäsar wieder an sich. »Aber lachen und mich töricht stellen muß ich schon genug, erst heut hab ich einen Prediger ausgelacht, vor allen Leuten kanzelte er mich ab, weil ich meiner teuren Herrin ins Ohr flüsterte.«
»Während der Predigt?« fragte Agrippa. Er antwortete selbst. »Der König darf es«, rief er heftig. »Soll mit ihr durch die Straßen reiten, Jagden für sie veranstalten und lieber sie anhören, als einen Mann ohne Anmut wie Herrn de Rosny.«
Henri: »Laß meinen Rosny. Die Grazien halten von ihm nichts; aber er steht auf gutem Fuß mit der Göttin Minerva, zu schweigen von Merkur. Deinen eigenen Rat hab ich verlangt in den Schwierigkeiten, die nicht Gabriele mir verursacht -- beileibe nicht sie. Wohingegen --« Folgte sein erfundener Fluch. »Ihre Tante de Sourdis macht mir's sauer. Die Tante mag der Teufel holen.«
»Warum?« fragte Agrippa harmlos, blinzelte aber schelmisch.
»Muß ich es dir noch sagen? Sie hat es sich einfallen lassen, Mutter zu werden. Was das Beispiel nicht tut, sie konnte es nicht länger unterlassen.«
Den guten Agrippa erbarmte die große Verlegenheit seines Herrn. »Sprechen Sie nicht weiter. Sire! Ich weiß alles. Die Nichte wird den Sohn der Tante über die Taufe halten, und Sie sollen Pate stehen.«
»Hab auch beflissen zugesagt«, gestand Henri.
Agrippa: »Erklären Sie einen Krieg, dann kommen Sie darum hin.«
Henri: »Im Ernst. Was denkst du im Ernst?«
Agrippa: »Daß ich nicht weiß, ob Sie Madame d'Estrées, oder de Liancourt, oder die Marquise de Monceaux jemals heiraten werden, und sie soll unsere Königin sein.«
Henri: »Das soll sie.«
Er ging schnell durch das Zimmer bis an das Ende, Agrippa bis an das entgegengesetzte. Von dort drüben wagte Agrippa: »Und Herr de Rosny? Er verhandelt wegen dreier Prinzessinnen auf einmal. Alle wollen Sie heiraten, und noch Ihre Liebste?«
»Laß ihn verhandeln«, sagte Henri über die Schulter. »Meine Stunde kommt dennoch.«
Agrippa, von drüben: »Ihre schöne und reizende Herrin ist die würdigste, auch uns zu gebieten. Denn sie ist unseresgleichen und nur durch Ihre Liebe über uns erhöht. So soll es sein. Ich seh es in meinem Geist, der vorauseilt. Dem Hof und den Leuten werden die Augen aufgehen, wenn es wirklich geschehen ist.«
»Gib mir die Hand«, sagte Henri, denn er hatte gehört, was ihm zu hören nötig war. Trat in die Mitte, auch Agrippa kam hin, aber eine Weile blieb er tief über die Hand seines Herrn gebeugt. Ihm war nicht ganz wohl, sein Gewissen schlug, er bezweifelte seinen eigenen Rat wie auch die Entschlossenheit des Königs. Dieser sagte für sich allein:
»Dann kann ich auch der Tante den Willen tun und Pate stehen.«
Agrippa richtete den Kopf, nur den Kopf auf. »Das ist noch das wenigste«, murmelte er von unten und legte Schelmerei hinein, damit es nicht traurig klänge.
Die Taufe des kleinen de Sourdis oder was er sonst war, begab sich in der alten Kirche mit dem größten Brummer und hätte nicht glänzender sein können. Die Zuschauer erfüllten die ganze Straße, sie hatten genug zu bestaunen, wenn nicht zu begeifern. Der König trat als Pate groß auf, und seine Liebste als Gevatterin hielt sich mühsam gerade, ihre Kleinodien belasteten sie über das Maß. Die größten Damen des Königreiches dienten ihr als Kammerfrauen, ein hoher Herr trug das Salzfaß, ein anderer das Wasserbecken, und der Täufling lag in den Armen einer Marschallin. Er war dick und schwer; als die Gevatterin ihn nahm und über die Taufe halten wollte, hätte sie ihn fallen gelassen. Eine witzige Dame vom Hof äußerte, der Täufling wäre so gewichtig von den königlichen Siegeln, die hingen ihm bekanntlich am Hintern.
Hiermit sollte gesagt sein, der wirkliche Vater wäre der Kanzler de Cheverny, der Herr mit dem Wasserbecken. Andere nannten den eigenen Onkel des Kindes als seinen Erzeuger, und der war niemand anderer als der Bischof, der es taufte. Gute Leute, was für Zustände! Der Hof nahm sie heiter; je weiter von dem Vorgang entfernt, um so geringer wurde die Neigung zu scherzen. Draußen auf der Straße gingen böse Worte um, aber alle endeten bei dem König.
Der Souverän -- Gott hat ihn über uns gesetzt, wir werfen uns vor ihm nieder; wer seine Knie geküßt hat, wagt den übrigen Tag keine Nahrung an den Mund zu führen. Der Schauder der allerhöchsten Majestät ist von ihr selbst in die Person des Herrschers gelegt. Jeder wüßte es -- und er nicht? Mit lästerlichen Angelegenheiten wie diese vermischt er seine geweihte Person. Leider selbst ein Ehebrecher, hält er mit der Ehebrecherin, die er neben sich zu erheben gedenkt, auch noch fremde Bankerte über die Taufe. Liebkost dabei seine Genossin auf mehrere Arten -- wer drinnen dabeistand, sah genug. Aber erst draußen, wo sie sein Verhalten mit eigenen Augen nicht feststellten, wurde es die vollendete Schändung eines Sakramentes und der Majestät.
Ein junger Mann, ehrbar und anständig in Schwarz gekleidet, sprach zwischen der Menge verloren mit sich selbst. Er wußte es nicht, und sooft er es bemerkte, warf er scheue Blicke umher. Sein Gesicht war grau mit bläulichen Flecken, unter den Augen blasse Halbmonde, und ihm flatterten die Wimpern. »Immer besser«, sprach er zu sich selbst. »Nur zu. Begeh inmitten der heiligen Handlung die Fleischessünde. Ich bin dabei, ob ich auch draußen bin. Ich weiß, wie's tut. König, du wirst es nicht beichten, auch ich hab es für mich behalten und trag in meiner armen Seele, wo ich geh und stehe, die ewige Verdammnis.«
»Jetzt hast du dich verraten«, raunte eine Stimme hinter ihm. Der Mensch fuhr herum, er riß die Augen auf; er versuchte zu unterscheiden, wer ihn bedrohte, hielt aber dem Blick, in den er traf, nicht stand.
»Endlich«, stöhnte er. »Ich hätt es nicht länger ertragen, nehmen Sie mich gleich mit.«
»Folge mir«, befahl der Unbekannte. Er brachte aber den ehrbar Gekleideten auf keine Polizeiwache: er führte ihn in das Kloster zunächst der Kirche, darin die unzüchtige Taufe geschah. Sie wurden eingelassen, das Tor schlug, die Kette klirrte, sie betraten ein leeres Gelaß. Der Unbekannte versicherte den Eingang. Das Fenster lag hoch und war vergittert. Der Abend sank, der bleiche Junge wurde derart hingesetzt, daß ein Rest des Tageslichtes sein Gesicht und seine Hände aus dem Dunkel hob. Der Unbekannte gab ihm ein einziges Zeichen, schon redete die entsetzte Seele. Die Finger begleiteten sie mit Verrenkungen.
»Ich heiße Jean Chastel. Mein Vater Pierre Chastel ist Tuchhändler, er hat seinen Laden gegenüber dem Gericht. Ich war ein Zögling der Jesuiten, jetzt studier ich die Rechte. Meine Natur ist die eines Wüstlings, und das von Kind auf, ich kenne mich nicht anders. Sonst aber kennt niemand mich« -- hierbei erschauderte der Mensch und stöhnte.
Der das Verhör vornahm, fuhr ihn an. »Du Wurm willst hochmütig sein, weil du deine schmutzigen Sünden für dich allein behalten hast. Reckst und streckst dich, versteckst die Augen und röchelst im scheußlichen Genuß deiner Natur. Die hat Gott gemacht, wir werden noch sehen, wozu. Du hast deine lasterhaften Vergehen nie gebeichtet, dessen rühmst du dich und meinst, daß darum deine Erzieher nichts wissen.«
»Oh! Die wissen leider nichts«, murmelte der Entsetzte. Dennoch ahnte ihm, hier endlich bräche das Gericht herein. Die Furcht davor hatte ihn lange von einer widernatürlichen Handlung zur anderen gejagt. Nie gebeichtet, was er beging, und darum wurde das Laster erst gänzlich unaufhaltsam.
»Nie gebeichtet«, flüsterte er. »In der Beichte die Todsünde immer verschwiegen. Zu spät, jetzt spricht kein Priester mich noch frei, das Abendmahl ist für alle, nur für mich nicht. War ich ein Mörder, verübt ich sogar einen Anschlag auf die Majestät!«
»Deine Väter, die Jesuiten, haben schon beschlossen, was aus dir werden soll. Wir wissen um dich Bescheid und haben über dich beschlossen« -- der Unbekannte, der an diesem Punkt ein Bekannter wurde, senkte den Ton, er sagte nochmals: »Wir.«
Der Mensch, der wider die Natur war, rutschte vom Stuhl, umklammerte schreiend ein paar Knie, aber in das hingeneigte Ohr begann er stimmlos seine grauenvolle Seele zu entleeren. Der Jesuit hörte alles an, worauf er ohne unnützes Erbarmen die Ängste des Menschen bestätigte.
»Für einen Sodomiter wie du kommt selbstverständlich die Beichte zu spät. Du kannst keine Ruhe finden, weder hier noch dort. Vielleicht, allenfalls kaufst du dem Himmel deine ewige Verdammnis ab, wenn du dafür den irdischen Martertod hinnimmst.«
»Daß ich doch ein Mörder wäre!« jammerte das Stück Elend.
»Du hast es schon gesagt. Eine traurige Gestalt wie du wünscht sich das immer nur, tut es aber nie.«
Der Sünder: »Wie beneid ich den Herrn, der dem Mädchen seine Füße in den aufgeschlitzten Bauch gestellt hatte, und wurde in vier Stücke gerissen. Der hat sich losgekauft.«
Der Jesuit: »Viel zu wenig für dich. Du gehörst schlankweg in denselben Schlund der Hölle wie ein gewisser anderer, der auch mit seiner Unzucht das Heiligtum befleckt und richtet seine scheußlichen Begierden -- woran richtet er sie auf? Die Gottheit selbst muß ihm herhalten. Er macht es in allem wie du. Dabei bist du ein Wurm, er aber das geweihte Gefäß der oberen Hoheit, der Majestät. Die Majestät, an ihr vergeht er sich.«
Der Sünder: »Dennoch bin ich nach seinem Muster gemacht und er nach meinem. Das nimmt mir keiner.«
Der Jesuit: »Fährst auch mit ihm von hinnen. Wenn er's darauf ankommen läßt; das ist noch nicht so sicher. Unzüchtig erschaffen, rächt er seine eigene Natur an den anderen Unzüchtigen, läßt sie grausam hinrichten und schmeichelt sich, derart hätte er sein Heil erschlichen, da seine Sünden abgebüßt sind von seinesgleichen.«
Der Sünder: »Jetzt haben Sie selbst mich seinesgleichen genannt. Ehrwürdiger Vater, ich sehe wohl: wie alles liegt und sich verhält, muß ich ihm zuvorkommen und an ihm tun, was er mir zudenkt.«
Der Jesuit: »Das hab ich nicht gesagt. Du sagst es.«
Der Sünder: »Ich tu's.«
Der Jesuit: »Und verdienst dir den Martertod: wie willst du Stück Elend den aushalten. Allerdings, im anderen Fall sind dir die ewigen Martern gewiß und wirst auch nicht gefragt.«
Der Sünder: »Hab ich für ein gutes Werk die himmlische Gnade zu erwarten?«
Der Jesuit: »Verhärteten alten Sündern ist für ein bloßes Almosen verziehen worden, das einzige, das sie in ihrem ganzen Leben verschenkt hatten. Andererseits steht dahin, ob selbst die frömmste und nützlichste Tat das einmal verwirkte Heil der Seele zurückbringt. Mit der Gnade macht man kein Geschäft, sondern ergibt sich ihr auf Gedeih und Verderb.«
Der Sünder, nach vielem Gewimmer: »Ich ergebe mich ihr.«
Der Jesuit: »So weit wären wir. Bliebe zu untersuchen, was ich allein in meiner Demut nicht entscheiden will. Ist die von dir gewählte Tat fromm und nützlich?«
Der Sünder: »Kann er sich mit meinem Tod vielleicht entsühnen, um wieviel leichter ich mit seinem -- da er der König ist.«
Der Jesuit: »Hör endlich auf mit deiner Entsühnung, die Väter werden an sie nicht ihre Zeit verschwenden. Prüfen werden sie die Lage und Schuld eines Königs, der die Religion verfolgt, aber duldet die Ketzerei.«
Der Sünder: »Sie hatten recht, Ehrwürdiger, daß ich ein Wurm bin. Mach mir denn meinen Stolz daraus, ein Wurm zu sein.«
Am zwölften Dezember erschienen in der Stadt Amiens der König und die Marquise de Monceaux. Sie waren ohne große Begleitung und suchten sogleich den geistlichen Richter auf, nicht anders als ein gewöhnliches Paar, das heiraten will und um die Scheidung des einen Teiles einkommt. Sie wurden dahin abgefertigt, daß sie warten müßten, bis der beklagte Gatte ausgesagt und sich verteidigt habe. Herr de Liancourt war bisher der Vorladung nicht gefolgt. Aus Selbstachtung verzögerte er die Schande, die ihm zugedacht war, hatte aber in Wahrheit schon eingewilligt, wenn auch mit den persönlichen Vorbehalten, die er sich schuldete. Bei ihm in der Truhe lag sein hochbedeutsames, wahrhaftiges Zeugnis, zu lesen nach seinem Ableben und wohl aufzubewahren für alle Zeiten.
Am siebzehnten, als das Paar fünf Tage gewartet hatte, begab er sich zuletzt dennoch in das Haus des Offizials; hatte zur Seite seinen Notar, aber der Anwalt der Dame Gabriele d'Estrées bestritt die Aussage der beiden. Zugegen war niemand sonst, das Haus des geistlichen Richters stand unter Klausur. Wie man Herrn Nicolas d'Amerval de Liancourt kennt, ist gewiß, daß er sich demütig ausgedrückt hat. Andererseits wird er seinem Gegner und Bedränger, der die Dame d'Estrées vertrat, so wenig Stoff zum Zugreifen gewährt haben wie nur ein geistiges Wesen.
Der Anwalt riet nachher der Klägerin, kam auch mit ihr und ihrem königlichen Geliebten überein, daß sie nicht mehr ausschließlich auf dem männlichen Versagen des Angeklagten bestehen wollten. Sondern die erste Frau des Angeklagten war eine Stiefkusine des Herrn Jean d'Estrées, Vater der Klägerin, gewesen. Eine greifbare Tatsache, er wird sie zugeben können ohne großen Schaden an seiner Ehre; sie genügt indessen, damit seine zweite Ehe für ungültig erklärt wird.
Nun blieb es hierbei nicht, da der geistliche Richter alles auf das strengste und unparteiisch verfolgte, wenn auch mit der ungewohnten Beschleunigung, zu der die Anwesenheit des Königs ihn trotz seinem Gewissen bewog. Herr de Liancourt wurde der Klägerin gegenübergestellt. Er mußte sich verantworten, weil er ihr niemals habe beiwohnen können, sooft der Versuch unternommen wäre. Anhören mußte er die Zeugnisse der beiden Ärzte, eines Doktors der Medizin, eines Meisterchirurgen, die ihn nach ihren Angaben untersucht haben wollten. Zu verstehen war es nicht, wie sie das gemacht hatten -- schlechthin geisterhaft hätte der Vorgang sich abspielen müssen. Man sah ein abwesendes Gesicht, eine Gestalt vor Bescheidenheit unzugänglich, ja, seine verborgene Selbstgewißheit entfernte das Wesen in merkwürdiger Art von allen, die es der Unfähigkeit zu überführen gedachten.
Der Offizial ließ von dem Beklagten ab, er richtete an die Klägerin die genaue Frage:
»Wären Sie in Kenntnis seines Zustandes einverstanden, mit Herrn de Liancourt wie Bruder und Schwester zu leben?«
»Nein«, erwiderte Gabriele.
Hierauf erfolgte das Urteil, das die Ehe ungültig erklärte -- der entscheidende Grund blieb die Stiefkusine. Um so unabweisbarer war der Eindruck, daß Herr de Liancourt eigentlich obgesiegt habe. Von dem König erbat er seinen Abschied mit den Worten: »Sire! Ich hoffe in allen Stücken nach Ihrem Willen getan zu haben.« Es konnte der bare Hochmut sein, obwohl der Mensch den Kopf auf seine Füße gebeugt hielt, auch so verharrte, bis das Paar hinaus war. Eine Antwort hatte niemand gefunden.
Genug, die teure Herrin war frei, das Weitere findet sich. Beglückt und eilends kehrte das Paar nach Paris zurück und landete vor dem Hause Gabrieles. Sie ging, sich umzukleiden. Der König, gestiefelt und bestaubt wie er ankam, war alsbald umringt: seine Vettern Conti und Soissons hatten wenigstens dreißig Edelleute mitgebracht. Hinzu stießen von selbst noch mehrere Herren, die am Hofe neu waren. Die Türwächter kannten sie nicht, bekamen aber die Weisung, sie einzulassen, so daß zuletzt jeder, der wollte, hineingelangte in das Zimmer, wo der König niedersaß, und dieses war nicht groß.
Der König in seiner guten Laune scherzte mit der Närrin Mathurine, eine wohlgestaltete hübsche Person, nur eben närrisch, die mit Fug und Recht bei Hof ihr Wesen trieb. Gibt es einmal das Amt des männlichen Narren, dann soll auch die weibliche Narrheit vertreten sein; der König tut gut daran, beide, Chicot und Mathurine, fleißig zu beobachten zwecks Kenntnis der Menschen. Der König wechselte zwischen den Begrüßungen der Herren mit der Närrin galante Reden, die weder er noch sie ernst nahmen, obwohl Mathurine mit verdrehten Augen um einen Kuß bat. Plötzlich ein Geräusch wie eine Ohrfeige, in der Enge sieht niemand, was vorgeht.
»Zum Teufel, die Verrückte beißt«, ruft der König. Er führt die Hand an seine Lippe, Blut läuft darüber. Ein Herr de Montigny, der tief verneigt stand, um dem König das Knie zu küssen, fuhr auf, und hinter dem König sah er ein unbekanntes Gesicht, das bleich und verstört war. »Sie oder ich«, ruft de Montigny in heller Wut, »einer von uns hat den König verwundet.« Da ergriff man den bleichen Jungen und fand zu seinen Füßen das blutige Messer. Nach einigem Leugnen gestand er, daß er den König gestochen habe. Infolge des Spieles, das der König mit der Närrin trieb, hatte der Mörder seinen Hals verfehlt und nur die Lippe getroffen. Der König sagte: »Laßt ihn laufen.« Der Mensch hielt aber die Hände hin, damit sie ihn packten und abführten. Wer er war, wollte er nicht angeben, nur sein Alter: achtzehn Jahre.
Der Chirurg nähte sogleich die Lippe. Er hätte die Nadel noch mehrmals hindurchgezogen, nur daß der König den Schmerz nicht länger ertrug. Darum ist nachher sein Mund merklich verkrümmt geblieben -- man versäumte nicht, zu sagen, weil er unaufrichtig wäre. Die reizende Gabriele war herbeigerannt, als die Operation begann. Sie hielt ihrem lieben Herrn den Kopf, sie küßte ihn auf die Augen, damit er nur sie und sonst nichts fühlen sollte. Da er stöhnte, warf sie ihr schönes Angesicht von einer Seite zur anderen, traf in lauter kalte Blicke und erkannte: ›Nur die Breite einer Hand hat dazwischen gelegen, dann wär ich allein zurückgeblieben, hätt abgehen müssen, gesetzt, die ließen mich noch durch.‹ Ihre Züge verzerrten sich, das war die reizende Gabriele nicht.
Dem König tat die Wunde weh, erschrocken war er kaum, sondern erklärte, daß er wegen der Kleinigkeit nicht früher zu Bett gehen werde. Vielmehr suchte er die Kathedrale auf und wohnte dem Dankgottesdienst bei. Der verunglückte Mörder wurde drei Tage später abgeurteilt und hingerichtet, ohne daß er seine Anstifter genannt hatte, trotz peinlicher Befragung. Sie wurden dennoch bekannt, das königliche Parlament ließ einen seiner ehemaligen Lehrer aufhängen. Alle Mitglieder der Gesellschaft Jesu verbannte es aus dem Königreich.
Eine solche Entschiedenheit vermochte endlich den Papst, nachzugeben; nicht lange, so nahm er den König von Frankreich in den Schoß der Kirche auf. Die letzten Anhänger der Liga hatten sich nach Kräften bemüht, es zu verhindern. Während ihre knappe Frist noch lief, erhoben sie überall die Waffen, Mayenne, Nemours, Epernon, Joyeuse und Mercœur, lauter mächtige Herren, jeder in seiner Provinz. Aus den Niederlanden riefen sie die Spanier, ein letztes Mal mußte König Henri dem Aufstand und inneren Krieg begegnen -- die zwar verurteilt waren, und ihre Zeit bestand nicht mehr. Genug gleichwohl, daß dieser König, bei all seiner inneren Festigkeit, für eine kurze Weile den Mut sinken ließ und verzweifelte an seinem fröhlichen Dienst.
Zwanzig Jahre fröhlichen Dienstes, angefangen als ein kleiner König von Navarra, der Kampf, die Arbeit, Siege, Machtergreifung, der Todessprung und immer Arbeit -- schien jetzt alles umsonst und nichts erreicht, kein Friede, keine Liebe des Volkes, kein sicherer Besitz. Erschrocken, nein, als wieder einer uns an das Leben wollte; betrübt schon eher und müde, die erste Müdigkeit. Man sah sie ihm an. Eine Dame vom Hof erlaubte sich die Bemerkung, was das für eine neue Art sei bei ihrem wohlgemuten Herrn. War er wohl unzufrieden? Da stieß er seinen Fluch aus und erleichterte sich in Worten -- gegen das Volk: beileibe nicht gegen die Mächte, die es aufbrachten und losließen. Davon still, auch vor der harmlosen Dame. Undankbares Volk! Anschläge auf seinen König, sonst sinnt es nichts.
Ein sehr trauriger Tag war der fünfte des neuen Jahres: Große Prozession, der König fährt in seinem Wagen mit, die Pferde gehen im Schritt wie bei Begräbnissen. Wem gilt es? ›Mir nicht‹, denkt Henri. ›Sie haben mich nicht bekommen. Noch nicht.‹ Das dichte Gewühl enthielt da oder dort ein besonderes Schandmaul, unmöglich, es herauszufinden; das sprach vernehmlich: »Auf dem Karren nach dem Grèveplatz sitzt er schon.« Nun gibt es Worte, über die man, je nachdem, lacht oder weint. Henri verzog die Miene nicht, saß da wie der Schuldige, ganz in Schwarz, das Pflaster auf der Lippe. Das unerfindliche Schandmaul war sozusagen gerechtfertigt. Ging die Fahrt wirklich nach dem Grèveplatz?
Als er vor der Kirche ausstieg, ließ sein Volk ihn hochleben, wozu seine Herren ihn beglückwünschten. Er murmelte: »Ein Volk. Was will man. Meinem größten Feinde täten sie dasselbe und mehr.« Das war ein trauriger Tag. Indessen folgen andere und wieder andere; was man einmal ist und bleiben soll, gewinnt nachgerade die Oberhand, wenn auch bereichert und beschwert. Die tüchtige Natur läßt sich's nicht bald wieder so nahe gehen, daß Unvernunft und Bosheit in der Welt sind, können auch mit der redlichsten Mühe nie daraus entfernt werden. Im Gegenteil prüft die tüchtige Natur sich selbst, sie lernt, ihr Sinn für das Leben wird nur fügsamer.
Henri fand denn seinen Ulk wieder -- war sein Ulk von jung auf und noch immer aus demselben Stoff. Nur, daß er auf einer anderen Lebensstufe geübt wird, und dahinter blickt mehr hervor. Besonders verfuhr er gegen sich selbst nicht immer nach der Regel der Majestät, weder geheimnisvoll noch erhaben. Hierüber verständigten sich, auf unbekannten Wegen, die gemeinen Leute mit ihm. Mancher fühlte, wie weit er im Unerlaubten dennoch gehen durfte, unter der Bedingung, er käme damit zur guten Stunde. Henri besucht den Jahrmarkt, da erscheint ihm vor einer der Buden ein Spaßmacher in seiner eigenen Gestalt und dem genauen Aufzug eines gewissen Tages: schwarze Kleidung, Pflaster auf der Lippe. Plötzlich springt in der Armesündermiene ein Funke auf, ganz geschickt gemacht, und der Possenreißer als König, mit heller Stimme redet er Zoten. Das gab mal ein Gelächter.
Nichts zu machen offenbar, und Henri wollte auch nicht. Fertigte den Menschen mit Geld ab, ging seiner Wege und wußte wieder um etwas deutlicher, warum er die Liebe des Volkes verfehlt und sie nicht gefangen hatte wie einen Ring beim Ringelspiel. So leicht ist ihm die Liebe des Volkes nicht gemacht. Sie verlangen von der irdischen Majestät dasselbe wie von der himmlischen: Strenge, Unberechenbarkeit, sichtbaren Abstand. Die Hoheit im Gewande der Einfachheit wird weder verstanden noch verziehen; rechtfertigen muß ihm dereinst eine Größe unvergleichbar und der ruhmvollste Besitz. Am Ende, vielleicht erst nach dem Ende, soll er die Liebe des Volkes haben. Noch nicht. Getötet werden, geliebt werden -- noch nicht.
Sein Agrippa sagte ihm nach dem letzten Mordversuch: »Sire! Sie hatten die Religion erst mit den Lippen abgeschworen: diesmal traf das Messer den Mund. Wehe, wenn Ihr Herz abschwören wollte!« Der König nickte dazu. Er begegnete zuletzt dennoch dem Rechtsgelehrten, der damals in Saint-Denis das unheilvolle Wort gesprochen hatte, längst bevor es durch einen mörderischen Anschlag erfüllt wurde. Der Mann war dem Wiedersehen ausgewichen, jetzt schlug er die Augen nieder. Der König tröstete ihn durch milde Freundlichkeit, ohne daß er des vorigen Zusammenseins erwähnte, und einige Schwere legte er nur in den Schluß. »Nihil tam populare quam bonitas.« Sein Bewunderer betrachtete ihn groß.
So werden auch die schroffen, abgründigen Erfahrungen eingeebnet, der Sinn betritt sie endlich ohne Furcht -- fast ohne Furcht. Nicht, daß König Henri eine unbewachte Volksmenge, die zufällig um ihn her zusammenlief, mit eben denselben Gefühlen begrüßt hätte wie vorher. »Viel Volk«, sagte er. »Bin froh, mein Volk zu sehen. Ich muß mich nur erst gewöhnen.« Auch den jungen Herzog von Guise zu empfangen freute er sich und war glücklich, zu verzeihen. Der junge Herr hatte begriffen, was den Alten noch nicht einging, die Zeit der Auflehnung war abgelaufen, die Ansprüche seines Hauses wären überholt. Kam in das Schloß Louvre und bot dem König seine Unterwerfung an, damit aber den Verzicht des Hauses Lothringen auf die Krone Frankreichs. Sein Vater war der glänzende Held der Liga gewesen; die Liebe des Volkes, der hatte sie besessen. Der König sprach zu Herrn de Guise, der recht verwirrt vor ihm stand:
»Lassen wir das. Redner sind wir beide nicht. Ich weiß schon. Sie sind da, es soll Ihnen besser gehen bei mir als dort, wo Sie waren. Für Sie nehm ich Vaterstelle ein.« Und umarmte den ersten seiner Feinde. Sogleich benutzte er den Gewinn, er erklärte den Krieg an Spanien.
Philipp, einstiger Weltbeherrscher, wurde geschlagen von König Henri. Es war sein erster offenkundiger Sieg über die Weltmacht. Undenkliche Zeiten haben die spanischen Truppen nur immer unter dem Mantel seiner inneren Feinde gefochten, niemals ein sauberes Bekenntnis zum Krieg und zur Eroberung des Königreiches. Endlich hat Henri den alten, verhaßten Gegner ohne Maske vor sich. Umgekehrt sinkt der innere Feind zur schwachen Hilfstruppe herab, wird geschlagen mitsamt Spanien -- dies in der gewagten, fragwürdigen Art, wie Henri noch jede Schlacht angeboten und gewonnen hat. Er setzt seine eigene Person ein. Mit wenigen hundert Reitern treibt er eine Übermacht dorthin, wo er sie haben will, und löst sie auf. Er bleibt der gleiche: macht den König von Navarra, als wär er jung. Den König von Navarra zu machen verjüngt in der Tat. Alle sehen es, allen schlägt ihr Herz es zu, mit offenem Mund erlauschen sie, was Fama über Land trägt: Wir haben einen junggebliebenen König, er ist der erste der Welt, ist einzig, und unser ist er. In ihm haben wir zueinander gefunden. Parteien, Ligen und nicht einmal der Glaube soll uns trennen. Wir kämpfen nicht länger verhetzt und trübe. Wir kämpfen groß.
Nun, das sind Wallungen, Henri weiß es. Bis in den Rausch des Sieges hinein behält er gegenwärtig, was ein Volk ist, und das seine liebt ihn nicht. Noch nicht. Schlachten sind Festtage, obwohl gewagte Festtage, und Siege greifen der Wahrheit beträchtlich vor. Viel Müh und Arbeit soll die ganze Wahrheit über ihn erst hervorbringen. Nach einem Sturm des Erfolges erscheint das Leben allerdings geglättet, oh, wie glatt und gefügig. Die letzten großen Herren, oder doch die vorletzten, unterwerfen sich, auch der dicke Mayenne. Seine Beleibtheit ist nachgerade ein Jammer; warum besiegt man die feindlichen Gestalten immer erst an dem Punkt, wo sie schon ein Jammer sind. Henri empfing diese in Monceaux, dem Besitz der Marquise -- mit Musik, Komödie, guter Küche und allen Ehren. Sah zu, wie Mayenne drei Verbeugungen machte, wobei zwei Adjutanten ihm den schweren Bauch halten mußten. Hinzuknien erlaubte Henri ihm nicht. Nun in dem Park nachher machte er seine längsten Schritte, bis dem Dicken der Atem ausging: das war seine ganze Rache. »Ihre Hand, Herr Vetter, mehr geschieht Ihnen nicht.« Und ließ dem Kranken von seinem Rosny zwei gute Flaschen einflößen.
Wie nicht anders erwartet, wollte sein Parlament den Krieg nicht bezahlen. Das Volk sei gar zu elend. Aber zwanzig Jahre lang war es niemals elend genug gewesen, um abzulassen von dem Wüten gegen sich selbst. Hier ist der König, der es vor sich selbst errettet, noch mehr als vor dem Feind. Der König antwortete seinem Parlament: »Ich rede, wie mir um das Herz ist. Die Franzosen sind einmal so von Natur, daß sie nicht lieben, was sie sehen. Wenn ihr mich nicht mehr seht, dann werdet ihr mich lieben.«
Er sprach es weder traurig noch bitter, sondern in einem Ton, der sein bekanntester war; sie hörten heraus: Liebt mich oder liebt mich nicht. Ich tu meinen Dienst und tu ihn fröhlich.