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Die teure Herrin sollte eine leichte Reise haben. Der König brachte sie zu Schiff von Nantes bis Orleans, eine lange und gefühlvolle Fahrt. Der Fluß La Loire glänzte mild vom Licht des Mai, das weiße Gewölk schwebte und zerging. Das Schiff des Königs segelte im sanften Wind langsam den Fluß hinan, und der hat flache, stille Ufer. Blumige Wiesen und die Kornfelder verlaufen bis an das Ende der Aussicht, dort blaut ein Wald. Vorn erscheinen Schlösser mit furchtbarer Wucht, aber ihre Türme sind umstrickt von Rosen. War es nur einer von vier Türmen, den die Ranken verjüngen, schon zeigt das Wasser kein altes und wildes Bild, sondern gespiegelt wird ein verträumtes.
Die Städte Angers, Tours und Blois sollen nacheinander ihre friedlichen Schatten in die Flut versenken; dazwischen haben die Dörfer, Weiler, Hütten um sich viel Raum. Glitt nun dies Schiff herbei, sogleich bemerkten die Kinder bei ihrem Spiel, daß es kein Schiff wie andere war. Am Fleck, mit leeren Händen, die kleinen Bäuche hervorgestreckt, erwarteten sie es, ihre Augen wurden ernst und ganz aufmerksam.
Das Schiff hat Dächer aus Stoff, von ihnen hängen Kränze bis in das Wasser, so daß Blumen das Schiff begleiten. Dieses ist prächtig ausgebuchtet, bemalt, und seine Segel schwellen. Die vergoldete Figur am Bug bläst in ihre Trompete, so tut die Ruhmesgöttin vielleicht und gewiß das Gerücht. Der Bauch des Schiffes enthält Schlafzimmer für alle Herren und Damen; nur der König und die Herzogin von Beaufort wohnen an Deck. Unter den Zelten, die Lauben sind, werden die Mahlzeiten verzehrt. Hier auf dem glücklichen Fluß tafelt der König nicht mehr allein und am erhöhten Tisch. Er sitzt zwischen anderen, alle reihen sich nach ihrem Belieben, ein Heiterer neben einem Groben, die stolze Frau gegenüber der frommen.
Sie verstehen einander, denn alle sind auf einer glücklichen Fahrt begriffen und sehen ein, damit die Fahrt glücklich bleibe, müssen sie selbst es sein. Die teure Herrin des Königs ist durchaus auf Händen zu tragen; wer zu ihr spricht, habe eine gesegnete Stimme. Die bekam denn auch Marschall Biron, so ungefüge er sonst war. Ja, Rosny, der Mann von Stein, erweichte sich hörbar und sichtlich. Seine Gemahlin übertraf ihn noch, sie bezwang ihre Natur, bis sie liebenswürdig wurde. Madame de Rosny haßte Gabriele natürlich mehr als ihr Mann, da es sein Haß war: den nährte sie bei sich. Aber von seinen stillen Zugeständnissen an Gabriele machte sie keines, kannte nicht einmal die Verdienste der Feindin, ihr Mann verriet sie ihr nicht. Der unwissende Haß der Frau gab ihm Mut zu dem seinen, der so unkundig nicht war.
Sie war seine zweite Frau, eine reiche Witwe mit sehr langer Nase, zwinkernden Augen, schwachen Brauen, einer übermäßigen Stirn und der Mund unbedeutend, als hätte sie keinen. Wenn diese Alternde lächeln wollte, sah sie hilflos aus: damit rührte sie Gabriele. Die Herzogin bat ihre liebe Freundin Madame Schwester des Königs, daß Madame de Rosny zwischen sie beide hineinrücken dürfte. Es war ein Tag, als die Wolke im Vorübersegeln etwas Regen auf das Zelt sprühte. Die Bäuerinnen hinter den Ufern verrichteten ihre Arbeit in Röcken, die sie über die Schultern zogen, die Männer bedeckten den Kopf mit Säcken, bevor sie eine Zuflucht suchten.
Madame de Rosny flötete: »Frau Herzogin, ich bin glücklich. Wir alle sind glücklich über Ihr Glück. Und sehen Sie selbst, wie die Landleute herbeieilen, Sie zu begrüßen, von deren Schönheit, Güte und Verstand die Kunde bis hierher gelangt ist.«
»Madame, bemerken Sie denn nicht, daß die Leute nur laufen, weil es regnet?« fragte Gabriele. Vergebens, die Schönrednerin war nicht aufzuhalten. Ihre kurzsichtigen Augen erkannten alles, was sie wollte, sonst aber nichts.
»Da haben Sie die Schäfer und Schäferinnen aus Ihrem Park Monceaux, hier gibt es sie in Natur. So reinlich und angenehm sind alle, wie Sie es gewünscht haben. Es ist Ihr Verdienst«, sagte die Falsche.
Gabriele erwiderte einfach:
»Madame, ich bin zufrieden, daß Ihre Eindrücke freundlich sind. Sie denken, wie Sie sprechen. Nun verhält es sich derart, daß der König in Anbetracht der armen Menschen, die hier leben, die Weiden zu üppig, die Äcker zu fruchtbar, die Wälder zu tief findet. Auch die Schlösser zu stolz. Er hofft, daß seine Bauern so oft nicht fasten wie vor seiner Zeit. Aber er will nicht nachlassen, bis endlich ein jeder des Sonntags ein Huhn im Topf hat.«
›Ei, du kluge Schlange, schiebst alles auf ihn‹', dachte die Falsche. Hiernach schützte sie ihre Unerfahrenheit im Wirtschaftlichen vor, obwohl sie in Wahrheit die geizigste Schloßfrau war, und ihren Leuten ging es elend. Gabriele war unterrichtet; um so heller stellte sie Herrn de Rosny und seine Arbeiten ins Licht. Die Wohlfahrt des Volkes, besonders der Landwirtschaft, ohne ihn wäre sie nicht gediehen. »Niemals will der König ihn entbehren«, versicherte sie sehr zum eigenen Nachteil. Madame de Rosny erschrak über das Wort, sie begriff es nicht anders, als daß die Liebste des Königs seinen Minister beseitigen würde, sobald sie könnte. Das beschloß sie ihrem Mann zu berichten; nur noch einige Schmeicheleien und sie räumte den Platz. Ihr Haß gegen Gabriele, der eigentlich seiner war, sie hatte damit gewuchert und brachte ihm den Zins.
Diese Dame erlebte indessen die Überraschung, daß Rosny seine harten Augen fest auf sie legte, um zu sprechen:
»Wir haben einen großen König. Wir haben einen König, dessen Glück nie untergeht.«
Herr de Rosny wußte am besten, wie er es meinte. Nicht lange, und eine Schar von Reitern sprengte senkrecht gegen den Fluß, an seinem Rande hielten sie, die Hüte wurden geschwenkt. Der König ließ das Schiff anlegen.
»Marschall de Matignon«, rief er hinüber. »Sie bringen gute Botschaft?«
Seine Stimme war fest, trotz einer Spannung seines Geistes, als sollte er tot zusammenbrechen, bevor er die Botschaft erführe.
Matignon warf seinen Hut im Kreise herum, er verkündete hell:
»Sire! In Vervins ist Frieden geschlossen. Die spanischen Gesandten haben alles unterschrieben. Sie reisen nach Paris, Eurer Majestät aufzuwarten. Dies Königreich bekommt Frieden auf immer, da der große König gesiegt hat.«
Das letzte rief Matignon in das Land hinein, wo es denn gehört wurde. Verstanden die Leute noch nicht, was vorging, aus Neugier verließen sie dennoch ihr Feld und ihre Hütte. Ja, jetzt wurde herbeigelaufen. Das Gedränge beim Landungssteg war dicht genug, dahinter stieg man auf Karren, Kinder schwangen sich in die Obstbäume, die kleinsten wurden von ihren Vätern an ausgestreckten Armen hinaufgehalten. Alle waren vor Erwartung still, sahen den König die Lippen bewegen, das Wort aber hörten sie nicht. Zuletzt kam es.
»Fried! Fried!«
Dies im Ton des Soldaten. Leise folgte:
»Kinder, ihr habt Frieden.«
Die einen betrachteten die Gestalt des Königs wegen seines ersten Ausrufes, aber für seinen zweiten, heimlichen blickten andere ihm in die Augen. Sie ließen sich Zeit, sahen ihn genau an, bis sie hinknieten -- anfangs nur ein paar. Als alle niedergelassen waren, stand aufrecht zwischen ihnen ein Bauer im kräftigsten Alter; der sprach:
»Herr! Sie sind unser König. Wenn Gefahr für Sie ist, rufen Sie uns!«
Der König in Gefahr: darüber lächelten sie nachsichtig auf dem Schiff. Gabriele d'Estrées erschrak und griff nach seinem Arm. Sie wäre gefallen, sein Arm hielt sie. Der kräftige Bauer rief her, manchem klang es drohend:
»Herr! Ihre Königin soll von uns beschützt werden wie Sie.«
Hier wurden sie im Gegenteil recht ernst auf dem Schiff, fühlten sich betroffen und wagten keine Regung. Nur gut, daß inzwischen das Weißbrot und der Rotwein eintrafen. Kinder reichten die Gaben dem König, er aber teilte sie mit dem Bauern, der gesprochen hatte. Jeder der beiden aß ein halbes Brot, tranken auch aus demselben Becher.
Das Schiff fuhr weiter, die gute Botschaft vom Frieden aber eilte ihm voraus. Wo es fortan zu menschlichen Stätten kam, waren Hände zugegen, die ihm das Seil hinwarfen, damit es verweilte. Viele Hände wurden gefaltet, und gefaltet auf und ab bewegt. Da es vorbeiglitt, warfen viele Hände, so viel sie fassen konnten, Blumen auf dies Schiff. Die Herren fingen sie im Flug und legten sie auf die Knie der Damen. Grüße und Blumen entgegenzunehmen, streifte das Schiff bald eines, bald das andere Ufer; Bäume waren oft herübergeneigt, und auf das Deck schneiten Blüten.
Bei der Stadt Tours warteten die fremden Gesandten; waren von Nantes her mit ihren Karossen schneller gefahren als ein Schiff, das auf dem Fluß La Loire leicht zu gleiten scheint, wird aber angehalten von der Masse der Gefühle, die muß es durchschneiden. Die Gesandten, insofern sie befreundet waren, meldeten, daß ihre Höfe und Länder vom Ruhm des Königs voll wären. Er hat gewagt, seinen Protestanten das Edikt zu geben, was nicht verhindern konnte, daß die katholische Majestät von Spanien seinen Frieden annimmt, wie er ihn bestimmt. Dies gerade, weil er zuerst seinen Willen gezeigt und die Gewissensfreiheit befohlen hat. Hierfür stark genug befunden, wird er bei Feind und Freund der stärkste König auf Erden.
Die Gesandten Hollands, der Schweiz, deutscher Fürsten, der Königin von England und noch weiterher geleiteten den König nach seiner Stadt Tours, stolz und freudig, als war er ihr eigen. Glockengeläute, Empfang am Tor, der Weg zu Fuß durch Straßen im Schmuck, er lebe, heil, und dann das Mahl im Schloß. Einst war dasselbe Schloß die letzte Zuflucht des vorigen Königs vor seinen Feinden gewesen. Aus seiner Bedrängnis rettete ihn damals Henri von Navarra, machte auch damals schon den Sieger -- für seinen Vorgänger, der endlich aber durch das Messer starb.
Bei Tisch, im Lärm der Stimmen, sagte ein Herr d'Etrangues: »Dem hab ich das Kinn gehalten auf seinem Totenbett. Wem werd ich es wohl noch drücken, damit es nicht wegklappt?«
Der Kardinal von Joyeuse: »Die Siege eines Menschen sind ebenso viele Versuchungen. Dieser König weiß es. Er hütet sich um Gottes willen und ist der beste Christ. Nur seinem Lachen trau so wenig wie seinen Tränen.«
An einer anderen Stelle der Tafel sprach Madame Schwester des Königs: »Der König, mein hoher Bruder, ist den geraden Weg gegangen allzeit. Daher seine Größe. Die Menschenfurcht ist mißliebig dem Herrn, seine Gnade fällt auf den, der festen Herzens ist.«
Marschall de Matignon: »Das war ein Weg! Vom Unglück bis zum Weltenruhm -- und wie hat er ihn gemacht? Ohne Anstrengung möcht ich heute sagen, so oft ich ihn in Schweiß gesehen habe. Auf Flügeln des Gesanges, sag ich, der selber Verse macht, lateinisch und in der Volkssprache.«
»Wenn es nur dauert«, murrte einige Plätze weiterhin Turenne, Herzog von Bouillon.
»Da es Größe ist, dauert sie«, flötete Madame de Rosny vernehmlich genug, daß Gabriele es hörte. Sie neigte sich alsbald zu ihrem geliebten Herrn.
»Sire! Man behauptet, die Größe wäre ein unvergänglicher Besitz.«
»Und kennt doch niemand die kurzen Augenblicke des Lebens, als er sie vielleicht hatte«, sagte Henri am Ohr der reizenden Gabriele. »Wir könnten alles verlieren«, flüsterte er ihr zu. »Verlören doch unsere Liebe nicht.«
Der Abend ist nahe, alle begeben sich hinunter zum Fluß, um weiterzureisen mit dem glücklichen Schiff. Halt, was kommt entgegen? Ein Aufgebot von Bewaffneten, in ihrer Mitte ein Gefangener: Herr de Saint Phal. Da ist er, man hat ihn. Mornay! Wo bleibt Mornay?
Er wurde gesucht und aufgefunden in einem Versteck der Stadtmauer. Wollte nichts wissen von einem solchen Wiedersehen, hatte aber danach gegiert, gejagt, gestöhnt und irre geredet all die vielen Monate lang. Da sie nun voreinander standen, der Geschlagene und sein Angreifer, erbleichte und zitterte von ihnen nur einer. Der zweite kniete hin, als kennte er es nicht anders, und sprach die Abbitte wörtlich nach Befehl. Er legte künstliche Inbrunst hinein, er trug Zerknirschung stark genug auf, daß jeder die Verstellung bemerkte. Ja, Vergnügen war bei Herrn de Saint Phal zu argwöhnen, und wenn einer hier sein Mütchen kühlte, Philipp Mornay war es nicht.
Dieser sah nach dem König um, er hat ihn um ein Wort allein. Sie traten beiseite, indessen Saint Phal auf seinen beiden Knien lag, so lange nichts anderes über ihn beschlossen war.
»Sire!« sagte Philipp. »Ich habe meinen Verstand zurück. Ich war um ihn gekommen, wie Sie wissen. Erweisen Sie mir die Gunst, Herrn de Saint Phal zu entlassen und nicht in das Gefängnis zu werfen.«
»Herr de Mornay, rechtens muß er sitzen. Ein Edelmann und sein König, beide sind beleidigt worden.«
»Die Rache ist mein, spricht der Herr.«
»Philipp, du hättest früher hören sollen auf den Herrn.«
Da aber der Geschlagene nochmals reumütig bat, entschied Henri, daß Philipp seinen Attentäter selbst vom Boden heben sollte: dann werde Gnade für Recht ergehen. Mornay ging wirklich hin. »Herr, stehen Sie auf, der König verzeiht Ihnen.«
»Sie selbst«, antwortete Saint Phal und erfreute sich unverschämt an dem bleichen Gesicht seines Feindes, mit der geröteten Nasenspitze. »Sie selbst, Herr, können mir unmöglich verzeihen. Mir bleibt nur übrig, meine Tat zu büßen.«
Mornay sagte:
»Sie sind unwürdig, daß ich Ihnen emporhelfe. Mir aber geschieht nach Verdienst.« Wobei er dem niederträchtigen Menschen unter die Arme griff.
Dieser widerstand und machte sich schwer. Zuletzt keuchten beide, indessen die Menge der Zuschauer lachte oder im Gegenteil vor Entsetzen starr war.
Saint Phal keuchte: »Ich gehe ins Gefängnis, dir zum Trotz.«
Keuchte Mornay: »Ich werde täglich für dich beten, ob du es willst oder nicht.«
Hier befahl der König den Bewaffneten, sie sollten den Knienden auf die Füße stellen. Das vollführten sie mit Püffen und Tritten, die sie auch weiterhin nicht sparten. Während Saint Phal abgeführt wurde, ging ihm auf, daß er in der Bastille nicht als Edelmann behandelt werden würde.
Philipp Mornay verlangte Urlaub von Seiner Majestät, er gedenke nach Saumur umzukehren.
»Herr Du Plessis«, fragte Henri. »Ihr Traktat über die Messe bleibt doch in Ihrer Bibliothek verschlossen?«
»Sire! Das wäre meine schwerste Sünde, die Wahrheit zu kennen und nicht zu sprechen.«
Nach diesem Wort des Protestanten wendete der König ihm den Rücken. Man sah: der Protestant war in Ungnade. Einige andere empfahlen sich erleichtert.
Das glückliche Schiff war nicht mehr voll, als es mit dem Nachtwind segelte nach Blois und Orleans. Mehrere gingen schlafen, wenige wachten an Deck bei dem König und der Herzogin von Beaufort. Herr de Rosny schickte seine Frau hinunter, die ungefällige Witwe hätte ihn nur gestört bei einem gewissen Vorhaben, dessentwegen er den Herrschaften seine Gesellschaft schenkte. Ferner blieben oben Marschall de Matignon als ein Liebhaber poetischer Nächte, und sonst nicht viel, nur ein Page, genannt Guillaume de Sablé. Der zwanzigjährige Wilhelm, weiter nicht von Bedeutung, zeigte auf der linken Wange ein großes Brandmal, hatte es von seiner Frau Mutter mitbekommen, und es ließ verschiedene Auslegungen zu. Man sah darin eine Rose, eine Festung und manchmal den Schoß einer Frau. Gabriele, die Wilhelm schon vom Hof entlassen hätte, war von Henri ersucht worden, ihn vorerst nicht anzusehen.
»Schön und lieblich ist er nicht«, hatte Henri ihr aus diesem Anlaß zugegeben. »Was übrigens in ihm stecken mag, ich weiß es nicht. Dennoch bin ich gewiß, daß er kein junger Mensch wie alle ist. Er erinnert mich an Zwanzigjährige, die es einst mit mir zugleich waren. Haben es meistens ganz vergessen, aber das tut nichts: aus unserem Geschlecht wächst manchmal einer nach.«
Die beiden Herren und der Knabe sind abseits getreten. Jetzt ruht Gabriele in einem niedrigen Stuhl wie für ein Kind, Henri zu ihren Füßen liegt halb erhoben. Einmal lehnt er seinen Nacken an ihr Knie und blickt nach den Sternen; das andere Mal stützt er auf ihr Gelenk sein Kinn, dann zeigen die leuchtenden Welten ihm ihr schönes Gesicht. Sie bestreicht mit ihren Fingerspitzen seine Stirn, findet sie heiß und bittet ihn, unverwandt beim Glück der Stunde zu verweilen. Der Tag ist reich an freudigen Ereignissen gewesen, davon tragen beide den Nachklang im Herzen. Der Nachklang hat Worte, die aber beide weder kennen noch suchen:
»O Strom der Ströme, Kränze, helles Lachen --
Nur gute Boten nahen diesem Nachen.«
Henri antwortet dem Gestirn, das über ihm glänzt. Es hieße in Worten, wenn er die Worte ordnen wollte:
Die Mühen gebären neue Mühen, das währt bis an den Tod, ich will nicht hoffen darüber hinaus. Lang, lang -- ist der Zwang. Die Ruh ist wohl das beste, dauert aber das beste nur diesen Atemzug. Die Freude, Ruhe, Sicherheit -- der Baum, der auf uns Blüten schneit. Die Fahrt mit dir.
»Mit dir«, spricht Gabriele, da sie Schritt hält und fühlt wie er. »Mit dir will ich unser Ziel und Ende erreichen. Mein teurer Herr, dessen bin ich getrost.«
Da küßt sie ihn und er sie lange, tief, für ihre Lebenszeit. Fahren miteinander allein den Fluß La Loire dahin, in ihren Herzen den Nachklang:
»O Strom der Ströme, Kränze, helles Lachen --
Nur gute Boten nahen diesem Nachen.«
Das Kinn auf ihrem Knie, sieht er in ihr Gesicht und sie in seines.
»Deine Größe, Herr«, sagt Gabriele. »Seit heute ist sie der Glaube der Welt und kann nicht mehr vergehen.«
Henri lacht leise, lacht sie aus -- und sogleich sie ihn. ›Wir beide wissen doch. Das Wasser unseres Stromes, er hat keine Minute seines Daseins dasselbe. Ist er denn da? Nicht schon verflossen, während wir ihm zusehen, in das vergeßliche Meer?‹ Er dachte es -- gleich fühlte auch sie es. In beiden erklang, was wörtlich gelautet hätte, daß alles kurz und gerade darum schön ist. Die Freude, Ruhe, Sicherheit, der Baum, der auf uns Blüten schneit. Von unseres armen Leibes Blöße bleibt nichts -- und bleiben soll die Größe?
Hier hörten sie in einiger Entfernung den Marschall de Matignon schwärmen. Er redete hochgestimmt von den Schlössern am Strom, ihren stillen Schatten im funkelnden Strom, sie selbst nur unwirkliche Gebilde, niemand heute nacht geht durch ihre verzauberten Tore ein und aus und will sie keiner besitzen.
Man sah die Herren nicht, jetzt meldete sich eine äußerst klare, nüchterne Stimme.
»Das wäre! Und will sie keiner besitzen. Gleich kommen wir in Höhe von Schloß Sully, das Herrn de la Trémoïlle gehört. Fragen Sie ihn nur, ob er es umsonst gibt oder vielleicht einhundertsechsundzwanzigtausend Pfund für Schloß und Gebiet Sully fordert.«
Davon sei nicht die Rede, meinte der anders gestimmte Matignon.
»Sehr ist davon die Rede«, behauptete Herr de Rosny und sprach nochmals die lange Zahl aus, jeden ihrer Teile sorgfältig vom anderen getrennt. »Wenn das nicht soviel Geld wäre, ich hätte Sully bei meiner Ehre. Allerdings könnt ich es billiger bekommen und schließlich umsonst: soll aber entgegen meiner Ehre den Herzog von Bouillon begünstigen, anstatt daß ich der gute Diener des Königs bin. Das käme mir nicht in den Sinn. So stattlich ist kein Schloß, so einträglich keine Länderei.«
Er verstummte und ließ den Umriß des Schlosses für sich sprechen. Seine Türme und Dächer erschienen eines nach dem anderen, erhoben sich aus schwärzlichen Massen Laubes und grüßten verklärt. Der Marschall und der Minister, die man nicht sah, grüßten gewiß zurück, jeder auf seine Art verzückt. Das helle Gemäuer badete vorn im Wasser: der Strom und sein Zufluß umfingen dies Schloß. Nach hinten wuchs es empor, eine Insel trug die beiden höchsten Türme, das weiteste der spitzen Dächer, und alles war überspült vom Schein des nächtlichen Himmels, und alles umglänzt vom funkelnden Strom.
»Wie schön!« sagte Gabriele.
»Ein Besitz, Ihrer würdig, Madame«, sagte Rosny, der hervorkam.
»Nicht meiner«, sagte Gabriele. »Des besten Dieners. So ist gewiß die Meinung des Königs.«
Henri wiederholte, als ob er an etwas anderes dächte: »So ist meine Meinung.« Er besann sich auf die Gegenwart und entschied:
»Herr de Rosny, Ihr Glück soll gemacht werden, wenn dies Ihr Glück ist. Über die Beschaffung des Kaufpreises sprechen wir noch.«
Rosny erschrak vor Freude -- hatte nicht geglaubt, den Besitz so glatt zu erwerben. Der setzt keine leichtfertige Zuversicht in ein Vorhaben, obwohl er ihm seinen Schlaf geopfert hat und wacht deshalb mit den Herrschaften. Vor Schrecken wollte er dem König die Hand küssen, Henri war aber auf einmal verschwunden. Rosny mußte seinen Dank und sein schwer bewegliches Herz, das dies eine Mal gerührt war, der teuren Herrin zuwenden.
Henri hatte den Schatten eines Zeltes aufgesucht, stand am Rande des Schiffes und sah über Bord. Im Rücken wurde Schloß Sully von Bäumen langsam zugedeckt, erglänzte ein letztes Mal und ging unter. Ihn kümmerte es nicht, er sann: ›Besitz -- aber wann besitzen wir? Ein Schloß mit seiner Landwirtschaft kann aufbrennen, ein Königreich verlorengehen. Der Tod ist immer zugegen und nimmt uns zu seiner Zeit beides. Dies war eine glückliche Reise, ich habe die letzte meiner Provinzen in meinen Besitz gebracht, meinem Feind den Frieden abgerungen. Höher hinaus, schwerer erreicht, ich habe die Gewissensfreiheit durchgesetzt, was all mein Trachten von je war. Ich besitze dies Königreich, wie noch kein König es besessen hat, seine Gestalt und seinen Geist. Was aber besitz ich wirklich?‹
Indessen er dachte und seine Betrachtung frei zu lenken meinte, erschien ihm ungerufen das vergangene Bild eines jungen Henri: achtzehnjährig und besaß gar nichts. Der ritt mit seinen Freunden, alle um das zwanzigste Jahr, gegen Paris; sollte bei der Ankunft seine liebe Mutter Jeanne getötet finden, kam alsbald selbst unter die Macht der alten Königin, und diese hatte die Bartholomäusnacht in ihrem lasterhaften Sinn schon ausgebrütet. Als es geschehen ist und seine Freunde sind ermordet, wird der junge Henri Navarra der Gefangene der bösen Fee und bleibt es lange. Ahnt ihm davon, als er vornweg, umgeben von anderen, von vielen gefolgt, in einem geschlossenen Haufen gegen Paris reitet?
Der geschlossene Haufen gleichgesinnter Abenteurer ist fromm und verwegen. Sie verführen in den Dörfern die Mädchen, aber untereinander sprechen sie oft von der Religion. Sind alle aufsässig gegen die Mächtigen, mit denen Gott nicht ist, sondern ihn haben die Zwanzigjährigen mit sich -- dergestalt, daß Jesus in eigener Gestalt stündlich aus dem nächsten Prospekt von Felsen biegen kann, um sich an ihre Spitze zu setzen. Für sie alle sind seine Wunden frisch und bluten noch. Seine Geschichte ist ihre Gegenwart, sie erleben ihn wie sich selbst. Jesus! ruft einer, es ist Philipp Mornay. Ruft es mit einer Macht, daß alle aufhorchen und sich umsehen, bereit, den Herrn zu umringen und würden ihn laut anreden: Sire! Das vorige Mal sind Sie Ihren Feinden unterlegen und mußten sich kreuzigen lassen. Diesmal, mit uns, werden Sie siegen. Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!
Henri in seinem achtundvierzigsten Jahr sah diese alte Erscheinung wieder, ihm wurde heiß, er faßte den Rand seines glücklichen Schiffes fester und hätte sehr schwer geseufzt. Noch vorher erinnerte er sich, daß er auf dem glücklichen Schiff fuhr, und wonach die jungen Abenteurer getrachtet hatten, das besaß er. ›Hab ich mit mir den Herrn? Was weiß ich? Schon damals glaubte ich nicht, daß Jesus uns durch seine Gesellschaft auszeichnen werde, nur weil wir protestantisch wären. Die anderen waren seiner im Ernst gewärtig, und ich liebte sie dafür.‹ -- »Holla! Dort steht noch einer von ihnen.«
Dies sagte Henri beim Anblick des Pagen Guillaume de Sablé. Auch der Knabe Wilhelm hielt sich vor dem Geländer allein; er schien gewachsen, die Nacht und was geheimnisvoll vorging in ihm und ihr, erhob ihn über sich selbst. Sichtlich, war er den Sternen nah, ihr Licht floß seine Wange entlang, um das vieldeutige Brandmal. Er hatte die Zähne fest aufeinander, davon traten die Muskeln aus dem mageren Gesicht. Die Augen spiegelten die leuchtenden Welten und das Fieber seines Geistes.
»Wovon träumst du?« fragte eine Stimme. Der Page suchte, fand niemand, aber der Unsichtbare sagte:
»Du träumst, du wärest Marschall von Frankreich. Vielleicht wirst du es einst sein. Mit uns reist einer, der Verse reimt. Du hältst dich gewiß für einen Dichter. Versuch es, gestalte die treffenden Worte von einem König, der sein teuerstes Gut gewonnen hat und besitzt es. Sooft er Abschied nahm von ihr, hat kein Krieg und Sieg ihm den Schmerz der Liebe gelohnt. Durch Krieg und Sieg bekommen wir ein Königreich, niemals den schönen Stern, in den wir blicken wollen, bis wir selbst erlöschen.«
Die Stimme aus dem Dunkel brach ab, der Knabe Wilhelm fühlte, daß er allein war.
Henri saß seit einer Weile bei Gabriele. Die Herren Rosny und Matignon unterhielten den König mit seiner Liebsten, beflügelt und heiter waren alle, entgegen seiner Übung lachte der neue Schloßherr von Sully. Da trat bescheiden und artig der junge Sablé vor diese vier Personen hin; verneigte sich; wartete, daß der König befehle. Der König winkte ihm, er sagte:
»Sing dein Lied!«
Worauf der unerwartete Gast die Frau Herzogin von Beaufort tief grüßte und wirklich anstimmte.
»Von vorn«, verlangte der König. »Die Schiffsleute wollen auch hören.«
Mehrere der Männer, die auf dem glücklichen Schiff die Segel setzten, waren leis herzugekommen, da sie singen hörten und von dieser frischen, zärtlichen Stimme. Frommes Lauschen, das heimliche Schluchzen des Wassers am gleitenden Kiel, und Wilhelm, den wahrhaftig niemand unterbrechen mochte, sang das Lied.
»Reizende Gabriele,
Dem Ruhm gehorchend war's,
Wenn blutend aus der Seele
Ich fortzog mit Gott Mars.
Grausames Abschiedgeben,
O Tag voll Schmerz,
Hätt ich nicht dieses Leben
Oder kein Herz!
Amor muß mich nicht mahnen,
Du hast mich angesehn --
Schon folg ich seinen Fahnen,
Dem großen Kapitän.
Grausames Abschiedgeben,
O Tag voll Schmerz,
Hätt ich nicht dieses Leben
Oder kein Herz!
Ein Königreich, mein werde
Durch Krieg es und Geschick.
Die ganze weite Erde
Gehorche deinem Blick.
Grausames Abschiedgeben,
O Tag voll Schmerz,
Hätt ich nicht dieses Leben
Oder kein Herz!
Du Stern, den ich verlassen,
Dein denken, welche Not!
Ich muß vom Schmerz verblassen,
Erschein! Sonst wär ich tot.
Grausames Abschiedgeben,
O Tag voll Schmerz,
Hätt ich nicht dieses Leben
Oder kein Herz!«
Als Wilhelm geendet hatte, blieb es lange ganz still, wenn man ein heimliches Schluchzen ausnimmt: wie das des Wassers am gleitenden Kiel. Endlich erhob sich die Frau Herzogin von Beaufort; das Muttermal des Pagen Guillaume de Sablé verblaßte im Licht der Gestirne, es konnte eine Rose sein, eine Festung oder der Schoß einer Frau. Das küßte Gabriele.
Die Schiffsleute stiegen zu den Segeln hinauf, dort oben übten sie das neue Lied, so gut sie es behalten hatten. Wilhelm sagte zu dem König:
»Sire! Es ist Ihr Lied.«
»Ich habe die Worte diktiert, aber nicht aneinander gereiht«, antwortete Henri und gab dem Knaben die Hand.
Einen Blick warf er auf den neuen Schloßherrn von Sully -- hatte das Gesicht, mit dem er sonst die Leute aufzog. Aber er verschwieg, was er meinte. ›Unser Besitz? Ein Lied, das alle singen werden.‹
Sogleich wurden seine Mienen zärtlich bewegt, feierlich und fromm in dem Gedanken an die alten Psalmen, die er oft gesungen hatte, und ihnen glich sein Lied. Er sprach es der reizenden Gabriele ins Ohr, als er sie fortführte.
Am Hof von Frankreich wurde damals gut gegessen. Nach dem siegreichen Frieden war die erste Sorge des Königs, daß er aus seiner Heimat Béarn die fettesten Gänse bestellte. Mit Tafeln, Jagen und festlicher Unterhaltung wollte er sich selbst und die Welt überzeugen, daß keine Gefahr mehr drohte: er säße im Besitz. Die Welt schien es wirklich zu glauben. Der König bei häufigen Schauessen führte seinen bekannten Appetit vor, hatte ihn indessen verloren. »Früher gab es nichts«, sagte er unter Freunden. »Jetzt mag ich nichts.« Sein Jugendgefährte Marschall Roquelaure erklärte ihm den Fall. »Sire! Früher waren Sie exkommuniziert. So einer schlingt wie der Teufel.« Der König wußte es besser.
Ob in Sicherheit oder nicht, den vorläufigen Hafen hatte er erreicht. Unternehmungen noch größeren Maßes -- sie hätten ihn in Wahrheit zu dem Retter des Erdteils gemacht, bis jetzt war er es in den Augen anderer, nur in seinen nicht. Er kannte seine Sendung, vertagte sie aus Weisheit und verzichtete: nicht in Sorge für seine Person, die davon den Ruhm gehabt hätte, aber um seines Volkes willen, denn es hätte nur die Last getragen. Fried! Fried!
Mylord Cecil und der Prinz von Nassau wurden im Louvre empfangen, noch bevor die spanischen Gesandten ihren feierlichen Einzug hielten. Der König ging ihnen schnell entgegen.
»Don Philipp ist tot.«
Er nahm den Hut ab, warf ihn übrigens auf den Boden und bat seine Verbündeten, es ebenso zu machen. »Das spanische Zeremoniell hat ausgedient.«
Mylord Cecil: »Natürlich ist der alte Schurke tot. Was sollte er noch anderes tun, nachdem Sie ihn geschlagen haben -- außer sterben.«
Prinz von Nassau: »Ihm selbst blieb nichts übrig. Was Spanien angeht --«
König Henri: »Sie meinen die universale Monarchie.«
Prinz von Nassau: »Ich meine die Banditen, die allerdings aneinandergekettet sind auf ihrer Galeere, und so regieren sie die Welt.«
Mylord Cecil: »Ich liebe den Gedanken, daß die Angreifer, mögen sie diesen unglücklichen Erdteil nun verwüsten, wenigstens an derselben Kette hängen, und mit dem ersten fallen noch mehrere.«
König Henri: »Meine Herren, es ist eine Zeit für den Krieg und ist auch für den Frieden eine.«
Mylord Cecil: »Ich bin wahrhaftig der Freund des Friedens.«
Prinz von Nassau: »Der Friede muß, damit es der Friede ist, doppelt beliebt und beiden Teilen willkommen sein: nicht uns allein, auch dem Angreifer. Dieser heuchelt den Frieden. Spanische Heere, Sire! Seit Ihrem hochberühmten Friedensvertrag von Vervins sind in Europa keine mehr zu sehen.«
Mylord Cecil: »Anstatt ihrer treten freiwillige Truppen auf, ich würde sie Diebsbanden nennen und jeden einzeln aufhängen. Freiwillig! Heißen Spanier, sind aus aller Herren Ländern, kein Staat hat sie geschickt, erklärt auch keiner den Krieg und will's beileibe nicht gewesen sein. Ein neues Verfahren, fein ausgedacht, kurios zu betrachten für einen britischen Friedensfreund.«
Prinz von Nassau -- vergißt sich, springt auf, schreit: »Für keinen niederländischen! Keinen deutschen! Mein Land geht zugrund. Mein Volk wird vernichtet. Das ist ärger als erklärter Krieg, es ist greulicher und widersteht der Seele mehr. Sire! Helfen Sie. Der einzige König sind Sie, der das Schwert trägt.«
König Henri -- schweigt.
Mylord Cecil: »Nassau, setzen Sie sich. Es läßt sich ruhig sagen. Der König weiß wie wir, was vorgeht. Die Diebsbanden, die scheinbar niemandem gehören, aber jeder kennt ihre Auftraggeber -- sie fressen nicht nur Holland auf, sie haben sich an Deutschland gemacht. Sie beißen in die Deutschen, ganz gleich ob protestantisch oder katholisch. Aber Katholiken und Protestanten haben auch schon angefangen, sich untereinander aufzuzehren. Das bringt gewisse Vorteile.«
Prinz von Nassau: »Vorteile! Ich fahre aus der Haut.«
Mylord Cecil: »Lassen Sie es. Ihren Landsleuten wird sie ohnedies abgezogen. Vorteile, will ich sagen, für den Angreifer. Er ist für nichts verantwortlich, wie wir erwähnten. Zweitens kostet sein schwindelhafter Krieg ihn nicht einmal das Schwarze unter dem Nagel, seine Banden machen sich selbst bezahlt. Zum dritten und besten, der Zustand ist zeitlich unbegrenzt. Er muß nicht aufhören, solange die Banditen der totalen Weltherrschaft ihn brauchen.«
Prinz von Nassau: »Ein Jahrhundert!«
Mylord Cecil: »Ein halbes. Lange genug, daß dieser Kontinent vertiert. Ich sprach vom Zubeißen und Aufzehren, als ob es ein Gleichnis wäre. Man wird im wörtlichen Sinn erlernen, Menschen zu fressen.«
Prinz von Nassau: »Was beschließt der König, den Europa anfleht als seinen Retter?«
König Henri: »Mylord, will Ihre große Königin mir beistehen, wie schon so oft?«
Mylord Cecil -- erhebt sich.
Prinz von Nassau -- springt auf.
König Henri -- hat seinen Sitz schon verlassen.
Mylord Cecil: »Ihre Majestät ist bereit und willens, das Unternehmen durchzuführen mit ihren Streitkräften zu Wasser und zu Land.«
Prinz von Nassau: »Die Generalstaaten der Niederlande wollen aufbieten, was sie können.«
König Henri: »Dann wär ich wahrhaftig der Stärkere; wäre stark genug, einem großen Krieg zuvorzukommen und meinen Namen segensreich zu machen vor Gott und Menschen. Es müssen höchst beträchtliche Gründe sein, wenn sie mir sogar das Heil meiner Seele verbieten würden, zu schweigen vom Ansehen der Welt. Verboten, sage ich, ist mir der Krieg, und verlange von den Herren, daß sie mich zu Ende hören. Auch ich mußte dem Legaten des Papstes das Wort lassen, als er mir hier im Zimmer ankündigte, ich würde dahin kommen, die katholische Christenheit zu bekämpfen. Ich stände im Verdacht, daß ich überall den Protestantismus zu meiner Sache machen wollte -- dies nicht um des Glaubens willen, nur für meinen eigenen Ruhm. Inzwischen habe ich den Verdacht des Legaten bekräftigt, da ich in Nantes mein Edikt gab.«
Mylord Cecil, Prinz von Nassau -- reden heftig durcheinander.
König Henri: »Meine Herren Verbündeten! Ihr Männer des Friedens und der Gesittung! Was der Angreifer treibt, ist ein Greuel. Die Welt war greuelhaft, solang ich es mit ihr zu tun habe. Ließ mich's nicht verdrießen. Krieg hab ich immer nur geführt um der Menschlichkeit willen. Das tat ich in meinem Königreich und würde dergestalt gegen eure Banditen ins Feld ziehen.«
Mylord Cecil, Prinz von Nassau -- sprechen gleichzeitig: »Abgemacht! Sie handeln. Sind unser großer Mann. Mag doch ihr Heiliges Römisches Reich zerfallen, ihre heilige Kirche stürzen.«
König Henri: »Genau dies äußerte der Legat, setzte auch hinzu, daß ich damit der Herr der Welt wäre.«
Mylord Cecil -- trennt sich vom Prinzen von Nassau, tritt zurück: »Das muß ein Scherz sein. Ihre britische Majestät ist weit entfernt, dem Krieg ein solches Ziel zu setzen.«
König Henri: »Ich auch -- und will ihn nicht erst führen.«
Prinz von Nassau -- würgt an seinen Tränen: »Sire! Erbarmt Sie diese arme Welt nicht?«
König Henri: »Ja. Und zuerst erbarmt mich mein Volk und Königreich. Denn diese haben zwanzig Jahre Krieg im Leibe, das gegenwärtige Geschlecht wird's bis an sein Ende spüren. Ich bin nicht der Herr des Schicksals und würde mich vermessen, wollt ich die anderen Länder bewahren vor dem großen Religionskrieg, den dieses Land durchgekämpft hat und hat ihn überlebt. Mein Königreich hat aus seiner langen Verwüstung eine neue Neigung zur Vernunft davongetragen: die will ich stützen, nicht abbrechen. Es hat offene Grenzen, vernachlässigte Festungen, seine Flotte ist in schlechtem Zustand, mehrere seiner Provinzen sind vom Krieg in Einöden verwandelt. Es ist nötig, wenn mein Volk Essen und Kinder haben soll, daß ich abrüste.«
Prinz von Nassau: »Damit Ihre Franzosen in Wohlstand und Behagen wohnen, verurteilen Sie den größten Teil Europas zu den alleräußersten Schrecken. Ihre Abrüstung überhebt die Banditen der letzten Furcht.«
Mylord Cecil: »Richtig ist, daß hierzulande das Glück der Bauern und Gewerbetreibenden sichtbar zunimmt.«
König Henri: »Und um glücklich zu werden, sind die Menschen geschaffen. Übrigens würden sie mich davonjagen, wenn ich es anders mit ihnen meinte. Mein eigenes Glück und Reich hängen an einer oder zwei verlorenen Schlachten. Ihr Herren, ob es mir lieb oder leid ist, ich schicke meine Heere nach Haus.«
Die spanischen Gesandten zogen in Paris ein. Sie erschienen feierlich, wie ein schwer erhandelter, der Ewigkeit bestimmter Friede es verlangte. Um so mehr verwunderte sie die Zwanglosigkeit des Hofes und eines Königs, der groß sein sollte. Das war ihr Eindruck nicht. Der König von Frankreich führte sie vor allem in sein Ballspielhaus, dort ergab sich die allerhöchste Person einem hartnäckigen Kampf gegen ihren Marschall Biron den Jüngeren und den Prinzen von Joinville. Von der Galerie sahen maskierte Damen den Sprüngen und Griffen der unermüdlichen Majestät zu. Don Luis de Velasco, der Admiral von Aragon, Graf Arenberg und die ganze spanische Delegation suchten unter den Larven die Herzogin von Beaufort und fanden sie leicht. Alle Aufmerksamkeit war nur auf sie gerichtet. Der König spielte für sie, wie die Spanier bemerkten: noch dazu in der Hitze des Juni und eines überfüllten Saales.
Er hatte wohl auch die Absicht, ihnen zu zeigen, daß er gelenkig, stark und daß er jung genug wäre, um gefürchtet zu werden. Daran dachten die Gesandten später, als sie berichteten. Bis jetzt überwog ihre Befremdung, da der Sehr Christliche König vor ihnen seine Würde ablegte und brachte sie einer Frau dar. Nach dem Ballspiel bat er seine Liebste, ihr Gesicht zu enthüllen, damit die Gesandten Seiner Katholischen Majestät es nach Belieben betrachteten.
In dieser Art begegnete ihnen noch Anstößigeres. Den übernächsten Tag war große Tafel und abends ein Ballfest. An der Spitze der Tafel, unter dem Baldachin saß mit dem König die Herzogin von Beaufort, sie aber wurde bedient von edlen Damen, die Erste im Rang war das Fräulein von Guise. Eine Lothringen, aus dem Hause, das mit Spanien verbündet dem König von Frankreich bis vor kurzem gefährlich gewesen war. Hier nun muß eine Tochter des Hauses, das nach dem Willen Spaniens hätte herrschen sollen -- wem muß sie die Gerichte vorlegen?
Der König sagte nachher zu den Spaniern:
»Bei Amiens hättet ihr siegen können. Meine schwache Stelle war genau dort, wo das Zelt der Herzogin stand.«
Don Francisco de Mendoza antwortete mit dem gebührenden Ernst:
»Selbst um den Preis eines Sieges hätten wir kein Bordell gestürmt.«
Je steifer alle Spanier hierzu schwiegen, um so herzlicher lachte der König. Da sahen sie, daß er auf keinen Fall zu demütigen wäre. Den Ball am Abend führte Madame Schwester des Königs an, ihr zur Seite aber erschien die Herzogin von Beaufort in smaragdgrüner Seide, ihre Haare funkelten von Sternen aus Diamant, und sie war schön über die Maßen: endlich erkannten es sogar diese Spanier.
Dennoch nahmen sie weiter Anstoß, weil am Hof von Frankreich den Vordergrund sooft als möglich die Frauen beherrschten. Während die Tänze unterbrochen wurden, alle die breiten prachtvollen Kostüme der Frauen schlossen im Kreis die Mitte ein -- da trat zwischen sie hin ein junger Mensch, seine linke Wange zeigte ein Brandmal, und zu der Musik, die ihn begleitete, sang er ein Lied. »Reizende Gabriele«, begann es.
Die Spanier hörten es bis zu ihrer Abreise oft und überall, zuletzt überraschten sie sich dabei, daß auch sie es trällerten. Gleich nachdem sie fort waren, ganz Paris hatte die besiegten Feinde des Königs mit Augen gesehen, da hielt er selbst seinen öffentlichen Einzug. Jedes nur mögliche Gepränge wurde hierbei entfaltet, König Henri allein saß zu Pferd in Leder und schwarzes Eisen gekleidet, am Helm den weißen Busch wie bei Ivry. So kannte die Welt ihn, so wollte sie, daß er sei. Er tat ihr den Willen und beobachtete die Form, die in den Köpfen der Welt von einem großen König lebte: den stellte er vor.
Die herbeigeeilten Fremden aller Länder waren die ersten, ihn zu bejubeln. Ganz plötzlich, nach einiger Ungewißheit, erfaßte helle Begeisterung das Volk seiner Hauptstadt. Nahe dem Schloß Louvre hielt er; an den Rändern der Straße, aus den Häusern und von den Dächern hernieder rauschte die Huldigung, die er nie empfangen hatte und sollte sie zum zweitenmal nicht kennen. Er streckte waagrecht die Hand aus. Unter seiner Hand, zu seinen Füßen stand eine Sänfte, die Träger hatten sie hingestellt. Henri rief:
»Da habt ihr meinen Frieden und euer Wohl, das meines ist!«
Er ritt in sein Schloß ein, sie aber hatten ihn richtig verstanden, wußten alle, welche Person in der Sänfte einhergetragen wurde und war von dem König zum Sinnbild der besseren Zeiten erwählt. »Reizende Gabriele«, sangen die Straße, das Haus und das Dach.
Die Stunde nach dem Triumph durfte Henri nicht allein sein, obwohl ihm zumut war, als hätte er etwas versäumt, etwas vergessen. Der Andrang war zu groß, es wollten ihm aufwarten Hof und Parlament, die Stadtgemeinde, seine Marschälle, sein Finanzrat -- und durch das Gewühl machten Waffenherolde in Kettenpanzern und goldenen Lilien den fremden Gesandten den Weg frei.
Es kamen und beeilten sich, das Glück des Königs von Frankreich durch ihr Erscheinen zu bezeugen, die ordentlichen und die außerordentlichen Gesandten -- nicht nur die ihm bekannt waren, sondern ganz unerwartete, und keineswegs seine Freunde allein. Im Gegenteil waren die Feinde früher da, und unter diesen vornweg nicht die offenen, weder Spanien noch der Kaiser, deren Abordnungen bis jetzt ausblieben, wenn sie überhaupt gemeldet waren. Als erste beeiferten sich die heimlichen Hasser. Der Nachbar Savoyen hält hinterrücks zum Feind, da der Herzog mit einem Fuß im Königreich steht, die Auseinandersetzung muß kommen. Habsburg hat gehorsame Handlanger in den italienischen Fürsten; ihre Agenten sind zur Stelle, jetzt huldigen sie, dann werden sie berichten, wie der König von Frankreich sein Glück verträgt. Auch die rheinischen Herren, geistliche und weltliche, lassen den Mund ihrer Beobachter von der Bewunderung des großen Königs überfließen.
Die Bewunderung gelingt diesen Fremden und klänge glaubhaft, wüßte man nicht: Ursprung ihrer Gefühle ist der Schrecken. Aus ihnen redet eine ganz frische Bestürzung, weil der Sieg des Königs ihnen vollständiger erscheint als er jemals hätte sein dürfen, damit ihre Fürsten sich aufrecht erhalten zwischen ihm und dem Kaiser. Man fürchtet im Westen Deutschlands die kaiserliche Hausmacht, die gewöhnlich unsichtbar bleibt, wird aber angekündigt von den herrenlosen Banden der Mordbrenner. Diese heißen spanisch, solange niemand sie kennen will. Überdies und mehr als alles fürchtet man den König von Frankreich mit seinen Armeen, die Spanien besiegt haben; es sind die nächsten am Rhein, wer wollte sie aufhalten. In seiner entlegenen Hofburg, die er nicht verläßt, das schwarz gekleidete Oberhaupt der universalen Monarchie; hier gegenwärtig und durch seine Taten überall zugegen der einzige König, der das Schwert trägt.
Die Abgesandten der deutschen Kurfürsten befürchteten von dem verkappten Protestanten das Äußerste. Über den Punkt der Punkte dachten sie hinwegzukommen, wär es mit einem Aufgebot von barem Widersinn. Die Verzweiflung wählt nicht, und notwendig ist sie kurz befristet. Nach dem Punkt wird das Blatt umgewendet. Mehrere Kurfürsten waren gleichzeitig auf den Gedanken verfallen, den König Henri zum römischen Kaiser zu wählen -- es ihm wenigstens anzubieten, womit die Zeit vergeht. Einer nach dem anderen von diesen Gesandten bat die Majestät um gnädiges Gehör für eine tief vertrauliche Mitteilung, die keinen Aufschub dulde.
Die Umstände verboten eine wirkliche Absonderung. Der Zudrang zu der Galerie des Louvre wurde ungeheuer, alle Ausgänge verstellt von Körperschaften, die begierig waren, vor die Majestät zu gelangen. Einige bescheidene Vertretungen des Auslandes hofften, daß ihre Gelegenheit käme; währenddessen behaupteten sie ihre Plätze und leibliche Unversehrtheit gegen die Übergriffe von viel Volk. Die Gemeinen waren zugelassen wie üblich bei diesem König. Er hatte keine besonderen Befehle gegeben, seine Offiziere handelten nach seiner bekannten Art -- kaum daß um seine Person ein wenig Raum bewahrt wurde. Mehreren Damen im dichtesten Gewühl schwanden die Sinne.
Der König stand ohne Erhöhung auf dem gleichen Boden mit allen, die um ihn kreisten, ihre schnell ausgewechselten Gesichter vorführten und Huldigungen sprachen -- hörte man lange hin, wurden sie eintönig, verloren übrigens den Zusammenhang mit den gegebenen Tatsachen. ›Sie sagen: groß‹, denkt Henri. ›Immer wieder nennen sie mich den großen König, was nichts bedeutet, und das könnten sie wissen. Ein Sieg, was ist er viel. Ich habe nicht mehr gesiegt als mir geboten und erlaubt war zur Erhaltung meines Königreiches. Darüber hinaus läge, worauf ich verzichten mußte, der letzte Sieg, die Befreiung Europas von einer Weltherrschaft, die aus den Völkern zuletzt Mordbrenner macht. Ich darf nicht helfen. Krieg oder Frieden, ich habe gewählt. Groß darf ich nicht sein.‹
Hiervon unbeirrt gab er jedem die hohe, abgemessene Antwort, wie sie erwartet wurde und dem großen König anstand. Er bedachte in seinem Herzen, daß der Ruhm der Welt wohl niemals ganz ernst zu nehmen wäre und hielte auch sonst der Prüfung nicht stand, wenn man sie wagen wollte. ›Das hieße aber die Menschen beleidigen, denn ihnen, mehr als mir, sind Ruhm und Größe teuer.‹ Er wendete den Hals und den Rumpf mit der Biegsamkeit des Ballspielers. Er winkte, legte den Kopf in den Nacken, vertauschte die Stellung seiner Füße: alles sowohl gebieterisch als huldreich. Nein, er hatte sich Mangel an Majestät nicht vorzuwerfen und keiner vermißte sie, sondern sie erschauderten vor Ehrfurcht. Allerdings hatte er den Umfang und Überschwang dieser Siegesfeier nicht vorgesehen, daher das unpassende Gewühl. Für seinen Teil vertrat er die Majestät und stellte sie dar. ›Aber ich werde noch lernen, sie mit Vollkommenheit auszuüben‹, beschloß er.
›Sie sagen: groß. Sähen sie mich heute in meinem Feldlager, bedeckt mit dem Schlamm der Laufgräben, und die Schlacht stand erst bevor, sie redeten anders. Sie glauben augenscheinlich an die himmlische Fügung nicht, da sie mein Glück dem Zufall beimessen, und gerade deshalb würfen sie sich mir am liebsten zu Füßen. Noch schwerer begreifen sie, daß sogar die Vernunft einmal siegt hienieden, wäre es nur vorläufig. Und einem Mann, der einfach seine fünf Sinne gebraucht hat, begegnen sie mit barem Widersinn: das ist ihr Gegenangriff. Wollen mich zum römischen Kaiser wählen, als ob ich und sie selbst verrückt wären.‹
»Edle Herren, ich errate Ihr denkwürdiges Vorhaben mehr, als ich es höre, denn der Lärm umher ist beträchtlich, und Sie haben Grund, die Stimmen zu mäßigen. Ehre macht es Ihnen, daß Sie auf meine Verschwiegenheit bauen; die Ohren der apostolischen Majestät wären allerdings peinlich berührt. Ich sehe, daß Sie in gehobener Laune und übrigens meine wahren Freunde sind.«
Seine Antworten an die Wortführer der Kurfürsten bezweifelten höflich ihren geistigen Zustand, da sie schwärmten. Ihre Bitten um geheime Audienzen überhörte er, entließ sie und winkte den nächsten. Man trat im Kreis herzu; wer an dem König vorbei war, gelangte vor die Herzogin von Beaufort. Sie saß umgeben von den Prinzessinnen. Der Bescheid ihres Herrn an seine Versucher entging ihr nicht. Übrigens verfehlten die Kurfürstlichen niemals, sie um ihre Fürsprache zu ersuchen: die mußte sie zusagen. Man sah sie erblassen, wahrscheinlich aus unbedachter Freude. Wer die hohe Dame von ihrem Stolz noch schöner fand, hätte für sein Leben gern erfahren, was vorging.
Die Herzogin winkte aber ihren Freund, den tapferen Crillon zu sich. Gleich darauf wurden die Ausgänge geräumt und die Bahn freigelegt vom Stand der Majestät bis zu dem entfernten Aufenthalt einer bescheidenen Versammlung, die ihn solange mit Mühe behauptet hatte gegen Stoß und Drang. Wären zum König wohl niemals vorgerückt. Jetzt schritt der König, an seiner erhobenen Hand die Herzogin von Beaufort, diesen Flamen entgegen. Sie waren Bürgermeister aus Städten, die kürzlich von den Spaniern aufgegeben werden mußten. Sie waren Schulzen aus Dörfern, die der Krieg vertilgt hatte, und Geistliche -- ihre Kanzeln standen nicht mehr. Sie vergaßen, vor ihrem Befreier hinzuknien, sie hatten zu viel gekniet.
Der König hieß sie willkommen, und sie betrachteten zuerst ihn, dann einander, wer sprechen sollte. Einer der Ihren sagte breit und langsam: »Herr! Wir wünschten, daß wir Franzosen und Ihre Landsleute wären.«
»Ihr seid achtbare Menschen«, erwiderte ihnen der König. »Laßt euch das genügen. Eure Sicherheit -- ihr wehrt euch tapfer genug. Euer Wohlstand -- ihr scheut die Arbeit nicht. Geht in Frieden.«
Einer der Ihren:
»Wir haben einen großen König gesehen.«
Henri am Ohr seiner teuren Herrin:
»Sie können's nicht lassen. Auch diese sagen: groß.«
Hierauf lud er sie ein, an seinem Tisch mit ihm zu essen.
Die Auszeichnung der gemeinen Leute aus Flandern fiel auf. Die Herzogin von Beaufort hatte den Vorgang veranlaßt; man wollte festgestellt haben, daß der König sie an seiner erhobenen Hand nicht führte, sondern wurde von ihr verleitet. Nun kann der König, bevor die Spanier ihre Hoheit in Flandern noch wieder befestigt haben, dies Land und Volk in seinen Besitz nehmen: er hätte die Macht. Das Natürliche wäre, daß die Flamen härter dienen müssen als unter Spanien. Statt dessen behandelt er sie als Freie und ißt mit ihnen am Tisch.
Halte man dagegen, daß in seinem eigenen Königreich die Grundbesitzer genötigt werden, die Straßen, für die sie Zoll von den Bauern erheben, auch wirklich zu bauen. Für Taten wie diese heißt seine Herrschaft bei vielen die ärgste Tyrannei. Nicht, daß er selbst der Erfinder der abscheulichen Neuerungen wäre -- kein Wort gegen die Majestät. Indessen benutzt sie einen Umstürzler wie Rosny, der die großen Vermögen angreift und vor erworbenen Rechten nicht haltmacht. Es wird kein gutes Ende nehmen mit dieser Herrschaft; der Minister möge sich hüten, seine willkürlichen Enteignungen auf die ausländischen Steuerpächter zu erstrecken. Die Geldmächte der Welt würden sich bitter rächen an diesem Königreich.
Wieviel man reden mochte, in Wahrheit erteilte Rosny seinem Herrn vernünftige und maßvolle Ratschläge. Die Rechnung des Steuerpächters Zamet, Rosny hatte sie aufgestellt in langen Nächten. An dem Tag, als er dem König ihr Ergebnis zu lesen gab, war seine teure Herrin zugegen: jedesmal dieselbe Kränkung für Rosny, obwohl er bis jetzt nicht merken ließ, wie sehr sie an ihm nagte. Der König fuhr hoch bei diesen Zahlen, er verlangte die Ausweisung des Florentiners. Sein guter Diener warnte ihn, im ersten Zorn zu handeln. Er versprach, daß er von Mann zu Mann mit einem Zamet leichter fertig würde als der König mit den europäischen Geldmächten, wenn er sie reizte.
Die teure Herrin äußerte ihre Verwunderung, weil Herr de Rosny gerade in diesem Fall von seiner gewöhnlichen Unerbittlichkeit abwich, und suchte dem König eine Freundschaft zu erhalten.
»Ich bin verhaßt genug«, sagte Rosny trocken. Aber Gabriele begriff: im Spiel war nicht eigentlich Schuster Zamet, den sie übrigens als guten Freund hatte. Der beste Diener dachte hier vor allem anderen an den Großherzog von Florenz und seine Nichte. ›Die soll mich verdrängen und Königin von Frankreich werden. Die Rechnung dieses steinernen Menschen ist unumstößlich; verlorene Mühe, ihm zu schmeicheln. Nein, er ist nicht verhaßt genug; auch ich werde ihn hassen. Aber ich schweige noch.‹
Der König bewunderte laut die Klugheit seines Ministers. »Sehen Sie ihn an, Madame. Er ist so klug, weil er nicht schläft. Auch ich darf nicht mehr schlafen. Unsere Arbeiten drängen, wie damals bei dem Gerber in der Straße de la Ferronnerie.«
Rosny, als er hiernach abgehen durfte, sagte bei sich, daß nicht der gute Schlaf der Majestät von Nachteil wäre, sondern die teure Herrin war es, und sie müßte fallen. Gabriele erwartete fortan die Stunde, in der sie ihn stürzen könnte. Er durchschaute sie, und griff er künftig zu Maßnahmen, die Empörung erregten -- oh! er verfehlte gewiß nicht, zu verbreiten, daß die Herzogin von Beaufort das erste Verdienst daran habe. Nachgerade wurde nicht er, sondern sie am meisten gehaßt. Sie rührte an die Geldmächte, sie war mit den Protestanten verbündet, und ihr Ziel war der Thron. An diesem Hof und den Höfen Europas galt Gabriele für die Antreiberin des Königs von Frankreich zu allen Handlungen, die eine sichere Ordnung des Besitzes bedrohten und nützten allein den Unruhigen und den Gemeinen.
Sie wußte es. An ihren Herrn kamen die Demütigungen nicht heran, nur bei ihr versuchte man sich, obwohl mit der gebotenen Vorsicht auf allen Seiten. Niemand hätte gewagt, sie offen zu beleidigen, ihr fehlte kein halber Schritt mehr, und sie war Königin. Aber wenn edle Damen sie bei Tisch bedienten, hinter ihrem Rücken wiederholten sie das Wort des Spaniers und ahmten seine hölzerne Ehrbarkeit nach. Damen des Hofes, die in die Zukunft sahen, war es auch nur mit Hilfe von Astrologen: Madame de Sagonne an ihrer Spitze äußerte unter vier Augen ihre Bewunderung für die verstoßene Gemahlin des Königs, die ihren Rang behauptete und in die Scheidung ihrer Ehe durchaus nicht willigte. Niemals werde sie einer verrufenen Schnepfe weichen, wie sie schrieb aus dem Schloß, wo sie gefangen saß und hatte von dort dem König einen Mörder geschickt.
Madame Marguerite von Valois, einst die berühmteste Liebhaberin und Göttin Venus ihres Zeitalters, hatte endlich von den mitbekommenen Gaben keine übrigbehalten, außer dem Sinn für Ränke; dieser war das standhafteste Erbteil ihrer tückischen Mutter Medici. Noch voriges Jahr hatte sie Gabriele d'Estrées ihre Schwester und Beschützerin genannt, hatte Geschenke von ihr erbeten und nur immer listig vermieden, den König freizugeben. Das wurde jetzt ihr Verdienst, sie nahm es offen in Anspruch. Gabriele war auf der Höhe, noch stand sie fest, der Haß um sie her konnte dennoch ihren Fuß nicht schwanken machen. Die ehemalige Margot in der Langweile ihrer Verbannung ergriff das süße Vergnügen, den Haß zu nähren, je weniger er ihr selber Gewinn bringen konnte. Welchen Ausgang, schaurig und voll Reiz, der Haß eines Hofes und die Ränke einer Frau zuletzt nehmen können, die Tochter der alten Katharina, Erfinderin der Bartholomäusnacht, war von je darüber belehrt. Ihr Spiel ist gewissermaßen uneigennützig, da sie selbst auf keinen Fall die Königin von Frankreich werden soll, obwohl ihre Astrologen es ihr natürlich versprechen. Im Gegenteil wagt sie die Rache des Königs, wenn es mit seiner teuren Herrin ein schlimmes Ende nähme. Gleichviel, Madame Marguerite lebt auf und fühlt sich noch einmal inmitten der Ereignisse, als sie Gabriele d'Estrées beschimpft.
Gabriele wußte es. Kein Geisteskind von Geburt, ihre ungemeine Bestimmung hatte sie sehend gemacht. An der Seite des großen Mannes, das ist er in Wahrheit für sie allein, während alle ihm nur den Namen geben -- an seiner Seite erfuhr sie Außerordentliches. Sie allein unterschied mehrere Bestandteile dessen, was Größe heißt. Größe -- man nennt sie und kennt sie nicht. Sie hat ihre vordere Ansicht, die spielt auf dem Feld der Siege, in den Sälen, wo Verträge unterschrieben werden, und der große Mann verkündet sein Edikt. Freiheit, Nation, Frieden, diese drei zu erkämpfen ist die Größe, von vorn gesehen. Gabriele hatte von ihrem großen Mann nicht nur die Front und stolze Erscheinung. In seinem Innern entdeckte sie das Rührende, das Fragwürdige -- glaubte aber deswegen keineswegs, sie wäre der Größe hinter ihre Schliche gekommen. So gutartig war die Frau, daß sie ahnte, wie eins vom anderen kam. Die Empfänglichkeit für das Wahre ist nicht immer eine Wirkung des Geistes, sondern der Natur.
Die Frau vertraute Henri sich an, vertraute sonst keinem; hierbei fand sie ihn oftmals unschuldig wie die Tauben, die Klugheit aber der Schlangen mußte ihr eigen Teil sein.
Sie warnte ihn. Eines Abends im Schlafzimmer begann sie: »Mein einzig Geliebter, jetzt schmeicheln Ihnen viele von allen Seiten. Hier sind flämische Bürger eingetroffen, um Ihnen zu schwören, daß ihre Heimat sich wünscht, sie wäre französisch.«
Henri wies auf den ersten der acht großen Teppiche, sie bedeckten die Wände ihres gemeinsamen Schlafzimmers. Der erste stellte das Paradies und die Versuchung dar. Auf ihn wies Henri und machte das Gesicht, das sie kannte. Es sagte: Mich fängt man nicht.
»Gerade diese Flamen waren aufrichtig«, sagte Gabriele. »Noch andere Fremde, weiter entfernte, vergeuden keine Redensarten, sondern erbieten sich ehrlich, Franzosen zu werden. Mein geliebter Herr, Sie ermessen den Glauben der Welt nicht. Ihre übergroßen Anstrengungen haben Sie unempfänglich gemacht für den Lohn, der Ihnen ohne Mühe, nur aus Liebe zufiele.«
»Du darfst sprechen. Das Sinnbild aller meiner Kämpfe, du bist es, dein Besitz ist mein Lohn.«
Sie dachte: ›Aber am Tage seines Triumphes, als er allmächtig war, hat er mich nicht geheiratet. Er kennt die Briefe der Königin von Navarra und überläßt mich ihren Beleidigungen.‹ Was Gabriele aussprach, lautete:
»Sie versäumen vieles.«
Mit diesem Wort aber traf sie ihn. Er ging lange durch das Zimmer hin und her, er gedachte des Gefühles, das ihn beunruhigt hatte die ganze Stunde nach seinem Einzug als Sieger. Versäumt, was die Hauptsache wäre. Versäumte Gelegenheit, wann kehrt sie wieder? Als er die geliebte Frau umarmte, war sie bleich und kalt. Er erschrak und versprach ihr schnell, er wolle nachholen, der Tag sei nahe.
»Meine Macht muß unumstößlich werden, ich habe nur meine Taten, sonst bin ich nichts.«
Gabriele bereute, daß sie an sich selbst gedacht hatte. Ihr großer Mann weiß nicht, wer er ist: davon wird er in vielem hilflos wie ein Kind, sie muß für ihn sorgen. Ihr Mißtrauen muß wachen anstatt des seinen.
»Sire! Sie sind von Spionen umgeben.«
»Und nicht von Anbetern, wie ich mir könnte träumen lassen.«
»Den Gesandten der deutschen Kurfürsten hätte Sie fast geglaubt, als man Ihnen versprach, Sie zum römischen Kaiser zu wählen.«
»Fast, nicht ganz. Das sind Schwärmer wie die Flamen und halten mich für den Befreier Europas.«
»Nein. Sondern es sind Verräter. Wenn Sie zugesagt hätten, der Bericht war schon geschrieben. Hier ist er.«
Henri war erblaßt. Er hatte keinen Blick für das Papier: in dem schönen Gesicht Gabrieles wollte er ihr Schicksal, zum erstenmal ganz nur das ihre lesen. Das ist das Wesen, das mit mir die Gefahren teilt und reißt von meiner Brust das Messer weg. Es soll in ihre nicht fahrenden, ich will gutmachen, und du sollst Königin sein.
Da sie ihn bleich und schuldbewußt sah, empfand sie Mitleid mit ihrem großen Mann -- der groß ist bis in den Zweifel, das Ungenügen, den Verzicht. Er glaubt an seine Legende nicht und würde von seiner Größe alles ableugnen, außer, daß sie unverzeihlich sei. ›Liebster, du heiratest mich nicht; immer steht noch eine Tat davor und noch eine, bis alle deine Taten zusammen uns zu sehr verhaßt gemacht haben und werden beide vertan haben so Glück wie Leben.‹
Dies bedachte sie, indessen Henri sie aufforderte, sich nochmals ankleiden zu lassen. Sie wollten hinübergehen zu Madame Schwester.
»Ich bin froh, daß du sie liebst.«
An diesem Abend war protestantischer Gottesdienst bei Madame Schwester des Königs. Das Paar hörte schon draußen, wie gesungen wurde, und Gabriele wollte umkehren. Henri trat aber mit ihr ein. »Sie werden sehen, Madame, was geschieht.«
Es geschah, daß der König in den Psalm der Hugenotten mit einstimmte, Psalm 58, das Lied aus seinen alten Schlachten:
»O Herr, so zeige Dich doch nur!«
Madame de Beaufort drückte ihm die Hand auf den Mund, damit er schwiege. Hält er denn alles für erlaubt, weil er ein großer Mann ist? Er weiß um seine Größe nicht und mißbraucht sie.
Es geschah weiter, daß nach beendeter Feier der König mit der Herzogin von Beaufort vor den ganzen Hof hintrat: denn da bekannt wurde, er wäre hier, drängte man herbei. Beide traten vor den Hof hin, und Seine Majestät verkündete laut, daß Ihre Verbindung mit der Frau Herzogin von Beaufort beschlossen und sie die künftige Königin sei.
Worauf Fußfälle erfolgten unzählig und alle von unbegrenztem Eifer. Die Majestät hat gesprochen. Die Majestät ist heilig -- ihr Wesen, ihre göttliche Erwähltheit; viel weniger ihre weltlichen Äußerungen. Den vollzogenen Taten unterwirft man sich, weil man muß; den unerfüllten Worten zu glauben ist niemand gehalten. Fußfälle sind das eine, aber das andere ist eine allseitige Verschwörung, damit die Majestät ihr Wort nicht wahrmachen kann. Die Majestät wird keine Frau, die allen anderen gleichsteht und nicht einmal das, über alle erhöhen. Keine Tochter des Landes wird Königin von Frankreich werden: nur eine fremde Prinzessin, allbekannt, welche. Die Majestät weiß es; sie selbst ist im Grunde mitverschworen -- meinten die Sinnreichsten oder die Bedenklichen, deren viel weniger waren als Sinnreiche.
Die Majestät, ganz zuletzt will sie gar nicht ihr Wort wahr machen. Es wäre gegen das Wohl des Königreiches -- nicht zu erwähnen, daß dieser König noch an keiner Frau bis zu dem Grad gehangen hat. Demgemäß flüsterte der Hof. Vorn die Fußfälle, hinten das Geflüster.
»Wenn er eine schon satt hat, verspricht er ihr zum Abschied die höchste Belohnung«, sagte eine Dame, und eine andere: »Madame, so ist es. Überdies sieht jeder, daß die reizende Gabriele anfängt, an Reizen abzunehmen: in eben dem Augenblick, wo alle ihr Lied singen.«
»Madame, sie hat das dritte Kind. Ihre sieben Schönheiten, darunter das berühmte Doppelkinn, verspüren es. Sie wird stark, der König hat das nie geliebt.«
»Mein Herr, Ihre Meinung?« fragte jemand. »Kann ein großer König wahrhaftig diese Heirat wagen?«
»Nur ein großer König kommt auf den Gedanken«, antwortete einer, der im geheimen ein Jesuit war.
»Dann ist er zu groß geworden.«
»Vielmehr hat er das Königtum zu groß gemacht, als daß er auf der Höhe seines Werkes bleiben könnte«, erwiderte der Geheime.
Ein weniger Eingeweihter: »Darum vermißt er sich, eine solche Frau zu nehmen.«
Der Geheime: »Nein. Sondern gerade wegen der Grenzen seiner Größe wird er sie niemals nehmen.«
Gleichviel, der König hatte sein Wort verpfändet. Die Schritte, damit er seine Scheidung von der Königin von Navarra durchsetzte, wurden dringlicher, bei ihr sowohl als auch in Rom. War er auf der Stelle frei, er täte nach seinem Wort: Gabriele selbst war diesen Sommer lang überzeugt, sie atmete auf. Hatte Tag für Tag noch diesen schönen Sommer, falls es ihr letzter wäre. Henri besuchte sie oft in ihrem Monceaux, und was sie ihrer Sache besonders gewiß machte: er kam nicht einfach als ihr lieber Herr oder um mit den Kindern zu spielen. Er bestellte seine Minister und beriet die Staatsgeschäfte -- bewegte sich durch den Park, da seine Arbeiten immer nach Raum und Luft verlangt hatten; im Kabinett beschloß er nichts. Trat aber, um das Dekret zu unterschreiben, nahe an seine teure Herrin hin, legte ihre Hand auf das Pergament, damit sie Glück brächte, und setzte daneben seinen Namen.
In ihrem Park, an sie gelehnt, verordnete er, daß im ganzen Königreich bei strenger Strafe niemand mehr sollte Feuerwaffen tragen dürfen, auch nicht die kleinen Pistolen, die jetzt aufkamen. Das ist die öffentliche Sicherheit, was läge an ihr den Mächtigen oder den Glücksrittern. Alle arbeitenden Stände sind einverstanden mit diesem König.
Der eigenartige König will, daß seine Gerichte unabhängig sein sollen vom Hof und den Gouverneuren der Provinzen. Die Richter sind fortan unabsetzbar. Etwas anderes: er verbietet den Familien, die schon zuviel besitzen, die reichen Heiraten.
»Das bedeutet?« sagte Gabriele leise, leise. Selbst Herr de Rosny sollte es nicht hören. »Sire! Es bedeutet, daß alle Mächtigen Ihres Königreiches Ihren Tod herbeiwünschen werden.«
»Das muß keiner«, erklärte König Henri, ohne die Stimme zu senken. »Madame, fragen Sie Herrn de Rosny. Er geht selbst mit der allerreichsten Verbindung um, sein Sohn soll in das Haus Guise heiraten. Ihm erlaub ich es. Meine Gnade gehört den guten Dienern meines Staates: das ist es, was alle sich merken sollen.«
Gabriele sagte:
»Dieser ist Ihr bester Diener. Nie hab ich Ihnen widerraten, was er empfahl.«
Und der König:
»Er weiß es. Er ersinnt manche gewagte Neuerung und ich das übrige. Der Mut, es auszuführen, Sie geben ihn mir, Madame.«
»Sie haben den Ihrer würdigen Minister«, sagte Gabriele und wartete, daß ihr das Wort vergolten werde. Rosny schwieg.
Henri verständigte sie mit einem Blick, wie gering er den Mann Rosny einschätzte im Gegensatz zum Minister. Keine reiche Natur, laß gut sein, teure Herrin. Genug, daß er brav und in all seiner Starrheit dennoch mir gefügig ist. Ich brauch ihn.
Das sagte Henri ihr mit Worten, als sie später allein waren und im Vertrauen sprachen. Schöner Sommer im Park von Monceaux -- wär es ihr letzter gewesen. Gabriele überließ sich der Stunde, hörte ihrem lieben Herrn zu, wendete nichts ein. Sie wußte vieles, das er überging. Herr de Rosny war im Einverständnis mit dem florentinischen Gesandten gegen sie selbst. Er hatte erreicht, daß der Gesandte seine Prinzessin dem König antragen durfte. Was tun und warum kämpfen, der König braucht den Diener. Aber noch weniger will er sein teuerstes Gut verlieren; tauscht keinen Geldsack dafür ein. Ob Gabriele nur müde oder um zu hassen zu glücklich ist, gerade diese Stunde muß ihr Feind sie nicht fürchten.
Sie hörte Henri sprechen. »Mein Rosny ist wie die anderen in meiner Nähe: im Grunde mißbilligt er mich. Er ist kühn, ohne weitherzig zu sein. Er macht sich allen zum Schrecken, aber niemand hätte den Vorteil. Das Geld, das er den gewaltigen Räubern abnimmt, würde tot die Staatskassen füllen, in der Bastille liegt ein Kriegsschatz. Das Volk bliebe arm. Herr de Rosny hat noch nicht bemerkt, daß nur ein glückliches Volk das Glück des Staates macht.«
»Und ein glücklicher König«, schob Gabriele ein, leis und schläfrig wegen der köstlichen Wärme und weil sie selbst diesmal noch glücklich war bei aller nachhaltigen Erschöpfung. Die Geburt ihres dritten Kindes wurde weniger mühelos von der Mutter verwunden, die beiden ersten hatten es ihr leichter gemacht. Henri rief sie herbei, und sie warfen sich in seine Arme, der wohlgeratene Cäsar, die hübsche, schelmische Catherine-Henriette. Henri herzte sie mit vielen Küssen, dann trug er ihnen auf, diese alle sollten sie ihrer lieben Mutter von ihm bringen.
Er entfernte sich von den Seinen ein gutes Stück; seine Schritte wurden lang, wenn er nachsann und erregt war. ›Man will nicht glauben, daß Cäsar wirklich von ihm ist. Rosny sogar hält Bellegarde für den Vater, wenigstens hat er die Verdächtigung weitergegeben. Meint er, daß ich's wissen soll? Kommt ohnedies jedes Geschwätz herum, bis es bei uns anlangt. Meine teure Herrin hört alles über die Medici: wir reden davon nicht, wir kennen uns. Ich meinerseits erfahre, daß ich ein Hahnrei sein soll.‹
Er verschwand in einem der Säle aus grünem Laub. ›Halb Europa ist darauf versessen, mir die Medici in die Hände zu spielen. Nähm ich sie, sogleich wär ich selbst in den Schlingen der universalen Monarchie. Mein Sieg über Spanien soll zu nichts werden, daher der Eifer. Wer aber mithilft, ist mein guter Diener; denn er verehrt das Geld. Ginge es nach seinem Gefallen, er setzt mich unter einen Strom von Gold, mein Herz erstickt darin.‹
Hier gedachte Henri seines Dieners mit Zorn: es war das erstemal, sollte auch nicht bald wieder geschehen. ›Ein Arbeiter, gut, es muß ihn geben. Der sitzt im Arsenal und schreibt, was er selbst nicht versteht. Führt es aus, ob er auch Larifari dazu sagte: genug, daß der Herr befiehlt. Meine Artillerie, sie wäre nicht die erste der Welt ohne ihn. Meine Landwirtschaft, er ist auf sie versessen, als ob sie ein Dienst an sich selbst wäre und nicht an diesem Volk, das Recht und Eigentum jedes einzelnen, den es hungert. Die Maulbeerbäume für meine Seidenraupen, die läßt er mich selbst pflanzen. Ich zeige sie ihm in meinen Gärten, ihm quellen die Augen vor, emailleblau. Ich verordne, daß jeder Pfarrbezirk mit zehntausend Bäumen besetzt wird, und er gehorcht. Er schreibt.‹
»Er schreibt -- und mich hält er bei sich für einen Narren von der Art, die verblüffende Einfälle haben, und manchmal geht es gut aus. Sein Glück ist an das meine gebunden; könnt er mich aber ungestraft verraten, er täte es dennoch nie, seine Natur ist treu. Das haben nur die besten. Wer mehr verlangte, wäre wirklich ein Narr« -- sprach Henri die Wand seines grünen Saales hinan und zuckte die Achseln, mild gestimmt. ›Muß keiner in allen Dingen, Industrie oder Seefahrt, das Heil des Königreiches entdecken und den Bauern, Soldaten, Handwerker, Arbeiter, jeden leben fühlen wie sich selbst. Wer das kann, mag gleichzeitig von besonderer Geburt und der allgemeinste Mensch in aller Welt sein. Das bin ich, und je länger, je mehr find ich mein Wesen und Tun natürlich, dabei unzulänglich.
Dieselbe Ansicht hat von mir das Volk. Was ihm fragwürdig oder ungemein schien, wird bald gewohnt und vergessen sein. Begeh ich mich jetzt unter sie, will sehen, wie viele schon besser gekleidet und genährt sind: sie erkennen mich oder nicht. Nehmen mich indessen gutmütig für ihresgleichen, und mehr verlang ich nicht. Vor wie langer Zeit sagte ich doch: Wenn ihr mich nicht mehr seht, werdet ihr mich lieben. Das war vermessen oder nicht genug. Eine einzige liebt mich.‹
Er trat ins Freie, die Stimme seines kleinen Sohnes hatte nach ihm gerufen. Die kleine Schwester weinte entsetzt; Cäsar bezwang sich wie ein Mann, er sagte ernst:
»Der Mama ist nicht wohl.«
Henri lief zu ihr. Der schöne Kopf lag auf der Schulter, weggewendet. Henri suchte die Augen, sie waren geschlossen, alle Farben erloschen, und dieser Schlaf schien unheilvoll. Ihm stockte das Herz. Er nahm ihre Hand: sie antwortete dem Druck nicht. Er hielt seine geöffneten Lippen vor die ihren und empfing aus ihnen den Atem nicht. Er stürzte vor die Ohnmächtige hin, traf aber mit dem Knie den Rahmen eines Bildes. Sogleich wußte er, was geschehen war. Er ließ das Ding verschwinden. Inzwischen kam sein Sohn mit Wasser, und endlich ließ Gabriele sich erwecken. Nach ihrem Seufzer, erst halb bewußt, sagte sie:
»Ich hätte gern für immer vergessen, was ich sah.«
»Was denn? Du hast geträumt«, sagte Henri sanft, und hierauf dringlich: »Erzähl doch deinen Traum, damit ich dich beruhigen kann.«
Sie lächelte, sie fand den Mut und streichelte seinen Kopf -- dessen Gedanken leider nicht alle ihr gehörten, sondern entwichen zu einer Ungeliebten.
»Wenn du sie liebtest, wärest du vorsichtiger«, sagte sie ihm nahe ins Gesicht.
Er mochte nicht länger fragen, wen. »Was hat ich verschuldet?« bat er. Sie antwortete:
»Nichts, außer in meinem Traum. Sire! Ich habe mich versündigt, denn ich sah Sie eine häßliche Frau an der Hand geleiten mit aller Ihrer Anmut und Verehrung, wie ich sie kenne. Das täten Sie in Wirklichkeit nie.«
»Wie sah sie aus?« fragte er, begieriger, als er wollte. Gabriele bekam hiervon ganz die Oberhand, sie küßte seine Schläfe und sagte freundlich:
»Das zeigt Ihnen kein Bild. Eine Frau muß eine andere beurteilt haben, wäre es im Traum. Sie hatte grobe Gliedmaßen, ja, mit noch nicht zwanzig Jahren fing sie an, Bauch zu bekommen. Die Maler lassen das fort, während sie jedes dumme und gemeine Gesicht, auch die Tochter eines Wechslers, durch Jugendreiz verschönern können mehr als Natur.«
Er hörte ihren Haß und ihre Angst. Sehr sanft sagte er:
»Ich selbst aber hätte all diese Schäden nicht bemerkt -- in deinem Traum?«
»Das mag doch sein, mein teurer Herr«, erwiderte Gabriele. »Ich unterschied, daß Ihre erlesene Höflichkeit eigentlich verstellt war. Indessen erschien Schuster Zamet.«
»Auch der geht durch deine Träume?«
»Nicht einer: zehnmal Zamet, und jeder Schuster mit einem schweren Sack beladen, der drückte ihn bis an den Boden. Alle schielten nach mir von unten aus ihren Mohrengesichtern mit den Sattelnasen.«
»Was tat ich? Gab ich jedem der zehn einen Tritt?«
»Ich fürchte, nein. Ich fürchte sehr, daß Sie vor einer Tür, die Ihnen geöffnet wurde, die häßliche Frau so lange umherführten, bis alle zehn Säcke drinnen waren.«
»Dann aber?«
»Das Ende sah ich nicht, da Sie mich aufweckten.«
»Du sollst es niemals sehen«, versprach er stürmisch und küßte sie auf die geschlossenen Lider; das einzige Mittel gegen deine bösen Träume, reizende Gabriele.
Der König begab sich früher als die Herzogin von Beaufort des ländlichen Aufenthaltes, in seinem Louvre hielt er Musterung unter dem Hof. Den Edelleuten, die ihm den Verfall ihrer Güter klagten, sagte er geradeheraus, daß sie auf seine Freigebigkeit nicht rechnen dürften. Sondern sie sollten nach ihrer Provinz zurückkehren, anstatt in seinem Vorzimmer die Truhen zu drücken. Am schwersten hatte er es hierbei mit seinen Landsleuten aus der Gascogne. Sie waren der Ansicht, da der Ihre auf dem Thron saß, hätten sie ausgesorgt. Einer hielt ihm die Kerze, während Henri einen Brief seiner Liebsten las. Der Gascogner hätte mitlesen können, er verdrehte aber den Kopf bis auf den Rücken. Dafür bekam er, der landsmännischen Rührung wegen, eine Zusage, die nicht gehalten wurde. Seinesgleichen mußte zuletzt erkennen, daß nichts zu machen war, weder auf dreiste noch auf feine Art, bei einem König, der lange arm gewesen war und den Wert des Geldes kannte. Hätte er ihn vergessen, im Gewühl der Gassen fragte er die Leute aus, bis er wußte, was man für einen Pfennig bekommt und wie er verdient wird.
Das sind schwere Vorwürfe: erstens, nichts zu verschenken, und dann, zuviel zu wissen. Den geistlichen Abgeordneten, die kamen, um sich über sein Edikt von Nantes zu beschweren, antwortete er mit der Herzählung ihrer Mißbräuche -- die er wohlverstanden nicht ihnen vorwarf, nur den Zeitläuften. Wollten sie aber mit ihm zusammenarbeiten, dann werde er die Kirche herstellen in ihrem alten Glanz wie vor hundert Jahren. Sie dachten: ›Gab es damals die Mißstände nicht?‹ Und dasselbe meinte der König.
Hart verfuhr er mit dem Bürgertum, das die Plätze im Staat erstürmte, um sich zu bereichern. Noch härter mit den Richtern, die das Recht für die Reichen sprachen. Denen von Bordeaux sagte er auf den Kopf zu: bei ihnen gewänne den Prozeß immer nur der dickste Beutel. Und er hatte seine Rechtsgelehrten geliebt und ausgezeichnet beinah vor allen anderen. Seither war sein Königreich groß geworden über Erwarten -- durch ihn selbst. Wurden jetzt aus aufopfernden Menschen begehrliche, und aus rechtlichen sogar käufliche, die Schuld traf eigentlich ihn selbst, daher sein Zorn. Auf einer Jagd geriet er allein und unerkannt an ein Wirtshaus, dort gab es für einen schlicht gekleideten Herrn nichts mehr zu essen. Gerichtsbeamte, die droben tafelten, wiesen ihn durch den Kellner ab, obwohl der Fremde sich erbot, sein Gedeck zu bezahlen. Er ließ sie herunterholen und durchprügeln, ein neues Verfahren für einen König, der sonst das meiste leicht genommen und gern gelacht hatte.
Von denen, die den König nicht wiedererkannten, sagten die einen, er wäre undankbar. Andere meinten, daß er sich überhebe und nehme in seine beiden Hände alle Dinge auf einmal. Wozu denn Tuch-, Glas- und Spiegelmanufakturen errichten, wenn er schon in seine Seidenraupen mehr als billig vernarrt ist. Für die Raupen und Graupen des Königs läuft Geld um; ja, der Überfluß an Seide muß unter die gemeinen Leute geworfen werden: in Seide gehen die Mägde der Schänken, je schlechter beleumdet Schänken und Mägde sind. An einem Abend erhielt der König eine Lehre.
Er saß in seinem Zimmer am Kartentisch, denn, leider, auch beim Spiel ist er unverdrossen, trotz ständigem Verlieren. Seine Gedanken sind meistens anderswo. Das Zimmer war erfüllt, hinter dem König sahen viele ihm in die Karten. Sein Blatt war schlecht, einen Ausruf der Freude rechtfertigte es nicht. Er aber stieß lachend seinen bekannten Fluch aus -- warf hin, was er in der Hand hielt, sprang auf und sprach:
»Einen Handwerker hab ich hier in meinem Louvre, der macht sie ohne Naht.«
Wie denn? Was denn? Dies erfuhr man alsbald. Der König stellte einen Fuß auf den Stuhl, er strich über seinen seidenen Strumpf und zeigte allen, die eifrig ihre Rücken krümmten, das Gewebe wäre völlig glatt. Sie wollten an soviel Kunst nicht glauben und bewunderten ihn wie den Erfinder selbst.
»Wer hat etwas Besseres?« fragte er. »Meine Untertanen sollen hervorbringen und fruchtbar sein. Großmeister, Sie haben etwas.«
Es war einfach eine Pflaume, die zog Rosny hervor und erklärte seinem Herrn, daß sie lange wäre gezüchtet worden an der Loire, nahe Schloß Sully, bis sie die neue gelb und rote Farbe und eine unvergleichliche Süßigkeit annahm. Die Bauern der Gegend hatten sie die Rosny-Pflaume genannt. Da jetzt andere Landstrecken sie anbauten und ihre Herkunft schon vergessen war, hieß die Pflaume Rouny. »Denn das Volk entstellt die Namen«, sagte der Großmeister.
»Ob richtig oder entstellt«, erwiderte ihm König Henri, »der Ihre wird bei diesem Volk fortleben durch die Zeiten -- unter dem Bild einer Pflaume«, schloß er mit Ironie. Indessen, schnell steckte er seine Füße mit den nahtlosen Seidenstrümpfen unter den Tisch und gab sich den Anschein, er wäre ganz und gar beim Kartenspiel. Hatte aber eine Lehre bekommen.
Man meinte, daß auch diese neben anderen ihm seine unbesonnenen Neuerungen hätte verdächtig machen können. Entlassene Soldaten waren der Schrecken der Straßen, wurden eingesperrt oder sanken zu demütigen Bettlern herab. Seine Soldaten die Hand hinhalten zu sehen, sollte einen König mehr beschämen, als wenn sie Bauern ausgeplündert hätten oder den wohlgenährten Bürgersmann an einer Ecke niederschlugen. Dieser König verlangte, daß sie arbeiteten und ihm hülfen, seine Industrien zu vergrößern. Er hatte nichts im Sinn außer dem Wohlstand aller werktätigen Stände. Ein höchst anstößiger Wohlstand, er machte die Leute übermütig und veränderte von Grund auf das Verhältnis von arm und reich, hoch und niedrig. Die geschuldete Unterwürfigkeit der Gemeinen wurde vergessen. Die handgreifliche Verhaltungsregel, die der Herr vom Hof dem Gewerbetreibenden erteilte, der Mann erwiderte sie mit der Faust. Schickte man ihm ein Dutzend Lakaien, dann kam auch er mit seinen Söhnen und Gesellen auf ein Dutzend. Da es aber aus der Küche fett duftete, setzten mehrere hungrige Bediente sich mit zu Tisch bei dem Tuchmacher, anstatt feindlicher Handlungen. Dies sind die Wirkungen einer unerlaubten Neigung, die Menschen glücklicher zu machen, während gerade die Dürftigkeit ihnen gesund ist und sie in Zucht und Ordnung erhält.
Wer gewohnt ist, daß die weltliche Ordnung, genau wie die göttliche, um ihrer selbst willen, nicht aber für die Glückseligkeit der Menschen fortbesteht, erkennt in der Herrschaft des Königs Henri vielleicht sogar das Erscheinen des Antichrist. Das wenigste ist, daß er sie wegen ihrer gesellschaftlichen Folgen verwirft. Nicht jeder wegen sämtlicher Folgen, denn manche kommen mir, manche dir zustatten: wir denken über sie verschieden. Andere nützen niemandem, kosten aber unser Geld. Die ehrbaren Leute sahen nur mit Mißbilligung zu, wie ihren eigenen Gewerben der Königsplatz erbaut und eingerichtet wurde. Um so eher erhoben sie Einspruch, daß die Schiffe des Königs bis nach der anderen Hälfte der Welt reisen sollten -- wozu? Gold, das eingebildete Gold aus Reichen, die auf der Karte weiß bleiben, so unbekannt sind sie, kalt, leer und ungewiß beschaffen? Wir werden dies Gold mit Augen nie sehen, und auch der König nicht.
Ein Herr de Bassompierre, neugierig von Natur, verfügte sich in ein Wirtshaus, wo von vielerlei Gästen öffentliche Dinge verhandelt wurden. Man merkte ihm den Herrn vom Hof nicht an; er sagte, er wäre ein Fremder. Da erfuhr er denn die wahre Meinung der ehrbaren Leute, nicht gerechnet, was die weniger ehrbaren beitrugen. Als er einige Zeit hingehört hatte, äußerte Bassompierre: »Die weiß gebliebenen Länder, von denen man hier spricht, ich war dort.«
Eingeladen, näher zu rücken, fragte er, ob die Gerüchte wahr wären. »Der König von Frankreich hat die kältesten Teile der Neuen Welt ausgesucht, um euch dort anzusiedeln?«
Dies sagte er nicht in der Absicht, den König bei ihnen herabzusetzen, sondern einfach, um die Stimme des Volkes zu vernehmen, damit hätte er bei Hof geglänzt. Übrigens hatte er die fernen Indien nie betreten, noch irgendeine Reise zur See gemacht.
Die ansehnlichen Bürger am Tisch enthielten sich vorsichtig der Entrüstung, die gewiß angebracht war. Ein windiger Kunde, der sauren Wein trank und seine Ärmel waren geflickt, dieser verwahrte sich im voraus, falls er mit Frau und sechs Kindern sollte verschifft werden. Er entrichtete unter Entbehrungen, so schrie er, was er dem König schuldete. Fehlte nur noch, daß ein Kahn des Königs ihn und die Seinen am Rande der Wüste aussetzte, um hiernach getrost von dannen zu segeln.
Der neugierige Herr unterließ nicht, die Gesinnung der Leute gründlicher zu prüfen. Gerade die kältesten Indien besäßen Minen, er habe sich durch Augenschein überzeugt, behauptete er; bis zum Rand wären sie voll von Gold. Den Zeichen des Unglaubens, die ihm begegneten, antwortete er mit dem Hinweis auf Spanien, das seine ganze Macht den Schätzen von Peru verdankte, und hätte ohne sie nach diesem Königreich, eurem Lande, die Hand nie ausgestreckt.
»Dafür hat unser König Henri die Spanier geschlagen, keine Reichtümer des Indiens, das Sie da nennen, halfen ihnen.« Dies sprach ein gesetzter Mann im Schurzfell des Gerbers. »Der König ist der Freund unserer redlichen Arbeit, das hab ich selbst erfahren und weiß es. Er schickt nicht Abenteurer in die Weite, damit sie das unverdiente Gold holen.«
An einem Ende des Tisches tafelte ein Gerichtsschreiber, hatte am Morgen von einer Partei ein Trinkgeld bekommen, und am Abend verzehrte er es. War ohnedies gerötet, aber sein Kopf schwoll heftiger vom Zorn an, er kollerte:
»Immer noch besser, sie schlagen drüben die Wilden tot, als daß die Hungerleider uns vor den Türen unserer eigenen Häuser auflauern.«
Der Schreiber hatte in Wirklichkeit kein Haus, um so eifriger war er für den Besitz. Ihm wurde zugestimmt. Der Neugierige, der genug gehört hatte, wollte aufstehen und weitergehen. Nun war während des ganzen Gesprächs ein Unbeteiligter zugegen, saß an der Wand auf einer Bank, dort machte er sich mit einem Blatt Papier zu schaffen. Da er jetzt in das Licht trat, wurde bemerkt, daß er alt war. Seine vielgetragene Kleidung schien nicht durch körperliche Verrichtungen abgenutzt so wenig wie die Gestalt, denn sie war straff geblieben. Das Gesicht bewahrte Züge, wie sie wohl vom Lernen und Wissen entstehen, aber Menschen, die mit ihren Händen arbeiten, halten sie leicht für die Spuren von Traurigkeit.
»Herr de Bassompierre«, sagte er zu dem Neugierigen. »Auch Sie nennen sich einen Seefahrer, daher wage ich anzunehmen, daß mein Name Ihnen bekannt ist. Ich bin Marcus Lescarbot.«
Der Angeredete wurde hier recht verlegen, denn allerdings wußte er von dem Mann. Ohne an Böses zu denken, erwiderte er:
»Sie sind noch aus der Umgebung des Admirals Coligny.«
Die Leute am Tisch verständigten einander. Ein Protestant.
»Ich war wirklich«, sprach der Hinzugekommene, »unter den ersten Franzosen, die nach Neufrankreich gereist sind. So heißen die nördlichen Küsten Amerikas, seit wir sie betraten. Das ist ein Reich mit Ufern von tausend Meilen, dahinter ein Erdteil, und wir haben ihn erforscht. In diesen schnellen Entwurf, den ich bei wenig Licht machte, sind eingezeichnet die Bodenschätze, Fischereien, Pelzjagden und das fruchtbare Land, nebst der Wärme der Jahreszeiten. Nicht vieles ist weiß geblieben auf meiner Karte. Ich reiche sie denen, die sie nicht kennen und die Reise nach den kalten Indien niemals unternahmen, obwohl sie gar nicht kalt sind.«
Der Mann, der sich Lescarbot genannt hatte, legte das Blatt auf den Tisch, sah aber weiter in die Augen des Herrn vom Hof. Während alle Gäste über der Karte die Köpfe zusammensteckten, bat Bassompierre leise:
»Setzen Sie mich nicht länger in Verlegenheit, weil ich gelogen habe. Es geschah, um zu erforschen, wie die Leute denken, und es dem König zu berichten, denn er muß es wissen.«
»Indessen«, sagte der andere, »wichtiger wäre, daß die Leute wüßten, wie der König denkt.«
Der Höfling gab sich ehrfürchtig, ja, bescheiden. »Niemand darf sich dessen rühmen. Ein großer König erwägt vom Für und Wider mehr, als wir fassen können. Die Majestät hat Sie angehört. Leugnen Sie es nicht«, verlangte er, da der Mann abwehrte. »Oder ich würde Sie auf einer Lüge ertappen, wie Sie mich. Die Majestät hat Sie angehört, dann aber hat sie auch ihrem Minister das Ohr geliehen.«
»Dem berühmten Herrn de Sully.« Diesen Namen sprach Marcus Lescarbot anders als jedes vorige Wort. Es war ein Ton der Bitterkeit, des geistigen Hasses, einer Feindschaft, die tiefer geht als jede persönliche. ›Warum verstellt er sich nicht?‹ dachte Bassompierre. Seine Gefühle für Rosny treten in all ihrer Blöße hervor, und der Gelehrte hat auf einmal das Gesicht eines Kannibalen.
»Berühmt, einflußreich, und ohne ihn geschieht nichts«, warf der Herr vom Hof leicht hin. Der Alte, weit Umgetriebene ließ ihn stehen, er wendete sich an die Gäste dieser Schänke, die seine Karte lasen. Ihnen erklärte er Nordamerika mit einem Feuer, einer wilden Inbrunst -- sie glaubten auf dem Jahrmarkt zu sein und hörten mit offenen Mündern einen Wunderarzt sein Allheilmittel anpreisen.
»Was soll es kosten?« fragten mehrere. »Die Schiffe auszurüsten, das Gold abzuholen, und wenn die Flotte scheitert?«
»Sie scheitert nicht«, bestimmte der Fremde, bleich vor Leidenschaft und dadurch noch verdächtiger. »Auch schlagt euch endlich das Gold aus dem Kopf. Ihr redet wie ein unfähiger Minister, ihn bekümmert nichts außer den Schätzen, die glänzen. Segensreich sind aber nur die Schätze, mit denen die Natur unsere Arbeit belohnt. Der Goldschacht, den ich kenne, heißt Brot und Wein mitsamt dem Viehfutter. Hab ich das, hab ich Geld.«
Die Leute bedachten sich. Die Kleidung des Mannes war abgetragen. Er hatte noch kein Viehfutter heimgebracht aus den kalten Indien. Gleichwohl machte einer am Tisch seine Stimme frei, es war der Gerber, er sagte:
»König Henri wird nicht Abenteurer in jene Länder schicken, ich kenne ihn, er hat in meiner eigenen Werkstatt mit zugegriffen, wie allbekannt. Können Sie ihm zeigen, daß dort drüben die Arbeit lohnt, dann sind Sie sein Mann.«
»Ein Glas!« rief Lescarbot der Seefahrer aus der Zeit des Admirals. »Ich bin noch nüchtern. Mit dem Gerber will ich anstoßen.«
Er trank in einem Zuge aus. Endlich setzte er sich und sprach ihnen allen vertraut in die Gesichter.
»Der König will es«, sagte er. »Beginnt hiermit, wie in vielen anderen Sachen, was er sich vorgesetzt hat seit seiner Jugend. Kein Minister wird ihn abschrecken, der mag ihm erzählen, daß oberhalb des vierzigsten Grades nichts wächst und gedeiht. Der König weiß eins: es gedeihen dort Menschen. Die sind wild und kennen die Heilslehre nicht: um so eher sollen wir hinfahren und sie retten -- auf die Gefahr, selbst zu scheitern. Denn Menschen sind drüben und hier, sie verdienen, daß wir für sie sogar scheitern. Hört ihr mir zu?«
Je ernster sie lauschten, um so dringlicher seine Frage. Ein Tischgenosse unter vielen hatte den Kopf zwischen seine Hände genommen, er starrte mit aufgerissenen Augen nach etwas, das nicht hier war. »Ich höre«, murmelte er, ohne die Lippen zu bewegen. In der völligen Stille sprach Lescarbot.
»Menschen sind hier, die keine Arbeit finden und nicht satt essen -- entlassene Soldaten und der Überschuß der Handwerker. Sogar von unseren weltbekannten Tuchfabriken liegen manche noch still.«
»Wem sagen Sie's«, murmelte der Gast mit dem Kopf zwischen den Händen.
»Menschen sind drüben, sie verstehen kein Gewerbe und beackern wenig Boden. Dazu sind sie Heiden. Auch ihretwegen sollen wir zur See fahren. Die Menschen drüben, die Menschen hier, unser König hilft beiden; das ist seine Meinung, wenn wir zur See fahren. Wir haben gefragt und er mit uns anderen, zu der Zeit, als er Navarra hieß und war ein Hugenott: Dürfen wir die Länder, die Neufrankreich genannt werden, seitdem wir zu ihnen die Fahrt nahmen, dürfen wir sie denn besetzen, ihre Bewohner berauben? Nein. Sondern wir wollen ihre Freundschaft erobern, bis sie unseresgleichen sind. Sie ausrotten, wie der Spanier getan hat, wir haben es nicht im Sinn mit den fernen Völkern. Wir halten das Gesetz der Gnade und des Mitleids, nach dem Wort unseres Heilands: ›Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.‹ Ich will euch trösten, nicht aber euch ausrotten, das ist die Meinung des Herrn, und keine andere hat unser König.«
Völlige Stille und bestürzte Gesichter -- immer wieder ist schwer zu begreifen, daß wirklich gehandelt werden soll nach dem Gesetz der Menschlichkeit, und derart handeln will der König. Dem Gast, der den Kopf zwischen den Händen hielt, wurde der Blick von Tränen verdunkelt, um so besser sah er, was innen war. Ihm erschien die Brücke im Regenguß, das Geländer, er selbst schon halb hinüber, hatte angefangen zu gleiten, sollte alsbald stürzen. Einer riß ihn zurück. War vorher weithin niemand in Sicht gewesen, und anstatt der Menschenleere, die er schon für endgültig gehalten hatte, reißt einer ihn zum Leben zurück. Bedeckt seine Blöße mit dem eigenen Mantel, läßt ihn von einem Soldaten nach dem Hospital begleiten, läßt ihn heilen, gibt ihm Arbeit, und aus dem verlorenen Studenten der Gottesgelehrtheit wird der Tuchmacher, der hier sitzt, einer der wiedererstandenen Tuchmacher in den Fabriken, die eröffnet sind.
Der ehemalige Selbstmörder will reden, zum erstenmal drängt es ihn, mitzuteilen, was er weiß. Es ist ihm bis jetzt nicht rühmlich erschienen, auch nicht besonders wissenswert. Plötzlich geht ihm eine Welt auf: übervoll von Geschehen, er aber hat hineingeblickt. Er stammelt, bekämpft die Erregung, er spricht. Hingewendet ist er zu dem Gerichtsschreiber, den hat er ausgesucht, unbekannt warum. Dem Schreiber, der bestochen und vollgefressen ist, bleibt vollends unbewußt, warum er andächtig zuhört. Ist denn dies ein Prozeß und geht um viel Geld?
Marcus Lescarbot hatte seinen Zweck erfüllt, er machte sich leise davon. Dicht hinter ihm war Herr de Bassompierre, er war entschlossen, diesem wichtigen Mann nicht von den Fersen zu weichen. Jetzt ist kein Zweifel mehr, wie der König entschieden hat. Der königliche Statthalter für Neufrankreich ist ernannt, und mit Glanz soll er eingesetzt werden. Das nächste Bild in Sachen der Kolonien, wie es bei Hofe sich zutragen und prunkvoll dartun wird, der Neugierige errät und kennt es. Das vorige hat in der Schänke beim Volk gespielt, und daraus folgte das letzte. Dabeigewesen sein ist für den Neugierigen alles.
Die Abgehenden wurden aufgehalten durch mehrere Musiker, die in die Schänke drangen. Geige, Harfe und ein Sänger, hier fanden sie alles versammelt, Was Ohren hatte, den Höfling, den Gelehrten und Seefahrer, die seßhaften Bürger, ehrbar, weniger ehrbar, ganz windig, und solche, die gestohlen hatten, und solche, die gerettet waren. Vor all dem Volk ließen sie erklingen:
Reizende Gabriele.
König Henri ist um und um in silbrig funkelndem Eisen. Er steht erhöht vor seinem Thron, darauf sein purpurner Mantel liegt. Über ihm schwebt rot ein Baldachin, schwebt frei inmitten des Saales und wird von nichts getragen. Die weiße Wand des erbauten Thrones ragt glatt und schmal, an ihrer Spitze die goldene Lilie verliert sich in den roten Himmel. Die weiße Wand des Gebäudes, das eine Kapelle oder ein Thron ist, spiegelt. Sie wirft den Widerschein der Majestät zurück. Die Majestät auf ihrer entrückten Ebene, kein Auge erblickt weder sie noch ihren Abglanz, da alle Rücken bis jetzt gebeugt sind.
Gabriele d'Estrées verneigt sich tief und lange. Sie ist von allen, die der Majestät huldigen, die nächste am Thron. Vor und hinter ihm, inmitten dieser Galerie, die kein Ende nimmt, verehrt den Thron ein kleines Gedränge demütiger Schultern und Gesichter. Der Thron inmitten, sie selbst ihm die nächste. Noch versinkt sie vor der Majestät, wird aber alsbald die Stufen ersteigen, der Connétable und der Großmeister werden sie führen. Diese sollen nachher umkehren und drunten bleiben mit den anderen. Gabriele d'Estrées wird unvergleichlich erhöht sein und über sich niemand haben als einzig die Majestät. Zu Füßen der Majestät, am Rande des erbauten Thrones wird sie sitzen, aber ihr Kleid muß niederhängen von den Stufen zum Zeichen, daß sie die Königin und dennoch nicht die Königin ist. Ihre geneigte Stirne denkt: ›Wann?‹ Sie denkt: ›Bald, das nächste Mal, schon heute in der folgenden Stunde, ach, nie.‹
Ihr Kleid ist weiße Seide, silbrig wie der Panzer des Königs. Das Kleid der Königin wird roter Samt, helles Rot wird es sein vom Ton des hautlosen Fleisches. Gabriele beschließt, es sich machen zu lassen auf jede Gefahr. Ihr lieber Herr, sie fühlt es, streckt soeben die Hand nach ihr aus, sie an sich und hinanzuziehen! Sie erhebt die Augen: nein, die Majestät bewegt den Finger nicht oder auch nur das Glied des Fingers, damit es sie riefe. Sein Gesicht ist in die Ferne gerichtet, weiter als dieser Saal, hinweg über das Gedränge des Hofes, das Volk, das hereinquillt.
Durch alle Eingänge quillt Volk, denn sie sind ihm geöffnet. Kniet hin, rutscht auf den Knien bis in den Tempel der Majestät, wo sie über den gebeugten Rücken thront und ihr Gesicht wahrt. Gabriele denkt: ›Wahre dein Gesicht, Liebster, ich kenne in deinem Panzer den Körper, straffer Leib mit einigen Narben, jung geblieben, aber oftmals krank. Ich hab ihn viel gepflegt, viel geliebt.‹
Sie hätte fast ihre Rolle vergessen. Der Connétable und der Großmeister nehmen ihre beiden Hände und führen sie die Stufen hinauf zu ihrem Sitz am Rande des Thrones. Sie läßt sich nieder, ihr Kleid hängt über zwei Stufen. Die Majestät wechselt die Stellung ihrer Füße, sie erweitert ihre Lider gewaltsam und wahrt ihr Gesicht.
Connétable und Großmeister sind an ihre Plätze zurückgekehrt. Das ist das Zeichen für alle anderen, aus ihrer Verneigung emporzukommen, sich zu teilen und die erwarteten Gruppen zu bilden. Eine Stufe tiefer als Gabriele läßt Madame Schwester des Königs sich nieder. Es ist die breiteste der Stufen, ihr Kleid hängt davon nicht herab. Unterhalb und wohlbedacht, die höchsten Damen nicht zu verdecken, stehen der Kanzler, der Großmeister und der Connétable. Links von der Majestät, die aber entrückt ist durch die leeren Stufen des Thrones, leer und unzugänglich, daß man schaudert -- besetzen einige unansehnliche Figuren entschlossen den Raum. Man läßt ihnen davon auffallend viel.
Der Hof teilt sich wie vorgeschrieben, hier Damen, dort Herren, die einen und die anderen nach Rang und Verdienst dem Throne ferner oder näher. Prinzessinnen, die Marschälle und Präsidenten, königliche Prinzen mit dem kleinen Vendôme, sie alle halten beiderseits vorn, wo Licht einfällt. Vorhänge fangen es ab, sinnreiche Gläser verstärken es. Der Sonnengott ist allein nach dem Thron gewendet. Jenseits seiner Strahlen, die allein auf die Majestät zielen, verfließen die menschlichen Umrisse des Hintergrundes. Der entfernteste trägt einen Flecken weißer Schulter bei, und von einem sonst aufgelösten ist übrig die gehöckerte Nase. Farben und Umrisse werden nach hinten schwächer, bis sie zergehen. Indessen liegen graue Schleier auch über den vorderen Gestalten, insofern nicht eine ihrer Fronten oder Linien von der Majestät den Abglanz leiht. Der Sonnengott ist nach dem Thron gewendet.
Die Mitte wird infolge himmlischer und menschlicher Anordnung zum Quell des Lichtes selbst, die geoffenbarte Majestät sammelt es auf sich, nur unzusammenhängende Erleuchtungen entsendet sie. Sollte man von ihr geblendet sein, am blindesten ist dennoch die Majestät. Vergebens zieht sie die Brauen höher, reißt die Lider weiter auf. Außerhalb ihres eigenen Blendwerkes die verschiedenen Tiefen des Schattens bleiben undurchdringlich. Sie glänzt hinein und sieht sie nicht. Das weiche Rutschen am Grunde eines dunklen Schachtes läßt die Majestät ein kniendes Volk erraten. Henri denkt hinter seinen gequälten Augen: ›Was für ein Wahnsinn! Hab ich das gewollt?‹
Es ist Zeit, daß die Majestät ihre Unbeweglichkeit aufgibt und einen Handgriff tut. Der alte Kanzler reicht zu ihr hinauf ein Pergament mit angebundenem Siegel. Henri nimmt es; dabei kann er eilig befehlen, daß der Zauber zu beenden ist. »Abblenden!« raunt er. Die sinnreichen Gläser werden gerückt, die Vorhänge umgelegt, man sieht wieder einigermaßen in die natürliche Wirklichkeit. Aufgepaßt, der erste Blick des Königs sucht an der langen Wand in ihrer halben Höhe eine Nische und hinter ihrem Geländer die Staffelei, die den Maler verbirgt. Der Maler streckt sein junges Gesicht hervor: er nickt. Die Majestät kann beruhigt sein. Ihre Erscheinung ist von kundigen Augen festgehalten, eine sichere, schnelle Hand hat die Minuten ausgenutzt, als ein König, der groß heißt in aller Welt, aus ihr entrückt und eitel Majestät war. Der Maler lächelt, beschützt wie er ist von seinem Gerät.
Der König spricht nunmehr. Er hat das Pergament gerollt, er stützt es gegen seine silberne Hüfte. Seine andere Hand wendet sich an die fernsten seiner Hörer, die bis jetzt auf den Knien lagen. Da der König winkt, kommen sie vom Boden auf, und ihre Sohlen machen weniger Geräusch als vorher das Rutschen. Sie lauschen. Der König auf seinem Throne spricht.
»Menschen sind hier, die keine Arbeit finden und nicht satt essen -- entlassene Soldaten und der Überschuß der Handwerker. Aber in Neufrankreich sind Menschen, die verstehen kein Gewerbe, beackern wenig Boden und kennen nicht das Heil der Seele. Um dieser und jener Menschen willen sollen wir zur See fahren.«
Von jetzt ab richtet der König seine Worte an die unansehnlichen Gestalten, die sonderbar nahe seinem Thron stehen. Man muß wissen, daß vor ihm in einer Schänke ein denkwürdiger Gast dasselbe gesprochen hat. Gerade der Gast wird heute wiedergefunden zunächst den Stufen des Thrones, als eine der unansehnlichen Gestalten, deren vorderste aber ein Admiral ist. Kein herausgeputzter Seeheld, ein verwitterter Admiral, ganz danach angetan, die königlichen Unternehmungen durchzuführen mit körperlicher Ausdauer und Festigkeit des Geistes. Wird demnächst dieser Gaben bedürfen und nicht weniger seine Gefährten. Auch Marcus Lescarbot, sein abgetragenes Gewand und strenges Gesicht, die kleine Schar der anderen Seefahrer, alle wären auf der Stelle bereit und angetan, ihr Schiff zu besteigen für die ungewisse Fahrt durch Nebel oder Sturm. Wer nicht scheitert, sichtet Neufrankreich.
»Dürfen wir die Länder, die Neufrankreich genannt werden, besetzen und sie ihren Bewohnern wegnehmen? Nein. Sondern wir wollen die Freundschaft der Menschen erobern, bis sie unseresgleichen sind. Sie ausrotten, wir haben es nicht im Sinn mit den fernen Völkern. Ich will euch trösten, hat der Herr gesagt. Euch ausrotten, sagte er nicht; aber sein Wille ist auch der Wille eures Königs.«
Die Worte sind alt, ihre Meinung göttlich, was niemand leugnet, und einem König geziemen sie. Die Kolonien bleiben dennoch ein wolkiger Einfall, kann glücken oder nicht. Was wahrscheinlich das Ende wird? Das Wrack mehrerer Schiffe und eine wüste Insel, darauf einige Gescheiterte. ›Larifari‹, denkt Herr de Rosny-Sully, er sieht von denen, die niemals Gold bringen werden, hinweg in die Luft.
Ihm gerade gegenüber gedenkt Marcus Lescarbot der alten hugenottischen Seefahrer und eines Kanzlers im ehemaligen Navarra. Der hielt als erster die Kolonien für eine Verpflichtung des Humanismus. Von ihm sind die Worte, die wir beide immer bewahrt haben und heben sie endlich hervor, jeder aus seinem beständigen Herzen. Ich trage sie jetzt wieder zu den Leuten, er aber spricht sie herab von seinem Thron. Inzwischen sind wir grau geworden. Der Weg ist lang nach Neufrankreich -- bemerkt hier ein Mann, der den Mut hätte verlieren können. Weit zurückblicken, verlängert auch die Strecken, die noch vorn liegen.
Der König erhebt das Pergament mit dem angehängten Siegel, er hält es vor den Admiral hin, aber bis jetzt nicht niedrig genug, daß der Admiral danach greifen kann. Der König verkündet für alle:
»Ich ernenne den Marquis de la Roche zu meinem Generalstatthalter im Lande Kanada, Neufundland, Labrador --«
Er zählt noch mehrere Namen auf. Den Seefahrern sind sie geläufig, auch auf den öffentlichen Plätzen hat man sie letzthin gehört und konnte sie ablesen von Weltkugeln. Die sind versehen mit Bildern, Ungeheuern des Meeres, Göttern, Nymphen, Kannibalen und fremdem Getier, die einen fürchterlich, alle wunderbar. Infolge des Reizes, den die Märchen haben, beschließt aus dem Volk eine Anzahl, dem König zu glauben und wollen mit seinem Statthalter in das Unbekannte reisen. Sie sind zur Stelle, sie dringen hier ein. Durchlassen! Wir müssen zum König. Allerdings fällt ihnen das Herz in die Hosen, nicht wegen der Nymphen oder Menschenfresser, vielmehr weil mit jedem Schritt der Thron ihnen näher rückt.
Der König kommt denn auch zu ihnen herunter. Dem Admiral schiebt er die großartige Ernennung einfach in den Rock und küßt ihn auf beide Backen. Alsbald ist er bei den gutwilligen Kolonisten, die ihm glauben, sollen aber vielleicht am Skorbut sterben oder auf wüste Inseln verschlagen werden. Er warnt sie mit lauter Stimme, noch ist Zeit, nach Hause zu gehen. Kehrt doch keiner um, jetzt gerade nicht, hier spricht der König und legt seine Hand auf die Schulter dir und mir.
Noch hört man außerhalb der Menge, in die er sich begeben hat, seine Ermahnungen und guten Wünsche. Dann wird er leiser, und was nachfolgt, ist gewaltige Freude bei den Leuten. Die Herren vom Hof sehen einander an. Man weiß, wie er's macht. Ein Junge wird ihm anvertraut haben, daß er wegen der Nymphen mitreist, und dieser König ist der Mann, sie ihm im voraus zu beschreiben, daß ihm die Augen brennen. Allgemein reißt Munterkeit ein. Mehrere erdreisten sich, sie tasten den Thron an, sie wollen um ihres künftigen Heiles willen die letzte seiner Stufen berührt haben mit ihren Fingern, wenn nicht mit dem Gesäß. Dabei geht nun der König verloren.
Wo ist er? Man sucht ihn, der wohlgeordnete Hofstaat verwirrt sich. Verschwunden ist überdies die Herzogin von Beaufort mitsamt Madame Schwester des Königs. Unterhalb ihres früheren Sitzes trifft man allein den Pagen an, und dieser hält auf seinem Schenkel mit unverzagtem Pflichtgefühl den schweren Helm des Königs, ein aufgerissenes Löwenmaul. Man fragt ihn, er schweigt. Der neugierigste der Herren sagt ihm in das Ohr: »Kleiner Sablé, sprich doch. Er ist bei dem Maler droben. Nicht einmal ich hab aufgepaßt, nur du. Stummer Wilhelm! Wird's bald?«
Der Page stülpt dem Neugierigen den Helm über, dem vergeht Hören und Sehen.
Als Henri das obere Zimmer öffnete, fand er Peter Paul Rubens beschäftigt, auf seine schwarzweißen Entwürfe eilige Farben zu setzen. Diese waren Flecken ohne Zusammenhang, wie auch die Sonne sie in das wirkliche Bild geworfen hatte, als sie mit ihren Strahlen die Figuren zerschnitt und löste alle festen Formen, bis sie Wechselfälle des Lichtes wurden. Der Maler hatte die Vorgänge unterschiedlich auf Blätter gebracht: den thronenden König, den König, der spricht, der sein Volk herbeiruft und der unter die Leute steigt. Seine hochgelegene Nische hatte dem Maler gezeigt, was allen entgangen war, den König bei seinen Seefahrern und künftigen Kolonisten, mit ihnen Brust an Brust, die Hand auf der Schulter eines Jungen, der hingerissen die Augen schloß. Der Maler hatte sich erlaubt, des Gelächters, so laut es gehört worden war, gar nicht zu gedenken. Die Männer um den König staunten, mehreren ging von selbst der Mund auf.
Der König war wirklich spannend anzusehen, seiner gewiß wie nur ein Seefahrer, der von keinem Scheitern weiß; aber die Lippe ist verzogen infolge eines Messerstiches und die Brauen steigen schmerzlich hinan, um die rechte schlingt sich eine Falte.
Henri sagte:
»So ging es nicht zu. Ist aber die Wahrheit. Herr Rubens, das Blatt schließ ich ein, will Ihnen für kein genaues Bildnis mein Gesicht leihen. Die Höfe Europas dürfen es dergestalt nicht kennen.«
»Sire! Die Höfe, die mich rufen, bekommen von mir, was sie sich wünschen, jeder nur seinen äußeren Schein. Es war nicht überall rätlich, das Innere nach außen zu kehren.«
So sprach der junge Rubens frohgemut. Hell und gewinnend betrachtete er diesen großen König und hatte schon hier das Bild von ihm fertig, gedachte es aber ähnlich zu malen bis zum Unwahrscheinlichen.
Henri: »Sie würden aus mir einen traurigen Mann machen.«
Rubens: »Anders, Sire. Einen Liebling der Götter, dem sie es sauer werden lassen. Legten aber unter seine vielgeprüften Züge ihre eigene, ewige Heiterkeit.«
Henri: »Ist es nun der Umgang mit den Höfen, der Sie gewandt reden läßt? Ihr Flamen seid sonst von langsamer Zunge. Sie haben eine lustige Arbeit, Herr Maler. Mit den Menschen umspringen, wie? Nach ihnen gestalten, was sie scheinen, aber mit in das Bild nehmen, wie es unter der Haut zugeht. Da haben Sie noch Ihre glatte Stirn, den blonden Bart, und kennen auswendig, wie wir alle gebaut sind. Auch ich -- als ich jung war, las ich am liebsten den anatomischen Atlas.«
Der König wendete die Hand, eine Bewegung des Sinnes, daß er Arbeiten getan habe auf Grund vieler Belehrungen durch die menschliche Beschaffenheit. Hierauf verstummten diese beiden. Sie standen unter einem Fenster mit kaltem Licht. Das Zimmer war leer, nur der Tisch, darauf die Entwürfe. Sie sahen weder die Entwürfe noch einander an.
Die Tür wurde geöffnet für die Herzogin von Beaufort und Madame Schwester des Königs. Rubens verneigte sich höfisch. Beim Eintreten des Königs hatte er es sich und ihm geschenkt. Henri stellte ihn vor.
»Das ist Herr Rubens, der schon den Ruhm kennt, und dieser erhöht die Maler über die Fürsten. Herr Rubens hat aber keinen Pinsel fallen gelassen, und ich konnte keinen aufheben.«
»Sire!« sagte Madame Schwester. »Wir sind begierig, Ihren Thron zu sehen.«
Der Maler, in vorgeneigter Haltung:
»Madame, Sie kennen ihn besser als ich. Sie saßen selbst zu Seiten des Königs.«
Henri antwortete: »Da haben Sie's, Herr Rubens. Madame wird ihre und meine Größe erst glauben, wenn Sie davon ein Bild gemacht haben.«
Gabriele schob mit den Spitzen zweier Finger die Zeichnungen auseinander. Ihr war nicht entgangen, daß der Maler bei ihrem Erscheinen eines der Blätter umgewendet und bedeckt hatte. Er folgte aufmerksam ihren Fingern, er wußte nicht: ›Darf sie es finden? Vorsichtiger wär's, ich behielte es für mich, entstellte die Ähnlichkeiten und gab ihm einen Namen aus den alten Sagen. Ich mach es fünf Fuß hoch, vier breit, es wird ein Bild von mir und damit gut.‹
Nun stieß Gabriele nicht auf das Bild, das der Maler umgewendet und versteckt hatte, sondern was sie hervorzog, waren einzelne Gruppen von Figuren. Gleich die erste, diesen langen und hohlen Rücken erkannte sie noch früher als das steinerne Profil. Sie erschrak, das Blatt fiel ihr auf den Fuß. Henri war schneller als der Maler -- hielt das Blatt und küßte die teure Herrin, bevor er ihr in das Ohr sprach:
»Sie haben recht. Hier ist er ein Schreckensmann. Betrachten Sie lieber Ihre eigene Gestalt in einer noch schöneren, wenn es die gibt.«
Madame Schwester hatte glücklich gegriffen und zeigte der Herzogin, um sie zu trösten, ihre eigene Person, abkonterfeit in der vollen Pracht der Formen, die Fleischtöne leicht angezeigt, ja, auch der Glanz der Seide. Da lehnte die reizende Gabriele, schon recht voll gediehen, wenn man es sagen sollte, und um so würdiger des Thrones; etwas tiefer saß Kathrin. ›Aber der Page!‹ sah Kathrin und erschrak. ›Er steht am Boden zwischen uns beiden, stützt auf seinen Schenkel den Helm, das aufgerissene Löwenmaul -- und geschnitten ist sein Gesicht wie das meines Bruders, als er jung war. Was ist dem Maler eingefallen. Daß nur Gabriele nichts bemerkt! Nein, wie könnte sie. Die Zeit, als wir so jung waren, gehört nur mir, und dies Gesicht kenn ich allein.‹
Hiernach wollte Kathrin nichts anderes ansehen, sondern erinnerte an den Aufbruch. Der König nahm die Hand seiner Liebsten, sie wären gegangen. Rubens sagte wider seinen Willen: »Ich habe noch etwas.«
Er meinte das, was er eigentlich gesonnen war, für sich zu behalten, ein Bild von mir und damit gut.
»Tatsächlich«, sagte der König. »Sie zeigen uns Einzelheiten. Wo ist der gesamte Anblick?«
Da zog Rubens ein Blatt hervor, hatte es umgewendet und versteckt, jetzt spannte er es zwischen seinen Händen auf. Madame Schwester hatte genug gesehen, sie wollte fort, sie hätte sich einsam gern zurückgedacht. Denn vor ihr, was liegt vor ihr? Sie fühlte die Traurigkeit kommen wie jetzt öfter, und hielt sie für keine Vorbedeutung eines langen Lebens.
Henri und Gabriele ließen einander nicht von den Händen, beiden stockte der Fuß. Sie verhielten sich in Wahrheit als Gebannte, die nicht von der Stelle können und strecken nur die Köpfe vor.
Der Thron, ein weißes Nichts, inmitten der Umriß der Majestät ausgelöscht vom übermächtigen Licht, aber die tausend unwägbaren Strahlen nehmen feste Formen an. Das sind Engel und Amoren, ihr gehäuftes Schweben, ihr Sturz und leuchtender Bogen von umschlungenen Gliedern, ihr Jubel des Himmels, ihre unsterbliche Flut. Die Majestät, ein schwacher Umriß, erkennt mit aufgerissenen Augen nichts, weder die menschlichen Schatten unter ihr noch die hereingebrochene Flut der Engel und Amoren. Am Rande des Thrones aber sitzt eine Frau, die von dem göttlichen Schein entkleidet ist und ist nackt. Sichtbar in aller Fülle, allem Segen wird das Fleisch der Frau, davon, daß über ihr der Herr des Lichtes thront, wenn auch erloschen vom eigenen Übermaß.
Henri sprach: »Wie das arbeitet! Zu viel, zu viel, und wir sind ausgelöscht. Sie sollen das Bild malen, und ich will es oft betrachten, um demütig zu werden. Das sind wir und nicht mehr als das.«
Rubens sagte betreten: »Demütig meinte ich es keineswegs. Ich nenn es Majestät.«
Gabriele -- angewandelt von der unruhigen Lust, zu büßen und sich zu erniedrigen, wie ihr lieber Herr: »Die Frau ist ihres Stolzes entkleidet und daher ist sie nackt. Nicht um des prunkhaften Fleisches willen, denn das soll verfallen. Ich seh und beschwöre, daß sie das Knie bewegt und will auf den Knien liegen vor der Größe, wie sie dasteht.«
Hiermit hatte sie ihr Gefühl gefährlich gesteigert. Diese Frau in höchst bedrohter Lage ihres Lebens verwandelte das schönste Bild in ein schreckliches -- weshalb ihr Gesicht zu reinem Entsetzen überging. Henri hatte sie fortgezogen. Der Maler wollte das Bild aus ihrem Blick entfernen. Sie streckte aber die Hand danach aus.
»Das ist mein Körper«, sagte sie mit einer Stimme, die nicht die ihre war, leidensvoll gebrochen. »Einer hat ihn studiert außer mir. Wer jede Falte meines Fleisches kennt, gewiß verrät er auch, was aus mir werden soll, und ist ein Astrologe.«
»Kein Astrologe, ein Anatom«, rief Henri. Zu spät, Gabriele warf sich an seine Brust, ihr schauderte. Sie hatte von ihrem Abbild das lebendige Fleisch wegschmelzen gesehn. Am Rande des Thrones, nicht mehr zu seiner Mitte gelangt, saß ein Gerippe.
Im Herbst dieses Jahres wurde Alexander Monsieur getauft; der Aufwand an Festlichkeiten übertraf alles. Der Hof hatte vor Augen, daß die teure Herrin seit ihren beiden vorigen Kindern das erträgliche Maß überschritten hatte, und es wäre die höchste Zeit, ihr ein Ende zu bereiten. Ein Ende, es konnte heißen, den König noch einmal verliebt zu machen. Madame de Sagonne empfahl es, sie übernahm auch die Wahl des Gegenstandes. Die Schönheit, ausgesucht nach den Bedürfnissen der Majestät, war wohlverstanden eine Neuheit bei Hof, jung wie Eva am ersten Tag, vor allem war sie mager. Wirklich gefiel sie dem König, als sie in dem großen »Ballett der Fremden« tanzte, so gut wie ausgezogen, da sie der Gruppe der »Indier« zugehörte. Das waren die Einwohner von Neufrankreich, wo es übrigens zu kalt sein sollte für eine so freigebige Aufdeckung. Indessen, Herr de Bassompierre, der es inzwischen bis zum Einüber von Zerstreuungen gebracht hatte, folgte weniger den Tatsachen der Erdkunde als seiner Freundin Sagonne.
Der König ließ das Fräulein d'Etrangues, sooft die Gelegenheit kam, bereitwillig an seinem Sitz vorbei, er zog seine Füße zurück, sie wäre angestoßen. Denn sie war nur bedacht, sich lang und schlank zu machen auf ihren hohen Beinen und senkrecht gestellten Fußspitzen. Dies diente weiter dem Zweck, daß die Augen der dunklen Schönheit den König von oben heftig anglühten: teils, um die Lockungen sämtlicher Indien darzustellen, und dann im eigenen Namen. Der König lächelte in seinen Bart, verblieb aber den ganzen Abend zu Seiten der Herzogin von Beaufort.
Erstens fühlte er sich ermüdet, fast schon unpäßlich, sah aber dafür Grund genug in seinen vielfachen Werken dieses Jahres. Es geht zu Ende. Sollte es zuletzt noch eine Krankheit bringen, Henri hat an seine Krankheiten nie geglaubt, er wird es nicht mehr lernen. Mag von jeher sein Studium die Natur des Menschen gewesen sein, der eigene Körper behält ihm immer neue Überraschungen vor.
»Sire!« sagte Gabriele ihm ins Ohr. »Sie haben diese Zerstreuung satt, wie ich sehe. Ich verdenke es Ihnen nicht, wenn Sie mein Fest verlassen und ausruhen.«
Henri verstand es dahin, daß er seine Liebste beruhigen müßte wegen der zudringlichen jungen Person.
»Die kleine Henriette«, begann er.
»Sie wissen ihren Namen«, bemerkte Gabriele.
»Ich kenne besonders ihren Vater«, sagte Henri. »In wie vielen Lagern er mir nachher begegnete, seh ich ihn doch immer dastehen neben dem ermordeten König, meinem Vorgänger. Er stand am Kopfende und hielt der Leiche das Kinn, damit es nicht wegklappte. Einmal ließ er es fallen aus Wut über mein Auftreten. Die Herren, die im Zimmer waren, hätten lieber mich selbst tot sehen wollen als den anderen. Der schrecklichste Eindruck war aber das mit dem Kinn.«
»Ruhen Sie aus, o mein geliebter Herr, ich bitte Sie darum, mag man sogar sagen, Sie hätten sich auf meinem Fest gelangweilt.«
Die Sorge Gabrieles rührte Henri. Er antwortete: »Ich will tun, wie Sie mir raten, obwohl ich mich ganz wohl fühle.« Verschwand hiernach ohne Abschied von der Gesellschaft. Bei sich selbst meinte er, daß Henriette d'Etrangues ihm unheimlich wäre. ›Hüte dich vor der Tochter des Mannes, der dem ermordeten König das Kinn hielt!‹
Ein Ende mit Gabriele, das konnte heißen, den König in eine neue verliebt zu machen. Mißlang dies, wie es schien, und saß der König nunmehr bequem genug im Besitz, daß auch die gewohnte Frau nicht mehr daraus zu entfernen war -- dann hieß das Ende anders.
Herr de Fresne, ein Mitglied des Finanzrates und Protestant, war der Herzogin ergeben, in den oberen Stellen ihre einzige Stütze neben dem alten de Cheverny, der seine guten Gründe hatte. Denn Kanzler blieb er, solange seine Freundin de Sourdis vermittels ihrer Nichte, der schönen fetten Wachtel, die Majestät regierte. So war die Ansicht. Wer weiß wohl, daß Liebe klüger macht als Eigennutz, und Gabriele hört nicht mehr auf Dame de Sourdis. Man sagt: Die Tante und die Nichte, beide hinaufgelangt durch Ehebruch, und bereichern sich um die Wette. Herr de Fresne, so schlicht und ohne Glanz er umging, hatte seinerseits das unverdiente Los, für den Verfasser des Edikts von Nantes zu gelten. War darum verhaßter, als die mittleren Figuren im großen Spiel eigentlich sein können.
Dieser Gute stellte für die Taufe des kleinen Alexander Monsieur die Kostenrechnung auf, schickte sie dem Oberintendanten der Finanzen in sein Arsenal, vergaß auch nicht, den Täufling ein Kind Frankreichs zu nennen. Herr de Sully wies statt des angemessenen Betrages einen viel zu niedrigen an: nicht einmal die Musiker konnten davon bezahlt werden. Als diese sich bei ihm beschwerten, warf Sully sie kurzerhand hinaus. »Kind Frankreichs gibt es nicht«, rief er ihnen nach. Das Wort hinterbrachten sie der Herzogin von Beaufort.
Da zeigten endlich diese Damen und ihr innigster Feind einander das wahre Gesicht, dies in Gegenwart des Königs, der den Minister hergebeten hatte.
»Wiederholen Sie, was Sie gesagt haben!«
»Kind Frankreichs gibt es nicht!«
»Die Kinder Frankreichs haben eine Mutter, die Sie zu beleidigen wagen, und einen Vater, der vieles verzeiht, nur gerade dies nicht.«
Da Henri angerufen war, legte er sich ins Mittel.
»Streichen Sie die Kosten der Musik, Rosny, ich trage sie selbst. Aber streichen Sie auch Ihre Worte.«
»Sire! Ich bin der Mann der offenkundigen Tatsachen. Sie haben für Madame einen Titel und Rang gewählt, dabei bleibt es.«
»Wenn ich aber will, bleibt es dabei nicht.«
»Gesetzt, Sie wollten«, berichtigte Rosny oder Sully mit seinem steinernen Gesicht, das übrigens aschgrau geworden war wie bei Standbildern.
Die schönen Farben der Frau hielten auch nicht mehr. Sie fing an, dem Minister die furchtbarsten Wahrheiten zu sagen. Henri griff nicht ein, er wünschte sich weit fort, und mitgenommen hätte er weder den einen noch die andere. Rosny beobachtete kalt. ›Fahr dich fest‹, dachte er und ließ die Feindin alles hergeben, was sie konnte.
Gabriele sprach mit einer äußeren Ruhe, die aber nichts anderes war als Überanstrengung der Seele durch ihre innere Raserei. Sie sei so gut wie Königin. Der Hof habe sie anerkannt mit Huldigungen ohnegleichen bei den Festen für ihren Sohn, das Kind Frankreichs. Sie ging bis zu Einzelheiten und zählte auf, wer sich besonders erniedrigt habe um ihrer Gunst willen. Rosny merkte sich jeden, um ihn aufzuklären.
Henri irrte von einer Wand zur anderen, vor der entferntesten blieb er abgewendet stehen. Seine arme Herrin gab sich Blößen; er bemitleidete sie, was nicht gut ist. Da sie sehr darauf bestand, daß Träger der größten Namen ihre Vorzimmer schmückten, bemerkte er das erstemal ihre kleine Herkunft. Sully bekam vom Auge des Königs den Befehl, hierüber zu schweigen.
Gabriele hatte zu vieles erlitten, zu lange an sich gehalten. Sie empörte sich endlich ganz und auf einmal. »Ich mache die Leute«, rief sie. »Der Beweis ist Ihre Person, Herr Großmeister und Oberintendant. Wer hat Sie denn gemacht! Glauben Sie, daß es leicht war? Sehen Sie sich an und sagen selbst, ob Sie dem König gefallen können. Ein verstockter Mensch dem lebendigsten, dem beflügelten Geist ein träger. Sie waren geschaffen, in Ihrer Mittelmäßigkeit zu versumpfen. Ich allein zog Sie heraus.«
Viel Wahres, und bevor es von diesem leidenschaftlichen Mund ausgestoßen wurde, hatte Henri es laut gedacht in Gegenwart Gabrieles. Gerade deshalb fühlte er sich hierbei im Nachteil, ihm selbst geschah Unrecht. ›Wie mein guter Diener jetzt hingestellt werden soll, hab ich ihn wahrhaftig nie erblickt.‹ Von hier ab war er mit dem guten Diener offen im Bunde. Wenn die Verstörte es nicht begriff, ach, nicht einmal sein Aufstampfen hörte sie -- Rosny-Sully war fortan seiner Sache gewiß, die Feindin betrieb ihr Verderben selbst, und er ließ sie. ›Sacken Sie noch tiefer ein, Madame.‹ Er schwieg mit vorgequollenen Augen. Die Unglückliche verlor den letzten Boden.
»Sie vergessen, daß Sie vor mir gekrochen sind. Als mein Knecht, so fingen Sie an.«
Bei dem Wort färbte den Aschgrauen jählings der Zorn, oder war es die Schande.
»Genug, Madame! Sie haben sich um ein Wort zu viel erlaubt. Es prallt von mir ab, aber irr ich nicht, trifft es den König. Will mein Herr mich entlassen?« fragte der alte Ritter. In seiner Stimme bebte die Erinnerung an Schlachten und Arbeiten ohne Zahl; nie war uns der Sieg verbürgt, dennoch sind wir beide, wo wir sind.
Henri war entsetzt. Die meisten Schrecken wären ihm leichter geworden als dieser Auftritt und der unheilvolle Zwang, zu wählen. Er fühlte entsetzt: wie immer er entschied, es war ein Bruch, ein Unheil und ein Ende. Als er sich herwendete von der Wand, hatte er die Absicht zu lachen und wollte sie nötigen, Vernunft anzunehmen. Bei ihnen angelangt, sagte er gegen sein eigenes Erwarten:
»Sie entlassen, ich denke nicht daran.« Dies zu Rosny. Gabriele d'Estrées aber vernahm aus seinem Munde:
»Einen solchen Diener aufgeben Ihretwegen? Madame, Sie können es nicht wollen, wenn Sie mich lieben.« Dies unsanft gesprochen.
Erst nachdem es gesprochen war, begriff er, daß es nicht von ihm war; er hatte es nur nicht verhindern können. Kehrte um und ging hinaus.
Herr de Rosny genoß noch diese Minute die Niederlage der Frau, deren Körper zuckte, und ihr weißes Angesicht erfaßte schwerlich, daß man ihr zusah. Seine blumenhaften Farben, die einem Mann seines Alters nicht anstanden, waren zurückgekehrt, da verließ er sein Opfer ohne Gruß.
Wenn später bei Rosny gewisse Bedenken eintraten, er wußte ihnen zu begegnen. Der Dienst des Königs über alles. Der König hat selbst gesagt: Ein solcher Diener ist mir lieber als zehn Maitressen! Denn so und nicht anders hatte Rosny das Wort gehört, oder hat es in seinem Geist dahin abgewandelt. Diese Fassung eines unglücklichen Wortes gab er weiter, alsbald kannte der Hof sie, und die Gesandten schrieben sie in ihre Berichte, was den Urheber der Fassung um so mehr rechtfertigte. Guten Glaubens konnte er feststellen:
Das Hin und Her mit der teuren Herrin, die aber plötzlich eine von zehn beliebigen Maitressen ist, es kostet unnützerweise sowohl Zeit als Geld. Jetzt hat der König eingestanden: seine Liebe reicht nicht mehr aus, daß er sie heiratet. Ich habe recht gehabt und tat ihm einen wahren Gefallen, da ich ihm die Augen endlich öffnete. So rechnete Rosny und übermittelte das Ergebnis seiner Ehefrau, der alternden Witwe, die davon hoch befriedigt war.
Als Mann von Gewissen hatte Rosny es nötig, nicht nur den Dienst des Königs, auch seine Menschenpflicht gegen eine Unglückliche in Ordnung zu halten. Er wollte sie erfüllt haben und brauchte sein Gewissen nur daran zu erinnern, was der Frau drohte, hätte er selbst nicht eingegriffen. Zwischen dem Thron und dem Tod, beide in der Nähe, aber kein Zweifel, welcher von beiden zuerst nach ihr griff -- wir haben zwischen ihnen eine Ausflucht geöffnet: die Ungnade des Königs. Hart für sie, wer bezweifelt es. Sie mag uns grausam, treulos, undankbar nennen, bis jetzt nur das. Später einmal, wenn sie als Schloßfrau von Monceaux in leiblicher Sicherheit weiterlebt mit einer Rente vom König, wird sie erkennen, wer sie gerettet hat. ›Nichts zu danken, es war Menschenpflicht. Haben Sie, Madame, hier und da meiner Laufbahn genützt, ich rette Ihnen dafür das Leben. Gut damit, aber fangen Sie nicht wieder an.‹
Das Gewissen gab sich zufrieden, oder doch einigermaßen. Vor seiner Ehefrau mit der spitzen Nase rühmte Rosny seine gute Tat an Gabriele d'Estrées denn doch nicht. Die Nase war lang und spitz genug, sie wäre vielleicht auf die verkehrte Seite der guten Tat gestoßen. Solch eine alte Witwe hat lange gewartet; sie triumphiert endlich ganz ohne die schuldige Selbstprüfung.
Die Herzogin von Beaufort machte eine Reise zu Madame de Sully, die sie nicht empfing. Hierüber richtete die Herzogin eine liebenswürdige Beschwerde an Herrn de Sully, der ihr nicht antwortete. Beides wäre dem König zu viel gewesen, wenn er es erfahren hätte. Er hätte zweifellos die Beleidigung an sich selbst empfunden. Gabriele sprach zu ihm dennoch nicht. Sie hatte genug in Händen, um gegen den guten Diener einen einmaligen Schlag zu führen. Aber sie fürchtete den Rückschlag -- nicht von Rosny, vielmehr in der Seele ihres lieben Herrn: sie war belehrt.
Ihr heimliches Gefühl war die Angst, nie mehr wich diese ganz. Der König gab sich wie je, er gab sich, wenn sie nur zugreifen wollte, mehr hin als je. Verwünschte seinen Hof und die anderen Höfe, das Netz der Beziehungen, worin er verstrickt war, seine Unfreiheit, die allgemeine Verschwörung, um seinen Sieg über Spanien abzustumpfen, seine Person unschädlich zu machen. Gabriele verstand und hörte, was er zurückhielt: Verzeih mir, mein teuerstes Gut. Darum leitete sie ihn doch zu ihrer eigenen Sache niemals über. Sie hätte es nicht vermocht, ohne zu zittern, da seit dem Auftritt mit Rosny ihr Körper das Zittern durchaus nicht mehr verlernen wollte, dies bei allem Vorsatz ihres Willens. Ihre Angst nicht merken zu lassen, das wurde ihre wahre Angst.
Vertraut wie vorher selten, eröffnete Henri ihr seine persönlichen Verhandlungen mit Papst Clemens über seine Scheidung von der Königin von Navarra. Den Stand der Dinge kennen auch seine Minister nicht. Papst Clemens verlangt als Entgelt die Rückberufung der verbannten Jesuiten. Der König hat geantwortet: wenn er zwei Leben hätte, war eines für Seine Heiligkeit. Sie begriff: er hat nur sein eigenes Leben wie auch ich; und handelt er, wie wir beide wünschten, dann ist es verwirkt. Er macht mich zu seiner Königin, muß dafür die Jesuiten in Kauf nehmen und hätte schon entschieden, daß wir auf unserem Thron alle beide sterben sollen. So bittet er: verzeih mir. Indessen stellte sie sich, als ginge es allein um das Wohl des Königreiches.
Der König befahl eine Jagd zu Ehren der Herzogin von Beaufort -- keine vier Tage nach seinem oft bereuten Wort, dessentwegen sie noch zitterte. Er nahm auf diese Jagd nur ihre Freunde mit, vor allem, wer sich zu ihrem Freund bekehrt hatte wie Roquelaure. Alle waren Soldaten, von ihnen die sichersten waren einfachen Sinnes, der tapfere Crillon, der einäugige Harambure. Hatten mit eigener Hand einen Mörder des Königs aus dem Sattel gehoben, ihm selbst aber hatten sie gesagt: »Sire! Heiraten Sie Ihre Liebste!« Mit diesen wird der herbstliche Tag klar wie kein anderer. Man reitet in die Weite, wohlbekannt auf dem Feld: die Hufe unserer Tiere haben es umgeackert, als wir hier das Gefecht hatten. Der Wald unabsehbar, der Wald bis an die Grenze der Provinz Picardie -- fällt reichlich Sonne heute durch sein entlaubtes Geäst, wir aber fänden Weg und Steg in tiefer Finsternis.
»Wie war es, Feuillemorte«, sagte Henri zu seinem Großstallmeister Bellegarde und neigte sich über seine Liebste, denn ihr Pferd ging zwischen ihren beiden. »Wie dunkel war es hier, als wir das erstemal zurückkehrten von Schloß Coeuvres? So dunkel, daß du darauf sannest, mich umzubringen, Feuillemorte. Kein übler Einfall von einem Eifersüchtigen. Hab ihn nachher selbst gehabt, das muß ich dir zugut halten, alter Feuillemorte. Madame, sehen Sie ihn an, jetzt wird auch er schon grau.«
Nein, sie entsann sich weder des Weißbartes noch dessen mit den ergrauten Schläfen. Sie bewegte bei sich ihr Glück, daß ihr geliebter Herr sein junges Herz bewahrt hatte für sie, für sie, und seine Stimme war fröhlich, obwohl sie auch gerührt klang; ja, die alte Qual, weil er sie hätte verlieren oder gar nicht bekommen können, die vergangene Qual kehrt wieder und bebt mit. »O schönes Leben!« sagte Gabriele. »Wie lieb ich dich!«
Merkwürdig, anstatt der schnelleren Bewegung, die hier von selbst gefolgt wäre, setzten diese drei ihre Tiere in eine ruhige Gangart. Daher kamen hinter ihnen die Herren heran und waren zu hören. »Ich hab's ihm immer gesagt«, war zu hören. »Zuschlagen! Das Volk aufrufen, wie bei allen seinen Taten. Den Pfarrer her, geh's, wie es gehe, und wir haben unsere französische Königin. Nachher -- ist nachher.«
Das war der tapfere Crillon. Der einäugige Harambure sprach zornig: »Was haben wir jetzt? Daß die Mönche schon wieder gegen ihn predigen. Prophezeien ihm die Züchtigungen seiner Sünden. Rufen zu den großen Bußen auf, damit nicht der Himmel einstürzt über diesem Königreich. Seit dem Frieden darf Spanien von neuem seine Klöster ausschütten über uns. Die Kapuziner sind hier eingerückt mit Dornenkronen auf ihren Glatzen, und ihnen voran die Damen Guise. Hätten wir das alles kürzlich geglaubt? Und von ihm?«
»Einäugiger«, rief Henri über seine Schulter. »Sie treiben auch schon wieder den Teufel aus den Besessenen. Ich aber schicke den Arzt hin, wie ich es früher tat. Meine Art bleibt dieselbe, du wirst mich nicht nachlassen sehen.«
»Die Vorzeichen«, wollte einer sagen. »Ihre Feinde, Sire, verlegen sich auf nachgeahmte Vorzeichen. Wenn die erst an der Reihe sind: hüten Sie sich!«
Dies ließ Henri ohne Entgegnung, denn er wußte: es gibt Vorzeichen, die unnachahmlich sind. Unsere Sache, zu vermeiden, was sie ankünden. Indessen erkannte er die Lichtung, in die sie einbogen; hier wollte er, daß man absäße und die Vorräte äße. Die Diener machten aus Stümpfen den Tisch, sie legten abgesägte Stämme darum her. Einen einzigen versahen sie mit Lehne und Decken: dahin führte Henri die reizende Gabriele.
Ihr Kleid war grün mit silbernem Besatz, desgleichen der Hut. Die kühle Sonne holte aus ihren Haaren nicht den großen Glanz der festlichen Zeiten, wenn Edelsteine darin funkeln. Wozu. Stiller Schimmer, gewoben um ein Wesen, das noch da ist, es war aber sonst anders da, nimmt zu den Herzen einen langsamen, sicheren Weg. Henri streichelte ihre Fingerspitzen, während er sie bediente. Ihre Wangen sind Schnee, bevor er schmilzt, und Rosen sprießen hervor. O schönes Leben! Wie lieb ich dich! Das hatte sie längst gesagt, nur daß ihr lieber Herr noch immer den Ton nicht zu Ende gehört hatte. Er lauschte und blieb nachdenklich, die Reden wurden seltener bei dieser Mahlzeit.
Als er ihr zum Aufstehen die Hand reichte, sagte Henri zu Gabriele: »Daß ich es Ihnen verrate, Madame: von dieser Stelle brachen wir damals auf, ich mit Feuillemorte nach Schloß Coeuvres, und ich sah Sie dort von der Treppe steigen.«
Der Herzog von Bellegarde stand hierbei dem König und seiner Liebsten näher als alle; man hätte gedacht, er wäre der dritte.
Dann wurde beschlossen, ernstlich nach dem Wild zu jagen; die Herren und ihre einzige Dame betraten zu Fuß das Unterholz, wobei man auseinander kommt, hat sich verfehlt, und die Stimme, die auf das Rufen antwortet, verhallt, wird schwächer, ihr Aufenthalt ist endlich überall und nirgends. Die Herzogin von Beaufort war verlorengegangen, obwohl Henri meistens achtgegeben hatte, ihr nicht von der Seite zu schwinden. Der Großstallmeister, der angeblich auf gut Glück in eine Richtung lief, wurde nicht wieder gesehen. Der König ließ seine Herren den Wald absuchen. Er selbst stieg zu Pferd; wie er erwartet hatte, fehlten von den Tieren zwei.
Zuerst galoppierte er durch dick und dünn, über Verhaue, Gräben und das offene Grab. Unversehens fiel Herr de Rosny ihm ein. ›Der bezweifelt, daß mein Cäsar von mir ist. Wenn ich ihn stellte, er würd es leugnen oder auch nicht, da er zuletzt recht behält, sind nur vier Tage seither.‹ Henri hatte am Zügel gerissen und hielt. Zorn gegen Rosny, der zuletzt recht behält -- aus bloßer Erbitterung wäre der Reiter umgekehrt. Wollte nichts wissen, aber den Dummen abgeben wollte er auch nicht, So stand er lange am Fleck, sein Pferd stampfte und wieherte; ihm erschien Schloß Coeuvres, das in Wirklichkeit noch außer Sicht war. Sein Blick drang durch die Mauern und in ein bekanntes Gelaß, was ihn furchtbare Überwindung kostete und doch von selbst kam.
Da er nun schon hineingesehen hatte, wollte er, daß die Qual werde vermittels seiner leiblichen Augen, und begehrte heftig, er wäre zugegen, während die beiden im Bett lagen; er selbst läge darunter wie einst der andere. ›Dem warf ich damals Konfekt hin. Sieben Jahre, sie haben niemals aufgehört mich auszulachen. Bin ich's, ich ließ alle Welt vom König Hahnrei munkeln? Warum stellte ich mich taub?‹ »Weil es nicht wahr ist!« rief er -- ritt vorwärts, auf einmal war er ohne einen Zweifel, das Schloß wird er leer finden. ›Sieben Jahre, und sie ist mein eigen geworden wie sonst nichts. Unser Fleisch und Blut, die Kinder, die daraus gemacht sind, dasselbe Herz schlägt jedem von uns. Sie fühlt, was ich nicht ausspreche. Ich weiß von ihr.‹
Er gelobte, fand er das Schloß leer, morgen wollte er den Pfarrer zwingen, sie ihm anzutrauen. Einer wird das Nachsehen haben, das ist der Gutsherr von Sully, mein Großmeister. Noch nicht gedacht, erschrak er vor der Probe, in Schloß Coeuvres drohte das Verhängnis, niemand geht ihm freiwillig entgegen. Er kehrte um. Vergebens. Unerträglich bleibt es, nicht zu wissen, und die Vernunft wäre geschlagen von der Leidenschaft, ihren willkürlichen Einblicken, ihrer Angst. Da wendete er nochmals. Wollte die verlorene Zeit einholen, fürchtete sie einzuholen und änderte die Schnelligkeit des Rittes je nach der Furcht und der Begierde.
Vor der Brücke angelangt, meinte er, daß er ohnedies zu spät käme, sie wären schon fort und er der Genarrte. Es war sein letzter Versuch, zu entkommen. Als er in den Schloßhof einritt, begrüßten sein Pferd zwei andere, ihr Gewieher kam von einem vorgeschobenen Flügel des Gebäudes, dem linken. Das Türmchen in durchbrochener Bauart, dort sind die Tiere angebunden. Das dritte antwortet ihnen; schade, die Personen im Zimmer droben sind vor der Zeit gestört. In welchem Zustand werden sie betroffen werden?
Bei seinem Eintritt fand Henri sie anders als vorgesehen. Gabriele lehnte aus dem Fenster; ihrem Begleiter, der gestiefelt und gespornt war, wendete sie den Rücken. Auf ihrer Schulter bemerkte Henri welkes Laub, wie sie es abgestreift hatte auf ihrem Ritt durch den Wald, und wäre das Laub gewiß nicht mehr darauf gelegen nach einer Entkleidung. Bellegarde betrachtete zu seinen Füßen den großen wilden Vogel, der hatte gebundene Klauen und schlug die Flügel heftig. Dem Großstallmeister waren von seiner Beute die Hände arg beschmutzt, und hätte gewiß mit diesen Händen keine Frau berührt.
Obwohl Henri alles sogleich erfaßte, wollte die schreckliche Angst der vorigen Stunde nicht beschämt werden, und in Gestalt des Zornes brach sie endlich aus.
»Was geht hier vor!« rief er, während beide ihn entgeistert im Auge hielten. Auch er mußte ihnen wohl anders erscheinen als sie vorgesehen hatten. Ihre Meinung war nicht gewesen, daß er wie ein Kranker verzerrt wäre und spräche rasend. Infolge ihres Erschreckens ließen sie ihn wüten, bis er erschöpft war oder nicht weit davon, zu versagen. Gabriele hatte das Fenster verlassen, war mit bittender Gebärde näher gekommen, und nun seine Stimme sank nach so vielen ausschweifenden Worten, wagte sie seine Hand zu nehmen. Wie heiß und trocken! Gabriele sagte:
»Mein hoher Herr! Daß ich es nicht getan hätte! Ich dachte Sie hier zu erwarten und mit Ihnen der früheren Tage zu gedenken. Das ist schlimm ausgefallen und ich bereue, daß ich herkam, wiewohl in guter Absicht.«
Er sprach mit verringerter Kraft, aber derselben Wut:
»Sie lügen, Madame. Die Wahrheit, ich kenne sie. Denn Sie spähten aus dem Fenster, in der Hoffnung, ich wär's nicht. Sie hätten Zeit bis zum Abend, um den Hahnrei einige Male auszulachen.«
Bellegarde stand merkwürdig gebückt, sein Gesicht war auf einmal verfallen. Er packte den gefangenen Vogel bei den Füßen und wollte hinaus.
»Verantworte dich, Feuillemorte«, befahl Henri. Dermaßen aufgehalten, machte Bellegarde zur Hälfte kehrt und gestand: »Sire! Ich kann es nicht.«
»Ihr Mitschuldiger läßt Sie im Stich, Madame«, brachte der Gequälte hervor, hatte bis diesen Punkt nicht geglaubt, was er redete, und sollte jetzt wahrhaftig daran glauben.
Gabriele bewegte hilflos eine Schulter. Bellegarde sagte:
»Sire! Mir bleibt nur übrig, in türkische Dienste zu treten. Der Großsultan tötet seine Leute unbefragt. Ihnen aber muß ich überdies Rede stehen. Ein Mann, der Ihnen treu ergeben ist nicht aus Gewohnheit und weil es Pflicht wäre. Sondern die langen Jahre hat er in Ihr Herz gesehen und fand Sie teuer genug, um sein Leben zu kosten, groß genug, daß Sie das Recht haben auf mein eigenes Glück. Hab alles längst vollbracht, wie Sie auch wissen, und am sichersten ist meiner Gesinnung die Frau Herzogin von Beaufort. Sonst hätte sie nie erlaubt, daß ich sie begleite bis in dies Schloß und dies Zimmer.«
Henri nahm von ihm den Blick fort, er murmelte für niemand und für sich selbst nicht:
»Worte, geschickte Worte, sie spielen mit der Rührung.«
Gabriele griff am rechten Ort ein.
»Er sagt zu wenig. Er sagt, ich hätte ihm erlaubt, mich hierher zu begleiten. Nein. Gefordert hab ich es.«
Sie verschwieg, warum. Ihr geliebter Herr hat es erraten, gleich bei seinem Eintritt hat er sie durchschaut. Er kennt ihr Elend, ihre Angst und begreift ihren verzweifelten Versuch, ihn nochmals eifersüchtig zu machen. Sie führt ihn rückwärts in die vorige Zeit und den verlorenen Zustand, als ihm so sehr bangte wie jetzt ihr. Damals -- was hätten Sie nicht getan, mein hoher Herr, um mich zu halten. Liebstes Kind, was hättest du nicht getan.
Er las von ihrem Gesicht ab, es war das Gesicht, in das er am häufigsten geblickt hatte -- las alles, was sie im Sinn hatte, was sie fühlte, nicht ausgenommen ihr Mitleid. In dem Auftritt mit Rosny hat er sie bedauert, jetzt sie ihn. Wir sollen nicht Anlaß zum Mitleid gehen, weder ich noch du. Wir sind stark. Gut, daß ihr mich erinnert.
Zuerst umarmte er Bellegarde und küßte ihn auf beide Wangen. Als die Reihe an seiner teuren Herrin war, keuchte sie leise von der bestandenen Anstrengung und strahlte von ihrem Erfolg. Seine Reden hörte sie, bevor er anfing. Wirklich sagte er und hielt sie an seiner Brust:
»Morgen, das ist geschehen und abgemacht. Morgen ruf ich den Pfarrer. Ob er will oder nicht, er traut uns morgen.«
Sie wiederholte »morgen«, fuhr fort zu strahlen, dachte aber bei sich: ›Daß doch der Pfarrer hier im Zimmer wäre!‹
Kaum aufgebrochen von Schloß Coeuvres, begegneten sie den Jägern mit der Meute und jagten den Hirsch, bis es dunkelte. Als das Tier erlegt und ausgeweidet war -- die Hunde fraßen und waren still, die Jäger standen um den König, der ausruhen mußte: er sagte, es wäre nur ein Stoß gegen das Knie. Da hörte man im Schweigen des Waldes eine zweite Jagd, das Gebell, die Rufe, den Hörnerklang, alles gewiß eine halbe Meile entfernt. Bevor es aber irgend wäre zu vermuten gewesen, kamen dieselben Geräusche aus einer Nähe von zwanzig Schritt. Zu sehen war nichts, da zwischen den Bäumen die Nacht lag.
Der König fragte erstaunt: »Wagt jemand meine Jagd zu stören?« und befahl dem Grafen von Soissons nachzusehen, wer es wäre. Dringt Soissons in das Dickicht: dort unterscheidet er den schwarzen Umriß einer Gestalt, die nur erscheint und gleich verschwindet, wobei sie ein Wort ausstößt: »Höre mich!« Kann aber auch heißen: »Bekehre dich!«
Der Graf von Soissons kam wieder und sagte, es wäre eine furchtbare Stimme gewesen. Was sie befahl, konnte er nach der Ähnlichkeit des Klanges verwechselt haben. Der König erwiderte nichts, er saß auf und ritt zu Seiten der Herzogin von Beaufort, wobei die anderen Jäger sich dicht an diese beiden schlössen. Niemand erwähnte, daß von der zweiten Jagd, so vernehmlich sie soeben gelärmt hatte, kein Laut mehr ausging.
Da mittlerweile das erste Dorf erreicht war, fragte der König vom Sattel herab die Bauern und Hirten, wenn sie zu dieser Stunde noch vor die Tür traten: was es auf sich habe mit der Erscheinung. Mehrere antworteten, sie kennten den bösen Geist, hier wäre sein Revier, genannt werde er der Großjäger. Weiterhin empfing der König, der immer fragte, die Erklärung, Sankt Hubert selbst erwählte oftmals diese Wälder, um darin zu jagen mit seinem unsichtbaren Troß und der Meute, die man nur hörte.
»Ein Heiliger, das klingt freundlicher«, bemerkte Henri für Gabriele; aber recht befriedigt war er erst, als der letzte ihm verriet, das war ein Gevatter Wilddieb, der den Dämon spielte, auf die Weise jagte er ungestraft die Tiere des Königs. Der König erfahre dennoch alles und werde ihn fangen. »Gleich beim nächstenmal«, versprach Henri -- trabte befriedigt von dannen und versicherte seiner Liebsten, jetzt hätten sie die richtige Auskunft.
Gabriele sagte wohl: ja, die hätten sie; aber sie dachte in ihrer bangen Seele: ›Höre mich, oder bekehre dich -- das ruft kein Wilderer.‹ Es war ein Vorzeichen. Dasselbe vermuteten die meisten der Herren, die sie und den König eng umgaben, und wer weiß, was er selbst verschwieg. Von Vorzeichen, nachgeahmten Vorzeichen, war am Anfang dieser Jagd schon einmal die Rede gewesen. Sind sie indessen durchwegs falsch, wenn wir ihnen ganz entgegen unserer Gesinnung und Natur immer wieder begegnen?
Der von den Vorzeichen heute angefangen hatte, war Herr de Roquelaure. Dieser bat, kaum daß sie im Louvre eintrafen, die Majestät möge ihm eine Mitteilung unter vier Augen gewähren. Marschall Roquelaure bereute sehr, daß er nicht beizeiten ausgesagt hatte. Jetzt kam er zu spät, der König verabschiedete ihn.
»Sie brauch ich nicht. Auf der Stelle brauch ich den Chirurgen.« Womit er schon umsank. Hatte viel zu lange ertragen müssen, daß eines seiner Organe gehemmt war und ihn marterte.
Daher gelangte Roquelaure zu seiner Aussage nicht mehr -- war es nachher sogar zufrieden, obwohl mit schlechtem Gewissen. Vom. Hof wären zu viele hinein verwickelt worden. Die Feinde der Herzogin von Beaufort hatten zwei Schlingel ausfindig gemacht, diese in ihrem Müßiggang waren geübt, mit ihrer Stimme eine ganze Jagd vorzutäuschen, die Rufe, das Gebell, den Hörnerklang beliebig fern oder nah. Vervielfachte gar der Wald das Geräusch, dann fiel wohl jeder darauf hinein. Fehlte nur, daß im Dickicht ein schwarzer Umriß erschien und eine Stimme mahnte furchtbar: Bekehre dich!
Das ist nicht mehr die Krankheit aus seelischen Ursprüngen allein. Die überanstrengte Seele entlud sich sonst in eine Hitze des Körpers. Diesmal hilft er ihr nicht, er macht es schlimmer. Der Chirurg hat eingegriffen, muß täglich wieder dem Organ, das den Dienst versagt, seinen Beistand leihen. Henri erträgt die Mühsal; schwerer zu dulden ist das Bewußtsein, daß dieser Leib nicht mehr genügen will. Im Fieber spricht er: »Wenn ich zwei Leben hätte, dem Heiligen Vater gab ich das eine.« Er sagt: dem Heiligen Vater, die Zunge redet anders als der Geist es vorhat; der sucht nach einer Person, die hier im Zimmer ist. Vergebens quält der Kranke seine aufgerissenen Augen, um sie zu erkennen: ihr will er das eine von zwei Leben geben. Er bewegt nach ihr seine unsichere Hand, aber Gabriele vermeidet die Berührung.
Ihre eigenen Lider sind trocken, sind gerötet vom Wachen bei ihrem geliebten Herrn, und ihre Angst steht auf dem Punkt, daß sie Kälte wird. Kein Zittern, keine Träne: es wäre denn, Madame Schwester des Königs kniet und betet mit ihr. Das darf nicht oft sein, Gabriele fürchtet, sich aufzulösen im Verkehr mit der Allmacht. Sie selbst muß nüchtern und stark werden in Vertretung der Allmacht, als ihre Magd, und diesen Mann am Leben erhalten. Sie nimmt die demütigen Verrichtungen vor, hilft mit den schönsten Händen des Königreiches seinem Organ, das den Dienst versagt. Verbringt Stunde um Stunde hinter seinem Kopf, das Ohr halb hingeneigt nach seinen verfehlten Worten, die er nicht im Sinn hatte, sondern will alle nur an sie richten. Sein Geist, der durch dunkle Wälder in die Irre läuft, verliert ihr Bild, sooft er danach greift. Aber auch sie versäumt und sucht ihn, obwohl er hier liegt und leidet.
Sie hatte damals die schreckliche Vorahnung, daß sie einander niemals völlig wiederfinden würden, nicht mit dem freien Blick und Zugang, der ihnen gehört hatte. Sondern, was auch beide versuchten, sollten sie dennoch abgehalten, geheimnisvoll geschieden werden: Bäume im Nebel, das Echo unsichtbarer Vorgänge, eine Jagd der Gespenster.
Die Nacht, als er zum erstenmal ruhig eingeschlafen war und schlief zu lautlos, wie ihr schien, da hauchte sie in seinen offenen Mund ihren Atem, bis sie selbst erschöpft war. Am Morgen erwachte er und war gesund. Die Feinde Gabrieles verbreiteten: ungeachtet ihrer Gegenwart am Lager des Königs habe der Himmel noch einmal Langmut bewiesen. Der Arzt La Rivière erklärte vielmehr: Frau Herzogin von Beaufort habe die gute Natur des Königs ermutigt, und das gefalle dem Herrn.
Genesen war leider der Körper allein, noch nicht die Seele. Henri behielt Fieber, das war wenig, aber ohne Maß beschwerten ihn Traurigkeit und Ermattung. Eine solche Müdigkeit war ihm sonst von keiner Schlacht zurückgeblieben, auch sein Todessprung hatte sie nicht hinterlassen. Die Taten dieses Jahres aber sind die Höhe des Reiches, ist ihr Lohn jetzt eine Unlust, der nichts standhält? Vergebens bleiben die gelungensten Theaterspiele, obwohl Feen und Dryaden durch die Luft fliegen, oder in Spiegeln erscheinen Zaubereien, Vögel sprechen eine Komödie -- worüber alle staunten und lachten, ausgenommen der König. Vergebens die verlockendsten Ballette -- ausgesuchte Schönheiten leihen sich dem Auge unverhüllt, sie tun es um der Schwermut des Königs willen, wer sie heilen könnte. Diese Damen in ihrem Ehrgeiz, den König zu erleichtern, bogen ihre vielbegehrten Körper vor ihm hin und her, daß keine Falte des Fleisches mehr ihr Geheimnis bewahrte. Sie meinten es hochsinnig, er aber, das erstemal im Leben mißfielen ihm ihre natürlichen Vorzüge.
»Ich mag das nicht«, sagte er. »Gar nichts mag ich«, murmelte er und setzte sich anders herum -- ohne Rücksicht auf die Herzogin von Beaufort, die er zur Seite hatte, tat aber, als wäre sie nicht da. Wie er nun die Stirn in die Hand stützte und versagte das Auge dem Schauspiel, das Ohr den angenehmen Klängen, verschwanden nacheinander die Tänzerinnen, Musiker und der ganze Hof, vom König unbemerkt. Nach seiner langen Abwesenheit bequemte er sich allerdings zur Wirklichkeit zurück und fand, daß er allein war. Ein Saal, leer bis an den zurückgeschlagenen Vorhang, dahinter aufgehäuft die Spuren des Festes, Instrumente, Maschinen, ein vergoldeter Helm, ein welker Strauß. Der verlassene König warf sich über die andere Armlehne: da war der Sessel nebenan leer und sogar umgestürzt. Madame hat wohl die Flucht ergriffen. Er fragte sein Gefühl, es verweigerte aber zu sagen, ob es ihm lieb oder leid wäre, allein zu sein. »Ich mag nicht mehr«, sprach er in die Leere, deren Widerhall es ihm zurückgab.
Man lobte hiernach die Herzogin von Beaufort, daß sie einsähe, ihr Spiel sei aus, und zog vom Schloß Louvre in ihr eigenes Haus zurück. Nur die schwere Krankheit des Königs hatte ihr erlaubt, mit ihm zu wohnen in den königlichen Zimmern, die niemals ihre sein sollten. Um so mehr schien es geboten, sie endgültig zu beseitigen -- ohne Anwendung des Äußersten, wenn es sein konnte. Denn sie wurde bedauert nicht weniger als gehaßt. Viele bereuten im voraus, was sie zu tun bereit waren, gegebenenfalls das Äußerste. Bis jetzt geschahen mündliche Angriffe wie üblich, die Kanzelredner und Mönche wurden mutiger, da sie von der Schwäche und Traurigkeit des Königs erfuhren, und verkündeten, das Leben sei ihm diesmal noch geschenkt worden, damit er sich bekehren könnte. Dazu die Aufläufe von viel Volk bis in den Hof des Louvre hinein, wo denn im Sprechchor gefleht und gefordert wurde, der König sollte das Land und seine eigene Seele retten, beides durch Entfernung Gabrieles.
Sie selbst bekam Besuche, merkwürdige, wenn auch jedesmal vereinzelte. Man wollte wissen, glaubte es aber eigentlich nicht, der Legat des Papstes wäre bei ihr gewesen. Nach angebrochener Dunkelheit hätte er heimlich ihr Haus betreten ohne viel Geleit, mit keiner einzigen Fackel, und wäre unsichtbar wieder hinausgelangt trotz aufgestellten Beobachtern.
Kaum weniger still erschien bei Gabriele die früheste ihrer tödlichen Feindinnen, Madame de Sagonne. Diese wurde nicht gleich empfangen, Gabriele ließ sie erst vor, als ihr nach einer Stunde gemeldet wurde, die Dame warte in Geduld und Demut. Hereingeführt tastete sie nach dem Stuhl, und auch zu sprechen gelang ihr. nur mit Mühe.
»Madame, ich wünschte Ihnen immer nur das Beste«, stammelte sie.
»Madame, Ihr Wunsch wird in Erfüllung gehen«, sagte Gabriele hochmütig, ein angenommener Hochmut. Madame de Sagonne verzog davon das Gesicht zum Weinen, oder war es ein weinerliches Lächeln. Ihr Vogelgesicht, wie klein erschien es.
»Verzeihen Sie mir!« rief sie schrill, und ihre beiden Hände flatterten. »Das hab ich nie gewollt.«
»Was?« fragte Gabriele. »Mir geht es gut, der König ist gesund, und sein Beschluß, mich zu heiraten, steht fest. Wir haben keinen Feind, da auch Sie meine Freundin sind.«
»Madame, o hüten Sie sich! Ich flehe Sie darum an, daß Sie auf sich achtgeben, und könnte nicht angelegentlicher um mein eigenes Leben bitten.«
Da ihr geringes Gesicht sich ins Grünliche verfärbte und wahrhaftig wäre Sagonne vom Stuhl auf ihre Knie gerutscht, würdigte Gabriele sie eines offenen Wortes.
»Sie haben viel geredet, Madame. Wenn alles, was Sie jahrelang geredet haben in der Absicht auf mein Verderben jetzt zu fließen begänne und überschwemmte dies Zimmer, wir beide müßten ertrinken. Nun steigen aber die böswilligen Worte wirklich zur Flut an. Ich sehe wohl, daß die Flut Sie bedrängt. Erleichtern Sie sich denn und sprechen endlich keine Erfindungen mehr, sondern was Sie wissen.«
»Wenn ich wüßte!« Jetzt hätte Sagonne die Hände gerungen, aber die flatterten ihr.
»Wer will mich töten?« fragte Gabriele.
Sagonne, auf einmal erstarrt, sah sie an.
Gabriele: »Herr de Rosny?«
Sagonne: stumme Verneinung.
Gabriele: »Ich hätte es Ihnen auch nicht geglaubt. Die Agenten Toscanas, und auf welche Manier?«
Sagonne: »Es ist ein Gelauf und Geraune hier und dort, man würde glauben in ganz Europa, so viele geheime Boten der Höfe schleichen durch Paris und verflüchtigen sich alsbald. Die Herzensangelegenheiten des Königs von Frankreich beschäftigen den Papst und den Kaiser, aber das ist Ihnen bekannt.«
Gabriele: »Was haben Sie mir Neues beizubringen?«
Sagonne, so gut wie unhörbar: »Zamet. In seinem Hause soll es abgekartet sein.«
»Am Spieltisch, versteht sich«, sagte Gabriele. »Wer war dabei?«
Sagonne gab ein Zeichen, daß ihre Kenntnis und sogar ihre Kraft nunmehr erschöpft seien.
»Meiden Sie das Haus! Zu Schuster Zamet dürfen Sie nicht einmal mit dem König gehen«, flüsterte sie noch geheimer. »Viel weniger ohne ihn.«
Sie wollte aufstehen, vermochte es nicht sogleich -- da aber ihre augenblickliche Schwäche ihr Zeit sich zu besinnen ließ, begriff Sagonne plötzlich ihre eigene Lage und daß nicht mehr Gabriele allein für ihr Leben zittern müsse.
»Ich habe zu viel gesprochen«, hauchte sie entsetzt; sprang auf, bedeckte das Gesicht mit den Händen und schluchzte. »Jetzt halten Sie mich in der Hand.«
»Niemand ahnt, daß Sie hier sind«, sagte Gabriele. Aber Sagonne:
»Als ob nicht jeder, der Sie aufsucht, beobachtet würde. Hat man doch den Legaten dabei überrascht.«
Dies sprach sie wieder mit der gewohnten Berechnung, weshalb sie ihre dünnen Finger von den Augen nahm und genau aufpaßte. Der Legat ist in Wahrheit nicht überrascht worden. ›Bring ich es heraus und kann das Gerücht bestätigen, dann ist mein eigener Besuch gerechtfertigt, ich bin gerettet.‹
Gabriele antwortete aber:
»Der Legat? Ich sah ihn seit dem Sommer nicht.«
›Verdammte Lügnerin‹, dachte Sagonne. ›Stirb doch, du Herzogin von Schweinsheim‹, dachte sie aus verspätetem Zorn gegen sich selbst wegen des begangenen Fehlers. Um so seelenvoller verabschiedete sie sich, gab nochmals ihr Gefühl der Reue preis, und diesmal begründete sie es. Hatte das nicht gekonnt am Anfang, als es echt war.
»Ich habe Sie immer geliebt, Madame. Nur die Liebe hat mich verwirrt, daß ich handeln mußte, als haßte ich Sie.«
Sie verstieg sich zu höchst schwierigen Erklärungen, immer im Ton der verstörten Seele, und während ihrer Reden erreichte man den geheimen Ausgang, durch den die Besucherin entlassen werden sollte. Hier sagte Gabriele:
»Madame, Sie können beruhigt sein. Ihr Geheimnis, daß Sie heute bei mir waren, werde ich mit mir in mein Grab nehmen.«
Hierüber verschluckte Sagonne sich, erstens weil sie erkannt war, aber dann wegen der merkwürdigen Einfachheit, womit eine so sehr bedrohte Person von ihrem Grab sprach und machte daraus weder eine Elegie noch einen Aufschrei.
Ganz befremdet in ihren Begriffen stolperte Sagonne und gelangte über die Schwelle durch einen Sprung mit geschlossenen Füßen.
Gabriele aber bat zu sich Herrn de Frontenac, den alten Gefährten des Königs; er hatte die Ehre, ihre kleine Leibwache zu befehligen. Sie fragte ohne Vorrede:
»Wo befindet sich zu dieser Stunde der Mann?«
»Zwei Stunden von hier. Wird aber erst morgen abend die Stadt betreten. Madame, befehlen Sie, und ich fange ihn noch diese Nacht.«
»Warten Sie«, sagte Gabriele. Der Soldat wendete ein:
»Es ist nicht gut, noch länger zu warten. Wir haben mit keinem anderen Mörder des Königs so viele Umstände gemacht. Diesen laß ich verfolgen Schritt für Schritt, seitdem er die Grenze des Königreiches überschritten hat. Wir konnten ihn schon zwölfmal fangen, ein Flame, unverkennbar in jeder Verkleidung.«
»Und wie hätten Sie ihn überführt? Er muß im Hof des Louvre gefangen werden, während des Auflaufs von Volk, der König wird sich hineinbegeben, ich mit ihm.«
Frontenac warnte:
»Unser einziger Beweis bleibt sein langes Messer. Die Gelegenheit, es zu ziehen, ist gerade das Gewühl einer Menge.«
»Wenn Sie ihn dann verhaften«, sagte Gabriele unbeirrt, »hier ist ein Schriftstück, das spielen Sie ihm heimlich zu. Der Legat in Brüssel hat ihm den Auftrag nur mündlich erteilt. Er muß ihn schwarz auf weiß am Leibe tragen, damit der König Ihnen glaubt, daß einer es gewagt hat.«
»Niemand würde es glauben«, bemerkte der Kriegsmann zum eigenen Erstaunen. »Die geheiligte Majestät, der Sieger und große König. Aber mit wieviel Recht er sich unantastbar und in Sicherheit vermeinte, Sie, Madame, halten die Augen offen. Befehlen Sie, ich gehorche.«
Dies war die Sache, der Gabriele nachgegangen war und hatte darüber die Sorge um sich selbst versäumt. Verlief dann alles wie von ihr vorgesehen. Der König und die Herzogin von Beaufort ritten vor Mittag über die Brücke des Louvre -- nicht ihr üblicher Weg, aber der eine will sehen was geschieht, und die andere weiß es. Durch das Torgewölbe lenken sie in den alten Hof, der Brunnenschacht genannt, um ihn her lagen Ämter. Leute, die Geschäfte bei den Ämtern vorgaben, konnten von den Wachen ungehindert zusammenlaufen. Beim Erscheinen der Herzogin stürzten viele auf einmal in ihre Richtung unter Verwünschungen, die sie gelernt hatten. Da die Dame ihr Pferd wendete und den König allein ließ, war er alsbald von dem Gedränge entblößt. Noch ein vereinzelter Mann blieb übrig und konnte leicht ergriffen werden, als.er fünf Schritte vom König entfernt das Messer frei machte.
»Sire!« sagte Herr de Frontenac. »Nur der Frau Herzogin verdanken wir diesmal Ihr Leben.« Der alte Gefährte war sehr erregt. Ein Höfling hätte das nicht verraten. Der König stieg aus dem Sattel. Bleich vor Zorn rannte er nach der Wache im Torgewölbe, wo seine teure Herrin, das Kleid zerrissen, von den Soldaten mit Mühe geschützt wurde gegen ihre Angreifer. Die vordersten von ihnen befahl er aufzuhängen. Gabriele sagte:
»Sire! Aus Dankbarkeit für Ihre Errettung bitte ich Sie um das Leben dieser Leute; denn das sind Verführte, Ihr Volk denkt anders.«
Henri antwortete nicht. Er verlor keine Zeit mit Tröstungen oder Dank. »Zu Pferd, Madame!« Dies, ohne daß er seine Hand unter den Fuß Gabrieles hielt. Er trabte ihr zur Seite eilig über die Brücke und aus dem letzten Tor. Die Wachen sollten ihn vollzählig begleiten, aber trotz angestrengtem Laufen verloren die Soldaten diese beiden Reiter; nur Herr de Frontenac auf seiner Montur hielt das Tier den anderen immer Leib an Leib, seine Waffe hatte er gezogen.
Es ging nicht sogleich nach dem Haus der Herzogin, der König nahm den Weg durch belebte Straßen, er trabte noch schneller, ohne Rücksicht auf die Leute -- sie mußten springen von der hohen Mitte des Pflasters. Wer einen Wagen führte und nicht gleich auswich, bekam einen Schlag von dem Offizier, der drohend rief: »Platz dem König!« Man sah den König bleich vor Zorn und fragte: »Was ist geschehen?« Die Frauen bemerkten das zerrissene Kleid der Herzogin von Beaufort, da flog auch schon das Gerücht von Ohr zu Ohr, geschwinder, als ein König flüchten kann.
Hinter ihm, wenn er vorüber war, wurde erzählt: »Jetzt flüchtet er mit ihr, denn wegen seiner Liebschaft hat man ihn töten wollen.«
»Und sie mit ihm«, wurde alsbald ergänzt.
»Wäre das wohl ein Ende für einen König, der groß heißt?«
»Er liebt«, sagten dagegen Frauen. »Weil ihr nur kleine Männer seid, versteht ihr ihn nicht« -- sagten ältere, entstellte Frauen mit den Gesichtern des täglichen Brotes, den Händen der Arbeit.
Die jungen Burschen wölbten die Brust und behaupteten: »Er setzt zuletzt seinen Willen durch, wir würden alle handeln wie er.«
Ein Priester wiederholte an mehreren Stellen: »Aber die Frau Herzogin hat heute mehr getan.« Hierbei nickte der Priester vieldeutig, obwohl er jedesmal verschwand, bevor er befragt werden konnte. Der Legat des Papstes hatte ihm dringend aufgetragen, er müßte unerkannt bleiben.
Wegen solcher Worte trat doch kein Schweigen ein, wie wenn man nachdenkt. Eine Menge ändert mitten in ihrem Lärm die Richtung ihres Gemütes. Als der König, seine Liebste und der Offizier dieselbe Straße abwärts ritten, anstatt daß sie das Weite gesucht oder Hilfe geholt hätten, war niemals von einer Flucht die Rede gewesen. Sondern eben dies Volk drängte nach, einige gelangten bis an den Kopf, zwei von ihnen faßten die Zügel der beiden vorderen Pferde, die gingen jetzt Schritt -- derart geleitete dies Volk seinen König und die Königin, die es haben wollte, nach dem großen neuen Eingang von Schloß Louvre.
Herr de Frontenac hatte seine Waffe in die Scheide gestoßen, da er verwandelte Stimmen hörte und den nächsten in die Augen sah. Diese glänzten feucht, sie spiegelten anfangs nur das ritterliche Gefühl des Volkes. Je länger die Strecke, um so weiter wird es in der Empörung gehen. Der König forderte diese selbst heraus. »Kinder! Zum Haus der Frau Herzogin!« befahl er.
Wieder machte er einen Umweg. Aus den Türen der Werkstätten liefen Handwerker, zuerst stockte ihre Bewegung. Sie zweifelten: Geraten wir denn wohl in einen frommen Hergang? Indessen, der Zorn des Königs, das zerrissene Kleid der Dame neben ihm, ließen genug erraten. Hier fielen die ersten Verwünschungen gegen die Mörder Gabrieles. Sie, es hören und im Sattel schwanken. Henri hob sie herab und brachte sie in ihr Haus.
Unter ihren Fenstern wurde unverständlich durcheinander gerufen, sie stopfte sich die Finger in die Ohren. Wenn ihre Mörder verwünscht werden, dann sind es ihre Mörder. Das unwissende Volk rät mehr auf sie als auf ihren Herrn. Dies eröffnet den Schluß der Handlung und ist inmitten von Heimlichkeiten der erste öffentliche Aufschrei, daß sie sterben soll.
Henri sagte: »Was will man mit Ihren Mördern, Madame? Meiner war es, und ich bin es gewohnt.«
Er schickte Leute, die den Hof räumten. Als er zurückkehrte, hatte Gabriele das Zimmer verlassen. Er suchte, kam an ihr verschlossenes Schlafgemach, sonst seines und ihres, jetzt verschlossen und wurde nicht aufgemacht.
»Antworten Sie!«
Erstickte Laute, in ein Tuch hinein. Lachte sie denn? Er hätte es lieber für Schluchzen gehalten. Dies Lachen erkannte er nicht wieder, ungedämpft hätte es hart geklungen.
»Eines will ich wissen«, sprach er draußen. »Wer hat Ihnen die Ankunft des Flamen gemeldet?«
»Raten Sie«, sagte drinnen ihre kälteste Stimme, und sie schlug eine Tür zu.
Das hatte sie zum Schein getan, damit er ginge. Als sein Schritt sich entfernte, wollte sie ihn zurückholen, fiel aber auf das Bett, grub das Gesicht in das Kopfkissen, und dieses mit seinen Erinnerungen verlieh dem Geliebten so viel Gegenwart, daß sie zu ihm redete.
»Sire! Mein hoher Herr, wie ist es jetzt doch schlimm geworden.«
Ihre Tränen brachen endlich aus. Nach langem Weinen fand sie sich auf dem feuchten Kissen allein. Sie dachte, daß auch er gewiß eine Tür hinter sich verschlossen habe, wies alle Glückwünsche und Huldigungen ab -- und lag er nicht wie sie der Schwäche des Leibes hingegeben, dann maß er seine großen Schritte, hielt an, lauschte, vernahm ein Glöckchenläuten. Das schwingt eifrig wie kein anderes. Liebster! Es ruft uns beide.
Sie besann sich darauf, daß er das Totenglöckchen in seiner Einbildung nicht hören konnte. Wieso denn, bei ihm war keine Sagonne gewesen. Auch der Legat, wen hat er gewarnt? Nicht ihn, nicht zu der Stunde, als Malvezzi in Brüssel den Flamen auf den Weg schickte. Wie kommt es, daß der Legat des Papstes gegen die natürliche Annahme den König von Frankreich am Leben erhalten will? »Ich weiß es nicht«, sagte Gabriele, war vom Bett aufgestanden und überlegte angespannt.
›Muß wohl etwas schweben zwischen diesen beiden, dem König selbst nicht recht bekannt. Denn der Legat warnte nicht ihn, sondern mich, und gebot mir darüber zu schweigen bei meinem Herrn. An dir, es zu erraten, teurer Herr. Der falsche Brief. Sire! Sie ziehen ihn aus der Brust des Mörders, erkennen die Nachahmung und lesen ihn mit noch mehr Nutzen. Sie werden herausbekommen, wie umständlich und gewagt diesmal die Rettung Ihres Lebens war. Sie werden nicht mehr fragen: Was will man mit Ihren Mördern, Madame?
Sie werden nicht mehr töricht fragen. Liebster, wie deine Größe dich blind macht! So stehst du auf deinem Thron und siehst nicht infolge strahlender Majestät. Ich rette dein Leben vor denen, die mein eigenes wollen. Trachten mir danach um deinetwillen, und um meinetwillen dir. Wir sollen zusammen sterben oder ich allein. Niemals du ohne mich, das ist nicht vorgesehen. Wir wollten beide dasselbe Leben haben unlöslich -- haben aber jetzt zwei Tode, und die laufen um die Wette, welcher schneller ankommt.‹
Ihre Tante de Sourdis wurde gemeldet und war willkommen, da Gabriele sich entsetzte vor ihrer Einsamkeit und wäre davongelaufen, dachte sogar an ein Haus, das sie anlockte. Es war aber das verbotene.
Madame de Sourdis umarmte ihre hoffnungsvolle Nichte, was nicht vorkam, aber die Freude machte sie maßlos.
»Sie haben dem König das Leben gerettet. Jetzt kann er nicht mehr anders, wir gelangen stracks auf den Thron.«
Ihre frisch gefärbte Frisur flammte, die Arme schwenkte sie weiß. Scharfäugig wie sie war, entging ihr dennoch minutenlang, daß ihr Hochgefühl nicht geteilt wurde.
»Das Volk hat Ihr Pferd am Zügel geführt. Das Volk ist für uns«, rief Dame de Sourdis. »Der Hof muß vor uns in den Boden sinken«, rief sie schrill. »Volkes Wille ist Gottes Wille.«
»Leiser!« verlangte Gabriele. »Ihm gefiele es nicht, wenn er Sie hörte.«
»Madame, sind Sie bei Sinnen?« fragte die Tante. »Wie sollte er nicht glücklich, sein, Ihnen sein Leben zu danken.«
Gabriele schwieg. Sie hätte auch nicht gesprochen, war ihr selbst der Zusammenhang klarer gewesen. ›Ich darf ihn nicht zwingen‹, fühlte sie. ›Er hat keine zwei Leben, obwohl ihm meines gehört.‹
Da die erregte Verwandte in sie drang, erklärte Gabriele zuletzt, daß dem König das Leben oft und von vielen anderen gerettet wäre, gesetzt, er wüßte sich nicht selbst zu schützen. Herr de Frontenac hatte diesmal den zweiten oder dritten Mörder ergriffen. Ein Lebensretter war Herr d'Aubigné, sogar der Narr Chicot war einer. »Keinen aber hat mein hoher Herr belohnt wie seine Magd«, sprach Gabriele d'Estrées, und zum großen Staunen der Dame de Sourdis beugte sie die Knie. Wendete dem Zimmer den Rücken, im Winkel sprach sie still zu der Heiligen Jungfrau über ihr.
Der Tante währte es zu lange, weshalb sie abging, obwohl unter innerem Murren. ›Wenn du Gans nicht alle Tage dümmer würdest, hieltest du dich an deine Protestanten und ließest sie einen gesunden Aufstand vollführen zwecks Krönung einer Königin aus dem Adel dieses Landes!‹
»Madame, unsere liebe Frau«, betete Gabriele. »Sie kennen mein Herz, das von Haus aus verderbt ist und Sie allein beschwichtigen seinen Stolz. Mein geliebter Herr hat mich in meinem zerrissenen Kleid dem Volke gezeigt, mehr Dank und Lohn, als ich verdiene. Madame, gewähren Sie mir sein Leben!«
Die Bitte um ihr eigenes Leben war hierin eingeschlossen -- nicht ausdrücklich, aber Gabriele vertraute, daß sie verstanden werde, und endeten hier.
Henri ließ den ganzen nächsten Tag hingehen und sah sie nicht. Am Abend bekam sie seinen Brief. »Mein schöner Engel«, schrieb er aus Schloß Louvre, »Du glaubst, König zu sein ist schön, aber oft steht es trauriger um mein armes Herz als um den letzten meiner Untertanen. Der Bettler unter meinem Fenster ist weniger zu beklagen als ich. Die einen sind Katholiken, die sagen von mir: er riecht nach Hugenotterei. Die anderen sind Protestanten und sagen, daß ich sie verrate und sei päpstlicher als der Papst. Ich kann Dir nur sagen: Von Herzen bin ich Franzose, und Dich lieb ich.«
Sie las alles heraus, die tiefen Gründe seiner Traurigkeit, den gebundenen Willen, gegen ihn ist noch der Bettler frei. Wir können zusammen nicht kommen, hieß das alles. Sie selbst wurde davon nicht mutlos. Ihn klagen zu hören, gab ihr Zuversicht und Kraft.
Unversehens war der zweite Mörder da. Diesem hatte niemand auf seinen Wegen nachgespürt, ungestört hatte er seinen Auftrag besorgt -- der König selbst entdeckte ihn und fing den Arm ab. Der König war außerordentlich auf der Wacht, da nur er begriff, weshalb sie ihm geschickt wurden und daß dem ersten alsbald der zweite folgen mußte. Übrigens war der erste ein Dominikaner aus Flandern; der zweite, ein Kapuziner, kam von Lothringen. Gleiche Brüder, gleiche Kappen. Ob Spanien, Rom, Haus Lothringen oder Haus Habsburg, die wahre Freundschaft war es zwischen ihnen nicht; darin aber stimmten sie überein, daß es besser wäre, der König von Frankreich stürbe.
Die Untertanen des Kaisers, Freund oder Feind und ungeachtet ihres Glaubens, wurden von den Spaniern, was sich Spanier nannte, kahl gefressen, gespießt, gepfählt, geröstet und die Dorfstraßen entlang an die Bäume gehängt. Das waren die Vorläufer eines weittragenden Unternehmens, bis jetzt noch unverbindlich, und niemand nennt es Krieg, wozu ein Wort, das alle erschreckt. Der Angreifer allerdings, immer ohne Krieg, bemächtigte sich in Richtung auf Cleve der Rheinübergänge.
Sogleich marschierten die Regimenter des Königs Henri. Er hat ihnen gute Straßen gebaut, und sein verkleinertes Heer hält Zucht, keine gedankenlose; sondern der Soldat kennt seinen König Henri und hat den vernünftigen Glauben an ihn. Das war der Grund, weshalb überall, wo die Truppen des Königs einrückten, der Feind Reißaus nahm. Es ist Soldaten nicht zuträglich, daß sie mißachtete Herren haben, sich auch selbst nicht ehren und bei ihrem verdorbenen Wesen auf weiter nichts bauen als auf eine zufällige Straflosigkeit.
Der Angreifer berechnete, daß die Regimenter des Königs ihren besten Nerv verloren und alsbald nachgelassen hätten: nur er selbst mußte fallen. Da der Mord mißlungen war, gab man auch den Krieg auf, falls jemand Krieg gesagt hätte. König Henri traf die Umstände nicht mehr, um selbst nach dem Rhein abzugehen. Dabei verlangte es ihn Zu kämpfen mehr als je. Erstens ist ein König seiner Art immer noch sicherer bei den Armeen als hinter allen Wachen von Schloß Louvre. Die Schlacht und vergessen dürfen, wieviel Schande seine Mörder ihm brachten -- als war er der unbefestigte Empörer, den man in ewiger Furcht für sein Leben erhält. Ich bin aber Prinz vom Geblüt, so mach ich denn den König von Navarra.
Den ersten der zwei Mörder hatte er begnadigen wollen: nur Rom nicht reizen! Jetzt wurden beide zusammen abgeurteilt und hingerichtet. Auch drohte er mit einem Prozeß gegen Madame Marguerite von Valois wegen Ehebruchs. Sofort wurde sie gefügig, und Rom begriff, daß der König von Frankreich nunmehr genesen wäre von seiner schweren Traurigkeit. Nichts fuhr dazwischen, weder Bannstrahl noch väterlicher Rat, als Henri weiter seinen neuen Mut bewies. Das königliche Parlament hatte das Edikt von Nantes bisher mit Fleiß übergangen, so daß es nicht rechtskräftig wurde. Jetzt spricht Henri sein Machtwort.
Er spricht es an die Rechtsgelehrten, die er einst geliebt hat und sie vielleicht ihn. »Heute wird Aufstand gepredigt, die Barrikaden sind wieder einmal in Sicht; ihr, meine Herren Richter, seid inzwischen zu Vermögen gelangt, ihr liegt in den weichen Betten eurer eigenen Häuser anstatt im Gefängnis auf Stroh. Habt daher vergessen, welche Seite der Barrikade die eure ist durch Fügung und durch Pflicht. Wenn aber schon wieder die spannenden Vorzeichen geschehen, laßt euch denn warnen. Sie bedeuten wenig für mich, aber für manchen viel. Lang ist's her, da spielte ich Karten mit dem Herzog von Guise, und aus den Karten flössen Blutstropfen, waren nicht wegzuwischen, zweimal, dreimal, gilt es mir oder dir? Es hat nicht mir gegolten.«
Hiermit begann er, hatte sie aber in sein Kabinett bestellt, damit sie der Macht um so näher wären und vor ihr erschräken. »Krieg gegen die Religion, das möchtet ihr wohl. Barrikaden! Meine ist am Rhein, auf die schick ich euch wie ihr steht und geht in euren langen Kleidern, jeder mit der Flinte.« Das hätten sie nicht ernst genug genommen; er verhieß ihnen außerdem, daß er ihre Ämter doppelt und dreifach besetzen werde. Ihre Einkünfte halbiert und gedrittelt, die Aussicht zähmte sie mehr als eine Drohung, die Hetzer einen Kopf kürzer zu machen.
Das Edikt wurde vom Parlament eingetragen. Rom widersprach nicht.
Einmal im Zuge, verheiratete er seine Schwester mit dem Herzog von Bar. Protestantisch Madame Schwester des Königs, der befohlene Gatte ein Katholik -- Henri ließ den Erzbischof von Rouen kommen, der war sein eigener Bruder, ein Bastard, alles eins. Im Kabinett des Königs, wahrhaftig, eh Kathrin sich's versah, war sie getraut.
Der Herzog empfahl sich alsbald, auch dem Erzbischof entging nicht, er wäre hiernach überflüssig. Die Geschwister standen voreinander allein. Kathrin sagte: »Sire! Ich bewundere Sie. Wie jung geblieben. Wie kurzgefaßt.«
Er empfand die dunkle Ironie, beschattet vom Verzicht.
»Madame, es muß endlich sein«, hörte sie ihn sagen, förmlich wie zu ihr im ganzen Leben nicht. »Mußte sein für den Thron und meine Nachfolge. Der Graf von Soissons darf meinem Erben nicht länger im Weg sein.«
Das arme Gesicht der Schwester zitterte, sie senkte es, von unten stahl ein Blick sich zu ihm, der war hoffentlich nur streng, sonst wäre er noch weniger schmeichelhaft gewesen. Sie sprach:
»Dann aber hätten Sie, kurzgefaßt wie Sie nun sind, eine andere Trauung vornehmen sollen heut und hier.«
Er schwieg und wendete sich ab. Sie hätte ihn verlassen, da war er bei ihr und schloß sie in seine Arme. Beide hielten einander lange, wünschte keiner, daß es ein Ende nehme. Er erklärte weder, noch fragte sie. Fühlte der Bruder: ›So sind wir gealtert. Vergib mir deine Entbehrungen. Für meinen Ruhm hab ich dein Glück gefordert -- nicht kurzgefaßt. Ich habe dich darüber altern lassen, Kathrin, du Angedenken unserer lieben Mutter, die mich anblickt aus dir. Solang du da bist, ist noch nichts vergangen.‹
Fühlte die Schwester:
›So haben wir einander wie je, und war es gegen Ende. Dreimal hat der Tod nach dir gelangt. Du bist seinen Zugriffen entgangen, sowohl der Krankheit als den Mördern, dank deiner alten Übung mit ihm: jetzt laß es genug sein. Verzichte, lieber Bruder, auf die reizende Gabriele, die dein Leben kostet. Haben wir doch Zeit gehabt, uns zu bescheiden. Indessen bist du jung geblieben, deine innere Festigkeit widersteht den Jahren, dir kommt im Grunde nichts nahe. Du kannst nicht welken, mußt zerbrechen. Werd ich denn, müde wie ich bin, noch da sein, wenn du auf deinem Paradebett Hegst, das Kreuz in gefalteten Händen?‹
Er bemerkte, daß sie an seiner Brust erschrocken war. Er nahm das Gesicht zurück, prüfte das ihre und sie seines. Trockene Augen, alle beide. Wo seid ihr Tränen, wo die Zeit, als wir stritten, uns versöhnten, gut oder böse waren, und Weinen oder Lachen wurd uns leicht.
Die reizende Gabriele veränderte ihre bekannte Natur und zeigte Launen. Ohne unpäßlich zu sein, verschloß sie eine Woche lang ihre Tür, ja, sie sperrte die geheime Verbindung ihres Hauses mit Schloß Louvre. Henri schickte ihr den Pagen Sablé, damit er nach ihren Befehlen fragte. Sie ließ erwidern, daß sie genug zu tun habe mit ihren Astrologen, und die machten ihr Kopfweh. Der junge Wilhelm beugte das Knie und bat um ein Wort im Vertrauen. »Genug«, sagte sie heftig aus Ungeduld und wies ihn fort. An diesem Punkt beschäftigten sie nur ihre Wahrsager.
Henri fürchtete den Einfluß solcher Leute, er sagte: »Sie werden so lange lügen, bis sie schließlich noch die Wahrheit sprechen.« Bei dieser Meinung wäre er ihnen schwerlich mit Erfolg begegnet; bat aber deshalb Madame, seine Schwester. Die ging den geheimen Weg; an seinem Abschluß klopfte sie, bis ihr geöffnet wurde. Sie betrat leise ein Zimmer, woraus Stimmen kamen, und es war verdunkelt. Eine einzige Kerze beschien den Sternkundigen, die Kartenlegerin und einen dritten, der aus der Hand las. Die arme Schönheit hatte sich den drei Weisen ausgeliefert und horchte wehrlos ihrem Bescheid, infolgedessen sie mehrmals stöhnte. Kathrin empfand tiefes Mitleid. Wohin kommt es mit uns -- das war seit einigem ihr Wort; auch auf die Frau, die sie für die glücklichste gehalten hatte, paßte es leider.
Die drei Zauberer waren jeder in seiner Tracht; aber ob Mantel und spitze Mütze oder maskiert oder würdig wie ein Arzt, kein Bild und Zeichen wußten sie klar zu deuten, anstatt Gewißheit gaben sie Zweifel und flößten unbestimmte Schrecken ein, wovon ihr Opfer denn stöhnte. Die Arme, sie kannte einzig ihr Gebetbuch; unheimlich war schon das Wälzen so dicker Folianten, und nichts verrät ihr Horoskop, als daß sie nur einmal verheiratet sein wird. Meinen die Sterne, daß sie es schon gewesen ist? Eine Ehe, nie vollzogen und für ungültig erklärt? Aus ihrer Hand indessen wird abgelesen, daß sie jung sterben und ihre Bestimmung nicht erfüllen soll -- im Fall sie noch ein Kind bekäme. Da zieht sie die Hand fort und schließt sie krampfhaft. Umsonst, gerade hier warf die Maskierte ihrerseits das Spiel Karten durcheinander, vom Tisch stob es über den Boden. Gabriele aber flüchtete.
Sie wurde von Madame Schwester empfangen und bis in das entlegenste Gelaß geführt, unterwegs drehte Kathrin alle Schlüssel um.
»Meine liebste Freundin, ich weiß nur um so sicherer, daß Sie an Ihr Ziel gelangen werden«, sagte Kathrin und wünschte es ihr wie je.
Gabriele hauchte tonlos:
»Meine Sternbilder und die Linien meiner Hand stehen dagegen, nicht gerechnet die Karten.«
»Der Wille des Königs«, wendete ihre Freundin ein.
Gabriele, kaum zu hören: »Hilft nicht mehr.«
Madame Schwester des Königs: »Sie werden betrogen. Ich achte alle Geheimnisse des Himmels, aber drei Zeichendeuter, deren jeder die anderen beneidet, geben nicht die gleiche Auskunft, außer sie wären angestiftet.«
Gabriele, unter bitterem Schluchzen: »Sie haben dennoch wahr gesprochen. Das Kind, das mir verbieten soll, meine Bestimmung zu erfüllen, ich trag es im Leib.«
Sogleich umklammerte sie die Schulter der Freundin, sie flehte: »Nichts sagen!«
Kathrin küßte sie. »Als ob jetzt nicht alles gut wäre!« versicherte sie unter zärtlichem Lachen.
Gabriele glaubte es nicht. »Dies Kind ist mein Schicksal«, dabei blieb sie. Kathrin riet ihr zuletzt, den jungen Sablé nicht länger abzuweisen, sondern anzuhören, was er erdacht hat. Denn er ist treu und kühn.
»Er kann für mich nichts tun.«
»Er hat dein Lied gemacht, reizende Gabriele. Das singen sie im Königreich. Wenn er nun ginge, sie herbeizurufen.«
»Wen? Damit sie es singen? Schreit doch der Haß viel stärker.«
Schließlich versprach Gabriele, was Madame Schwester wollte. Nach ihrer Unterredung mit dem Pagen gab sie ihm Urlaub im Namen des Königs, und Wilhelm ritt eilends nach Haus in seine Provinz Touraine, wo die Loire fließt.
Gabriele inzwischen hätte am liebsten einen Turm bestiegen und hinaus um Hilfe gerufen: so sehr nimmt die Angst zu, und auch der Zorn bei dem, was noch geschieht, und sie erfährt es.
Der neue Kanzler war ihr Geschöpf. An die Stelle des alten de Cheverny, der nicht länger zu halten war trotz seinen Beziehungen zur Dame de Sourdis, hatte die teure Herrin einen Herrn de Sillery gesetzt. Mußte ihren ganzen Kredit beim König aufbieten, dafür verfügte sie in seinem engsten Rat über einen Mann gegen zwei, die hießen Villeroy und Sully.
Der König beging widersprechende Handlungen. Da Madame Schwester ihm die Umstände seiner Liebsten verriet und inständig bat, er möge sie trösten, überwältigte ihn das Gefühl. Nicht schnell genug konnte er ihr von Angesicht zu Angesicht seine Schwüre wiederholen -- diesmal brachte er einen Ring mit. Der merkwürdigste Ring, bei seiner Krönung hatte der Bischof von Chartres ihn dem König an den Finger gesteckt und hatte Henri vermählt mit Frankreich. »Sire! Was tun Sie«, sagte Gabriele. Zu ihrem Entsetzen sagte sie mehr, als gut war. »Meine Sterne verwandeln Ihr Geschenk in Unheil«, gestand sie. Henri erwiderte:
»Teuerste Liebe. Wir können einander niemals Unheil bringen. Wir haben beide denselben Stern, der Frankreich heißt.«
Damit glitt wirklich der Ring, der von Bedeutungen und Edelsteinen schwer war, von seinem Finger auf ihren. Sie aber verhielt einen Schrei: der Ring brannte sie, und da sie die Hand schüttelte, fiel er zu Boden.
Henri sah, daß sie die vorige Kraft und Entschlossenheit nicht hatte. Er schob es auf ihren Zustand. Sein eigenes Zögern -- warum zögerte er selbst? Kein Grund zu erkennen als nur die Finanzen seines Königreiches, das viele Geld, das er dem Großherzog von Toscana schuldete. Wer war daher der rechte Mann, ihm beizustehen? Er beschied Rosny zu sich. Der gute Diener seines Herrn, aus treuer, sachlicher Gesinnung mußte er seinen Streit mit der Herzogin von Beaufort inzwischen vergessen haben. Wenn nicht vergessen, hatte das Zerwürfnis, unzweckmäßig und grausam wie es war, seinem nüchternen Kopf gewiß zu denken gegeben. ›Er wird zugänglicher sein als vorher, nicht daß sein Herz erweicht wäre; der Dienst vielmehr, der Dienst verlangt von Herrn de Rosny, daß er meine Sorgen vereinfacht, anstatt sie zu erschweren.‹ Dies bedachte Henri, als er seinen Minister zu sich beschied.
Henri, er wußte selbst nicht warum, ging an dieses Gespräch mit einer Art Beschämung. Vorsichtig, nach einigen Umwegen, kam er auf seine Heiratspläne, als wären es nicht die seinen, sondern das Wohl des Staates gebiete sie ihm. Sogar der Papst stellte ihn vor die Notwendigkeit, da er endlich bereit schien, seine erste Ehe aufzulösen. »Wenn es nach meinem Wunsch ginge«, sagte Henri zu seiner Entschuldigung, »hätte meine zukünftige Erwählte alle sieben Haupttugenden auf einmal und außer Schönheit, Ehrbarkeit, einem gleichmäßigen Gemüt, beweglichen Geist, hoher Geburt und Fruchtbarkeit des Leibes besäße sie auch noch große Staaten. Die wird aber nicht so bald geboren werden« sagte er, in der Hoffnung auf ein Wort des Entgegenkommens. Dies blieb aus.
»Sehen wir einmal zusammen«, bat Henri -- mußte indessen für sich allein die Reihen der Prinzessinnen durchnehmen, die spanischen, deutschen und die aus seinem eigenen Hause. Von den sieben Tugenden bot jede nur wenige, die Protestantinnen kamen gar nicht in Frage. Der Herzog von Florenz sollte allerdings eine recht schöne Nichte haben, rosig und blond. »Dennoch ist diese wieder von der Rasse der alten Königin Katharina, die dem Königreich und mir soviel Schaden zugefügt hat.«
Dem Schlimmsten hatte Henri hiermit vorgebeugt. Jetzt war es an dem guten Diener, der seinen Herrn denn wirklich überraschte. Er widersprach nicht. Seiner Natur offenbar entgegen, vertrat er die Meinung, weder Reichtum noch königliche Abstammung wären unerläßlich. Der König will eine Frau, die ihm gefällt und ihm Kinder schenkt. Möge er demnach im ganzen Königreich verkünden lassen, daß alle Väter schöner, großgewachsener Töchter von siebzehn bis zwanzig Jahren sie in die Hauptstadt bringen sollen.
Siebzehn bis zwanzig -- die hatte Gabriele nicht mehr. Henri mußte wahrnehmen, daß dieser Rosny die Zustimmung und Gefügigkeit übertrieb, um ihn abzuschrecken. Den Wünschen des Königs gab er die Gestalt eines Märchens, Väter, die aus allen Provinzen ihre Töchter zur Auswahl herbeiführten; die Mädchen wohlbewacht in einem Haus, der König mochte sich weiden. Hatte er sie lange genug beobachtet und war eingeweiht in ihre geheimsten Schönheiten, dann war er auch versichert, welche ihm die besten Söhne gebären würde. »Obwohl«, setzte Herr de Rosny hinzu, und von der Ironie und dem Märchen schritt er nunmehr zur Lehrhaftigkeit, seinem eigensten Gebiet.
»Obwohl hohe Persönlichkeiten und hervorragende Prinzen sehr schwächliche Kinder gezeugt haben, wofür hinlängliche Beweise vorliegen.« Diese zählte er an den Fingern her, zuerst die fabelhaften Namen aus den ältesten Urkunden, dann persische Könige, römische Kaiser, ließ keinen aus und schloß mit Karl dem Großen.
Schulweisheit -- Henri wurde an die Mittelmäßigkeit des Mannes erinnert, wozu hat er ihn angehört. Er sagte schroff:
»Verstellen wir uns nicht. Sie wissen, welche ich meine. Damit sage ich noch nicht, daß ich sie heiraten will«, diese Einschränkung machte Henri, damit ihm nicht um so mehr entgegengearbeitet würde. »Ich befehle Ihnen, frei zu sprechen und mir unter vier Augen die Wahrheit zu sagen.«
Was blieb dem Minister übrig, als dem Herrn offen vorzuhalten, daß seine Verbindung mit der Herzogin von Beaufort allgemein mißbilligt werde. Mußte man es wiederholen? »Sie selbst werden sich schämen, wenn erst die Wogen der Liebe Sie nicht mehr umherwerfen.« Auch diesen Satz rechtfertigte die befohlene freie Sprache. Und ferner: »Ihre Nachfolge wird umstritten sein, ja, sogar Ihre beiden Söhne werden darum streiten. Der erste entstammt einem doppelten Ehebruch, der andere nur einem einfachen. Nicht zu reden von denen, die Sie später in der Ehe bekämen: die werden sich für die einzig rechtmäßigen halten.«
Rosny, jetzt Sully, vergriff sich zuletzt dennoch im Ton, der nachsichtig wurde, und verriet in der Nachsicht die Überheblichkeit.
»Dies will ich Sie mit Muße bedenken lassen, bevor ich mehr sage.«
»Sie haben gerade genug gesagt«, erwiderte Henri ungnädig und verabschiedete den Mann.
Er ließ sich gern die sogenannten Wahrheiten sagen. ›Was Menschen vorzubringen haben, ist vielfältig und fesselnd, es eröffnet mir den Sinn der Menschen und ist von einer Seite immer richtig. Die einzig wahre Wahrheit ist es nie. Was weiß ich?‹ Dennoch blieb von dem gehabten Gespräch eine Gereiztheit bei ihm zurück, nicht weil ein König anhören muß, daß er sich schämen wird. Man schämt sich während eines längeren Lebens vieler Handlungen und Zustände, die nun einmal dazugehören. ›Mein teures Gut, du mein Liebstes auf Erden, daß von den sogenannten Wahrheiten nur nicht so vieles an dir haftenbliebe! Ich muß dir's nachtragen, bin gegen dich gereizt und weiß noch weniger, wie alles enden soll.‹
Gabriele, die es wußte, strebte gewaltsam dem Abschluß entgegen. In ihren guten Zeiten hatte sie ihr Schicksal mit Gleichmut herankommen lassen, oder wenn sie kämpfte, dann ohne Eile. Jetzt sollte es schnell gehen, und jeden Abend im Schlafzimmer drängte sie, forderte ihr Recht, wovon sie sonst immer geschwiegen hatte: das Recht, sie zu erhöhen, ihrem Herrn allein hatte sie es erteilt. Die reizende Gabriele machte nichts aus sich, das taten Natur und Glück. Die arme Gabriele fing jetzt an, ihre Schönheit ins Feld zuführen. Sie erinnerte den König an den Segen, den sie ihm gebracht hatte; als sie ihn aber gebracht hatte, war es gewesen, wie das Korn wächst.
Wenn sie an diesen Abenden auf ihren Leib wies und' laut ihre Umstände anpries, um derentwillen sollte er sie heiraten -- jedesmal erschraken in ihrem Herzen alle beide. Er über ihre Verwandlung. Sie, weil sie sich auf das Kind berufen hatte, und gerade das zeugte gegen sie, die Sterne oder Linien erlaubten keinen Zweifel. Wenn ihr Leben ihr lieb ist, bleibt ihr nur übrig, abzustehen von ihrem Ziel: sie bedurfte der Sterne nicht, um es einzusehen. Trotz ihrem Wissen und Willen gehorchte sie einer bösen Lust nach dem Abschluß -- sie keuchte zuletzt davon, weil es gegen die Vernunft und ihre Selbsterhaltung war.
Henri liebkoste die Zusammengebrochene. Seine eigene Gereiztheit war beigelegt, ihr ungesunder Haß, wenn sie denn ihren Liebsten hier gehaßt hätte, schwamm in Tränen fort, und sie machten einander glücklich. Genuß, Leidenschaft, Zärtlichkeit, sie überzeugten das geliebte Wesen und sich selbst, daß es noch immer derselbe Ring wäre aus Freuden der Sinne und des Herzens. Schon ein anderer Ring aber hatte Schmerzen verursacht beim Hinübergleiten von seiner auf ihre Hand, dermaßen, daß sie ihn fallen ließen.
Sie ritten zusammen wieder zur Jagd. Henri verließ sie selten. Denn er fühlte ihre Furcht und hatte um sie selbst wohl Befürchtungen, obgleich niemals ausgemachte, gegen die man Mittel ergreift. Einmal beim Nahen der Dunkelheit kehrten sie zurück mit nur zwei Edelleuten, Frontenac und Agrippa d'Aubigne. Diese vier erreichten die Stadt am linken Ufer des Flusses, wo es Quai Malaquais heißt, in einiger Entfernung von den alten Brücken. Die Arbeiten an der neuen Brücke, die Henri erbaut, sind wegen der großen Begebnisse des Königreiches ins Stocken geraten; erst dieses Jahr wurden sie aufgenommen, bis jetzt muß man übersetzen. Da ist das Boot und ein mürrischer Fährmann, der seine Gäste weder ansieht noch kennt. Der König fragt, denn er will aus jedem die Wahrheit holen.
»Was hältst du von dem Frieden, den der König geschlossen hat?«
Der Bootsmann: »Wieso, ich merke nichts von dem schönen Frieden. Immer nur Abgaben auf alles, sogar auf diesen armseligen Kahn, wer soll davon noch leben.«
Der König: »Und der König bringt keine Ordnung in all die Abgaben?«
Der Bootsmann: »Der König mag soweit gut sein; er hat aber eine, die er aushält, die braucht immerfort teure Kleider, allen möglichen Firlefanz, und wer bezahlt das? Wir. Wenn sie ihm wenigstens treu wäre. Sie soll aber richtig fremd gehen.«
Das Lachen des Königs brach ab. Die Herzogin von Beaufort war in einem großen Mantel, die Kapuze verdeckte ihr ganzes Gesicht. Das Boot legte an, die beiden Edelleute sprangen heraus und reichten der Dame die Hand. Der König hatte als letzter das Ufer erstiegen. Dem Schiffer, der abstieß, rief er nach: »Der sag ich's wieder!« Der Mann stand mit langen Knochen über sein Ruder gebeugt, er wendete den Kopf nicht. Die Herzogin sprach zu dem König laut, die Herren und auch der Kerl konnten es hören:
»Er soll gehängt werden.«
Darüber erschrak nur einer wahrhaft, Agrippa d'Aubigne. Henri war mit der neuen Reizbarkeit seiner teuren Herrin vertraut. Vor kurzem, sie hatte den ersten deiner beiden Mörder unschädlich gemacht mit eigener Lebensgefahr, bat sie noch für den Mörder um Gnade. Er sagte sanft:
»Lassen Sie den armen Teufel laufen. Seine Not verdirbt ihm die Stimmung. Ich will, daß er für sein Boot nichts mehr zahlt. Alle Tage, soviel ist sicher, wird er dann singen: Hoch Henri! Hoch Gabriele!«
Einige Schritte weiter sprach Gabriele, warf ihre Hüllen zurück, und ihre Stimme schwankte zwischen Erbitterung und Schmerz.
»Der Mann war angestiftet. Man will Ihnen zeigen, daß ich verhaßt bin. Sire! Als nach dem Anschlag auf Ihre geheiligte Person unsere beiden Pferde am Zügel geführt wurden, hat Ihr Volk mich nicht gehaßt. Im Hof nachher und unter meinen Fenstern, wissen Sie wohl noch, was hinaufgerufen wurde? Es hat mich nicht gehaßt.«
»Madame, vom Haß ist keine Rede«, sagte Henri. Er legte den Arm um sie, unter dem weiten Mantel fühlte er sie am ganzen Leibe zittern.
»Sie haben sich niemals Feinde gemacht. Sie waren gut, und durch sie wurde ich besser. Meinem Mornay hab ich seinen Traktat gegen die Messe verziehen, weil Sie mir zusprachen. Meinen Agrippa, sooft seine Zunge lose war, nahm ich doch in Gnaden zurück dank Ihren guten Taten. Ich habe Sie lieb, so seien Sie getrost.«
Der Wind blies kalt, Henri schloß ihren Mantel fester. In das Tuch, das ihr Geflüster erstickte, klagte sie:
»Warum werd ich gehaßt? Ich will nicht sterben.«
Da waren sie angelangt bei dem Hause Gabrieles. Sie schrak auf.
»Sire!« rief sie. »Mein geliebter Herr!« rief sie. »Lassen Sie uns zu Pferd steigen. Sie sollen sehen, daß Ihr Volk mich liebt.«
An diesem Punkt mußte Agrippa d'Aubigne sein erschrockenes Schweigen brechen. Wer weiß denn nicht, was vorgeht. Jeder hat etwas davon erlauscht oder einen Blick hineingeworfen. Alle ahnen, nur der König nicht.
»Hören Sie mich, Sire!« bat Agrippa. »Frau Herzogin, verzeihen Sie mir, was ich sagen werde.«
Henri erkannte seinen dreisten Kampfhahn nicht. Ein Agrippa, dem nicht wohl war und der plapperte wie ein ertappter Sünder.
»Allerdings ist wahr, daß Sie heute viel Volk aus dem Lande hätten sehen sollen in Ihrer Hauptstadt. Vor Ihr Schloß Louvre wären große Haufen gezogen und hätten nach Ihnen gerufen, damit Sie hören, was Ihr Volk will. Sie sollen es wagen und sollen ihm eine Königin aus seinem Blut geben.«
»Warum seh ich die Leute nicht?« fragte Henri. »Woher kommen sie?« fragte er begierig.
Agrippa: »Von der Loire sind sie gekommen.«
Henri: »Ich weiß. Die Stromfahrt. Vom Ufer verhieß mir ein Bauer: Ihre Königin soll beschützt werden wie Sie. Ich habe sie nicht gerufen. Sie sind nicht hier. Was ist geschehen?«
Agrippa: »Als sie beim Arsenal eintrafen und in die Stadt wollten, hat Herr de Rosny sie mit der Truppe zur Umkehr genötigt. Ihren Anführer hat er verhaftet.«
Henri: »Den Mann, der uns seinen Schutz versprach? Das will ich nicht.«
»Hergeführt hat sie ein anderer«, murmelte Agrippa -- blickte scheu um, ob niemand ihn belauschte. Aber Frontenac zeigte auch kein anderes Gesicht; beide hatten zu viel gewußt, zu lange geschwiegen. Wind, Dunkelheit, Geheimnis, und die vier Gestalten verharrten auf dem Fleck. Wer tut einen Schritt, wer spricht ein Wort?
Gabriele: »Es ist Herr de Sablé. Ich hab ihn ausgeschickt. Er hat Unglück gehabt, da er seine Mannschaft am Arsenal vorbeiführte. Sire! Bestrafen Sie nicht ihn, sondern mich.«
Henri antwortete nicht. Er befahl Frontenac, die Herzogin nach Haus zu bringen. Ihn selbst begleitete Agrippa bis zu den ersten Wachen, wo er anhielt. Henri war schon weiter, kehrte aber um, er sagte:
»Dank dir, Alter.«
Ein Soldat reckte die Laterne hoch, Agrippa erkannte bei Henri die ganze Qual des Gewissens. Sie stimmte ihn um nichts milder. Er hatte seine verwegene Stimme zurück.
»Sie danken mir zu spät. Hätt ich vor Toresschluß gesprochen! Anfangs waren einige, die Sie nur verbannen und unschädlich machen mußten. Jetzt ist es eine weite Verschwörung, kennt keiner den anderen. Aber alle sind darin und werden alle mitschuldig sein: auch ich, auch Sie.«
Bei dem letzten, verwegensten Wort sprang der gedrungene Mann vom Boden, nahm die Stellung des Grüßens ein, gespreizte Beine, geschwenkter Hut. Recht besehen war er es, der den König verabschiedete.
Henri schloß sich ein. ›Er soll abrechnen, einen Strich ziehen und die Summe hinschreiben, wie jemand im Arsenal es macht. Der hat das gute Gewissen, das die klaren Rechnungen gewähren, und sonst braucht er keins. Er kann mir jederzeit beweisen, daß die Bauern als Empörer gegen meine Hauptstadt gerückt sind, und wer sie geholt hat, sitzt mit Recht im Turm, weil er jung und dreist ist. Ich darf's nicht sein, sonst wahrhaftig wüßt ich, was zu tun!‹
Er war durch das Zimmer gerannt, er hatte zwei große Krüge übereinander geworfen, der Ton des Metalls schwang lange. Endlich stöhnte der König laut, da entstieg dem Hintergrund die sehr gestraffte Gestalt seines Ersten Kammerdieners d'Armagnac. »Sire!« begann er ohne Erlaubnis, mit einer Stimme ganz ähnlich der kürzlich gehörten. Agrippa und jetzt dieser, alle Alten werfen sich auf einmal in die Brust.
»Was hast du?«
»Sie sollen die Wahrheit erfahren«, entschied Herr d'Armagnac. »Nachher werden Sie handeln wie ein großer König.«
Henri sagte: »Die Größe, wir sind darüber belehrt. Fehlt die Wahrheit, und die hättest du?«
»Ihre Ärzte kennen sie. Ihre Ärzte«, wiederholte dieser Begleiter durch das Leben. Er ließ etwas nach von seiner Großartigkeit, er verzog den Mund.
»Mir haben sie sich anvertraut.«
»Warum nicht mir?« meinte Henri, der die Schultern hob. »Ihresgleichen nimmt die Dinge sonst feierlicher. Als ich krank lag, waren alle um mein Bett versammelt, und mein Erster Arzt La Rivière hielt mir bedeutende Ansprachen. Gewiß, wer meine Natur erforscht hat, besitzt etwas von meiner Wahrheit.«
»Herr La Rivière hat nicht den Mut gehabt, sie Ihnen ins Gesicht zu sagen.« D'Armagnac sprach gedämpft, die Augen niedergeschlagen.
Henri erbleichte. »Schnell! Betrifft es die Herzogin von Beaufort?«
»Auch sie.« Der alte Mann versuchte nochmals die angespannte Haltung; indessen, was er vorbrachte, klang schwach.
»Sie sollen kein Kind mehr zeugen können.«
Manches andere hätte Henri erwartet. »Ich hab es doch. Sie trägt es im Leibe.«
Er vernahm:
»Ihr letztes. Seit Ihrer Krankheit war es damit vorbei -- behauptet Herr La Rivière.«
Dem König blieb die Antwort aus. In seinem Schädel eilten die Einblicke, Gedanken, Beschlüsse: d'Armagnac verfolgte alle. Je mehr von ihnen durcheinander stürzten, um so sicherer war er des letzten, der kam unweigerlich und zog den Strich. Es ist geschehen, sah d'Armagnac. Steht fest und wird nicht mehr geändert. Die Frau, von der er Söhne hat, und soll keine je wieder bekommen -- er will sie heiraten.
Der Erste Kammerdiener trat beiseite, ihm wird sein Herr es nicht anzeigen, weil es Schicksal ist und bedarf keines Wortes mehr dagegen oder dafür. Um seinen Rat gefragt, hätte d'Armagnac leise zu erwägen gegeben, ob Herr La Rivière nicht etwa im Bunde mit, der Herzogin von Beaufort wäre. Und wenn nicht im Bunde, dann war er ihr von selbst gefällig. Diente übrigens dem König, wie er es verstand. Er dient ihm schlecht, argwöhnte d'Armagnac. Er lügt, der König kann gewiß Kinder haben; und die Lüge kommt zu spät. Jetzt ist der König entschlossen. Aber aus demselben Grunde wie er werden die Feinde der Herzogin zur Tat greifen.
Der Alte, plötzlich viele Jahre älter, hatte Mühe, zwei schwere Krüge, die gefallen waren, wieder aufzustellen. Der König glaubt den Ärzten. An Astrologen glaubt er nicht, um so fester den Ärzten. Sie können nicht mehr helfen. Gabriele ist aufgegeben.
Das Haus des Finanzmannes Zamet lag verschwiegen, obwohl an der glänzenden Straße, die beim Tor Saint-Antoine begann. Diese Straße der Triumphe und Einzüge erweiterte sich rechts zu dem Königsplatz des König Henri, und der war immer noch im Bau. Das Haus gegenüber wendete der schönen Straße den Rücken, es wurde noch dazu verdeckt von einer hohen Mauer; um die fremdartige Örtlichkeit zu betreten, bog man abseits in eine enge Gasse, von dort in ein Stück Weg ohne Ausgang. Es konnte sein, daß die eiserne Pforte sich öffnete. Dem Besucher dieses frühen Morgens wurde aufgemacht.
Er gelangte in einen weiten Hof und bewunderte maßvoll als ein völlig Eingeweihter die weitläufigen Anlagen der italienischen Villa. Alle Gebäude niedrig, die Wandelgänge und Terrassen leicht, fein und in die Luft erhoben. Droben konnte ein Genießer sich ergehen, wenn der Tag lieblich war und der Garten duftete. Das Wohnhaus, die Bäder, Ställe, Schreibstuben und Unterkünfte des Personals waren gefällig verteilt, durchaus in angemessener Art -- ›denn ungleich den Barbaren, tun wir niemals größer, als wir sind‹, dachte der Besucher.
Er fragte den Pförtner, ob der Herr sich erhoben habe. Man wisse es nicht, war die Antwort. Diese früheste Stunde, nachdem die letzten Gäste den Platz geräumt und er nur kurz geruht habe, verbringe der Herr in seinem Schlafzimmer am Sekretär, aber ihn zu stören sei unerlaubt. Gewisse Fälle nicht gerechnet -- meinte der Bediente merkwürdig bescheiden; der Besucher sah nicht reich aus. Dennoch geleitete man ihn ohne weiteres zum Haus, man ging sogar auf den Fußspitzen. Drinnen empfing ein Haushofmeister ihn mit Verbeugung -- führte den Finger an die Lippe zum Zeichen seiner Verschwiegenheit; schritt dem Geheimnisvollen voraus, und nach leisem Kratzen an der Wand ließ er ihre unsichtbare Vorrichtung spielen.
Sebastian Zamet saß nicht über seinen Rechnungen, wie zu erwarten gewesen wäre. Der Geheimnisvolle war etwas vorzeitig in das Zimmer gelangt, der Finanzmann wurde noch halbwegs beim Beten betroffen. Wenigstens hatte es den Anschein, denn in seinem seidenen Schlafrock kam er eilends vom Boden hoch. Das Licht des anbrechenden Wintertages kämpfte mit dem Schein der Kerzen.
»Sie sind schon lange auf. Sie sehen abgespannt aus«, bemerkte Messer Francesco Bonciani, Agent des Großherzogs von Toscana.
»Ich erwartete Sie«, sagte Schuster Zamet mit Verbeugung, nicht anders als sein Haushofmeister. Er hatte sich gar nicht niedergelegt, seine Seele war voll Unruhe, und diese nicht zu zeigen, war er einzig bemüht. Aber der politische Agent hatte ihn schon wieder aus dem Auge verloren, er sah sich in dem reichen Schlafgemach um. Der Mann besaß mehr Sinn für schöne Dinge als Lust an der Beobachtung von Menschen. Die kannte er ohnedies, und es ist natürlich, daß ein Geldmensch von niederster Herkunft sein Gebet verrichtet. Wer sollte wohl Religion haben, wenn nicht solche Leute.
Der Blick des Besuchers wanderte von den zierlichen Säulen des Bettes aus Rosenholz über den Damast der Wände.
»Etwas ist hier verändert«, bemerkte er.
»Sie wünschen zu frühstücken«, sagte Zamet schnell. »Ich erteile die Befehle.«
Anstatt aber dem Trichter des Sprachrohres, näherte er sein Gesicht zuerst den Kerzen und blies sie aus. Der Winkel wurde davon verdunkelt, um so eher entdeckte Bonciani das Bild. »Wußte ich's doch«, sagte er.
»Was denn nur?« fragte Zamet, während er heftig bedauerte, daß er vergessen konnte, das Bild zu entfernen. Der unbequeme Gast sagte:
»Sie taten recht, das Licht zu löschen. Farben wie diese leuchten aus sich selbst wie Diamanten.«
Er wußte sehr wohl, daß weder die Steine noch die Mischungen aus Öl und buntem Staub ihren Glanz in sich tragen. Dies ist indessen die Eigenheit des Reichtums. Dem Reichtum zu huldigen, mag es nun eines starken Geistes würdig sein oder nicht, Bonciani konnte es nicht lassen. Er verachtete die Reichen und nur die Idee des Reichtums verehrte er: das war seine Entschuldigung.
Zamet bot ihm dringend einen Sitz an, er legte ein Kissen nach dem anderen hinein, Bonciani indessen war von dem Bild nicht fortzubringen. Er erriet den Namen des Malers aus den Eigentümlichkeiten seiner Hand, erkannte auch, daß dies der erste Entwurf und nachträglich für das Auge hergerichtet wäre. »Vorher war er gewiß besser. Ich möchte wetten, daß die Ausführung im Großen, die ein solcher Barbar sich nie entgehen läßt, von dem ursprünglichen Reiz der Eingebung noch mehr verloren hat. Ein Genius wie dieser hat unsere italienischen Meister studiert, ohne doch die Hauptsache zu begreifen. Er überschreitet selbst mit höchster Anstrengung den Bezirk der Sinne kaum. Fleisch, hoch getönt und aufgehäuft, aber ihm bleibt unzugänglich das Reich der Vollendung, das geistiger Art ist.«
»Darf ich Sie bitten«, sagte Zamet bei dem gedeckten Tisch, der lautlos aus dem Boden gestiegen war.
Bonciani sprach weiter.
»Gleichwohl, am Anfang war es eine Eingebung. Der König steil auf seinem Thron als die Idee der Majestät und neben ihn hingewälzt die nackte Geliebte. Man könnte weinen, daß es mißlungen ist. Wieviel hätte jeder der Unseren daraus gemacht!«
»Er hätte überhaupt nichts gemacht«, erwiderte Zamet, denn der Geldmann ließ seinen Besitz nicht gern verringern. »Die Künstler haben nicht mehr alle das Zeug zu kühnen Einfällen. Und was gehörte erst dazu, die große Leinwand dem König zu verkaufen, den Entwurf aber mir. Allerdings ging ich mit meinem Angebot höher als in ganz Europa jemand sich verstiegen hätte.«
Bonciani wendete den Kopf hin.
»Ich bin in der Lage, Ihnen für Rechnung des Großherzogs das Doppelte anzuweisen.«
»Aus geziemender Ehrfurcht würde ich Seiner Hoheit diesen unbedeutenden Gegenstand kostenlos überlassen.« Zamet legte die Hand auf die Brust, worin aber das Herz sehr angstvoll schlug. »Der König würde es mir nie verzeihen«, schloß er schwach.
Der politische Agent kehrte ihm die ganze Ansicht zu. Die Bedenken des Geschöpfes nahm er nicht zur Kenntnis; nachlässig überflog er die Erscheinung, ihre gesenkten Schultern, weiblichen Hüften, ein Gesicht, das durch den Eifer auf Gewinn wohl einmal Festigkeit bekam; blieb aber flach wie bei Sklaven. Die Betrachtung lohnte wenig, Bonciani gab sie auf -- während Zamet seine runden Augen nicht genug sättigen konnte mit dem Anblick seines beklemmenden Gastes. Er fühlte, daß der hagere, sonst wohlgestaltete Mann in vertragener Kleidung ihm die äußersten Verlegenheiten mitbrachte. Half nichts, daß er diese seit einigem kommen sah. Plötzlich jammerte Zamet, die gebackenen Austern wären nun kalt geworden.
»Ich lasse andere backen.«
»Nein«, sagte Bonciani. »Ich esse keine. Oder ich esse sie aus Achtung für Ihre berühmte Küche.«
Er saß hin und begann sich scheinbar zu ernähren. Seinem eingefallenen Munde glaubte man nicht, daß er wirklich aß. Er hatte über hohlen Wangen ein besonders starkes Gewölbe für Augen und Stirn. Man unterschied nicht: war der Schädel vorne kahl oder die Stirn zu hoch. Bonciani benutzte keine Stütze, er senkte niemals den Kopf, und wenn Zamet über seinen Teller gebeugt war, lag unerbittlich auf ihm ein kalter Blick. Sein Gast schwieg und ließ ihn kauen -- eine Gnadenfrist, wie der Schuster wohl wußte. Mit gefüllten Backen brachte er zur Verlängerung des Aufschubs seine Entschuldigungen vor, daß Freitag wäre und es gäbe nur Fischgerichte, Seezungen ausgelöst mit Muscheln und in der köstlichen Soße, die ein Geheimnis ist. Der König liebt sie wegen des Estragonkrautes, das ihn an seine Heimat Bearn erinnert.
Zamet beeilte sich, dem Mann das zweite Glas einzuschenken; das erste hatte er ohne bemerkbaren Erfolg geleert. Der helle Wein war warmblütig; der kalte Blick blieb kalt. Zamet ärgerte sich über den Mann: ein gewohnheitsmäßiger Hungerleider, den der Großherzog knapp hält. Ein reicher Herr weiß, wen er bezahlen muß: am wenigsten den, der freiwillig fastet, und statt aller Schätze genügt ihm sein Hirn. Das läßt man ihn gebrauchen und im Dunkeln die gefährliche Arbeit verrichten, während der ordentliche Gesandte des Fürsten prächtig auftritt, wird aber mit der Hauptsache selten befaßt.
»Nichts mehr?« fragte Zamet, gewillt, ein Ende zu machen sowohl dem Imbiß als dem frühen Besuch. Aber ihm ahnte schon, daß es mißlingen werde. Der Gast begann zu sprechen.
»Nur bei Zamet versteht man sich auf das Essen«, sagte er.
Der Hausherr atmete auf. »Sie wiederholen, was alle sagen. Herr Bonciani, bedenken Sie nur die mittelmäßige Verpflegung an diesem Hof.«
»Ich gehe nicht zu Hof«, äußerte der Agent, kam aber um so sicherer auf seinen Gegenstand. »Ich erwähnte Ihre Küche, weil unter gewissen Umständen auch große Staatsangelegenheiten auf dem Wege der Küche bereinigt werden können.«
›Bereinigt, so nennt er es‹ -- dachte der Finanzmann und ihm wurde schwer zu Sinn, weil jetzt das Schicksal seinen Lauf nahm.
Bonciani begann:
»Menschen, die sagen, daß ihnen das Leben anderer Menschen heilig ist, gibt es von zwei Arten. Erstens die, denen es wirklich heilig ist. Das1 sind Dummköpfe, die aber gefährlich werden, wenn sie vor der öffentlichen Meinung die starken und gewissenlosen Taten verleumden oder sogar wagen sollten zu verraten, was beschlossen ist und bevorsteht.«
Dies mit einem furchtbaren Blick in die runden Augen gegenüber. Dann setzte der Mann seine Rede fort, gelassen wie ein Buch.
»Die zweiten sagen, daß ihr Gewissen sie immer hindern würde zu töten, obwohl sie es oft getan haben und jeder weiß es. Unser Souverän der Großherzog, ein weiser, gerechter Herrscher --«
Bonciani unterbrach sich, er neigte den Kopf in Richtung der Tür.
»Seien Sie unbesorgt«, sagte Zamet, nachgerade auf alles gefaßt. »Ich halte grundsätzlich einheimische Dienerschaft, sie versteht unsere Sprache nicht.«
Das Buch fuhr fort:
»Der Fürst ist verpflichtet, kein Gewissen zu haben, es wäre denn das Gewissen der Macht. Mein Fürst tötet seinen Bruder und die Frau seines Bruders, was jeder weiß und keiner sagt, denn bewiesen hat er damit seine sittliche Würdigkeit und Kraft. Dies erkennen gerade die Gemeinen und Schwachen, die niemals töten würden. Der Durchschnitt der Menschen ist so beschaffen, daß sie gern die Herrschaft von Mördern ertragen, womit nur scheinbar im Widerspruch steht, daß sie überdies geneigt sind, dem Mörder Glauben zu schenken, sobald dieser behauptet, er achte das Leben.«
Bonciani trank sein zweites Glas aus, blieb aber auch danach von gelblich bleicher Farbe. Zamet hatte seine gelehrte Rede nicht Wort für Wort verstanden, um so deutlicher hörte er den Schritt des Geschickes.
Einen langen wächsernen Finger erhoben sprach der Gelehrte:
»Nur ganz große und augenfällige Lügen werden widerstandslos geglaubt. Wer dreizehn Menschen durch Gift oder Dolch vom Leben zum Tode gebracht hat, sage nicht: es waren zwölf. Sondern: gar keiner. Das wird durchgehen und unanfechtbar werden, vorausgesetzt, daß er die Macht hat, das unterdrückte Volk zur Leichtgläubigkeit gewaltsam anzuhalten. Dann muß er nicht einmal Zwang üben. Es glaubt und wird selig.«
Der Gedankenreiche blieb durchaus bewußt, daß er seine Perlen vor die Säue warf, wenn er die Gemeinschaft eines Zamet vorausgesetzt hätte bei seinen auserlesenen Offenbarungen. Eigentlich beehrte er keineswegs diesen Wucherer, wie er nun heißen mochte; vor sich hatte er den Reichtum selbst, eine Idee, deren Hoheit und Bestand von Menschen nicht bestimmt wird. Trotz der minderen Beschaffenheit der Reichen steht es fest, daß ihr Sternkreis eine geheime Anziehung ausübt auf die starken und herrlichen Werke oder Taten, die sie kaufen. Genauer gesehen, ist der Kaufpreis der schönen und kühnen Dinge nicht das Geld, vielmehr die Verworfenheit derer, die sie bezahlen können. Die Kunst kennt kein Gewissen. Der Gedanke ist gewissenlos. Beide leben vom Dasein einer Menschenart, die in der Idee ohne sittliche Beschränkung ist, ob auch der einzelne Finanzmann in seiner Schwäche hinkniet und betet. Es bleibt dabei, daß ein Zamet vonnöten ist, damit es einen Bonciani gibt.
Während der Gedankenreiche seine Sache ins reine brachte, was geläufig vonstatten ging, rang Zamet seinerseits mit dem Aufgebot beträchtlicher Kräfte um einen verzweifelten Versuch -- vielleicht doch nicht verzweifelt. Schließlich war dies ein armer Lungerer, Hagestolz und Spion, konnte auch durch noch soviel Ruchlosigkeit nie unter die Mächtigen gelangen. Sein ganzes übertriebenes Wesen, was hat er davon.
»Verehrtester!« versuchte Zamet. »Ich schätze wie Sie die schöne Form, Ihre Rede versetzt mich in ein unvergleichliches Entzücken. Erlassen Sie dem weniger geschliffenen Geist die Erwiderung durch Worte. Erlauben Sie mir vielmehr, da ich reich bin, Ihnen die geheimen Schätze meines Hauses zu zeigen. Das sind Wunderwerke der Goldschmiedekunst; die Menge der Schmarotzer, die Tag und Nacht in meinen Sälen lungert oder spioniert, ahnt davon nichts. Ihnen -- das Teuerste, und nicht nur zum Ansehen, sondern zum Mitnehmen, was Ihnen beliebt!«
Nach diesem Angebot, das ihn abfinden sollte, faßte der geheime Agent seinen Mann ins Auge. Seine glatten Züge, glätter als der Gedanke ein Gesicht lassen kann, sie wurden gefurcht und verschoben -- nicht auf einmal, sondern so langsam, daß Zamet geraume Zeit im Zweifel war, was werden wollte. Endlich stand vor seinen leibhaften Augen die Verachtung: vollständig wie hier hatte er die Verachtung nie erblickt, sooft er ihr in seinem Leben begegnet war. Bei allem tiefen Erschrecken behielt er Selbstironie und dachte: ›Sebastian, du bist zerschmettert.‹ Daher gab er den Widerstand auf; er bekundete mit der Hand, daß er, was eigentlich gemeint war, jetzt zu hören reif wäre.
Bonciani gewährte infolgedessen seinem Opfer die äußere Rücksicht, die solange gefehlt hatte; nur der Abstand im Wesen wurde gewahrt wie bisher. Er sprach:
»Eine bedeutende Staatsangelegenheit soll glücklich beendet werden vermittels der Küche. Die Wahl ist auf Sie und Ihre Küche gefallen, ich beglückwünsche Sie zu der Auszeichnung.«
»Eine unverdiente Gunst«, murmelte der unglückliche Zamet.
»Die Person«, sagte Bonciani und zerlegte das Wort in seine Silben, »die hier oft und gern gespeist hat, wird auch ihre endgültig letzte Mahlzeit in diesem Hause einnehmen.«
»Ich gehorche. Wollen Sie nur nicht vermuten, ich dächte, mich dem hohen Befehl zu entziehen. Meine unbeträchtliche Meinung, die gar nicht zählt, und ein Mann Ihres Ranges übersieht sie -- ich meine: die bewußte Person erreicht ihr Ziel ohnedies nicht. Wozu sie noch --!«
Zamet verschluckte ein Wort, er äußerte: »Wozu ihr ein schlechtes Gericht vorsetzen.«
»Ein sehr gutes. Ein vorzüglich bekömmliches. Wenn nicht der Person, die es zu sich nimmt, Seiner Hoheit dem Großherzog wird es anschlagen. Demnächst dem König von Frankreich. Des weiteren aber der gesamten Christenheit. Das Bild, das ich Ihnen abkaufe, wird bald in ganz Europa umgehen. Dies Fleisch, dreist neben die Majestät hingewälzt, wird die Höfe und Völker überzeugen, daß Rettung einzig zu hoffen ist, wenn Gott eingreift mit seiner heiligen Hand.«
›Sollte die Hand meines Koches so heilig sein?‹ fragte Zamet bei sich selbst in ernsten Zweifeln. ›Vielleicht tat er dennoch ein gutes Werk? Aber die Aussicht, dafür auf das Rad und an den Galgen zu kommen, erschien auch nicht gering. Gleichviel, es ist zu spät, Befürchtungen verraten wir nicht mehr. Der Furchtbarste ist nun einmal der Mann, den wir bei uns im Zimmer haben. Er oder ich. Ruf ich meine Leute und laß ihn verschwinden?‹ dachte Zamet. Aber er dachte es schwach; vor einem scharfen Blick des Mannes verging ihm die Lust.
»Ich gehorche«, plapperte er. »Ich bin begierig, mir ein so großes Verdienst zu erwerben. Leider fehlt mir das geeignete Mittel, um die bewußte Person -- soll ich sagen: anzulocken?«
»Sie kommt von selbst, zur richtigen Stunde«, war die Antwort. Hier zog der Agent des Verhängnisses ein Papier hervor und verlas die Nachrichten, die er von dem Beichtvater des Königs, Benoît, hatte. Zamet, mit geübten schnellen Augen, hatte erspäht, bevor das Blatt wieder gefaltet wurde: es war weiß. War es aber auch beschrieben gewesen, was Bonciani davon ablas, stand niemals auf dem Blatt. Das setzt man mit Namen und Siegel nicht hin, sondern ohne Zeugnis und Beweis haben die beiden sich das Wort gegeben. Ja, das weiße Papier überzeugte Zamet, es beseitigte seine letzte Anwandlung, zu leugnen, was beschlossen war.
Als Bonciani das runde Tuch, das sein Mantel war, mehrfach um sich geworfen hatte und abging, murmelte Zamet immer noch Beteuerungen. Der Ungebetene war endlich draußen, da erstarrte Zamet. Hob einmal beide Arme über den Kopf, stöhnte einmal tief, versuchte auch zu knien -- gab aber dies alles sogleich auf und blieb reglos hingegeben dem Gefühl des Schlages, der ihn getroffen hatte. Sein Gewissen sprach: ›Ich, Sebastian Zamet, Schuster Zamet, soll dem König die Liebste vergiften. Werd es auch tun, weil ich feig wie ein Schuster bin und bekäme das Gift sonst selbst.‹
Aus Besorgnis, seine Zurückgezogenheit könnte auffallen, verließ er das Schlafzimmer und ging den üblichen Geschäften nach. In seinem Innern rechnete er unaufhörlich, nur nicht mit Geld. Er wog gegeneinander ab den Großherzog Ferdinand und seinen schrecklichen Gelehrten, den König Henri und sein teuerstes Gut. Was er tut oder läßt, kann ihn beides verderben. Gott allein wäre die Rettung, falls er wirklich eingriffe mit seiner heiligen Hand: er hielte sie dann gewiß über den armen Zamet. Der Schuster erschrak, da seine geheime Stimme ihn arm nannte. Das war er lange nicht gewesen.
Hier empörte der Finanzmann sich. Wenn auch scheu und leise, rief er den Allmächtigen an, ihn doch zu verschonen. Seine heilige Hand verzichtet billig auf die des Geldverleihers am Hof von Frankreich, wo dieser sein Glück gemacht hat, will es auch festhalten vermittels der Gnade des Königs. Und durch die Gunst der Herzogin von Beaufort, setzte er hinzu. Sie braucht immerfort Geld: ›Ich will zusammenzählen, wieviel sie mir schuldet und ob ich es verantworten könnte, sie mit eigener Hand in die Unmöglichkeit zu versetzen, daß sie mich jemals befriedigt. Im Gegenteil muß sie Königin werden, damit die Rechnung aufgeht!‹
Während seiner Betrachtungen saß Zamet in seinem Kontor, durch seine Finger glitt Geld, längs den Tischen kratzten die Federn der Schreiber, und Kaufleute, die eintraten, wurden abgefertigt. Zamet beugte sich über die Geldbeutel, damit niemand sähe, daß er feuchte Augen hatte. Gabriele rührte ihn.
In seinem Geist neigte sie noch einmal alle ihre herrlichen Schönheiten über ihn, wie sie es wirklich getan hatte in der Nacht, als sie sechs Säcke Gold verlangte für den Feldzug des Königs. ›Einem Schuster Zamet erlaubt die schönste Frau ihren vertraulichen Anblick für viel Geld, das kann nicht anders sein. Gleichwohl hab ich damals gehandelt wie ein Edelmann, sie sagte es selbst. Zu was aber bin ich edel durch sie geworden, wenn ich es ihr jetzt in der Suppe vergeben soll. Sie würde verspüren, wovon sie gegessen hat, ich stände dabei und ihr letztes Wort an mich wäre: Schurke? Ich will's nicht. Ich tu es nicht.‹
Am Abend bei vollem Haus, Musik und dem Lärm der Spieler war Zamet anders gesonnen, jetzt galten nur Toscana und Habsburg, die überlegenen Mächte, für einen Geschäftsmann die Sicherheit. Hier sind die Edelleute lauter Habenichtse, betteln ihn um ihre Spielschulden an, und auch die Königin wird niemals zahlen. Nimmt sich aber heraus, ihn zu verachten, sooft er ergebenst mit einer Rechnung naht, wären es nur die Zinseszinsen. Gleichwohl fuhr nächsten Tages Sebastian Zamet nach dem Arsenal zu Herrn de Sully.
Der Finanzmann besaß Karossen, keine prächtigeren hatte der König. Diesmal bediente er sich eines bescheidenen Wagens, der seinem Hausmeier gehörte, nahm auch Umwege, wo man nicht auffiel. Er saß die ganze Zeit, die Hände auf die Knie gestützt, seinen Geist durchflogen rastlos die Reden, die er an den Minister richten wollte, ihnen auf dem Fuß folgten die Antworten des edlen Herrn. Zamet war gewillt, ihn heute »edler Herr« zu nennen, obwohl sie sonst bei ihren häufigen Geschäften die sachliche Tonart pflegten. Er wird sagen: ›Edler Herr! Ihre Angelegenheiten sind äußerst gefährdet, wie auch meine eigenen. Denn es trifft sich, daß wir demselben Vorteil oder Nachteil unterliegen, was nicht immer der Fall war. Die Ereignisse, die jetzt drohen, machen aus dem Geldverleiher und dem edlen Herrn ein Paar.‹
Der Minister wird sagen: ›Ich weiß. Was vorgeht, ist bekannt. Indessen besteht es bis jetzt in Gerüchten. Wo sind Tatsachen. Wo kann ich zugreifen, gesetzt, ich wollte.‹
Zamet wird sagen: ›Sie werden wollen, edler Herr, sobald ich Ihnen erzählt habe, welchen Besuch ich gestern zu der frühesten Stunde empfing, und wünsche mir dergleichen nicht noch einmal. Geschieht das Unglück nun wirklich, wie stehen wir da? Ich sehe mein Geld nie wieder, aber Sie? Kann irgend jemand bei einer solchen Unsicherheit im Königreich, meinem Herrn dem Großherzog zuraten, daß er hier noch weiter sein Kapital anlegt? Sie werden einwenden, er habe die Tat doch selbst befohlen. Das ist eine Lüge des Agenten, ich kenne meinen Fürsten. Sollte er überhaupt unterrichtet sein, dann läßt er es allenfalls darauf ankommen, ob die höchste Dame des Hofes ihres Lebens sicher ist -- und danach wird er sich richten. Seine Nichte herschicken, damit es ihr ebenso ergeht? Edler Herr, daran denken Sie nicht. Ihre geschäftliche Klugheit wird Sie leiten, mag übrigens die unglückliche Frau Ihnen Anlaß gegeben haben für wenig freundliche Gefühle.‹
Der Minister wird abwinken: ›Unfreundliche Gefühle bedeuten nichts. Ich bin verantwortlich. In der Hauptstadt meines Souveräns dürfen so fragwürdige Zwischenfälle nicht vorkommen, wobei ich von ihren finanziellen Folgen noch absehe. Herr Zamet, Sie erweisen sich klug und tapfer, denn es liegt auf der Hand, daß Sie nur mit Gefahr Ihres eigenen Lebens mir die Verschwörung aufdecken. Der Mann wird im Auge behalten.‹
Zamet, von Dankbarkeit erschüttert: ›Edler Herr!‹
Der Minister: ›Geben Sie mir Ihre Hand, und nennen Sie mich nicht edel. Ich bin es nicht mehr als Sie. Es ist bewundernswert, wie jemand trotz allen Geldgeschäften unaufhaltsam zum Edelmann wird. Es muß Bestimmung sein. Der König wird den richtigen Schluß ziehen und Sie adeln. In Ihrem Wappen wird ein Engel die Flügel ausbreiten, da Sie eine mächtige Frau und dies Königreich vor Unheil beschützt haben.‹
Zu derartigen Höhen schwangen sich im Geiste des Finanzmannes die Reden und Gegenreden, deren er gewärtig war. Da der Wagen nun anlangte, sprang hinten der Lakai vom Brett und lief hinauf, um seinen Herrn anzumelden wie schon oft. Viel langsamer kehrte er zurück: Herr de Sully sei nicht zu sehen.
Ob er ausgeritten wäre, fragte Zamet. Nein. Oder er habe eine Besprechung? Er sei allein. Warum denn für niemand sichtbar? Für niemand -- so heiße die Weisung nicht. Sie beziehe sich namentlich auf Herrn Zamet.
Dieser begriff es nicht -- noch nicht. Die eifrigen Träume seines Gewissens, mit denen er hergefahren war, bis jetzt hielten sie ihn umfangen. Sein Wagen führte ein Schreibzeug mit. Schnell schrieb Zamet auf, daß er im alleinigen Besitz eines Staatsgeheimnisses sei, er fordere Gehör. Nochmals lief der Lakai. Alsbald geschahen droben ein Krachen, ein Sturz, und am Fuß der Treppe traf jemand ein, Kopf und Hände voran. Wer das getan habe, fragte Zamet und erfuhr: Herr de Sully in eigener Person. Da begriff er und kehrte um.
Rosny nahm seine Arbeit auf, die Unterbrechung sollte ungeschehen sein. Durfte nicht stattgefunden haben. Indessen, der Beschluß war nicht aufrechtzuerhalten. Der Mann mit dem langen hohlen Rücken verließ seinen ungeheuren Tisch, kam aber vor das Bildnis eines gepanzerten Ritters zu stehen: der war er selbst. Sofort bewegte er sich von dieser Stelle, nur daß die Augen des Ritters mitrückten und ihn ansahen, wohin er ging. Das war eine bekannte Eigentümlichkeit des Bildes. Heute stieg dem Verfolgten in das Gesicht die Röte und brannte ihn.
›Laß ich den Schuster zurückholen? Gewiß, ich tu's. Die Pflicht verlangt, daß ich ihn anhöre. Wie stand ich vor dem König, wüßt er, ich hätte es verweigert: wie stand ich vor ihm -- nachher! Und falls gar nichts eintrifft? Ich bin der Mann nicht, meine Zeit an Geschwätz zu verschwenden. Unbewiesenes Geschwätz, denn wer mit Unternehmungen dieser Art umgeht, hinterläßt keine Spur, dafür ist gesorgt. Man müßte seinesgleichen nicht kennen. Gegen Wegelagerer kann ich Soldaten schicken -- dies aber werd ich nicht verhindern. Zum Mitwisser mach ich mich, wenn ich den Angeber vor mich rufe. Mitwisser, ich will's nicht sein.
Ich tue nichts, ich wasche meine Hände. Gewarnt hab ich, als noch Zeit war. Ihm und ihr, beiden habe ich eindringlich widerraten, ihre Lust zu büßen, da es Gott mißfällt. Was gegen die Ordnung und den Dienst ist, mißfällt ihm. Der Dienst des Königs vor allem. Ich bin bestellt, seinen Dienst einzuhalten besser als er selbst. Ihr hatte ich schon das Leben gerettet. Mir verdankte sie die heilsame Ungnade des Königs. Um so schlimmer für eine Unbelehrbare, daß sie nicht abgeht, sondern verwickelt sich mutwillig in ihr Verderben, das sie kennt.
Zu spät, ich kann ihr nicht helfen. Sie selbst hat sich in ihrem Strick verfangen. Reißen wird er nur mit ihrem Leben. Ohne mein Dazutun! Der Herr des Himmels sieht mir bis in das Herz. Ich willige pflichtschuldigst in das Ende, das du verfügst, o mein Herr Zebaoth!‹
Dies gesagt, fühlte Rosny sein Gewissen wunderbar befreit. Er machte sich an seinen ungeheuren bepackten Arbeitstisch, und den Blick des Ritters, der ihm auch hierin nachging, er erwiderte fest den Blick.
Gabriele empfing die große Nachricht durch einen Brief vom vierundzwanzigsten Februar 1599, darin nannte Henri sie seine Souveränin. Viele ausgezeichnete Namen hatte er ihr schon gegeben und hatte aus den Bereichen der Macht und Hoheit manche Huldigungen entliehen für seine Liebe. Nie diese Huldigung, nie diesen Namen.
Sie war entzückt. Vom tiefen Entzücken wurde sie schweigsam. Sie antwortete ihm nicht, verspürte auch keine Ungeduld, sondern die Woche war zu kurz, um die wenigen Worte seines Briefes jedes einzeln zu betrachten und seinen Sinn zu ermessen. »Mein schöner Engel.« Erst unlängst hatte ich keinen himmlischen Gleichmut, weit davon. Und schön -- bin ich es denn mit unserem vierten Kind im Schoß? Du sagst es, mein teurer Herr. »Eine Treue wie meine ward nie noch gesehn.« Das ist lautere Wahrheit, und es geschieht nicht vorsätzlich, daß er im achten Jahr mehr Treue hat als im ersten. Es sind die Jahre, sie haben uns vereint.‹
Da gedachte sie der vergangenen Zeit, ihrer eigenen Verwandlung, bevor sie ganz sein Eigentum wurde, und war hart und stolz gewesen, als sie gar nichts war. Hier auf der Höhe des Glückes, das ganz aus Liebe, seiner und ihrer, gemacht war, bekam sie Lust, sich vor einem Armen oder Kranken zu verneigen.
Die sieben Tage vergingen ihr sanft und waren, das Kind im Schoß, den Kopf von Träumen voll, in ihrem Leben wohl die besten. Den zweiten März verkündete ihr lieber Herr seinem Hof, daß er sie gegen den Tag Quasimodo hin heiraten wollte. Da endlich der Tag feststand, behielt auch Papst Clemens nur die gemessene Zeit für sein Zögern und In-die-Länge-Ziehen. Mehrere Tage verbrachte er im Gebet und ließ ganz Rom fasten, dies mitten im Karneval -- da er die Ehe des Königs von Frankreich auflösen und ihm erlauben sollte, die Tochter seines Volkes auf den Thron zu erheben.
Der Ring, der einmal zu Boden gefallen war, der König hatte ihn jetzt öffentlich seiner Königin an den Finger gesteckt. Er fügte große goldene Hochzeitsgeschenke hinzu, übrigens kosteten sie ihn auch nicht mehr als der Ring, denn er selbst hatte sie von den Städten Lyon und Bordeaux als Gabe erhalten. Der Hof versäumte weder diese Bemerkung noch andere, die den Ernst des Vorganges in Zweifel ziehen sollten. Indessen war Karneval, das allgemeine Vergnügen beeinträchtigte die Bosheit, sie war vordem aufmerksamer gewesen; sogar die Gerüchte und Vorzeichen mitsamt den Verwünschungen von seiten der Prediger unterblieben während der Frist.
Gabriele selbst kam anfangs nicht zur Besinnung, so viele Vorbereitungen waren zu treffen für ihren großen Tag. Sie bestellte ihr Hochzeitskleid aus fleischrotem Samt, der Farbe der Königinnen. Es wurde bestickt mit Gold, mit feinem Silber, es hatte seidene Streifen, es kostete eintausendachthundert Taler, und in der Werkstatt des Meisters, der es anfertigte, verblieb es, bis es bezahlt wäre. In ihrem Hause ihr eigener Schneider arbeitete an dem zweiten Festgewand, das nicht weniger kostbar geriet, und gefiel ihr besonders, da auf den großen spanischen Ärmeln ein H und ein G sich umschlangen. Achtundfünfzig Diamanten im Wert von elftausend Talern sollten die runde goldene Sonne zieren im Haar der Königin.
Hinzu rechne man die schwere Wahl der Möbel für das Zimmer der Königinnen in Schloß Louvre. Die Möbel wurden gezeichnet, verworfen, nochmals angefangen; zuletzt waren es Stühle wie andere auch, obwohl bezogen mit karmesinroter Seide. Waren aber die Stühle der Königin, daher erstaunlich anzusehen, und wurden bei Madame de Sourdis abgestellt, bis das Zimmer der Königinnen wirklich in Besitz genommen würde. Gabriele inzwischen wohnte schon im Louvre, verließ ihn aber, kaum daß Henri sich einmal daraus entfernte, sogleich durch ihren geheimen Gang.
Dieser wurde nunmehr von ihren Pagen bewacht, unter ihnen der junge Wilhelm. Er erteilte ihr, als sie eines Abends nahe genug vorbeikam, eine sonderbare Warnung. »Madame«, sagte Herr de Sablé, »mögen Sie nach Ihrer Gewohnheit überall umherstreifen durch Ihr Königsschloß, aber vermeiden Sie um Gottes willen in dem nördlichen Flügel die kleine Treppe nach dem obersten Gelaß. Sie träfen leicht eine giftige Spinne.«
Schon tags darauf begab es sich, daß sie allein war und, sie wußte nicht wie, zu der verbotenen Stiege gelangte. Das Klopfen ihres Herzens wollte sie abhalten, dennoch betrat sie die zerbrochenen Stufen und den dichten Staub. Das oberste Gelaß stand offen, unter der erblindeten Luke war ein sehr alter Mensch über Folianten gebückt, wieder die geheimen Bücher, aus denen die Eingeweihten das Schicksal lesen. Gabriele stand über die Schwelle geneigt, tat keinen Schritt weiter, sie wollte dem Schicksal wohl ausweichen, kehrte aber nicht um. Der ungeheuer alte Mensch ließ nur das halbe Profil sehen, und das war von Runzeln schwarz. Er murmelte, blätterte, kratzte Zeichen in die Wand. Am Schluß reimte er zusammen, was er gefunden hatte. Da hatte er eine tönende Stimme.
»Sag's keinem, Bizacasser. Du besitzest hiermit als einziger auf Erden die genaue Wissenschaft, wie es ausgehen soll mit ihr. Nicht allein, daß sie den König von Frankreich niemals heiraten wird. Ihre Augen werden das Licht des nächsten Ostertages nicht erblicken. Aber still, Bizacasser, ein florentinischer Weiser hütet sein Geheimnis.«
Gabriele erreichte mit Mühe die belebten Gegenden des Schlosses. Sogleich empfing sie Personen, die sie sprechen wollten, und hatten alle Gnaden, die ihnen zuteil wurden, nie erwartet. Bei sich selbst bedachte sie: ›Hat er mich nicht gehört? Ich stolperte die Stiege hinab. Aber die war dicht bedeckt vom Staub.‹
Sie wollte keine Furcht haben und den Betrügern nicht mehr glauben. Das Licht des nächsten Ostertages -- aber das leuchtet ihr schon jetzt, und ihre große Zeit liegt nicht mehr im Wandel der Sterne: sie ist angebrochen. Wenn sie des Morgens aufsteht, reichen große Damen ihr das Hemd; bald werden einzig die Herzoginnen dazu befugt sein. Die Prinzessinnen von Lothringen wohnen ihrem Ankleiden bei. Die ergebenste von allen, das Fräulein von Guise, frisiert sie. Bei Tisch stehen hinter ihrem Stuhl die Leibwächter des Königs. Auf seinen Befehl nimmt Herr de Frontenac für jede ihrer Ausfahrten die doppelte Bedeckung mit. Was könnte ihr zustoßen.
Dies war ihre größte Zeit. Ihre glücklichste? Sie lag zurück, es war gewesen, als er ihr geschrieben hatte: Eine Treue wie meine ward nie noch gesehn. Als er sie angeredet hatte: mein schöner Engel und hatte sie seine Souveränin genannt. Sieben Tage waren es gewesen.
Der König übersetzte sein Gefühl nunmehr in Handlungen, die er mit Eile und Nachdruck betrieb. Er versicherte die Zukunft der Mutter und der Kinder gegen alle erdenklichen Gefahren. Verschwände er selbst, sollte ein anderer da sein und sollte die Macht haben, sie zu beschützen; durfte auch nicht zweifeln, daß es sein eigener Vorteil wäre. Henri warf die Augen auf seinen Marschall Biron, Sohn eines Mannes, den er geliebt hatte, und die Liebe verschenkte er nachher an den Sohn. Ihm versprach er das Schwert des Connétable und zur Ehe sollte er Franziska, die jüngste Schwester Gabrieles haben. Die galt indessen nicht für die Tochter des alten Herrn d'Estrées, sondern wäre dem außerehelichen Leben ihrer Mutter mit dem Marquis d'Alègre entsprossen, was nachträglich viel Unbequemlichkeit hervorrief. Nicht nur, daß Biron Anstoß nahm. Antoine d'Estrées hätte Franziska verleugnet, hätte Wesens gemacht von einer längst verschmerzten Unehre -- außer, der König zahlte.
Biron bekam neue Würden und Einkünfte. Der Bruder Gabrieles, ein tapferer Soldat mit Namen Hannibal, ihr ganz ergeben, sollte dem Marschall beistehen, wenn es je dahin käme, daß die Königin verteidigt, das Recht ihres Sohnes Cäsar auf den Thron behauptet werden mußte. Der König plant überdies die Verheiratung Hannibals mit dem Fräulein von Guise, einer Schönheit auf dem Abstieg und wegen ihrer Vergangenheit den fürstlichen Freiern unerwünscht. Gabriele aber wäre durch sie mit dem Haus Lothringen verbunden worden. Was fehlte noch, damit sie sicher wäre. Für sie waren die königlichen Prinzessinnen, die es dem König versprachen. Auf ihre Seite trat ein regierender Fürst, der Herzog von Savoyen, da er gewürdigt wurde, seine Tochter dem Erben der Krone Frankreich zu vermählen. Der junge Cäsar war allerdings verlobt, aber unter den neuen Umständen stand ein Fräulein von Mercœur ihm im Rang zu weit nach. Diese bekam billigerweise den jungen Condé, einen elfjährigen Prinzen aus dem Hause Bourbon: der einzige, der nach menschlichem Ermessen dem Sohn Gabrieles hätte gefährlich werden können. Der König überlegte sogar, ob er aus dem möglichen Bewerber um die Nachfolge nicht einen Priester machen sollte, ›Kardinal, sehr reich -- keine Sorge mehr für Gabriele und meinen Stamm‹, dachte Henri.
Inzwischen gelangte auch zu ihm die böse Ansage des Magiers aus Florenz; ging an seinem Ohr vorbei und traf es nicht. Er handelt, und ließe das Geschick sich aufhalten, er hätte alles vorgesehn. Zwei Jahre später wird Biron ihn verraten haben, sein Kopf wird fallen, ein größerer Schmerz für den König als für den Verschwörer. Nur noch zwei Monate, wo ist Gabriele.
Fräulein von Guise war es, die ihr von einem Zauberer Bizacasser erzählte, während sie ihr die Haare flocht. Gabriele erschrak nicht, sie wiederholte, was Henri über die Sterndeuter gesagt hatte: sie werden so lange lügen, bis es einmal wahr ist. Ihr Geschick hat nichts gemein mit einem ungeheuer alten Menschen, der jetzt dennoch den Mund nicht halten kann über seine Wissenschaft. Ihr Geschick liegt offen auf der starken Hand ihres Herrn. Sie ist behütet, da sie bei ihm ist und geht mit ihm, wohin er geht.
Das gilt für die Zeit des Wachens. Gab es nur keine Träume. Eines Nachts, sie lag in dem großen Bett der Königinnen, ihr Liebster neben ihr und um sie beide standen alle Mauern von Schloß Louvre, da rückte ihr zu Leibe ein ungeheurer Brand -- erfaßte sie und hätte sie verzehrt. Sie erwachte, von ihrem Ächzen wurde auch ihr Liebster wach, hatte aber in seinem Schlaf dasselbe Feuer erblickt und noch mehr Angst erlitten wegen seiner Ohnmacht, sie zu retten. Die beiden saßen auf und hielten einander. Was sie sprachen, der Trost, den sie suchten, das Grauen, das sie schüttelte, alles geschah nebenher. In ihrem Grunde erstaunten hier beide, daß es sollte für sie aus und vorbei sein. Viel gehandelt, viel gesorgt und vorgebeugt -- das ganze künstliche Gebäude von Ruh und Sicherheit, ein Traum wirft es um.
Wenn das Opfer eigentlich gebracht war, am Morgen wußten sie es nicht mehr. Henri sagte seiner Souveränin, diesen Namen gab er ihr wieder: nur ihr gesegneter Zustand wäre die Ursache ihrer Unruhe, und diese ergriffe schließlich noch ihn selbst: weshalb sie besser die Fastenzeit auf dem Lande verbrächten. Mit ihrem ganzen Hof reisten sie nach Fontainebleau, dort genoß Gabriele die letzten Wochen des gnädigen Verweilens. Ihr Liebster wich von ihrer Seite nie, war auch keine Rede davon, daß sie im Leben noch einmal getrennt werden könnten. Gerade dies stand nahe bevor, man will an das Unheil nicht denken; bis es eintritt, ist es vergessen. Um so riesenhafter erscheint es nachher bei voller Gegenwart.
Pater Benoît, ein einfacher Priester, hatte in dem Stadtviertel der Markthallen die Seelen der gemeinen Leute versorgt, bevor der König ihn zu seinem Beichtiger nahm. König Henri vertraute einem Geistlichen, wie das Volk ihn hat, der ist gewiß ohne Falsch. Das war Pater Benoît und verlangte aus reiner geistlicher Strenge, die heilige Woche vor Ostern sollte der König allein begehen und um seiner Bußfertigkeit willen müßte er die Frau Herzogin von Beaufort inzwischen fortschicken. Mit einer Geliebten büßt man nicht, sondern das Ärgernis, das reichlich gegeben worden ist, wird noch vermehrt. Die künftige Königin soll mit gutem Beispiel vorangehen. Pater Benoît, der« es gewissenhaft meint, schickt sie nach Paris, damit sie in aller Öffentlichkeit ihre religiösen Pflichten erfüllt.
Henri sagte anfangs nein. Wer es ihm eingegeben habe, fragte er geradezu den Mann. Der verwahrte sich laut, denn lauf Menschen höre er nicht, sondern tue nach seinem geistlichen Amt, was Henri zuletzt auch wahrscheinlich fand. Der arme Pfarrer ist ihm ganz ergeben; Henri würde ihn zum Bischof machen, wäre nicht der Widerstand Roms, das den Mann für einen heimlichen Protestanten hält. Gegen Gabriele -- Henri erinnert sich keines Wortes von Benoît, womit er versucht hätte, ihr zu schaden. Er ist nicht gegen Gabriele, er handelt gewiß im guten Glauben.
Dasselbe meint Benoît selbst; später, nach den Ereignissen, wird er so lange wie möglich sein Gewissen beschwichtigen und sein verhängnisvolles Auftreten für unbeeinflußt ansehen. Wer hat ihm denn gesagt, daß die Bulle mit seiner Ernennung zum Bischof niemals erlassen wird -- außer, er verhindere den König, mit einer Todsünde behaftet das Abendmahl zu empfangen, und verweise die Geliebte nach Paris. Wer? Wie viele? Hat der Böse diesen Keim in den Geist des Priesters gelegt -- wessen Züge trug hierbei der Böse? Er muß sich in mehrere, unauffällige Gestalten abwechselnd verwandelt, muß gehext haben, so daß nichts mehr seine Spur verrät. Dennoch wird Pater Benoît allmählich den Bösen aufspüren -- später, nach den Ereignissen. Er wird krank davon werden und den König bitten, ihn nach seinen Markthallen zu entlassen.
Als Henri ihr eröffnete, was unvermeidlich wäre, verfiel Gabriele sogleich und ohne Übergang aus tiefer Ruhe in das lauteste Entsetzen. Sie habe es gewußt. Bizacasser werde recht behalten. Pater Benoît sei mitverschworen, ihr ärgster Feind Rosny aber lenke alles und sogar die Sterne. Der neue Ton einer Verzweiflung ohne Grenzen erschreckte Henri. Sie warf sich weinend vor seine Füße. Verlaß mich nicht! Da kniete er zu ihr hin, zog sie an seine Brust und tröstete sie innig wegen des Kummers, der sie beide traf und müsse überstanden werden. Sie klagte: »O teurer Herr, wir werden uns nicht wiedersehen.« Er erwiderte: »Laß vorübergehn! Mein Arm ist über dir, wo du bist. Wer sollte wagen!«
Er dachte wirklich: ›Man wird es nicht wagen.‹ Zweitens schob er alles auf ihre Umstände, sowohl die schlimmen Ahnungen als diesen schrecklichen Ausbruch. Dabei hatte er große Not, sich nicht selbst zu empören gegen den auferlegten Beschluß. Er sah sie die übrigen Tage nur als eine Ermattete, alle Sinne, besonders die Augen geschwächt durch die Müdigkeit des Kopfes, den ein unsichtbarer Helm drückte vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. ›Nicht krank werden, du mein höchstes Gut und einziger Besitz.‹
Der Hof war entlassen, jeder nach seinem Pfarrsprengel, damit er Buße täte. Sie blieben allein mit den Personen, die Gabriele auf die Reise begleiten und dem König für sie haften sollten. Am fünften April, dem Montag der heiligen Woche, wurde aufgebrochen, die Herzogin von Beaufort in ihrer Sänfte, noch ritt ihr Liebster ihr zur Seite. Sie rasteten unterwegs, wollten zu Abend essen und vermochten es nicht. Weiterhin kehrten sie für die Nacht ein, ihre letzte Nacht, die Umarmung, die nicht mehr vereint. Sondern Gabriele wendet den Kopf fort, ihn drückt ein unsichtbarer Helm. Sie wird nicht schlafen; schon längst, trotz großer Ermattung, ist sie schlaflos.
Am Morgen erreichten sie den Strand der Seine, auf dem Wasser wartete ein breites, langsames Gefährt; von Pferden gezogen sollte es ohne Stoß das teure Gut von dannen führen. Jetzt die dringenden Ermahnungen des Königs an die Frauen vom Haus der Herzogin, an den Herzog von Montbazon, Hauptmann seiner Leibwache, und an Herrn de Varennes, den Generalpostmeister. Sie dürfen die Herzogin keinen Schritt weit allein lassen, sie bürgen dem König mit ihrem Kopf.
In der äußersten Minute umklammerte sie ihn mit einer unbekannten Kraft. Wir sehen uns nie wieder, nie mehr, nie mehr. Er war nahe daran, das Wort der Erlösung zu sprechen und wäre mit ihr umgekehrt. Ihre schönen Arme erschlafften aber, er konnte sie sanft von seinem Nacken lösen, während er ihren Mund küßte. Endlich war sie in den Abschied ergeben, empfahl ihm noch einmal die Kinder, und er verließ das Schiff. Die Pferde zogen an, auf dem Fluß begann das Gefährt zu gleiten. Solange sie einander sahen, grüßte Gabriele ohne Unterlaß mit ihrer geliebten Hand, und Henri reckte nach ihr seinen Arm, der den Hut schwenkte. Als sie ganz verschwunden war, trocknete er seine Augen: hatte das teure Bild schon vorher verloren hinter dem Nebel aus Tränen.
Sogleich holte der gute Gesellschafter Bassompierre ein Spiel Karten hervor. Nein? Will die Frau Herzogin durchaus keine Partie machen, dann lasse sie sich durch Gespräche erheitern. Auch das mißlang, und Bassompierre, der fortfuhr unbefangen, sogar närrisch zu tun, bedachte bei sich, daß dies eine gefährliche Reise wäre. Neugierig von Natur, hatte er mehr als andere in Erfahrung gebracht. Bei der nächsten Gelegenheit verließ er das Schiff und kehrte zu dem König zurück. Der Dame war er nur für Zwecke der Unterhaltung beigegeben. ›Sire! Sie mögen wissen, daß Madame auf keine Art abzulenken war von der Sehnsucht nach Ihnen, die sie bewegt. Besonders aber hat sie Furcht -- worüber ich mir das Meine denke und Ihnen nicht sage. Erweist die Furcht sich als begründet, ich bin nicht dabeigewesen. Überzeugen Sie sich, daß ich hier bin.‹
Nach langen Stunden der Fahrt legte das traurige Schiff draußen beim Arsenal an. Die Herzogin von Beaufort wurde erwartet: ihr Bruder, ihr Schwager Marschall Balagny, die Damen Guise, auch das vornehme Fräulein, das ihr oft die Haare geflochten hatte, und noch andere waren zur Stelle. Alle bemerkten ihre verschärften Züge, ihre Blässe, die geröteten Lider, aber sie sagten ihr, wie gut sie aussehe, und empfingen sie festlich. Das Haus ihrer Schwester, der Marschallin de Balagny, lag nahe; Gabriele versuchte dort auszuruhen. Indessen drangen alsbald Besucher ein, sie füllten sogar das Zimmer, wo Gabriele verschont sein wollte. Sie erhob sich. »Wohin?« fragte sie Herrn de Varennes.
Nun erging es Herrn de Varennes nicht anders als dem Pater Benoît: er riet das Beste, soweit er wußte, und wird auch später nie völlig begreifen, warum es das Schlimmste war. Einiges mehr sollte ihm nachher klarwerden als dem armen Pfarrer. De Varennes war niemals ohne Nachricht gewesen über den Agenten Bonciani. Nicht, daß dieser selbst ihm je gesagt hätte: Bring sie dorthin! Vermittler und Zwischenträger von einer ungenannten Stelle bis zu ihm -- sie waren zweifellos aufgetreten, aber er hatte sie gar nicht beachtet. Was zu beweisen schien, daß es tägliche Bekannte waren und hatten wohl selbst nicht erraten, wer sie schickte. Als er Gabriele das Haus empfahl, sie würde darin Ruhe finden wie nirgends sonst: kein Gesicht, keine Stimme fiel ihm ein. Die verfänglichen Zuflüsterungen, denen er folgte, als er das Haus empfahl, bis jetzt wurden sie ihm nicht bewußt. Das kam, als alles vorbei war. Da hatte de Varennes guten Grund, die Wahrheit für sich zu behalten, gesetzt, er wäre ihrer ganz sicher gewesen.
Gabriele ließ sich nach dem Haus tragen. Bei aller Schläfrigkeit war sie erregt, ihr Kopf arbeitete an fiebrigen Vorstellungen. ›Das Haus ist verboten, ich darf es nicht betreten, Sagonne warnte mich: nicht mit dem König und noch weniger allein. Meine Tante de Sourdis ist nicht in der Stadt. Meine Dienerschaft hat sich verstreut, alle tun Buße. Der König tut Buße, mir bleibt dies Haus nicht erspart. Ich hätte nie gedacht, daß ich es aufsuchen würde, hab aber jetzt keine Wahl und gehorche.‹
Mit ihr in der Sänfte saß das Fräulein von Guise und war gekleidet wie sie, als war es ihre Schwester. Das Fräulein hatte verlebte Züge, und da ihre Laufbahn als Liebhaberin dem Ende zuneigte, setzte sie all ihr Heil in die Heirat mit Hannibal, dem Bruder der künftigen Königin. Übrigens haßte sie Gabriele, wenn auch in der Art, wie sie jede haßte, sobald eine auf das Glück noch Anspruch hatte. Ihr Entschluß stand fest, die Herzogin von Beaufort überallhin zu begleiten, zumal sie als einzige Prinzessin zur Stelle war, und der König sollte es ihr anrechnen. Auf dem Weg erzählte sie Klatsch; ihr war es gleich, daß Gabriele nicht hinhörte.
Nun erwarteten drei Personen diese Sänfte mit Spannung, dort, wohin sie unterwegs war. Der erste war der Hausherr selbst, die anderen zwei entgegengesetzte Elemente und feindliche Geister. Einige Tage vor diesem erschien bei Zamet im Kontor ein Geschöpf, das er hätte hinauswerfen lassen; seine Häßlichkeit war unheilvoll und offenbar das Eingeständnis eines verbrecherischen Inneren. Das alte schwarze Geschöpf flüsterte indessen wenige Worte, die den Schuster alsbald veranlaßten, es in ein leeres Zimmer mitzunehmen. Alt und verkrümmt war es eingetreten; da es aber einen Stuhl zum Sitzen bekam, machte es dies nicht wie andere Leute, sondern es legte sich mit dem Bauch darauf und wand seine Gestalt unter dem Stuhl hindurch, Kopf voran und ohne den Boden zu berühren. Das geschah mit erstaunlicher Leichtigkeit, und früher denn gedacht saß das Geschöpf oben, als hätt es nichts getan.
Zamet erkannte, daß dieses Geschöpf keineswegs hinfällig war, vielmehr erschien seine Gewandtheit dem Finanzmann dämonisch. Welche schrecklichen Worte waren geflüstert worden! Der geängstete Zamet unternahm einen Hinweis auf die schwarzen Runzeln, die Vorsprünge der Stirn, die Hörnern glichen. Unmöglich wären alle eingegrabenen Zeichen wegzuwischen. Mit einem Gesicht, worin die schwarze Tat im voraus zu lesen stand, wäre man schwerlich geeignet, sie vor aller Augen wirklich zu begehen. Hierüber wurde Zamet beruhigt, vielmehr, ihm wurde jede Hoffnung genommen. Das Geschöpf versprach, zur gegebenen Stunde als ein Engel des Lichts zu erscheinen. Womit es greisenhaft gebrochen abging.
Der dritte war der Page Guillaume de Sablé: er war seinem Bizacasser auf der Spur geblieben seit den ersten Vorkehrungen des Zauberers im obersten Gelaß unter den Dächern des Louvre. -- Damals hätte er den bösen Feind unschädlich machen können, würde dann aber niemals erfahren haben, welcher Art die Gefahr wäre. Auch Wilhelm besaß die Kunst, ein anderer zu werden, zum Beispiel klein und lautlos wie eine Maus. Bizacasser bemerkte niemals, daß einer ihm folgte, seinen Verwandlungen zusah und sogar im Kabinett des Agenten Bonciani zugegen war, als die beiden das Gift kochten.
Kurz nachdem der Mörder Gabrieles den Schuster verlassen hatte, trat der junge Sablé bei ihm ein -- flüsterte auch wieder wenige Worte, aber von dem Erschrecken schlotterte Zamet. Er öffnete dasselbe leere Zimmer, verschloß es peinlich und preßte sogleich die Hände auf die Brust, um seine Unschuld zu beteuern. Herr de Sablé betrachtete ihn genau und war von jetzt ab versichert, er hätte an Zamet keinen Widersacher, weit eher einen Verbündeten, die Angst des Schusters einmal abgerechnet. Der junge Wilhelm behielt bis jetzt die Frische, die bis zum Glauben an dieses oder jenes Herz geht. ›Welch er Mensch‹, dachte er, ›der nicht schwarz von Sünden ist, kann die reizende Gabriele hassen.‹
Ob er der Herzogin von Beaufort wohlwolle, fragte er den Steuerpächter, und dieser antwortete ja mit einem Gesicht, über das große Tropfen rannen. »Ich bin hineinverwickelt, es ist die schwerste Prüfung meines Lebens«, so gestand er. »Nicht sie hat hinsichtlich der Staatsschuld gegen mich gearbeitet -- in Wahrheit ist es Herr de Rosny, der alles auf sie schiebt, da er ihr Feind ist.« Zamet faßte nach seiner Stirn, er hatte vergessen, daß er zu einem achtzehnjährigen Edelmann sprach. Hierauf wurde seine Rede unverständlich, aber Wilhelm sah und begriff. Er sagte:
»Sie ist sehr liebenswürdig, wir werden sie retten.«
»Gelobt sei Jesus Christus«, rief Zamet. »Mein Herr, haben Sie die Gefälligkeit, zu meinem Hausmeier zu gehen, damit er Sie für den Tag des hohen Besuches anstellt in der Wirtschaft. Der Dämon macht es ebenso.«
»Verlassen Sie sich darauf, daß ich kein geringerer Dämon bin«, behauptete Wilhelm kühn. Da nun Zamet das Mal auf seiner Wange betrachtete, kam er dem Einwand zuvor: verwandeln könne er sich gleichfalls. Hiermit gut, und sie trennten sich.
Jetzt ist der erwartete Tag gekommen, die Sänfte trifft ein, wird niedergesetzt auf die steinernen Platten im Garten, und Schuster Zamet, strahlend von der Ehre, streift alle seine Finger über den Boden, nur wenig und er hätte ihn geküßt. Herr de Montbazon, Hauptmann der Leibwache, verteilt die Soldaten über das Grundstück. Die beiden Damen mit Herrn de Varennes werden von dem Hausherrn geleitet. Eine bequeme Treppe, der große Saal, darin wir einst tafelten und spielten, wie heiter war der König so kurz vor seinem Aufbruch in den Krieg. ›Wie wir glücklich waren!‹ denkt Gabriele bei der Erinnerung an vergangene Stunden, in denen ihr doch sehr gebangt hat. Sie besinnt sich. Hier soll sie eintreten? Es ist dasselbe Zimmer, vor dem sie damals Furcht gehabt hat. Unbegründete Furcht, wie es damals schien. Heute zeigt sich, daß sie begründet war. Der Fuß leistet Widerstand. Aber Gabriele tritt ein.
Sie ruhte bis zur Abendmahlzeit. Fräulein von Guise verließ sie nicht. Herr de Varennes stellte Wachen vor die Tür, bevor er sich erlaubte, an seine Spielpartie zu gehen. Er hatte Partner gefunden, die reich waren wie er selbst, wenn die Herren und Damen seines Ranges auch ausblieben. Alle, die sonst weniger bedeuteten, drängten an die Stelle der abwesenden Hofgesellschaft. Die Nachricht, die Herzogin von Beaufort wäre bei Zamet, eilte durch die Stadt. Die neuen Reichen fuhren mit ihren Karossen vor, arme Edelleute schlängelten sich, vermieden es, bespritzt zu werden, und gemeinsam füllten sie das Haus des Finanzmannes zum Bersten. Die einen waren ihres Ansehens wegen glücklich, hier ihr Geld zu verlieren, die anderen ganz bereit, es ihnen abzugewinnen. Gleich groß war bei allen die Begierde, der künftigen Königin aufzuwarten.
Herr de Varennes ließ sich nicht stören, daher bedrängten sie den Hausherrn, damit er ihnen Zutritt in das Zimmer verschaffte. Das fehlte ihm noch zu seinen Sorgen; Zamet drohte, alle hinauszuwerfen, oder sie blieben artig bei den Karten. Sein Gesicht war grau, er mußte es häufig abwischen, die Angst um das Leben seines hohen Gastes trieb ihn rastlos umher. In eigener Person beaufsichtigte er die Ankunft der bestellten Waren, darunter ein Korb mit Geflügel, dem ein schwarzes Huhn entwich -- flatterte unversehens über die Treppe und hätte die feine Versammlung belästigt. Ein Küchenjunge kam ihm zuvor und fing es ein. So schwarz das Huhn, eine so helle Erscheinung war der gelenkige Knabe. Nicht nur weiß angetan und ohne Flecken auf der Kleidung, wie der festliche Tag es verlangte: der Kopf war ganz offenbar einem Engel abgenommen und auf den Rumpf dieses niedrigen Hausangestellten gesetzt. Während Zamet das Rätsel betrachtete, wurde er von hinten angerührt.
Die Stimme seines Hausmeiers sagte: »Das ist er. Sehen Sie genau hin, dann erkennen Sie die künstliche Haut seines Gesichtes, das er aus einer Schweinsblase gemacht und mit engelhaften Farben bemalt hat. Die Löckchen, schön blond und sonnig, sind einzeln auf den Schädel geklebt und überdies mit Nadeln befestigt in der falschen Haut. Sind geschickt um die Auswüchse der Stirn geringelt. Wer den Teufel kennt, weiß dennoch, daß er Hörner hat. Zum Glück durchschaue ich ihn, er aber hält mich bis jetzt für Ihren echten Hausmeier.«
Da sprang Zamet auf beiden Absätzen herum, ein Schrecken jagte den anderen, auch sein Hausmeier war gefälscht. Zwischen dem dichten Bart und der Perücke begegnete er bei dem ältlichen Mann zwei leuchtenden Augen. »Sablé!« murmelte er und ächzte. »Was soll daraus werden!«
Der Page Wilhelm verbeugte sich, als hätte der Herr befohlen. »Meines Amtes ist, aufzupassen, daß die Suppe gerät und nichts Unrechtes hineinkommt.« Hiermit ging er in Gestalt des Hausmeiers würdevoll seines Weges.
Zamet bedachte beizeiten, daß er ihm durch den Eingang der Dienerschaft nicht folgen durfte. Er kehrte in seine Säle zurück, dort fand er das gewohnte Bild, man trank Wein, man stritt laut um Gewinne -- schwer zu glauben, was in Wahrheit heute vorging. Indessen fauchten Feuer in der geöffneten Schauküche, sie war von Neugierigen umlagert, und diese griffen allseits nach dem Finanzmann. Wann endlich die Frau Herzogin hervorkäme. Es stände ihr nicht anders an, ihrem Rang und der Gesellschaft schuldete sie, öffentlich zu speisen. Besonders eine Madame de Martigues beharrte auf ihrem Anspruch, die Herzogin von Beaufort bei Tisch zu bedienen. Angesehenere Personen ihres Geschlechtes waren leider nicht zur Stella, Zamet mußte noch froh sein, diese gewöhnliche Intrigantin zu haben. Kaum hatte er ihr versprochen, was sie wollte, fiel ihm ein, daß gerade sie die Giftmischerin sein konnte. Er schrie nein, bemerkte entsetzt, daß er auffiel, und verschwand im Gewühl.
Der Hausmeier stand in der Küche mit dem Rücken nach ihrer offenen Wand. Gegen den Saal gewendet deckten ihn große Lakaien, sie zeigten ihre Zähne und Muskeln den Leuten, die nicht eindringen sollten. Die Schauküche war voll genug vom Personal, darunter neu Angeworbene, die niemand kannte, auch Lieferanten trafen noch ein. Es war ein Gelaufe, Unordnung herrschte, die Arbeit kam nicht vorwärts. Der Hausmeier behielt alles gleichzeitig im Auge, die Kochtöpfe, die Hände und was jeder mit ihnen anfing, besonders der engelgleiche Küchenjunge. Dieser sauste umher, der Meister Koch machte ihm das Leben schwer, er ließ ihn immer wieder das schwarze Huhn einfangen, denn es entkam unaufhörlich. Der Junge verfluchte es, worauf es ihn schief ansah, und um nicht gefaßt zu werden, flatterte es über seinen gelockten Kopf fort, geradenwegs unter den flammenden Herd. Bäuchlings kroch der Junge ihm nach, weil Meister Koch es so haben wollte. Das schwarze Huhn wurde nicht gefunden, man hätte geglaubt, es ist verbrannt, da schielt es boshaft aus einem entfernten Winkel.
Hier verlor Meister Pfannenstiel die Geduld, seine Hand schlug fest in das zart gefärbte Angesicht seines Untergebenen: der Streich hinterließ keinen Fleck, weder rot noch blau. Indessen der Junge das schwarze Huhn jagte, ging zwischen dem Koch und dem Hausmeier etwas vor. Jeder der beiden kniff ein Auge zu, mit dem anderen verständigten sie sich. Der engelgleiche Küchenjunge hatte das schwarze Huhn nunmehr als ausgemachten Feind, jetzt verfolgte es umgekehrt ihn. Es trug nichts Geringeres im Sinn, als mit dem Schnabel eines seiner sonnigen Löckchen abzupflücken. Der Hausmeier war es, er nahm es ihm vom Rücken, als der Verfolgte mit seinem Feind vorüberkam.
»Du wirst dem schwarzen Huhn den Hals nicht umdrehen, wie du wohl möchtest«, sagte die ruhige Stimme eines Mannes, der Macht und Ansehen genießt; plötzlich ein heller, mutiger Ton: »Ich paß auf.«
Der Engel sah ihn aufmerksam an.
»Heute gibt es aber Geflügelsuppe«, flötete er -- um gleich danach zu knarren infolge Verrostung. »Von dem schwarzen Huhn, von der weißen Gans.« Tat einen Luftsprung und fort war der Junge.
Hinter dem Hausmeier rief Zamet in der Fistel: »Die Frau Herzogin! Sie geruht aufzutreten, und noch immer keine Suppe.«
Die Erregung befähigte ihn, seine dicklichen Hüften in Glätte durch das Gewimmel zu winden; er langte bei den Damen an, wie sie aus ihrem Zimmer hervorgingen, und geleitete sie unter Verbeugungen zu der Tafel. Diese War für sie allein, an der sichtbarsten Stelle aufgeschlagen, zu lang und breit für nur zwei, wenn noch so erlauchte Gäste. Madame de Beaufort und das Fräulein von Guise saßen weit voneinander, den Zwischenraum füllten ihre umfänglichen Röcke, und diese waren in Schnitt und Farbe gleich. Zamet stand den hohen Personen gegenüber an der leeren Seite des Tisches -- stand nicht, sondern wippte, tänzelte, winkte seinen Lakaien rechts und links, damit sie die Menge abzäunten. Raum frei, es geht um ein unersetzliches Leben. Überblick, und keine Schüssel oder Besteck ohne Aufsicht gelassen, noch weniger darf ihm ein Handgriff der Dame Martigues entgehen.
Den Wein hatte Zamet selbst geöffnet, die Gläser ausgewischt; er schenkte ein und war erleichtert, wenn die Prinzessinnen tranken: so lange geschah ihnen nichts. Dame Martigues gefiel ihm immer weniger. Sie hatte erreicht, daß sie den Herrschaften vorlegen durfte -- obwohl, sagte Zamet, wie konnte ich sie zulassen. Sie ist klein und dürr, mit einem Aufbau von Haaren vergrößert sie ihre Erscheinung, um so gedrückter das Gesicht, es hat unter der Schminke ganz die engen harten Züge einer Giftmischerin. Gesetzt, Bizacasser wäre hier mit jemand verbündet, es kann nur diese sein. Nimmt von den Lakaien die schwerste Schüssel mit Händen wie Spinnen, aber sie tragen eisern. Die verdächtige Intrigantin zerschneidet eine Melone, mischt sie, behüte, nichts in den Saft? Nur Fräulein von Guise ißt eine Scheibe. Zamet sieht beklommen zu, gleichviel, in seinen Gedanken opfert er die weniger belangvolle Gestalt. Sie hat ihren Teller hingehalten, wohl oder übel reichte Martigues ihr das Stück der Frucht, das für die Herzogin bestimmt war. Zamet will wahrnehmen, wie die Prinzessin sich verfärbt, sogleich wird sie umsinken. Gut damit, so schrecklich es ist. Gabriele wäre gerettet. Aber niemand fällt in Zustände.
Die künftige Königin verlangt eine Orange, schält sie auch selbst -- nicht ohne sie um und um genau zu prüfen. Die runden Augen des Gastgebers spähen angstvoll nach einem Loch in der Schale, ein Löchlein, ein winziger Stich. Um Christi willen, das kostbare Wesen legt die Orange weg, verzieht den Mund, spricht: »Es schmeckt mir bitter.«
Da war es an Zamet, in Zustände zu fallen. Er preßte seinen eigenen Magen, er kreischte: »Hinaus! Fort mit der ganzen Gesellschaft!« Seine Lakaien mußten alle Welt, ob fein oder unfein, in andere Gemächer befördern. Der Finanzmann schwenkte beide Arme, damit es schneller ginge. »Was ist los, was haben Sie«, fragte Herr de Varennes, der bis jetzt einfach Karten gespielt hatte.
Zamet kam zu sich, er murmelte beschämt: »Die Frau Herzogin --«
»Sieht nicht wohl aus«, ergänzte de Varennes. »Sie ist im fünften Monat. Deshalb der Lärm?«
Aber Zamet verließ ihn, er hatte eine Entdeckung gemacht. Während niemand mehr die Tafel beachtete, starr vor Staunen saßen die höchsten Personen -- fingerte Madame de Martigues am Nacken der Herzogin von Beaufort. Kein. Zweifel, sie öffnete den Verschluß der Perlenkette, die Kette glitt. Zamet, darauf zu, der Diebin hart die Hand geklopft mit seinem Siegelring, und danach sank er in die Knie.
»Madame, Ihr Halsband, hier ist es, es hatte sich gelöst.«
»Danke, und sonst ist nichts geschehen?« fragte Gabriele verwundert.
»Nichts weiter. Nichts ist geschehen. Sie können ruhig sein. Nichts ist geschehen«, wiederholte er, seine Augen quollen feucht über. ›Wir haben's durchgestanden. Nichts ist geschehen.‹
Wie Zamet glücklich war! Gabriele sah ihn an, als ob er ein Kind wäre, und sie wüßte mehr, unendlich mehr als er vom Leben. Sie war sehr blaß und abgespannt, die Lider gerötet; sie sagte:
»Muß ich die Suppe noch essen? Ich möchte schlafen gehen.«
Der Finanzmann hörte nur »Suppe«, das Wort rief er denn selbst aus ganzer Seele, sprang auf und eilte nach der Küche. Hier sah er folgendes, und alle Köche, voran der Meister, dahinter die gesamten Wasserträger, Geschirrwäscher, Holzknechte, Schmutzmädel -- was nur herzugelaufen war, hielt die Augen und offenen Münder nach oben gewendet, um nichts davon zu verlieren. Der Hausmeier und der Küchenjunge kämpften in der Luft.
Der Gegenstand ihres Kampfes war eine Kugel aus Glas, die vom Geflacker des Herdes heftig blitzte, und bald war sie in der Hand des einen, bald rollte sie dem anderen über Arm und Schulter, entfiel ihnen aber nie. Zuerst hatte der Hausmeier sie dem Küchenjungen entrissen, als dieser sie öffnen wollte über dem Suppentopf. Der engelgleiche Junge stieß seinen Kopf in die Magengrube des Hausmeiers, infolgedessen er die Kugel wieder an sich brachte. Er sprang, faßte den unteren Rand des Laufganges, der droben um die Wände kreiste, und wäre mit einem Klimmzug über Kopf entkommen. Aber der Hausmeier in seiner würdigen Tracht und zwei dicken Backenbärten gelangte vermöge desselben turnerischen Sprunges hinter das Geländer. Droben rangen diese beiden, bis der Küchenjunge über Bord flog. Ein höhnischer Schrei und wahrhaftig flog er ins Leere. Wer hätte es gedacht, er fing an der Decke einen Balken, woran sonst Schinken hingen. Den umschlang das Wesen mit allen seinen vier Gliedmaßen, was ihn nicht abhielt, nach dem Hausmeier zu stoßen. Denn der Hausmeier war seinerseits herbeigeflogen; um den nächsten Balken bewegte er sich unbegreiflich schnell, immer bedacht, die Kugel zu fangen.
Diese rollte dem Küchenjungen die Brust und den Rücken entlang, je nach der Lage des Geschöpfes, die es rastlos wechselte wie sein Feind. Jeder von ihnen steigerte seine Schnelligkeit und die des anderen dergestalt, daß man endlich den Eindruck hatte, sie schwebten frei, und um ihre drehenden Leiber tanzte die Kugel. Dies um so eher, da die Kugel mit feurigen Blitzen die beiden begleitete die ganze Decke entlang, bis über den Herd und den Suppentopf. Der höhnische Schrei -- jetzt sollte es geschehen sein. Der gute Geist schlug aber dem bösen die Kugel weg, als sie schon offen war, und ihr Inhalt war in die Suppe gefallen. Was geschah? Auf den Fliesen zersprang die gläserne Kugel, und alle die Gaffer kehrten schleunig ihre Gesichter abwärts, nach einem neuen wunderbaren Ereignis. Unbekannt woher, erschien das schwarze Huhn eben an der Stelle, wohin ein Korn gefallen war, ein längliches Körnchen: das pickte es auf und verschlang es. Alsbald schrie es wie ein Mensch, dies wurde nachher versichert, wälzte sich, zuckte und verstarb.
Die Köche und wer sonst da war, erinnerten sich alsbald wieder der beiden Dämonen, diese wurden aber nicht mehr aufgefunden, was jeder natürlich fand und schlug ein Kreuz. Ganz offenbar war der Böse durch den feurigen Schlot gefahren, nachdem er erkannt war. Mehrere hatten gesehen, wie er noch vorher das Engelhafte abstreifte und wurde eine schwarze Fledermaus. Der Gute war zerflossen in einen köstlichen Wohlgeruch, davon duftete die Suppe wie noch keine.
Beim Eingang der Küche verweilte, als das Schauspiel aus war, der Page Wilhelm -- schien es überaus bestaunt zu haben, er schüttelte nachträglich den Kopf. Jemand berührte seine Schulter, Sebastian Zamet, ein Mensch mit sehr frommer Miene; der führte Herrn de Sablé an der Hand zu dem Tisch, der hohen Personen, wobei Zamet mit den Spitzen der Schuhe auftrat.
Die Prinzessinnen saßen in der vorigen Haltung, Reifrock und gepuffte Ärmel verringerten zwischen ihnen den weiten Abstand. Sie fragten nicht, warum sie gewartet hatten. Feierlich nahte der Aufzug der Köche, voran Meister Stiehl mit hochgetragener Suppenschüssel. Die goldenen Teller wurden gefüllt von dem Hausherrn selbst, die Köche knieten hin. Blieben auf ihren Knien liegen, bis die Frau Herzogin von Beaufort die Suppe gekostet hatte und sagte, sie wäre sehr gut. Dann winkte Zamet ihnen, sie dürften abgehen.
Das Fräulein von Guise erkundigte sich jetzt, was eigentlich vorgefallen wäre.
»Madame«, sagte Zamet, »es kam ein schwarzes Huhn. Darf man den Leuten glauben, erfolgten noch mehrere Erscheinungen.«
Das Fräulein legte den Löffel hin. Gabriele aß weiter, sah immer den Pagen Wilhelm an, für ihn allein verzehrte sie die kostbare Suppe. Auch erlaubten ihm ihre Augen, daß er ihr diente in seiner Art.
»Madame«, erwiderte er. »Man spricht vieles.«
»Ich weiß«, sagte sie, lächelte, sah ihn an -- er aber sollte bis in sein Alter das Bild bewahren, wie sie ihn angesehen und gelächelt hatte.
»Man wird noch vieles sprechen.«
Dies war ihr letztes Wort an ihn. Sie hatte dabei um sich einen Schimmer, der von einer geheimen Beleuchtung ausging: sie schien darin zu verfließen. Später begriff er, daß sie ihren Tod und die Umstände ihres Todes gemeint hatte, und gedankt hatte sie damals dem Lebenden als eine, die schon abscheidet.
Als sie am nächsten Morgen noch lebte, empfing sie den Besuch des Herrn de Sully. Er war ihretwegen in der Stadt geblieben, überzeugte sich jetzt, daß sie am Leben war, fand aber das Wort nicht, sie zu beglückwünschen. Gabriele war es, sie schmeichelte dem Minister; sie bat ihn, er möge ihr glauben, daß sie ihn liebe und bewundere um seiner selbst willen und für seine großen Verdienste. Das ließ er sich gefallen, er schickte ihr dann auch Madame de Sully, damit sie gleichfalls Abschied nähme, bevor beide nach ihren Besitzungen abreisten.
Die Frau eines großen Ministers, der bleiben soll, machte ihre Aufwartung höchst ungern einer Mätresse des Königs, nach der er wieder andere haben wird: das war ihre Meinung von der Sache. Steif, mit langem, plattem Oberkörper saß sie vor der Kranken, und diese kam in Angst durch die kalten Augen, die sie unverschämt abschätzten, wieviel sie heute wert wäre. Madame de Rosny gab ihr nicht mehr lange, weshalb sie jede Beteuerung unnütz fand. Gabriele war es, sie versuchte der harten Person zu gefallen. »Sie sollen meine beste Freundin sein«, sagte sie.
Sie muß wohl ganz den Kopf verloren haben, sie setzte hinzu: »Ich werde es immer gern sehen, daß Sie meinem Erheben und Schlafengehen beiwohnen.« Worauf die Dame ihren Sitz verließ, wurde aber davon kaum noch höher oder von schärferem Umriß. Sie drückte ein wenig das Kinn herab, sonst kein Gruß, und griff knochig nach der Tür. Die Dame, von kleinem Adel und ehrbar, ohne einen Flecken in der Verwandtschaft, die protestantische Religion ist besonders hierfür gut -- sie war dermaßen empört, daß sie nachher im Reisewagen noch immer dasaß als derselbe Besenstiel und kniff die dünnen Lippen aufeinander.
Erst zu Hause legte sie los und machte ihrem Gatten einen Auftritt, weil er sie zu der Hure geschickt hatte. Eine verrottete Familie, ein öffentlicher Skandal, eine verlorene Sache: wie kommt eine anständige Frau dazu, daß sie soll schöntun und scharwenzeln. »Beiwohnen soll ich, wenn sie sich hinlegt und die Beine breit macht. Das mir!« schrie sie, von ihrem Stolz und der sittlichen Strenge außer sich. Rosny, der nicht vieles fürchtete, hier legte er sich ins Mittel, wer weiß, an wem die Witwe ihren Zorn gekühlt hätte. Er versprach ihr, sie werde ein schönes Spiel sehen, gut gespielt, wenn das Seil nicht reiße. In seinen Gedanken hatte er es nicht gerade mit einem Strick zu tun. Der Frau verschlug es die Rede; der gewaltige Ritter benutzte ihr Staunen, um sich eilends der Gefahr zu entziehen.
Dachte man, Gabriele habe das Gift schon bekommen, versah sie darum nicht weniger ihre Pflichten gegen die Religion. Ihre Nacht war unruhig gewesen, das gewohnte Alpdrücken, dazu am Morgen der Besuch der schrecklichen Frau, dennoch ging sie gleich nachher zur Beichte. Die Kirche, zum kleinen Sankt Antonius genannt, war nahe, das Fräulein von Guise begleitete die schöne Sünderin. Sie versicherte ihr aus eigener Erfahrung, daß die Frauen geschaffen seien, durch Liebe zu sündigen und könnten wegen der Verzeihung unbesorgt sein. Das Fräulein war entschlossen, bei der künftigen Königin die Erste zu werden; ihre Bekenntnisse sollten Gabriele ermutigen, selbst von ihren Abenteuern einiges zu verraten. Was man weiß, kann immer dienen.
Gabriele schwieg -- nicht aus Berechnung, sie war nur schwach und traurig. Die galante Gesellschaft des Fräuleins mißfiel ihr nicht: das war der Rest von Welt, der um sie war, der letzte Leichtsinn, der zu ihr noch sprach und lachte. Im Beichtstuhl bereute sie von ihren Handlungen keine, am wenigsten ihre wahrhafte Liebe für ihren teuren Herrn. Aber sie gestand, daß es ihr leid tue, sie wäre eine laue Christin gewesen, habe auch keine Zeit mehr, sich zu bessern. Das sagte sie, empfing die Absolution und kehrte nach der Villa des Schusters zurück.
Diese verließ sie am Nachmittag desselben Mittwoch nochmals, um in der gleichen Kirche das Konzert zu hören. Die ersten Tage im April dieses Jahres 1599 waren ungewöhnlich warm, am Wege blühte der Wein. Die Leute liefen herbei, als die Sänfte der künftigen Königin vorübergetragen wurde. Die Sänfte wurde gedeckt von Garden des Königs unter der Führung des Herrn de Montbazon, hierauf folgte die Karosse der Prinzessinnen von Lothringen. Ein schöner Tag im Frühling, noch einmal erscheint die französische Königin öffentlich, eine Tochter des Landes wie nach ihr keine.
Das Volk weiß mehr, begreift viel besser, als die Eingeweihten können. Da die Sänfte vorbeikommt, verstummt das Geschwätz, und Stirnen werden gesenkt. Die erwartete Hochzeit ist oft und überall besprochen worden. Dieser Anblick verbietet auf einmal, an Hochzeit zu denken. Die Prachtgewänder der Trauung und Krönung sind beschrieben worden und allen bekannt. Gemahnt wird man hier an ein anderes, letztes Kleid, wie jeder es dereinst tragen soll. Die Herzogin von Beaufort sieht ernst aus, so ernst steht es für keinen mitten im Leben. Sie ist müde, eine Müdigkeit, von der niemand sich erholt. Die Brust wird eng, blickst du in diese Sänfte. Ein großes, allgemeines Unglück -- oh! es wird nur geahnt; kaum geschehen, ist seine Bedeutung vergessen. Hier zieht es vor vielen Augen auf.
Gabriele in ihrer letzten Gestalt war schön, nicht mehr im weltlichen Verstand, sie trug sich ernst und bescheiden -- war von einer Schönheit, die man nicht erklärt. Sie wußte es und wünschte, ihr Herr könnte sie sehen auf ihrem Gang durch die Kirche. ›Man hat mir freiwillig Platz gemacht, mein teurer Herr, sonst mußten immer unsere Wachen die Menge teilen. Hände haben sich unversehens auf das Herz gelegt. Sie und ich, wir werden von diesem Volk geliebt.‹ Das sprach sie in Gedanken, denn eigentümlich kreuzten sich bei ihr das Wissen und die tröstliche Einbildung. Über Müdigkeit und Verzicht siegte noch oft der gewohnte Anspruch auf das Leben; der sollte zuletzt sehr heftig werden.
Abseits war eine Tribüne für sie hergerichtet, damit sie nicht bedrängt würde. Die Kirche war voll wegen der guten Musik und weil dort oben die berühmte Gabriele zu sehen ist. Solange nun in den heiligen Klängen die Nacht noch herrschte und unser Herr säumt bis jetzt im Grabe, bevor er aufersteht -- diesen Zeitpunkt wählte Fräulein von Guise, um sich in Empfehlung zu bringen mit ihren angenehmen Nachrichten. Es waren Briefe aus Rom des Inhalts, daß die Scheidung des Königs alsbald ausgesprochen werde. Das ist vom Papst Clemens anders gemeint, als es klingt; er wird die Ehe des Königs trennen, nicht aber, damit dieser seine Konkubine heiratet: der Tadel für das Ärgernis träfe den Papst. Er vertraut denn, daß die Vorsehung ihn aus seiner peinlichen Lage befreien wolle, er betet täglich darum, und wirklich erfährt er das Ereignis am Tage und zu der Stunde, als es eintritt: ein übernatürlicher Vorgang.
Bei der schwachen Beleuchtung dieser Kirche und den düsteren Gesängen am Grab unseres Herrn entzifferte Gabriele den glücklichen Bescheid und glaubte ihn auch, obwohl eine kalte Angst ihren Leib erfaßte. Indessen, das Fräulein, das ihr den Hof machte, kam mit dem Besten zuletzt: zwei Grüße des Königs, die hatte das Fräulein kurz nacheinander den beiden Boten abgenommen. Gabriele las von seiner Sehnsucht, Zärtlichkeit und daß ihr Liebster über sie den Arm halte, wo immer sie sei. Da wurde ihr warm und wohl, das letztemal im Leben. Ihre Begleiterin sah sie lächeln wie ein Kind, was ihr gefiel, da es für künftig ein leichtes Spiel versprach. Als die stolze, selige Musik der Auferstehung ausgeklungen hatte, machten die Damen den Rückweg recht guter Dinge. Nur etwas zu heiß war ihnen geworden in der überfüllten Kirche; Gabriele fühlte leichten Schwindel. Bei Zamet im Garten fiel sie hin und verlor das Bewußtsein.
Nicht schnell genug konnte man sie aufnehmen und zu ihrem Bett tragen: sie lag schon in Krämpfen. Ihr Gesicht und jeder seiner Muskeln zuckte, die Lider und die Augäpfel wurden überaus schnell bewegt. Die Augen drehten sich nach oben links, man bemerkte die Starrheit der Pupillen. Wie schrecklich verzerrt, dieser vielgeküßte Mund! Die Kinnladen sind mit Zangen geschlossen.
Eine halbe Minute, dann standen alle die wilden Muskeln auf einmal still, Glieder, Rumpf, Hals und das Angesicht. Der Kopf war jetzt hintenüber gestürzt, das Gesicht nach links verkehrt, der Rücken wurde im Bogen vom Bett gehoben. Zur gleichen Zeit geschah es, daß dieser Person, die noch soeben die höchste gewesen war, der Atem stockte, wovon ihre Züge anschwollen, blau wurden und einen schaurigen Anblick boten. Da die Zunge aus dem Munde geschnellt wurde, die Zähne hineinbissen und blutiger Speichel hinspritzte über die Wangen, die Haare, das Kissen -- war es der Zeichen genug, verlasse jeder schleunig die Person, die noch soeben die höchste gewesen war, damit der Böse nicht auch ihn befällt. Oder wenigstens vermeide man Ansteckung.
Gabriele kam zu sich, sah umher und begegnete einzig Herrn de Varennes, der sie fassungslos und mit Grauen betrachtete. Er war dem König für sie verantwortlich; sein Gewissen schlug, weil er sie an den verhängnisvollen Ort gebracht hatte.
»Nehmen Sie mich fort aus diesem Haus!« rief die Herzogin von Beaufort heftig, ihm ahnte für seine Sicherheit das Schlimmste. Daher hütete er sich, Arzt oder Priester zu holen. Er befolgte einfach ihre Befehle. Sie verlangte in das Haus ihrer Tante, Madame de Sourdis, getragen zu werden -- kam dann auch hin mit ihrer Sänfte, de Varennes hob sie hinein, und daneben ging einzig de Varennes. Sie hatte wohl gemeint, dort träfe sie ihre Frauen mitsamt den großen Damen, die ihr dienten, besonders das Fräulein von Guise. Kein Mensch, ihr diente niemand mehr außer de Varennes, dem einstigen Koch und Liebesboten, jetzt aber machte er ihre Kammerfrau und bettete sie. Die Dienerschaft der Tante war entlassen, solange Madame de Sourdis selbst in ihrem ländlichen Pfarrsprengel weilte. De Varennes schickte dringende Botschaft, damit sie käme.
Inzwischen wechselten bei Gabriele die Unruhe und die Erschöpfung. Sie weinte und rief in diesem leeren Haus nach ihrem Herrn. Damit sie ihm näher wäre, wollte sie unverzüglich nach Schloß Louvre. »Ich kann gehen! Es ist nur eine kurze Straße.« Herr de Varennes, in Hemdsärmeln, eine Schürze vor dem Leib, versicherte ihr, sie würde es dort noch einsamer finden. »Was wollen Sie schließlich im Louvre?« fragte er im Begriff, die Geduld zu verlieren. Sie sagte es nicht, obwohl sie es wußte. Eine gnädige Müdigkeit ließ ihr leicht erscheinen, zu sterben, wenn es nur bei ihrem Herrn wäre, in dem Zimmer, das sie geteilt hatten, und die Luft war darin lebendig geblieben von ihrem vermischten Atem.
Sie schlummerte endlich, die Nacht verlief ruhig, am Morgen fand sie selbst ihr Aussehen wie sonst. De Varennes war erstaunt, er begleitete sie ohne Schwierigkeit hinüber in die Kirche Saint-Germain-l'Auxerrois, dort empfing sie das Abendmahl. Es war Donnerstag vor Ostern. Zwei Tage, sie hoffte, dann wäre sie wieder mit ihrem Herrn vereint. Sie zeigte diesmal aufrichtige Frömmigkeit, da sie von Dankbarkeit bewegt war. Am Nachmittag wurde ihr schlecht, sie mußte sich niederlegen. Vor dem Ausbruch der nächsten Schrecken fand sie die Kraft, dem König einen Edelmann zu schicken, und diesen bestimmte sie selbst, da sie ihn für zuverlässig hielt. Sie bat ihren geliebten Herrn um die Erlaubnis, sogleich mit dem Schiff zu ihm zurückzukehren -- dachte nicht anders, als daß er hiernach selbst käme. Gewiß, er läßt sie im Unglück nicht allein, da er liest, was sie geschrieben hat und das übrige errät.
Sie sah ihn schon zu Pferd steigen, während aber de Varennes ihrem Brief noch ein Wort hinzufügte: so eilig war es nicht. Denn er hat Karten gespielt, während die Herzogin von verdächtigen Speisen aß. Er wird bestraft werden, um so schwerer, je früher der König die Umstände erfährt. Man kennt ihn: nach der Rettung verzeiht er. Vielleicht verzeiht er sogar im äußersten Fall, weil er zu traurig sein wird, um streng zu sein. Zuletzt jagte dennoch der Reiter über die Landstraße, da war es vier Uhr, und Gabriele wand sich vor Schmerzen.
Soweit de Varennes in seiner Verwirrung begriff, war dies ein Zustand wie vor einer Geburt. Er lief schon selbst nach der Frau, die der Herzogin dreimal beigestanden hatte; traf aber drunten auf den Pagen Sablé, und dieser lief. Wilhelm holte nicht nur Madame Dupuis, auch Herrn La Rivière bestellte er dringend. Der junge Wilhelm hatte Herrn de Varennes derart verstanden; jedenfalls war seine Absicht, es als Entschuldigung vorzubringen. Übrigens war der Arzt abwesend, er erschien bei der Kranken erst nach einer Stunde, um fünf Uhr. Bis dahin verlor Madame Dupuis ganz den Kopf, sie hatte dergleichen niemals gesehen.
Der Anfall verlief wie der erste, nur schwerer. Auf die wilden Krämpfe folgte die Starre mitsamt dem Ersticken, wovon das Gesicht unfaßbar entstellt wurde. Madame Dupuis, die bei ihren beruflichen Verrichtungen doch immer eine reizende Gabriele gekannt hatte, nicht aber diese verfärbte, verzerrte Fratze und Augen, die in alle Richtungen ausschweiften -- die Frau ertrug den Anblick nicht, sie stellte sich mit dem Gesicht nach der Wand. Übrig blieb de Varennes, er hielt während dieses Anfalls sowie bei dem nächsten die Herzogin in seinen Armen.
Er redete vor sich hin: Der Atem kommt wieder, es war auch Zeit. Er rasselt, wie sollte er denn nicht behindert sein von den Dämpfen des Giftes. Alles ist ganz natürlich -- dies zu seiner eigenen Beruhigung. Zuletzt stirbt man, daran ist nichts Dämonisches, nicht einmal ungewöhnlich kann es genannt werden, sagte Herr de Varennes, der alles Erdenkliche gewesen war, und jetzt war er Generalpostmeister, Gouverneur, war im Einverständnis mit den Jesuiten, mit jeder gefährlichen Macht, warum nicht mit dem Tod. Vorerst der Tod der anderen, sein eigener leuchtete ihm noch nicht ein; sein eigener, wenn dessen durchaus gedacht werden mußte, hielt sich äußerst fern in Gestalt eines fabelhaften Trauerzuges, der niemals von der Stelle kam.
Vermöge seines Wirklichkeitssinnes empfand er die Unglückliche, die er während ihrer ärgsten Zustände in den Armen hielt, einfach als tief gesunken durch ihr Unglück. Er hätte es für seine Pflicht gehalten, sie aufzugeben, wie die anderen getan hatten. Leider stand diesem bedrohlichen Tod gegenüber der ebenso bedrohliche König, der ihn noch nicht kannte. Die größte Gefahr für de Varennes war, daß der König den Tod der Herzogin ohne ihn erführe durch Leute, die de Varennes die Schuld daran gaben. Daher überlegte er schon hier, ob es nicht richtig wäre, dem ersten Boten einen zweiten nachzuschicken: Zu spät, Sire, daß Sie sich bemühen.
Übrigens verhielt er sich zu einem Ding, das nicht mehr zählte, wie ein Mensch zum Menschen. Das Ding tauchte aus jedem der Anfälle hervor und wurde vorübergehend wieder die Frau, die erstaunt um sich blickte. Was sie sprach, war schwer verständlich, da sie ihre Zunge zerbissen hatte. De Varennes begriff dennoch; er stützte sie, damit sie an den König schriebe, jedesmal ein neuer Hilferuf. Er gab auch vor, die Botschaften zu befördern, sind aber niemals hingelangt, die zweite nicht, die dritte nicht. Um fünf Uhr erschien Herr La Rivière, Erster Arzt des Königs.
Da veränderten sich der Anblick und die Umstände. La Rivière ließ die Kranke reichlich zur Ader, er wusch ihr Inneres mit Salzwasser. Inzwischen richtete Madame Dupuis ein warmes Bad, wie er es anordnete, und beide trugen die Herzogin hinein. Vorkehrungen der Art werden offenbar gegen Vergiftungen getroffen, daher erschreckten sie Herrn de Varennes, der jedem Verdacht ausgesetzt war. Seine Furcht geriet andererseits in Widerspruch zu einer ganz neuen Vermutung: Die Herzogin stirbt nicht. Der Mann da rettet sie. Und nun sie vielleicht leben sollte, entfaltete de Varennes eine verrückte Beflissenheit. Er prüfte die Wärme des Bades ohne Scheu vor der nackten Schönheit; diese rühmte er vielmehr laut. Der König wird entzückt sein, sie übertrifft ihre eigenen Reize, so unmöglich es früher erschienen wäre. Dazwischen sagte er Herrn La Rivière ins Ohr, daß er wahrhaftig meinte, das Gift war aus dem Körper.
Der Arzt erwiderte nicht. Er hörte die Kranke reden -- nicht ihrer Worte wegen: sie berechnete die Stunden, wann ihre Boten bei dem König einträfen, der erste nach Eintritt der Dunkelheit, aber der zweite und dritte werden ihm begegnen, wenn er selbst zu ihr unterwegs ist noch diese Nacht. Wohl auch die Worte, aber der Arzt beachtete besonders den Ton, der verwirrt und von Sinnen klang. Er folgte den Regungen des Gesichtes, das nunmehr abgeschwollen, verfallen und völlig weiß war. Unter dem Wasser tastete er den Leib ab. Plötzlich befahl er Herrn de Varennes, ihn mit der Herzogin allein zu lassen. Die Flüssigkeit, die aus dem Leib rann, färbte das Wasser dunkel, aber es war kein Blut.
Da trug der Arzt mit der Frau die Kranke zurück auf das Bett, um bis zuletzt zu erwarten, was er jetzt sicher voraus wußte. Ließ darum doch nicht nach, zu pflegen und sorgfältig aufzupassen, damit das Leben nicht angehalten würde, bevor es vollends abgelaufen war. Das dauerte nach seiner Kenntnis noch viele Stunden, da die Kranke den Tod abwies mit einer merkwürdigen Kraft: die kam ihr von dem Gedanken an ihren Herrn, daß er im Sattel säße und war auf dem Weg zu ihr.
Als ein Anfall heraufzog, ergriff La Rivière den Rand des Leinens, schob es der Kranken zwischen die Zähne und drückte die Zunge gegen den Gaumen. Er tat es rechtzeitig, bevor in dem äußerst heftigen Krampf die Zunge wäre abgebissen worden. Ebenso pünktlich ließ er von der Frau das Gefäß reichen, beim Eintritt des Erbrechens. Indessen fühlte er selbst den Puls, der flog von der Anstrengung und hatte keine zählbaren Schläge -- zum erstenmal befürchtete der Arzt die vorschnelle Unterbrechung des Lebens. Er fuhr fort, Anweisungen zu geben nicht für den Tod, sondern für das Leben. Herrn de Varennes schickte er nach Milch. Was hier Milch solle, fragte de Varennes. »Gehen Sie! Wir brauchen Wasser mit etwas Milch.«
Herr de Varennes verließ das Zimmer und fand die Gelegenheit, seinen Entschluß zu fassen. Er schrieb an den König: »Sire! Ich flehe Sie an, daß Sie nicht kommen.«
Er besann sich. »Sie würden einen Anblick des Entsetzens haben«, schrieb er. »Sire! Die Frau Herzogin wäre Ihnen für immer verleidet, wenn Sie zum Leben zurückkehrte.«
Hier stand er auf. Wegen des Wortes, das übrig war, kämpfte er mit seinen Bedenken. ›Der Arzt pflegt die Herzogin wie eine Person, die zum Leben gehört. Er trägt eine feste, sichere Miene; bei einer eingebildeten, vergeblichen Arbeit sieht man nicht aus wie er. Wenn es dennoch anders käme und das Wort, das mir hinzusetzen bleibt, würde nachher zur Lüge? Gleichviel, meine Aussichten sind schlecht, sie können nur besser werden. Ich wag es, denn ich habe keine Wahl.‹ De Varennes schrieb, ohne daß er niedersaß.
»Unnütz zu reiten, Sire. Die Herzogin ist tot.«
Und er besorgte den schnellsten Boten.
Madame Dupuis kam für eine Weile heraus, um zu weinen. »Ist es zu Ende?« fragte de Varennes begierig.
Im Zimmer waren der Arzt und sie, die man die reizende Gabriele genannt hatte. Er sprach zu ihr, als wäre sie es noch immer. Er sagte, daß ihre leichte Schwäche mit dem Kind zusammenhänge, nach ihrer Befreiung werde sie genesen sein. Sie bewegte auf ihrem Kissen leise den Kopf, um zu verneinen, und seinem tiefen Blick begegnete sie mit Gleichgültigkeit, als erkennte sie ihn nicht. Hatte ihn aber gern gehabt, ihm vertraut, und noch vor dem Chirurgen hatte sie ihn zum König gerufen, als der König erkrankt war. Auf seine Frage, ob ihr wohl wäre, antwortete sie nur, daß eine Orange ihr bitter geschmeckt habe. Dann klagte sie über heftigen Kopfschmerz und daß ihr durchaus nicht einfallen wollte, wo der König sei.
»Schlafen Sie«, bat er, und sie gehorchte. Er stand aber und beobachtete, wie ihr Wille sie verhinderte, fest zu entschlummern, und dies entgegen ihrem Bedürfnis nach Vergessen. Daher traf er alle Maßnahmen, die er kannte, damit die nächsten Anfälle weniger schnell erfolgten. Er gab seiner Kranken das Wasser mit etwas Milch in kurzen Abständen, worauf größere Mengen der schwarzen Flüssigkeit aus den Nieren traten. Madame Dupuis half eifrig, da sie Wirkungen sah und den Arzt bewunderte. Dieser erkannte, während er bewundert wurde, daß seine Bemühungen versagten. Die Kranke verfällt in einen unheilvollen Schlaf, der Ausdruck des Gesichts wird stumpf. Schon beginnt die Erregung, der Atem wird hervorgestoßen. Sie öffnet die Augen, diese zeigen erweiterte Pupillen. Der Arzt versuchte den Anfall abzuschneiden, er ließ nochmals zur Ader. Umsonst.
Als dieselben Schrecken weitere zweimal vorübergegangen waren, versagte noch immer nicht die Ausdauer der Kranken, nur die der Wärterin. Sie möge ausruhen, erlaubte ihr der Arzt. »Es ist acht Uhr.«
Die Frau entsetzte sich. »Schon vier Stunden erträgt sie die Zustände, eine andere stürbe nach dem ersten. Man kann das Kind nicht herausholen. Aber ist es nur das Kind, was sie im Leibe hat?« fragte die Frau unhörbar, und sie schlug ein Kreuz.
Der Arzt blieb für die Nacht endgültig allein bei der Sterbenden. Er stand und beobachtete. Die Anfälle haben sich an ihr erschöpft, nicht sie an ihnen. Das ist, wenn man will, eine Sterbende. Aber nicht anders sind wir alle, solange wir leben. Sie wird noch morgen leben. Morgen ist Freitag, der heilige Freitag vor Ostern, Karfreitag: den soll sie erleben, ist dessen beinahe gewiß, und mehr kann niemand von sich sagen.
›Ich müßte die Öffnung erweitern und das Kind herausholen. Es wäre kein lebendes Kind; aber wenn die Mutter erhalten bliebe? Ihr Wille ist erhaben über die gemeine Natur. Nach ihren mehr als menschlichen Anstrengungen spricht sie aus einem halben Schlaf von ihrem Herrn, ist wieder zu ihm hingelangt, sie lallt verzückt -- ich darf das nicht anhören. Ich muß handeln. Arzt, erhalte das Leben!
Gesetzt aber, mein Eingriff vernichtete es? Die Entbindung beseitigt keinesfalls die Wirkungen der Vergiftung. Diese würden wahrscheinlich länger ertragen werden ohne den gewaltsamen Eingriff, den ich nicht mildern kann. Natur, gewähre dreißig Minuten der Unempfindlichkeit, so will ich dir helfen zu heilen. Unmöglich, dieses menschliche Wesen würde unter grausamen Schmerzen aus den Eingeweiden verbluten, und gelänge es mir, auch das noch zu vereiteln -- beim nächsten Anfall von Erstickung, zwanzig Sekunden, es blutet das Gehirn. Eine Gelähmte stirbt mir.‹
Der Arzt fiel schwer auf einen Sitz, er wühlte die Stirn in seine beiden Hände. Das beseligte Lallen, das er vernahm und nicht fliehen konnte, es vermehrte seine Angst.
›Was ich tu oder lasse, immer bin ich schuldig vor der Natur, die gütig wäre, nur ich genüge ihr nicht -- und schuldig vor den Menschen, sie warten darauf, mich zu verderben.‹
Mit Scham und Selbstüberwindung gestand er sich seine Menschenfurcht. Er ist verhaßt als ein Freund und Günstling der Herzogin von Beaufort. Um so eiliger wird behauptet werden, daß er sie getötet habe. Er ist weder Protestant noch Katholik, er hat die Medizin bei den Mauren erlernt, war lange in Spanien; aber höchst verdächtig ist er geworden, als er im Auftrag des Königs den Besessenen ihre Vernunft zurückgab -- dies noch kürzlich, und hatte gewagt zu sagen, sie wären nicht besessen. Der Arzt erkannte, und er verzweifelte an sich, daß er die künstliche Entbindung unterließ als zu gefährlich nicht für ein anderes Wesen allein, auch für ihn selbst. Über den Freitag hinauszuleben, bin ich nicht sicherer als sie.
Dies Bekenntnis legte er hörbar ab, sogleich erlosch auf dem Bett das sanfte Geraune. Es war ganz dunkel, er zündete Kerzen an: da traf das Licht in das Gesicht einer Verwandelten. Hier liegt eine Lebende, anstatt derer, die sterben soll. Die Wangen erschienen rosig und weiß, in ihrer natürlichen Fülle, der Atem ging leicht. Wahrhaftig, hier hat die gütige Natur eins ihrer Wunder getan. Von seiner unbesonnenen Freude schwankte La Rivière, er riß ein Fenster auf. Alsbald erklang von unten Gesang, eine helle, junge Stimme.
»Reizende Gabriele«, dies Lied sang Wilhelm.
Gabriele schlug die Augen auf, und sie hatten Glanz. Gabriele hob den Kopf ein wenig vom Kissen, sie lauschte und sie lächelte. »Du Stern«, erklang zu ihrem letzten Lager, jetzt öffnete sie die Lippen.
»Du Stern, den ich verlassen,
Dein denken, welche Not!
Ich muß vom Schmerz verblassen,
Erschein! Sonst war ich tot.«
»Aber ich komme doch«, sagte Gabriele, ein klarer, süßer Ton. »Liebster, ich komme. Hier bin ich, mein hoher Herr.«
Ihr Nacken gab nach, sie sank um, aber sie hörte noch einmal: Grausames Abschiedgeben.
»Grausames Abschiedgeben,
O Tag voll Schmerz,
Hätt ich nicht dieses Leben
Oder kein Herz!«
Das Ende vom Lied, sie hat es gehört.
Henri bekommt den ersten ihrer Briefe, von ihren drei letzten erreicht ihn der erste. Er liest, daß sie zu ihm reisen möchte und bittet dringend um die Gunst. Aber sie glaubt auch zu sterben, wie kann sie denn reisen. Sie hofft, daß er sie vorher heirate um der Kinder willen. Steht es mit ihr so schlimm? De Varennes in seiner Nachschrift widerspricht ihren Befürchtungen: »Es eile nicht«, sagt de Varennes, der für sie verantwortlich ist.
»Herr de Puypéroux«, fragt Henri den reitenden Boten. »Wer hat Sie geschickt?«
Der Edelmann antwortet: Die Frau Herzogin selbst, und sie hat keinen anderen gewollt als ihn. Ob sie bei Besinnung gewesen sei? Bei voller Besinnung. Ob in Lebensgefahr? Davon sei nichts zu bemerken gewesen, ist der Bescheid. Man habe indessen gehört, sie sollte in Ohnmacht gefallen sein.
Henri bedenkt: ›Nach ihrem dritten Band neigte sie zu Ohnmächten. In Monceaux war ich zugegen, als ihr die Sinne schwanden -- aus Eifersucht auf die Medici und ihr Bild. Diesmal ist es dasselbe. Sie fürchtet, in ihrer Abwesenheit könnte ich mich anders entschließen. Ich will sie beruhigen. Eine Nottrauung aber will ich nicht. Sie stirbt nicht, wie könnte sie mir sterben!‹
Er schickt den Boten sogleich zurück, mit der Nachricht, daß er komme und werde sie bald in seinen Armen halten. Eine Treue wie meine ward nie noch gesehn, hätte sie lesen können wie einst; aber am Freitag, ihrem letzten Tage, versagten die Augen. Übrigens gab man ihr seinen Brief nicht mehr.
Er war unruhig, in Ängsten sogar, obwohl er es nicht sein wollte. Endlich schlief er ein, schrak aber aus bösen Träumen; lag fortan und horchte auf eingebildete Hufe. Vor Anbruch des Tages verwandelten die eingebildeten sich in wirkliche. Henri, der in den Kleidern war, lief vor die Tür, beim dämmernden Licht entzifferte er die Botschaft: die war nicht mehr von ihr. De Varennes schrieb allein; er berichtete, daß die Krankheit dem Arzt widerstehe und verwüste die Kranke. Das Leben der Herzogin sei aufgegeben, ihre Schönheit verfalle schon jetzt. »Sire! Kommen Sie nicht, ersparen Sie sich den grausigen Anblick!«
Sie ist tot -- stand nicht dort. Im letzten Augenblick hat de Varennes dem Reiter diesen vorsichtigeren Brief mitgegeben. Er selbst hat schließlich nicht gewagt, Gabriele totzusagen, bevor sie es ist. Er hat drei anderen Personen die falsche Nachricht zukommen lassen: die werden sie im guten Glauben dem König überbringen. Henri, kalt vor Schrecken, steigt zu Pferd. Er jagt mit verhängten Zügeln. Vier Meilen vor Paris holt er Puypéroux ein, der hat es nicht eilig gehabt. Warum? Henri fragt nicht. Er schilt den Mann, hütet sich, in ihn zu dringen, läßt ihn dahinten und jagt. Hier steht an der Landstraße das Haus des Kanzlers Bellièvre, hervor und dem König entgegen laufen Marschall d'Ornano und Herr de Bassompierre. Henri sieht die bestürzten Gesichter, ihm stockt das Herz. Sie senken den Kopf und sprechen: »Sire! Die Herzogin ist tot.«
Henri erstarrte. Saß im Sattel als unbewegliche Gestalt, vergaß, wo er war und wohin unterwegs. Da man den König mit einem entsetzten Staunen geschlagen sah, trat Herr de Bellièvre in die Stille, er bestätigte, was er selbst für wahr hielt, und beschrieb den furchtbaren Zustand dessen, was er eine Leiche nannte; es war aber bis jetzt eine Lebende -- atmete noch, rief nach ihrem Herrn noch.
Henri fand endlich Tränen. Er saß ab, und weggewendet weinte er lange. Dann sagte er, daß er die Herzogin von Beaufort sehen wolle. Wogegen der Kanzler ihm mit Festigkeit vorstellte: was er tue, werde beobachtet und allseits besprochen. Die öffentliche Bekundung seines Schmerzes werde ihm höchlich verdacht werden. Er laufe Gefahr, das religiöse Empfinden seiner Untertanen zu verletzen unmittelbar vor Ostern. Henri war nicht fähig zu erwidern; mit Mühe stand er aufrecht.
Der Wagen des Kanzlers fuhr vor, Henri ließ zu, daß man ihn nach einer nahen Abtei brachte. In voller Verzweiflung wirft er sich auf das Bett eines Mönches. Vernichtung und ein endloses Schluchzen, das ist sein Tag, der Freitag, den Gabriele lebt und ruft nach ihm zwischen den Schrecken ihres Kampfes. Langsam erreicht Henri Fontainebleau, ist schon vereinsamt; sie aber übersteht sogar die Nacht, so sehr erwartet sie ihn. Mit der Hoffnung nimmt ihre Kraft ab. Der letzte Anfall findet sie ohne Widerstand. Der Sonnabend dämmert herauf, als sie vergeht.
De Varennes hatte am Abend des Freitag einer einzigen Person die ungefähre Wahrheit verraten; er schrieb an Herrn de Sully, ihn hielt er für geneigt, sein Verhalten zu billigen. Er gestand seinen Betrug an dem König, entschuldigte den Betrug so gut es ging; besonders aber lenkte er den Verdacht, der ihn seihst getroffen hätte, auf Zamet ab. In seiner Freude fragte Rosny weder nach Schuld noch Gericht. Er weckte seine Frau, umarmte die alternde Witwe und sagte: »Mädel, die Herzogin steht nicht auf, du mußt zu ihrem Erheben nicht gehen. Das Seil ist gerissen.«
Um dieselbe Stunde starb sie wirklich. Um dieselbe Stunde trat Papst Clemens VIII. aus seiner Kapelle, eine übernatürliche Erleuchtung hatte ihn sichtlich getroffen, lange bevor die Post in Rom sein konnte, und er sagte: »Gott hat vorgesorgt.« Was nichts weiter hieß, als daß manche, darunter der Papst, aus einer großen Verlegenheit waren, wenn die Herzogin von Beaufort verschwand, und wußten von getroffenen Vorsorgen. Die Wahrheit der Geschehnisse kannten sie gerade darum nicht, welcher Eigenmächtige kennt die Wahrheit. Das letzte dachte der Arzt an dem Bett, worauf die Tote lag.
Er konnte nicht rechtzeitig entkommen; kaum daß die Herzogin ausgeatmet hatte, schon war das Zimmer voll von Leuten -- unbegreiflich, wo sie gesteckt hatten, wie sie unterrichtet worden waren. Spitze Augen, ein Gelauf und Zudrang, alle mit spitzen Augen, und wurden belohnt durch den schaurigen Anblick, den sie gesucht hatten. Die schönste Person im Königreich, da lag sie mit umgedrehtem Hals, die Augen verkehrt, und war von Angesicht schwarz. Die ersten, die es gesehen hatten, sagten: »Der Teufel«, wobei es nachher auch blieb für eine Menge Volkes, die den Anblick nicht genossen hatte.
Nun war der Arzt im Gedränge, sie drückten ihn gegen das Bett, und da es sie nach Schaudern verlangte, wurde er selbst ein Gegenstand ihres Aberglaubens, wie er wohl bemerkte. Er erkannte, was ihm drohte, wenn er nicht augenblicks die Tote verleugnete und die ärztliche Verantwortung für ihr unnatürliches Ende von sich wies. Er fügte seinem Wuchs durch Aufrecken zwei Zoll hinzu, ahmte einen Engel des Gerichts nach und rief über die Köpfe hinweg: »Hic manus Dei.«
Da wich man beiseite und öffnete die Schranken der Leiber dem, der »Gottes Hand« am Werk gesehen hatte; er konnte abgehen. Er trug den Kopf hoch, hatte aber verraten -- die Tote, den König, sein Gewissen, und beschloß, was er nachher nicht hielt, denn man ist vernünftig und ist schwach: ›Ich will nie wieder die Kunst ausüben.‹
Als Madame de Sourdis in ihrem Hause eintraf, fand sie es ohne Aufsicht; wer wollte, ging ein und aus. Nahe dem Bett fiel sie in Ohnmacht, dies mehr des Anstandes wegen; sie war nicht schreckhafter Natur. Ihre Schwäche erlaubte ihr dennoch, eine Diebin zu ertappen. Es war Madame de Martigues: der Perlenschnur war sie nicht habhaft geworden, aber von den Fingern der Toten hatte sie die kostbarsten Ringe gezogen und sie an ihrem eigenen Rosenkranz befestigt. De Sourdis entriß ihr den Raub; dem Polizeileutnant übergab sie die Intrigantin.
Niemand hatte die ganze Zeit, bis Gabriele beigesetzt war, zwei Wochen lang alle Hände voll zu tun wie ihre Tante. Diese achtete der Umstände ihres Endes kaum, bedacht wie sie war, aus dem Ende wenigstens den ganzen noch möglichen Vorteil zu ziehen. Sie kleidete die Nichte in das Hochzeitsgewand der Königinnen, Karmesin mit Gold, darüber weiße Seide. Aber es war nicht die Nichte selbst, denn was von der reizenden Gabriele übrig war, vertrug keine öffentliche Ausstellung. Eine künstliche Figur erhob sich auf dem Paradebett im Vorraum des Hauses, diese empfing die Huldigungen vom Hof und von der Stadt.
Indessen im Sarg sie selbst verschlossen lag und war für immer abgeschieden, thronte ihr plumpes Abbild zwischen sechs dicken Kerzen aus weißem Wachs. Im Sarg das Totenhemd und schwarze Angesicht; von acht psalmodierenden Mönchen umgeben das Abbild mit goldenem Mantel, die Herzogskrone golden auf der scheinbaren Stirn. Eine verleugnete Leiche, aber bei der eilig nachgeahmten Schönheit wachte ihre Familie, und zwei Priester lasen ihrer Seele die Messe. Standen vor dem prunkvollen Aufbau auch die Waffenherolde in schwarzen Kettenpanzern besät mit goldenen Lilien. Die Königin samt ihren Lilien, im Sarge liegt sie nicht, hier ihr Salon, und sie empfängt die Welt, zwanzigtausend Personen ziehen an ihr vorbei. Kommt eine Herzogin, wird schnell ein Kissen unter ihre Knie gelegt.
Dies alles setzte die Tante unbeirrt fort drei Tage lang. Der wächsernen Figur wurde für jede Mahlzeit der Tisch gedeckt, wie es vor Zeiten mit verstorbenen Königinnen gehalten sein sollte; sie wurde bedient, der Hausgeistliche sprach das Tischgebet. War aber alles nur der Anfang. Die Leichenfeier stand endlich bevor, dreiundzwanzig städtische Ausrufer kündeten sie der Bevölkerung an, die Namen und Titel der hohen Dame Gabriele d'Estrées hallten noch einmal durch die Straßen. Die Kirche strahlte von Kerzen ohne Zahl; die Armen, denen man Trauerkleider geliehen hatte, damit sie eine Hecke stellten, betrugen fünfundsiebzig. Den Zug nachher führten Garden des Königs mit dem Herzog von Montbazon; er hatte die Lebende seit ihrem Abschied von dem König geleitet; ihm gebührte die Ehre, neben ihrem Sarg zu gehen. Hier wirkte keine Kunstfigur mehr mit. Sie war es selbst. Ihr folgten auf dem Fuß vor allen den Reitern und Karossen ihre drei Kinder. Das vierte begleitete sie drinnen im Sarg.
Im Zug sagte man vieles; nur die Familie und ihr Oberhaupt, der Marschall de Balagny, schwiegen gründlich, sie hielten sich an das vieldeutige Wort des Arztes von der Hand Gottes. Man sagte im Zug, daß der König sie los und erleichtert sei; einer sagte es ihm später ins Gesicht. Die Häuser entlang beim Volk wurde Mitleid geäußert: wohl sei sie gestorben wie eine Hündin, ohne Letzte Ölung; dennoch habe sie kurz vorher das Abendmahl empfangen, ihr Ende wäre allenfalls frei von Sünden gewesen. Die Herrschaften im Zuge wollten ihr Ende voraus gewußt haben, so und nicht anders. Die Menge flüsterte von der Strafe des Himmels, die habe sie ereilt, bevor der Teufel seinen Vertrag mit ihr erfüllen und sie zur Königin von Frankreich machen konnte. Der Hof und die Stadt stellten gemeinsam fest, daß der König nicht gewagt habe, selbst teilzunehmen an ihrem königlichen Begräbnis. Ließ sie auch nicht beisetzen unter der Kathedrale von Saint-Denis, wo Haus Frankreich seine Särge hat. Droben, über der Gruft der Könige erhielt sie allerdings ihre zweite Feier und Einsegnung, wurde aber zu ihrer letzten Ruhe nach Monceaux gebracht.
Henri hatte sich eingeschlossen. Die erste Woche nach dem Tode Gabrieles sah ihn von seiner gewöhnlichen Umgebung niemand. Nur sein Minister Sully erschien gleich am Sonnabend sechs Uhr abends. Gabriele war inzwischen wirklich gestorben und ihr Feind alsbald aufgebrochen. Henri wußte hier noch nicht, daß sie gelebt hatte, als er sie schon beweinte: davon schwieg Rosny. Henri umarmte seinen guten Diener, und dieser sprach für ihn einen Psalm, »Wer nur den lieben Gott läßt walten« -- worauf Henri ihn ins Auge faßte und lange stumm ansah.
Henri erkannte hier vieles und besonders, daß er das Recht habe, mit seinem Schmerz, den niemand teilte, allein zu bleiben. Davon sah er auf einmal wie getröstet aus. ›Das ist kein tiefer Schmerz‹, dachte der Minister, als er hinter sich die Tür schloß.
Die fremden Gesandten, die eigens nach Fontainebleau reisten, waren nicht abzuweisen. Desgleichen mußte Henri hinnehmen, daß eine Abordnung seines Parlamentes ihn der amtlichen Trauer versicherte mit erhabenen Worten, als spräche man von einer Königin. Dann überließen sie ihn wieder seinen Gedanken; er stand noch immer auf dem Fleck. Sie sagten: auf dem Fleck, und ist ganz schwarz angetan; das pflegte bisher kein König, für eine wirkliche Königin nicht.
Beim Beginn der zweiten Woche kleidete er sich in Violett, wie üblich für einen Herrscher, der eine nahe Person verliert. Blieb aber eingeschlossen weitere drei Tage; nur seine Kinder waren oft bei ihm: dann hörte man weinen, was natürlich schien. Mit Mißbilligung wurde vermerkt, daß die Raben sich einstellten.
Der Protestant Mornay hatte die Kühnheit -- als wäre nicht der eigentliche Quell des Übels das Edikt von Nantes gewesen, und erst nach diesem war der arme König dahin gebracht worden, daß er auf den Thron die Agentin und verdammte Seele der Ketzer erhoben hätte, wenn Gott nicht vorsorgte. Herr de Mornay kam nicht allein, mit ihm war ein uralter Pastor, dessen mehrere sich noch erinnerten, La Faye sein Name. Diese beiden erhielten Zutritt; was sie aber mit der Majestät verhandelten, blieb geheim. Kein Laut drang diesmal durch die Tür, wenngleich man das Ohr daran legte. Man versuchte zu spähen und fand den Schlüssel gegen das Loch gestellt.
Nach diesem Besuch, bevor er seine Zimmer öffnete und wurde, der er sonst gewesen war, berief Henri Herrn La Rivière, Ersten Arzt des Königs.
Da La Rivière unangemeldet eintrat, und die Galerie war lang, bemerkte Henri die Veränderung des Hintergrundes nicht sogleich; Er saß vorn am Tisch, den Rücken aufgerichtet, leicht vorgebeugt. Seine Hand hielt die Feder, die aber stillstand. Indessen wurde er der fremden Gegenwart bewußt, rückte den Kopf zur Seite und erlaubte Herrn La Rivière ohne Worte, ihm gegenüber zu sitzen. Dieser gehorchte beklommen; der König führte seine Gespräche im Umhergehen. ›Steht es so schlimm für mich?‹ dachte der Unglückliche, der zu seiner Rettung die »Hand Gottes« entdeckt hatte, hier aber nützte sie ihm nichts.
Henri hatte aufgerissene Augen, die Lider waren entzündet. Eine Weile, die dem Arzt maßlos erschien, wurde sein Blick von diesen Augen festgehalten; dann sagte Henri:
»Da sind wir beide.«
Der Arzt stieß aus: »Herr! Ich schwöre.«
»Auch ich«, erwiderte Henri. »Wir sollen aber nicht schwören; uns frei zu schwören, wäre vergeblich.«
Leise schloß er: »Sie ist nicht vergiftet worden.«
»Das wissen Sie?« La Rivière traute seinen Ohren nicht. »Ihre hohe Vernunft --«, begann er. Henri schnitt ihm das Wort ab.
»Lassen wir meine Vernunft. Erwähnen wir weder meine noch Ihre. Ich habe sie nicht in den Tod geschickt, Sie haben sie nicht getötet. Das ist alles, was wir zu unseren Gunsten vorbringen können.«
»Das ist alles«, gestand der Arzt. »Für meinen Teil weiß ich nur zu sagen, daß ich die künstliche Entbindung nicht gewagt habe, weil die Kranke von ihren Nieren, ihrer unzulänglichen Leber schon zu sehr vergiftet war. Nicht ein beigebrachtes Gift, das selbsterzeugte hat sie zerstört. Das Kind lag außerhalb des Organs in der Bauchhöhle und verstopfte die Niere. Als wir nachher den Leib öffneten, zogen wir es in Fetzen heraus. Wir alle von der Fakultät bezeugen den natürlichen Hergang, den unsere Kunst bis jetzt nicht aufhalten kann.«
Bei jedem »wir«, das La Rivière aussprach, sah er eine Braue des Königs zucken über dem aufgerissenen Blick. Er begriff, daß er ohne die Hilfe der Fakultät, von niemand geschützt, für sich einzustehen habe. Der vor ihm saß, berief sich auf keinen anderen.
Der Arzt gab nunmehr seinen Bericht, angefangen mit seinem ersten Schritt zum Bett der Herzogin. Er beschrieb alle Anzeichen, die ihn eines nach dem anderen belehrt und seinen Dienst am Leben vereitelt hatten, anstatt daß er sie überwand. Je grausamer die Einzelheiten, um so gelassener beherrschte er seinen Vortrag -- worüber er zuletzt selbst erschrak; brach ab und entschuldigte sich. Es sei gewiß nicht zulässig, obwohl schwer vermeidbar, das innere Bild dieses Körpers zu zeigen, war er doch der geliebteste im Königreich gewesen.
»Wer wäre ich«, sagte Henri langsam, »hätte ich nur ihre Haut geliebt und nicht ihr Eingeweide.«
Der Arzt fand hierauf das Wort nicht wieder. Er sah dem Wechsel im Gesicht eines Menschen zu -- sie nennen ihn Majestät. Unverkennbar wird er Anklage erheben. Die Majestät kann anklagen, wen es ihr beliebt; sogar die Natur? Tatsächlich sagte Henri:
»Sie hätte leben können.«
»Sire!« erlaubte der Arzt sich. »Nicht ich, die Natur heilt. Sie ist aber eins im Sein oder Nichtsein. Mein Lehrer Hippokrat würde sagen, daß die Herzogin von Beaufort geheilt ist.«
»Amen«, Henri verzerrte den Mund zum Lachen. »Wir sind sterblich. Fragt sich nur, an welchem Punkt sie es noch nicht war. Was haben wir versäumt, damit Natur sie anders heilte als durch das Nichtsein?«
La Rivière bekam nochmals Furcht, er versuchte abzuwehren. Die Herzogin habe den König in seiner Krankheit gepflegt ohne Ermüdung, ohne Klage. Ihr war nichts anzumerken, behauptete er. Plötzlich errötete er -- stockte, und endlich erwähnte er die Veränderungen, die schon längst an ihr hervorgetreten sein müßten. Träume? Kopfschmerzen? Bewußtlosigkeiten und das Aussetzen des Gedächtnisses, der Sehkraft -- Henri bestätigte alles. La Rivière gestand hiernach, er sei getäuscht worden durch den guten Verlauf ihrer vorigen Schwangerschaften. Die dritte verband sich schon mit ähnlichen Schwächen, wenn auch geringen Grades. Jetzt ist gewiß, daß seitdem ihre Leber krank war, und das hat sie im voraus gezeichnet für ein Ende, wie sie es wirklich genommen hat.
»Wirklich genommen«, wiederholte Henri. Er murmelte: »Begreif es einer: sie hat das Ende wirklich genommen. Weil ich nichts sah und wollt an ihre Ängste nicht glauben. Jede Nacht teilte ich sie mit ihr, ich schrak aus dem Traum wie sie. Aus demselben Traum, wir beide.«
Hier verließ er seinen Platz und durchmaß die Galerie. La Rivière wich gegen die Wand. Mehr für sich selbst als zu einem Vereinsamten, der nur die eigenen Erinnerungen hörte, sprach er wie sein Lehrer Hippokrat: »Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang. Flüchtig ist die Gelegenheit, die Erfahrung täuscht, wir können schwer urteilen.« Womit La Rivière seine Verantwortung möglichst verringerte, denn seine Gelegenheit, die Herzogin von Beaufort zu beobachten, war allerdings flüchtig gewesen.
Henri trug im Gegenteil schwerer an seinem Verschulden, je öfter er hin und her den Gang machte. Er hätte sie nicht von sich entfernen, hätte sein teuerstes Gut nie aus den Händen lassen dürfen. Er ist nicht zu ihr geeilt ungesäumt auf ihren Ruf in ihrer letzten Not. Ach! Viel früher, die Schuld liegt weit vorher. Sie sollte schon längst seine rechtmäßige Königin sein: dann gab es all ihre Ängste nicht, und gestorben war sie an ihrer Angst, daß er sie verlassen habe. Verlassen wie einst die arme Esther -- die hat Pastor La Faye beschworen und ihm vorgehalten, einen Schatten, nicht wiederzuerkennen nach langem Nichtsein. ›Pastor, ich bin unverbesserlich. Was tun, damit nicht auch diese entschwindet und wird wesenlos gleich allen Vergessenen?‹
›Sire! Das wird nicht geschehen, da Sie endlich hart genug belehrt und selbst schon am Rande des Alters sind, wo die Abkehr beginnt.‹
›Mir bangt es sehr um mich, Herr La Faye. Das ist die Tote, die mir zusehen wird, wie ich altere. Wenn es ihrer und meiner nicht würdig wäre?‹
›Mein Sohn! Sie haben das Menschenkind Gabriele geliebt. Durch Ihre Kraft, es zu lieben, wurden Sie der große König.‹
Das letzte Wort fuhr in einem tiefen Schluchzen hörbar aus der Brust. Der Arzt an seiner Wand fürchtete, zuviel zu belauschen, da der Geist des Königs eingebildete Gespräche führte und vermeinte, sie wären ohne Zeugen. Herr La Rivière war aber nicht entlassen, weshalb er keine Regung wagte. Vor einem der Fenster hielt Henri den Schritt an, er lehnte die Stirn an die Scheibe. Da räumte Herr La Rivière den Platz mit aller Vorsicht.
Draußen empfing ihn das zudringliche Geflüster der Höflinge, die ihn erwartet hatten. Ob der König aufgebracht wäre? Wen beschuldigte er, was hatte jeder zu fürchten?
Der Erste Arzt äußerte sich gewandt und vielsinnig, wie man ihn kannte.
»Der König ist außer Gefahr, da er seiner Größe gedenkt.«
Während der Satz umhergesprochen wurde, verschwand La Rivière.
Henri, die Stirn an dem Fenster, redete zu ihr, die darum doch nicht wiederkehrte.
›Mit dir, nur mit dir war ich geworden, der ich sein soll.‹
Er nahm seinen Sitz wie vorher ein, las nochmals den Brief seiner Schwester, der Herzogin von Bar. »Wollte Gott, ich könnte, um Ihren Schmerz zu erleichtern, einige meiner übrigen Jahre dahingehen«, schrieb Kathrin.
›Damit war nicht geholfen, Schwester, du ihre Freundin.‹ Er nahm seine unterbrochene Antwort auf. ›Sehnsucht und Klagen werden mich begleiten bis zum Grab, stand aufgezeichnet. Indessen ließ Gott mich geboren werden nicht um meinetwillen, sondern für dies Königreich.‹ Er schrieb hinzu: »Die Wurzel meines Herzens ist tot und wird nicht wieder treiben.«