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»Uns wird bekundet, daß damals Arulenus Rusticus dafür, daß er Petrus Thraseas, Herrennius Senecion aber dafür, daß er Priscus Helvedius gerühmt hatte, mit dem Tode büßen mußten. Uns wird bekundet, daß man nicht allein gegen die Autoren wütete, sondern sogar gegen ihre Schriften, und zwar hatten die Triumvirn den Befehl bekommen, auf öffentlichem Markt, im Beisein allen Volkes zu verbrennen, was die ausgezeichnetsten Geister für alle Zeiten geschaffen hatten. Gewiß dachte man auf immer zu ersticken in diesen Flammen sowohl die Stimme des römischen Volkes als auch die Freiheit des Senates und das Gewissen der Menschheit. Schon waren vertrieben alle, die Weisheit lehrten, verbannt war jede freiheitliche Kunst – aus Furcht vor dem Ehrenhaften, das noch hätte auftreten können. Wir haben sicherlich an Geduld Erstaunliches geleistet, und mögen frühere Jahrhunderte eine übertriebene Freiheit gekannt haben, so sahen wir das Letzte von Knechtschaft – wir, denen nachgespürt wurde, damit wir nichts mehr sagen, nichts mehr hören sollten. Mit der Rede hätte man uns sogar das Gedächtnis geraubt, wäre es uns nur möglich gewesen, so gut zu vergessen, wie wir schweigen lernten.« Tacitus Leben des Julius Agricola.
Ein gewisser Hinkel ist der Erfinder des Wortes »Intellektbestie«, womit er alle Denkenden schlechthin, besonders aber die Schriftsteller meint. Nach seiner Ansicht ist Denken und Schreiben das sicherste Zeichen der tierischsten Gemeinheit. Nun trifft es sich, daß dieser Hinkel einer der Kommissare des deutschen Diktators ist, wie dieser überall welche hinsetzt. Den Genannten hat er zum Aufseher gemacht über die Theater, Akademien und allgemein über Anstalten, die als eigentlicher Nährboden der »Intellektbestie« gelten.
Offenbar hat er den Auftrag, sie zu zügeln, ihr nötigenfalls ein paar Zähne auszubrechen und aus der Bestie ein Haustier zu machen zum Gebrauch der Diktatur, die ihrerseits, die ganze Welt weiß es, die Sanftmut und Menschlichkeit selbst ist.
Hier erscheint wieder die Umkehrung der Werte, an die wir nachgerade gewöhnt sind. Die vom Blut der anderen triefen, nennen Bestien die Menschenklasse, deren unveräußerlicher Beruf es ist, ihre Schandtaten laut beim Namen zu nennen. Die Machthaber werden niemals ganz mit ihnen fertig werden. Das tut nichts, wenn es ihnen nur gelingt, den meisten Furcht einzujagen und eine gewisse Anzahl zu bestechen.
Ob die deutschen Intellektuellen sich die Bezeichnung »Bestie« gefallen lassen oder nicht, sie können nicht umhin, einige Tatsachen festzustellen. Alle wie sie da sind, waren in der Nähe, als Bücher verbrannt wurden, klassische Werke, die sie für ewig unangreifbar gehalten hatten, und Arbeiten Lebender, denen sie in ihrer Mehrzahl eine manchmal aufrichtige Bewunderung bezeugt hatten. Dieselben Autoren, denen zu Ehren sie einst gerührte Reden gehalten hatten, jetzt verließen sie vor ihren Augen das Land. Andere folgten ihnen aus freien Stücken, und wieder andere konnten nicht umhin, sonst mußten sie die ärgsten Mißhandlungen befürchten.
Die deutschen Intellektuellen, soweit sie dablieben, haben notwendig erfahren, wie es ihren Kollegen ergangen ist, wenn sie bei den jetzt Maßgebenden unbeliebt waren, sich aber aus Armut oder Unverstand nicht in Sicherheit brachten. Sie haben Geschichten gehört, die heimlich verbreitet wurden, und haben sie selbst flüsternd weitererzählt: grauenhafte Geschichten von Gelehrten, die sich vor fahrende Züge warfen, von der Einkerkerung einer alten Künstlerin und von hochverdienten Schriftstellern, die in der Gefangenschaft täglich geschlagen wurden. Aber diese Gefolterten und zum Selbstmord Getriebenen, alle die gewaltsam Umgekommenen und die noch Entronnenen, deren Kraft auf immer gebrochen ist, das waren bis vor kurzem die Gefährten ihrer Arbeit und ihrer Freuden. Sie begegneten ihnen alle Tage an denselben Orten, ein Lächeln auf den Lippen und mit ausgestreckter Hand. Wenn sie jetzt des Nachts kein Albdrücken haben, dann sind sie offenbar recht widerstandsfähig gegen das Leiden anderer.
Es muß gesagt werden, daß sie an die Stelle der Verschwundenen getreten sind und daß ihre eigene Bedeutung in unverhoffter Weise zugenommen hat, weil andere auswanderten, verboten wurden und ins Elend kamen. Da es ihnen selbst entsprechend besser ging, kann es ihnen leichter gefallen sein, sich zu dem Geschehenen positiv einzustellen. Für viele ist das richtig. Manche hat es im Gegenteil angewidert. Ihnen gebührt Anerkennung, wenn auch unter Fortlassung ihrer Namen. Sie würden Unannehmlichkeiten haben.
Als Bruno Walter in Deutschland nicht mehr dirigieren durfte, eilten Rivalen genug herbei, um statt seiner das Orchester zu leiten, unter ihnen leider auch der am höchsten bewunderte Komponist der letzten Generationen. Ein anderer, gleichfalls berühmter Kapellmeister indessen, der aufgefordert wurde, für Walter einzuspringen, hatte den Mut, zu telegrafieren: Ich bin nicht Richard Strauss.
Gelehrte, die in keiner Weise behaftet waren mit Internationalismus, Marxismus oder anderen Pestbeulen der »Intellektbestie«, nahmen ihren Abschied, verzichteten auf jede öffentliche Wirksamkeit und auf die Genugtuungen einer Beamtenlaufbahn, zum Zeichen des Protestes gegen die willkürliche Absetzung ihrer Kollegen. Über ihren persönlichen Nutzen stellten sie die Ehre des freien Gedankens. Genauer gesagt, begriffen sie die eigene Persönlichkeit nur als Auswirkung des selbstherrlichen Geistes.
In demselben Fall befand sich seinerseits der Kardinal-Erzbischof von München, als er den Verlust seiner Freiheit vorzog, anstatt widerspruchslos hinzunehmen, daß die Unabhängigkeit der Religion angetastet wurde. Katholischer Glaube und Wissenschaft, beide fanden in dieser Zeit der Verfolgungen Männer, die aufrecht blieben, kraft ihres unbezwinglichen Gewissens.
Richter verschmähten es, sich herzugeben für die Tendenzprozesse, die in ihrer schwindelhaften Inszenierung so gern verwendet wurden für die Propaganda des Systems. Mehrere der Juristen waren den politischen Tagesmeinungen durchaus nicht abgeneigt. Aber ihre Wesensbildung verdankten sie von jeher dem Recht, und in der sittlichen Welt erkannten sie als beständig und heilsam nur das Recht. Es verraten wollten sie nicht; so opferten sie sich.
Sogar in der Akademie der Künste haben sich Überzeugungen behauptet, und einige Mitglieder haben sich von ihr losgesagt infolge der geistfeindlichen Kundgebungen des Regimes. Von ihnen waren die weitaus meisten, was man deutschstämmig nennt; die wenigsten waren Juden. Bemerkenswert ist, daß diese letzteren nicht alle gegangen sind, als sie es in Ehren konnten. Mehrere sind durch ihre Schuld entfernt worden, nachdem sie der tückischen Aufforderung, sich für den neuen Staat zu erklären, entsprochen hatten.
Zur Ausfüllung der Lücken wurde eine Liste neuer Mitglieder veröffentlicht. Der Minister hatte sie allerdings ernannt; verschwiegen wurde nur, daß einige der bekanntesten sich geweigert hatten, der Berufung zu folgen. Nein, die Diktatur verfügt über kein hervorragendes Personal. Begreiflicherweise kann ihr das gleich sein, sie haßt ja die Intelligenz und tut, was sie kann, um ihr jeden Einfluß zu nehmen. Gleichwohl gibt sie sich als Gönnerin der Wissenschaften und Künste, vorausgesetzt, daß diese sich ihren Launen beugen.
Die Republik war sparsam, in Geldsachen hatte sie Verantwortungsgefühl, und große Mittel kamen nie in Frage, nicht einmal als Belohnung hervorragender Arbeiten. Plötzlich ist Hitler da, und das Geld wird zum Fenster hinausgeworfen, märchenhafte Preise sind zu vergeben an eine Literatur, die zwar ohne Klasse, aber gutgesinnt ist. So macht man es, wenn man der Kunst und dem Denken etwas unterschieben will, das Idee und Schöpfung vortäuschen soll. Die Erfahrung hat sie gelehrt, daß man vermittels Geld und Reklame sehr wohl zur Macht gelangen kann, da stellen diese Menschenbehandler sich denn vor, geradeso könnten sie auch den neuen Geist erzwingen, dem sie gleichen.
Wir anderen hatten uns unser Leben lang bemüht, menschliche Wahrheiten in Worte zu fassen und sie zu gestalten, bis sie lebten. Literatur, Kunst und Theater waren Formen des Lebens gewesen auch in dem Sinn, daß sie darstellten, was sich gehalten hatte nach strengen Kämpfen und einer unerbittlichen Auslese. Wir waren ohne Unterlaß der Kritik ausgesetzt gewesen. Wir brauchten oft fünfzehn oder zwanzig Jahre, bis wir für unsere Sache ein zahlreiches Publikum gewonnen hatten. Dafür waren aber einige Namen auch dauerhaft verankert im öffentlichen Bewußtsein, als Beispiele einer sittlichen Erziehung und geistiger Bemühungen, deren Spur nicht ganz vergehen sollte, wenn die Träger der Namen starben.
Die Hitlerleute räumten mit diesen sehr einfach auf, sie nannten sie Kulturbolschewisten. Ganz gleich, ob die Schriftsteller schon unter dem Kaiserreich bekannt geworden waren, jetzt hießen sie Novemberliteraten. Man tut, als glaubte man, erst die Republik hätte uns herausgestellt durch besondere Achtungsbeweise, während sie in Wirklichkeit nur das unbeeinflußte Urteil der Zeitgenossen bestätigte.
Der Rassenstaat hat die Freiheit abgeschafft auf geistigem Gebiet wie überall und vermißt sich, jeden wohlerworbenen Ruhm in Vergessenheit zu bringen, genau wie ein Filmunternehmer einen Star fallenläßt, weil er einen neuen billiger kriegt. Dies System und seine Zutreiber sind so verrückt oder so dumm, daß sie mit Gewalt Begabungen und Werke durchsetzen wollen an Stelle derer, die sie für hinfällig erklären.
Leistungen und Erfolge müssen nicht mehr schwer erkämpft werden, sie entstehen auf dem Verfügungswege; und da das Publikum sich darauf denn doch nicht einläßt, soll es schlankweg gezwungen werden. Der bewußte Hinkel drohte kürzlich den Bemittelten, die keine Theaterplätze kaufen wollten. Nun also! Ins Konzentrationslager mit den widerspenstigen Zuschauern!
Die weichen den Schauspielhäusern aus und lesen die Naziliteratur nicht, weil die Langeweile und Verlegenheit nicht auszuhalten sind, wenn immer nur anspruchsvolle, leere Halbheiten zutage kommen. Ein amtlich beglaubigter Dramenheld mag zehnmal jeden Abend beteuern, er sei echt deutsch und als echter Deutscher entsichere er beim Wort Kultur seinen Revolver, er geht darum noch niemand etwas an, er rührt an nichts Menschliches. Er ist ein Markenfabrikat im Sinne der gewalttätigen, großsprecherischen Minderheit, der es geglückt ist, das Land zu erobern, aber nicht die Menschen. Die Intelligenz dieser Nation ist tief erniedrigt. Indessen noch in ihrer Erniedrigung bleibt sie stark genug, den Diktatoren das Geständnis ihrer Schwäche zu entreißen. Das Publikum haben sie nicht, die Menschen haben sie nicht.
Die erniedrigte Intelligenz führt eine Art Gegenbeweis: sie entlarvt die Menschengattung, die sich gar nicht schnell genug zunutze machen kann, daß es keine Intelligenz mehr geben soll. Einer der Heldendramenschmierer, dessen Stück vor gähnend leeren Häusern gespielt wurde, ist der Propagandaminister. Während des vorigen, noch nicht rassisch gesäuberten Zeitalters widmete er sich der Abfassung eines schlechten erotischen Romans. Der andere, der sich gegen die Kultur mit dem Revolver schützt, hatte drei Kriegsjahre lang Irrsinn simuliert, damit er nicht an die Front mußte. Dieser Pflanze ist die Ehre zugefallen, das Staatstheater zu leiten, ebenso wie der Minister gerührt von den unerwarteten Höhen reden kann, zu denen das Leben ihn geführt habe. Weder dieser noch jener begreifen, daß es auch Ehren für Ehrlose gibt.
Seinen literarischen Nachwuchs bezieht das System hauptsächlich aus den Reihen der Alten, Halbvergessenen, die sich über die frühere große Presse zu beschweren hatten. Da sind arme Nichtskönner mit Augen gelb vom Ärger. So lange hatten sie ertragen müssen, daß auch wir noch da waren. Sie zitterten danach, ranzukommen, verzweifelt hofften sie auf ihre Stunde. Jetzt ist sie da. Sie sollen sie nur schnell genießen, lange wird sie kaum dauern. Damit aber unser Sinn für Komik nicht zu kurz kommt, bereichert sich die neue Literatur um den ulkigen Gesinnungsmenschen, der seit ewigen Zeiten in falscher Dämonie und gewollter Perversität gemacht hatte, um jetzt plötzlich der Verherrlicher des großen nationalsozialistischen Helden zu werden, eines Opfers der Kommunisten. Bei Lebzeiten war der Held ein Zuhälter; da ist denn zu bewundern, mit welcher doppelsinnigen Begeisterung der Romandichter sich gerade bei dieser Einzelheit aufhält, so bedauernswert sie vom Standpunkt der Rassenreiniger sein mag.
Das sind die Prominenten. Da die alten Herren mitmachen, ist es nur natürlich, daß die meisten Jungen sich bereitwillig gleichschalten. Man lebt nur einmal. In Mode ist die Kraft, und in Ermangelung einer wirklichen Kraft, die hysterische Grausamkeit. Loben wir die Sieger! Den Besiegten soll unsere Verachtung gelten! Wir wollen nichts verstehen und keine Werturteile äußern. Hüten wir uns vor der Analyse und machen wir uns von der Gesellschaft nur ja keinen erlebten Begriff! Die Sprache darf nicht mehr gepflegt werden, Pflege des Wortes führt zur Menschenkenntnis und zu der einzigen des Namens würdigen Literatur. Es wäre Marxismus, denn der Marxismus ist schon längst keine Theorie mehr: er ist tägliche Erfahrung, die Praxis des Beisammenlebens, ein menschenwürdiges Dasein. Marxismus ist das Übliche und alles, was sich von selbst versteht.
Das herrschende System hält sich für stark genug, gegen alles wirklich Wahre anzugehn. Lassen wir es dabei, wenn wir junge Gleichschalter und von dem Wunsch erfüllt sind, auf kürzestem Weg an die Krippe zu kommen. Uns genügt völlig die falsch heldische Walze und eine lächerliche Vorstellungswelt, die nicht menschlich, aber vorgeblich deutsch ist. Halten wir uns an unser Deutschtum, reden wir nicht davon, daß wir Proletarier oder geistige Arbeiter sind! Immer müssen wir, so oder so, wieder anlangen bei dem »Volk ohne Raum«, das nur die eine Sorge kennt um Gebietserweiterungen; denn einzig an ihrem großen Land unterscheidet man die großen Nationen. Es versteht sich, daß andere Eroberungen mehr geistiger Art nicht den geringsten Anteil haben am Ruhm dieses Landes.
Weiter ist nichts dabei. Wir sind deutsch und nur deutsch. Darauf reite herum, dann wirst du als Schriftsteller begönnert und bist auf bestem Wege, ein Meister zu werden. Übrigens ist gegen dich nichts zu machen. Die Kritik versinkt in den Boden. Zur Zeit des »Kulturbolschewismus« konnte sie niemals anspruchsvoll genug sein. Jetzt ist sie von Amts wegen gewarnt, Werke zu verreißen, in denen das Regime seinen Ausdruck sieht. Sie muß sich hinterhältiger Kunstgriffe bedienen, wenn sie durchblicken lassen will, daß alles das der letzte Dreck ist.
Nein, das Regime verfügt über keine hervorragenden Kräfte, weder in der Literatur noch auf anderen Gebieten geistigen und sittlichen Wirkens. Es hat Brauchbare für sich, und massenhaft laufen ihm Schwache zu. Abgeschnitten von der wahren Literatur, die ausgewandert oder zum Schweigen gebracht ist, werden sie noch schwächer. Es berührt sie nicht mehr, Intellektbestien genannt zu werden; an zu viel Intellekt gehen sie ohnedies nicht zugrunde. Sollen sie aber Bestien sein, dann finden sie darin nichts Kränkendes. Bestien sind beliebt.
Manche Schriftsteller mittleren Alters besinnen sich wohl noch darauf, daß sie einst geistig beflissene Menschen waren. Davon ist ihnen etwas geblieben, sie hätten nicht übel Lust, die Versöhnung herbeizuführen zwischen der Intelligenz und der rohen Gewalt, deren Anhänger sie jetzt sind. Sie erreichen dies aber höchstens mit einem Haufen leerer Redensarten und absichtlicher Mißverständnisse. Einer von ihnen hatte lang und breit, ausdrücklich für Frankreich, die Verteidigung des deutschen Nationalismus unternommen. Damit hat er hauptsächlich erreicht, daß seine französischen Leser diesen Deutschen seitdem für moralisch unzulänglich halten. Denn sie stellen fest, was aus dem gerühmten Nationalismus inzwischen geworden ist: der Terror; und was aus dem Autor: ein Parteigenosse Hitlers.
So einer findet, daß jede siegreiche Bewegung ihre Rechtfertigung schon mitbringt. Nun, wenn dann morgen die kommunistische Bewegung siegt, werden wir die Freude erleben, daß er sich dort anzubiedern versucht und mit Fußtritten weiterbefördert wird. Im Augenblick ist die Hitlerei dran, und der bewährte Kenner von Volksbewegungen hat von dieser keine Ahnung. Zu seinem Glück weiß er nichts mehr von all den beschämenden Umständen, infolge deren es schließlich geschehen konnte, daß eine schon in Verruf und in Auflösung geratene Partei doch noch zur Macht kam. Eine schauerliche Korruptionsaffäre war der Grund. Die mußte begraben werden, und zu Hilfe rief man diesen Hitler, der selbst nur, von Kopf bis Fuß, das Geschöpf internationaler Korruptionisten war.
All die blutige Schande, die für mein Land daraus gefolgt ist, war durchaus vermeidbar; nur mußte ernsthaft widerstanden werden, vor allem seitens der Intellektuellen, anstatt daß sie sich feige anpaßten und Verständnis heuchelten. Ich kann nichts anfangen mit verschwommenen Rechtfertigungen einer Bewegung, deren Unmenschlichkeit in die Augen springt. Ich weiß wohl, daß sie gewissen Richtungen der Zeit entspricht, und wahrscheinlich führt sie durch Blut und Schmutz dereinst in andere Zeiten, die es wieder wert sind, gelebt zu werden. Alles was geschieht, kann zuletzt für null und nichtig gelten, einfach, weil das Leben weitergeht. Das heißt noch nicht, daß es gerechtfertigt ist vor der Vernunft und angesichts der Menschheit. Die gehäuften Leichen des Volkes, des echten deutschen Volkes, reden eine Sprache, klarer und überzeugender als die der Haarspalter und der Tanzderwische.
Selbst Literaten müssen wissen, daß alle Einrichtungen, die den meisten das Leben erträglicher gemacht haben, marxistisch sind und daß die Diktatur sie nur zum eigenen Vorteil unterschlagen hat, wie sie ja auch die Kassen stahl. Sie hat noch mehr gestohlen – sogar die kommunistischen Gesänge, deren Melodien die Leute Hitlers benutzen zur Feier ihrer blutgierigen, mit Unfruchtbarkeit geschlagenen Gottheit.
Auch Intellektuelle, die volkswirtschaftlich nur wenig beschlagen sind, hätten doch feststellen müssen, welch einen abscheulichen Hohn die Machtschieber mit dem proletarischen [Maifest] trieben. Zuerst wurden die Arbeitergewerkschaften gezwungen, sich zu beteiligen, aber genau am Tag nachher zerschlug man sie und verhaftete ihre Führer. Wie hier der Untergang politischer Gegner in Szene gesetzt wurde, das gehört zu den gemeinsten Handlungen, die das Gedächtnis der Menschen aufbewahren wird. Die Verüber brachten dasselbe sogar nochmals fertig, als sie gleich nach der Unterzeichnung des Konkordats mit dem Papst eine ihrer abscheulichsten Zwangsvorstellungen in Wirklichkeit umsetzten. Sie schritten zur Unfruchtbarmachung anderer Menschen.
So etwas verüben sie unfehlbar nach jeder öffentlichen Gelegenheit, bei der sie sich ungefähr zivilisiert aufgeführt haben. Das innere Gesetz, nach dem sie verfahren, ist eine unheimliche List, wie sie Irrsinnigen eignet. Die Herren des Tages gleichen für Literaturkundige aufs Haar den Verrückten aus der Novelle von Poe, die ihre geistig gesunden Wächter eingesperrt haben und nun endlich hausen können. Da hört man denn den einen seinen sauberen »Führer« mit Jesus Christus vergleichen und ein anderer bemißt die Dauer des »Dritten Reiches« auf zwanzigtausend Jahre! Worte fallen wie dieses: »Im Ausland gibt es Psychoanalyse, Marxismus, Paragraphen« –. Nicht aber im Irrenhaus. Dort ist man ohne geistige Aufsicht, asozial und an Gesetze nicht gebunden. Man redet und tut, was durch das leidende Gehirn zuckt. Weder Kritik noch die Zwangsjacke sind zu fürchten, die Wächter sitzen hinter Schloß und Riegel.
Literarisch Denkende teilen die Menschen in sittliche Typen, danach urteilen sie. Ich will glauben, daß hinter den kopflosen Rechtfertigungen, denen manche Gleichgeschaltete sich ergeben, geheimes Grauen steckt. Bei aller unbestimmten Sympathie mit der Rassenpartei hatte man sich immerhin nicht vorgestellt, was aus ihr noch werden würde, wenn sie erst richtig freie Hand bekäme. Jetzt fühlt man sich mit verwickelt in Verbrechen, die man denn doch nicht gewollt hatte. Um so heftiger gibt man sich; nur hinzusehn vermeidet man peinlich. Gegen die Verzweiflung schützt ein Panzer aus freiwilliger Unwissenheit.
Übrigens müssen die Gleichgeschalteten fühlen, daß sie völlig überflüssig sind. Das System braucht sie im Grunde nicht, um das Volk abzuschlachten, zu erniedrigen und zu verdummen. Sie bleiben beiseite; ihre Stimmen, die schon nachlassen, werden bald untergehn im Heulen des Sturms, der erst anfängt. Der wird Schluß machen mit den Ausschreitungen der falschen Intelligenz, die sich hat ducken lassen, bis sie niedrig war.
Es kommt nach dem Sturz Hitlers. In seiner Unfähigkeit hat dieser Mensch alles niedergerissen, nichts aufgebaut. Seine Sturmtruppen haben die Gewohnheit angenommen, gegen ihn aufzumucken. Eine nach der anderen muß er auflösen, eine nach der anderen verschwindet in Konzentrationslagern. Die Kräfte, auf die er sich stützte, laufen ihm davon, er hängt in der Luft, und ob er gebietet, wütet oder zappelt, Leere entsteht um ihn und die verschlossene Villa, der niemand zu nahe kommen darf. Jeder Beliebige kann ihn stürzen, und erst recht die nicht Beliebigen, die nur seit 1914 in ihrer Entschlußfähigkeit wesentlich verändert scheinen.
Dann wird er also zusammenbrechen an dem Tage, da die jetzt unauffindbaren Waffen der aufgelösten SA in den Händen der Kommunisten wiederauftauchen werden. Diese für die Öffentlichkeit gar nicht vorhandene Partei ist in Wirklichkeit die zahlenmäßig stärkste Deutschlands geworden. In freien Wahlen bekämen die Nationalsozialisten vielleicht noch zwanzig Prozent der Stimmen, die Kommunisten aber sicher mehr als sechzig Prozent. Unter der Republik hatten sie nicht die geringste Aussicht gehabt, je zur Macht zu gelangen. Der politische Unverstand einiger reicher Leute glaubte durch Hitler und seine Bewegung die deutschen Arbeiter versklaven zu können wie arme waffenlose Neger. Damit haben sie das, was ohnehin kommen muß, um ein halbes Jahrhundert vorgerückt.
Der herannahende Kommunismus ist das Wirkliche, es bricht sich Bahn durch den Schwindel der Hitlerei. Dabei bleibt es, sollten auch die ersten Versuche scheitern oder ausarten. Denn der Kommunismus wird durch den Zwischenfall Hitler vielleicht nicht gerade abgeklärt worden sein. Anzunehmen ist, daß die SA-Männer nach einem Wechsel in der Lehre und der Befehlsgewalt noch immer weder maßvoller noch logischer werden. In Deutschland wird das öffentliche Geschehen fast nie von der Logik bestimmt, sondern vom Gefühl. Davon hat sich nun reichlich viel angesammelt seit der unheilvollen Erziehung durch die Rassenpartei, und es sind nicht grade liebenswürdige Gefühle.
Wir können uns nur in Geduld fassen, wir Intellektuelle, die unser Land verließen um unserer Geistesfreiheit willen und damit wir selbst in Freiheit blieben. Ich hatte die Pflicht, einigen Stunden deutscher Zeitgeschichte ihren eigentlichen Sinn abzugewinnen, und dies zum Besten der Nation, der ich angehöre, wie auch anderer Nationen. Ich wahre meine persönliche Aufrichtigkeit und wache über ein paar Funken der Wahrheit, die in keinem Fall nur deutsch ist; sie ist Menschenbesitz.
Ich glaube wie je, daß literarische Bemühungen niemals ohne Wirkung bleiben, wie lange es auch dauern mag, bis die greifbare Welt ihnen zugänglich wird. Künftige Menschen können sich einem gerechten Handeln nur dann gewachsen zeigen, wenn wir verharrt haben in der Sprache der Wahrheit.