Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Göring zittert und schwitzt

Dies stand in einem Organ der französischen Katholiken und ist wohl eins der außerordentlichsten Interviews, das je eine Zeitung gebracht hat. Göring, ein Nationalsozialist, Reichsminister des Innern, außerdem preußischer Ministerpräsident und noch dazu Präsident des Reichstages, denn sie können nie genug bekommen, – dieser Machthaber hatte wieder einmal zur auswärtigen Presse gesprochen, was ihre Hauptbeschäftigung ist. Dann nahm er einige der Herren in seine Privatgemächer mit, um sie noch besonders zu bearbeiten. Natürlich waren alle Teilnehmer von nordischer Rasse, echte Norweger. Man weiß nicht, wie der Franzose dazwischen kam. Vielleicht hatte er sich einen Schifferbart umgehängt und spielte den Wikinger.

Hier versicherte Göring, seit kurzem sowohl doppelter General wie auch vierfacher Millionär, seinen Zuhörern vor allem, daß er gesund sei. Das war sogar der längste, für ihn wichtigste Teil der Unterredung. Die schwedische Presse hatte allerdings gemeldet, daß vor Jahren Göring in Stockholm auf offner Straße einen Wahnsinnsausbruch gehabt habe. Er mußte in eine Klinik gebracht werden, führte sich aber dort so auf, daß nur übrigblieb, ihn in die Irrenanstalt zu schaffen. Seine Zustände hingen wahrscheinlich damit zusammen, daß ihm das Morphium entzogen worden war. Wenn man daran gewöhnt ist, muß man es haben. Ein nationalsozialistischer Minister, überdies Vorsitzender des Staatsrates, Inhaber von dreißig Uniformen und einer Villa mit spitz gewölbten, schwarzen Räumen wie aus Angstträumen, hat durchaus das Recht, Morphinist zu sein. Sie nehmen sich noch ganz andere Rechte, Morphium zu spritzen ist das geringste. Juden totschlagen und enteignen, Sozialisten in Konzentrationslager sperren und sie »auf der Flucht« erschießen; geistige Arbeiter, die der Welt bekannt sind, in Gefängnissen martern, wenn sie nicht rechtzeitig das Land verlassen haben; den einen Teil des Volkes in einem Zustand des Schreckens erhalten, den anderen aber loslassen wie die Bestien: um das alles richtig durchzuführen, braucht man wohl Morphium.

Göring zufolge hat die sozialdemokratische Presse Schwedens ihn verleumdet, nachdem die dortige Polizei die Inkorrektheit begangen hatte, ihr die Akten über ihn auszuliefern. Zeitungen, die amtliche Akten wiedergeben, können natürlich nicht verleumden; aber Einwände und Fragen der Journalisten nordischer Rasse hörte Göring gar nicht; er redete immer weiter, hingerissen von seinem Gegenstand. Sein massiger Körper zitterte, von seinem dicken Kopf floß der Schweiß, und anstatt zu sprechen, schrie er, bis er erstickte und nicht mehr konnte. Ein Bild, wie gesunde Menschen, die in Schweden nie etwas erlebt haben, es alle Tage bieten.

Der französische Katholik erwähnt diese Symptome übrigens nur nebenbei und sicher ohne böse Absicht, um so bezeichnender sind sie. Der ordnungsliebende Mann, der für das fromme Blatt schreibt, mag im Gegenteil eine gewisse Sympathie hegen, wenn nicht für die Person des vielfachen Würdenträgers, dann doch für seine Sache. Als Göring mit dem Thema »Ich und Schweden« endlich fertig war, behauptete er, der Kommunismus werde von ihm ausgerottet werden; und das hören viele gern, auch wenn sie sonst mit einem Göring nichts zu tun haben wollen.

Fremde, die in Deutschland reisen, schreiben manchmal nach Hause: »Die neue Regierung hat das Gute, daß sie Ordnung macht und mit den Kommunisten aufräumt.« Das ist ihnen erzählt worden, und dafür sind sie geneigt, alles andere zu vergessen und zu verzeihen. Denn die westliche Welt liebt die Kommunisten nicht.

Dem entgegen soll laut und klar die Tatsache ausgesprochen werden, daß die deutsche Republik niemals vor dem Kommunismus gerettet werden mußte. Vor dem Nationalsozialismus mußte sie gerettet werden, und das ist leider versäumt worden.

Die deutschen Kommunisten waren erstens keine echten Kommunisten. Die Doktrin war den Deutschen, wie allen westlichen Völkern, im Grunde fremd. Der Kommunismus hätte nie gesiegt, nicht einmal vorübergehend und durch eine Katastrophe, so wie der Nationalsozialismus es gekonnt hat. Die kommunistische Partei Deutschlands hat sich niemals ganz in ihre Rolle gefunden, niemals hat sie selbständig gehandelt, sie hat nur die Befehle Moskaus befolgt, das aber schlecht. Denn ihr fehlte die tiefe innere Überzeugtheit von ihrer Sendung, und daher auch die Bereitschaft und die Kraft.

Was hatte diese Partei erreicht? Hundert Abgeordnete; und dieser große Zulauf hatte dieselben Gründe wie bei den Nazis, die Not der Massen und ihre seelische Verwirrung. Man weiß, daß dieselbe Art von Menschen bald zu der einen, und dann wieder zu der anderen der beiden Umsturzparteien ging. Es waren Arbeitslose, es waren Verzweifelte, es waren unwissende, ziellose Jugendliche, einzig angetrieben vom Haß gegen die bestehende Ordnung und von dem Drang nach einer Katastrophe, die ihnen endlich erlauben sollte, sich zu entladen.

Schließlich wurde die Mehrzahl von den Nazis aufgefangen. Warum? Weil dort das Geld war. Weil dort die Waffen waren. Weil man dort in Uniformen umherlief und offen den Staat bedrohte. Das erlaubte die Republik. In allen Behörden und in den Parteien saßen Schwächlinge und Verräter, daher war es erlaubt, viele Jahre lang ein Heer bewaffneter Feinde des Staates heranzubilden, Unsicherheit zu verbreiten, zu Morden zu hetzen und sie zu begehen. Es war erlaubt, die Republik und alle Republikaner mit einem schrecklichen Ende zu bedrohen. Aber es war einzig den Nazis erlaubt, niemals den Kommunisten.

Die »Rotfront« ist nicht von Göring aufgelöst worden, sondern von der Republik. Die »S.A.« sind niemals aufgelöst worden. Ein kurzer, schwacher Versuch, ihnen die Uniformen zu verbieten, wurde gemacht und gleich wieder aufgegeben. Leisteten die Kommunisten etwa Widerstand? Ihre militärische Organisation wurde ihnen genommen, und sie fügten sich. Ihre Waffen wurden ihnen beschlagnahmt, und höchstens versteckten sie einige. Von Zeit zu Zeit hob die republikanische Polizei ein geheimes Waffenlager aus; das war immer ein kommunistisches, fast niemals ein nationalsozialistisches. Die Nazis sind geschont worden bis zu einem Grade, daß der Staat, der sich selbst aufgab, seinen eigenen Anhängern Verachtung einflößte. Die Nazis durften toben in ihren Zeitungen, sie durften jeden einzelnen von uns unter Nennung seines Namens den Mördern empfehlen. Wenn in kommunistischen Organen ein Wort zuviel stand, wurden selbst Setzer und Zeitungsfrauen von den Gerichten eingesperrt.

Wer hat Attentate begangen? Man nenne in all den Jahren ein einziges kommunistisches, das nicht gradeso provoziert und eine Tat der Gegenwehr gewesen wäre, wie die Tötung jenes Wessel. Aber die Reihe der nationalsozialistischen Verbrechen ist endlos. Wer hat Überfälle veranstaltet? Wer kam zuerst auf den schändlichen Gedanken, sogar in die Häuser der Andersgesinnten einzudringen und Menschen in ihren Wohnungen zu erschlagen oder zu verstümmeln? Nicht die Kommunisten, die nicht! Wie ein Tier, das in einen Winkel gedrängt ist und gequält wird, bissen sie endlich, sie wehrten sich. So und nicht anders ist zwischen Nazis und Kommunisten jener Guerillakrieg der letzten Jahre entstanden, der Krieg im Dunkeln, in Kellern, in nächtlichen Laubenkolonien. Aber selbst beim klarsten Sachverhalt verschleppten die Gerichte die Prozesse, und niemals wurde unumwunden ausgesprochen, wer der Angreifer war, obwohl jeder es wußte.

Göring in seinem Ministerpalast oder in dem teuersten Schlemmerlokal Berlins, wo er Stammgast ist, erlaubt sich heute die unverschämte Behauptung, die Nationalsozialisten hätten die westliche Zivilisation gerettet vor dem Kommunismus. Die Wahrheit ist, daß die Zivilisation keinen ärgeren Feind hat als diese Mörder aus Überzeugung, diese Rassenfanatiker und Totengräber der bürgerlichen Ordnung. Sie haben den Krieg gegen die Kommunisten angefangen in der bewußten Absicht, anarchische Zustände herbeizuführen; anders wären sie nie zur Macht gelangt. Sie wollten den Staat in einen Zustand der Auflösung versetzen, damit sie selbst die Herren wurden. Sie haben gar nicht die Kommunisten gemeint, wenn sie in ihre Wohnungen drangen und sie erschlugen. Die Republik wollten sie erschlagen.

Das ist ihnen zuletzt auch gelungen, weniger durch ihre eigene Kraft als mit Hilfe von Verrätern. Übrigens wurde es höchste Zeit für sie, ihre Stimmenzahl nahm schon ab, der Gipfel ihres Erfolges war überschritten. Außerdem, dies ist zuwenig bekannt, stand eine Vereinigung der beiden Arbeiterparteien bevor. Ich weiß es, denn ich habe selbst dafür gewirkt und bin deshalb genötigt worden, die Preußische Akademie der Künste zu verlassen. Die Kommunisten hätten sich versöhnt mit den Sozialdemokraten, die Arbeiter wollten es, die Führer beider Parteien hätten gehorchen müssen. Dann aber gab es keine kommunistische Gefahr mehr, nicht einmal zum Schein; niemand konnte sie noch als Vorwand benutzen, um zur Macht zu gelangen. Was hiermit geschaffen wäre, das bedeutete eine sichere Mehrheit für die Republik. Bevor diese Mehrheit zustande kam, mußte der Streich gegen sie verübt werden.

Als aber die siegreiche Bande von Abenteurern in den Palästen thronte und herrschte, was tat sie dann für die Zivilisation, die sie gerettet haben will? Vierzehn Tage lang geschah nichts, die neuen Herren begegneten keinem Widerstand, ihnen fehlte der weithin sichtbare Anlaß, endlich zu zeigen, wer sie wirklich waren. Und der Anlaß kam, das Reichstagsgebäude wurde angezündet – die ganze Welt kennt den Brandstifter. Das ist derselbe Göring, der von westlicher Zivilisation faselt, während er dabei zittert und schwitzt.

Jetzt konnten sie losgehen, jetzt kamen die Pogrome, die Konzentrationslager und alle die anderen Taten zur Rettung der Zivilisation. Es sind die Taten von Kreaturen, die nichts kennen und nichts wollen, außer ihrem Haß und ihrer Gier. Sechs hochbezahlte Posten auf einmal und dazu noch stehlen; in Palästen wohnen und das Land, sinn- und zwecklos, ihrem Machtwahnsinn unterwerfen: das genügte ihrem erbärmlichen Ehrgeiz. Sie können für nichts Höheres arbeiten als für sich selbst. Es sind Leute, die nicht denken und die den Gedanken hassen, daher bleiben sie immer kleine verfehlte Wesen, trotz allen ihren großen Verbrechen. Sie hassen uns denkende Menschen mehr als alle anderen, unvergleichlich mehr als die Kommunisten und sogar noch heftiger als die Juden, die sie wahrhaftig genug hassen.

Sie sind listig, wie die meisten Dummköpfe. Göring glaubte die fremden Journalisten damit zu ködern, daß er sich als Retter der westlichen Zivilisation vom Kommunismus aufspielte. Die westliche Zivilisation neigt sehr wenig zum Kommunismus, dagegen befindet sie sich in einem Zustand, der sie zur Beute gewissenloser Glücksjäger machen kann. Die westliche Zivilisation, das war in Deutschland die Republik, mag sie auch unzulänglich und schwach gewesen sein. Andererseits haben Glücksritter nur selten Glück bis zum Schluß, und einmal kehrt doch die Zivilisation zurück.


 << zurück weiter >>